Soziale Orte Konzept Das - Neue Infrastrukturen für gesellschaftlichen Zusammenhalt - Universität Göttingen
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2 3 Editorial: Liebe Leserinnen und Leser, sehr geehrte Projekt-Interessierte, die nebenstehende Aufzählung von Voraussetzungen einer Vielzahl engagierter Bürger*innen, konsequent für das Entstehen und Bestehen Sozialer Orte erhiel- an innovativen Lösungsstrategien. In den unter- „Es braucht Raum, es braucht Menschen. Man ten wir als Antwort in einem unserer ersten Exper- ten*innen-Interviews rund um den gesellschaftlichen suchten Regionen wurde öffentlicher Raum gestaltet, wurden Soziale Orte aufgebaut und (neuer) Zusam- muss ihnen eine Infrastruktur bieten. Man muss Zusammenhalt. Sollte es wirklich so einfach sein? Entstehen Gemeinschaft und Zusammenhalt auto- menhalt geschaffen. Die Ergebnisse unserer Forschungsreise zur Wirk- matisch, wenn man kreative Menschen mit Raum, lichkeit Sozialer Orte stellen wir Ihnen auf den ihnen Unterstützung bieten, dass sie ihre Arbeit Ressourcen und Know-how ausstattet und sie einen nächsten Seiten vor. Beurteilen Sie selbst, ob das So- Sozialen Ort „bauen“ lässt? Gesellschaftlicher Zu- ziale-Orte-Konzept (SOK) ein Mittel gegen die sozial- leisten können.“ Im Rahmen unserer Forschung haben wir mit Expert*innen, Bewohner*innen und Akteur*innen sammenhalt ist angesagt! Gerade in Zeiten der Krise braucht es Solidarität, Rücksichtnahme und tätige strukturelle und räumliche Spaltung unserer Gesell- schaft sein kann. Ob es in der Lage ist, gleichwertigere vor Ort gesprochen. Wichtige Zitate aus diesen Hilfeleistung. Dabei ist Zusammenhalt aber auch ein Lebensverhältnisse herzustellen, was bisher weder gesellschaftliches Do-it-Yourself, das von aktiven Bür- politischen noch rechtlichen Ausgleichsinstrumen- Gesprächen finden sich über die gesamte ger*innen in Angriff genommen werden muss. Doch ten – wie Länderfinanzausgleich, Solidaritätspakt Broschüre verteilt. was sind die Grundbedingungen für die nachhaltige und EU-Strukturfonds – oder einer Vielzahl regio- Produktion von Zusammenhalt? nalspezifischer Modellprojekte gelungen ist. Das So- Im BMBF-Projekt „Das Soziale-Orte-Konzept. Neue ziale-Orte-Konzept möchte den Aufbau neuer (Infra-) Infrastrukturen für gesellschaftlichen Zusammen- Strukturen und Institutionen des gesellschaftlichen halt“ haben wir uns genau diese Frage – neben vielen Zusammenhalts unterstützen, Orte schaffen, an de- anderen – gestellt. Forschungsteams aus Göttingen nen Menschen zusammenkommen und Gesellschaft waren in Waldeck-Frankenberg in Hessen (Georg- gestalten können. Es geht dabei nicht nur um Aus- August-Universität) sowie in Saalfeld-Rudolstadt differenzierung, Bündelung und Konzentration von in Thüringen (Soziologisches Forschungsinstitut) Infrastrukturangeboten, wie sie das Zentrale-Orte- unterwegs, um Antworten zu erhalten. Beide Land- Konzept vorsieht, sondern um eine tragfähige Infra- kreise haben mit den Herausforderungen des demo- struktur in der Fläche, bedarfsorientiert, individuell, grafischen Wandels und wirtschaftlichen Struktur- jedoch vernetzt, die lokal wirken kann. Ein horizonta- wandels zu kämpfen, wenn auch in unterschiedlicher les Netz Sozialer Orte soll die hierarchische, vertikale Ausprägung. Beide Landkreise haben die Problem- Struktur Zentraler Orte ergänzen, zu einem Gesamt- lage jedoch erkannt und arbeiten, gemeinsam mit konzept gegen die Absiedlung ländlicher Räume. Ihre Meinung dazu interessiert uns! Aber zunächst viel Vergnügen beim Lesen, Ihr SOK-Projektteam Grußwort: Bunt, ansprechend, informativ: So stellt sich dieses vorliegende Magazin und das Soziale-Orte-Projekt Magazin vor. Kurzweile ist angesagt, wenn es darum sind ein gutes Beispiel dafür, wie Forschung in Zu- geht, sich darüber zu informieren, wie gesellschaftli- sammenarbeit mit der Praxis zu Lösungen dringender cher Zusammenhalt gelingen kann, mit welchen Mit- Zukunftsfragen beitragen kann. Bei der Durchfüh- teln demokratische Prozesse gestärkt, wie sich von rung des Vorhabens kam den Perspektiven von Kom- Abwanderung bedrohte ländliche Räume wiederbele- munen, lokalen Wirtschaftsunternehmen und der Zi- ben lassen. An vielen Beispielen wird anschaulich dar- vilgesellschaft – den Menschen vor Ort – eine tragende gestellt, was Soziale Orte ausmacht. Rolle zu. Die in und mit den Landkreisen Saalfeld-Ru- Das Magazin entstand innerhalb des Verbundvor- dolstadt und Waldeck-Frankenberg ermittelten Er- habens „Das Soziale Orte Konzept. Neue Infrastruktu- gebnisse rund um die Gestaltung Sozialer Orte sind ren für gesellschaftlichen Zusammenhalt“, einem von so aufbereitet, dass sie auch in anderen Regionen und 50 Projekten, die im Rahmen des Forschungsschwer- Orten angewendet werden können. punkts „Zusammenhalt stärken in Zeiten von Krisen und Umbrüchen“ vom Bundesministerium für Bildung Dr. Stephanie Becker und Forschung (BMBF) seit 2017 gefördert werden. Das DLR Projektträger In Saalfeld-Beulwitz entsteht neben einer Geflüchtetenunterkunft ein Werkhaus, mit Hilfe der Stadt.
4 5 Inhalt: Editorial und Grußwort 3 Forschungsregionen kurz vorgestellt 6 „Die Menschen machen den Unterschied“ Im Gespräch mit Claudia Neu und Berthold Vogel 10 Was macht Soziale Orte aus? Eine grafische Annäherung 14 „Stadt kann jede*r, Land muss man wollen“ Reportage Landkreis Waldeck-Frankenberg (Hessen) 16 Das Forschungsteam in Waldeck-Frankenberg Gemeinschaftsküche der SoLawi Falkenhof Strothe im Landkreis Waldeck-Frankenberg. Georg-August-Universität Göttingen 24 Soziale Orte erforschen Welche Methoden wurden genutzt? 28 Blick auf Schwarzburg im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. Zusammenhalt Gestalt verleihen Zwei künstlerische Interventionen 30 Von Benefits, Gefahren und Impulsen Ergebnisse des Forschungsprojektes 36 Wo im Kleinen Großes entsteht Landkreis Waldeck-Frankenberg. Reportage Landkreis Saalfeld-Rudolstadt (Thüringen) 46 Das Forschungsteam in Saalfeld-Rudolstadt Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen 56 Und nun? Handlungsempfehlungen 60 Öffentlichkeit gegen den Trend Ein Ausblick 66
6 7 Blick über Frebershausen. Forschungsregion Waldeck-Frankenberg Schrumpfen und Wachsen liegen im flächen- mäßig größten Landkreis Hessens nah beieinander. Wir finden hier prosperieren- de Industriestandorte der Kunststoff-, Mö- bel- und Gummiindustrie ebenso wie eine touristisch stark erschlossene Mittelgebirgs- landschaft – mit großen Wäldern, Stauseen, • 1.848 km² Fläche dem Nationalpark Kellerwald-Eder und der • 156.406 Einwohner*innen Mühlenkopfschanze. Zugleich kennt der Landkreis auch die strukturschwachen Berg- (85 EW/km²) regionen des Uplandes und sehr kleinteilige • 22 Gemeinden, vier dörfliche Siedlungsstrukturen. In Waldeck- Mittelzentren über 10.000 EW: Frankenberg spielen Landwirtschaft, Hand- werk und verarbeitendes Gewerbe immer Kreisstadt Korbach (23.458 EW) noch eine wichtige Rolle. Hier trifft drohen- Bad Arolsen (15.382 EW), der Arbeitskräftemangel auf anhaltende Bil- dungswanderung der jüngeren Generation. Bad Wildungen (17.264 EW) und Gleichzeitig zieht die landschaftliche Schön- Frankenberg (17.689 EW) heit wieder vermehrt Neubürger*innen an. Für Sozialwissenschaftler*innen also ein weites und spannendes Untersuchungsfeld.
8 9 In den Gassen von Rudolstadt. Forschungsregion Saalfeld-Rudolstadt Im Süden des Freistaates Thüringen gele- gen, weckte gerade das Uneindeutige und das Kontrastreiche im Landkreis das Inter- esse des Forschungsteams. Saalfeld-Rudol- stadt ist ein ländlicher Kreis, aber er ist auch städtisch geprägt, er verfügt über eine reiche industriell-gewerbliche Tradition und zu- • 1.009 km² Fläche gleich über eine bemerkenswerte kulturelle • 103.199 Einwohner*innen Vielfalt. Wir können gerade auch mit Blick auf die vergangenen Jahrzehnte seit 1990 die (100 EW/km²) Entwicklung des Landkreises als Geschichte • 26 Gemeinden, Städte über von Verlusten, insbesondere durch Abwande- 10.000 EW: Kreisstadt Saalfeld rung, beschreiben, aber eben auch als erfolg- reichen Neuanfang und Selbstbehauptung. (29.278 EW) und Wir sehen Leerstand und schrumpfende Rudolstadt (24.943 EW) Dörfer, aber auch neue Aktivitäten und eine Menge Energie und den Willen, die Region, das Stadtviertel, das Dorf zu gestalten.
10 11 Im Gespräch mit Claudia Neu und Berthold Vogel „Die Menschen machen den Unterschied“ Wer der gesellschaftlichen Spaltung entgegenwirken will, muss engagierte Menschen Was genau sind Soziale Orte? Sehen Sie dabei einen Zusammenhang zwischen unterstützen, vor allem im Claudia Neu: Soziale Orte sind Orte der Begegnung, Demokratie und Demografie? Dass also an Orten, der Kommunikation und des Miteinanders. Die an denen die Menschen gehen, auch die Demokra- ländlichen Raum. Ein Gespräch unterschiedlichsten Menschen kommen hier im öf- tie schwindet? fentlichen Raum zusammen, um gemeinsam etwas BV: Zumindest in den Regionen, in denen viele über Erfahrungen aus zwei zu unternehmen, aufzubauen oder zu erhalten. Ich qualifizierte und junge Menschen gehen, verliert denke hier an den Dorfplatz in Löhlbach, die „Alte der Ort Teile seiner sozialen Mitte, also Menschen, Regionen. Interview geführt Schule“ Dahlwigksthal oder die Initiative „Rudol- die sich engagiert haben. Lokale Demokratie lebt stadt blüht auf“. Soziale Orte antworten häufig auf von Engagement. Dafür, dass vor Ort etwas voran von Susanne Kailitz. einen empfundenen Mangel – an Infrastruktur, an geht, braucht es mehr, als nur alle sechs Jahre zur Freizeit- oder Begegnungsmöglichkeiten. Dann fin- Kommunalwahl zu gehen. Es braucht Leute, die in det sich eine einzelne Bürgerin oder auch eine ganze Vereinen aktiv sind, im Kirchenchor singen oder Gruppe Aktiver, die sich an die Arbeit machen und die Sportjugend trainieren. Diese Aktivitäten ma- einen Prozess der Veränderung einleiten, an dessen chen die Qualität des Lebens vor Ort aus. Wenn al- Ende sehr unterschiedliche Ziele oder Ergebnisse lerdings die jungen, engagierten Leute weggehen stehen können. Das kann eine Kulturscheune sein, oder die mittleren Jahrgänge, die voll im Erwerbs- wie etwa in Strothe, ein Dorfmoderationprozess leben stehen, bestenfalls am Wochenende Zeit ha- wie in Diemelstadt oder eine bessere Vernetzung ben, weil sie unter der Woche in 100 Kilometer Ent- im Schwarzatal. Es gibt also nicht den einen Sozia- fernung ihren Arbeitsplatz haben, dann bleibt das len Ort oder die Schablone „Wie backe ich mir einen nicht ohne Folgen für den lokalen Zusammenhalt. Sozialen Ort“. Beheben die Sozialen Orte in den ländlichen Räu- Herr Vogel, aus welcher Perspektive schauen Sie men nicht eigentlich einen Mangel, um den der auf die Sozialen Orte? Staat sich kümmern müsste? Berthold Vogel: Der Begriff der Sozialen Orte setzt CN: Engagement braucht Ressourcen – das muss einen wichtigen wissenschaftlichen, aber auch aber nicht allein finanzielle Unterstützung sein. einen gesellschaftspolitischen Akzent. Gegen Stim- Zugleich braucht es auch intakte funktionsfähi- men, die für Abwicklung und Absiedlung sogenann- ge Infrastrukturen wie Sporthallen, Schulen oder ter strukturschwacher Regionen plädieren und für Schwimmbäder, an denen sich bürgerschaftliches Bürger*innen, die sich vor Ort engagieren. Mit der Engagement und Gestaltungswille andocken kann. Forschung zu Sozialen Orten zeigen wir, dass wir Zugleich sind wir bei „unseren“ Sozialen Orten auf vorsichtig sein sollten, Regionen nur basierend auf eine offene Verwaltung gestoßen, die Partnerin, Strukturdaten abzuschreiben. Gerade dort, wo es auch Ermöglicherin ist und nicht Bremsklotz. Wir strukturell nicht gut aussieht, gibt es viele Men- haben auch festgestellt, dass die örtliche Wirt- schen, die sich vor Ort engagieren, zupacken und schaft oft gar nicht mitgedacht wird. In Gesprächen, gegen die Widrigkeiten der Verhältnisse arbeiten. etwa mit den Handwerksbetrieben, wurde jedoch Unsere Forschung verhilft ihnen – hoffentlich – zur schnell klar, dass Selbständige einen wichtigen Bei- Sichtbarkeit. trag leisten und hier auch noch Potential ist. Sozia-
12 13 „Soziale Orte entstehen nicht im Alleingang, sondern immer im Team.“ kalibrigen, millionenschweren Projekte, die auf den Weg gebracht und mit großem Glockengeläut vor Ort installiert werden. Auch kleine Initiativen Bezogen auf unsere Fallbeispiele bin ich aber eher zuversichtlich gestimmt. BV: Ihr Bestehen wäre wünschenswert, weil die von wenigen Leuten können vor Ort große Wirkung Coronakrise uns noch einmal deutlich vor Augen entfalten. So beobachten wir auch in den Landkrei- geführt hat, dass wir auch diese Art von Begegnung sen gewissermaßen Nadelstiche, die dann zu einer brauchen. Die ganze digitale Welt ist natürlich ein größeren Wirkung geführt haben, wie bei der Aku- schönes Werkzeug, aber eigentlich zeigt Corona punktur. Man trifft einen Nerv, verändert damit noch sehr viel mehr, wie wichtig Präsenzerfahrun- aber gleichzeitig auch Dinge an anderen Stellen. gen sind und wie auch nur daraus soziale Aktivi- täten, sozialer Zusammenhalt und soziale Verbin- Zum Schluss würde mich Ihr Ausblick interessie- dungen entstehen. Ich sehe mit großer Sorge, dass ren. Wie optimistisch sind Sie hinsichtlich der Ent- die öffentlichen Kassen irgendwann dramatisch wicklung der Sozialen Orte beider Landkreise, vor leer sein werden. Obwohl Rettungsschirme und allem nach der Coronakrise? Konjunkturpakete, die rasch auf den Weg kamen, CN: Wenn ich ernst nehme, was ich vorher ge- natürlich sinnvoll sind, frage ich mich doch, was sagt habe und Soziale Orte mehr sind als nur ein in den nächsten Jahren geschehen wird, sollten die Ort, den ich wieder zuschließen kann, und es sich Kommunen in immer größere finanzielle Schwie- tatsächlich um Netzwerke handelt, die sich beige- rigkeiten geraten? Dann wird es auch für die Sozia- bracht haben, wie man auch in Krisen auf bestimm- len Orte hart, denn sie leben von einer leistungsfä- te Dinge reagiert, schätze ich die Chancen als sehr higen kommunalen und lokalen Infrastruktur. Wir gut ein. Trotzdem wird natürlich das ein oder ande- müssen jedenfalls darauf achten, dass Soziale Orte le Orte entstehen also nicht im Alleingang, sondern che Orte besser und andere schlechter entwickelt. re zu Ende gehen. Das ist aber manchmal auch not- nicht zur Spielmasse finanzpolitischer Restriktio- immer im Team. Wie sich diese Akteursnetzwerke Wir schauen in der Soziologie immer mehr auf die wendig, um mit etwas Neuem starten zu können. nen werden. aus Zivilgesellschaft, Verwaltung und lokalen Un- Strukturen und denken, dass es die Person nicht al- ternehmen jeweils zusammensetzen, hängt immer leine ist. In der Realität ist das oft anders. Die Men- von den örtlichen Bedingungen ab. schen machen den Unterschied. Unterscheiden sich Soziale Orte und die Art, wie Was sind die Ergebnisse aus Ihrer jahrelangen Ar- sie entstehen, in Ost und West? beit? Was brauchen Soziale Orte, um gut zu funkti- BV: Auf jeden Fall. Der Osten ist eine Region, die onieren? Und wie kann ihnen das gegeben werden? ihre Vergangenheit mit sich trägt. Die Bürde der BV: Ich glaube, Infrastrukturen sind für Soziale DDR und die häufig sehr verunsichernden Erfah- Orte unheimlich wichtig, genau wie eine zugängli- rungen der Nachwendezeit, das steckt den Leuten che Verwaltung. Das ist auch unsere Botschaft: Wer in den Knochen. Neben der industriellen Struktur die Infrastruktur rückbaut, gefährdet die Existenz- und den Arbeitsplätzen sind auch viele junge Leute fähigkeit Sozialer Orte. nicht mehr da. Ich glaube, das ist eine Grunderfah- rung. Es gibt viele positive Entwicklungen, aber sie Frau Neu, teilen Sie das? verblassen vor den dreißig Jahren Transformation CN: Ja, absolut. Eins der überraschenden Ergebnis- mit all ihren Verwerfungen und Verlusterfahrun- se war, dass diese Sozialen Orte eben nicht nur ein gen. Diese Zwiespältigkeit gibt es in den westlichen konkreter Ort sind, sondern dass sich daran auch Landkreisen nicht. Vermutlich spalten sich die Be- immer ein Netzwerk aufgebaut hat, das die Quali- wohner ostdeutscher Regionen stärker in die, die tät dieser Sozialen Orte ausmacht. Unsere Sozia- sich als außerhalb der Gesellschaft sehen, und jene, len Orte weisen über sich selbst hinaus, sie sind die sich sehr stark vor Ort, für die Gesellschaft und inklusiv, laden zum Mitmachen ein, gestalten öf- das Gemeinwohl engagieren. fentlichen Raum und entwickeln Ideen für eine CN: Im Westen fehlt vor allem diese Umbrucher- nachhaltige Zukunftsgestaltung. Dies bedeutet für fahrung. Das Verlustnarrativ gibt es auch, aber es eine zukünftige Förderung Sozialer Orte in Stadt ist unspezifischer und hat keinen konkreten Be- und Land, dass nicht mehr Projekte mit einer äu- zugspunkt. ßerst begrenzten Laufzeit gefördert werden soll- ten, sondern Prozesse. Es braucht eine Förderung, Gibt es einen bestimmten Typ Mensch, der sich mit der sich die Aktiven vor Ort ihren Sozialen Ort vor Ort engagiert oder ist das altersgruppen- und erhalten, erschaffen und gestalten können. Und das schichtenübergreifend? sieht eben überall anders aus. CN: Man braucht natürlich ein Zugpferd, trotzdem BV: Interessant ist in dem Zusammenhang auch ist es keine One-Man- oder One-Woman-Show. Es die Theorie der Nadelstiche des Stadtplaners Kon- braucht Ideengeber*innen, aber vor allem diejeni- rad Hummel, die besagt, dass es gerade in schwie- gen, die die Ideen dann in die Welt tragen. rigen Stadtteilen nur geringe Mittel braucht, um BV: Es sind die aktiven Leute vor Ort, die einen große Wirkung zu erzielen. Das gleiche gilt auch Unterschied ausmachen. Daher sind auch man- für Soziale Orte. Es geht nicht um die ganz groß-
14 15 Ein Sozialer Ort ist gemeinschaftlich nutzbarer Raum mit niedriger Zugangsschwelle. Dort können Menschen geplant Was macht Soziale oder spontan zusammenkommen. Er ist ein Kommunikationsort, an dem man sich über Milieugrenzen hinweg kennenlernen und soziale Bindungen verstärken kann. Auch kann er ein Ort Orte aus? der Verhandlung und Konfliktaushandlung sein. Was sind (idealtypisch) Soziale Orte? Ein Sozialer Ort ist ein „Dritter Ort“ (nach Ray Oldenburg) neben Zuhau- se und Arbeitsplatz, geht aber auch weit darüber hinaus: Sie antworten auf konkrete Bedarfe der Gemeinschaft. Sie zeigen sich als innovative, hybride Sie binden bürgerschaft- Institutionen, in denen Akteur*innen liches Engagement. aus lokaler Zivilgesellschaft, kommu- naler Verwaltung und regionaler Wirtschaft zusammenfinden. Damit festigen Soziale Orte die lokale Demokratie und den ge- Die Akteur*innen Sozialer Orte sellschaftlichen Zusammenhalt. Soziale Orte schaffen Öffent- In der heutigen, technologiezentrier- knüpfen Netzwerke, die (über-) lichkeit und machen damit ten Welt bilden Soziale Orte analoge regional wirken und so räumliche gemeinschaftliches Wirken Anker der Begegnung, des persön- Verbindungen herstellen. und gesellschaftlichen Zu- lichen Kontaktes. sammenhalt sichtbar.
16 17 „Stadt kann jede*r, Land muss man wollen“ Wie Engagierte Orte für sozialen Zusam- menhalt im Landkreis Jenny Wintzer (li.) und Carolin Weidemann betrei- ben eine solidarische Landwirtschaft in Strothe. Ihr realisierter Traum: eine Kulturscheune für die Kunstschaffenden der Region. Waldeck-Frankenberg gestalten. Abwanderung, Leerstand, fehlende Infrastruk- dagegen 120“, erklärt Jenny Wintzer die Idee. tur: Außenstehende sehen oft am ehesten, was „Wir sind aktuell im vierten Anbaujahr und bis- dem Landleben fehlt. Auch die Gemeinde Die- her hat das immer geklappt.“ Hinter dieser Art melstadt könnte man so wahrnehmen. Hier gab von Landwirtschaft stecke auch eine Idee der Si- es bis zum letzten Jahr keinen nennenswerten cherheit. „Ist eine Saison besonders reichhaltig, Internetzugang, in Strothe sucht man den Su- haben wir alle was davon. Fallen jedoch die Blatt- permarkt vergeblich und in Frebershausen kann läuse über unsere Ernte her, fangen wir die Ver- man sich noch so sehr verrenken, mit dem Han- luste gemeinsam auf.“ Nur so sei eine nachhaltige dyempfang wird es nichts. Aber der erste Ein- Landwirtschaft möglich, die keine Ausbeutung druck täuscht. Die Orte sind belebt, die Einwoh- der natürlichen Ressourcen mit sich bringt und ner*innen begeistert, viele legen sich auf die eine die Anbauenden nicht zwingt, sich dem radika- oder andere Weise für ihre Heimat ins Zeug und len Preisdruck zu beugen, der in konventioneller sind dabei schon weit gekommen. Zurückgelas- Landwirtschaft herrscht. sen und abgehängt fühlt sich hier niemand, die Dass die Zahl an Mitgliedern fest ist, ermög- allermeisten haben sich bewusst für das Dorfle- licht eine Landwirtschaft ohne Verluste: Geern- ben entschieden und können sich einen Umzug tet wird nur, was auch gebraucht wird. Im Ge- in die Stadt schon lange nicht mehr vorstellen. spräch wird deutlich, wie sehr die beiden sich auf Genauso geht es Carolin Weidemann und Jen- ihrem Hof wohlfühlen und für das brennen, was ny Wintzer, die in dem 250-Seelen-Dorf Strot- sie machen. „Wir genießen unsere Arbeit jeden he, das mittig im Landkreis liegt, den Falkenhof Tag und haben hier alles, was wir brauchen.“ Für gegründet haben und den Hof als solidarische die Zukunft haben beide noch einige Visionen. Landwirtschaft betreiben. Aktuell leben hier Als nächstes steht die Eröffnung der „Kultur- zehn Erwachsene und acht Kinder, verteilt auf knolle“ auf dem Plan, einer Kulturscheune, die drei Häuser. Künstler*innen und Kunsthandwerker*innen Interessierte können Mitgliederanteile erwer- aus der Region eine Bühne geben soll. „Damit ben, für die sie einen monatlichen Beitrag zahlen. sind wir für den Moment erstmal gut ausgelas- Im Gegenzug haben sie die Möglichkeit, das gan- tet“, sagt Carolin Weidemann zum Abschied. ze Jahr über frisches, saisonales und regionales So geht es auch Elmar Schröder aus Diemel- Gemüse zu genießen, das zudem noch bio-zerti- stadt. Der Bürgermeister des etwa 5200 Ein- fiziert ist. Der Betrag, der zum Wirtschaften not- wohner*innen großen Städtchens ganz im Nor- wendig ist, wird jedes Jahr neu berechnet, aktu- den des Landkreises hat in den letzten Jahren ell sind es 75 Euro. „Das Besondere an dieser Art einiges auf die Beine gestellt. 2015 startete er von Landwirtschaft ist, dass jede*r nur so viel das Projekt „Zukunftswerkstatt“, um sich mit An der Ausgabestelle der SoLawi in Strothe holen sich die Mitglieder zahlt, wie er oder sie kann. Die alleinerziehende den Themen Demografie, Leerstand und Ab- ihren Ernteanteil ab. Mutter mit fünf Kindern kann vielleicht nur 50 wanderung zu beschäftigen. Mit Geldern aus Euro aufbringen, der alleinstehende Zahnarzt dem Programm „Dorfmoderation“ des Landes
18 19 „Der Soziale Ort muss keine Tür haben, die man abschließen kann, er kann auch ein Prozess sein.“ Elmar Schröder ist Bürgermeister von Diemelstadt. Er hört ge- nau hin, was seine Bürger*innen brauchen. Hessen hat er eine Tour durch alle größeren und deckt: Für das Projekt wurde Diemelstadt mit kleineren Ortsteile gemacht, um die Bürger*in- dem zweiten Platz des „Hessen smart gemacht“ nen nach ihren Wünschen und Visionen für Die- Preises ausgezeichnet. melstadt zu befragen. „Das war eine ganz schöne Ruhe ist damit in Diemelstadt jedoch nicht ein- Mammutaufgabe“, erzählt er. „Die Anstrengung gekehrt: Die Gemeinde wurde gerade in das hes- so großer Veranstaltungen, so schnell hinterei- sische Dorfentwicklungsprogramm aufgenom- nander, hatte ich auf jeden Fall unterschätzt.“ men. Vor der Ausweisung von Neubaugebieten Trotzdem ist er begeistert, wenn er von dem steht hierbei die Bebauung von freien Flächen in Prozess und den daraus resultierenden Errun- den Dörfern, was die Ausbildung von Donut-Dör- genschaften berichtet. fern vermeiden soll. Bei all dem hat Diemelstadt, Im Mittelpunkt hätten Themen wie Kom- ganz nebenbei, auch für die Forschung wichtige munikation, Internet, Bauplätze und ärztliche Ergebnisse gebracht: Der Soziale Ort muss keine Versorgung gestanden; seit im Frühjahr letzten Tür haben, die man abschließen kann, er kann Jahres die Ergebnisse vorlagen, seien fast alle auch ein Prozess sein. Und was mindestens ge- Vorschläge umgesetzt worden. Und so wurde in nauso wichtig ist: Es sind die Engagierten vor Diemelstadt mittlerweile flächendeckend Breit- Ort, die einen Unterschied machen. bandkabel verlegt, mit Förderung des Landes Menschen wie Lisa Ohntrup, Daniela Hübent- wurde ein lokales Radwegekonzept umgesetzt, hal und Sven Keute aus Frebershausen etwa. und auch neue Bauplätze sind in Planung. Ne- Seit 2006 stellen sie alle zwei Jahre das DorfArt ben einem „Bürgerbus“, der ältere Leute zum Festival auf die Beine. An einem Tag im Sommer Einkaufen und auf Ausflüge bringt, hat Elmar werden die verschiedensten Künstler*innen ein- Schröder auch die Idee einer Dorfapp in die Rea- geladen, um ihre Werke zu präsentieren oder lität umgesetzt. Hier können sich Vereine und live Musik zu spielen. Für DorfArt stellen viele Gruppen vernetzen und auch die Dorfmetzgerei Frebershäuser*innen ihre Scheunen und Höfe bewirbt ihr aktuelles Angebot. „Während der zur Verfügung, das Fest zieht sich durch das Coronazeit haben wir die gesamte Kommunika- ganze Dorf und lockt bis zu 3000 Besucher*in- tion zwischen Stadt und Bürgern über die App nen an. „Langsam kommen wir da auch an unse- abgewickelt“, berichtet er. Mehr als 40 Prozent re Grenzen“, sagt Sven Keute, Ortsvorsteher von der Einwohner*innen seien bereits darüber Frebershausen. Problematisch seien vor allem verbunden. Das Engagement blieb nicht unent- fehlende Parkplätze. Im Moment wird für das
20 21 In Frebershausen ist die nächste Einkaufsmöglichkeit fünf Kilometer entfernt. Die Einwohner*innen lieben ihr Dorf trotzdem. Hier mit dem gemeinschaftlichen Backhaus im Bild. Sie stellt das DorfArt Festival in Frebers- hausen auf die Beine: Lisa Ohntrup. nächste Fest eine Art Park&Ride-Möglichkeit in Ortsmitte. Ein gepflasterter Platz mit Linden, Erwägung gezogen. „Im Vordergrund steht bei die im Sommer Schatten spenden und der sich uns der Nachhaltigkeitsgedanke,“ erklärt Initia- so optimal für verschiedene Vereinsfeierlich- torin Ohntrup. „Deswegen versuchen wir auch keiten nutzen lässt. Daneben ein tegut Markt, verstärkt, Fahrradparkplätze zur Verfügung zu der als „Lädchen für alles“ mittlerweile seit 2010 stellen.“ dort ansässig ist; auch eine Bäckerei und einen Obwohl keine*r der drei ursprünglich aus Bankautomaten findet man hier. Die Räumlich- Frebershausen stammt, wirken sie dort sehr keiten der Sparkasse stehen mittlerweile leer verwurzelt – von Beschwerden über das Dorf- – ein Nachmieter*in für das Büro konnte noch leben auch hier keine Spur. „Stadt kann jede*r, nicht gefunden werden. Dorf muss man wollen“, so Sven Keute. Obwohl Initiator des Projekts war Rudolf Backhaus, die nächste Einkaufsmöglichkeit fünf Kilome- ehemaliger Bürgermeister von Haina (Kloster). ter entfernt ist, überwiegen für die Frebers- „Früher hatten wir hier drei kleine Lebensmit- häuser*innen eindeutig die Vorteile. „Bei uns telläden. Geblieben ist keiner“, erzählt er. Einen herrscht deutlich weniger Anonymität. Wenn Interessent*innen für das ehemalige Schulge- man seinen Nachbarn für ein, zwei Tage nicht bäude zu finden, sei schwer gewesen. Backhaus, gesehen hat, macht man sich schon Sorgen.“ Die der in Löhlbach geboren, aufgewachsen und ge- Lebensqualität sei eine ganz andere, man wa- blieben ist, hat dort noch die ersten Schuljahre che mit Vogelzwitschern auf und müsse weder miterlebt. Mittlerweile wurde die Schule mit der Haus noch Auto abschließen. Obwohl es im Dorf des Nachbarortes zusammengelegt. Nach langen mittlerweile frei zugängliches WLAN gibt, sucht Verhandlungen mit dem Landkreis, der damals man den Handyempfang vergeblich. „Genau noch Eigentümer des Gebäudes war, konnte ein deswegen haben wir auch noch ein öffentliches Kompromiss gefunden und die neue Ortsmit- Telefon an unserer Bushaltestelle – das ist der te im Jahr 2012 eingeweiht werden. Obwohl die einzige Ort, an dem jemand, der hier nicht an- Umsetzung erfolgreich war, werden die Löhlba- sässig ist, einen Notruf absetzen kann“, erklärt cher*innen auch weiterhin von Zukunftsangst Sven Keute. begleitet, denn ob sich der Laden auf Dauer hal- Mit dem DorfArt Festival hat Frebershausen ten kann, ist unklar. „Alle wissen, dass sie im Al- einen Sozialen Ort geschaffen, der weit über die ter darauf angewiesen sind, fußläufig einkaufen Ortsgrenzen hinaus Aufmerksamkeit erregt. zu können – trotzdem erledigen die meisten ihre Das Fest lockt alle zwei Jahre sogar Besucher*in- Einkäufe auf dem Rückweg von der Arbeit in grö- nen aus den angrenzenden Bundesländern in das ßeren Supermärkten“, beschreibt der ehemalige kleine Dorf. Einen permanent verfügbaren So- Bürgermeister das Problem. zialen Ort findet man in Löhlbach mit der neuen
22 23 Wichtiger Treffpunkt: die alte Schule in Dalgwigksthal. In der Corona-Krise bleiben die Stühle leer. Kämpft mit dem Lädchen für alles gegen die große Konkur- renz: Rudolf Backhaus. Auch der Betreiber hat mittlerweile schon enfeiern über Wasser. „Sieben Jahre lang haben mehrfach gewechselt, einen neuen zu finden sei wir den Betrieb mit einer ‚roten Null‘ hinbekom- sehr schwierig, sagt Alexander Köhler, der den men“, beschreibt Römer. „Durch Corona waren Bürgermeisterposten von Rudolf Backhaus über- wir allerdings gezwungen, auf unbestimmte nommen hat. „Auch für die Räumlichkeiten über Zeit zu schließen.“ So wurden unter anderem dem Supermarkt suchen wir schon seit zwei der wöchentliche Rentnertreff und der Freitags- Jahren einen Nachmieter.“ Mittlerweile hat die stammtisch heimatlos. Ob die alte Schule wie- Gemeinde entschieden, daraus Wohnraum zu der öffnen wird, ist im Moment noch unklar. Für machen, die Renovierungsarbeiten sind bald ab- viele Einwohner*innen würde jedoch ein wichti- geschlossen. ges Stück sozialen Lebens wegbrechen, sollte das Mit ähnlichen Problemen hat auch die alte nicht der Fall sein. Auch Jürgen Römer hat Angst Schule in Dalwigksthal zu kämpfen. Das ehema- davor. „Für mich als Alleinstehenden ist das hier lige Schulgebäude, das die Funktion eines Dorf- ein sehr wichtiger Treffpunkt.“ Ein Abend in der gemeinschaftshauses für den westlich im Land- alten Schule sei deutlich ungezwungener, als kreis gelegenen Ort übernahm, ist in Kooperation den Stammtisch zu einem Mitglied nach Hause mit der Stadt nach und nach zur Ersatzkneipe zu verlegen. „In Dalwigksthal wird das sozia- geworden. „Wir hatten den Plan, etwas Größeres le Leben in großem Maße durch die alte Schule daraus zu machen“, erzählt Jürgen Römer, seit bestimmt“, so Römer. Die einzige andere Kneipe mittlerweile 15 Jahren Wahl-Dalwigksthaler. Um hat vor Jahren geschlossen, Wiedereröffnungs- die alte Schule offiziell nutzen zu können, habe versuche sind gescheitert. Die alte Schule ist al- man sich für die Gründung einer Genossenschaft les, was den Dalwigksthalern geblieben ist. Ein entschieden. Bei der ersten Versammlung gab es Grund mehr für den umtriebigen Mann, nicht bereits Zusagen für den Kauf von 40 Anteilen: bei aufzugeben. „Wir werden sehen, was die Situati- nur 180 Einwohner*innen. on noch mit sich bringt. Ich bin jedoch überzeugt Nach gutem Start ließ der Kneipenbetrieb je- davon, dass Dalwigksthal einen Ort wie diesen doch allmählich nach, und die alte Schule hielt braucht – und wir werden alles daransetzen, um sich als Lokalität für Geburtstage oder Famili- ihn zu erhalten.“
24 25 Prof. Dr. Claudia Neu Projektleiterin Das Forschungsteam in Waldeck-Frankenberg Sie ist Ideengeberin, Projektverantwortliche und Georg-August- so oft wie möglich Forschende vor Ort. Was war für Sie die größte Überraschung der Projektlaufzeit? Universität Die größte Überraschung für mich war, festzu- stellen, wie stark Narrative, also Erzählungen über eine Region, Gedanken und Handlungen beein- flussen. Die Wende und auch die DDR ist im Osten noch immer sehr präsent, vielleicht sogar präsen- Göttingen ter, als vor 20 Jahren. Das Leben in der DDR ist die Vergleichsfolie, vor der alles gespiegelt wird. Die Verluste im privaten wie im öffentlichen Leben bestimmen sehr stark den Blick auf das heute. Die erzielten Erfolge, die erreichten Handlungsspiel- räume und Chancen scheinen eher weniger Ge- wicht zu haben. Im Westen fehlt dieses einschnei- Department für Agrarökonomie und dende Erlebnis „Wende“, auf das sich alles bezieht. Das Leben im ländlichen Raum wird in Hessen Rurale Entwicklung, Lehrstuhl für durchweg positiv bewertet, aber auch hier gibt es eine Art Verlustnarrativ. Die Erzählung eines Soziologie Ländlicher Räume schwindenden Zusammenhalts ist aber wesentlich unspezifischer und eher auf eine verschwommen idyllische bäuerliche Vergangenheit bezogen. Der Blick allein auf sozio-demografische Kennzahlen zur Bewertung einer Region greift also zu kurz. Das Leben im ländlichen Raum steht im Mittelpunkt Ljubica Nikolic der Forschungsarbeiten von Frau Prof. Dr. Claudia Neu, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektmanagerin Ist im Projekt Öffentlichkeitsarbeiterin, Ansprechpartnerin für die Projektpartner in der Forschungs- die den Lehrstuhl für Soziologie Ländlicher Räume an region, Erhebungstool-Entwicklerin, Interviewerin, teilnehmende Beobachterin, Verfasserin der den Universitäten Göttingen und Kassel innehat. SOK-Artikelserie in Waldecker Landeszeitung und der Frankenberger Allgemeinen, Kreativkopf bei Sie arbeitet mit ihrem engagierten Team in zahlreichen der Veranstaltungsplanung, Netzwerkerin und Analystin von Befragungsergebnissen. Projekten zu den Themen Demografischer Wandel, Wenn Sie fünf Jahre in die Zukunft schauen: Was ist dann idealerweise mit den Sozialen Orten passiert? Daseinsvorsorge und Zivilgesellschaft in ländlichen Idealerweise würde ich die Zukunft unserer Sozialen Orte natürlich rosig malen. Für Diemelstadt wünsche ich mir, Räumen. Fragen nach räumlicher Ungleichheit, Armut dass Herr Schröder Tandems mit Gemeinden gründet, die nicht so gut aufgestellt sind und von seinen Erfahrungen und gleichwertigen Lebensverhältnissen zählen daher zu in der Prozessentwicklung profitieren können. Ich hoffe also auf einen Blick über den Tellerrand der eigenen Ge- den zentralen Forschungsfeldern von Professorin Neu. meinde, in Richtung transkommunaler Kooperation. Für die SoLawi in Strothe wünsche ich mir, dass der Elan und Seit 2016 ist sie stellvertretende Vorsitzende des die Ideen nie versiegen, die Kulturknolle ein voller Erfolg wird, das junge Team noch enger mit der alteingesessenen Sachverständigenrates Ländliche Entwicklung beim Bevölkerung des Örtchens zusammenwächst und der Hof zur Institution wird. In Löhlbach möchte ich auch in fünf Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Jahren noch einen gut gepflegten Dorfladen sehen, in dem solidarisch nicht nur Vergessenskäufe getätigt werden, sondern Wocheneinkäufe. Zudem soll der Dorfmittelpunkt immer noch rege mit Feierlichkeiten der Vereine belebt werden und den Leerstand könnte ich mir wunderbar als offenen Arbeitsraum für Anbieter aus Dienstleistung und Kreativsektor vorstellen. In Dalwigksthal hat die Schule die Corona-Pandemie gut überstanden und kooperiert nun intensiver mit dem neuen Anbieter von Partyräumlichkei- ten, der Getränke und Speisen von dort bezieht und so sein Portfolio erweitern kann. Für Frebershausen wünsche ich mir immer das richtige Maß an Aufmerksamkeit für das DorfArtFestival und dass der Generationswechsel unter den Akteur*innen reibungslos gelingt.
26 27 Moritz Arndt Kai Buschbom Wissenschaftliche Hilfskraft Wissenschaftliche Hilfskraft Ist seit Beginn des Projektes dabei. Nach seinem Ist seit Oktober 2018 im Team und studiert im Bachelorabschluss in Agrarwissenschaften an dritten Mastersemester Agrarwissenschaften. der Universität Hohenheim studiert er seit 2018 in Er hat diverse Experten- und Haustürinterviews Göttingen evangelische Theologie. Neben Recher- durchgeführt sowie die wissenschaftliche Be- chetätigkeiten war er in den drei Jahren vor allem an gleitung des "KulturNetz Waldeck" und die Doku- der Auswertung von Interviews beteiligt. mentation der Zusammenarbeit mit den "Neuen Auftraggebern", im Rahmen der künstlerischen Was ist die wichtigste Erkenntnis der letzten zwei Jahre? Intervention, übernommen. Die wichtigste Erkenntnis der letzten zwei Jahre war für mich, zu begreifen, wie wichtig regelmäßige Was passiert in einer Gemeinde, wenn sie persönliche Kontakte für unsere demokratische Ge- einen guten Sozialen Ort hat? sellschaft sind. Zu sehen, wie im Laufe des Corona- Sie gewinnt an Halt, da die Sozialen Orte sich Lockdowns Unsicherheit, Verschwörungstheorien vernetzen. Stillstand hat immer etwas Pessi- und gesellschaftliche Spaltung um sich gegriffen mistisches. Dadurch, dass Menschen sich zu- haben, hat mich daran erinnert, wie dringend wir sammenfinden und etwas aufbauen, inspirieren soziale Kontakte als Korrektiv brauchen und wie sie auch andere dazu, ähnliche Projekte auf die schnell wir uns voneinander entfremden können, Beine zu stellen - man spricht dabei auch vom wenn die alltäglichen Begegnungen und Gesprä- sogenannten Leuchtturmeffekt. Das „KulturNetz che fehlen. Im Hinblick auf unser Projekt ist mir Waldeck“ wächst konstant und bietet vielen dadurch nochmal klarer geworden, warum Soziale Menschen aus der ganzen Region eine (Aus- Orte so wichtig für den gesellschaftlichen Zusam- tausch-)Plattform. Die Akteur*innen vernetzen menhalt sind. dabei nicht nur sich, sondern auch die Orte. Dr. Jürgen Römer Kontaktmann im Landkreis Als Leiter des Fachdienstes Dorf- und Regional- Judith Althaus entwicklung im Landkreis Waldeck-Frankenberg Studentische Hilfskraft der erste Ansprechpartner des Uni-Projekt- Begleitet das Projekt seit Juli 2018. Sie befasste sich Teams vor Ort. Stand als Interviewpartner genau- unter anderem mit den Fragen, wie sich Zusammenhalt so zur Verfügung wie als Mitorganisator verschie- definiert und was ihn fördern könnte, sowie mit einer dener Netzwerkveranstaltungen im Landkreis. Als statistischen Auswertung der Online-Befragung in den Insider einer der wichtigsten Ideengeber. beiden Landkreisen. Außerdem stellte sie die For- Können Sie drei wichtige Momente benennen, schungsperspektive und das Projekt zusammen mit die für das Projekt von Bedeutung waren? Ein schöner, lustiger, spannender Abend beim Moritz Arndt bei einer Konferenz in Kyoto, Japan, vor. Zukunftsforum ländliche Entwicklung in Berlin, der bestehende Zusammenarbeit in vertrauens- Beschreiben Sie bitte ihr Projekt in drei Sätzen! volles Miteinander verwandelte. Unser Projekt zielt auf eine veränderte Wahrnehmung Die gemeinsame Bereisung der Partnerregion des ländlichen Raums sowie ganz Deutschlands. Es Saalfeld-Rudolstadt, weil diese Blicke schärfte für soll nicht mehr nur die Quantität von Infrastrukturen Gemeinsamkeiten und Unterschiede. betrachtet werden, sondern die Analyse der Art der Die erste gemeinsame Tour des Projektteams zu Begegnungen und die Bedeutung, die solche Orte des den ausgewählten Sozialen Orten in Waldeck- Zusammenhalts haben, stehen im Mittelpunkt. Wir Frankenberg, weil sie wiederum eine schöne, glauben, dass durch Begegnungen und Austausch in der lustige, spannende Begegnung war mit vielen nicht-digitalen Welt die Demokratie gestärkt wird. Menschen.
28 29 Expert*innengespräche: Gruppen- und Einzelinterviews mit Soziale Orte Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen deutschlandweit sowie mit Bewohner*innen und Akteur*innen aus den Be- reichen Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in den beforschten Landkreisen zu Fragen rund um die Themen erforschen: des gesellschaftlichen Zusammenhalts, der Zukunft des ländlichen Raums sowie der Entstehung, Wirkung und des Erhaltes Sozialer Orte Welche Methoden Befragungen: Bürger*innen beider Landkreise wurden dazu eingeladen, Fragebögen zu ihrer Wahrnehmung des gesellschaftlichen Zusam- wurden genutzt? menhalts in ihren Wohnorten, Landkreisen, in Deutschland und Europa zu beantworten, außer- dem führten Student*innen der Universität Kassel und der Universität Göttingen zahlreiche Ge- Thematischer Austausch: Einholen spräche an Haustüren in einzelnen ausgewählten externer Expertise aus den Fachbe- Gemeinden reichen Verwaltungsrecht und Raum- planung, Initiierung jeweils einer künst- lerischen Intervention mit Blick auf Soziale Orte und Zusammenhalt in den Nachwuchsförderung: Landreisen, gegenseitige Besuche der Betreuung von studenti- Landkreispartner*innen in Hessen und schen Haus- und Master- Thüringen, mehrtätige Auslandsexkur- arbeiten an den Universitä- sionen nach Japan und Tschechien ten Kassel und Göttingen, mit klarem Fokus auf die Forschungsregionen Beobachtung: Intensive Vorort-Umfeld- Analyse mit teilnehmender Beobachtung von Arbeitstreffen und Veranstaltungen Literaturarbeit: Doku- rund um die Sozialen Orte in beiden mentenanalyse, Recher- Landkreisen che, Literaturauswertung Kommunikation: Zusammenarbeit mit Land- kreis-Akteur*innen in thematischen Workshops, Öffentlichkeitsarbeit zur Vermittlung von Forschungsergebnissen
30 31 Zusammen- halt Gestalt verleihen Eine ganz besondere Landkar- te und eine Spielbank: Wie eine künstlerische Intervention das Thema Soziale Orte aufgreift.
32 33 des Projekts: Dafür hat Marlen Hoh in Absprache mit drei Gemeinden Objekte gestaltet, auf denen man nicht nur sitzen, sondern auch spielen kann. „Die Sitzflächen sind mit Brettspielen bedruckt“, erklärt Marlen Hoh, „hier können Menschen unabhängig von Alter, Status oder Beruf zusammenkommen und ge- meinsam spielen. Brettspiele gehören zu den ältesten Kulturgütern, sie stehen für kulturelle Vielfalt und Toleranz - und für Spaß am Spiel unabhängig von Herkunft und Hautfarbe.“ Für das Spielen gebe es nur eine einzige Voraussetzung: „Man muss mindestens zu zweit sein.“ 14 Spiele standen für die Gemeinden zur Auswahl. Katzhütte und Leutenberg haben sich für das süd- ost-asiatische Surakarta, das skandinavische Tafl Luise Ritter (li.) und Marlen Hoh freuen sich über die Zusammenarbeit: So können sie unter- und Queah aus Nordafrika entschieden. In Rudol- schiedliche Arbeitsweisen vereinen. stadt-Schwarza dagegen können die Besucher*innen neben Surakata auch Backgammon und Laska spie- len. Während die Spielfelder mit den Sitzflächen der Bänke verbunden sind, finden sich die nötigen Mate- rialien in Schubfächern. Außerdem ist eine verein- Gelegenheit war, unsere beiden Arbeitsweisen ge- fachte Karte der Sozialen Orte im Landkreis auf die meinsam zu verwirklichen.“ Ritter hätte gern auch Bänke gedruckt. Eine Website, zu der ein auf die Bank enger mit den Menschen im Landkreis zusammen- aufgebrachter QR-Code führt, verknüpft beide Teile gearbeitet. Geplant war ein Zeichenworkshop, in dem des Kunstprojekts und stellt Informationen zu allen Ritter gemeinsam mit den Bewohner*innen von Saal- Treffpunkten zur Verfügung. feld-Rudolstadt deren Soziale Orte zeichnen wollte. Marlen Hoh und Luise Ritter kennen einander aus Die Corona-Pandemie mit ihren Kontaktbeschrän- dem Studium - und haben sich sehr über die Mög- kungen hat das verhindert; das Zusammenkommen lichkeit gefreut, gemeinsam Kunst zu machen. Für entfiel. das Projekt hätten die beiden Frauen sich beworben, Nun setzen die Künstlerinnen auf die Bänke: Sie weil sie darin „eine hoffe, sagt Marlen Hoh, die selbst in Thüringen lebt Chance für kultu- und das Gelingen ihres Projekts so aus nächster Nähe Zwei Jahre lang sind die Göttinger Forscher*innen und Rudolstadt. Den Faltplan aus Papier hat Luise relles und ange- verfolgen kann, dass diese zu „liebenswerten Treff- durch den Landkreis Saalfeld-Rudolstadt gereist, Ritter für und mit den Menschen aus dem Landkreis wandtes künstleri- punkten“ in den drei Gemeinden würden. In die Land- haben Menschen getroffen und befragt und sich ein entwickelt, erzählt sie: „Wir hatten die Bewohnerin- sches Bewusstsein karte der Sozialen Orte sind sie jedenfalls schon auf- Bild von Sozialen Orten im Landkreis gemacht. Im nen und Bewohner dazu aufgerufen, uns Zeichnungen in der ländlichen genommen. dritten Forschungsjahr suchte das Team gezielt nach von den Orten zu schicken, an denen Menschen zu- Region“ sehen wür- Kunstprojekten und Künstler*innen, um darüber ei- sammenkommen und wo Engagierte aktiv sind.“ Nach den, erklärt Luise → Weitere Informationen und Download des nen weiteren – nicht typischerweise soziologischen Gesprächen mit vielen Akteur*innen und Recherchen Ritter, „und weil es Faltplans unter: www.projekt-treffpunkt.com - Zugang in die Region zu erhalten und sich mit den über den Landkreis hat die Künstlerin ergänzend zu eine wunderbare Menschen vor Ort der Frage zu widmen, wie durch den Einsendungen der Bewohner*innen 42 weitere Kunst das Verbindende im sozialen Raum gestärkt Soziale Orte und Treffpunkte gezeichnet und in eine oder zusammenhaltsstiftende Orte sichtbar und ver- Karte eingetragen - damit Bürger*innen und Besu- netzt werden können. Die Jury zur öffentlichen Aus- cher*innen auf diese Weise den Landkreis aus einer schreibung, bestehend aus lokalen Akteur*innen ganz anderen, neuen Perspektive entdecken können und Forscher*innen, entschied sich für das Vorhaben und Zusammenhalt vor Ort sichtbar wird. Denn, da- „Treffpunkt Landkarte – Treffpunkt Spiel“, das von von ist die Leipzigerin überzeugt: „Eine Karte, die Die Leipziger den zwei Künstlerinnen Luise Ritter und Marlen Hoh zahlreiche persönliche Geschichten erzählt, bietet Grafikerin verwirklicht wird. eine vielschichtige und vielleicht wirklichkeitsnähere Luise Ritter hat Entstanden ist dabei eine Karte der Sozialen Orte Darstellung der räumlichen Umgebung, als es ein amt- eine Karte der in Saalfeld-Rudolstadt und je eine bespielbare Sitz- licher und standardisierter Plan zulässt.“ Sozialen Orte bank in den drei Gemeinden Katzhütte, Leutenberg Neue Orte der Begegnung schafft der zweite Teil gezeichnet.
34 35 Kunst als Impuls Wie sich in Waldeck-Frankenberg eine Bürger*innen-Initiative ein Kunstwerk erarbeitet Nicht immer beginnt Kunst mit Künstler*innen. Den Neuen Auftraggeber Deutschland. „Die Formulierung Beweis erbringt gerade die Georg-August-Universität des künstlerischen Auftrags ist quasi das Nadelöhr, Göttingen im Landkreis Waldeck Frankenberg. Hier durch das eine Gruppe gemeinsam gehen muss, be- liegt der Fokus weniger auf der Entstehung des Kunst- vor die Künstlerperson einen ersten Entwurf vorlegen Die Kultur-Arche in Frankenau informiert über die Arche-Region - und ist selbst ein Kunstwerk. werks, als auf dem Prozess, der zur Verpflichtung der kann.“ Das präzise Nachdenken, was dafür nötig ist, Künstlerperson führt. „Wie wirkt Kunst auf das Enga- mache „im Endeffekt die DNA des gesamten Projekts“ gement vor Ort? Kann die Beauftragung eines Kunst- aus. Eine Auftragserteilung an einen Künstler oder werks durch einige Bürger*innen wie ein Stimulus eine Künstlerin steht daher ganz am Ende des Prozes- weitere Aktivitäten auslösen und den Zusammenhalt ses; so ist auch im Landkreis Waldeck-Frankenberg am Ort beeinflussen? Kann so ein neuer Sozialer Ort noch nicht klar, wie das Kunstwerk am Ende aussehen entstehen?“, umreißt Claudia Neu die Fragestellung, die zur Idee der künstlerischen Intervention geführt hat. Dafür kooperieren die Wissenschaftler*innen wird. Ob es sich dabei um ein Musikstück, eine be- pflanzte Grünfläche oder eine Skulptur handeln wird, ist noch völlig offen. „Kann durch Kunst, die mit der „Gesellschaft der Neuen Auftraggeber“, einem Netzwerk von Mediator*innen, das es sich zur Auf- gabe gemacht hat, die Art und Weise, wie zeitgenös- Trotz dieser Überraschungsmomente bringt sich die Landkreisverwaltung unmittelbar ein. Sie unter- stützt das Projekt „Das Soziale-Orte-Konzept“, indem Bürger*innen in Auftrag geben, sische Kunst entsteht, zu erweitern. Denn während Kunst im öffentlichen Raum normalerweise durch Ausschreibungen realisiert wird und die Bürger*in- sie zum Beispiel die Kosten für den künstlerischen Entwurf übernommen hat, zu einem Zeitpunkt, als weder klar war, wer die Auftraggeber*innen sind, was ein Sozialer Ort entstehen?“ nen davon erst Kenntnis erlangen, wenn das Kunst- ihr Thema sein wird und welche Künstler*in letztend- werk steht, wird ein Teil von ihnen hier selbst zu Auf- lich in den Landkreis kommt. „Wir stehen hinter der traggeber*innen. Idee, kooperieren vertrauensvoll mit unseren Part- xander Koch. So bekämen Bürger*innen die Chance, rin eine Chance, die Arbeit der Engagierten weiter Die Mediator*innen Mirl Redmann und Roland nern der Uni Göttingen und sind selbst gespannt, wie mit Kunst auf lokale Situationen zu reagieren. Der voranzutreiben. So erhofft sich die Wasserinitiative Knieg erkundeten den Landkreis auf der Suche nach sich hier Zusammenhalt generieren lässt“, so Dr. Jür- große Unterschied zu künstlerischen Projekten, die neben Aufmerksamkeit für ihr Anliegen, auch ande- potentiellen Auftraggeber*innen. An verschiedenen gen Römer, Leiter des Fachdienstes Dorf- und Regio- von Gemeinde oder Land initiiert sind, bestehe dar- re Bürger*innen auf einer emotionalen Ebene zu er- Anlaufpunkten erarbeiteten sie mit Akteur*innen vor nalentwicklung. in, dass die auftraggebende Bürger*innen von Anfang reichen und deutlich zu machen, dass beim Umgang Ort, welche Themen den Menschen im Landkreis be- Die Entscheidungen über Art, Aussage und Ent- bis Ende dabei sind und den Prozess durchleben, den mit Wasser die Nachhaltigkeit über wirtschaftlichen sonders unter den Nägeln brennen, und stießen hier- wickler*in des Kunstwerkes aber treffen die Ak- sie selbst vorangetrieben haben. „So entsteht eine Interessen stehen sollte. Die öffentliche Präsentation bei auf die Wasserinitiative Waldeck-Frankenberg, teur*innen vor Ort: Die Mitglieder der Wasserini- enge Bindung der Menschen an ihr Projekt und letzt- des Künstler*innenentwurfs lädt dann zu intensiven eine Gruppe, die sich für den verantwortungsvollen tiative Waldeck-Frankenberg. Zu deren Zielen gehört endlich auch an das neue Kunstwerk“, betont Koch. Diskussionen mit den Bürger*innen ein. Je länger der Umgang mit Wasser als Lebensgrundlage einsetzt. ebenso die Erhaltung „enkeltauglichen“ Trinkwassers Im Idealfall entsteht so über die Kunst ein Sozialer Prozess dauere, desto größer seien oftmals der Erfolg Erst in einem weiteren Schritt kommt dann die Kunst sowie Sensibilität für das öffentliche Gut Wasser zu Ort, der Menschen zusammenbringt – in Frankreich, und die Bindung am Ende, erklärt Alexander Koch. ins Spiel. Die Mediator*innen unterstützen die Enga- schaffen. Das mögliche Kunstwerk soll dann auch die wo das Konzept entstanden ist, geschieht das seit in- „Und genau diese Teilhabe ist es, auf die es ankommt.“ gierten dabei, einen künstlerischen Auftrag festzule- Wertschätzung für Wasser erhöhen. Der Wasseriniti- zwischen 30 Jahren auf diese Weise. Über 500 Pro- Durch die beiden unterschiedlichen Ansätze in gen, der am besten auf ihre Wünsche und Vorstellun- ative ist es wichtig, dass der Fokus auf dem „für etwas“ jekte hat das Mediator*innennetzwerk europaweit Thüringen und Hessen bietet sich der breitestmögli- gen zugeschnitten ist, und passende Künstler*innen und weniger auf dem „gegen etwas“ liegt. schon betreut. che Blick auf die Wirkung künstlerischer Intervention ausfindig zu machen. Gerade dieser Prozess des „Sich „Unser Anliegen ist, das finanzielle oder auch in- Besonders durch die künstlerische Persönlichkeit – im Vorfeld in Waldeck-Frankenberg und in der Um- Einigens“ sei für die Initiativen vor Ort besonders stitutionelle Privileg, Kunstprojekte zu initiieren, und deren Ideen entstehe ein Impuls, der unerwar- setzung in Saalfeld-Rudolstadt. wertvoll, sagt Alexander Koch, Geschäftsführer der möglichst vielen zugänglich zu machen“, erklärt Ale- tet oder provokant sein könne, so Koch. Er sieht da-
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