Spielsucht in den Deutschschweizer Kantonen und im Tessin - Bestandesaufnahme auf der Basis einer repräsentativen wissenschaftlichen Studie ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Spielsucht in den Deutschschweizer Kantonen und im Tessin Bestandesaufnahme auf der Basis einer repräsentativen wissenschaftlichen Studie Autoren: Trägerschaft Grundlagenstudie Spielsucht Zürich, 15. Oktober 2007
2 Inhaltsverzeichnis Seite Zusammenfassung 3 1. Ausgangslage und Zielsetzung 4 1.1 Bedürfnis nach einer verlässlichen Grundlagenstudie und Trägerschaft 4 1.2 Studienziele 4 1.3 Glücksspielangebot in der Schweiz 5 1.4 Rollen bzw. Betroffenheit der Kantone 5 Exkurs I: Definition und Diagnostik von Spielsucht 6 2. Grundlagenstudie Spielsucht 6 2.1 Methodik 6 Exkurs II: Bestimmungsfaktoren der Spielsucht 7 2.2 Wichtigste Ergebnisse 8 2.2.1 Nutzung von Glücksspielangeboten in der Deutschschweiz und im Tessin 8 2.2.2 Prävalenzen des risikoreichen, problematischen und pathologischen Spielens 10 2.2.3 Symptome der Spielsucht und Spielverhalten der einzelnen Gruppen 11 2.2.4 Einfluss der einzelnen Glücksspielangebote auf die Wahrscheinlichkeit zur Gruppe der problematischen und pathologischen Spieler zu gehören 11 2.3 Nachfolgeuntersuchungen 12 3. Diskussion der Ergebnisse 12 3.1 Erfasste Prävalenzraten 12 3.2 Glücksspielangebot und Spielsucht in anderen Ländern 13 4. Fazit und weiteres Vorgehen 15 Quellenverzeichnis 17
3 Zusammenfassung Spielsucht ist in den Kantonen der Deutschschweiz und im Tessin im Vergleich zu ande- ren Suchterkrankungen wenig verbreitet. Zu diesem Ergebnis kommt eine gross ange- legte, wissenschaftliche Grundlagenstudie, die von der Universität Bern im Auftrag der Kantone durchgeführt wurde. 0.3% der über 14-Jährigen sind oder waren früher einmal pathologische (= suchtkranke) Spieler. Weiter zeigt sich, dass die Produkte der Lotterie- gesellschaft der Kantone wenig Suchtpotenzial beinhalten. Das vom Bund und den Kantonen installierte Aufsichts- und Regulationssystem, das die Spielbanken und die Lotteriegesellschaften zu einem verantwortungsvollen Glücksspiel- angebot mit geeigneten Präventionsmassnahmen verpflichtet, zeigt die gewünschte Wir- kung. Obwohl die Spielsucht keine verbreitete Erkrankung ist, nehmen die Kantone ihre Verant- wortung wahr und werden die Entwicklung der Zahl der Spielsüchtigen mit der Hilfe von Folgestudien systematisch weiter verfolgen.
4 1. Ausgangslage und Zielsetzung 1.1 Bedürfnis nach einer verlässlichen Grundlagenstudie und Trägerschaft Die Planung eines zielgerichteten und effizienten Einsatzes der aus der Spielsuchtabgabe der Lotteriegesellschaften anfallenden Mittel bedarf geeigneter Grundlagen. Die Kantone der Deutschschweiz und der Kanton Tessin haben sich deshalb dazu entschieden, für ihr Gebiet eine umfassende wissenschaftliche Studie in Auftrag zu geben und dafür eine geeignete Trägerschaft zu bilden. Die Trägerschaft umfasst folgende Persönlichkeiten - Frau Regierungsrätin Kathrin Hilber, Departement des Inneren des Kantons St. Gallen und Präsidentin der Sozialdirektorenkonferenz (Vorsitz) - Herr Regierungsrat Ernst Hasler, Departement Gesundheit und Soziales des Kantons Aargau - Herr Alt-Regierungsrat Dr. Ruedi Jeker, ehem. Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich - Herr Regierungsrat Dr. Anton Schwingruber, Bildungs- und Kulturdepartement des Kantons Luzern - Herr Alt-Regierungsrat Hanspeter Uster, ehem. Sicherheitsdirektion des Kantons Zug Die Glücksspielangebote und die Spielkultur in der Romandie unterscheiden sich von denjenigen in den Kantonen der Deutschschweiz und des Tessins. Weiter existieren für die Romandie bereits wissenschaftliche Spielsuchtstudien (Bondolfi et al. 2000 und Osiek, Bondolfi 2006); diese Studien weisen für die Deutschschweiz nur eine sehr begrenzte Stichprobengrösse auf und haben damit auch nur eine bedingte Aussagekraft. 1.2 Studienziele Mit der Ende 2006 bis Anfang 2007 realisierten Studie des Instituts für Psychologie der Universität Bern wurden folgende Ziele verfolgt: (a) Repräsentative Aussagen über die Prävalenzen1 der Spielsucht und des Risikospie- lens in der Deutschschweiz und im Tessin gewinnen (b) Rollen der Produkte der Lotteriegesellschaft, von Casinos und anderen Glücksspielan- geboten bei der Spielsucht analysieren (c) Grundlage für Folgestudien schaffen, welche die zeitliche Entwicklung der Spielsucht untersuchen Die Studie liefert damit Grundlagendaten für die Planung und anschliessende Realisation von möglichen weiteren Präventionsmassnahmen und Therapieangeboten durch die Lot- teriegesellschaft der deutsch- und italienischsprachigen Schweiz, Swisslos, und/oder die Kantone. 1 Die Prävalenz oder Krankheitshäufigkeit ist eine Kennzahl der Gesundheits- und Krankheitslehre und sagt aus, wie viele Menschen einer bestimmten Gruppe (Population) definierter Grösse an einer bestimmten Krankheit erkrankt sind.
5 1.3 Glücksspielangebot in der Schweiz Wichtigste Glücksspielanbieter sind einerseits die im Besitz der Kantone befindlichen Lotteriegesellschaften Swisslos und Loterie Romande, welche auch die Sportwetten betreiben und die Gesamtheit ihrer Gewinne (im Jahr 2006 rund CHF 538 Mio.) für ge- meinnützige Zwecke in den Bereichen Kultur, Sport, Natur, Soziales und Entwicklungshilfe abgeben. Sie erzielten im Jahr 2006 einen Bruttospielertrag (Spieleinsätze minus an die Spieler ausbezahlten Gewinne) von rund CHF 950 Mio. (inkl. Sportwetten) und generierten ein Verrechnungssteuervolumen von ca. CHF 210 Mio. Andererseits verfügt die Schweiz seit 2002 mit aktuell 19 Spielbanken über eine einzigartig hohe Casinodichte. Für die Spielbanken wurden Lizenzen für eine Dauer von 20 Jahren ausgeschrieben, die bis auf wenige Ausnahmen an Betreiber mit ausländischen (Mehrheits-)Beteiligungen vergeben wurden. Diese Casinos erwirtschafteten im Jahr 2006 einen Bruttospielertrag von CHF 955 Mio. und gaben davon CHF 495 Mio. ab (CHF 417 Mio. an den Bund und CHF 78 Mio. an die Standortkantone). Casinogewinne sind für die Spieler verrechnungs- und einkommenssteuerfrei. Glücksspielautomaten ausserhalb von Spielbanken wurden per 2005 verboten. Die er- satzweise installierten Geschicklichkeitsautomaten entpuppten sich als wenig markttaug- lich und haben keine grosse Bedeutung mehr. Einen bisher kleinen, aber stark wachsenden Stellenwert haben Glücksspielangebote im Internet, die indessen illegal sind, sich jeglicher Kontrolle entziehen und von privaten ausländischen Organisationen ange- boten werden. Ähnliches gilt für illegale „Hinterzimmer“, in welchen vielfach auch auf der Basis und mit Hilfe ausländischer Anbieter um hohe Summen gespielt und gewettet wird. 1.4 Rollen bzw. Betroffenheit der Kantone Mit der Installation von zunächst über 20 Spielbanken erhöhte sich das Glücksspielange- bot in der Schweiz schlagartig. Die Kantone sind als bedeutendste Finanzierer des Ge- sundheits- und Sozialwesens entscheidend an einem kontrollierten, sozialverträglichen Glücksspielangebot interessiert. Als Eigner der Lotteriegesellschaften üben sie die diesbe- zügliche Kontrolle einerseits unmittelbar aus (die Lotteriegesellschaften realisieren etliche Präventions- und Kontrollmassnahmen); andererseits haben sie mit dem auf Mitte 2006 in Kraft gesetzten Konkordat eine Aufsichtsbehörde - die Lotterie- und Wettkommission - sowie eine Spielsuchtabgabe geschaffen. Letztere wird für die Finanzierung von Präventi- ons- und Therapieangeboten erhoben. Die Spielbanken unterliegen der Kontrolle der Eidg. Spielbankenkommission, welche u. a. darüber wacht, dass die Casinos geeignete Spielsuchtpräventionskonzepte realisieren. Da der Bund die möglichen Sozial- und Gesundheitskosten der Casinos externalisiert (diese Kosten fallen mehrheitlich bei den Kantonen an), sind die Kantone an der Wirksamkeit der entsprechenden Konzepte der Spielbanken interessiert. Die illegalen Internet- und „Hinterzimmer“-Angebote entziehen sich der staatlichen Kon- trolle und bieten auch aufgrund ihrer Vertriebs- und Angebotsmerkmale einem problemati- schen Spielverhalten Hand. Nicht zuletzt deshalb ist es wichtig, dass die staatlich kontrol- lierten Angebote der Lotteriegesellschaften attraktiv sind und sich auch neuer (elektroni-
6 scher) Absatzformen bedienen können. Nur so kann sicher gestellt werden, dass sich die Spielaktivitäten der Schweizer Wohnbevölkerung nicht in den grauen und illegalen Bereich verlagern, wo sie keiner Sozial- und Finanzkontrolle (gegen Betrug, Steuerhinterziehung und Geldwäscherei) mehr unterliegen. Exkurs I: Definition und Diagnostik von Spielsucht Das Spektrum des Glücksspiels reicht vom gelegentlichen Spielen über das problemlose Häufigspielen und das Risikospielen zum problematischen Spielen bis hin zur Spielsucht bzw. zum pathologischen Spielen. Die Übergänge sind fliessend. Die grosse Mehrheit der Spieler jedoch nutzt Glücksspielangebote ohne Probleme. Gemäss dem international anerkannten Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM-IV) ist pathologisches Spielen charakterisiert durch andauerndes und wiederkehrendes fehlangepasstes Spielverhalten, das persönliche, familiäre und berufliche Zielsetzungen stört. Viele pathologische Spieler sind vom Glücksspiel gedanklich stark eingenommen; es kann zum zentralen Lebensinhalt werden. Weitere Merkmale des pathologischen Spielens sind Kontrollverlust und Toleranzentwicklung. Spielsüchtige suchen im Glücksspiel oft eher Spannung und Erregung als Geld. Sie setzen häufig immer grössere Beträge ein und gehen höhere Risiken ein, um das gewünschte Ausmass an Erregung zu erreichen. Oft- mals berichten sie über erfolglose Abstinenzversuche und Entzugserscheinungen wie innere Unruhe und Reizbarkeit. Das unkontrollierte Spielverhalten kann zu finanziellen und psychosozialen Folgeschäden, wie zu Betrug oder zum Verlust wichtiger Beziehungen oder des Arbeitsplatzes führen. Die Diagnose des pathologischen Spielens darf nur gestellt werden, wenn mindestens fünf der oben genannten Symptome erfüllt sind und grenzt sich damit von einem breiteren Alltagsverständnis der Spielsucht ab. 2. Grundlagenstudie Spielsucht 2.1 Methodik Grundgesamtheit2 der Studie ist die über 14-jährige Wohnbevölkerung in der deutschspra- chigen Schweiz und im Tessin, die in einem Haushalt mit Fixnetz-Telefonanschluss wohnt und auf Deutsch oder Italienisch befragt werden konnte. Die Stichprobe wurde mittels ei- ner zweistufigen Zufallsauswahl gezogen (Stufe 1: Zufallsstichprobe aus den Haushalten von fünf Deutschschweizer Grossräumen und dem Tessin in der Grössenverteilung, die jeweils der Gesamtverteilung der dort lebenden Bevölkerung entspricht; Stufe 2: Bestim- mung des zu befragenden Haushaltsmitglieds nach der Last-Birthday-Methode3). Die Datenerhebung erfolgte von November 2006 bis Januar 2007 mit computergestützten Telefoninterviews und wurde in Zusammenarbeit mit dem Institut für Sozial- und Präven- tivmedizin, Abteilung für Gesundheitsforschung, der Universität Bern durchgeführt. 4’997 Personen über 14 Jahren nahmen daran teil. Die Teilnahmequote beim Telefoninterview lag damit bei 40.4 %. Personen, die die Teilnahme am Telefoninterview verweigerten, wurden brieflich gebeten, einen aus dem Telefoninterview abgeleiteten Fragebogen zum 2 In der empirischen Forschung bezeichnet die Grundgesamtheit (auch Population) die Menge aller potentiellen Untersuchungsobjekte für eine bestimmte Fragestellung. 3 Diejenige Person im Haushalt wird befragt, die zuletzt Geburtstag hatte.
7 Spielverhalten auszufüllen. 1’388 Personen schickten den Fragebogen ausgefüllt zurück. Bei der postalischen Befragung lag die Teilnahmequote damit bei 19.2 %. Insgesamt haben 6'385 Personen an der Untersuchung mitgemacht, was einer Gesamtteilnahmequote von 52.2 % entspricht. 26.7% der Befragten nutzen Glücksspielangebote wöchentlich; dieser Wert ist höher als das entsprechende Ergebnis der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2002 (21.1%), so dass davon ausgegangen werden kann, dass Personen, die häufig Glücksspielangebote nutzten, nicht a priori selte- ner am Telefoninterview teilnahmen. Die Daten wurden in einem mehrstufigen Interview erhoben, bei dem in einem Screening zunächst aktuelle Nicht-Spieler, die niemals versucht hatten, ihr Spielverhalten zu kontrol- lieren, oder niemals mehr als CHF 500 pro Monat für Glücksspiele eingesetzt hatten, aus- geschieden wurden. Das Screening dient der deutlichen Verringerung von falsch-positiven Diagnosen. Im nächsten Schritt wurde die Nutzung der Glücksspielangebote erhoben, um abschliessend bei Personen mit mindestens wöchentlichem Spielen und/oder Kontrollver- suchen zur Diagnostik der Spielsucht und zur Erfassung von psychologischen Merkmalen von Risiko- und Problemspielern überzugehen. Zur Diagnostik der Spielsucht wurde der National Research Center DSM Screen for Gambling Problems (NODS) verwendet, der die verbindlichen DSM-Kriterien für das pathologische Spielen umfasst und ein internatio- nal breit eingesetztes, sehr verlässliches Instrument ist, das für Telefoninterviews konzi- piert wurde (vgl. Stinchfield 2002 und 2003). Nach der Klassifikation der Spielergruppen durch den NODS erreichen Risikospieler 1 oder 2 der insgesamt 10 DSM-IV-Kriterien des pathologischen Spielens. Problematische Spieler erreichen 3 oder 4 und pathologische (= krankhafte) Spieler 5 oder mehr Kriterien. Die Gruppe der mindestens wöchentlichen Spieler, die kein Kriterium erfüllt, wird als intensive Spieler bezeichnet. Exkurs II: Bestimmungsfaktoren der Spielsucht Aus der wissenschaftlichen Literatur bzw. der dieser zugrunde liegenden Forschung ist bekannt, dass Spielsucht aus unterschiedlichsten, sich meist gegenseitig beeinflussenden Erklärungsfaktoren resultiert. Sie lassen sich grob in drei Gruppen einteilen: (1) Merkmale der Glücksspiele, (2) Merkmale der Spieler und (3) ihres sozialen Umfeldes. Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale (z.B. Impulsivität oder Depression) und bestimmte Eigenschaften des sozialen Umfeldes (z.B. die Verfügbarkeit von Glücksspielen oder problematische Arbeits- und Lebensverhältnisse) vergrössern das Risiko für einen Missbrauch des Glücksspiels. In Bezug auf die Merkmale der angebotenen Glücksspiele kann festgehalten werden, dass folgende Glücksspielcharakteristika das Spielsuchtpotenzial bestimmen: - Ereignisfrequenz: je rascher die Spielabfolge ist, desto gefährdender ist ein Glücksspiel - Auszahlungsintervall: je kürzer die Zeitspanne zwischen Einsatz und Gewinnauszah- lung … - Ausschüttungsquote: je höher der Umsatzanteil ist, der in der Form von Gewinnen „als Belohnung“ wieder ausbezahlt wird …
8 - Einbindung von Interaktivität und Kompetenz: je grösser die persönliche Einbindung in das Spiel … - Ton-/Licht-/Farbeffekte: je intensiver solche durch das Umfeld oder Automaten gene- rierten Effekte … - Variabilität der Spiel-, Einsatz- und Gewinnmöglichkeiten: je grösser die Variabilität … Die aktuell in der Schweiz angebotenen Glücksspielprodukte unterscheiden sich in Bezug auf diese Merkmale erheblich. 2.2 Wichtigste Ergebnisse 2.2.1 Nutzung von Glücksspielangeboten in der Deutschschweiz und im Tessin Im Monat vor der Befragung nutzte ein Drittel der Deutschschweizer und Tessiner min- destens ein Glücksspielangebot (34%, hochgerechnet 1.6 Mio. der total 4.7 Mio. Personen über 14 Jahren). Fast alle (88%) dieser Personen fragten ein Lotto-, Toto- oder Losprodukt nach. An zweiter Stelle standen SMS- oder TV-Gewinnspiele (18% der Spielenden) und an dritter Stelle Casinos (4% der Befragten, die im letzten Monat spielten). Tabelle I zeigt das Nutzungsverhalten im Überblick. Tabelle I: Hochgerechnete Nutzung von Glücksspielangeboten für die Deutschschweiz und das Tessin (im letzten Monat; Mehrfachnennungen möglich) Personen Prozent der Prozent der Gesamtstichprobe Spielenden Lotto, Toto, Lose 1'810’500 30.3% 87.8% SMS-, TV-Gewinnspiele 385’700 6.5% 18.0% Casinos 79’900 1.3% 3.8% Automaten ausserhalb von 13’000 0.2% 0.5% Casinos Andere Angebote 118’900 2.0% 5.5% a - Bars, Restaurants 23'300 0.4% 1.1% b - Internet-Glücksspiele 27'400 0.5% 1.3% - Privat Jassen um Geld 38'200 0.6% 1.7% - Privat Pokern um Geld 21’000 0.4% 1.0% - Andere Geldspiele privat 32'500 0.5% 1.5% a b ohne Automaten ohne Lotterien Von den Befragten, die Lotterien (Lotto, Toto, Lose) nachfragten, gaben 3.2% an, auch bei den Deutschen Klassenlotterien und ähnlichen Angeboten mitgespielt zu haben. Während intensive Spieler vornehmlich Lotterie- und SMS- oder TV-Spiele nutzen, fragen Risiko-, problematische und pathologische Spieler auch andere Glücksspielangebote nach. Die pathologischen Spieler nutzen vergleichsweise häufiger Casinoangebote (22.5% gegen- über rund 5% bei den anderen Spielergruppen) sowie Spielautomaten ausserhalb von Ca- sinos (11.1% gegenüber 6.1% der problematischen und knapp 2.5% der Risikospieler). Problematische und pathologische Spieler nutzen signifikant seltener Lotterieangebote, aber häufiger Spielautomaten sowie übrige Glücksspielangebote als intensive Spieler.
9 Abbildung 1: Überblick über die Nutzung der verschiedenen Angebote durch die verschie- denen Spielergruppen im letzten Monat Nutzung der einzelnen Spielangebote 100 90 80 70 Intensive Spieler 60 Prozent Risikospieler 50 Problemspieler 40 Pathologische Spieler 30 20 10 0 Lotto SMS TV Casino Automaten andere Die grosse Mehrheit der Spielenden setzte für alle Glücksspiele zusammen pro Monat durchschnittlich weniger als CHF 50 ein. 14.8% der Befragten gaben an, zwischen CHF 50 und 200 auszugeben. Höhere Einsätze sind selten. (vgl. Tabelle II). Tabelle II: Durchschnittlich pro Monat eingesetzter Gesamtbetrag für das Glücksspiel in CHF (gewichtete Daten in Klammern) Personen Prozent der Prozent der Gesamtstichprobe Spielenden Spielte nicht 4'200 (3'989'800) 65.2% --- Spielte sehr selten 571 (530'000) 8.9% 27.2% < CHF 50 1'178 (1'111'000) 18.4% 56.0% CHF 50 - 200 312 (301'600) 4.9% 14.8% CHF 200 - 300 21 (20'300) 0.3% 1.0% CHF 300 - 500 10 (9'200) 0.2% 0.5% CHF 500 - 1'000 9 (9'300) 0.1% 0.4% > CHF 1'000 1 (1'100) 0.0% 0.0% Bei diesen Beträgen gilt es zu beachten, dass insbesondere bei der Nutzung von Glücks- spielautomaten und Casinos von den Antwortenden vielfach der Nettoeinsatz bzw. der verlorene minus der gewonnene Geldbetrag angegeben worden sein dürfte. Bei den re- gelmässig Lotto- oder Lose-Spielenden gaben nur 1.1% an, pro Monat mehr als CHF 200 eingesetzt zu haben; bei den regelmässig Casinospielenden sind es 15.8%. 331 (5.4%) der Befragten gaben an, ihr Glücksspiel bewusst zu kontrollieren. Insgesamt 86 (1.4%) der Befragten hatten schon jemals mehr als CHF 500 eingesetzt.
10 2.2.2 Prävalenzen des risikoreichen, problematischen und pathologischen Spielens Die Lebenszeitprävalenz4 des risikoreichen Spielens bei über 14-jährigen Personen liegt bei 2.0%, diejenige des problematischen Spielens bei 0.6% und die des pathologischen Spielens bei 0.3% der Gesamtstichprobe (vgl. Tabelle III). Tabelle III: Lebenszeit-Diagnose der Spielsucht gewichtet, hochgerechnet auf die Bevölkerung über 14 Jahren der Deutschschweiz und des Tessins (4’708'184, Bundesamt für Statistik, 2005) Personen Untere Obere Prozent der 95 % CI Grenze Grenze Gesamtstichprobe Intensive Spieler 351'600 323'000 410'100 7.5% 6.86 8.71 Risikospieler 95'700 80'500 114'400 2.0% 1.70 2.43 Problematische Spieler 27'000 19'300 38'100 0.6% 0.41 0.81 Pathologische Spieler 13'900 9'000 22'100 0.3% 0.19 0.47 Anmerkung: CI = Konfidenzintervall Intensive Spieler weisen keine Spielsuchtsymptome auf. Bei den problematischen und pathologischen Spielern sowie auch bei den Risikospielern sind die Männer jeweils massiv und entsprechend auch signifikant in der Mehrzahl (bei den Risikospielern sind es 61.5% Männer, bei den problematischen und pathologischen Spielern 75.8% bzw. 83.35%). Die am häufigsten geschilderten Symptome sind Versuche, das Spielverhalten aufzugeben, einzuschränken oder zu kontrollieren, Verluste wieder auszugleichen und die Steigerung der Einsatzhöhen. Aufgrund der geringen Prävalenzen können Aussagen für die verschiedenen geografi- schen Grossräume nur mit Vorbehalten gemacht werden. Deskriptiv zeigen sich indessen kaum Unterschiede; einzig im Bereich der intensiven Nutzung ist im Tessin ein erhöhter Wert feststellbar. Die Prävalenzen von problematischen oder pathologischen Spielern sind aber nicht erhöht. Bezogen auf das Jahr vor der Befragung gaben sehr wenige Teilnehmende Schwierigkei- ten mit dem Glücksspiel an. Die Jahresprävalenz5 des risikoreichen Glücksspiels lag bei 0.7% (gewichtet: 34'000); diejenige des problematischen Spielens bei 0.2% (gewichtet: 7'200) und die des pathologischen Spielens bei 0.02% (gewichtet: 800) der Gesamtstichprobe. Die Differenz zwischen der Lebenszeit- und der Jahresprävalenz spricht dafür, dass Personen mit (früherer) Spielsucht ihr Spielverhalten oft kontrollieren können, gut auf präventive oder therapeutische Massnahmen ansprechen oder spontan remittieren. Diese Folgerungen sind jedoch in Längsschnittstudien zu prüfen. 4 Die Lebenszeitprävalenz sagt aus, wie viele Menschen einer bestimmten Gruppe (Population) im Verlauf ihres bisherigen Lebens an einer bestimmten Krankheit erkrankt sind oder waren. 5 Die Jahresprävalenz sagt aus, wie viele Menschen einer bestimmten Gruppe (Population) im Verlauf des (letzten) Jahres an einer bestimmten Krankheit erkrankt sind oder waren.
11 2.2.3 Symptome der Spielsucht und Spielverhalten der einzelnen Gruppen Kontrollversuche waren das am häufigsten geschilderte Symptom der Spielsucht. Mit zunehmender Spielproblematik nahmen die Kontrollversuche signifikant zu. 73.2% der Risiko-, problematischen und pathologischen Spieler versuchten jemals, ihr Spielver- halten zu kontrollieren. Die am zweit- bzw. dritthäufigsten genannten Diagnosekriterien waren die Steigerung der Einsatzhöhe (65.6%) und Versuche, Verluste wieder auszugleichen (62.2%). Risikospieler versuchten häufig, das Spielen zu kontrollieren und einzuschränken sowie Verluste durch erneutes Spielen wieder auszugleichen. Problematische Spieler berichteten zusätzlich von höheren Einsätzen, um das gewünschte Gefühl von Spannung herzustellen, sowie von einer mindestens zwei Wochen dauernden Phase der intensiven gedanklichen Beschäftigung mit dem Nachempfinden und Planen von Spielerlebnissen oder mit dem Beschaffen von Geld für das Glücksspiel. Pathologische Spieler wiesen diese Merkmale ebenfalls sehr häufig auf. Im Unterschied zu problematischen Spielern waren sie bei Kontrollversuchen aber häufiger gereizt. Signifikante Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen zeigten sich auch dahingehend, dass pathologische Spieler deutlich häufiger über die Geldbeschaffung nachdachten, häufiger logen, um das Ausmass der Verstickung in das Glücksspiel zu vertuschen, häufiger Probleme mit Angehörigen und in der Partnerschaft aufwiesen und sich häufiger Geld von Drittpersonen leihen mussten. Lotterieangebote wurden im Schnitt von problematischen und pathologischen Spielern im Vergleich zu intensiven Spielern seltener genutzt, jedoch häufiger das Angebot der Spiel- automaten sowie andere Spielangebote. Problematische und pathologische Spieler unter- scheiden sich weiter von intensiven Spielern signifikant darin, dass sie häufiger unregel- mässig spielten und seltener unter CHF 50, jedoch häufiger CHF 200 bis 300 in das Glücksspiel investierten. Die erwarteten hohen Einsätze von problematischen und pathologischen Spielern konnten nicht bestätigt werden, was teilweise durch die häufigen Kontrollversuche erklärt werden kann. Problematisches und pathologisches Spielen sind mit erhöhter psychischer Belastung und emotionalem Vermeiden assoziiert. Es ist anzunehmen, dass die wachsenden anonymen Angebote aus dem Internet entsprechenden Spielern viel mehr entgegen kommen als Ca- sinos mit Kontrollmechanismen und Lotterieangebote mit wenig unmittelbarem und ver- gleichsweise wenig positivem Feedback. Weiter ist anzunehmen, dass pathologisches Spielen meist mit einer Reihe anderer Verhaltensauffälligkeiten verbunden ist – „reine Spielsucht“ mithin eine seltene Störung darstellt. Auch diesbezüglich gilt es, die Ergeb- nisse von Längsschnittstudien abzuwarten. 2.2.4 Einfluss der einzelnen Glücksspielangebote auf die Wahrscheinlichkeit zur Gruppe der problematischen und pathologischen Spieler zu gehören Bei statistischer Kontrolle der Einflussfaktoren Alter, Geschlecht und Nutzung der anderen Spielangebote gehören Lotto-, Toto- und Losspieler mit einer 12fach geringeren Wahr- scheinlichkeit zur Gruppe der problematischen und pathologischen Spieler. Bei Auto- matenspielern erhöhte sich dagegen die Chance, zu den problematischen und pathologi- schen Spielern zu gehören, um beinahe das Sechsfache. Struktur und Wirkung der Lotterieangebote unterscheiden sich qualitativ und sind nicht Glücksspielsucht fördernd.
12 2.3 Nachfolgeuntersuchungen Wegen der geringen Anzahl von Personen mit Spielproblematik müssen die Jahresprävalenzen sowie die Hochrechnungen auf die Anzahl problematischer und pathologischer Spieler mit Vorsicht interpretiert werden.6 Ausschlaggebend für eine verbindliche klinische Diagnose ist ein klinisches Interview nach den DSM-IV-Kriterien. 83 Personen (48%) mit Spielproblematik haben sich prinzipiell bereit erklärt für die geplanten nachfolgenden Face-to-Face-Interviews zur Validierung der Diagnoseergebnisse sowie zur Analyse der individuellen Entstehungsdynamik und Bewältigungsversuche der Spielsucht und zur Analyse der Ansatzpunkte für Präventionsmassnahmen. Bei einer möglichen telefonischen Nachfolgeuntersuchung werden 5’113 Personen (80.3%) nochmals teilnehmen; ihre Adressen wurden gespeichert. Schliesslich hat man die Personen, welche die Teilnahme am Telefoninterview der vorliegenden Grundlagenstudie ablehnten, postalisch nochmals kontaktiert und gebeten, den aus dem Telefoninterview abgeleiteten Fragebogen auszufüllen. So konnten knapp 1'400 weitere Antworten ausgewertet werden, wodurch sich die Teilnahmequote auf rund 50% erhöht hat. Die ermittelten Prävalenzwerte blieben stabil. 3. Diskussion der Ergebnisse 3.1 Erfasste Prävalenzraten Die erfassten Lebenszeit-Prävalenzraten von 0.6% für problematisches und 0.3% für pa- thologisches Spielen sind gegenüber denjenigen anderer wissenschaftlicher Schweizer Untersuchungen (Osiek 2006; Bondolfi et al. 2000; Molo Bettelini et al. 2000) geringer.7 Dies lässt sich insbesondere darauf zurückführen, dass im Gegensatz zu früheren Schweizer Untersuchungen verschiedene Massnahmen zur Reduktion von falsch-positi- ven Diagnosen getroffen wurden, wie die Wahl des die DSM-IV-Kriterien umfassenden Erhebungsinstruments oder des Screeningverfahrens in der mehrstufigen Struktur des Interviewleitfadens. Bei einigen Befragten kann eine Bagatellisierung ihrer Verstrickung in die Spielsucht vorliegen. Die erhobenen Prävalenzen sind entsprechend als Mindestzah- len zu betrachten. Um die Validität der Diagnose zu prüfen, werden die unter Ziffer 2.3 erwähnten Face-to-Face-Interviews durchgeführt. Im Vergleich zu anderen Suchterkrankungen und psychischen Störungen ist die Prävalenz der Spielsucht eher gering: Die Jahresprävalenz für eine majore Depression beträgt z. B. 6.9%, diejenige für Alkoholabhängigkeit 2.4% (nach Wittchen & Hoyer 2006). Damit ist die Spielsucht in der Schweiz von epidemiologisch untergeordneter Rolle. Trotzdem kann es bei Betroffenen zu tragischen Entwicklungen kommen, die es zu vermeiden gilt. 6 Andererseits ist klar hervorzuheben, dass die vorliegende Studie aufgrund ihres Forschungsdesigns die bisher weitaus fundierteste Untersuchung der Spielsucht in der Schweiz darstellt. 7 Die Studie des Büro BASS (Künzi et al. 2004) verzichtete auf eine eigene Untersuchung zur Spielsucht- prävalenz, verwies stattdessen auf bestehende nationale sowie internationale Studien und entwickelte basierend auf verschiedensten Quellen ein Modell zur Schätzung der Prävalenz in der Schweiz. Sie kann nicht als eigenständige wissenschaftliche Untersuchung aufgeführt werden.
13 3.2 Glücksspielangebot und Spielsucht in anderen Ländern Die Spielsuchtprävalenz ist auch von der Anzahl, Art und Dichte von Glücksspielangebo- ten sowie von gesetzlichen Auflagen stark beeinflusst und daher nicht ohne weiteres über verschiedene Länder hinweg vergleichbar. Weiter beeinflussen die Erhebungsmethode und das Erhebungsinstrument bzw. die jeweilige Definition von Spielsucht die ermittelten Prävalenzraten. Die folgende Tabelle dokumentiert, dass sich die Glücksspielangebote und -Pro-Kopf-Um- sätze in verschiedenen Ländern Europas erheblich voneinander unterscheiden. Während Lottos und Lose (= typische Lotterieprodukte) sowie Sportwetten in fast allen aufgeführten Ländern angeboten werden, unterscheiden sich die Angebote in den Bereichen Casinos und Glücksspielautomaten ausserhalb von Casinos, aber auch Bingo und Keno (= selte- ner angebotene Lotterieprodukte) erheblich. Tabelle IV: Glücksspielangebote und -Pro-Kopf-Umsätze in europäischen Ländern (Stand 2004. Quelle: London Economics 2006, 10 und 72 ff) und in der deutschen Schweiz und im Tessin (Stand 2004. Quellen: Geschäftsberichte Swisslos und Eidg. Spielbankenkom- mission sowie eigene Schätzungen) Land Einwohner Anzahl Glücksspielautomaten Glücksspiel- Ausgaben (in Mio.) Casinos in ausserhalb ausgaben für Lotterien Casinos Casinos pro Kopf pro Kopf (in Euro) (in Euro) Österreich 8.1 12 √ √ 1’900 190 Belgien 10.4 9 √ √ 430 100 Tschechien 10.2 150 - √ 260 20 Dänemark 5.4 6 - √ 670 150 Finnland 5.2 1 - √ 1’550 180 Frankreich 60.2 190 √ - 570 140 Deutschland 82.5 76 √ √ 420 120 Griechenland 11.0 9 √ - 560 170 Ungarn 10.1 6 - - 270 40 Irland 4.0 - - - 750 140 Italien 57.9 4 √ - 420 240 Luxemburg 0.45 1 √ - 670 110 Niederlande 16.3 13 - √ 650 100 Portugal 10.5 8 √ - 230 100 Spanien 42.3 35 - √ 620 260 Schweden 9.0 4 √ √ 430 100 Verein. Königr. 59.7 123 - √ 1’640 120 DCH + Tessin 5.6 14 √ - 816 117 √ Angebot vorhanden - Angebot nicht vorhanden Die Glücksspiel-(Pro-Kopf-)Umsätze differieren erheblich und sind von verschiedenen, teilweise miteinander verbundenen Faktoren abhängig. Zu nennen sind die gesellschaftli- che Einstellung zum Glücksspiel, die Angebotsstruktur, das Bruttosozialprodukt pro Ein- wohner und der Grad der Regulierung. Die hohen Glücksspiel-Pro-Kopf-Ausgaben im Vereinigten Königreich und in Österreich resultieren vor allem aus deregulierten Teil- märkten (Sportwetten inkl. Pferdewetten, Casinoangebote), die durch hohe Gewinn-
14 ausschüttungsquoten gekennzeichnet sind. Es wird mit anderen Worten in diesen Teil- märkten auch viel gewonnen – Gewinne, die dann oft reinvestiert werden. In der Deutschschweiz und im Tessin sind vergleichsweise geringe Lotterie-, dagegen aber relative hohe Gesamt-Pro-Kopf-Ausgaben für Glücksspiele zu verzeichnen. Dies ist auf die hohen Pro-Kopf-Ausgaben in den Casinos zurückzuführen. Wobei in der Schweiz vor allem die (zahlreichen) grenznahen Casinos sehr hohe Umsätze generieren. Diese, weisen einen sehr grossen Anteil ausländischer Besucher auf, die zudem oft mit hohen Beträgen spielen. Der Glücksspiel-Pro-Kopf-Umsatz der Wohnbevölkerung in der Deutschschweiz und im Tessin dürfte entsprechend um einiges geringer sein, als in Tabelle IV ausgewiesen. Darauf deuten auch die Ergebnisse der Telefoninterviews hin. Vergleiche mit Ergebnissen von Spielsuchtstudien im Ausland sind vor dem Hintergrund zu beurteilen, dass das Glücksspielangebot (und die daraus resultierenden Pro-Kopf-Um- sätze) einer der wesentlichen Bestimmungsfaktoren der Spielsuchtprävalenz ist. In Europa weisen die vorliegenden wissenschaftlichen Prävalenzstudien für pathologisches Spielen Werte zwischen 0.6 und 0.8% aus.8 Für die skandinavischen Länder, die vom Le- bensstandard und der Lebensweise her mit der Schweiz vergleichbar sind, wurde in der Studie von Jonsson (2006) eine Jahres-Prävalenzrate von 0.3% für pathologische Spieler erhoben. Diese internationalen Vergleichswerte erscheinen – auch vor dem Hintergrund der Pro-Kopf-Umsätze in Tabelle IV - zunächst relativ hoch im Vergleich zu der für die Deutschschweiz und das Tessin ermittelten Lebenszeit-Prävalenz von 0.3% für pathologi- sches Spielen. Es ist allerdings erneut darauf hinzuweisen, dass − im Gegensatz zu den meisten anderen Untersuchungen verschiedene Massnahmen zur Reduktion von falsch positiven Diagnosen getroffen wurden (Erhebungsinstrument NODS anstelle des auch gebräuchlichen, die Prävalenzen indessen überschätzenden South Oaks Gambling Screen SOGS9 oder die mehrstufige Struktur des Interviewleitfadens, die ein Screening umfasst) − der in Tabelle IV ausgewiesene Glücksspiel-Pro-Kopf-Umsatz für die Deutschschweiz und das Tessin erheblich zu hoch ist, da die zahlreichen grenznahen Casinos von ei- nem grossen Anteil spielfreudiger ausländischer Gäste besucht werden. In den USA wird bei pathologischen Spielern von Prävalenzen zwischen 1 und 1.9% berichtet, wobei zu bemerken ist, dass die Glücksspielangebote in den verschiedenen Staaten erheblich differieren (von Verbot bis Las Vegas). Die Prävalenzen von problematischen Spielern liegen in den USA und Kanada bei 4.2% (Shaffner & Korn, 2002) und sind beträchtlich höher als in europäischen Studien mit rund 1 bis 1.5%. 8 Gilt z.B. auch für Grossbritannien mit den hohen Pro-Kopf-Umsätzen, für welches Prävalenzen für pathologisches Spielen von 0.6 - 0.8% erhoben wurden (Sporston et al. 2000). 9 Der SOGS stammt aus dem Jahr 1987, der NODS aus dem Jahr 1999 – entsprechend wird der NODS erst seit acht Jahren verwendet.
15 Fazit und weiteres Vorgehen Im Vergleich zu anderen Suchterkrankungen und psychischen Störungen ist die Prävalenz der Spielsucht eher gering. Anders gesagt: Sie ist in der Schweiz von epidemiologisch untergeordneter Rolle. Eine nahe liegende Erklärung für dieses positive Studienergebnis ist, dass das vom Bund und den Kantonen installierte Aufsichts- und Regulationssystem die gewünschte Wirkung zeigt. Dieses verpflichtet die Spielbanken und die Lotteriegesellschaften zu einem verantwortungsvollen Glücksspielangebot mit geeigneten Präventionsmassnahmen. Der Schweizer Glücksspielmarkt ist vor allem auch zur Sicherstellung eines kontrollierten, sozialverträglichen Angebots reguliert. So sollen Geldwäscherei, Betrug, Spielsucht und Insolvenzen von Anbietern bzw. geprellte Spieler verhindert werden. In der Schweiz werden die Casinos von der Eidg. Spielbankenkommission überwacht. Sie sind zur Installation und zum Betrieb von Spielsucht-Präventionsmassnahmen verpflichtet. Die vorliegende Grundlagenstudie dokumentiert, dass − diese Verpflichtung aufgrund des Spielsuchtpotenzials von Glücksspielautomaten, die den Casinos im Jahr 2006 über 78% der Spielerträge einbrachten, zweckmässig ist − die ergriffenen Präventionsmassnahmen ingesamt als erfolgreich zu bezeichnen sind. Die Regulierung führt im Lotterie- und Wettbereich dazu, dass im Vergleich zu einer Wett- bewerbssituation sozialverträglich ein weniger hoher Anteil der Umsätze in der Form von Gewinnen wieder ausgeschüttet wird10 und dass kein aggressiver Kampf um Kunden statt findet. Das Angebot von Swisslos erfolgt also in verantwortungsvoller, sozialverträglicher Art und Weise. Die vorliegende Grundlagenstudie bestätigt die Ergebnisse anderer, internationaler Forschungsarbeiten: Angebote von Staatslotterien weisen kaum Spielsuchtpotenziale auf. Aufgrund der kurzen Tradition von Casinos und deren stark steigender Erträge sowie des verstärkten (illegalen, ausländischen) Internet-Glücksspielangebots gilt es, die Prävalen- zen von problematischen und pathologischen Spielern in regelmässigen Abständen (Mo- nitorings) weiter zu verfolgen. Die Kantone als Hauptfinanzierer des Sozial- und Gesundheitswesens haben ein Interesse daran, in diesem Bereich eine Führungsrolle zu übernehmen. Mit den geplanten Folgestudien sind die entsprechenden Schritte eingeleitet. Die illegalen Glücksspielangebote im Internet entziehen sich den staatlichen Kontrollme- chanismen und den Steuerhoheiten (was sie für die Spieler besonders interessant macht). Sie bieten dem problematischen Spielverhalten geradezu Hand – nicht zuletzt auch aufgrund spezifischer Merkmale wie fehlender Sozialkontakte bzw. -kontrollen, Animations-, Farb- und Lichteffekte u.a. Es gibt indessen international erste Ansätze, 10 Die Staatslotterien der EU schütteten im Jahr 2004 53% ihrer Umsätze wieder als Gewinne aus, während eine typische Auswahl privater Anbieter eine Gewinnausschüttung von 91% aufweist (London Economics 2006, 23). Eine mit einer Deregulierung einhergehende Erhöhung der Gewinnausschüttungsquote würde neben der Verschärfung der Spielsuchtproblematik auch zu einer massiven Reduktion der für gute Zwecke gewinnbaren Mittel führen.
16 dieser Bedrohung zu begegnen. So werden Länder wie die USA oder die Niederlande dem Problem Herr, indem sie Banken, Kreditkartenfirmen und Online-Bezahldiensten finanzielle Transaktionen mit entsprechenden Anbietern untersagen. Die Kantone erheben bei ihren Lotteriegesellschaften eine Abgabe von 0.5% der Brutto- spielerträge zur Planung und Umsetzung von Spielsuchtpräventionsmassnahmen. Für Swisslos beläuft sich diese Abgabe auf rund CHF 2.5 Mio. pro Jahr. Die Lotteriegesellschaften finanzieren ihre Spielsuchtpräventionsmassnahmen selbst. Die vorliegende Grundlagenstudie Spielsucht ist einerseits als Basis für die Planung des Einsatzes der Spielsuchtabgabe in der Deutschschweiz und im Tessin anzusehen. Ande- rerseits zeigt sie auf, dass die Angebote der Lotteriegesellschaft der entsprechenden 20 Kantone kaum Spielsuchtpotenziale in sich bergen bzw. weit weniger als andere Glücks- spielangebote. Der Bund zeichnet für einen grossen Teil des Glücksspielangebotes und auch die Internetgesetzgebung verantwortlich. Er ist dazu verpflichtet, bei der Spielsuchtprävention in seinen Bereichen mitzuarbeiten und die möglichen Gesundheits- und Sozialkosten nicht auf die Kantone zu überwälzen.
17 Quellenverzeichnis Bondolfi, G., Osiek, C. & Ferrero, F. (2000). Prevalence estimates of pathological gambling in Switzerland. Acta Psychiatrica Scandinavica, 101 (3), 473-475 Brodbeck, J., Dürrenberger, S. & Znoj, H. (2007). Grundlagenstudie Spielsucht: Prävalenzen, Nutzung der Glücksspielangebote und deren Einfluss auf die Diagnose des Pathologischen Spielens. Schlussbericht August 2007. Institut für Psychologie der Universität Bern (verfügbar unter www.psy.unibe.ch, www.swisslos.ch) Eidg. Spielbankenkommission (2007). Jahresbericht 2006, Bern Jonsson, J. (2006). An overview of prevalence surveys of problem and pathological gambling in the nordic countries. Journal of Gambling Issues, 18, 31-38 Künzi, K., Fritschi, T. & Egger, T. (2004). Glücksspielsucht und Spielsucht in der Schweiz – Empi- rische Untersuchung von Spielpraxis, Entwicklung, Sucht und Konsequenzen, Büro BASS: Bern London Economics (2006). The case for State Lotteries. London 2006 Molo Bettelini, C., Alippi, M. & Wernli, B. (2000). Il gioco patologico in Ticino / An investigation into pathological gambling. Centro di documentazione e ricerca OSC, 47, 48. Verfügbar unter: http://www.ti.ch/DSS/DSP/OrgSC/cdr/temi/ricerca/richerche.htm (28.2.2007) Osiek, C., Bondolfi, G.(2006). Etude d prévalence du jeu pathologiqe en Suisse. Resultats princi- paux. L’Hôpitaux Universitaires de Genève Osiek, C., Bondolfi, G., Ferrero, F. (1999). Etude de prévalence du jeu pathologique en Suisse. Département de Psychiatrie. Hôpitaux Universitaires de Genève Shaffner, H. J. & Korn, D. A. (2002). Gambling and related mental disorders: a public health analy- sis. Annual Review of Public Health, 23, 171-212 Sproston, K., Erens, B. & Orford, J. (2000). Gambling Behaviour in Britain: Results from the British Gambling Prevalence Survey, London: National Centre for Social Research Stinchfield, R., (2002). Reliability, validity, and classification accuracy of the South Oaks Gambling Screen (SOGS). Addictive Behaviours, 27 (1), 1-19 Stinchfield, R., (2003). Reliability, validity, and classification accuracy of a measure of DSM-IV di- agnostic criteria for pathological gambling. American Journal of Psychiatry, 160 (1), 180-182 Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006), Klinische Psychologie & Psychotherapie, Heidelberg: Springer
Sie können auch lesen