Sportliche Eltern, sportliche Kinder - Die Sportbeteiligung von Vorschulkindern im Kontext sozialer Ungleichheit

Die Seite wird erstellt Kimi Seidel
 
WEITER LESEN
Der Beitrag wurde am 30.03.2012 in SPORTWISSENSCHAFT publiziert und ist verfügbar
    unter link.springer.com: http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs12662-012-0239-7.
    Bitte zitieren Sie nur den Originalbeitrag:
    Schmiade, N. & Mutz, M. (2012). Sportliche Eltern, sportliche Kinder – Die Sportbeteili-
    gung von Vorschulkindern im Kontext sozialer Ungleichheit. Sportwissenschaft, 42, 115-
    125. DOI: 10.1007/s12662-012-0239-7.

Sportliche Eltern, sportliche Kinder –
Die Sportbeteiligung von Vorschulkindern
im Kontext sozialer Ungleichheit

Nicole Schmiadea und Michael Mutzb

a
    Deutsches Zentrum für Altersfragen, Forschungsdatenzentrum Deutscher Alterssurvey, Berlin
    Email: nicole.schmiade@dza.de
b
    Institut für Sportwissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen
    Email: michael.mutz@sport.uni-goettingen.de

Zusammenfassung
Von der frühen Kindheit an werden einige Kinder von ihren Eltern zu einem sportlich-aktiven Lebensstil angeregt, andere
hingegen nicht. Diese Unterschiede ergeben sich nicht zufällig, sondern folgen einem sozialstrukturellen Muster: Kinder aus
sozial privilegierten Elternhäusern erhalten sportbezogene Anregungen und Unterstützung mit größerer Wahrscheinlichkeit
als Kinder aus bildungs- und einkommensschwachen Familien. Der Beitrag nimmt Vorschulkinder (bis 6 Jahre) in den Blick
und analysiert mit Hilfe des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) die Teilnahme dieser Kinder an Kindersportangeboten. Ein
beachtlicher Anteil von 41% der Kinder nutzt solche Sportangebote, wobei sich aber enorme soziale Unterschiede offenba-
ren. Die sozioökonomischen Ungleichheiten wirken vor allem vermittelt über den Lebensstil der Eltern: In sozial privilegier-
ten Familien sind die Eltern selbst häufiger sportlich aktiv; und das Sporttreiben der Eltern erweist sich wiederum als der
wichtigste Faktor, um die Teilnahme der Kinder am Kindersport zu erklären. Darüber hinaus sind ältere Kinder, Kinder ohne
Migrationshintergrund und Kinder, die eine Kindertagesstätte besuchen, besonders häufig in Kindersportgruppen aktiv.

Schlüsselwörter
Kindersport - Motorische Entwicklung - Soziale Ungleichheit - Soziale Vererbung - Lebensstil

Abstract
Some parents foster an athletic and active lifestyle for their children from early childhood on, while others do not. These
differences do not arise randomly, but rather go hand-in-hand with patterns of social stratification: Children from socially
privileged families are stimulated and supported to pursue sports-related activities with a higher probability than children
from families who are educationally or financially deprived. This paper focuses on preschool children (up to age 6) and
analyses their participation in organised sports courses. We use data from the German Socio-Economic Panel Study (SOEP).
Results show that a remarkable proportion of 41% of the children are involved in sports courses, although considerable social
disparities can be identified. As our findings demonstrate, socio-economic inequality does not necessarily directly affect
children’s participation in sports. Instead, the effect is mediated by their parents’ lifestyles. Socially privileged families show
a higher percentage of both parents being actively engaged in sports. This, in turn, is the most significant factor in explaining
children’s involvement in sports courses. Furthermore, findings indicate that older children, native German children and
those who attend kindergarten feature significantly higher participation rates.

Keywords
Children’s sports - development of motor skills - social inequality - intergenerational transmission - lifestyle

                                                                1
1. Fragestellung

Die Debatten zur Sportbeteiligung von Kindern werden momentan durch zwei konträre Posi-
tionen bestimmt: In sport- und jugendsoziologischen Beiträgen wird angenommen, dass Sport
zu den wichtigsten und populärsten Freizeitaktivitäten im Kindes- und Jugendalter gehört,
eine überwältigende Mehrheit der Heranwachsenden regelmäßig Sport treibt und Sportlichkeit
geradezu als jugendspezifische Altersnorm anzusehen sei. Dem stehen allerdings Beschrei-
bungen einer zunehmend durch Mediennutzung und Passivität geprägten kind- und jugendli-
chen Lebenswelt gegenüber, in der Heranwachsende nur noch als „Medienfreaks“ agierten
und dabei mehr und mehr zu „Stubenhockern“ und „Körperwracks“ regredieren würden.
Übergewicht, chronische Krankheiten und psychosomatische Störungen werden in dieser
Lesart mit einem zivilisationsbedingten Bewegungsmangel in Beziehung gesetzt, dem sich
selbst Kinder nicht entziehen könnten (vgl. zur Debatte Baur, Burrmann & Maaz, 2004).

Einiges spricht dafür, dass beide Beschreibungen auf ein reales Phänomen hinweisen: Einige
Kinder und Jugendliche treiben viel Sport und ernähren sich sehr gesund. Bei anderen Ju-
gendlichen ist die Freizeit hingegen durch Sport- und Bewegungsarmut gekennzeichnet. Diese
Unterschiede sind über die Bevölkerungsgruppen nicht zufällig verteilt, sondern sie folgen
einem sozialstrukturellen Muster. Bereits bei Drei- bis Sechsjährigen in Deutschland gelten
ein niedriger Sozialstatus und ein Migrationshintergrund der Familie als wesentliche Risiko-
faktoren für Übergewicht (vgl. Kurth & Schaffrath Rosario, 2007). Sportlich-aktive sowie
durch Medienkonsum geprägte, passive Lebensstile lassen sich bereits bei Grundschülern
identifizieren (vgl. Brandl-Bredenbeck & Brettschneider, 2010). Bereits im frühen Kindesal-
ter werden sportbezogene Verhaltens- und Einstellungsmuster in wesentlichen Zügen ausge-
bildet, die sich dann mit großer Wahrscheinlichkeit über weitere Lebensphasen fortschreiben.
Aus sportlich inaktiven Kindern werden oft auch sportlich inaktive Jugendliche und nicht
selten auch sportlich inaktive Erwachsene (vgl. Telama, 2009).1

Die bisherigen Forschungen zu sportlichen Aktivitäten von Heranwachsenden konzentrieren
sich vor allem auf schulpflichtige Kinder und Jugendliche. Hierzu liegen zahlreiche instrukti-
ve Befunde aus bundesweiten und bundeslandspezifischen Kinder- und Jugend(sport)surveys
vor (z. B. Brandl-Bredenbeck & Brettschneider, 2010; Brettschneider & Kleine, 2002; Brink-
hoff, 1998; Emrich et al., 2004; Kurz & Tietjens, 2000; Mutz & Burrmann, 2011). Im Ver-
gleich dazu sind Analysen zum Sporttreiben von jüngeren Kindern im Vorschulalter rar. Die-
se Gruppe steht deshalb im Fokus des Beitrags: Uns geht es erstens um die Frage, in welchem
Umfang Vorschulkinder Angebote zur Sport- und Bewegungsförderung wahrnehmen. Und
zweitens fragen wir danach, welcher sozialen Strukturierung die Nutzung dieser Angebote

1
  Neben den gesundheitsbezogenen Entwicklungsimpulsen des Sports wird nicht selten auch auf positive Effekte
für die kognitive Entwicklung verwiesen: Sport soll demnach die Sprachentwicklung, die Konzentrations- und
Intelligenzleistung von Kindern fördern (vgl. Rethorst, Fleig & Willimczik, 2008; Zimmer, 2008).

                                                     2
unterliegt: Inwieweit bestimmen sozioökonomische Bedingungen im Elternhaus sowie Le-
bensstilmerkmale der Eltern, ob Kinder diese Sportangebote nutzen?

Zunächst wird ein theoretischer Rahmen vorgestellt, in dem wir die Relevanz aktueller
Schicht- und Lebensstilkonzepte begründen und darüber hinaus an neueren Forschungsbefun-
den aufzeigen, in welchem Ausmaß Sportaktivitäten sozialstrukturell variieren und ‘sozial
vererbt’ werden (Abschn. 2). Aus diesem Theorierahmen werden dann Hypothesen abgeleitet
und mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) geprüft. Nachdem wir die Methodik
der Analyse vorgestellt haben (Abschn. 3), präsentieren wir Befunde zur Teilnahme am Kin-
dersport und analysieren soziale Unterschiede (Abschn. 4). Im Fazit weisen wir unter ande-
rem auf sozialpolitische Implikationen hin (Abschn. 5).

2. Soziale Ungleichheit in der Sportbeteiligung

Wir gehen davon aus, dass die Platzierung innerhalb eines gesellschaftlichen Ungleichheitsge-
füges einerseits mit einem spezifischen Zugriff auf ökonomische und kulturelle Ressourcen
verbunden ist und andererseits mit typischen Lebensstilen und Geschmackspräferenzen ein-
hergeht. Beide Dimensionen sozialer Ungleichheit – Ressourcen und Präferenzen – können
zum einen mitbestimmen, ob sich Personen selbst am Sport in unterschiedlichen Engagement-
formen beteiligen und zum anderen, ob sie ihre Kinder zum Kindersport ‘anregen’.

(1) Die soziale Ungleichheit in der Sportbeteiligung wird in neueren und älteren Arbeiten in
der Regel mit Hilfe von Schicht- und Klassenmodellen analysiert (vgl. Nagel, 2003; Schla-
genhauf, 1977; Voigt, 1978; Winkler, 1998). Dabei wird angenommen, dass sich hinter dem
Schicht- bzw. Klassenbegriff eine unterschiedliche Ressourcenausstattung verbirgt, durch die
die Nutzung von Sportangeboten mehr oder weniger stark eingeschränkt sein kann. Dazu ge-
hören beispielsweise die finanziellen Mittel, die den Angehörigen unterschiedlicher Sozial-
schichten zur Verfügung stehen, und die in Sportgeräte, Sportkurse, Mitgliedsbeiträge, Frei-
zeitexkursionen, den Besuch von Sportveranstaltungen usw. investiert werden können. Wei-
terhin wird vermutet, dass über diese ungleiche Ressourcenausstattung auch bestimmte Moti-
ve, Einstellungen und Überzeugungen vermittelt werden, die man – je nach Lesart – als
Schichtmentalität oder klassenspezifische habitualisierte Geschmackspräferenzen interpretie-
ren kann. Übertragen auf den Sport bedeutet das: Menschen aus verschiedenen Sozialschich-
ten unterscheiden sich nicht nur darin, welche Ressourcen sie in das Sporttreiben investieren
können, sondern auch darin, welche Motivlagen ihr Sportengagement motivieren, welche
Sportarten sie präferieren, an welchen Orten sie gerne Sport treiben oder welchen ‘Sinn’ sie
mit dem Sporttreiben verbinden. Die objektiven Lebensbedingungen und die subjektiven
Wertvorstellungen und Geschmackspräferenzen werden dabei als relativ eng verkoppelt vor-
gestellt. Pierre Bourdieu hat dieses Zusammenspiel in den Begriffen von Struktur, Habitus
und Praxis im Detail beschrieben (vgl. Bourdieu, 1982, 1992).

                                             3
(2) Die Relevanz der erwähnten Klassen- und Schichtkonzepte für die Analyse sozialer Un-
gleichheiten wurde in einigen individualisierungstheoretisch gerahmten Beiträgen bezweifelt:
Der seit den 1950er Jahren gestiegene Einkommens-, Bildungs- und Zeitwohlstand in Verbin-
dung mit den umfangreichen sozialstaatlichen Sicherungssystemen habe, wie zum Beispiel
Ulrich Beck (1986) argumentiert, zu Gewinnen an persönlicher Autonomie geführt, die Men-
schen aus traditionellen Klassenbindungen freigesetzt und aus engen familiären Versorgungs-
bezügen herausgelöst. Durch diesen Individualisierungsschub könne nun die weit überwie-
gende Mehrheit der Bevölkerung an (Massen-)Konsum und (Massen-)Kultur in vollem Um-
fang teilhaben, so dass Unterschiede im Lebensstil lediglich Ausdruck individueller Interessen
und Geschmäcker seien. Die Folge sei eine Entstrukturierung des sozialen Handelns und eine
zunehmende Entkopplung von ‘objektiven’ Lebenslagen und ‘subjektiven’ Mentalitäten. Mit
Blick auf den Sport wäre diesen Gesellschaftsdiagnosen zufolge zu vermuten, dass allen Per-
sonen, unabhängig von ihrer Bildung, ihrem Beruf oder ihrem Einkommen, Sport- und Bewe-
gungsangebote in reichhaltiger Vielfalt zugänglich sind, aus denen sie sich – als „Sportnoma-
den“ (Bette, 1993) – nach aktuellen Trends, individuellen Präferenzen oder momentanen Be-
dürfnissen zum Beispiel nach Distinktion, Ästhetik, Körperformung, Spaß oder Spannung die
für sie passenden Angebote frei auswählen würden.

Ob bzw. inwieweit sich eine Entkopplung von sozioökonomischen Bedingungen und Lebens-
stilen vollzogen hat, ist eine empirisch zu beantwortende Frage. Zahlreiche neuere Analysen
belegen allerdings, dass die individuelle Lebensführung durch die sozioökonomischen Le-
bensverhältnisse nach wie vor erheblich mitstrukturiert wird. Das Freizeitverhalten insgesamt,
die Mitgliedschaft in Vereinen, Theater- und Konzertbesuche, aber auch Ernährungsgewohn-
heiten, politische Aktivitäten und vieles mehr unterliegen einer solchen Strukturierung (vgl.
Isengard, 2005; Nagel, 2003; Rössel, 2005). Der Sport ist hiervon nicht ausgenommen: (a)
Gut belegt ist beispielsweise der Befund, dass Angehörige der einkommensstarken und höher
gebildeten Oberschicht mehr Zeit für sportliche Aktivitäten aufwenden und mit erheblich grö-
ßerer Wahrscheinlichkeit sportlich aktiv sind als Angehörige unterer Sozialschichten (vgl.
Nagel, 2003; Scheerder, Vanreusel & Taks, 2005; Stempel, 2005). (b) Auch einzelne Sportar-
ten lassen sich nach dem sozialen Status der Aktiven ordnen. Eine solche Rangfolge zeigt,
dass zum Beispiel Outdoor-Sportarten wie Ski fahren, Windsurfen oder Kanu fahren, Rück-
schlagspiele (z. B. Tennis), Kursangebote in Fitnessstudios sowie Golf oder Volleyball typi-
sche Sportaktivitäten sind, die überproportional häufig von Akteuren mit einem hohen sozio-
ökonomischen Status ausgeübt werden (vgl. Elling & Claringbould, 2005; Farrell & Shields,
2002; Scheerder et al., 2005; Stempel, 2005).2 (c) Der Zugang zu bestimmten Sportarten wird
auch von klassentypischen Geschmackspräferenzen bestimmt. Wie Bourdieu (1992) in sei-
nem „Programm für eine Soziologie des Sports“ ausführt, bevorzugen Angehörige der oberen
Sozialschichten insbesondere solche Sportengagements, bei denen der Körper kontrolliert
2
  Die mit diesen Sportarten verbundenen Kosten für Mitgliedschaften, Sportkleidung oder Sportgeräte sind er-
heblich: Die durchschnittlichen jährlichen Kosten, die im Golfsport entstehen, liegen bei umgerechnet etwa
4 000 Euro, während Fußballer – eine Sportart in der untere Sozialschichten nicht unterrepräsentiert sind – ‘nur’
rund 470 Euro benötigen, um ein Jahr lang ihren Sport auszuüben (Taks, Renson & Vanreusel, 1998).

                                                       4
eingesetzt wird und der langfristige Erhalt von Fitness und Gesundheit im Vordergrund steht.
Im Gegensatz dazu ist der Sport der unteren Klassen härter, körperbetonter und stärker am
Erfolg orientiert (vgl. auch Boltanski, 1976; Stempel, 2005).

(3) Sport ist diesen Befunden zufolge auch heute nicht abgekoppelt von sozioökonomischen
Ressourcen. Stattdessen drücken sich in sportiven Lebensstilen und Praktiken die dahinter
liegenden (schichtspezifischen) sozioökonomischen Ungleichheiten aus. Diese sozialen Un-
gleichheiten der Sportbeteiligung werden innerhalb familiärer Sozialisationsprozesse an die
nächsten Generationen zu einem großen Teil sozial vererbt, weil die Eltern für die Kinder als
Verhaltensmodelle fungieren und ihnen ihren eigenen, wiederum schicht- und klassentypi-
schen Zugang zu Sport und Bewegung im Sozialisationsprozess vermitteln und vorleben.
Kinder finden in ihren Elternhäusern unterschiedliche Ausgangssituationen für eine erfolgrei-
che „Körper- und Bewegungskarriere“ vor (Baur, 1989). Sie können in ihrer Familie zum
Sporttreiben angeregt werden, indem ihnen viele oder wenige Gelegenheiten zur körperlichen
Bewegung zur Verfügung stehen, bestimmte Sport- und Spielgeräte vorhanden oder nicht
vorhanden sind, Techniken der Pflege und der Gesunderhaltung des Körpers vermittelt wer-
den oder nicht. Diese Anregungen unterliegen einer Strukturierung, die nicht zuletzt von den
sozioökonomischen Ressourcen der Eltern mitdefiniert wird.

Diskutiert werden in diesem Zusammenhang vornehmlich (a) die Sportpraxen der Eltern, weil
angenommen wird, dass die Eltern von den Kindern als Verhaltensmodelle wahrgenommen
werden; (b) die Ausstattung der familiären Wohnumwelt und der näheren Wohnumgebung
mit Spiel- und Sportgeräten, Sportplätzen, Parks oder Rasenflächen, die das Sporttreiben der
Kinder anregen können; schließlich (c) die Vorstellungen der Eltern über die Wichtigkeit von
Sport und Bewegung im Rahmen der Erziehung und die damit verbundenen sportbezogenen
Unterstützungsleistungen, die sie für die Sportengagements ihrer Kinder aufzubringen bereit
sind (vgl. Baur, 1989; Burrmann, 2005; Cachay & Thiel, 2000). Kinder aus oberen Sozial-
schichten sind im Hinblick auf alle diese Rahmenbedingungen der Bewegungssozialisation
typischerweise besser gestellt als Kinder unterer Sozialschichten. Ihre Eltern sind häufiger
selbst in den Sport involviert und sie legen mehr Wert auf Sport und Bewegung als Aspekt
einer ‘ganzheitlichen Erziehung’. Tatsächlich sind Korrelationen zwischen der Häufigkeit des
Sporttreibens der Kinder und der sportlichen Aktivität der Eltern oder den sportbezogenen
Unterstützungsleistungen der Eltern gut belegt (Burrmann, 2005; Würth, 2001). Weiterhin
dürften Kindern aus privilegierten Soziallagen im Wohnraum und der Wohnumgebung viel-
fältigere Bewegungsräume (z. B. Gärten, Parks, Spielplätze) zur Verfügung stehen (vgl. Baur,
1989). Neben diesen Anregungen und Unterstützungen sind es nicht zuletzt auch die finanzi-
ellen Ressourcen der Eltern, die für die Sozialisation zum Sport mit entscheidend sind. Die
Kosten, die mit Sportengagements einhergehen, belasten ärmere Familien stärker, weshalb
Kinder aus ärmeren Familien gegenüber Kindern aus einkommensstarken Elternhäusern be-
nachteiligt sein können.

                                             5
(4) Sind diese Überlegungen zutreffend, sollte das Sporttreiben von Kindern und Jugendli-
chen von den sozioökonomischen Ressourcen als auch den damit verknüpften Lebensstilen
ihrer Eltern mitdefiniert werden. Wie der Forschungsstand nahelegt, ist das faktisch auch der
Fall: Kinder und Jugendliche aus Mittel- und Oberschichtfamilien sind häufiger als Kinder
aus unteren Sozialschichten sportlich aktiv bzw. in Sportvereinen organisiert (vgl. Brinkhoff,
1998; Emrich et al., 2004; Kurz & Tietjens, 2000). Der soziale Status der Eltern ist ein wich-
tiger Einflussfaktor auf die Häufigkeit, mit der Jugendliche Sport treiben oder sich einem
Sportverein anschließen, wobei diese Effekte, wie Ulrike Burrmann (2005) mit Hilfe von
Pfadanalysen gezeigt hat, über das Sporttreiben der Eltern und die sportbezogenen Einstellun-
gen, Anregungen und Unterstützungsleistungen der Eltern vermittelt werden. Bislang liegen
entsprechend differenzierte Analysen allerdings vornehmlich für Jugendliche vor. Jüngere
Kinder wurden vergleichsweise selten in ihrem Sporttreiben untersucht.

Als Ausnahmen sind neuere Analysen aus dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey
(KiGGS) zu erwähnen, die sich auf Kinder im Alter von drei bis zehn Jahren beziehen (vgl.
Lampert et al., 2007): In dieser Altersgruppe ist die weit überwiegende Mehrheit der Kinder
mehr als einmal pro Woche sportlich aktiv. Nimmt man aber die kleinere Gruppe der sportlich
weniger aktiven Kinder in den Blick, zeigen sich große soziale Unterschiede: Von den Kin-
dern aus statushohen Familien sind etwas mehr als 10 % seltener als einmal wöchentlich
sportlich aktiv, während dieser Anteil bei den Mädchen und Jungen aus Familien mit einem
niedrigen Sozialstatus auf fast 40 % ansteigt. Ähnliche Zusammenhänge werden in der World
Vision Kinderstudie (vgl. Leven & Schneekloth, 2007) für acht- bis elfjährige Kinder berich-
tet: Während fast 80 % der Kinder aus Oberschichtfamilien an drei oder mehr Wochentagen
Sport treibt, sind es bei Altersgleichen aus Familien der unteren Sozialschicht nur 50 %. Diese
Schichtunterschiede zeigen sich bei der Mitgliedschaft im Sportverein, beim Erwerb von
Schwimmabzeichen oder der Teilnahme an anderen organisierten Aktivitäten wie Malen, Mu-
sizieren oder Tanzen.3 Schließlich werden im Kinderpanel des Deutschen Jugendinstituts
(vgl. Zerle, 2008) ebenfalls bedeutsame Schichtunterschiede in der Sportbeteiligung doku-
mentiert: Fünf- bis 13-jährige Kinder aus der oberen Sozialschicht sind hier mit 83 % erheb-
lich öfter in einem Sportverein organisiert als Kinder aus der unteren Mittelschicht (59 %)
oder Unterschicht (37 %). Lebensstilanalysen zeigen darüber hinaus, dass eine sportliche
Freizeitgestaltung und eine gesunde Ernährung ein Verhaltenssyndrom bilden, das sich bereits
bei Kindern identifizieren lässt. Ein solchermaßen sportlich-aktiver, gesunder Lebensstil lässt
sich bereits bei 10-jährigen Kindern abgrenzen: Brandl-Bredenbeck und Brettschneider (2010,
S. 137ff) sprechen diesbezüglich von den „Sportaktiven“, die sich durch ein weit überdurch-
schnittliches Sportpensum, eine ausgewogene und gesunde Ernährung und vergleichsweise
geringe Zeitanteile vor dem Fernseher oder der Spielkonsole von Altersgleichen abheben.
Kinder aus sozial privilegierten Familien und aus statushohen Wohngebieten sind in dieser

3
  Schmiade und Spieß (2010) zeigen mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels, dass die Teilnahme an organi-
sierten, außerhäusigen Aktivitäten von kleinen Kindern vom sozialen Hintergrund ihrer Eltern (z. B. Einkom-
men, Bildung, Migrationshintergrund) mit bestimmt wird.

                                                    6
Gruppe deutlich überrepräsentiert. Der Lebensstil und das Sporttreiben von Kindern wird, wie
diese Befunde zeigen, von den Ressourcen und den Wertorientierungen der Eltern deutlich
geprägt (vgl. dazu auch Gerhards & Rössel, 2003).

Um diese ‘soziale Vererbung’ von Sport- und Bewegungsroutinen besser zu verstehen, fokus-
sieren wir in diesem Beitrag eine Altersgruppe, die bislang in der sportsoziologischen For-
schung vergleichsweise wenig Beachtung fand, nämlich Kinder im Vorschulalter. Diese Le-
bensphase ist gekennzeichnet durch eine kontinuierliche Weiterentwicklung motorischer Fä-
higkeiten: Laufen, springen, werfen, fangen usw. sind Bewegungsfertigkeiten, die mit zuneh-
mender Sicherheit ausgeführt werden können; Muskeln werden entwickelt und die Kondition
nimmt kontinuierlich zu. Eine frühkindliche Sport- und Bewegungsförderung, sei es in Mut-
ter-Kind-Sportkursen, beim Kinderturnen oder in organisierten Sportgruppen, zielt darauf ab,
eben diese motorischen Entwicklungsprozesse in besonderer Weise anzuregen und die Kinder
schon früh an ein Leben mit Sport zu gewöhnen. Im Folgenden geht es um die Nutzung dieser
Angebote und um die sozialen Unterschiede, die dabei zu erkennen sind.

3. Daten, Indikatoren, untersuchungsleitende Annahmen

Unsere Analyse gründet sich auf Daten, die im Rahmen des Sozio-oekonomischen Panels
(SOEP) vom DIW Berlin in Zusammenarbeit mit TNS Infratest Sozialforschung erhoben
wurden. Für das SOEP wird eine bundesweite, repräsentative Stichprobe von aktuell ca.
10 000 Haushalten mit etwa 20 000 Personen jährlich befragt. Diese Quer- und Längsschnitt-
daten geben unter anderem Auskunft über objektive Lebensbedingungen, Wertvorstellungen
und Persönlichkeitseigenschaften der Befragten. Spezifische Informationen zum Sportverhal-
ten von Kindern wurden erstmals 2006 und 2008 erfasst. In diesen beiden Jahren wurden vom
Haushaltsvorstand zu allen Kindern, die im Haushalt leben und jünger als 16 Jahre sind, all-
gemeine Informationen erhoben. Neben der Betreuungssituation wird in diesem Frageblock
auch das organisierte Freizeitverhalten der Kinder mit folgender Frage erfasst: „Nimmt das
Kind derzeit an einer der folgenden Aktivitäten teil?“ Für jene Kinder, die noch nicht zur
Schule gehen, steht unter anderem das Item „Kinderturnen, Kindersport, Kinderschwimmen“
mit den Antwortmöglichkeiten „ja“ und „nein“ zur Auswahl. Diese Variable ist das Explana-
ndum in den folgenden Analysen. Um eine höhere Fallzahl als Auswertungsbasis zu errei-
chen, wurden die Angaben aus beiden Erhebungsjahren gepoolt4 – insgesamt liegen damit
vollständige Angaben über 1 484 Kinder bzw. ihre Eltern vor. Die Zusammensetzung der
Stichprobe nach Alter, Geschlecht und Wohnregion ist in Tabelle 1 dokumentiert.

Tabelle 1: Zusammensetzung der Stichprobe nach Alter, Geschlecht und Wohnregion.

4
  Die für diese Analyse verwendeten Daten sind unter der DOI 10.5684/soep.v26 dokumentiert. Die Hauptrefe-
renz für sämtliche Fragen zum SOEP ist der Desktop Companion, herausgegeben von Haisken-DeNew und Frick
(2005). Weitere Informationen zum SOEP, inklusive aller Fragebögen und ausführlicher Dokumentation, finden
sich im Internet (http://www.diw.de/de/diw_02.c.222858.de/dokumente.html).

                                                    7
Alter                             Geschlecht                     Wohnregion

 bis 24 Monate       23.5 %        Junge               49.4 %     Westdeutschland   76.8 %
 25-48 Monate        28.0 %        Mädchen             50.6 %     Ostdeutschland    23.2 %
 49-72 Monate        48.6 %

Quelle: SOEP 2006 und 2008, eigene Berechnungen. Angegeben sind Prozentwerte.

Zugleich wurden im SOEP sozioökonomische Angaben sowie Informationen zu bestimmten
Aspekten der Lebensführung erhoben, die sich auf die Eltern beziehen, und mit deren Hilfe
sich die soziale Ungleichheit bei der Nutzung (früh-)kindlicher Sportangebote analysieren
lässt. Theoretisch gehen wir davon aus, dass sozioökonomische Ungleichheiten den Lebens-
stil der Eltern prägen und diese ihre (schichttypischen) Lebensstilmuster an ihre Kinder sozial
vererben. Um diese kausale Lagerung testen zu können, werden die Merkmale der Eltern zwei
Gruppen zugeordnet: Die ‘harten’ Ungleichheitsmerkmale wirken unserer Ansicht nach im
Hintergrund und bilden ein erstes Merkmalsbündel. Ein zweiter Block von Elternangaben
umfasst sport- und gesundheitsrelevante Lebensstilmerkmale, die vordergründig das Sport-
treiben der Kinder beeinflussen sollten. Darüber hinaus berücksichtigen wir soziodemografi-
sche Angaben zum Kind (Alter, Geschlecht usw.) und wir kontrollieren für einige mögliche
Drittvariablen, wie zum Beispiel für den Besuch eines Kindergartens.

(1) Finanzielle und kulturelle Ressourcen der Eltern: Einige Angaben der Eltern verweisen
auf ‘harte’ sozioökonomische Ungleichheiten. Vier Merkmale werden hier herangezogen: (a)
das Haushaltseinkommen (hier als Netto-Äquivalenzeinkommen), (b) der Bildungsabschluss
der Mutter und (c) die Anzahl der im Haushalt vorhanden Bücher als Indikator für das kultu-
relle Kapital der Familie. Darüber hinaus identifizieren wir (d) Haushalte, die staatliche
Transferleistungen erhalten (z. B. Arbeitslosengeld II oder eine andere Form staatlicher Un-
terstützung). Die Angaben verweisen also entweder auf finanzielle Ressourcen (Haushaltsein-
kommen, Transferleistungen), kulturelle Ressourcen (Bücher) oder auf beide Dimensionen
zugleich (Bildung). Nach den theoretischen Überlegungen nehmen wir an, dass Kinder häufi-
ger an frühkindlichen Sport- und Bewegungsangeboten teilnehmen, wenn die Eltern über
mehr Einkommen verfügen, keine staatlichen Transferleistungen empfangen, höher gebildet
sind und über mehr kulturelles Kapital in Form von Büchern verfügen.

Als weiteres Merkmal betrachten wir den Umfang der Erwerbstätigkeit der Mutter, wobei wir
hier einen anderen Effekt vermuten: In der Bundesrepublik sind nach wie vor Mütter die
Hauptbetreuungspersonen von kleinen Kindern. Ist die Mutter in Vollzeit berufstätig, dürfte
das zwar mit ökonomischen Vorteilen verbunden sein, zugleich dürfte aber weniger Zeit zur
Verfügung stehen, um die Kinder zum Sport zu begleiten. Deshalb nehmen wir an, dass sich
mit der Vollzeitberufstätigkeit der Mutter die Wahrscheinlichkeit eher reduziert, dass die
Kinder an Sportangeboten teilnehmen.

                                                   8
(2) Lebensstilmerkmale der Eltern: Als Lebensstilmerkmale werden zwei Angaben berück-
sichtigt, die sich auf das Sporttreiben und auf die gesunde Ernährung beziehen. Diese Anga-
ben stehen sowohl für die Mutter als auch für den Vater5 zur Verfügung. (a) Beide Eltern
wurden gefragt, wie häufig sie selbst sportlich aktiv sind. Unterschieden werden Eltern, die
nie, sehr selten, mindestens einmal monatlich oder mindestens einmal wöchentlich Sport trei-
ben. Wir gehen davon aus, dass mit zunehmenden sportlichen Aktivitäten der Mutter als auch
des Vaters die Wahrscheinlichkeit steigt, dass ein Kind an organisierten Sport- und Bewe-
gungsangeboten teilnimmt. (b) Darüber hinaus dürfte eine Teilnahme dann wahrscheinlicher
sein, wenn die Eltern generell auf die Gesundheit ihrer Familie achten und beispielsweise auf
gesunde Ernährung größeren Wert legen. Für beide Eltern stehen entsprechende Angaben zur
Verfügung („Inwieweit achten Sie auf eine gesundheitsbewusste Ernährung?“). Unsere An-
nahme lautet daher, dass ein Kind eher organisierte Sportangebote nutzt, wenn Mutter und
Vater stärker auf eine gesunde Ernährung achten.6

(3) Kontrollvariablen: Wir kontrollieren in der Analyse zunächst für einige soziodemografi-
sche Merkmale des Kindes: Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund7, Wohnort (Ost-/ West-
deutschland) und die Anzahl der Geschwister im Haushalt. Die Berücksichtigung dieser
Merkmale ist wichtig, um den Einfluss der uns interessierenden sozioökonomischen und Le-
bensstilmerkmale unverzerrt schätzen zu können. Wir verzichten allerdings auf eine detaillier-
te Diskussion ihrer Wirkungen. Weiterhin kann die Teilnahme an den Sportangeboten auch
von sonstigen Freizeitaktivitäten des Kindes und von einem Kindergartenbesuch beeinflusst
werden. Eltern steht nicht beliebig viel disponible Zeit zur Verfügung, in der sie ihr Kind zu
organisierten Freizeitangeboten begleiten können. Zudem sind Sport- und Bewegungsaktivitä-
ten in zahlreichen Kindergärten ein integraler Bestandteil. Eltern könnten also davon ausge-
hen, dass ihre Kinder im Rahmen des Kindergartenbesuchs bereits ausreichende Anregungen
für ihre motorische Entwicklung erhalten. Die Nutzung weiterer organisierter Freizeitaktivitä-
ten als auch der Besuch einer Kindertagesstätte werden deshalb ebenfalls berücksichtigt.

5
  Der Vater ist dabei nicht zwingend der biologische Vater, sondern diejenige männliche Person, mit der die
Mutter eine Haushaltsgemeinschaft bildet. Wir gehen davon aus, dass diese Bezugsperson einen höheren Ein-
fluss auf die kindliche Sportnutzung hat als ein getrennt von Mutter und Kind lebender biologischer Vater.
6
  Der Tabak- und Alkoholkonsum beider Elternteile wurde in einer früheren Version der Analyse ebenfalls ein-
bezogen. Hier stellten sich aber keine Zusammenhänge zum Sporttreiben des Kindes heraus, so dass diese In-
formationen aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht in die endgültige Analyse aufgenommen wurden.
7
  Der Migrationshintergrund des Kindes dürfte recht eng mit den sozioökonomischen Merkmalen als auch mit
bestimmten Lebensstilmerkmalen der Eltern korreliert sein. Familien mit Migrationshintergrund gehören in
Deutschland im Durchschnitt besonders häufig zu den bildungs- und einkommensarmen Schichten. Darüber
hinaus unterscheiden sich diese Familien aber oft auch kulturell von der deutschen Bevölkerung – man denke an
Werthaltungen, Religion oder Geschlechterrollen. Die Berücksichtigung des Migrationshintergrunds dürfte inso-
fern unabhängig von sozioökonomischen Merkmalen und Lebensstilmerkmalen einen zusätzlichen Beitrag zur
Erklärung der Unterschiede im Sporttreiben liefern.

                                                     9
4. Befunde

In einem ersten Schritt wird kurz berichtet, wie viele Kinder organisierte Sport- und Bewe-
gungsangebote nutzen und inwieweit sich die Teilnahmequoten nach sozialen Gruppen unter-
scheiden. Anschließend werden die eben vorgestellten Annahmen zur sozialen Strukturierung
der Teilnahme in einem multivariaten logistischen Regressionsmodell getestet.

(1) Nutzung von (früh-)kindlichen Sport- und Bewegungsangeboten: Insgesamt nehmen 41 %
der Vorschulkinder an einem organisierten Sportangebot teil. Dabei hängt die Nutzung dieser
Angebote stark mit dem Alter der Kinder zusammen: Kleinkinder unter zwei Jahren nehmen
nur sehr sporadisch am Kindersport teil, weil sie in ihrem Bewegungsrepertoire noch einge-
schränkt sind und Sportangebote für sehr kleine Kinder selten sind. Ihre Beteiligungsquote
liegt bei 15 %. Kinder, die älter als zwei Jahre sind, nutzen die Sportangebote deutlich häufi-
ger: Bereits ein Drittel der Kinder zwischen 24 und 36 Monaten nimmt an einem Angebot zur
Sport- und Bewegungsförderung teil (32 %); bis zum Alter von sechs Jahren steigt die Nut-
zung kontinuierlich auf etwa 60 % an. Etwas mehr Mädchen als Jungen sind in die Kinder-
sportangebote involviert (Abbildung 1).

Abbildung 1: Anteil der Jungen und Mädchen, die an einem (früh-)kindlichen Sport- und Be-
wegungsangebot teilnehmen, differenziert nach dem Alter des Kindes (in Monaten).

  75
                 Jungen          Mädchen                                                  65

  60
                                                                              51
                                                                  46                      56

  45
                                                                              46
                                                      32
                                                                  39
  30
                                                      31
                          20          21

  15                                  18
                          16
          6
          4
   0
       bis 6 Monate   6-12 Mo.    13-24 Mo.        25-36 Mo.   37-48 Mo.   49-60 Mo.   61-72 Mo.

Quelle: SOEP 2006 und 2008, eigene Berechnungen.

                                                    10
Tabelle 2: Überblick über die Nutzung (früh-)kindlicher Sport- und Bewegungsangebote.
                                           Teilnahme                                       Teilnahme
                                           am Sport                                        am Sport
 Eigenschaften des Kindes                                Weitere Aktivitäten des Kindes
 Junge                                      38.4 %       Besuch Kindertagesstätte
 Mädchen                                    42.7 %       - kein Besuch                      20.9 %
 Cramers V                                    .04*       - halbtags                         54.2 %
                                                         - ganztags                         45.6 %
 ohne Migrationshintergrund                 47.6 %
                                                         Tau-b                              .20***
 mit Migrationshintergrund                  27.0 %
 Cramers V                                  .20***       andere außerhäusl. Aktivität       61.0 %
                                                         keine andere Aktivität             34.1 %
 alte Bundesländer                          44.1 %
                                                         Cramers V                          .23***
 neue Bundesländer                          28.7 %
 Cramers V                                  .13***
 Sozioökonomischer Hintergrund                           Lebensstilmerkmale
 der Eltern                                              der Eltern
 Ausbildung der Mutter                                   Mutter: sportliche Aktivität
 - keine Berufsausbildung                   21.1 %
                                                         - treibt nie Sport                 28.2 %
 - beruflichen Abschluss                    43.6 %
                                                         - seltener als 1x/Mo. Sport        36.7 %
 - Hochschulabschluss                       51.6 %
                                                         - mind. 1x pro Monat Sport         44.7 %
 Tau-b                                      .18***
                                                         - mind. 1x pro Woche Sport         56.8 %
 Erwerbstätigkeit der Mutter                             Tau-b                              .22***
 - nicht erwerbstätig                       30.7 %       Vater: sportliche Aktivität
 - geringfügig, teilzeiterwerbstätig        51.6 %       - treibt nie Sport
                                            43.9 %                                          32.3 %
 - vollzeiterwerbstätig                                  - seltener als 1x/Mo. Sport
                                            .17***                                          37.8 %
 Tau-b                                                   - mind. 1x pro Monat Sport         43.9 %
 Haushaltseinkommen                                      - mind. 1x pro Woche Sport         52.0 %
 - 1. Fünftel (unter 11 658 €)              23.0 %       Tau-b                              .15***
 - 2. Fünftel (11 658 – 14 795 €)           31.6 %       Mutter: gesunde Ernährung
 - 3. Fünftel (14 796 – 18 454 €)           43.8 %       - achtet nicht auf Ernährung       19.0 %
 - 4. Fünftel (18 455 – 24 237 €)           48.2 %       - achtet z.T. auf Ernährung        41.1 %
 - 5. Fünftel (über 24 238 €)               56.4 %       - achtet sehr auf Ernährung        44.0 %
 Tau-b                                      .22***       Tau-b                               .06**
 Bezug staatlicher Transferleistungen       22.0 %       Vater: gesunde Ernährung
 kein Bezug von Transferleistungen          44.6 %       - achtet nicht auf Ernährung       30.3 %
 Cramers V                                  .18***       - achtet z.T. auf Ernährung        43.5 %
 Anzahl der Bücher im Haushalt                           - achtet sehr auf Ernährung        40.7 %
 - weniger als 50 Bücher                    31.1 %       Tau-b                                .06*
 - 50 bis 500 Bücher                        52.2 %
 - mehr als 500 Bücher im HH                58.1 %
 Tau-b                                      .19***

Quelle: SOEP 2006 und 2008, eigene Berechnungen. Angegeben sind Prozentwerte, Assoziationsmaße
(Cramers V, Kendalls Tau-b) sowie deren Signifikanz mit +/*/**/*** = p
ren Anzahl an Büchern im Haushalt erhöht sich signifikant der Anteil der Kinder, die Sport
treiben. Gleiches gilt für Kinder von Eltern, die gesundheitsbewusst leben: Kinder, deren El-
tern selbst regelmäßig aktiv Sport treiben, sind ebenfalls zu einem deutlich höheren Prozent-
satz in den Kindersportgruppen vertreten. Der Zusammenhang zwischen der Teilnahme am
Kindersport und dem Ernährungsbewusstsein der Eltern ist bivariat allerdings eher schwach
ausgeprägt, deutet aber zumindest in die erwartete Richtung.

Blickt man auf die soziodemografischen Merkmale, zeigen sich neben dem starken Altersef-
fekt zwei weitere beachtenswerte Zusammenhänge: Es wird eine deutliche Prozentsatzdiffe-
renz für Kinder mit bzw. ohne Migrationshintergrund sowie für Kinder aus Ost- bzw. West-
deutschland ausgewiesen. Der Besuch einer Tagesbetreuungseinrichtung bzw. die Teilnahme
an anderen außerhäusigen Aktivitäten werden positive Zusammenhänge mit der Nutzung von
Kindersportangeboten angezeigt. Kinder, die einen Kindergarten besuchen oder einer anderen
organisierten Freizeitaktivität nachgehen, treiben besonders oft Sport.

(2) Erklärung von Unterschieden in der Nutzung von Kindersport-Angeboten: In drei logisti-
schen Regressionsanalysen wird nun geprüft, inwieweit die Teilnahme an Sport- und Bewe-
gungsaktivitäten einer sozialen Strukturierung folgt (Tabelle 3). Modell 1 enthält neben den
soziodemografischen Merkmalen der Kinder die sozioökonomischen Hintergrundmerkmale
der Eltern. Das erste Modell prüft insofern, inwieweit ‘harte’ soziale Ungleichheiten die Teil-
nahme der Kinder am Sport beeinflussen. In Modell 2 werden dann zusätzlich gesundheitsre-
levante Lebensstilmerkmale der Eltern berücksichtigt. Diese Merkmale sind, wie wir argu-
mentiert haben, den sozioökonomischen Merkmalen kausal nachgeordnet. Schließlich wird
ein drittes Modell berechnet, in dem zusätzlich der Kindergarten-Besuch als unabhängige
Variable aufgenommen wird und nichtsportliche organisierte Aktivitäten der Kinder (Musik,
Malen, Eltern-Kind-Gruppen) berücksichtigt werden.8

(a) Soziodemografische Merkmale des Kindes: Starke Effekte werden in allen Modellspezifi-
kationen für das Alter und den Migrationshintergrund ausgewiesen: Ältere Kinder nehmen
signifikant häufiger als jüngere Kinder am Kindersport teil und Kinder mit einem Migrations-
hintergrund seltener als deutsche Kinder. Die Unterrepräsentation von Migranten im organi-
sierten Sport ist also bereits bei Kindern im Vorschulalter zu erkennen. Darüber hinaus zeigt
sich, dass die Sportangebote öfter von Kindern aus den alten Bundesländern genutzt werden
als von Kindern aus den neuen Ländern. Zumindest der Tendenz nach nehmen Kinder mit
weniger Geschwistern sowie Mädchen im Vergleich zu Jungen eher an den Sportangeboten
teil. Beide Effekte sind allerdings recht schwach und werden im Modell 3 nicht mehr als sig-
nifikant ausgewiesen.

8
  In den Modellen weisen wir Logit-Koeffizienten aus, welche die Veränderung des (logarithmierten) Wahr-
scheinlichkeitsverhältnisses angeben, dass ein Kind an einem organisierten Sportangebot teilnimmt. In unseren
Kommentierungen geben wir an Stelle der abstrakten Logit-Koeffizienten punktuell Wahrscheinlichkeitsverän-
derungen an, mit denen sich die Stärke der Effekte leichter illustrieren lässt.

                                                     12
(b) Sozioökonomische Merkmale der Eltern: Im ersten Modell, das von den Eigenschaften der
Eltern nur die sozioökonomischen Merkmale enthält, bestätigen sich nahezu alle Annahmen,
die wir vorab formuliert haben: Die Teilnahme der Kinder am Sport steigt signifikant, wenn
die Eltern über größere ökonomische und kulturelle Ressourcen verfügen: Mit höherer Bil-
dung der Mutter, einem höheren Haushaltseinkommen und einer größeren Menge an Büchern
im Haushalt steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder (früh-)kindliche Sportangebote
nutzen. Es wird deutlich, dass die Teilnahme von Vorschulkindern am Kindersport hypothe-
senkonform deutlich von der sozioökonomischen Stellung ihrer Eltern beeinflusst wird.9 Wie
die weiteren Modellierungsschritte aber deutlich machen, werden diese Effekte über den Le-
bensstil der Eltern vermittelt: Die Effekte des Haushaltseinkommens und der Bücheranzahl
werden erheblich gedämpft und erweisen sich auch nicht mehr als statistisch signifikant, wenn
im Modell 2 gesundheitsbezogene Lebensstilmerkmale der Eltern berücksichtigt werden. Ein-
zig das Bildungsniveau der Mutter behält auch unter Kontrolle des Lebensstils einen starken,
signifikanten Effekt auf die Teilnahme der Kinder an den Sportangeboten. Weiterhin ist fest-
zuhalten, dass der Bezug staatlicher Transfers keinen signifikanten negativen Effekt auf die
sportlichen Aktivitäten des Kindes hat. Die damit einhergehenden Nachteile sind offenbar –
fast vollständig – in den Einkommensunterschieden mit abgebildet.

Eine Vollzeiterwerbstätigkeit der Mutter hat – entgegen unserer Vermutung – keinen negati-
ven Effekt auf die Sportchancen des Kindes. Die Teilnahme der Kinder am Kindersport wird
vom Erwerbsstatus der Mutter nicht signifikant beeinflusst. Zumindest der Tendenz nach
scheint sich eine Vollzeiterwerbstätigkeit leicht negativ, eine geringfügige oder Teilzeiter-
werbstätigkeit hingegen leicht positiv auf die Teilnahmechance auszuwirken. Beide Effekte
passen zu unserer Argumentation, lassen sich aber nicht gegen den Zufall absichern.

(c) Lebensstilmerkmale der Eltern: Im zweiten Modell werden zusätzlich zwei gesundheitsre-
levante Lebensstilmerkmale mit aufgenommen: das Sporttreiben und das Ernährungsbewusst-
sein beider Eltern. Für die sportlichen Aktivitäten ergeben sich die postulierten Zusammen-
hänge: Treiben Mutter und Vater regelmäßig (mindestens einmal pro Woche) Sport, steigt die
Chance erheblich, dass auch die Kinder am Kindersport teilnehmen. Geht man davon aus,
dass 30 % aller Kinder an (früh-)kindlichen Sportangeboten teilnehmen, deren Eltern beide
keinen Sport treiben, dann ergibt sich – unter sonst gleichen Bedingungen – auf Basis des
zweiten Modells eine Wahrscheinlichkeit von 59 % für jene Kinder, deren Eltern beide re-
gelmäßig selbst Sport treiben.10 Damit gehört die sportliche Aktivität der Eltern mit zu den

9
  Nimmt man beispielsweise an, dass 25 % aller Kinder am Kindersport teilnehmen, wenn sie zum einkommens-
schwächsten Fünftel der Bevölkerung gehören, im Elternhaus weniger als 50 Bücher zur Verfügung stehen und
die Mutter formal niedrig gebildet ist, dann ergibt sich laut Modell 1 für jene Kinder, die in einem Haushalt
aufwachsen, der zum einkommensstärksten Fünftel gehört, in dem es viele Bücher gibt und die Mutter einen
akademischen Abschluss erworben hat – ceteris paribus – eine entsprechende Wahrscheinlichkeit von 65 %.
10
   Wir haben für diese Berechnung eine Wahrscheinlichkeit für die Teilnahme am Kindersport für die Referenz-
gruppe (hier: Kinder, deren Eltern beide keinen Sport treiben) festgelegt, die mit 30 % in etwa realistisch ange-
setzt ist (vgl. dazu auch Tabelle 2). Nach dieser von uns getroffenen Festlegung lässt sich auf Basis der Logit-

                                                      13
stärksten Einflussfaktoren, durch die sich eine Teilnahme von Kindern am Kindersport erklä-
ren lässt. Die sportlichen Aktivitäten der Mutter sind offenbar wichtiger als das Sporttreiben
des Vaters: Mütter sind für kleine Kinder die wichtigere Bezugsperson und haben damit grö-
ßere Vorbildfunktion, weil sie in den meisten Familien mehr Zeit als die Väter mit den Kin-
dern verbringen. Insofern ist der stärkere mütterliche Einfluss plausibel.

Das Bewusstsein für eine gesunde Ernährung als Indikator für einen gesundheitsbewussten
Lebensstil scheint – entgegen der Hypothese – für das Sporttreiben der Kinder nicht relevant
zu sein, denn es ergeben sich keine konsistenten, signifikanten Zusammenhänge.

(d) Weitere Aktivitäten des Kindes: Für den Besuch einer Kindertagesstätte und die Teilnahme
an anderen, nichtsportlichen Aktivitäten ergeben sich starke, positive Zusammenhänge. Der
halb- oder ganztägige Besuch einer Kindertagesstätte führt nicht dazu, dass die Kinder weni-
ger oft an außerhäusigen Sportangeboten teilnehmen. Im Gegenteil: Die Wahrscheinlichkeit
einer Teilnahme steigt signifikant. Dies gilt ebenso für andere organisierte Aktivitäten in Mu-
sik-, Mal- oder Eltern-Kind-Gruppen, was darauf schließen lässt, dass es besonders aktive
Kinder (bzw. aktive Eltern) gibt, die an mehreren organisierten Aktivitäten zugleich teilneh-
men. Statt davon auszugehen, dass unterschiedliche Angebote um die (knappe) Zeit der Kin-
der (bzw. ihrer Eltern) konkurrieren, ist vielmehr von einer Koexistenz von Freizeitorten und
organisierten Freizeitaktivitäten auszugehen. Legt man die Teilnahmewahrscheinlichkeit am
Kindersport für ein Kind, das keine weiteren außerhäusigen Angebote nutzt, auf 30 % fest,
würde sich unter Konstanz aller weiteren Merkmale eine Wahrscheinlichkeit von 53 % für
jene Kinder ergeben, die mindestens einer nichtsportlichen organisierten Aktivität nachgehen.

Modell 3 erreicht eine sehr gute Modellgüte (Pseudo-R² = .23), was darauf schließen lässt,
dass wir substanzielle Einflussfaktoren auf die Teilnahme am Kindersport abbilden konnten.
Das Alter des Kindes und die sportlichen Aktivitäten der Eltern sind die erklärungsstärksten
Merkmale. Die sozioökonomischen Lebensbedingungen wirken dagegen vornehmlich im
Hintergrund: Ihr Einfluss wird, wie der Vergleich der Modelle 1 und 2 nahe legt, weitestge-
hend über das Sporttreiben der Eltern vermittelt.

Koeffizienten im Modell 2 die Wahrscheinlichkeit schätzen, mit der ein Kind am Kindersport teilnimmt, wenn
beide Elternteile selbst mind. einmal in der Woche Sport treiben. Diese Wahrscheinlichkeit liegt dann bei 59 %.

                                                      14
Tabelle 3: Erklärungsmodell zur Nutzung (früh-)kindlicher Sport- und Bewegungsangebote.

                                                                Teilnahme am Kindersport
                                                           Modell 1       Modell 2        Modell 3
 Eigenschaften des Kindes
 Mädchen                                                      0.24*           0.21+              0.19
 Alter des Kindes (in Monaten)                             0.04***         0.04***         0.03***
 Kind mit Migrationshintergrund                           -0.65***        -0.56***         -0.49**
 Wohnort alte Bundesländer                                 0.74***         0.65***         0.75***
 andere Kinder im Haushalt                                   -0.18*         -0.17*               -0.11
 Sozioökonomische Hintergrundmerkmale
 Ausbildung Mutter (Ref.: keine Ausbildung)
    Mutter hat beruflichen Abschluss                        0.41**           0.39*           0.38*
    Mutter hat Hochschulabschluss                          0.80***         0.70***         0.67***
 Erwerbstätigkeit Mutter (Ref.: nicht erwerbstätig)
    Mutter ist vollzeiterwerbstätig                           -0.17           -0.20              -0.18
    Mutter ist teilzeit-/geringfügig erwerbstätig              0.21            0.17               0.15
 Haushaltsnettoeinkommen (Ref.: 1. Fünftel)
    2. Fünftel (11 658 – 14 795 €)                             0.05            0.03              -0.06
    3. Fünftel (14 796 – 18 454 €)                             0.25            0.18               0.07
    4. Fünftel (18 455 – 24 237 €)                             0.40            0.28               0.19
    5. Fünftel (über 24 238 €)                                0.53*            0.36               0.15
 Bezug staatlicher Transferleistungen                         -0.22           -0.14              -0.10
 Bücher im Haushalt (Ref.: bis 50 Bücher)
   50 bis 500 Bücher im HH                                    0.37*           0.29+               0.23
   mehr als 500 Bücher im HH                                   0.14            0.11              -0.01
 Lebensstilmerkmale der Eltern
 Sportliche Aktivität (Ref.: macht nie Sport)
    Mutter seltener als 1x/Monat Sport                                         0.21            0.19
    Mutter mind. 1x pro Monat Sport                                           0.44+           0.45+
    Mutter mind. 1x pro Woche Sport                                        0.81***         0.76***
    Vater seltener als 1x/Monat Sport                                          0.04            0.01
    Vater mind. 1x pro Monat Sport                                             0.08            0.09
    Vater mind. 1x pro Woche Sport                                            0.39*           0.39*
 Ernährungsbewusstsein (Ref.: gibt nicht acht)
    Mutter achtet sehr auf gesunde Ernährung                                  -0.26              -0.23
    Mutter achtet zum Teil auf gesunde Ernährung                              -0.20              -0.15
    Vater achtet sehr auf gesunde Ernährung                                    0.04               0.15
    Vater achtet zum Teil auf gesunde Ernährung                                0.13               0.05
 Weitere Aktivitäten des Kindes
 Besuch Kindertagesstätte (Ref.: kein Kita-Besuch)
    halbtags in Kita                                                                         0.57*
    ganztags in Kita                                                                         0.57*
 andere außerhäusige Aktivität (außer Sport)                                               0.95***
 Pseudo-R² (nach McFadden)                                     0.17            0.20              0.23
Quelle: SOEP 2006 und 2008, eigene Berechnungen. N = 1 484. Angegeben sind Logit-Koeffzienten.
Signifikanzangaben: +/*/**/*** = p
5. Resümee

In unserem Beitrag haben wir die Teilnahme von Vorschulkindern an organisierten Sport- und
Bewegungsangeboten untersucht und dabei insbesondere soziale Ungleichheiten in den Blick
genommen. Was für andere Altersgruppen, insbesondere für Schulkinder und Jugendliche,
bereits belegt ist, gilt demnach auch für Vorschulkinder: Kinder aus bildungs- und einkom-
mensarmen Familien nehmen seltener an organisierten Sportangeboten teil als Altersgleiche
aus sozial privilegierten Familien. Sportengagements werden also über familiäre Sozialisati-
onsprozesse sozial vererbt. Die Eltern sind dabei die entscheidenden Impulsgeber: Wenn
Zwei- und Dreijährige, aber auch Sechsjährige am organisierten Sport teilnehmen, erklärt sich
das nicht nur aus den eigenen Wünschen und Bedürfnissen der Kinder, sondern vielmehr aus
den Einstellungen und Werthaltungen der Eltern zum Sport und zur Bewegung sowie aus den
Ressourcen, die sie in die Bewegungsförderung ihrer Kinder investieren. In unserer Analyse
haben wir diesen Erklärungszusammenhang geprüft und konnten dabei wesentliche Aussagen
empirisch untermauern. Sozioökonomische Hintergrundbedingungen sind direkt und indirekt
mit der Nutzung von Kindersport-Angeboten verkoppelt: Sozial privilegierte, bildungs- und
einkommensstarke Eltern sind häufiger selbst sportlich aktiv und sportlich aktive Eltern regen
ihre Kinder häufiger dazu an, Sport zu treiben bzw. melden sie öfter in organisierten Kinder-
sportgruppen an. Kinder, die in diesen Gruppen früh in ihrer motorischen Entwicklung geför-
dert werden, dürften auch nach dem Eintritt in die Schule öfter Sport treiben und auch am
Schulsport größeren Gefallen finden.

Die Ergebnisse besitzen auch sozialpolitische Relevanz. Im organisierten Kindersport sind
jene Kindergruppen unterrepräsentiert, die allgemein als benachteiligt gelten: Kinder aus bil-
dungsfernen und ärmeren Sozialschichten sowie Kinder aus Migrantenfamilien. Der Kinder-
sport ist damit kein Handlungsfeld, das besonders offen ist und insofern prädestiniert dafür
wäre, bestehende soziale Ungleichheiten zumindest stückweise abzubauen. Stattdessen ist die
Teilnahme am Kindersport sozial selektiv: Die bekannten und zu erwartenden Muster zeigen
sich bereits bei Kindern unter sechs Jahren. Weil diese Kinder aus sozial benachteiligten Fa-
milien in ihren Sport- und Bewegungsgelegenheiten weniger stark gefördert werden, dürften
ihnen wichtige Impulse für ihre motorische Entwicklung und möglicherweise auch, wie ange-
nommen wird, für ihre Persönlichkeitsentwicklung vorenthalten bleiben. In diesem Zusam-
menhang ist allerdings bemerkenswert, dass Kinder aus Haushalten, die Transferleistungen
wie Arbeitslosengeld II erhalten, nicht allein deswegen weniger häufig sportlich aktiv sind. Es
scheint also keine ‘Hartz IV-Kultur‘ zu geben, die die Kinder vom Sport abhält.

Damit die Angebote zur kindlichen Sport- und Bewegungsförderung in einem etwa gleichen
Umfang von allen Bevölkerungsgruppen genutzt werden können, scheinen sozialpolitische
Interventionen in mehrerer Hinsicht angeraten: Die direkten und indirekten Kosten, die durch
eine Teilnahme entstehen, treffen ärmere Familien besonders stark. Amerikanische Interven-
tionsstudien konnten nachweisen, dass bei armen Familien eine Erhöhung des Haushaltsein-

                                              16
kommens zu einer stärkeren Beteiligung der Kinder an organisierten Sport- und Freizeitaktivi-
täten führte (vgl. Bos et al., 1999). Auf der anderen Seite existieren auch kulturelle Zugangs-
schwellen für Kinder aus sozial benachteiligten Familien, durch die eine Teilnahme am Kin-
dersport be- oder verhindert werden kann. Es ist zu vermuten, dass Sport in diesen Familien
als weniger relevant für kindliche Entwicklungsprozesse erachtet wird; die regelmäßige,
strukturierte und angeleitete Ausübung von Bewegung und Sport in organisierten Kontexten
als weniger wichtig angesehen wird; oder auch die Begleitung der Kinder zum Sport und die
Unterstützung beim Sport als mühevoll und unbequem erlebt werden. Eltern dürften auf Be-
wegung und Sport eher achten und Unterstützung eher aufbringen, wenn sie selbst sportlich
aktiv sind, sportlicher Betätigung einen hohen subjektiven Wert beimessen und dies regelmä-
ßig ‘am eigenen Leib’ spüren und erleben. Darüber hinaus hat der Besuch einer Kindertages-
stätte positive Auswirkungen auf die sportlichen Aktivitäten der Kinder (vgl. Schmiade &
Spieß, 2010). Mit dem Ausbau von Kindertageseinrichtungen dürften sich nachteilige familiä-
re Einflüsse insofern ein Stück weit kompensieren lassen.

Zum Schluss sei auf die weiteren Analysemöglichkeiten hingewiesen, die eine Längsschnitt-
studie wie das SOEP bietet: für die hier untersuchten Kinder liegen die Informationen über
außerhäusige sportliche Aktivität auch für 2010 wieder vor.11 Zudem werden in zweijährigem
Rhythmus in spezifischen, altersangepassten Kinderfragebögen Informationen über Entwick-
lungsstand und Aktivitäten der Kinder erhoben. Die Kinder aus SOEP-Haushalten werden als
Jugendliche selbst zu Befragungspersonen und geben dann Auskunft über Art und Umfang
ihrer sportlichen Aktivitäten – damit können die heutigen Vorschulkinder in ihrem Entwick-
lungsprozess beobachtet werden. Es lässt sich also nicht nur die soziale Vererbung von Spor-
tengagements, sondern auch das Sporttreiben im Lebenslauf analysieren.

Fazit: Der Beitrag hat gezeigt, dass die Teilnahme von Vorschulkindern am Kindersport so-
zial selektiv ist. Kinder aus privilegierten Elternhäusern, deren Eltern selbst häufiger Sport
treiben, sind mit größerer Wahrscheinlichkeit in Kindersportgruppen vertreten. Es ist sicher-
lich wünschenswert, Angebote zur Sport- und Bewegungsförderung stärker für Kinder aus
weniger privilegierten Familien zu öffnen. Hierfür wären zum einen die finanziellen Zu-
gangsschwellen zu senken, und zwar nicht nur für die Kinder, sondern auch für deren Eltern:
Könnten letztere stärker in den Sport eingebunden werden, würden sie damit zugleich auch
als sportliche Vorbilder für ihre Kinder fungieren. Zum anderen dürften statt finanzieller
Transferleistungen insbesondere solche sozialstaatlichen Leistungspakete wirksam sein, die
direkt auf die Kinder abzielen, wie zum Beispiel Gutscheine. Diese Realtransfers sollten
nach Möglichkeit aber nicht strikt an den Bezug von Sozialleistungen gekoppelt sein, da
schon ein niedriges Erwerbseinkommen per se (vermittelt über die geringere Sportaktivität
der Eltern) zu einer geringeren Sportteilnahme der Kinder führt.

11
  Prinzipiell wäre auch für die hier untersuchten Vorschulkinder eine längsschnittliche Analyse denkbar, die
beispielsweise Prävalenzen und Ursachen von Transitionen zwischen Sport und Nicht-Sport untersucht. Im hier
verwendeten Datensatz ist die Fallzahl derjenigen Kinder, für die in beiden Erhebungsjahren die Informationen
zum organisierten Sporttreiben vorliegen, für entsprechende multivariate Analysen aber deutlich zu niedrig.

                                                     17
Sie können auch lesen