"Sprache - Identität - Grenzen" - 17.-19. Mai 2021 via Zoom - Andrássy Universität Budapest
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Andrássy Gyula Deutschsprachige Universität Budapest Doktoratskolleg für mitteleuropäische Geschichte H-1o88 Budapest, Pollack Mihály tér 3. Ph.D.-Programm Tel. | + 36 1 266 3101 | Fax | + 36 1 266 3099 E-Mail | doktorandentagung.meg@andrassyuni.hu www.andrassyuni.eu „Sprache – Identität – Grenzen“ 17.–19. Mai 2021 via Zoom 9. Internationale Doktorandentagung an der Andrássy Universität Budapest organisiert vom Doktoratskolleg für Mitteleuropäische Geschichte 1 „Steirische Völkertafel“, 18. Jahrhundert Im Fokus der 9. Internationalen Doktorandentagung des Doktoratskollegs für Mitteleuropäische Geschichte an der Andrássy Universität Budapest stehen drei zentrale Begriffe im Kontext mitteleuropäischer Geschichte: Sprache, Identität und Grenzen. Die Sprache, in der wir sozialisiert werden, prägt unser Denken, unsere Wertehaltungen, ganz allgemein Vorstellungen von der Welt. Eine gemeinsame Sprache kann Menschen verbinden, uns aber auch von anderen abgrenzen. Sie kennt Tabus und gesellschaftliche Codes und definiert, was wir wie verstehen. Sie ist grenzüberschreitend und hat eine sozial differenzierende Funktion im jeweiligen Kulturraum. Sprache verändert sich im Lauf der Geschichte und die Geschichte verändert die Sprache. Sprachverbote in Zusammenhang mit historischen Ereignissen haben sogar Eingang in Staatsverfassungen gefunden. Dass der Sprache eine große politische Wirkmacht zugeschrieben wird, zeigen Zensur und Bücherverbrennungen, ebenso die verschiedenen Versionen von Geschichtsbüchern, in denen jeweils unterschiedliche Narrative forciert werden. In der Vergangenheit und auch heute bleibt der sprachliche Umgang mit Geschichte und Politik Zündstoff hitziger Debatten. Die Frage nach einer „mitteleuropäischen Identität“ macht deutlich, wie schwierig der Begriff zu fassen ist. Welche Parameter zur Bestimmung sollen herangezogen werden? Gibt man sich nicht 1 Ausschnitt, Original im Volkskundemuseum Wien (ÖMV/30.905) Foto: Birgit & Peter Kainz, CC BY-NC-SA
allein mit einem geografisch festgelegten Gebietsumfang zufrieden, stellt sich die Frage nach einer gemeinsamen Geschichte (Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie), nach gemeinsamen kulturellen Codes und Wirtschaftsbeziehungen, ebenso nach verschiedenen, von Historiker*innen vom späten 19. Jahrhundert bis zur Wende 1989 vorgeschlagenen Konzepten, die eine Region zwischen Ost und West definieren. Aber wo genau beginnt der Osten, wo der Westen und welche historischen, kulturellen und wirtschaftlichen Zuschreibungen verbinden sich mit diesen Konzepten von Mitteleuropa? Der Blickwinkel der Betrachtung spielt bei der Auffassung des Mitteleuropa- Begriffes eine zentrale Rolle. So ist Mitteleuropa aus der Sicht Deutschlands anders gefasst als das Mitteleuropa Österreichs. Bemühte man sich im Europa seit dem Mauerfall 1989 und dem Zerfall der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre vor allem um den Abbau von Grenzen und den Ausbau einer grenzenlosen Staatengemeinschaft, rückt am Beginn des 21. Jahrhunderts das Wiedererrichten von Grenzen ins Zentrum des politischen Interesses vieler mitteleuropäischen Staaten. Die Abgrenzung von fremden Gruppen und die Besinnung auf (vermeintlich) traditionelle Werte tragen zum Wiedererstarken des Nationalismus bei. Auf der Suche nach kultureller, nationaler und sprachlicher Identität übernehmen Grenzziehungen eine wichtige Funktion für die Orientierung in der Welt. Separierungstendenzen schwächen einen Staatenverbund, was auf die Habsburgermonarchie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ebenso zutraf wie auf das Europa von heute. Die Tagung findet von 17.–19. Mai 2021 via Zoom statt. Eine Anmeldung ist über die Webseite der Andrássy Universität Budapest möglich. 2
Montag, 17. Mai 2021 Anneliese Rieger und Viktória Muka, Organisatorinnen der Doktorandentagung Prof. Dr. Ellen Bos, Leiterin der Doktorschule und Prorektorin 10:00–10:30 Begrüßungsworte an der Andrássy Universität Budapest Prof. Dr. Dieter A. Binder, Leiter des Doktoratskollegs für Mitteleuropäische Geschichte an der Andrássy Universität Budapest Prof. Dr. Georg Grote, Senior Researcher am 10:30–11:00 Keynote Speech Forschungszentrum EURAC Research, Institut für Minderheitenrecht, Bozen/Bolzano Zeit Panel Moderation Vortragende Titel Zwischen Mittel- und Südeuropa: Angelika Südtirol als Grenzregion im Mitterhofer literarischen Kontext I. Grenzregion Prof. Dr. Georg Homiletische Transgressionen. 11:00–12:30 Daniel Tirol–Südtirol Grote Grenzziehungen und Grenz- Johannes überschreitungen in katholischen Huter Kriegspredigten aus Tirol (1790- 1809) 12:30–13:30 Mittagspause Viribus unitis? Was Kinder von ihrem ‚Vaterland‘ lernten. Identitätskonstruktionen Marlene zwischen Regionalismus und Horejs Gesamtstaatspatriotismus in und durch Volksschulbücher/n der II. Bildung, späten Habsburgermonarchie Herrschaft und MMag. Dr. phil. „Schulgeschichten vom Franz“ 13:30–15:00 Patriotismus in der Markus Martina oder wie transregional war die Habsburger- Roschitz Schmidinger habsburgische Schulbildung um 1867? monarchie „[...] das vor allen die teutsche Sprach allda solle vervielfältigt Benedikt werden“ – Zur Rolle des Stimmer Deutschen als Kultur- und Herrschaftssprache in Galizien 1772–1790 15:00–15:30 Kaffeepause Anneliese Sprachpolitik und Anerkennung Rieger „Ruhm und Ehre den gefallenen kroatischen Soldaten Mai 1945“: Martina Die Sprache der kroatischen MMag. Dr. phil. Mirković Erinnerungspolitik seit den III. 1990er Jahren 15:30–17:00 Markus Sprach(en)politik Fremdsprachenpolitik und Roschitz Identitätsmanagement. Zur Rekonstruktion der auswärtigen Karl Dieter Kulturpolitik zwischen Ungarn Uesseler und den beiden deutschen Staaten in der Zeit der Transformation (1984–2002) 3
Dienstag, 18. Mai 2021 Zeit Panel Moderation Vortragende Titel Sprache als Fanny Julia Identitätsmerkmal in der Orbán Operette IV. Identitäts- Zur Konstruktion von Ulrike konzeptionen Dr. Orsolya nationaler Identität in 09:00–10:30 Thumberger österreichischen Popsongs in/durch Musik Tamássy-Lénárt und Literatur Die Sathmarer Schwaben zwischen Selbstbehauptung, Răzvan Roșu konfliktärer und diffuser Identität 10:30–11:00 Kaffeepause Buch, Archiv, Raum. Versuch Thomas einer diffraktiven Lektüre Ballhausen von Franz Kafkas Tagebücher In eins geschrieben. IV. Identitäts- Zentraleuropäisches Lisa Dauth Ähnlichkeitsdenken bei Paul konzeptionen Dr. Orsolya 11:00–12:30 Celan in/durch Musik Tamássy-Lénárt Kulturelle Vielfältigkeit der und Literatur mitteleuropäischen Region. Interpretationsmöglichkeit Regina Goda der Romane Der Gipfeldieb von Radek Knapp und Mehr Meer von Ilma Rakusa 12:30–13:30 Mittagspause Die Rückkehr des Biedermeier in Zeiten der Pandemie? • Erzwungener sozialer Rückzug als Zäsur Offene Dr. Orsolya 13:30–15:00 und Chance für Wissenschaft und Künste Diskussion Tamássy-Lénárt • Veränderte Arbeitsmodalitäten und ihre Möglichkeiten für ein digitalisiertes, grünes Jahrhundert Mittwoch, 19. Mai 2021 Zeit Panel Moderation Vortragende Titel „Wir waren die Herrscher eines Reiches – Könige Maximilian Europas“. Europabilder im Kreter deutschen Rechtsrock von 1989 bis 2017 Die Ukraine in Mitteleuropa? Veronika Zur identitätsbildenden Rolle Dyminska der ukrainischen Emigration V. Europabilder der 1920er Jahre 09:00–11:00 Dr. Beáta Márkus und Migration „Zwischen Ost und West“. Die Matthias E. Imagination der Slavia im sla- Cichon wophilen Milieu der Zweiten Polnischen Republik (1918–38) „Brücken zwischen den Regionen?“ Kaufleute an den Robert Messen und Märkten der Scheele Handelsstraße „via regia“ in Ostmitteleuropa 1772-1815 11:00–11:30 Kaffeepause 4
Polarisierung der Gesellschaft in Krisen • Dogmatismus und Radikalisierungstendenzen als Gefahr Offene 11:30–12:30 Dr. Beáta Márkus für Gesellschaft und Demokratie Diskussion • Dialogbereitschaft und Diskursoffenheit als Grundfesten einer europäischen Identität 12:30–13:00 Verabschiedung Viktória Muka und Zeit für offene Fragen, Informationen zum Anneliese Rieger Tagungsband ♦ Keynote Speech, 17. Mai, 10:30–11:00 Georg Grote: Zum Verhältnis von Sprache und Identität – ein Vergleich zwischen Südtirol und Irland. Georg Grote ist Historiker und Senior Researcher am Institut für Minderheitenrecht an der EURAC in Bozen. Seine Forschungsgebiete umfassen die Transformation europäischer kollektiver Identitäten in der Neuzeit zwischen historischem Nationalismus und modernem Regionalismus sowie die Rolle von Erinnerung und Vergangenheitsbewältigung im Europa der Gegenwart. Er hat umfangreich zum irischen kulturellen Nationalismus im 19. und frühen 20. Jahrhundert publiziert und fokussiert sich seit Jahren auf die Regionalgeschichte Südtirols im internationalen Kontext und als Beispiel für europäische Entwicklungslinien im 20. Jahrhundert. Grote lehrte viele Jahre als Associate Professor für westeuropäische Geschichte am University College in Dublin und leitete das Institut of Languages, Cultures and Linguistics. Seit 2016 arbeitet er an der EURAC und verfasst gegenwärtig eine dreibändige Sozialgeschichte Südtirols. Sprache und Identität gehören scheinbar untrennbar zusammen. Im Idealfall, so sagte schon Ernst Moritz Arndt im Jahre 1813: “Die Sprache macht doch die wahre Grenze zwischen den Völkern…” und das ganze europäische 19. Jahrhundert mit seinem Ideal des Nationalstaates baut auf diesem Gedanken auf. Welche Rolle aber spielen Sprachen und Sprachbenutzung in modernen europäischen Kontexten? Wie wichtig ist uns unser linguistisch fokussiertes Deutschsein, wenn wir miteinander zwanglos in Englisch kommunizieren? Kein Problem anscheinend. Deutsch ist eine mächtige Sprache in Europa, in seiner Existenz vom Englischen wohl kaum bedroht. Aber wie sieht es im Europa des 21. Jahrhunderts mit Sprachen aus, die sich bedroht fühlen, wie mit nationalen Minderheiten, die sich im staatlichen Kontext vermittels ihrer Sprache behauptet haben und sich nun bedroht sehen. Welche Bedrohung für die kollektive Identität stellt die internationale Dominanz des Englischen für kleine Völker dar? 5
Ich möchte in meinem Beitrag viele Fragen stellen und statt profunder Antworten meine Beobachtungen zu zwei kollektiven Identitäten teilen, die ich gut kenne und deren Sprachbenutzung ich studiert und am eigenen Leib erlebt habe. Was als anekdotischer Beitrag aussieht, deckt dennoch mehrere Oktaven der Klaviatur der Sprachbenutzung heute – vor dem Hintergrund der national orientierten Geschichte Europas – ab. Da ist einerseits die Republik Irland, die sich 1922 als erste britische Kolonie vom Vereinigten Königreich lossagte und al seines ihrer stärksten Werkzeuge ihrer Unabhängigkeit die Existenz einer Sprache ins Feld führte, die beinahe ausgestorben und nun mühsam wiederbelebt wurde. Und da ist andererseits eine deutschsprachige Minderheit im Norden Italiens, die Südtiroler, die sich nach über 50 Jahren italienischer Dominanz Anfang der 70er Jahre auf ein Autonomiestatut einliess, dass die Existenz und die ungehinderte Weiterentwicklung dieses kulturellen Merkmals festschrieb. Das Umgehen mit dem Fremden, dem nicht-Heimatsprachlichen in beiden Fällen weist interessante Verhaltensmuster auf, die Rückschlüsse auf kollektive und individuelle Gegebenheiten, Ängste und Stärken der Sprachbenutzer zulassen. Und der Blick auf die Anderen hilft damit auch, unsere individuelle Sprachbenutzung zu beleuchten und auf unbewusste Motivationsmuster abzuklopfen... 6
♦ Grenzregion Tirol–Südtirol, 17. Mai, 11:00–12:00 Angelika Mitterhofer: Zwischen Mittel- und Südeuropa: Südtirol als Grenzregion im literarischen Kontext. Geboren 1990 in Meran. Nach Abschluss des Humanistischen Gymnasiums in Meran Studium der Germanistik und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der Universität Innsbruck. Gegenwärtig Dokoratsstudium der Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Innsbruck, Dissertation über die komplexen literarischen Räume in den Romanen von Sabine Gruber und deren Rezeption in internationalen Zeitungen und Zeitschriften. Mitglied des Doktoratskollegs Austrian Studies an der Universität Innsbruck. Forschungsschwerpunkte: Literatur des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts, insbesondere vor dem Hintergrund transkultureller und interdisziplinärer Fragestellungen. Als Südtirol nach dem Ersten Weltkrieg 1919 im Vertrag von Saint-Germain Italien zugesprochen wurde, resultierte daraus unter anderem, dass in den folgenden Jahren und Jahrzehnten Reflexionen und neue Zugänge zu Sprache(n), Identität(en) und Grenzen erforderlich wurden, und dies sowohl von deutsch- als auch von italienischsprachiger Seite. Südtirols stetiger Charakter einer Grenzregion zwischen Norden und Süden – konkreter zwischen Mittel- und Südeuropa – wurde nun noch evidenter. Anhand ausgewählter zweisprachiger Gedichte von Norbert Conrad Kaser (1947–1978) und Gerhard Kofler (1949–2005) sowie zweier neuerer Romane – nämlich Eva dorme/Eva schläft (2010) von Francesca Melandri und Stillbach oder Die Sehnsucht (2011) von Sabine Gruber – soll im Beitrag illustriert werden, wie komplex die Verknüpfungen Südtirols in den Süden (gemeint ist hier vor allem das südliche Italien) und in den Norden (hier vor allem Österreich) sind. Dies zeigt sich sowohl auf sprachlicher und poetologischer als auch auf thematischer und motivischer Ebene. Im Südtiroler Kontext können die Begriffe Sprache, Identität und Grenzen nicht isoliert betrachtet werden, sie sind vielmehr miteinander verknüpft, wie auch die ausgewählten literarischen Beispiele verdeutlichen. Die Verschiebung der Grenze im Jahr 1919 und die (nicht nur historischen) Verbindungslinien Südtirols in den Norden sowie in den Süden (ein Beispiel dafür ist auch die Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino) sind auch ein guter Ausgangspunkt, um über den Begriff Mitteleuropa zu diskutieren. Dieser kann nicht nur geografisch definiert werden (wo Österreich generell Teil Mitteleuropas ist und Italien zu Südeuropa gezählt wird), sondern auch historisch und kulturell, wobei das Beispiel Südtirol zeigt, dass diese Definition je nach Perspektive unterschiedlich ausfallen kann und nicht immer konstant bleiben muss. 7
Daniel Johannes Huter: Homiletische Transgressionen. Grenzziehungen und Grenz- überschreitungen in katholischen Kriegspredigten aus Tirol (1790–1809). Daniel Johannes Huter, MA MA, geboren 1990 in Innsbruck. Nach der Matura Studien der Geschichte und der Philosophie in Innsbruck und Wien. Derzeit Doktoratsstudium im Fach Geschichte am Institut für Österreichische Geschichtsforschung der Universität Wien mit einer Dissertation zum Verhältnis von Gegenaufklärung und Gewalt in katholischen Predigten aus Tirol um 1800. Daneben Forschungstätigkeit für das Museum „Haus am Schrofen“ (St. Leonhard im Pitztal/Tirol) mit Schwerpunkten zur regionalen Alltags-, Religions, und Photographiegeschichte. In meiner Dissertation analysiere ich katholische Kriegspredigten aus Tirol (1790 – 1809). In diesen Predigten werden diverse Grenzbegriffe sowie ihre Überschreitung adressiert, beginnend beim Predigen selbst, welches die Homiletiker im Nicht-Ort, den die Grenze selbst markiert, lokalisieren. Es oszilliert zwischen Immanenz und Transzendenz: der Prediger wird als homo Deus mixtus vorgestellt, die Kanzel als Ort zwischen Himmel und Erde schwebend, die Predigtsprache als Gotteswort im Menschenmund. Lokalisiert im Nicht-Ort der Grenze fungiert der Prediger als Grenzwächter, der die Gläubigen warnen und schützen soll, wobei das Außen als Region des Nichtchristlichen von den Predigern selbst definiert wird; er zieht die Grenzen selbst, die er bewacht. Außerhalb: Das revolutionäre Frankreich und die kriegerische Bedrohung durch dieses, die wiederum von den Predigern ursächlich mit der Aufklärungsphilosophie in Verbindung gebracht wird. Innerhalb: Das als geheiligtes Land bezeichnete Tirol, dessen politisch-theologische Ordnung auf katholischen Prinzipien beruht. Dabei wird Tirol als Land im Gebirge synonym mit dem Berg Zion, die Tiroler Nation in Analogie mit dem Volk Israel verstanden. Als höhere Ebene der Identifikation gilt nicht allen Predigern daher das Habsburgerreich, als dessen Teil sie Tirol bloß institutionell begreifen, sondern der europäische Katholizismus. Überschreitungen der Grenzen lassen sich v.a. an zwei Punkten aufzeigen. Einerseits in der performativ verstandenen Predigtsprache. Die Predigt gilt erst als vollendet, wurde ihr Inhalt von den Hörern in Tathandlungen umgesetzt, d.h. die Sprache vollendet sich im lebendigen Bild. Besonders deutlich zeigt sich dies, andererseits, im Martyrium, welches als heilssichernde imitatio Christi verstanden wird. Im Tod auf dem Schlachtfeld überschreitet der Gläubige diesen hin zum ewigen Leben, d.h. im Vollenden der Predigt im Kampf gegen Frankreich wird aus der Perspektive der Gläubigen die Grenze schlechthin, der Tod, überschritten, wodurch auch die Grenzen des 8
geheiligten Landes Tirol in das Jenseits verschoben werden: die Märtyrer als neue Fürsprecher bei Gott. ♦ Bildung, Herrschaft und Patriotismus in der Habsburgermonarchie, 17. Mai, 13:00–14:30 Marlene Horejs: Viribus unitis? Was Kinder von ihrem „Vaterland“ lernten. Identitätskonstruktionen zwischen Regionalismus und Gesamtstaatspatriotismus in und durch Volksschulbücher/n der späten Habsburgermonarchie. Studium an der Paris-Lodron-Universität Salzburg: Lehramt für die Unterrichtsfächer Geschichte, Sozialkunde & Politische Bildung und Deutsch – Diplomarbeit zur Habsburgermonarchie und Kinderliteratur: 2017 Prämie der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendliteraturforschung – Seit Oktober 2018 Universitätsassistentin (Dissertantin) für Österreichische Geschichte an der Paris-Lodron-Universität Salzburg: Dissertation zu Volksschullesebüchern der „späten Habsburgermonarchie“ und Verhandlungen um kollektive Identitäten – Kürzlich erschienen: „Ehrfurcht vor dem Kaiser [...] und Liebe zum gemeinsamen Vaterlande“: Imperial Patriotic Discourse in Cisleithanian Primary Schoolbooks, in: Austrian Studies 28 (2020), 79-95. Die Habsburgermonarchie war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägt von gesellschaftspolitischen Transformationsprozessen. Soziale Zugehörigkeiten und kollektive Identitäten wurden stetig neu verhandelt – neben zunehmenden Nationalisierungstendenzen wurde auch eine Stärkung eines imperialen Gesamtstaatsbewusstseins forciert. Der gesellschaftliche Diskurs war dabei von einer Gleichzeitigkeit und Komplexität geprägt, die unterschiedliche Konzepte und Narrative verschiedener Gruppenidentifikationen miteinander verknüpften – so schloss die Loyalität zu Kaiser und Reich nicht zwangsläufig eine Solidarisierung mit „nationalen“ Organisationen oder eine Bindung zu regionalen Traditionen aus. Vielmehr waren die einzelnen Diskurse miteinander verschränkt und wurden durch ähnliche narrative Strukturen bedient. Die Ausgestaltung derselben und wie eine solche Verknüpfung stattfand, ist jedoch verhältnismäßig wenig beforscht. In meinem Dissertationsprojekt widme ich mich eben jenen Fragen durch die Bearbeitung eines weitgehend unbeachteten Quellenkorpus: Anhand für die „cisleithanische“ Reichshälfte zugelassener Volksschulbücher in deutscher, italienischer und kroatischer Sprache wird die Ausgestaltung kollektiver Identitätskonstruktionen analysiert und Topoi und Motive herausgearbeitet, die eine Verbindung verschiedener Konzepte von Gruppenzugehörigkeiten ermöglichen. Für die Doktorandentagung an der AUB soll daraus besonders der Aspekt des 9
Verhältnisses zwischen Regionalismus und Gesamtstaatspatriotismus herausgegriffen werden. Wie wird in den und durch die Volkschulbücher/n regionale Verbundenheit mit einem Gesamtstaatsbewusstsein verwoben? Werden Regionalismus und Staatspatriotismus als dichotome Kategorien konstruiert oder – und wie – werden regionale Traditionen in den habsburgischen viribus unitis-Gedanken integriert? Welche Rolle spielt die Mehrsprachigkeit von Regionen „Habsburg Zentraleuropas“ (Feichtinger/Uhl)? „Das Land in dem dein Heimatort liegt, heißt Tirol; es ist dein Heimatland,“ beginnt beispielsweise der Lesebuchtext „Mein Heimatland“ aus einem Volksschulbuch für Tirol. „Im nördlichen und im mittleren Theile des Landes leben Deutsche, im südlichen Italiener, im östlichen auch Ladiner. Sie alle sind deine Landsleute. Unser Heimatland gehört [...] zu dem mächtigen Kaiserstaate Österreich. Österreich ist unser Vaterland und Kaiser Franz Josef unser Landesvater.“ (Franz Zeller, Lese- und Sprachbuch für allgemeine Volksschulen in Tirol. Zweiter Theil, Innsbruck 1901, S. 124) Martina Schmidinger: „Schulgeschichten vom Franz“1 oder wie transregional war die habsburgische Schulbildung um 1867? Mag. Martina Schmidinger absolvierte das Diplomstudium Slawistik/Tschechisch in Wien und Prag. Von 2016–2018 war sie Projektmitarbeiterin im SFB „Deutsch in Österreich“ (FWF F60) am Institut für Slawistik der Universität Wien. Seit September 2018 ist sie Universitätsassistentin im Kernfach Österreichische Geschichte (Inst. für Geschichtswissenschaften u. Europäische Ethnologie, LFU Innsbruck) und Sprecherin des Doktoratskollegs Austrian Studies in Innsbruck. Der Arbeitstitel ihrer Dissertation lautet: „Der deutsch-tschechische Nationalitätendiskurs in den niederösterreichischen Abtretungsgebieten. Sprachenpolitik im Schulwesen auf legistischer und medialer Ebene“. Vor der Dezemberverfassung von 1867 macht es den Anschein, als hätten Grenzen zwischen einzelnen Kronländern der Habsburgermonarchie für die Schulbildung im sekundären Sektor eine lediglich marginale Rolle gespielt. Die Bewegung innerhalb eines mehrsprachigen Raumes in Cisleithanien scheint bis zur Verrechtlichung des Umgangs mit Mehrsprachigkeit im Rahmen von Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes weitestgehend friktionsfrei abgehandelt worden zu sein. Dies legt den Schluss nahe, dass gesetzliche Verordnungen hinsichtlich Multiethnizität vermehrt Problemstellen zutage förderten, anstatt diese – wie eigentlich intendiert – zu reduzieren. Aufbauend auf Schulzeugnisse – vorliegend sowohl in deutscher als auch tschechischer Sprache –, 1 Die Titelgebung erfolgt in Anlehnung an die bekannten Kindererzählungen „Geschichten vom Franz“ der österreichischen Autorin Christine Nöstlinger (1936–2018). Der Band „Schulgeschichten vom Franz“ erschien 1987 und ist mit Ausnahme des Titels in keinerlei Weise mit dem Thema in Verbindung zu setzen. 10
die im Rahmen der Recherche für das Dissertationsvorhaben vom Stadtarchiv Gmünd zur Verfügung gestellt werden sowie weitere Archivalien aus dem südböhmischen Raum, wird versucht, den Bildungsweg des Kaufmannssohns Franz PLANK (1855–1937) aus dem niederösterreichischen (damals Österreich ob der Enns) Ort Siegharts (heute Groß-Siegharts) zu rekonstruieren, der die böhmische Unterrealschule in Třeboň/Wittingau und die Oberrealschule beziehungsweise Staatsrealschule in České Budějovice/Budweis um 1867 besuchte, den Zerfall der Habsburgermonarchie miterlebte, in der Ersten Österreichischen Republik einen beträchtlichen Teil seines Lebens zubrachte und dort verstarb, bevor der Nationalsozialismus schlussendlich zur nächsten Katastrophe führen konnte. Ein akteurszentriert-mikrogeschichtlicher Zugang eröffnet eine transregionale Perspektive auf multilinguales Unterrichtswesen und zeigt die Auswirkungen sprachenpolitischer Maßnahmen über (Kron-)Ländergrenzen hinweg. Anhand eines einzelnen Protagonisten aus dem Waldviertel, dem in Form einer dichten Beschreibung gefolgt wird, eröffnen sich die translokalen Verflechtungen im böhmisch-niederösterreichischen Raum. Rund um diesen Fall werden Quellen aus dem Schulwesen herangezogen und analysiert, die oben genannten Schulen untersucht und deren Unterrichtsrealität im Kontext sprachenrechtlicher Bestimmungen erläutert. Benedikt Stimmer: „[...] das vor allen die teutsche Sprach allda solle vervielfältigt werden“ – Zur Rolle des Deutschen als Kultur- und Herrschaftssprache in Galizien 1772–1790. Benedikt Stimmer studierte von 2013 bis 2019 Geschichte an der Universität Wien, mit einem Auslandssemester an der Universität Warschau im Wintersemester 2017/18; seit 2014 zusätzlich Studium der Deutschen Philologie (seit 2018 Masterstudium); Abschluss des Masterstudiums Geschichte mit einer Arbeit über die habsburgische Sprach- und Schulpolitik in Galizien 1772–1790 bei Prof. Thomas Winkelbauer; seit März 2020 Doktoratsstudium an der Universität Wien. Im Zuge der Ersten Teilung Polen-Litauens im Jahr 1772 fiel mit Galizien ein ausgedehntes und bevölkerungsreiches Gebiet an die Habsburgermonarchie, das den staatlichen Beamten wie auch der publizistischen Öffentlichkeit des Josephinismus von Beginn an als „innere Kolonie“ erschien. Vor dem Hintergrund der auf vielen Ebenen wirksamen Vorstellung einer Zivilisierungsmission in der östlichen Peripherie muss nicht zuletzt auch die imperiale Sprachpolitik betrachtet werden, die sich schon unter Maria Theresia eng mit der Expansion des staatlichen Schulwesens in der „revindizierten“, multiethnisch geprägten Provinz verband. Dem Deutschen, das in seiner normierten schriftsprachlichen Form auch in den alten habsburgischen Erblanden erst ab der 11
Jahrhundertmitte zur allgemeinen Durchsetzung gelangt war, wurde im Rahmen dieser Politik der Status einer Kultur- und Wissenschaftssprache zugeschrieben, während das Lateinische vielfach als veraltet zurückgewiesen und das Polnische auf den Rang einer Umgangssprache der niederen Schichten verwiesen wurde. Unter Joseph II. erreichte diese Entwicklung im Kontext der kaiserlichen Bemühungen um die Schaffung eines deutschsprachigen Einheitsstaates schließlich ihren allgemeinen Höhepunkt. Eine besondere Ausprägung erfuhr die volksaufklärerisch wie utilitaristisch motivierte Sprachpolitik, die in den 1780er Jahren immer stärker auch den Elementarschulbereich tangierte, im Bereich des jüdischen Schulwesens, in dem sich die Verbreitung des Deutschen explizit mit dem Wunsch nach einer sittlich-moralischen „Besserung“ der galizischen Juden verband. Das letztliche Scheitern dieser staatlichen Initiativen verdeutlichte neben dem Widerstand der jüdischen Gemeinden jedoch vor allem die Opposition des polnischen Adels, der in den folgenden Jahrzehnten eine weitgehende Zurückdrängung des Deutschen zugunsten des Polnischen im öffentliche Leben Galiziens erreichte. ♦ Sprach(en)politik, 17. Mai, 15:00–16:30 Anneliese Rieger: Sprachpolitik und Anerkennung. Studierte von 2008–2014 Philosophie an der Universität Wien und am UCC Cork, Irland mit den Schwerpunkten interkulturelle und politische Philosophie sowie Erkenntnistheorie. Abschluss (MA) 2014 mit der Masterarbeit „Die Anderen, Ich und Wir. Eine philosophische Untersuchung zwischenstaatlicher Anerkennungsbeziehungen“. 2015-2019 war sie Universitätslektorin (OeAD-Lektorin) im Fachbereich Germanistik an der Hefei Universität, China, an der Ersten Universität für Wissenschaft und Technologie Kaohsiung, Taiwan und an der UCD Dublin, Irland. Ihre Dissertation trägt den Titel: „Sprachpolitik - Eine Frage der Anerkennung?“ Seit Herbst 2019 ist sie Mitglied im Doktoratskolleg für Mitteleuropäische Geschichte und Doktorandin an der Interdisziplinären Doktorschule der Andrássy Universität Budapest. Unter Sprachpolitik lässt sich die zielgerichtete Intervention in die Entwicklung der Sprache(n) einer Gesellschaft verstehen. Man findet sie in allen gesellschaftlichen Bereichen – als politisches Instrument auf institutioneller Ebene, ebenso wie im Zwischenmenschlichen. In ihr spiegeln sich gesellschaftliche Verhältnisse, zivilisatorische Entwicklungsprozesse und ganz generell das Beziehungshafte zwischen Individuen wider. Der spezifische Sprachgebrauch des Einzelnen sowie innerhalb von kleineren und größeren Verbänden unterliegt Regeln des sozialen Miteinanders und macht Hierarchien sichtbar. Die Art der Ausgestaltung von Sprachpolitik ist somit ein Marker für das 12
Wie von Anerkennungsbeziehungen. Auf diese wird im Folgenden näher eingegangen, insbesondere auf den Moment der Selbstermächtigung durch Sprachpolitik und auf die Phänomene der Sprachgewalt und der Sprachwohltat. Selbstwirksamkeit bzw. Selbstermächtigung durch Sprachpolitik findet immer dann statt, wenn durch sprachliche Äußerungen bewusst bestimmte Kontexte hergestellt, verschoben oder neu geschaffen werden. Wenn ich spreche, trete ich als ganze Person auf. In ihr kommt meine Verfasstheit, mein Weltbild, meine Herkunft und meine Geschichte zum Ausdruck. Als Sprecherin habe ich die Macht, mich selbst innerhalb sozialer Strukturen zu positionieren. Sprachgewalt bedeutet nach G.W.F. Hegel einen Bruch von Kontinuität mit einem Gegenüber. Es handelt sich um das Verweigern von Teilhabe an einer gemeinsamen Welt. Durch eine sprachliche Herabwürdigung, wie das der Fall ist bei einer Beleidigung, Hassrede oder bei dem gezielten Ignorieren einer anderen Person, vollzieht sich ein Ausschluss aus einer Gemeinschaft. Hingegen sind Sprachwohltaten jene Formen von bewusst ausgeübter Sprachpolitik, die den anderen in ein positives Licht rücken. Der durch die gewählte Sprache geschaffene Kontext ist ein wohlwollender, der sich in Form von Lob und Anerkennung, ehrlichem Interesse an der anderen Person und einem konstruktiven Miteinander zeigt. Martina Mirković: „Ruhm und Ehre den gefallenen kroatischen Soldaten Mai 1945“: Die Sprache der kroatischen Erinnerungspolitik seit den 1990er Jahren. Martina Mirković studierte Geschichte (Bachelor of Arts) sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte (Master of Arts) an der Universität Wien. Seit Herbst 2017 ist sie Promotionsstipendiatin am Doktoratskolleg für Mitteleuropäische Geschichte an der Andrássy Universität Budapest und forscht zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des sozialistischen Jugoslawiens. Wenn Judith Butler annimmt, dass der „historische Verlust einer souveränen Machtorganisation die Phantasie ihrer Rückkehr [hervorbringt] – einer Rückkehr, die [...] in der Sprache stattfindet“ (Butler 2006:125), dann beschreibt sie mit dieser Annahme sehr präzise einen Aspekt der heutigen kroatischen Sprach- und vor allem Erinnerungspolitik: Um zu zeigen, dass die Unterschiede zwischen der kroatischen und der serbischen Sprache vor allem auch Ausdruck „tieferer“, „kultureller“ und „zivilisatorischer“ Unterschiede sind (Kordić 2010:9), wurde/wird in Kroatien seit den 1990er Jahren der sogenannte Sprachpurismus eingesetzt – die „Kroatizität“ [hrvatskost] sollte nach Jahrzehnten der „Serbisierung“ [posrbljavanje] wieder verstärkt werden (Skender 2013: 1). 13
Eben diesem Rückgriff auf die Geschichte kommt dabei eine zentrale Rolle zu, wodurch die Sprache, als eine „performative Handlung“, zu einem wesentlichen Bestandteil der kroatischen Erinnerungspolitik wurde. Im Rahmen des Vortrages soll am Beispiel der sogenannten Tragödie von Bleiburg [Bleiburška tragedija] gezeigt werden, wie die heutige Erinnerung an dieses Ereignis mittels Sprache instrumentalisiert wurde, dabei (nationalistische) Stereotype und Narrative bedient werden, um die „Kroatizität“ als Identität hervorzuheben: Wenn etwa kroatische Spitzenpolitiker*innen einen Kranz vor einem Grabstein mit der Inschrift „Ruhm und Ehre den gefallenen kroatischen Soldaten“, die „im Kampf für das Vaterland“ fielen, legen, und diesen damit auch gedenken, dann wird der Inskription des Grabsteines – als Sprache – eine „Handlungsmacht“ verliehen. Weiter noch: Indem das Gedenken an die kroatischen Soldaten des faschistischen Unabhängigen Staates Kroatiens aber in Verbindung gebracht wird mit dem Gedenken an jene Soldaten, die während des Krieges in den 1990er Jahren ebenfalls für ihr „Vaterland“ kämpften und starben, erlangen beide Ereignisse eine neue Bedeutung – eine neue „Realität, die zugleich auch eine Identität verleiht.“ (Butler 2006: 59). Dass dadurch diese neue „Realität“ von geschichtsrevisionistischen Tendenzen geprägt ist, soll im Rahmen des Vortrages gezeigt und diskutiert werden. Karl Dieter Uesseler: Fremdsprachenpolitik und Identitätsmanagement. Zur Rekonstruktion der auswärtigen Kulturpolitik zwischen Ungarn und den beiden deutschen Staaten in der Zeit der Transformation (1984–2002). Karl Dieter Uesseler, Doktorkandidat der AUB, Fachbereich Geschichte, besuchte die Doktorschule SS 2015 bis WS 2017/18. Absolutorium 2018. Erstes Staatsexamen Deutsche Sprache und Literatur (Germanistik) und Sozialkunde (Wissenschaft von der Politik) an der Philipps Universität Marburg, Zweites Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien am Studienseminar Fulda. Berufliche Tätigkeit: Lehrer für Deutsch und Sozialkunde am Gymnasium Nordenham; Lehrer für Deutsch als Fremdsprache und bilingualen Unterricht in Geschichte und Geographie am Kossuth-Lajos-Gimnázium Mosonmagyaróvár; Lektor für Deutsch an der Pädagogischen Hochschule in Budapest; Referent für die Deutschen Auslandsschulen in West- und Nordeuropa im Bundesverwaltungsamt – Zentralstelle für das Auslandsschulwesen - Köln; Fachberater für Deutsch und Koordinator des deutschen Lehrerentsendeprogramms in Ungarn. 14
Ungarns Neukonstruktion der internationalen Beziehungen vor und nach der Wende 1989/90 ergriff nicht nur die politischen Institutionen und das Wirtschaftssystem, sondern durchdrang alle Bereiche des sozialen Lebens und der Kultur. »International Relations« (IR) als Teildisziplin der Politikwissenschaften hat Modelle dafür entwickelt, dass Staaten an Einfluss auf andere Staaten gewinnen, ohne dass sie an Autonomie einbüßen. Diese »Soft power« bedient sich sowohl des traditionellen diplomatischen Prinzips der Reziprozität als auch moderner Konzepte von »Public diplomacy«. Als wirksames Mittel gilt die Attraktivität von Sprache und Kultur. Beabsichtigt ist, die politischen Akteure, in einem Klima kultureller Übereinstimmung, zur Übernahme von Zielen, Handlungskonzepten, Werten und Normen zu bewegen. Diese Diffusion setzt in der Gesellschaft auch Abwehrprozesse gegen Überfremdung in Gang, wie das Beispiel des Russischen als obligatorischer Fremdsprache im ungarischen Bildungswesen gezeigt hat. Die Auswärtige Sprachpolitik der beiden deutschen Staaten (Österreich muss hier außer Betracht bleiben) korrespondierte mit der ungarischen Sprachinnenpolitik. Zunächst begrenzt durch dieses Machtdreieck, nach der der deutschen Vereinigung im bilateralen Verhältnis, wurden im Hochschulwesen sowie im beruflichen und allgemeinen Bildungssystem neue Möglichkeiten zum Erwerb oder Erhalt des Deutschen geschaffen. Ohne Zweifel blühte der Kulturaustausch zwischen Deutschland und Ungarn in den 1990er Jahren auf. Für ein Jahrzehnt erreichte das Interesse an der deutschen Sprache die Nachfrage nach dem Englischen. Aber weitgehend unbemerkt von den Akteuren der auswärtigen Kulturpolitik und im Windschatten außenpolitischer Gemeinsamkeiten und prosperierender Wirtschaftsbeziehungen reagierte der nationale Identitätsdiskurs in Ungarn auf die deutsche »Soft-Power«. Im Rückgriff auf historische Kulturkämpfe richtete sich dieser vornehmlich gegen Deutsch als »imperiale« Sprache. ♦ Identitätskonzeptionen in/durch Musik und Literatur, 18. Mai, 9:00–12:30 Fanny Julia Orbán: Sprache als Identitätsmerkmal in der Operette. Fanny Orbán ist seit Herbst 2017 PhD-Studentin an der Andrássy Universität Budapest – dort Teil des Doktoratskollegs für Mitteleuropäische Geschichte finanziert vom österreichischen Bundes-ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Zuvor absolvierte sie ihren Bachelor in Hungarologie an der Universität Wien und der ELTE Budapest. Ihren Master in Mitteleuropäischen Studien – Diplomatie („Kulturdiplomatie“) an der Andrássy Universität schloss sie im Juni 2017 ab. Ihr Forschungsfeld sind die kulturellen Beziehungen der Nachfolgestaaten der Donaumonarchie – im speziellen Österreichs und Ungarns. Hier soll anhand des Beispiels 15
Operette in der Zwischenkriegszeit dargestellt werden, dass der – für Mitteleuropa so wichtige – Kulturraum Österreich-Ungarn auch nach Zerfall der Monarchie weiterhin aufrechterhalten werden konnte. Die Operette gilt als ein kulturelles Spezifikum der Donaumonarchie – in ihren Libretti versuchte sie zeitweise alle Völker und Ethnien der Monarchie anzusprechen. Genau diese Libretti sollen Mittelpunkt dieses Beitrags werden denn: durch die Sprache wurde auf der Bühne eine Lebenswelt erschaffen deren Ziel es war von allen Rezipienten (also von allen Völkern der Monarchie) verstanden zu werden. Es entstanden kulturelle und sprachliche Codes die Eingang gefunden haben in den (damalig) alltäglichen Sprachgebrauch – und in diesem teilweise bis heute erhalten geblieben sind; zu ihnen gehören teilweise auch Vorurteile. Ein anderer Aspekt, der behandelt werden soll, sind Übersetzungen von Libretti: nachdem Operetten stets in der offiziellen Sprache des Landes aufgeführt werden – zur einfacheren Verständlichkeit – werden diese, manchmal sogar mehrmals, übersetzt. Welche Unterschiede durch Übersetzungen entstehen können und wie sich diese möglicherweise nach dem neuen Publikum richtet soll aufgezeigt und erläutert werden. Ulrike Thumberger: Zur Konstruktion von nationaler Identität in österreichischen Popsongs. Ulrike Thumberger, geb. 1977 in Eutin (BRD). 1996-2006 Diplomstudium der Angewandten Sprachwissenschaft und Anglistik an der Universität Wien. 2007-2013 Forschungsassistentin am Institut für Österreichische Dialekt- und Namenlexika der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Seit 2018 OeAD-Lektorin an der Péter- Pázmány-Universität (Budapest/Piliscsaba). Seit 2019 Doktoratsstudium an der Péter- Pázmány-Universität (Budapest). In diesem Vortrag soll die Konstruktion von nationaler (und gegebenenfalls regionaler) Identität in österreichischen Popsongs diskutiert werden. Bei diesem Thema handelt es sich um ein geplantes Dissertationsprojekt. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Popsongs über ihre Texte dazu beitragen können, nationale Identität herzustellen, entweder auf direktem Weg oder über die Konstruktion von regionaler Identität. Die angewandte Methode ist die kritische Diskursanalyse. Wie Fairclough and Wodak (1997: 258) festhalten, lassen sich Diskurse als eine Form sozialen Handelns beschreiben, das sowohl von der Gesellschaft erzeugt als auch von ihr geformt wird. In diesem Sinne existieren auch Nationen nicht einfach bloß in oder durch sich selbst, sondern sind, nach Anderson (2006), “imagined communities”, also Gemeinschaften, die nur in der Vorstellung 16
ihrer Mitglieder existieren. Diesem Ansatz folgen auch de Cillia et al., die Nationen als “mentale Konstrukte” (1999: 153) bezeichnen, die für die Individuen, die in ihnen leben, aber dennoch sehr real sind. (Wodak et al. 2009: 22). Folglich ist nationale Identität ein Konstrukt, das durch Diskurse geschaffen wird (ebd.). Stuart Hall zufolge entstehen Nationen gewissermaßen durch ihre Geschichten, ihre Erinnerungen und ihre Bilder (1996: 613), und hier kann man nun hinzufügen: auch durch ihre Lieder. Nun werden Lieder nicht nur über Musik, sondern zu einem guten Teil über ihren Text wahrgenommen (Frith 1996: 159), und im Rahmen von Liedtexten werden im Allgemeinen nicht bloß Geschichten erzählt, sondern Diskurse transportiert, Diskurse über Identität (Machin 2010: 77). Dies führt direkt zum eigentlichen Vortragsthema: wie wird nationale Identität in Songs, konkret in Austropop-Songs, konstruiert? Zu diesem Zweck sollen in diesem Referat die Texte von 2-3 österreichischen Popsongs diskursanalystisch beleuchtet werden. Răzvan Roșu: Die Sathmarer Schwaben zwischen Selbstbehauptung, konfliktärer und diffuser Identität Studierte von 2010 bis 2013 Ethnologie und Geschichte an der Babeş Bolyai Universität Klausenburg (Rumänien). 2013 begann er Südosteuropastudien an der Friedrich Schiller Universität Jena zu studieren. 2015 schloss er das Masterstudium mit der Arbeit „Das Enklavisierungsphänomen in der großkaroler Gegend: Motzen und Schwaben “ ab. Seit 2017 ist er Mitglied des Doktoratskollegs für Mitteleuropäische Geschichte an der Andrássy Universität in Budapest. Geschwister aus der gleichen Familie, die verschiedene Identitäten annehmen und zu Ungarn und Schwaben bzw. Deutschen werden, Angehörige der gleichen Familie mit deutschen und ungarischen Namen, Personen, die sich als Deutsche bezeichnen, aber kein Wort Deutsch sprechen oder verstehen können: All dies sind Bilder einer paradoxen Situation, wie man sie im Sathmarer Raum finden kann. Bis heute bestehen je nach der jeweiligen Geschichtsschreibung unterschiedliche Konstrukte über Kultur und Identität der Sathmarer Schwaben. Die deutsche Geschichtsschreibung hat in den meisten Fällen versucht, die deutschen Elemente zu betonen, während die ungarische sich darauf konzentrierte, deutlich zu machen, warum die Sathmarer Schwaben sich als Ungarn erklären, und die rumänische sich stets bemühte, diesen Prozess als außergewöhnlich und anormal darzustellen. Eine komparative Perspektive, die diese drei verschiedenen Konstrukte und Sichtweisen analysiert und mit einander vergleicht, fehlt bisher vollkommen. 17
Die auf den ersten Blick paradoxal wirkende Situation der Identität der Sathmarer Schwaben hat mehrere historische Gründe. Zunächst einmal sind die Sathmarer Schwaben eine der kleinsten deutschen Minderheiten Rumäniens und daher in besonderem Maße der Akkulturation ausgesetzt. Ihre Vorfahren ließen sich zwischen 1712 und 1828 als Siedler aus Oberschwaben in mehr als 31 Sathmarer Gemeinden der Grafschaft von Károlyi Sándor nieder. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges waren viele Schwaben im Großkaroler Raum jedoch völlig „entschwabisiert“. Nach der Entstehung Großrumäniens ließen die rumänischen Behörden nichts unversucht, um die deutsche Kultur und Identität der Schwaben zu erhalten. So entstanden zwei Gruppen: (a) die magyarisierten Schwaben mit (mitunter irredentistischem) ungarischem Bewusstsein, und (b) diejenigen, die ihre schwäbische/deutsche Identität bewahrt oder wiederentdeckt hatten. Insbesondere nach 1989 zeichnet sich das Phänomen der Neufindung schwäbischer/deutscher Identität bei den Sathmarer Schwaben ab, das durch die Auswanderung nach Deutschland verstärkt und durch alle zur Verfügung stehenden Informationsquellen verdeutlicht wird. Thomas Ballhausen: Buch, Archiv, Raum. Versuch einer diffraktiven Lektüre von Franz Kafkas „Tagebüchern“. Thomas Ballhausen (*1975/Wien), Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft und der Deutschen Philologie (Universität Wien), Studium der Philosophie (Akademie der bildenden Künste Wien), aktuell Studium der Sprachkunst (Universität für angewandte Kunst Wien). Der vorgeschlagene Beitrag korrespondiert mit einem Dissertationsvorhaben am Institut für Sprachkunst/Universität für angewandte Kunst Wien, betreut von Prof. Ferdinand Schmatz, in dessen Zentrum die wissenschaftlich-künstlerische Beforschung literarisch-philosophischer Notizbücher steht. Im vorgeschlagenen Beitrag werden die „Tagebücher“ Franz Kafkas – ein vielbeforschtes und besonders prominentes Beispiel des europäischen Diskurses rund um Diarien – in Verbindung zur Raumtheorie bzw. zur Archivtheorie gesetzt. Dabei soll aber nicht eine vereinfachende Gleichsetzung oder eine Form hierarchischer Abhängigkeitsbeziehungen dargestellt, sondern vielmehr eine Konstellation der Relationen zwischen Buch, Archiv und Raum herausgearbeitet werden: (1) Unter Einrechnung neuerer Forschungsergebnisse zu Kafka – in denen seine „Tagebücher“ richtigerweise in ihrer Anlage vielmehr als Notizbuch und damit als Bündelung unterschiedlichster Textsorten innerhalb dieses Oberbegriffs verstanden werden – wird anhand der von ihm geführten sog. „Hefte“ das Buch als Raum erfahrbar, das in der Ausgestaltung durch den Schreibprozess auch stärker räumlich denn klassisch chronologisch organisiert zu sein scheint. (2) In 18
Verbindung mit den Möglichkeiten einer diffraktiven Lektüre, die sich von Donna Haraway und Karen Barad herleitet, können diese textinternen Spezifitäten beschrieben und erhalten bleiben, können ontologische Anlage der Literatur und die epistemologischen Optionen dieser Kunst für wissenschaftlich-künstlerisches Arbeiten intelligibel gemacht werden. Die Befragung des Beispiels auf die Seinsweise(n) von Literatur und das Nachdenken darüber, wie mit Literatur gefragt, geforscht und auch gewusst werden kann ohne sich, was auch verfehlt wäre, als Literaturwissenschaft zu behaupten, steht damit in einer unleugbaren Nähe zur Vorstellung von Literatur und/als Künstlerischer Forschung. (3) Die diffraktive Lektüre als Perspektivierung betont nicht zuletzt das ineinander verflochtene Hervortreten von Subjekt und Objekt als Ergebnis von Schrift (Materialität) und Schreiben (Praxis), Kafka und seine „Tagebücher“ lassen einander sichtbar werden. Die vom Autor geführten „Hefte“ akkumulieren sich in der Folge (etwa im Rahmen einer philologischen Edition) zum „Buch“ und erfahren durch die Aufnahme ins Archiv und das Durchlaufen spezifischer Praxen eine Statusverschiebung zum Dokument. Als Teil bewahrten Kulturerbes werden theoretische Kontexte des Archivs (wie das Verhältnis von Geschichte/Geschichtlichkeit/Geschichtsschreibung) und produktive Verbindungen (Literarische Praxis/Historiographie/Geschichtsphilosophie) anhand der „Tagebücher“ darstellbar. Lisa Dauth: In eins geschrieben. Zentraleuropäisches Ähnlichkeitsdenken bei Paul Celan Lisa Dauth studierte interdisziplinär Literatur- und Kulturwissenschaften in Siegen und Flensburg. Für ihre Masterthesis erhielt sie den Preis der Europa-Universität Flensburg für die vorbildliche Umsetzung des Universitätsleitbildes. Seit 2019 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin für Literaturwissenschaft in der Germanistik an der Europa-Universität Flensburg. Ihr Promotionsprojekt befasst sich mit der europäischen Dimension von Paul Celan. Der 1920 geborene Dichter Paul Celan wuchs in Czernowitz auf, wo er von fluiden Grenzen zwischen verschiedenen Sprachen, Kulturen und Religionen umgeben war. Aufgrund der als Normalität erfahrenen Diversität bezeichnete er seine bukowinische Heimat als „Gegend, in der Menschen und Bücher lebten“ und räumte dem Grenzüberschreitenden einen hohen Stellenwert in seinem Werk ein. Interkulturelles Erinnern und die Suche nach Begegnung spielen in seiner Dichtung eine tragende Rolle, was sich etwa in seinem Einsatz von Intertextualität äußert. Unter Einbezug von Anil Bhattis literatur- und kulturtheoretischem Paradigma der Ähnlichkeit untersucht der Beitrag den Zusammenhang zwischen Celans intertextuell geknüpftem Netzwerk und der Plurikulturalität des Habsburgischen Zentraleuropas. Dazu wird Celans Gedicht In eins auszugsweise analysiert. 19
Regina Goda: Kulturelle Vielfältigkeit der mitteleuropäischen Region. Interpretationsmöglichkeit der Romane Der Gipfeldieb von Radek Knapp und Mehr Meer von Ilma Rakusa. Regina Goda (geb. 20.10.1994, Balassagyarmat) studierte von 2013 bis 2019 Germanistik und Hungaristik an der Eötvös Loránd Universität in Budapest, wo sie derzeit ihr Doktorat absolviert. Ihr Forschungsthema ist mittel- und osteuropäische Prosapoetik nach 1989 aus der Perspektive der Transkulturalität und des Transnationalismus. Sie beschäftigt sich mit Autoren/Autorinnen mit Migrationshintergrund mit einem Fokus auf den Vergleich ungarisch- und deutschsprachiger Literatur. Welche Wirkungen der Sprach- und Kulturwechsel der Autoren/Autorinnen auf die Texte haben und welchen poetischen Strategien gefolgt werden, sind zentrale Fragestellungen. Im Mittelpunkt ihrer Untersuchung steht die Frage, wie die Motive der Migration, der Reise und der Grenze in die Texte eingebettet werden. Sprache, Identität und Grenzen bieten bezugnehmend auf die ost- und mitteleuropäische Region eine große Darstellungs- und Interpretationshorizont an. Die erste Problemstellung befasst sich damit, wie Mitteleuropa in den literarischen Werken konstruiert wird, besonders im Zusammenhang mit Ost- und Westeuropa. Ist es möglich, Mitteleuropas strenge Grenzlinien zu ziehen oder kann diese Region als solcher Raum betrachtet werden, dessen Grenzen immer verändernd sind. Zweite Fragestellung beschäftigt sich damit, wie diese Grenzen oder Grenzverschiebungen mit der Identität zusammenhängen. Welche Grenzüberschreitungen vollbringen die Hauptfiguren der Romane, nicht nur im geographischen, sondern nationalen, kulturellen Sinne. Knapps Erzähler, Ludwik Wiewurka ist ein gebürtiger Pole, aber lebt in Wien und möchte ein echter Österreicher werden. Rakusas Erzählerin wird durch die ungarische, slowenische und slowakische Kultur bestimmt. Beide verlassen ihre Heimat und versuchen sich selbst an der Grenze mehrerer Kulturen und Sprachen zu definieren. Die kulturelle, sprachliche Vielfältigkeit wird nicht nur im Bezug auf Raum und Identität untersucht, sondern im Hinblick auf die textuelle Ebene. Es werden die Fragen in den Mittelpunkt gerückt, wie Mehrsprachigkeit in den Texten eingebettet ist und wie die Prosapoetik durch diese bestimmt wird. Kann über eine spezifische mitteleuropäische Prosapoetik gesprochen werden? ♦ Europabilder und Migration, 19. Mai, 9:30–12:00 Maximilian Kreter: „Wir waren die Herrscher eines Reiches – Könige Europas“. Europabilder im deutschen Rechtsrock von 1989 bis 2017. 20
Maximilian Kreter studierte von 2008 bis 2015 Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte in Frankfurt am Main und Turku. Seit 2016 ist er Doktorand am Hannah- Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, wo er von 2017 bis 2018 im Projekt „Rechte Hassgewalt in Sachsen“ mitwirkte und seit 2020 die Öffentlichkeitsarbeit betreut. Die Dissertation mit dem Titel „Juvenile Rebellion oder rechtsextreme Propaganda? Die Ideologie des Rechtsextremismus im deutschsprachigen Rechtsrock von 1977 bis 2017“ ist in seinen Forschungsschwerpunkten des Rechtsextremismus, der politisch motivierten Gewalt sowie Jugend- und Subkulturen zu verorten. Während die Zustimmung zur EU und dem in ihr verwirklichten Wertekanon eines modernen, demokratischen und universalistischen Europas trotz multipler Krisenerfahrungen in Deutschland weiter hoch ist, haben seit einigen Jahren rechtsextreme Europabilder (wieder) Konjunktur. Diese Europabilder sind eine der maßgeblichen Konstanten im Denken der extremen Rechten und bewegen sich dabei zwischen einem „europäischen Befreiungsnationalismus“, einer „Nation Europa“, einem „Europa der Vaterländer“, einem „weißen Europa“, einem „Europa der (Ethno)Regionen“ und zuletzt wieder einem „christlichen Abendland“. So sehr sich diese Europabilder im Detail unterscheiden, so eint sie eine antimoderne, partikularistische und monistische Grundposition, die anhand ethnischer, kultureller oder historischer Identitäten homogene staatliche Entitäten konstituieren und gegeneinander abgrenzen sollen. In recht(sextrem)er Musik spiegeln sich diese Konzeptionen von Arno Pardun („Siehst du im Osten das Morgenrot“) über Frank Rennicke („Über Länder, Grenzen, Zonen“) bis hin zu Rechtsrockbands wie Division Germania („Könige Europas“) oder „Sleipnir“ („Bis ganz Europa fällt“) wider. Vor diesem Hintergrund werden die Europabilder im deutschen Rechtsrock von 1989 bis 2017 einerseits quantitativ, im Hinblick auf die Dominanz bestimmter Europabilder, und andererseits qualitativ, das heißt wie die verschiedenen Europabilder ausgestaltet sind, untersucht. Die theoretische Grundlage bildet die Ideologie des Rechtsextremismus, d.h. was unter dem Konzept der Ideologie zu verstehen ist und wie der Begriff des Rechtextremismus definiert sein soll, oder kurz, wie ein rechtsextremes Europabild sich konstituiert und wie es seinen Ausdruck in den Texten der Bands findet. Darüber hinaus, müssen sowohl viele szenetypische Chiffren und Codes (bspw. 444 = Deutschland den Deutschen) berücksichtigt werden, als auch der verhältnismäßig enge rechtliche Rahmen in Deutschland, der bspw. Volksverhetzung (§ 130 StGB) oder das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 StGB) unter Strafe stellt. Um diesen Strafen zu entgehen, wenden viele Bands literarische Camouflage an, das heißt: „Was öffentlich nicht ausgesprochen werden darf, davon können literarische Texte doch reden – indem sie 21
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