"Spreading Depolarization" bei Migräneaura und Schlaganfall im menschlichen Gehirn
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Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems "Spreading Depolarization" bei Homepage: Migräneaura und Schlaganfall im www.kup.at/ menschlichen Gehirn JNeurolNeurochirPsychiatr Dreier JP, Vajkoczy P, Bohner G Online-Datenbank mit Autoren- Graf R, Vatter H, Sakowitz OW und Stichwortsuche Martus P, Dohmen C, Sarrafzadeh A Scheel M, Major S, Woitzik J Journal für Neurologie Neurochirurgie und Psychiatrie 2013; 14 (1), 8-17 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21 Preis : EUR 10,–
DGfE 2022 60. Jahrestagung der DGfE 27.–30. APRIL 2022 l Leipzig © Jakob Fischer l shutterstock www.epilepsie-tagung.de AbstrAct DEADlinE 09. DEzEmbEr 2021 73. Jahrestagung Deutsche gesellschaft für neurochirurgie abstract Deadline: 04. Januar 2022 Joint Meeting mit der griechischen gesellschaft für neurochirurgie www.dgnc-kongress.de
„Spreading Depolarization“ „Spreading Depolarization“ bei Migräneaura und Schlaganfall im menschlichen Gehirn J. P. Dreier1, P. Vajkoczy2, G. Bohner3, R. Graf4, H. Vatter5, O. W. Sakowitz6, P. Martus7, C. Dohmen8, A. Sarrafzadeh2, M. Scheel3, S. Major1, J. Woitzik2 für die DISCHARGE-1-Studiengruppe Kurzfassung: Neuere Studien belegen eine ten eine interessante Option in der Behandlung cerebral hemorrhage, and traumatic brain injury. hohe Frequenz von „Spreading Depolarizations“ der oben genannten Erkrankungen darstellen. Spreading depolarization causes cytotoxic bei Patienten mit aneurysmatischer Subarach- edema in the grey matter. Prolonged spreading noidalblutung, verzögerter zerebraler Ischämie Schlüsselwörter: „Spreading Depolarization“, depolarizations initiate cascades leading to cell nach Subarachnoidalblutung, malignem ischämi- Schlaganfall, Epilepsie, Subarachnoidalblutung death in animal experiments. Therapies that schem Schlaganfall, spontaner intrazerebraler shorten spreading depolarizations or target the Blutung und Schädel-Hirn-Trauma. „Spreading pathological inverse hemodynamic response to Depolarization“ führt in der grauen Substanz zum Abstract: Spreading Depolarization in Mi- spreading depolarization may treat diseases of zytotoxischen Ödem. Langandauernde „Spreading graine Aura and Stroke in the Human Brain. the energy metabolism in the central nervous Depolarizations“ leiten im Tierexperiment Kas- Recent studies have shown a high frequency of system. J Neurol Neurochir Psychiatr 2013; kaden ein, die zum Zelltod führen. Therapien, die spreading depolarizations in patients with aneu- 14 (1): 8–17. „Spreading Depolarization“ verkürzen oder die rismal subarachnoid hemorrhage, delayed cer- pathologische, inverse neurovaskuläre Kopplung ebral ischemia after subarachnoid hemorrhage, Key words: spreading depression, stroke, epi- an „Spreading Depolarization“ aufheben, könn- malignant ischemic stroke, spontaneous intra- lepsy, subarachnoid hemorrhage Einleitung Evolution hat dieses Problem auf elegante Weise gelöst: Ner- venzellen brauchen keine externe Energiequelle anders als Das plötzliche neurologische Defizit des Schlaganfalls und z. B. ein Computer. Jede Nervenzelle ist einerseits ein Minia- die sich langsam ausbreitenden neurologischen Ausfälle der turkraftwerk, das seine eigene Energie herstellt und anderer- Migräneaura sind jedem Neurologen und Neurochirurgen be- seits mithilfe dieser Energie in der Lage ist, Informationen zu kannt. Wie aber lassen sich die biophysikalischen Phänomene verarbeiten. Dies verleiht Nervenzellen eine hohe Energie- des menschlichen Gehirns beschreiben, die diesen Störungen effizienz. So verbraucht das menschliche Gehirn mit seinen zugrunde liegen? Die neuere Forschung zeigt, dass der bio- 20–50 Milliarden Nervenzellen [4] nur ungefähr 20–40 Watt physikalische Kernprozess in Nervenzellen bei Migräneaura [5] für seine enorme Informationsverarbeitungsleistung. und Schlaganfall sehr ähnlich ist. Dieser Kernprozess ist in der Stammesgeschichte früh entstanden und ergibt sich un- Energie wird in Nervenzellen als elektrochemische Energie in mittelbar aus dem prinzipiellen Aufbau von Nervenzellen. Er Form von Ionenkonzentrations- und Ladungsgefällen zwi- lässt sich entsprechend an einer einzelnen Nervenzelle mo- schen Zellinnen- und -außenraum gespeichert. Die wichtigsten dellieren, auch wenn in vivo typischerweise Massen an Ner- Ionen sind Natrium, Kalium, Chlorid und Kalzium. Somit äh- venzellen davon betroffen sind [1]. Warum sich die Migräne- neln Nervenzellen Miniaturbatterien. Die Energie für die Auf- aura und der nicht-migränöse Schlaganfall dennoch in ihrer rechterhaltung der Ionenkonzentrationsgefälle entsteht in den klinischen Symptomatik voneinander unterscheiden, wird im Mitochondrien der Nervenzellen aus der Verbindung von Sau- folgenden Artikel erläutert [2]. erstoff und Wasserstoff zu Wasser. Sauerstoff und Wasserstoff setzen bei ihrer Reaktion eine sehr hohe Energie pro Kilo- Miniaturkraftwerke mit der Fähigkeit zur gramm Brennstoff frei und werden deshalb z. B. auch für die Beschleunigung von Weltraumraketen verwendet. In der Zelle Informationsverarbeitung speist diese chemische Reaktion die Bildung von ATP, selbst Informationsverarbeitung kostet Energie. Wenn ein Organis- ein Brennstoff, der jedoch flexibler einsetzbar ist als Wasser- mus beweglich ist, muss er die Energiequelle mit sich herum- stoff und Sauerstoff, und seinerseits viele energieabhängige tragen, die er für die Informationsverarbeitung benötigt [3]. Die Reaktionen in der Zelle unterhält. Unter anderem treibt ATP die Natrium-Kalium-Pumpe in der Zellmembran an. Die Natrium- Kalium-Pumpe hydrolysiert ein Molekül ATP, um mit jedem Eingelangt am 18. April 2011; angenommen am 15. August 2011; Pre-Publishing Zyklus 3 Natriumionen aus der Zelle heraus und 2 Kalium- Online am 7. November 2011 ionen hineinzuschleusen. Dadurch erzeugt die Natrium-Kali- Aus dem 1Center for Stroke Research Berlin, Charité Campus Mitte, Charité Univer- sitätsmedizin Berlin; 2Center for Stroke Research Berlin, Neurochirurgische Klinik, um-Pumpe letztlich die Ionenkonzentrationsgefälle, die im ge- Charité Universitätsmedizin Berlin; 3Center for Stroke Research Berlin, Institut für sunden Gehirn unabhängig vom Aktivitätszustand der Nerven- Neuroradiologie, Charité Universitätsmedizin Berlin, 4Max-Planck-Institut für Neuro- zellen stets aufrechterhalten bleiben. logische Forschung, Köln; der 5Neurochirurgischen Klinik, Johann-Wolfgang-Goethe- Universität, Frankfurt/Main; 6Neurochirurgischen Klinik, Universität Heidelberg; Die Bedeutung der Natrium-Kalium-Pumpe für das Gehirn dem 7Institut für Biometrie und Klinische Epidemiologie, Charité Universitätsmedi- zin Berlin; der 8Neurologischen Klinik, Universität zu Köln, Deutschland wird ersichtlich, wenn ihr Anteil am Gesamtenergieverbrauch Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Jens P. Dreier, Center for Stroke Research betrachtet wird. Das Gehirn verbrennt ungefähr 20 % der täg- Berlin, Charité Campus Mitte, Charité Universitätsmedizin Berlin, D-10117 Berlin, lich zugeführten Energie des Körpers, obwohl es nur 2 % des Charitéplatz 1; E-Mail: jens.dreier@charite.de Körpergewichts ausmacht. Die Natrium-Kalium-Pumpe ver- 8 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2013; 14 (1) For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
„Spreading Depolarization“ braucht ungefähr 50 % der Gesamtenergie des Gehirns [6]. in gleicher Weise, dass die Ionenkonzentrationsgefälle zwar Das heißt: Ungefähr 10 % der täglichen Kalorienaufnahme Energie für die Signale liefern, die Signale aber zu keiner nen- dienen der Aufrechterhaltung der Ionenkonzentrationsgefälle nenswerten Änderung der Ionenkonzentrationsgefälle über über die Nervenzellmembranen im Gehirn. die Nervenzellmembran führen. Zusammengefasst nehmen die Nervenzellen also energie- „Spreading Depolarization“ reiche Stoffe aus dem Blut auf und wandeln diese chemische Energie in elektrochemische Energie in Form von Ionenkon- Informationsverarbeitung und Energiemetabolismus sind im zentrations- und Ladungsgefällen zwischen Zellinnen- und Gehirn also über die Funktion der Natrium-Kalium-Pumpe -außenraum um. Diese elektrochemische Energie steht nun und weitere energieabhängige Systeme eng miteinander ge- zur Verfügung, um Signale zu senden. Wie funktioniert das? koppelt. Gleichzeitig weist das Gehirn eine viel höhere Ver- letzlichkeit gegenüber Energiestoffwechselstörungen im Ver- Das Aktionspotenzial gleich zu anderen Organen auf. Dies hängt mit den homöo- statischen Mechanismen zusammen, die Informationsverar- Der biophysikalische Prozess, der den Informationsimpulsen beitung und Energiestoffwechsel in der Nervenzelle mitein- im Gehirn zugrunde liegt, lässt sich mit der Metapher eines ander integrieren. Am empfindlichsten reagieren dabei Ge- gespannten Bogens erklären. Dabei wird zunächst Energie hirnstrukturen grauer Substanz, wie die Hirnrinde oder die aufgewendet, um den Bogen zu spannen. Im Falle des Bogens Basalganglien. In diesen Strukturen existiert eine Form des ist es der Bogenschütze, der diese Energie aufwendet. Im Fal- abrupten massenhaften Zusammenbruchs der Homöostase, le der Nervenzelle ist es die Natrium-Kalium-Pumpe, die En- die vermutlich eine große Bedeutung für die besondere Ver- ergie aufwendet, um sie in den Aufbau der Ionenkonzentra- letzlichkeit der Nervenzellen besitzt und mit dem Begriff tionsgefälle zu investieren. Im nächsten Schritt lässt der Bo- „Spreading Depolarization“ beschrieben wird. genschütze die Sehne los und die in der Sehne gespeicherte mechanische Energie wird explosionsartig in die Beschleuni- „Spreading Depolarization“ ist durch einen fast vollständigen gung des Pfeils umgesetzt. Im analogen Fall der Nervenzelle Zusammenbruch der Ionenkonzentrationsgefälle charakteri- öffnen sich Ionenkanäle, die es bestimmten Ionen erlauben, siert [8, 9] sowie durch eine fast vollständige andauernde De- sich explosionsartig entlang ihres steilen Konzentrations- polarisation der Nervenzellen [10], eine extreme Abnahme gradienten aus dem Zellaußen- in den Zellinnenraum zu stür- des Membranwiderstands, einen Verlust der Nervenzellaktivi- zen. Dieser Vorgang beginnt lokal am Axonhügel, pflanzt sich tät [11] und eine Nervenzellschwellung mit Verformung der im Axon der Nervenzellen nach distal fort und stellt den elek- dendritischen Dornen [12, 13]. Das heißt, „Spreading Depo- trischen Informationsimpuls dar, das Aktionspotenzial. Der larization“ beschreibt einen fast vollständigen elektrischen große Unterschied zwischen Bogen und Nervenzelle ist, dass Kurzschluss zwischen Zellinnen- und -außenraum sowie mor- der Bogen die gesamte Energie sofort freisetzt, wenn der Bo- phologisch und biochemisch ein zytotoxisches Ödem. genschütze die Sehne loslässt. In der Nervenzelle wird die explosionsartige Energiefreisetzung in weniger als einer Mil- Warum kommt es während „Spreading lisekunde vorzeitig gestoppt, sodass nur ein Bruchteil der Depolarization“ zum zytotoxischen Ödem? elektrochemischen Gesamtenergie freigesetzt wird, nämlich Unter physiologischen Bedingungen liegt im Zellinnenraum genau so viel, wie für die Entstehung bzw. Fortleitung eines eine höhere Konzentration negativ geladener Eiweißstoffe Aktionspotenzials notwendig ist [7]. Das heißt: Die steilen vor als im Zellaußenraum. Diese negativ geladenen Eiweiß- Ionenkonzentrationsgefälle liefern zwar Energie für die Ak- stoffe können nicht durch die Zellmembran gelangen und zie- tionspotenziale, eine nennenswerte Änderung der Ionen- hen konstant kleine, positiv geladene Ionen wie Natrium und konzentrationen zwischen Zellinnen- und -außenraum tritt im Kalzium aus dem Zellaußenraum an. Dies führt selbst in Ruhe gesunden Gehirn aber nie auf, egal, ob das Gehirn aktiv ist zu einem kleinen Einwärtsstrom in die Nervenzelle, vor allem oder ruht. im Bereich ihrer Dendriten. Um diesen Einwärtsstrom zu kompensieren, erzeugt die Natrium-Kalium-Pumpe einen Dieser nicht sehr eingängige Vorgang lässt sich besser verste- energieabhängigen, konstanten, gleich großen Auswärts- hen, wenn man sich vor Augen führt, dass die Ionenkonzen- strom, sodass das so genannte doppelte Gibbs-Donnan-Fließ- trationsgefälle und das elektrische Ladungsgefälle über die gleichgewicht energieabhängig aufrecht erhalten bleibt, wel- Nervenzellmembran zwar in einer engen Beziehung zueinan- ches durch die bereits erwähnten, steilen physiologischen der stehen, sich aber nicht gleich verhalten. Für eine elektri- Ionenkonzentrationsgefälle und eine Isoosmolalität zwischen sche Umpolung der Nervenzellmembran wie im Falle eines Zellinnen- und -außenraum gekennzeichnet ist. Natrium und Aktionspotenzials muss nur eine verschwindend geringe An- Kalzium haben dabei hohe Konzentrationen im Zellaußen- zahl an Ionen die Seite wechseln, während Massen an Ionen raum und niedrige Konzentrationen im Zellinnenraum. Um- die Seite wechseln müssten, um einen Ausgleich der Ionen- gekehrt verhält es sich für Kalium. Diese Ungleichverteilung konzentrationen zwischen Zellinnen- und -außenraum her- der verschiedenen Kationen resultiert aus der weitaus größe- beizuführen. ren Durchlässigkeit der Zellmembran für Kalium unter Ruhe- bedingungen sowie aus der Funktion der Natrium-Kalium- Es gibt auch noch andere Signale im Nervensystem als das Pumpe [14]. Aktionspotenzial, wie z. B. Rezeptor- oder synaptische Po- tenziale. Diese unterscheiden sich zwar im Detail vom Ak- Der Kernprozess der „Spreading Depolarization“ ist nun das tionspotenzial, für alle physiologischen Signale gilt aber Versagen der Natrium-Kalium-Pumpe, einen ausreichenden J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2013; 14 (1) 9
„Spreading Depolarization“ dendritischen Auswärtsstrom zu erzeugen, um die persistie- Kaninchenkortex beschrieben wurde [11]. Bereits 1945 renden Einwärtsströme von Natrium- und Kalziumionen zu stellten Leão und Morison die Hypothese auf, dass kompensieren. Anders ausgedrückt entsteht eine „Spreading „Spreading Depression“ der hirnelektrischen Aktivität das Depolarization“ dann, wenn es zu einem Ungleichgewicht pathophysiologische Korrelat der Migräneaura ist [15]. zwischen Erregbarkeit der Nervenzelle und Funktion der Na- trium-Kalium-Pumpe kommt. In dieser Situation entsteht ein Unter hirnelektrischer Aktivität versteht man die spontane unkontrollierter explosionsartiger Nettoeinwärtsstrom und es Aktivität, die im Elektrokortikogramm (ECoG) an der Hirn- stellt sich ein neues Gleichgewicht ein, das sich einem einfa- oberfläche und im Elektroenzephalogramm (EEG) an der chen Gibbs-Donnan-Gleichgewicht annähert [14]. Dieses ist Kopfoberfläche abgeleitet wird. Beide Verfahren unterschei- durch einen fast vollständigen Verlust der elektrochemischen den sich vor allem dadurch, dass die räumliche Auflösung des Energie der Zelle, eine praktisch passive Verteilung der Ionen ECoG erheblich besser ist. Die Signale entstehen dadurch, zwischen Zellinnen- und -außenraum sowie intrazelluläre dass Aktionspotenziale in vorgeschalteten Nervenzellen prä- Hyperosmolalität und extrazelluläre Hypoosmolalität ge- synaptisch Neurotransmitter freisetzen, die in nachgeschalte- kennzeichnet. Als Folge der Osmolalitätsänderung strömt ten Nervenzellen postsynaptische Potenziale erzeugen. Diese Wasser in die Nervenzellen ein und die Zellen schwellen. Die- postsynaptischen Potenziale dauern länger an als Aktions- ser Vorgang charakterisiert das zytotoxische Ödem. Es ist im potenziale. Sie sind entlang der Hauptachse der Nervenzellen Mikroskop vor allem an der starken Deformierung der Den- unterschiedlich ausgeprägt und das hat zur Folge, dass durch driten, aber auch an der Ballonierung des Zellkörpers sicht- Summation der Aktivität von Tausenden oder Millionen von bar, die während „Spreading Depolarization“ auftreten [12, Nervenzellen schnelle Änderungen des Feldpotenzials im 13]. In diesem Zustand ist die Nervenzelle zwar stark gestört, Zellaußenraum auftreten. Diese schnellen Feldpotenzial- aber noch lebendig. Über welche Poren das Wasser im Detail änderungen im Zellaußenraum bilden sich im ECoG und in die Nervenzellen eindringt, ist bisher leider ungeklärt. im EEG in einem Frequenzbereich oberhalb von ungefähr 0,5 Hz ab. Im ECoG äußert sich „Spreading Depression“ als Warum kommt es während „Spreading Depo- Auslöschung dieser schnellen extrazellulären Feldpotenziale larization“ zur „Spreading Depression“ der (Abb. 1). hirnelektrischen Aktivität? Während eines Aktionspotenzials wird die Nervenzellmem- „Spreading Depolarization“ zeigt sich als lang- bran für einen kurzen Moment umgepolt, indem sich Natri- same Potenzialverschiebung im Zellaußenraum umkanäle explosionsartig öffnen. Die Natriumkanäle erlau- „Spreading Depolarization“ und „Spreading Depression“ las- ben den Einstrom einiger weniger, positiv geladener Natrium- sen sich auch beim Menschen im ECoG gut voneinander un- ionen, die das negative Ruhemembranpotenzial der Nerven- terscheiden. Während sich die „Spreading Depression“, wie zelle lokal anheben. Diese Natriumkanäle beginnen sich aber eben dargestellt, an der Auslöschung der schnellen extrazellu- sofort wieder zu schließen, sobald das Membranpotenzial lären Feldpotenziale identifizieren lässt (Abb. 1), zeigt sich deutlich angestiegen ist. Dann öffnen sich Kaliumkanäle, die „Spreading Depolarization“ in einer großen Änderung des den vermehrten Ausstrom positiv geladener Kaliumionen aus langsamen extrazellulären Feldpotenzials (Abb. 1). der Zelle erlauben. Infolgedessen senkt sich das Membran- potenzial wieder ab und das Aktionspotenzial ist somit nach Wie erklärt sich die Änderung des langsamen Feldpotenzials? ungefähr einer Millisekunde beendet. Im Anschluss bringt die Die Mehrheit der Nervenzellen der Hirnrinde besitzt eine Natrium-Kalium-Pumpe das überschüssige intrazelluläre Na- Längsausrichtung senkrecht zur Hirnoberfläche. Während trium und das überschüssige extrazelluläre Kalium wieder in „Spreading Depolarization“ ist die andauernde Depolarisa- das jeweils richtige Kompartiment zurück. Somit schließt sich tion innerhalb einer Nervenzelle entlang ihrer Hauptachse der Kreis und die Homöostase bleibt gewahrt [7]. unterschiedlich stark ausgeprägt [10]. Auf diese Weise ent- steht eine elektrische Potenzialdifferenz innerhalb der Zelle, Bei einer „Spreading Depolarization“ kommt es nun zu einer die ihrerseits eine langsame Änderung des elektrischen Feld- andauernden Depolarisation von Nervenzellen über mindes- potenzials im Zellaußenraum mit sich bringt. Sind Tausende tens 30 Sekunden. Die Membrankanäle, die zu dieser Depo- oder Millionen von Nervenzellen gleichzeitig andauernd de- larisation beitragen, werden kontrovers diskutiert. Eine polarisiert, resultiert daraus die größte Änderung des langsa- mögliche Rolle kommt N-Methyl-D-Aspartat- (NMDA-) men extrazellulären Feldpotenzials, die es im Gehirn gibt. An kontrollierten Kanälen, langsam inaktivierenden Natrium- der Oberfläche der Gehirnrinde des Menschen erreicht diese kanälen und Kalzium-sensitiven unspezifischen Kationen- langsame Änderung während „Spreading Depolarization“ kanälen zu, aber vielleicht sind die wirklich verantwortli- teilweise eine Größe von > 20 mV (Abb. 1). Die langsame chen Poren in der Zellmembran noch gar nicht entdeckt Feldpotenzialänderung im Frequenzbereich unter etwa 0,05 Hz [14]. Jedenfalls liegt die Depolarisation während „Spreading ist demnach ein Summenmaß im Zellaußenraum für die mas- Depolarization“ oberhalb der Schwelle für die Inaktivierung senhafte Depolarisation der Nervenzellen. Auf diese Weise ist der Aktionspotenzial-generierenden Natriumkanäle, sodass es möglich, „Spreading Depolarization“ beim Menschen mit diese inaktiviert werden. Deshalb können während „Spread- einfachen Plattenelektroden an der Hirnoberfläche zu mes- ing Depolarization“ keine Aktionspotenziale mehr stattfin- sen, ohne dabei auf Ableitungen mit intrazellulären Mikro- den. Dies hat ein Sistieren der hirnelektrischen Aktivität zur elektroden angewiesen zu sein [16, 17]. Folge, welches „Spreading Depression“ hirnelektrischer Aktivität genannt wird, ein Phänomen, das erstmals von dem Zusammengefasst ist „Spreading Depression“ also die Konse- brasilianischen Neurophysiologen Aristides Leão 1944 am quenz bzw. ein Epiphänomen der „Spreading Depolariza- 10 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2013; 14 (1)
„Spreading Depolarization“ tion“. Die beiden Begriffe werden in der Literatur oft syno- nym verwendet, was jedoch falsch ist, weil es sich um unter- schiedliche Prozesse handelt, die sich in unterschiedlichen hirnelektrischen Signalen ausdrücken. Wichtig ist, dass „Spreading Depolarization“ auch mit anderen Formen der Depression hirnelektrischer Aktivität vergesellschaftet sein kann, worauf im Folgenden eingegangen wird. „Non-Spreading Depression“ hirnelektrischer Aktivität „Non-Spreading Depression“ wird im Tierexperiment wenige Sekunden nach Auftreten eines schweren Sauerstoffmangels oder einer Ischämie beobachtet und beschreibt ein plötzliches Sistieren der hirnelektrischen Aktivität, das simultan im gesamten, von der Energiestoffwechselstörung betroffenen Gebiet entsteht [18]. Bei Ischämie tritt dieses Phänomen auf, wenn die Hirndurchblutung unter etwa 20 ml/100 g/Min. absinkt [19]. Vermutlich liegt der „Non-Spreading Depression“ eine Störung der vesikulären Neurotransmitterfreisetzung zugrunde [20]. Zu beachten ist, dass die Nervenzellen während „Non-Spreading Depression“ hyperpolarisiert sind, wohin- gegen sie während „Spreading Depolarization“ depolarisiert sind. Es dauert im Tierexperiment dann noch ungefähr 2– 5 Min. nach Auftreten der „Non-Spreading Depression“, bis die infolge der Energiestoffwechselstörung abnehmende Funktion der Natrium-Kalium-Pumpe nicht mehr ausreicht, um die Entstehung von „Spreading Depolarization“ zu ver- hindern. Erst mit Auftreten der „Spreading Depolarization“ werden die ischämiebedingten Schadensprozesse eingeleitet. Erfolgt jedoch eine rechtzeitige Wiederherstellung der Ener- gieversorgung, ist „Spreading Depolarization“ trotz der vor- übergehenden Hypoxie oder Ischämie voll reversibel. Zu beachten ist, dass „Spreading Depolarization“ bei schwerer Hypoxie oder Ischämie nicht von „Spreading Depression“ hirnelektrischer Aktivität begleitet sein kann, da die hirnelek- trische Aktivität ja bereits erloschen ist, wenn die „Spreading Depolarization“ startet. „Non-Spreading Depression“ hirnelektrischer Aktivität ist vermutlich das pathophysiologische Korrelat des plötzlichen Abbildung 1: „Spreading Depolarization“ beim Menschen. Die langsame Gleich- neurologischen Defizits beim Schlaganfall, das typischer- strompotenzialänderung („direct current“ [DC]) im Frequenzbereich unterhalb von weise mehrere Modalitäten wie Sehen, Sensibilität und Moto- etwa 0,05 Hz identifiziert die „Spreading Depolarization“. Die oberen 4 Spuren zeigen eine „Spreading Depolarization“, die sich zwischen vier 1 cm voneinander rik gleichzeitig betreffen kann [2]. Tritt nur eine „Non-Spread- entfernt liegenden subduralen Elektroden ausbreitet. Zu beachten ist die enorme ing Depression“ ohne darauffolgende „Spreading Depolariza- Größe dieser bioelektrischen Signale des Gehirns. In den darunterliegenden 4 Ab- tion“ auf oder ist die auf die „Non-Spreading Depression“ fol- leitungen ist die „Spreading Depression“ der hirnelektrischen Aktivität im Fre- quenzbereich oberhalb von 0,5 Hz des Elektrokortikogramms (ECoG) dargestellt, gende „Spreading Depolarization“ nur kurzdauernd und voll die die „Spreading Depolarization“ begleitet. Deutlich erkennbar ist, dass es sich reversibel, da die Energieversorgung rechtzeitig wiederherge- bei „Spreading Depolarization“ und „Spreading Depression“ um 2 unterschiedliche stellt wird, kommt es lediglich zu einer transitorisch ischämi- Signale mit unterschiedlicher Dauer handelt. Die unteren 4 Spuren zeigen, abge- sehen von Optode 2, eine im Wesentlichen physiologische zerebrale Blutfluss- schen Attacke. antwort (ZBF) mit einem initialen Anstieg („Spreading Hyperemia“; Messung mit- tels Laser-Doppler-Sonden). Optode 2 zeigt einen minimalen Abfall des Blut- Persistierende Depression hirnelektrischer flusses, der aber noch nicht als „Spreading Ischemia“ gewertet werden kann. Aktivität Bei einer sich allmählich entwickelnden milderen Form der Ischämie, wie z. B. im Tierexperiment unter hirntopischer Gabe des gefäßverengenden Polypeptids Endothelin-1, treten typi- „Spreading Depolarization“ ist stets ein patho- scherweise zeitliche Cluster repetitiver „Spreading Depolari- logisches Phänomen zations“ auf, zwischen denen sich die hirnelektrische Aktivität „Spreading Depolarization“ spielt im gesunden Gehirn ver- nicht mehr erholt, d. h. nur die erste „Spreading Depolariza- mutlich keine physiologische Rolle, da sie nicht spontan in tion“ wird von „Spreading Depression“ begleitet, während die- physiologischem Gewebe entsteht und die elektrischen, iona- se bei den darauffolgenden Ereignissen fehlt. Man spricht dann len und metabolischen Veränderungen um ein Vielfaches grö- von persistierender Depression hirnelektrischer Aktivität [17]. ßer sind als die während eines epileptischen Anfalls (Abb. 2). J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2013; 14 (1) 11
„Spreading Depolarization“ tät bleiben im Gegensatz zur „Spreading Depolarization“ auf das so genannte „Ceiling“-Niveau begrenzt [22]. Experimentell kann „Spreading Depolarization“ durch eine Vielzahl unterschiedlicher Noxen hervorgerufen werden, die von mechanischer Schädigung über die Exposition gegenüber chemischen Stoffen wie Kalium oder Transmittern wie Gluta- mat, Erregbarkeitssteigerungen (z. B. Status epilepticus) bis hin zu Energiestoffwechselstörungen reichen, wie Unterzu- ckerung, Sauerstoffmangel und Ischämie [2, 14, 18, 19]. Gen- mutationen können das Auftreten von „Spreading Depolari- zation“ begünstigen, wie z. B. Mutationen im CACNA1A-Gen, welches die Untereinheit eines präsynaptischen Kalzium- kanals kodiert [23], im ATP1A2-Gen, welches ein Isoenzym der Natrium-Kalium-Pumpe kodiert [24], und im SCN1A-Gen, Abbildung 2: Vergleich zwischen epileptischer Anfallsaktivität und „Spreading welches einen Natriumkanal kodiert [25]. Diese Mutationen Depolarization“ in der Hirnrinde von Mensch und Nagetier. Messung der langsa- führen beim Menschen zum Phänotyp der familiären hemi- men Gleichstrompotenzialänderungen („direct current“ [DC]), auf denen schnelle Potenzialänderungen („alternating current“ [AC]) reiten. In der Abbildung ist ein plegischen Migräne. relativ seltenes Ereignis dargestellt, bei dem epileptische Anfallsaktivität in eine „Spreading Depolarization“ übergeht. Das Phänomen ermöglicht es dem Betrach- Ob „Spreading Depolarization“ reversibel ist und somit schad- ter, die Größe der DC-Änderungen unmittelbar zu vergleichen, die während epi- leptischer Anfallsaktivität einerseits und „Spreading Depolarization“ andererseits los überstanden werden kann, hängt vor allem von der Mög- typischerweise auftreten. Dabei wird deutlich, dass die negative DC-Änderung im lichkeit einer ausreichenden Aktivierbarkeit der Natrium-Kali- Extrazellulärraum während „Spreading Depolarization“ ungefähr 5× größer ist als um-Pumpe ab [26]. Wenn die Nervenzellen nicht mehr die während epileptischer Anfallsaktivität. Dieses Verhältnis gilt im Prinzip auch für alle anderen ionalen und Stoffwechseländerungen intra- und extrazellulär im repolarisieren, nennt man die „Spreading Depolarization“ ter- Hirngewebe, die während „Spreading Depolarization“ um ein Vielfaches größer minal [27]. Der Zelltod manifestiert sich hierbei in einer gro- sind als während epileptischer Anfallsaktivität. ßen, ultralangsamen negativen Potenzialkomponente, in die die Die kleinen Zacken im AC-Signal, die während epileptischer Anfallsaktivität auf „Spreading Depolarization“ übergeht. Terminale „Spreading dem DC-Potenzial reiten, entstehen als Folge der pathologischen Aktivität der Nervenzellen, die während eines epileptischen Anfalls synchron und hochfre- Depolarizations“ werden in Gegenwart starker Noxen, wie quent Aktionspotenziale feuern. Die kleinen Zacken sind aber nicht die Aktions- z. B. schwerem Sauerstoffmangel, schwerer fokaler Ischämie potenziale selbst, sondern entsprechen Summenpotenzialen im Extrazellulär- oder Herzstillstand, beobachtet [28]. Demgegenüber führen raum, die von postsynaptischen Potenzialen herrühren. Diese postsynaptischen Potenziale sind eine mittelbare Folge der präsynaptisch fortgeleiteten Aktions- mildere Noxen typischerweise zu verlängerten, aber partiell re- potenziale, da die Aktionspotenziale präsynaptisch die Freisetzung von Boten- versiblen, wiederholten „Spreading Depolarizations“, die auf stoffen nach sich ziehen, die ihrerseits postsynaptische Potenziale hervorrufen. einer ultralangsamen, flachen negativen Potenzialschwankung Im Gegensatz zur epileptischen Anfallsaktivität ist die „Spreading Depolarization“ durch eine relativ glatte Linie gekennzeichnet, da die Nervenzellen während reiten und mit einer persistierenden Depression der ECoG- „Spreading Depolarization“ ihre Fähigkeit verlieren, Aktionspotenziale zu generie- Aktivität zwischen den „Spreading Depolarizations“ ver- ren. Deshalb entstehen auch keine postsynaptischen Potenziale mehr. Dieser Ver- gesellschaftet sind. Derartige Häufungen von „Spreading lust an Nervenzellaktivität wird als „Spreading Depression“ der neuronalen Akti- vität bezeichnet (besser zu sehen in Abbildung 1). Depolarizations“ in Abwesenheit einer terminalen Depolarisa- Die „Spreading Depolarization“ beim Menschen wurde mithilfe eines subduralen tion werden im Tierexperiment z. B. durch den starken Vaso- Elektrodenstreifens aufgezeichnet. Der Patient hatte eine aneurysmatische Sub- konstriktor Endothelin-1 verursacht [17, 29]. Verhältnismäßig arachnoidalblutung. Der Elektrodenstreifen wurde nach Ligatur des Aneurysmas leichte Noxen, z. B. eine geringe Luftembolie, erzeugen nur durch den Neurochirurgen implantiert. Der gelbe Kreis im Computertomogramm rechts markiert 2 Elektroden des Streifens an der Hirnoberfläche. eine kurzdauernde „Spreading Depolarization“, die rasch und Die „Spreading Depolarization“ bei der Ratte wurde mit einer Mikroelektrode im vollständig reversibel ist [30]. entorhinalen Kortex eines Hirnschnitts aufgezeichnet (Ableitort: gelber Kreis rechts). Der Hirnschnitt wurde von künstlichem Liquor umspült, dem Magnesium fehlte. In diesem Niedrigmagnesium-Modell kommt es typischerweise sowohl zu „Spreading Depolarizations“ besitzen die typische Eigen- epileptischer Anfallsaktivität als auch zu „Spreading Depolarizations“. Da diese schaft, dass sie aus ihrem Entstehungsgebiet in das umliegen- Messung nicht an der Hirnoberfläche sondern direkt in der Hirnrinde erfolgte, sind de gesunde Gewebe hineinwandern. Dies geschieht mit einer die Potenzialänderungen markanter und etwas größer als die der In-vivo-Messun- gen am Menschen oben in der Abbildung. In humanen Hirnschnitten, die nach Geschwindigkeit von etwa 3 mm/Min. Während ihrer Wande- epilepsiechirurgischen Eingriffen zur Verfügung stehen, sind die in der Hirnrinde rung bleiben ihre wesentlichen biophysikalischen Eigen- gemessenen Amplituden von „Spreading Depolarizations“ allerdings ähnlich mar- schaften erhalten, während sich insbesondere die Pharmako- kant und gleich groß oder sogar etwas größer als bei der Ratte [21]. Die Abbildung der „Spreading Depolarization“ an der Ratte ist modifiziert nach [Dreier JP. Physio- sensitivität und die lokale Dauer der Depolarisation verändern logische und pharmakologische Eigenschaften der Niedrig-Magnesium-Epilepsie können. Dies sei am Beispiel der fokalen Ischämie nach Ver- im Temporallappenpräparat der Ratte. Dissertation, Universität zu Köln, 1993]. schluss der A. cerebri media erläutert: Hierbei kommt es im Kern der Mangeldurchblutung inner- Epileptische Anfallsaktivität ist zwar ebenfalls durch eine an- halb von Sekunden zu einer „Non-Spreading Depression“ der dauernde Depolarisation von Nervenzellen gekennzeichnet, hirnelektrischen Aktivität. Innerhalb von Minuten entsteht diese bleibt aber unterhalb der Schwelle für die Inaktivierung dann, häufig multifokal, eine „Spreading Depolarization“, die der Aktionspotenzial-generierenden Ströme. Dadurch können aus dem Kern des minderversorgten Areals herauswandert. Nervenzellen im epileptischen Anfall hochfrequent und syn- Im Kern ist diese „Spreading Depolarization“ terminal, d. h. chronisiert Aktionspotenziale feuern [1]. Die ionalen und tödlich, während sie in der so genannten ischämischen Pen- metabolischen Veränderungen während epileptischer Aktivi- umbra verlängert, aber zumindest partiell reversibel ist. Im 12 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2013; 14 (1)
„Spreading Depolarization“ umgebenden gesunden Gewebe hält sie nur noch ungefähr der langsamen extrazellulären Feldpotenzialänderung. Gleich- eine Minute an und hinterlässt keinen Schaden. Weitere zeitig verlängert sich die Freisetzung der gefäßverengenden „Spreading Depolarizations“ entstehen an der Grenze zum Faktoren als Folge der „Spreading Depolarization“ und es vollständig depolarisierten Kern des minderversorgten Areals entwickelt sich ein Teufelskreis aus fortdauernder Depolari- und mit jeder dieser „Spreading Depolarizations“ wächst der sation der Hirnrinde und Gefäßverengung, der weit ausge- nekrotische Ischämiekern. Während „Spreading Depolariza- dehnte Nekrosen der Hirnrinde verursachen kann [2, 38]. Die- tions“ im gesunden Gewebe gut durch Pharmaka, wie z. B. ser erst 1998 in einem Rattenmodell für verzögerte ischämi- NMDA-Rezeptorantagonisten, blockierbar sind, sind sie in sche Infarkte nach Subarachnoidalblutung entdeckte Prozess minderversorgten Arealen zunehmend pharmakoresistent kann z. B. durch Blutabbauprodukte im Subarachnoidalraum [31]. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass in den ausgelöst werden [37], wurde aber auch in der ischämischen minderversorgten Arealen zusätzlich zum NMDA-Rezeptor- Penumbra nach Verschluss der A. cerebri media bei Maus und kontrollierten Kanal andere Kationenkanäle in ihren Entste- Katze beobachtet [39, 40]. Mittlerweile ist er auch bei Patien- hungs- bzw. Fortleitungsprozess mit einbezogen werden. ten mit Subarachnoidalblutung nachgewiesen worden [16]. Zusammengefasst handelt es sich um einen pathophysiologi- Die experimentellen Daten sprechen dafür, dass „Spreading schen Prozess, in dem eine relativ harmlose, kurzdauernde Depolarization“ Kaskaden einleitet, die zum Zelltod führen, „Spreading Depolarization“ in eine langdauernde, das Über- wenn keine rechtzeitige Repolarisation erfolgt. Hierbei spielt leben der Nervenzellen bedrohende „Spreading Depolariza- vermutlich der ungefähr 1000-fache Anstieg der intrazellulä- tion“ umgewandelt wird, indem die „Spreading Depolariza- ren Kalziumkonzentration während „Spreading Depolariza- tion“ durch gestörte Signalwege zwischen Nervenzellen, tion“ eine wichtige Rolle [32]. Entzieht man dem Nährmedi- Astrozyten, Endothel, Perizyten und glatten Gefäßmuskel- um von Hirnschnitten Kalzium und verhindert somit den Kal- zellen die Blutversorgung unterbricht, statt die Gefäße lokal ziumeinstrom, überleben die Zellen eine langandauernde zu erweitern. Diese Form der Ischämie wandert gemeinsam „Spreading Depolarization“ während Sauerstoffmangel deut- mit der Depolarisationswelle in der Hirnrinde und wird als lich besser [33]. Der Zusammenbruch der Ionenkonzentra- „Spreading Ischemia“ bezeichnet. tionen ist auch die Ursache für die Umkehrung der Glutamat- transporter, die eine massive Freisetzung von Glutamat zur „Spreading Depolarization“ beim Menschen Folge hat [34]. „Spreading Depolarization“ und Exzitotoxizi- „Spreading Depolarizations“ sind vor > 6 Jahrzehnten von tät sind daher vermutlich stark überlappende Phänomene. Aristides Leão erstmals im Tierexperiment über die „Spreading Depression“ der hirnelektrischen Aktivität gemessen worden Neurovaskuläre Kopplung während „Spreading [11]. In diesen ersten Experimenten wurde das Phänomen Depolarization“ durch einen elektrischen Gleichstromimpuls ausgelöst. In einer Die zusätzliche Aktivierung der Natrium-Kalium-Pumpe und zweiten Arbeit, die ebenfalls 1944 erschien, beschrieb er die weiterer energieabhängiger Systeme führt während „Spread- wesentlichen Elemente der physiologischen neurovaskulären ing Depolarization“ zu einem massiven Anstieg des Energie- Kopplung an „Spreading Depolarization“ [41]. Bereits 1945 verbrauchs. So sinkt die ATP-Konzentration selbst in gesun- postulierten Leão und Morison, dass „Spreading Depression“ dem Gewebe vorübergehend um 50 % ab [35]. Außerdem das pathophysiologische Korrelat der Migräneaura beim Men- kommt es zur Freisetzung einer Vielzahl von teilweise toxi- schen sein könnte [15]. 1947 entdeckte Leão die mit der schen Stoffwechselprodukten in den Zellaußenraum. „Spread- „Spreading Depression“ der hirnelektrischen Aktivität einher- ing Depolarization“ verursacht daher in gesundem Gewebe gehende große langsame Feldpotenzialänderung und damit das eine lokale Gefäßerweiterung und eine Steigerung des regio- Korrelat der eigentlichen „Spreading Depolarization“ [18]. nalen zerebralen Blutflusses um mehr als 100 %, um eine Diese Experimente basierten auf Vorarbeiten von Anthonie van Clearance des Zellaußenraums zu erreichen und den vermehr- Harreveld, der zuvor eine langsame Feldpotenzialänderung im ten Energiebedarf zu decken. Dieser Blutflussanstieg wird Rückenmark bei Asphyxie tierexperimentell gefunden und die- als „Spreading Hyperemia“ bezeichnet (Abb. 1). Ungefähr 1– se korrekt als Folge der Depolarisation von Nervenzellen inter- 2 Min. später kommt es zu einer milden Gefäßverengung und pretiert hatte [42]. Analog vermutete Leão, dass die langsame Abnahme des regionalen zerebralen Blutflusses um 20–30 %, Feldpotenzialänderung, die in der Hirnrinde von „Spreading der für 1–2 Stunden anhält und „Spreading Oligemia“ ge- Depression“ begleitet wird, ebenfalls auf einer Depolarisation nannt wird [36]. von Nervenzellen beruht, was sich später bestätigte [10]. In sei- ner Arbeit aus dem Jahre 1947 führte Leão zusätzlich Ischämie- Im Gegensatz zu dieser physiologischen neurovaskulären experimente am Kaninchen durch, in denen er beide Karotis- Kopplung an „Spreading Depolarization“ kann es unter pa- arterien und die Basilararterie verschloss. Auf der Basis dieser thologischen Bedingungen zu einer inversen neurovaskulären Experimente kam er zu dem Schluss, dass „bei der Spreading Kopplung kommen [2, 16, 37]. Dabei induziert die „Spread- Depression der Aktivität eine Veränderung in der Hirnrinde ing Depolarization“ in der Depolarisationsphase eine extreme auftritt, die die gleiche Natur hat wie die, die aus einer lang- Gefäßverengung statt einer Gefäßerweiterung, in deren Folge dauernden Unterbrechung der Zirkulation resultiert“ [18]. In der Blutfluss kritisch abfällt. Durch die Verminderung der diesen Ischämieexperimenten beschrieb Leão auch erstmals Energieversorgung in einem Moment maximaler Stoffwech- die „Non-Spreading Depression“ der hirnelektrischen Aktivi- selbelastung sind die Nervenzellen nur noch eingeschränkt tät, die oben bereits erläutert wurde. imstande zu repolarisieren, da der Natrium-Kalium-Pumpe die Energie für die Repolarisation fehlt. Daher verlängert sich Es drängt sich die Frage auf, warum „Spreading Depolariza- die „Spreading Depolarization“, sichtbar an der Verlängerung tion“, einer der elementarsten pathophysiologischen Prozesse J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2013; 14 (1) 13
„Spreading Depolarization“ im Gehirn, erst mehr als 6 Jahrzehnte nach seiner Entdeckung den mithilfe eines subduralen Elektrodenstreifens im ECoG allmählich Eingang in die klinische Neurologie und Neuro- über einen Zeitraum von bis zu 10 Tagen aufgezeichnet. Ins- chirurgie findet, obwohl Aristides Leão das Phänomen in sei- gesamt wurden 2110 Aufzeichnungsstunden ausgewertet. nen 4 ersten Arbeiten bereits korrekt in den Kontext von Der klinische Status wurde alle 6 Stunden dokumentiert. Das Migräneaura und Schlaganfall eingeordnet hatte und obwohl Auftreten von verzögerten Infarkten wurde mittels Computer- die langsamen elektrischen Signale sowie die ionalen und (CT) bzw. Magnetresonanztomographie (MRT) verifiziert. metabolischen Veränderungen der „Spreading Depolariza- Insgesamt wurden 298 „Spreading Depolarizations“ im ECoG tion“ ungefähr 5× größer sind als die während epileptischer aufgezeichnet. 13 von 18 Patienten (72 %) zeigten „Spreading Anfallsaktivität (Abb. 2). Dies erklärt sich wohl vor allem aus Depolarizations“. Ein klinisches, verzögertes, ischämisches der Tücke des Oberflächen-EEGs, dessen Signale sich im Ge- neurologisches Defizit ereignete sich im Mittel 7,8 Tage nach gensatz zu denen des ECoGs aus viele Zentimeter auseinan- Subarachnoidalblutung. Simultan zum Auftreten von verzö- derliegenden Quellen speisen, sodass eine lokale Auslö- gerten ischämischen Defiziten wurde das Auftreten eines zeit- schung von Aktivität leicht von benachbarten aktiven Feldern lichen Clusters rekurrenter „Spreading Depolarizations“ in überdeckt wird. Außerdem wirken Dura mater und Knochen jedem einzelnen Fall beobachtet (positiver and negativer prä- als potenter Hochpassfilter, der die langsame Feldpotenzial- diktiver Wert: 86 bzw. 100 %). Bei 4 Patienten wurden bild- änderung aus den Signalen herausfiltert. Daher war „Spread- gebend verzögerte ischämische Schlaganfälle im Gebiet des ing Depolarization“ beim Menschen lange Zeit nicht messbar. Elektrodenstreifens beobachtet. Wie in der Ischämie im Tier- Die Frustration aus den fehlgeschlagenen Messversuchen experiment wurde die verzögerte Infarzierung von „Spread- beim Menschen hat dann wohl die Fehleinschätzung vieler ing-Depolarization“-Clustern begleitet, die eine progressive Mediziner hervorgebracht, dass ein fundamentaler Prozess Verlängerung der Depressionsphasen im ECoG auf mehr als wie „Spreading Depolarization“ beim Menschen nicht vor- 60 Min. in jedem Einzelfall aufwiesen. Diese Studie zeigte, komme, obwohl er sich unmittelbar aus dem prinzipiellen dass „Spreading Depolarizations“ eine hohe Inzidenz nach Aufbau von Nervenzellen ergibt und entsprechend vom Gras- Subarachnoidalblutung beim Menschen aufweisen und als hüpfer bis zum Affen konserviert ist [43–45]. Cluster in der Entwicklung verzögerter Hirninfarkte auftreten. „Spreading Depolarization“ wurde beim Menschen zunächst In einer weiteren Studie wurde das Auftreten von „Spreading indirekt über die sie begleitende Blutflussänderung identifi- Depolarizations“ bei Patienten mit malignem Mediainfarkt ziert. Dies gelang mithilfe der planaren intrakarotidealen untersucht, um festzustellen, ob „Spreading Depolarizations“ 133 Xenon-Methode und der Single Photon Emission Compu- auch bei ischämischen Hirninfarkten des Menschen auftreten, ted Tomography (SPECT) [46] und später mit der Positronen- denen keine Hirnblutung vorausgeht [55]. Die Studie wurde Emissionstomographie und dem funktionellen Kernspin- erneut vom COSBID-Konsortium durchgeführt. Insgesamt tomogramm bei Patienten während Migräneaura [47, 48]. wurden 16 Patienten untersucht. Während einer chirurgischen Elektrophysiologische Messungen waren in Gehirnschnitten dekompressiven Hemikraniektomie wurde ein subduraler erfolgreich, die nach epilepsiechirurgischen Eingriffen zur Elektrodenstreifen in der Periinfarktregion eingelegt. Insge- Verfügung standen [49, 50]. 1996 konnten Mayevsky et al. samt wurden 1638 Stunden im ECoG aufgezeichnet. Die mitt- dann „Spreading Depolarizations“ bei einem von 14 Patienten lere Aufzeichnungszeit betrug 109,2 Stunden. Insgesamt wur- mit Schädel-Hirn-Trauma mittels eines technisch aufwendi- den 169 „Spreading Depolarizations“ beobachtet. Die meis- gen und daher auch anfälligen Multiparametermonitorings ten „Spreading Depolarizations“ ereigneten sich in Regionen nachweisen [51]. Der robuste Nachweis von „Spreading De- mit ECoG-Aktivität und führten zur Depression derselben. 42 polarizations“ gelang erst Strong et al. mit subduralen Strei- „Spreading Depolarizations“ ereigneten sich in Regionen mit fenelektroden, die in der prächirurgischen Epilepsiediagnos- bereits deprimierter ECoG-Aktivität. Die Mehrheit der tik bereits seit Jahrzehnten eingesetzt worden waren [52]. Mit „Spreading Depolarizations“ trat rekurrent in Clustern auf. dem damals verwendeten Verstärker erfolgte der Nachweis Nur 2 der 16 Patienten zeigten keine „Spreading Depolariza- der „Spreading Depolarizations“ zunächst über die „Spread- tions“. Bei diesen beiden befand sich der Elektrodenstreifen ing Depression“ der hirnelektrischen Aktivität, weil der Ver- über bereits nekrotischem Gebiet. „Spreading Depolariza- stärker die langsameren Frequenzkomponenten herausfilter- tions“ ereigneten sich also spontan mit hoher Frequenz bei te. Ungefähr 50 % der Patienten zeigten „Spreading Depolari- Patienten mit malignem Mediainfarkt. zations“. Im Anschluss an die Studie wurden die Co-Opera- tive Studies on Brain Injury Depolarizations (COSBID) ge- Der nächste wesentliche Fortschritt resultierte aus der Einfüh- gründet, die es sich zum Ziel gesetzt haben, das Monitoring rung echter invasiver „Direct-current“- (DC-) Messungen und von „Spreading Depolarizations“ klinisch nutzbar zu machen. der Verwendung von Optoelektrodenstreifen gemeinsam mit Langsamere Frequenzkomponenten wurden dann in einer einem Sauerstoffsensor [16]. Mit dieser Anordnung wurde es weiteren Arbeit von Fabricius et al. bei Patienten mit Schädel- möglich, den regionalen zerebralen Blutfluss über Laser- Hirn-Trauma miterfasst, sodass es möglich wurde, auch Doppler-Flussmessung gleichzeitig mit dem DC-ECoG und „Spreading Depolarizations“ zu messen, die nicht mit „Spread- Änderungen des Gewebssauerstoffpartialdrucks aufzuzeich- ing Depression“ assoziiert waren [53]. Daraufhin folgte eine nen. Dazu wurde eine prospektive multizentrische Studie bei kleine prospektive Multicenter-Studie, in der die Inzidenz 13 Patienten mit aneurysmatischer Subarachnoidalblutung und das zeitliche Auftreten von „Spreading Depolarizations“ durchgeführt. Regionaler zerebraler Blutfluss und ECoG wur- im Rahmen von verzögerten ischämischen Schlaganfällen bei den simultan während 417 „Spreading Depolarizations“ auf- Patienten nach aneurysmatischer Subarachnoidalblutung gezeichnet. Isolierte „Spreading Depolarizations“ ereigneten untersucht wurde [54]. Die „Spreading Depolarizations“ wur- sich in 12 Patienten und waren entweder mit einer physiologi- 14 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2013; 14 (1)
„Spreading Depolarization“ schen abwesenden oder inversen hämodynamischen Antwort Feldpotenzials zusätzlich zu Messungen der hirnelektrischen assoziiert. Während die physiologische Blutflusssteigerung Aktivität erforderlich. von einer Zunahme des Gewebssauerstoffpartialdrucks be- gleitet wurde, führte die inverse hämodynamische Antwort, Zusammenfassung die durch einen Blutflussabfall gekennzeichnet ist, zu einer Abnahme des Sauerstoffpartialdrucks, d. h. es kam wie in den Der Begriff „Spreading Depolarization“ beschreibt eine ab- oben beschriebenen Tierexperimenten zu einer „Spreading rupte, fast vollständige Massendepolarisation von Nervenzel- Ischemia“. Cluster mit verlängerten „Spreading Depolariza- len und ist vermutlich der pathophysiologische Kernprozess tions“ wurden bei 5 Patienten in der Nähe eines strukturellen in den Nervenzellen bei Migräneaura und Energiestoffwech- Hirnschadens gefunden. Cluster waren mit deutlich längerer selstörungen, wie z. B. Schlaganfällen. „Spreading Depolari- „Spreading Ischemia“ assoziiert als isolierte „Spreading De- zation“ stellt einen zelltoxischen Übergangszustand dar, in polarizations“. Sauerstoffmangel als Folge von „Spreading dem sich entscheidet, ob sich die Nervenzellen erholen oder Ischemia“ könnte zur Etablierung von Clustern mit prolon- absterben. Während „Spreading Depolarization“ bei der gierten „Spreading Depolarizations“ und zur Läsionsprogres- Migräneaura nur kurz andauert, kann sie bei Energiestoff- sion beitragen. wechselstörungen langdauernd sein. Wenn „Spreading De- polarization“ einen kritischen Zeitpunkt überschreitet, führen Erste Untersuchungen zur Pharmakologie von „Spreading die mit ihr assoziierten Schadenskaskaden zum Zelltod. Ein Depolarizations“ beim Menschen ergaben, dass ein Teil der und dieselbe Welle kann bei ihrer Wanderung durch das Ge- „Spreading Depolarizations“ durch NMDA-Rezeptorantago- webe an einem Ort kurz- und an einem anderen Ort lang- nisten blockierbar ist [56], während ein anderer Teil therapie- dauernd, an einem Ort pharmakosensibel, an einem anderen refraktär zu sein scheint [16], ähnlich wie dies in Tierexperi- pharmakoresistent, an einem Ort mit einer normalen und an menten zu beobachten ist [31, 57]. einem anderen mit einer inversen hämodynamischen Ant- wort, an einem Ort mit und an einem anderen ohne Zelltod In einer weiteren Studie wurde dann das ischämische Penum- auftreten, jeweils abhängig von den lokalen Bedingungen. brakonzept genauer betrachtet. Derzeit wird die ischämische Die Übergänge dazwischen sind fließend. „Spreading Depo- Penumbra von den meisten Autoren nach Hossmann als eine larizations“ stellen somit ein weites Spektrum von Riesenwel- Region mit beschränkter Blutversorgung definiert, in der der len oder Tsunamis in der grauen Substanz des zentralen Ner- Energiemetabolismus erhalten ist [19]. vensystems dar, die gemeinsame biophysikalische Grund- eigenschaften aufweisen, insbesondere den fast vollständigen Fabricius et al. hatten die Hypothese aufgestellt, dass eine Zusammenbruch der Ionenhomöostase. persistierende Depression der hirnelektrischen Aktivität zwi- schen wiederkehrenden „Spreading Depolarizations“ beim „Spreading Depression“ hirnelektrischer Aktivität ist ein Epi- Menschen anzeigt, dass die Messung in einer ischämischen phänomen der „Spreading Depolarization“ und vermutlich das Penumbra erfolgt. In der Folgestudie wurde nun ein direkter pathophysiologische Korrelat der Migräneaura. „Non-Spread- Vergleich zwischen den ECoG-Befunden in einem fokalen ing Depression“ hirnelektrischer Aktivität ist vermutlich das Ischämiemodell der Ratte und in Patienten mit aneurysmati- pathophysiologische Korrelat des plötzlichen neurologischen scher Subarachnoidalblutung durchgeführt [17]. Dazu wurde Defizits beim Schlaganfall, das unterschiedliche Modalitäten zunächst bestätigt, dass der Zellschaden bei der Ratte auf den wie Sehen, Sensibilität und Motorik gleichzeitig betrifft. „Non- minderperfundierten Bereich beschränkt war und das umlie- Spreading Depression“ geht der „Spreading Depolarization“ gende, normal durchblutete Gewebe nicht mit betraf. Es wur- um einige Minuten voraus. „Spreading Depression“ begleitet de dann gefunden, dass eine persistierende Depression der „Spreading Depolarization“. „Spreading Depolarization“, hirnelektrischen Aktivität zwischen den „Spreading Depolari- „Spreading Depression“ und „Non-Spreading Depression“ las- zations“ sowohl im minderversorgten Gewebe als auch im sen sich im ECoG des Menschen eindeutig voneinander diffe- umgebenden, normal durchbluteten Gewebe auftritt. Lang- renzieren. Ein und dieselbe „Spreading Depolarization“ kann dauernde „Spreading Depolarizations“ mit eingeschränkter an unterschiedlichen Orten sowohl mit „Non-Spreading“ als Erholung der hirnelektrischen Aktivität nach den „Spreading auch mit „Spreading Depression“ assoziiert sein. Die unter- Depolarizations“ wurden aber nur in der minderperfundierten schiedlichen hämodynamischen Antworten lassen sich mit Hirnrinde gesehen. Mithilfe von DC-ECoG-Messungen wur- Laser-Doppler-Flussmessungen identifizieren. de daraufhin nachgewiesen, dass eine eingeschränkte Erho- lung hirnelektrischer Aktivität nach „Spreading Depolariza- tions“ auch beim Menschen mit signifikant längerdauernden „Spreading Depolarizations“ assoziiert ist. Die Befunde spre- Literatur: 4. Pakkenberg B, Gundersen HJ. Neocortical neuron number in humans: effect of sex and chen dafür, dass die eigentliche Ischämiezone bei Ratte und 1. Kager H, Wadman WJ, Somjen GG. Con- age. J Comp Neurol 1997; 384: 312–20. Mensch von einem ausgedehnten Gürtel normal durchblute- ditions for the triggering of spreading depres- 5. Rolfe DF, Brown GC. Cellular energy utiliza- sion studied with computer simulations. ten Gewebes umgeben ist, in dem während der Phase der aku- J Neurophysiol 2002; 88: 2700–12. tion and molecular origin of standard meta- bolic rate in mammals. Physiol Rev 1997; 77: ten neuronalen Verletzung wie in der Ischämiezone eine per- 731–58. 2. 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