"Digitalisierung und Bildung" - bibor Bonn

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Auszug einer Vorlage für den Ausschuss „Erziehung und Bildung“ der Evangelischen
Kirche im Rheinland (EKiR) im Frühjahr 2018 zum Thema:

„Digitalisierung und Bildung“

Verfasser: Detlef Kühn, Dr. Monika Marose, Rainer Pauschert
Am Diskurs beteiligt: Jens Pätzold

1. Der Anlass: Die Strategie der Kultusministerkonferenz „Bildung in der digitalen
Welt“ 1 (Berlin 2016) für „Schule und Berufliche Bildung“

Die Kultusministerkonferenz legte 2016 eine Strategie vor, die nach ihrem Selbstverständnis
Bildung in der digitalen Welt ermöglichen will. Junge Menschen sollen gesellschaftliche
Teilhabe an allen zur Verfügung stehenden Informationen erhalten.

Für den gesamten schulischen Bereich fordert die KMK den Primat des Bildungs- und
Erziehungsauftrags, dem sich das Lehren und das Lernen unterordnen sollen. Ziel ist die
Kompetenz, digitale Arbeitsmittel und –techniken nutzen und deren Auswirkungen, etwa auf
Arbeitsorganisation und Kommunikation, in den Blick nehmen zu können.

Für die allgemein bildenden Schulen sieht die KMK den Bildungs- und Erziehungsauftrag
der Schule „im Kern darin, Schülerinnen und Schüler angemessen auf das Leben in der
derzeitigen und künftigen Gesellschaft vorzubereiten und sie zu einer aktiven und
verantwortlichen Teilhabe am kulturellen, gesellschaftlichen, politischen, beruflichen und
wirtschaftlichen Leben zu befähigen. Dabei werden gesellschaftliche und wirtschaftliche
Veränderungsprozesse und neue Anforderungen aufgegriffen.“ (S. 10) Bis 2021 solle
möglichst jeder Schüler, soweit pädagogisch sinnvoll, eine digitale Lernumgebung und einen
Internetzugang nutzen können. Jedes Schulfach soll sich durch seine spezifischen Zugänge an
der Entwicklung der neuen Kulturtechnik beteiligen und die Eigenverantwortung der zu
Unterrichtenden bei den Lernprozessen stärken. Lehrkräfte werden noch mehr zu
Lernbegleitern, die individuelle Lernarrangements zur Verfügung stellen. Zusätzlich zum
regulären Lernen im Klassenverband soll es virtuelle Räume geben, die weder von Zeiten,
noch von Lehrpersonen, noch von Lerngruppen abhängig schulübergreifend zur Verfügung
stehen.

Die KMK beschreibt im Folgenden sechs Kompetenzbereiche für die digitale Welt:

                             1. Suchen, Verarbeiten, Aufbewahren (Suchen, Filtern, Speichern, Abrufen)
                             2. Kommunizieren und Kooperieren (Interagieren, Teilen, Zusammenarbeiten,
                                Umgangsregeln, aktive gesellschaftliche Teilhabe)
                             3. Produzieren und Präsentieren (Entwickeln, Produzieren, Weiterverarbeiten,
                                Integrieren, Rechtliche Vorgaben)

	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
1
 Vgl.
https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2016/Bildung_digitale_Welt_Webversi
on.pdf [ Zugriff 25.02.18]
4. Schützen und sicher agieren (Daten- und Privatsphärenschutz, Gesundheitsschutz,
      Natur- und Umweltschutz)
   5. Problemlösen und Handeln (Technische Probleme, bedarfsgerechter Werkzeugeinsatz,
      Lösung eigener Defizite, Nutzung digitaler Werkzeuge und Medien, Algorithmen)
   6. Analysieren und Reflektieren von Medien
Die Bundesländer sind verpflichtet, den o.g. Kompetenzerwerb allen Schülerinnen und
Schülern, die im Schuljahr 2018/19 in die Grundschule oder die Sekundarstufe I eintreten, im
Rahmen der Pflichtschulzeit zu ermöglichen. Die einzelnen Unterrichtsfächer sollen ihre
Bezüge zu den Kompetenzen definieren und dabei in der Summe alle genannten
Kompetenzen berücksichtigen.

Der Bereich der beruflichen Bildung knüpft hieran an. Die Herstellung einer umfassenden
Handlungskompetenz (!) sei die Querschnittsaufgabe aller Fächer. Dabei sollen folgende
abstrakt formulierten Anforderungen erreicht werden:

   1. Anwendung und Einsatz von digitalen Geräten und Arbeitstechniken
   2. Personale berufliche Handlungsfähigkeit
   3. Selbstmanagement und Selbstorganisationsfähigkeit
   4. Internationales Denken und Handeln
   5. Projektorientierte Kooperationsformen
   6. Datenschutz und Datensicherheit
   7. Kritischer Umgang mit digital vernetzten Medien und den Folgen der Digitalisierung
      für die Lebens- und Arbeitswelt
Des Weiteren müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst werden.

Die o.g. Anforderungen haben direkte Konsequenzen für die Lehrerbildung. Lehrkräfte
bedürfen für den Unterricht neben allgemeiner Medienkompetenz auch einer fachlichen
Medienexpertise, die in allen drei Phasen der Lehrerbildung zu vermitteln ist, z.B. in puncto
Kooperation, Weiterentwicklung von Medienkompetenz, Lebensweltanalyse, adäquater
Medieneinsatz, Einsatz von Open Educational Resources (OER).

Bildungsmedien werden zukünftig nicht mehr allein in der Hoheit der professionellen
Produzenten stehen und in verschiedenen Lizenzformen, z.B. OER angeboten werden. Sie
sind flexibel und modularisiert einsetzbar, erlauben die Nutzung durch verschiedene
Lerntypen und geben Rückmeldemöglichkeiten zum individuellen Lernstand. Die
Qualitätssicherungssysteme müssen angepasst, die technischen Voraussetzungen für die
Nutzung verschiedener Endgeräte geschaffen und die rechtlichen Rahmenbedingungen
entwickelt werden. Schulen bedürfen einer entsprechenden sächlichen Ausstattung. Jede
Lehrkraft soll jederzeit auf eine vernetzte multimediale Präsentationseinheit zugreifen
können. Die Nutzung eigener Endgeräte ist dabei denkbar. Die erhebliche Finanzierungsfrage
ist noch zu klären und bedarf eines Konsenses zwischen allen Beteiligten. Wünschenswert ist
die Möglichkeit eines bundesweiten Datenaustauschs, um Bildungsbiografien ortsunabhängig
dokumentieren zu können.

2. Exemplarische Vorstellung möglicher Szenarien

2.1 Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt (2015), Die digitale Bildungsrevolution. Der
radikale Wandel des Lernens und wie wir ihn gestalten können

„ Ein Schüler erhält täglich einen auf ihn persönlich zugeschnitten Lehrplan, den ein
Rechenzentrum am New Yorker Broadway über Nacht erstellt. Ein Investmentbanker erklärt
seiner Cousine in selbst gedrehten Videos die Mathematik und wird im Netz zum ersten
Popstar der Bildungsszene. Eine Universität arbeitet mit Software, die für jeden Studierenden
die optimalen Fächer ermittelt, inklusive der voraussichtlichen Abschlussnoten. Ein Konzern
lässt seine Bewerber in einem virtuellen Restaurant Sushi servieren, weil das Computerspiel
ihren beruflichen Erfolg vorhersagt. Das ist die digitale Zukunft des Lernens.“ (S.7)

Die der Bertelsmann Stiftung zuzuordnenden Autoren schildern die Chancen, aber auch die
Gefahren dieser Vision, die auf der Sammlung einer unüberschaubaren Menge von Daten
beruht und auch nach Meinung der Verfasser an die Schrecken George Orwells erinnert: „Es
werden Unmengen an Daten erfasst und ausgewertet, Menschen zu Objekten von
Algorithmen und Wahrscheinlichkeiten gemacht. Der Lerner wird gläsern und hinterlässt im
Netz unauslöschliche Spuren. Im schlimmsten Fall fördert die Digitalisierung nicht mehr
Gerechtigkeit, sondern schafft mehr Ungerechtigkeit. Wenn bildungsferne junge Menschen
das Internet und ihre elektronischen Geräte nicht sinnvoll nutzen, wenn Lerndaten
zweckentfremdet und missbraucht werden, dann droht die soziale Ungleichheit in der
Gesellschaft weiter zuzunehmen.“ (S.9) Die Autoren ziehen daraus die Konsequenz, dass der
digitale Wandel deshalb aktiv gestaltet werden müsse.

Im Zentrum des Buches werden herausragende Elemente bisheriger Entwicklungen von
Digitalisierung und Individualisierung dargestellt:

   1. Der Massive Open Online Course (MOOC), der 2011 von dem ehemaligen Stanford-
      Professors Sebastian Thrun gegründet wurde und in die reine Online-Universität
      Udacity mündete: die Möglichkeit, online zeit- und ortsunabhängig in großer
      Teilnehmerzahl und preiswert zu studieren, da ein Computer die Korrektur der
      Aufgaben übernimmt. Über eine Veränderung der Hochschulgesetze wäre die
      Einrichtung eines reinen Online-Studiums auch in Deutschland möglich. „ Keiner
      bleibt mehr wegen Abiturnote, Numerus clausus und begrenzten Studienplätzen außen
      vor; jeder kann sich an den Kursen versuchen, am Ende entscheidet, ob man die
      Prüfung besteht.“ (S. 59)

   2. Das von dem Immobilienscout24 Gründer Kwiatkowski 2008 entwickelte interaktive
      Mathebuch Bettermarks. Entscheidend ist, dass das Programm inidividualisiertes
      Lernen fördert, indem es sich den Lernenden anpasst.
3. Der Bildungsreformer Jose Ferreira bringt den Gedanken eines digital unterstützten
   individualisierten Lernens 2013 durch das Lernprogramm Knewton in die Breite,
   indem er von jedem Lernenden täglich tausende von Daten sammelt und mithilfe des
   Vergleichs der Daten anderer Nutzer individuelle Lernpakete schnürt. „Schon heute
   berechnet Knewton zuverlässig die Wahrscheinlichkeiten richtiger und falscher
   Antworten sowie die Note, die ein Schüler am Ende eines Kurses erreichen wird.
   Eines Tages braucht es wohl keine Prüfungen mehr – der Computer weiß bereits,
   welches Ergebnis herauskommen wird.“ (25) Ferreira hat eigenen Angaben zufolge
   100.000 mal mehr Datenpunkte pro Nutzer als Google. Auch die Autoren sehen die
   Gefahr, dass Menschen zu Opfern falscher Voraussagen werden und dass der Umgang
   mit den großen Datenmengen nicht mehr kontrolliert werden kann. Zudem entsteht ein
   neues Zahlungsmittel: Daten gegen Bildung, Vergünstigungen gegen Transparenz.

4. Salman Khan stellte seit 2004 kostenlose kurze Erklär-Videos für verschiedene Fächer
   ins Internet, gründet 2009 die gemeinnützige Khan-Academy und erreichte, dass
   seinen Videos in den USA von ganzen Schulen genutzt werden. Ähnliche Ideen
   entwickeln sich seit 2009 auch in Deutschland.

5. Die Boody Schule in New York nutzt die gemeinnützige Organisation „New
   Claasrooms“: „Das Herz von New Classroomes schlägt in Manhattan. Dort sitzen die
   Experten und dort stehen die Computer, die jeden Nachmittag für jeden Schüler
   individuell errechnen, an welchen Themen er noch weiter arbeiten muss und welches
   die beste Lernmethode für ihn ist. So ermittelt der Computer den passenden Lernplan
   für den nächsten Tag.“ (s. 63) Die SuS lernen dabei entsprechend ihrem Lerntempo.
   Das ändert die Lehrerrolle, da die Unterrichtenden sich nicht mehr auf das Material
   konzentrieren müssen.

6. Eine Besonderheit des MIT Media Lab des Bostoner Professors Picard ist die
   Einbeziehung von Kameras, die den Gesichtsausdruck, den Puls und
   Blutdruckveränderungen erfassen sollen. „Schweift ein Nutzer ab oder entwickelt
   negative Gefühle, kann die Lernsoftware sofort reagieren: Das Spiel oder Video
   stoppt, der Computer stellt eine Frage zu dem gerade behandelten Stoff, und das
   Programm setzt sich nur bei richtiger Antwort fort.“ (S. 77) Auch die Autoren fühlen
   sich an einen Überwachungsstaat nach Orwell erinnert. Das Beispiel wirft aber die
   Frage auf, wie Lernende zu motivieren sind. Die Verfasser plädieren dafür, von
   Computerspielen zu lernen. Es braucht direktes Feedback: „Es muss blinken und
   klingeln“. (S. 86)

7. Stack Overflow ist eine 2008 gegründete Online-Community, deren Ziel es ist, sich
   gegenseitig bei Programmierproblemen zu helfen. Der Dank ist nicht materiell,
   sondern besteht in der Verleihung von „Badges“. Je häufiger man hilft, desto höher
   steigt man in kleinen Abstufungen im Rang, der auf der Plattform wiederum für jeden
   sichtbar ist. Guru eines solchen Netzwerkes zu sein, erhöht die Einstellungschancen,
   da mit dem Mitarbeiter eine ganze Community Gebender und Nehmender
   „eingekauft“ wird. Teamarbeit bedarf nach der Überzeugung der Autoren verstärkter
   Aufmerksamkeit beim digitalen Lernen, zumal deren Mitglieder sich auch gegenseitig
   sinnvoll bewerten können. „Die Ego-Gesellschaft war gestern.“ (S. 101)
8. Die Austin Peay State University in Tennessee hat seit 2011 einen „Degree Compass“
     online, der aufgrund von 500.000 Vergleichsdaten passende Kursangebote für
     Studenten auswertet, indem sie u.a. die Wahrscheinlichkeit des Studienerfolgs
     berechnet. Persönliche Studienberater nutzen dieses Wissen. Der eAdvisor der
     Arizona State University verwendet darüber hinaus Einzeldaten aus dem
     Finanzbereich, dem Studentenwohnheim, sowie der Campus-Polizei und untersucht
     Facebook und die Nutzung von Uni-Bibliothek und -Fitnesscenter mithilfe des
     Studentenausweises, um algorithmenbasierte Studienempfehlungen auszusprechen.
     Für die Verfasser liegt in dem lediglich empfehlenden Charakter die ethische Grenze
     der Beratung. Eine Gefahr bestehe besonders dort, wo das Programm ein Risiko zu
     erkennen meint und einen Kandidaten ablehnt.

  9. Die 2012 gegründete und auf Weiterbildung spezialisierte amerikanische Firma
     SkilledUp verknüpft Berufswünsche mit Bildungsangeboten, indem sie die Skills
     verschiedenster Berufe benennt und passende Bildungsangebote macht. Die Autoren
     empfehlen die Verbindung dieser Berufsberatung mit der Auswertung der bisherigen
     Bildungsvita durch Degree Compass. Ein mögliche datenbasierte Beratung könnte
     z.B. zu folgendem Ergebnis kommen: „Menschen mit ihren Interessen und Ihrem
     Profil studieren am besten in Dortmund Chemieingenieurwesen mit der Vertiefung
     Verfahrenstechnik. Die Wahrscheinlichkeit, den Bachelor nach höchstens acht
     Semestern zu bestehen, beträgt dort für Sie über 80 Prozent. Zudem bieten sich
     studienbegleitende Weiterbildungen im Bereich Management an. Damit eröffnen sich
     Ihnen anschließend zur 85 % Jobperspektiven in der Pharmaindustrie bei einem
     Einstiegsgehalt von mindestens 60 000 €. Die Kosten der Management–Weiterbildung
     werden sich für Sie innerhalb von zwei Jahren mit einer Wahrscheinlichkeit von über
     90 % amortisiert haben.“ (S. 114) Aus Sicht der Verfasser bleibt zu fragen, ob dieser
     vermeintlich einfachere Weg in den Beruf zu Bildungsdefiziten führt.

10.   2013 gründete David Blake die Plattform Degreed, um weltweit mittels
      „Microcredits“ einen „zertifizierten Lebenslauf“ über alles Erlernte zu ermöglichen.
      So sollen unterschiedliche Abschlüsse z.B. für den Jobeinstieg vergleichbar gemacht
      werden.

11.   2010 gründete Dave Balter in Boston die Onlineplattform Smarterer. Über
      standardisierte Quizreihen können Arbeitsplatzsuchende ihre Kompetenzen in Form
      eines Kompetenzprofils präsentieren. Das 2014 gegründete Portal LinkedIn versucht
      mittels lückenloser digitaler Begleitung und Erfassung Algorithmen zu bilden, die
      dabei helfen sollen, passende Jobs zu finden. Damit werden traditionelle Abschlüsse
      relativiert und nach Meinung der Autoren ein leistungsgerechter Zugang zum
      Arbeitsmarkt geschaffen. In bestimmten Berufsgruppen relevant sind dabei auch die
      Zahl und der Einfluss von Twitter-Followers und Facebook-Freunden. Der Staat,
      gemeinnützige Unternehmen u.a. haben auf diese Weise die Möglichkeit akzeptierte
      Standards jenseits von Hochschul- und Berufsabschlüssen zu schaffen.

12.   Knack aus dem Silicon Valley versucht Kompetenzen mit wenig Aufwand spielerisch
      zu erfassen. Zunächst werden die Kompetenzen eines Jobangebots aufgrund der
      Erfahrungen der bisherigen Mitarbeitenden ermittelt. Anschließend müssen mögliche
      Bewerber diese in einem Computerspiel beweisen. 20 Minuten Spielzeit sollen zu
einem zuverlässigen Urteil führen. Zeugnisse und Abschlussnoten sind dabei
         irrelevant. In Wasabi Waiter etwa geht es darum, auf die Gefühle anderer zu
         reagieren: „Der Spieler nimmt die Rolle des Kellners in einer Sushi-Bar ein, die
         Gesichter seiner Gäste sind gezeichnet von Emotionen, der eine ist traurig, der andere
         lächelt, der nächste ist zornig. Der Kellner soll nun jedem Gast die zu seinen
         Gemütszustand passende Sushi-Variante – alle Speisen sind mit „Gefühlsschildern“
         versehen – servieren. Die Schwierigkeit: Die Zahl der Gäste wächst ebenso wie die
         Menge der unterschiedlichen Emotionen. Der Spieler muss Gefühle erkennen und auf
         sie reagieren. Welche Gäste bedient er zuerst, wen lässt er warten? Das Programm
         kann so feststellen, wie der Bewerber sich in Entscheidungssituationen verhält – wann
         er zögert, wann er in die Offensive geht, ob er aus Fehlern lernt, welche Prioritäten er
         setzt.“ (134) Das Programm macht dabei keine generelle Aussage über einen
         Bewerber, sondern nur bezogen auf die für die Arbeitsstelle geforderten Kompetenzen.

Die Autoren benennen folgende Gefahren von Big Data:

   -­‐   Der Umgang mit „Risikogruppen“: Die Gefahr des Aussortierens oder der Bestrafung
         durch Risikoaufschläge anstelle von individueller Förderung.
   -­‐   Die Unsicherheit der womöglich über Jahre gesammelten Daten.
   -­‐   Der finanziell motivierte Datenmissbrauch.
   -­‐   Wer kein Geld hat, zahlt mit Daten?
   -­‐   Das Fehlen einer unabhängigen Instanz zum Datenschutz und zur Zertifizierung von
         Bildungsanbietern und deren Algorithmen.
   -­‐   Es mangelt an staatlichen Missbrauchs-Sanktionen.
   -­‐   Es fehlt das Recht auf die Selbstbestimmung über eine Datenweitergabe.

Aus Verfassersicht ist aufgrund der geschilderten Überlegungen nun Folgendes zu tun:

   1. Die Technik soll als Hilfsmittel genutzt werden, nicht als Kostenbremse um Personal
       zu sparen.
   2. Die Lehrerausbildung muss angepasst werden, um die Technologie nutzbar zu machen
       und in die Schulentwicklung integrieren zu können.
   3. Die SuS sollen lernen, wie sie die Informationsmenge im Internet filtern können und
       wie sie mit eigenen Daten souverän umgehen. Sie benötigen ein Orientierungs- und
       Urteilsvermögen für den digitalen Raum.
   4. Schulbuchverlage sollen die Inhalte so modularisieren, dass sie individualisiert werden
       können. OER soll genutzt werden.
   5. Lehrkräfte benötigen Kriterien, um digitale Bildungsmaterialien beurteilen zu können.
   6. Es muss in schnelles WLAN investiert werden, nicht etwa in die Geräteversorgung,
       die die SuS in aller Regel besitzen.
   7. Schulen benötigen Rechtssicherheit.
   8. Onlinelernen muss auf das Lerndeputat eines Hochschullehrers anrechenbar sein. Das
       Akkreditierungsverfahren muss sich für digitale Module öffnen.
   9. Gründer müssen staatlich gefördert werden.
   10. Es bedarf einer staatlich finanzierten Wirkungsforschung, um zu einer verlässlichen
       Qualitätssicherung digitaler Lernangebote zu kommen.

Die Verfasser sprechen sich somit trotz expliziter Gefahren für einen konstrutiven Umgang
mit der „Bildungsrevolution“ aus, da der für Deutschland typische Kontext von Herkunft und
Bildungserfolg durch digitalisiertes individualisiertes Lernen durchbrochen werden könne –
dies sei möglich trotz zunehmender Vielfalt und Masse und ohne Kostenexplosion.

2.2 Gerald Lembke und Ingo Leipner (2015). Die Lüge der digitalen Bildung: Warum
unsere Kinder das Lernen verlernen. Mit einem Gastbeitrag der Neurobiologin Prof.
Gertraud Teuchert-Noodt „Zu Risiken und Chancen fragen Sie das Gehirn“

Prof. Gerald Lembke, Studienleiter für Digitale Medien an der Dualen Hochschule Baden-
Württemberg in Mannheim und Präsident des Bundesverbandes für Medien und Marketing
und der Wirtschaftsjournalist Ingo Leipner plädieren dafür, den Einsatz digitaler Medien in
Bildungsprozessen ausschließlich am Entwicklungsstand von Kindern und Jugendlichen zu
orientieren. Neurobiologisch untermauert wird ihre Darlegung durch einen Gastbeitrag der
Hirnforscherin Prof. Gertraud Teuchert-Noodt. Das Autoren-Team entlarvt die These von der
nicht aufzuhaltenden „Digitalen Bildungsrevolution“ als interessengeleitetes Narrativ der IT-
Branche und ermutigt, Alternativen einzufordern und Gestaltungsspielräume zu nutzen.

Die Verfasser lehnen den Einsatz digitaler Medien im Kontext von Schule, Universität und
Ausbildung keineswegs grundsätzlich ab, sie zeigen lediglich auf, ab wann und in welchem
Rahmen dieser sinnvoll und effektiv ist. Grundsätzlich empfehlen sie die Verwendung
digitaler Geräte ab der Sekundarstufe I.

Ausgangspunkt und Zentrum der Überlegungen Lembkes und Leipners sind die Lernenden
selber. Die Autoren fragen, was entwicklungs- und lernpsychologisch sinnvoll und möglich
sei. Sie orientieren sich an dem heute noch aktuellen, grundlegenden Modell von Jean Piaget,
dem Schweizer Biologen und Pionier der kognitiven Entwicklungspsychologie. Leipner und
Lembke kommen zu dem Schluss, dass „eine Kindheit ohne Computer“ den „besten Start ins
digitale Zeitalter“ biete. Gerade in Kindergärten und Grundschulen hätten digitale Medien
nichts verloren. Kinder bräuchten primär eine starke Verwurzelung in der Realität, bevor sie
sich unbeschadet virtuellen Wirklichkeiten zuwenden könnten. Senso-motorische
Erfahrungen sind für Kinder die Grundvoraussetzung, um Denkstrukturen aufzubauen, deren
Gehirn muss diese im Rahmen einer gesunden Entwicklung zunächst einmal ausbilden.

Von medizinischer Seite stützt die Neurobiologin Gertraud Teuchert-Noodt die Thesen
Lembkes und Leipners. In ihrem Gastbeitrag „Zu Risiken und Chancen fragen Sie das
Gehirn“ referiert sie „Erkenntnisse der Neurobiologie zum Lernen mit digitalen Medien“.
Teuchert-Noodt skizziert den komplexen Prozess der Hirnreifung bei Kindern und
Jugendlichen. Die neuronalen Stoffwechselprozesse verlaufen individuell, benötigen aber
grundsätzlich „sehr viel mehr Zeit als ein Lernprozess selbst“. (S. 219) Die „Digitalität“
beeinträchtige nachweislich und in fataler Weise die Hirnentwicklung von Babys, Klein- und
Schulkindern. (S. 220) „Überhöhte Aktivität und beschleunigte Dynamik“ – die digitale
Medien evozieren - „wirken schädlich für die frühe Hirnreifung. Die Antwort darauf ist eine
nachweislich geringere Reifung des Stirnhirns. Das gilt ohne Einschränkungen für das
nachgeburtliche und frühkindliche Reifungsgeschehen, aber auch bedingt für das
Kindesalter.“ (S. 235) Teuchert-Noodt fordert für jedes Kind einen „kognitiven Rucksack“,
angefüllt mit Erfahrungen aus der realen Welt. Kein Bildschirmerlebnis könne Aktivitäten
wie Toben, Purzeln, Malen und Singen substituieren. Das Gehirn entwickele sich
nachweislich besser, würden reale Welterfahrungen nicht durch Tablet oder Smartphone
verhindert. Möglichst bis zur Pubertät sollte auch für Jugendliche ein hohes Maß an
Wirklichkeitserfahrung grundsätzlich Vorrang haben, denn das Gehirn bleibe eine
Großbaustelle bis zu einem Alter von zwölf bis 14 Jahren und weit darüber hinaus.

Die Verfasser weisen nach, dass das Ablenkungspotential digitaler Medien hoch sei. Der
frühe Umgang mit digitalen Medien schade dem kindlichen Gehirn und verhindere
Entwicklungen, die für positive Lernleistungen und einen späteren kompetenten
Medienumgang notwendig seien. Lembke und Leipner empfehlen, dass kein Kind vor dem
zwölften Lebensjahr mit Hilfe digitaler Medien lernen sollte.

Ihr Fazit formulieren Lembke und Leipner abschließend in Form von zehn Thesen. Drei seien
hier beispielhaft zitiert: Die Verfasser stellen fest, dass die Digitalisierung der Bildung „in
erster Linie technologie- und ökonomiegetrieben“ erfolge, wobei „pädagogische Konzepte“
allenfalls „als Abfallprodukt“ entstünden. Des weiteren konstatieren sie: „Egal ob Tablet oder
Kreidetafel – die Qualität des Unterrichts steht und fällt mit der Persönlichkeit des Lehrers.“
Und schließlich machen sie noch einmal deutlich, dass sie keineswegs generell
medienfeindlich sind, sondern lediglich eine für Lernende optimale Nutzung wünschen:
„Junge Erwachsene sollen über umfangreiche Medienkompetenz verfügen, um anspruchsvolle
Aufgaben in Ausbildung und Studium zu lösen. Diese Fähigkeiten erwerben sie, wenn sie
kognitiv zu Abstraktion und Selbstreflexion in der Lage sind (ab 12 bis 14 Jahren).“ (S. 238)

Die Erkenntnisse der Autoren befreien Lehrende, Eltern und Lernende von dem enormen
Druck, der gegenwärtig durch die kühne Behauptung aufgebaut wird, dass Kinder und
Jugendliche als Erwachsene digital kompetenter und erfolgreicher würden, je früher und
umfassender sie in Elternhaus und Bildungseinrichtungen mit digitalen Medien in Berührung
kämen. Die von Vertretern der IT-Branche als Wahrheit dargestellte Auffassung widerspricht
zweifellos dem Stand entwicklungspsychologischer und medizinischer Erkenntnisse, weshalb
Lembke und Leipner bereits im Titel von „Lüge“ im Zusammenhang mit „digitaler Bildung“
sprechen. Tatsächlich weisen die Autoren nach, dass gerade das Gegenteil der Fall ist und die
frühzeitige Beschäftigung mit digitalen Medien, Kinder das „Lernen verlernen“ lässt. – Dass
Gestaltungsspielräume vorhanden und alternative Wege möglich sind, belegt der Erfolg eines
zunächst unpopulären Vorgehens Lembkes in seiner Funktion als Hochschullehrer. An der
Dualen Hochschule Baden-Württemberg vereinbarte er in den digitalen Medienstudiengängen
mit den Studierenden, dass diese ihre Laptops während der Vorlesungen nicht nutzen. Seither
habe sich die Arbeitsatmosphäre deutlich verbessert, Ruhe und Konzentration hätten
zugenommen. Studentinnen und Studenten räumten ein, dass sie tatsächlich primär in sozialen
Netzwerken gesurft und erst in zweiter Linie der Vorlesung gefolgt seien. Sind selbst
Studierende in hohem Maße empfänglich für Ablenkungen aus der digitalen Welt, wie sollten
Grundschülerinnen und Grundschüler die erforderliche Konzentrationsleistung aufbringen
können.

Nach der Beschreibung dieser sehr unterschiedlichen Beispiele stellt sich die Frage, wie das
bisher Beschriebene aus Bildungssicht zu bewerten ist.
3. Das Bildungsverständnis der Evangelischen Kirche

„Das Bildungsverständnis, das dem reformatorischen Geist entspringt, fragt immer nach den
Maßstäben, an denen Bildung in ihrer humanen Qualität zu messen ist. So misst die
Evangelische Kirche im Rheinland die Entscheidungen der Bildungspolitik und die
Leistungen von Bildungseinrichtungen daran, wie sie Kinder, Jugendliche und Erwachsene
entsprechend ihrer jeweiligen Gaben fördern und wie sie ihnen als eigenverantwortliche und
gemeinschaftsfähige Personen ein Höchstmaß an Bildungsgerechtigkeit ermöglichen.“
(Leitlinien, S. 9) Die Evangelische Kirche im Rheinland knüpft damit an ein
Bildungsverständnis an, das die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) bereits 2003 in
der Denkschrift „Maße des Menschlichen“ dargelegt hat. Aus protestantischer Sicht umfasst
Bildung „Lernen, Wissen, Können, Wertbewusstsein, Handeln und Sinn“ (vgl. S. 66).
Entsprechend versteht die evangelische Kirche „Bildung als Zusammenhang von Lernen,
Wissen, Können, Wertbewusstsein, Haltungen (Einstellungen) und Handlungsfähigkeit im
Horizont sinnstiftender Deutungen des Lebens.“ (Vgl. S. 66)

Die Evangelische Kirche ist dabei grundsätzlich offen für neue Technologien. Eine Losung
wie „Die Schüler an den Computer und die Schulen ans Internet!“ begründet und erzeugt
allerdings keine Bildung, sondern setzt diese voraus (vgl. S. 79). Zudem braucht Bildung
Personen, die nicht durch Computer zu ersetzen sind. (vgl. S. 80) Entsprechend kommt die
EKD zu dem Urteil: „Einer schulischen Grundversorgung in Form von Unterricht ohne
notorischen Stundenausfall mit überschaubaren Klassenstärken und mit genügend Lehrkräften
gebührt der Vorrang vor technologischen Modernisierungen.“ (Ebd.)

Da Religion ein Teil des Lebens ist, stellt sie einen notwendigen Bereich schulischer Bildung
dar. Christliche Religionsübung ist an Glaubensgemeinschaften gebunden und bedarf daher
einer konfessorischen Auseinandersetzung mit diesen Religionsgemeinschaften:

Die Rolle des Religionsunterrichts

Als Folgeschrift der 1994 erschienen Publikation „Identität und Verständigung“ nimmt die
2015 ebenso in Form einer Denkschrift erschienene Veröffentlichung „Religiöse Orientierung
gewinnen“ den Grundgedanken auf, dass der Religionsunterricht zur Identitätsbildung und zur
Verständigung dient. War 1994 hauptsächlich das Miteinander von evangelischem und
katholischem Religionsunterricht in der Fächergruppe im Blick, so weitet sich die Sicht 2015
auf die anderen Religionsgemeinschaften und den Beitrag des Religionsunterrichts zur
Schulkultur als Ganze. Pluralitätsfähigkeit soll im Religionsunterricht wie in der ganzen
Schule durch Lernen an Differenzen eingeübt werden. Entsprechend formulieren die
Leitlinien der Evangelischen Kirche im Rheinland 2017: „Als fester Bestandteil des
Bildungsauftrags der Schule trägt der Religionsunterricht durch seine Wissenschaftlichkeit
und durch die Entwicklung von Toleranz und Konfliktfähigkeit zu einem friedfertigen
gesellschaftlichen Umgang mit religiöser Pluralität bei.“ (S. 28).
4. Der Ort des Digitalen im guten Unterricht

4.1 Die Rolle der Lehrkraft
Digitalisierungsprozesse müssen sich einem erziehungswissenschaftlich fundierten Bild von
gutem Unterricht und guter Schule unterordnen. Laut der Studie des neuseeländischen
Bildungsforschers John Hattie ist das Verhältnis von Lehrenden und Lernenden entscheidend
für den Erfolg.2 Lehrkräfte sind mehr als Lernbegleiter, die lediglich individuelle
Lernarrangements zur Verfügung stellen. Die Präsens der Lehrkraft und ihre Kommunikation
mit den Lernenden trägt erheblich zum Gelingen des Lernprozesses bei. Der
Bildungstheoretiker Hilbert Meyer bringt den Sachverhalt auf den Punkt: „Das wichtigste
Medium im Unterricht ist der Körper des Lehrers“.3 Eine These, die auch in Zeiten der
Digitalisierung ihre Gültigkeit nicht eingebüßt hat. Digitale Medien sind Hilfsmittel. Sie sind
in dem Maße sinnvoll, wie sie dem zu erreichenden Ziel der Lehrkraft dienen.
In zahlreichen Pressemeldungen, Verlautbarungen diverser Stakeholder und in
bildungspolitischen Diskursen hat sich das Idiom „digitale Bildung“ etabliert. Wann je zuvor
hätte ein (zunächst völlig inhaltsfreies) Medium den Rang erhalten, den Begriff der „Bildung“
adjektivisch zu bestimmen. Der Einsatz von Medien im Unterricht ist eine methodische Frage.
Entscheidend sind inhaltliche Konzeption und Dramaturgie des Unterrichts.

4.2 Bildung soll Mensch und Gesellschaft dienen
Unsere Bildungstradition wurzelt im Wesentlichen in Grundannahmen, die der preußische
Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt als Kriterien für Bildung aufgezeigt hat. Humboldt
fordert, dass im Mittelpunkt aller pädagogischen Bemühungen, der Mensch zu stehen habe.
Unabhängig von seiner Herkunft soll dieser die Möglichkeit erhalten, sich autonom und frei
zu entwickeln und sich individuell zu verwirklichen. Ziel des Bildungsprozesses sei die stets
zweckfreie Ausbildung der Humanität des einzelnen. Bildung dürfe keinen anderen Maximen
unterworfen sein. Humboldt widersetzte sich jenen Kräften, die anstrebten, Menschen zu
funktionalisieren und Schulen ökonomischen Interessen zu unterwerfen .4
Der Berufspädagoge Herwig Blankertz steht in der Tradition Humboldts. Er beschreibt die
Befähigung zur Mündigkeit als „reinsten Zweck von Bildung“.5 Die Aufgabe kritisch-
wissenschaftlicher Pädagogik sei das Vorantreiben des Befreiungsprozesses des Menschen.
Wie alle anderen Schulformen ist selbstverständlich auch die berufsbildende Schule Ort
zweckfreier Bildung. Für die berufsbildende Schule als Gesamtes gilt gegenwärtig, was der
Berufspädagoge Andreas Schelten seinerzeit für die Berufsschule „als Stätte der ergänzenden
Bildung für den Beruf“6 konstatierte. Die Lehrenden vermitteln Kompetenzen im kognitiven
und psychomotorischen Bereich, die die betriebliche Ausbildung komplementieren.
Berufskompetenz ergibt sich aus der Summe von Fach- und Methodenkompetenz,
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
2
          Vgl. Hattie, John & Zierer, Klaus (2016). Kenne deinen Einfluss!: Visible Learning für die
Unterrichtspraxis. Hohengehren 2016.
3
          Meyer, Hilbert (1993). Das wichtigste Medium im Unterricht ist der Körper des Lehrers. Friedrich
Jahresheft XI, S. 36.
4
          Vgl. Obermann, Andreas (2013): Im Beruf Leben finden. Allgemeine Bildung in der Berufsbildung –
didaktische Leitlinien für einen Integrativen Bildungsbegriff im Berufschulreligionsunterricht,
Göttingen, S. 33 ff.
5
          Vgl. Dörpinghaus, Andreas, Poenitsch, Andreas et al (2016/4): Einführung in die Theorie der
Bildung, Darmstadt, S. 42.
6
          Schelten, Andreas: Einführung in die Berufspädagogik, Stuttgart 32004, S. 158.
Personalkompetenz sowie Sozialkompetenz und geht zugleich darüber hinaus: “Bildung ist
eine autonome Kategorie. Jedermann soll eine (s.c. Bildung) erhalten, die zuerst einmal dem
Menschen selber dient und über die nachgefragten Qualifikationen des
Beschäftigungssystems hinausgeht“.7

Gemessen an dieser Maxime treten Schwächen maschinengestützten Lernens offen zu Tage.
Digitale Ausbildungsformate werden diesen komplexen Kriterien vielfach nicht gerecht, wie
z.B. das Qualifikationsmodul zur Schulung angehender Fachkräfte des Fraunhofer Instituts
für Lageristen belegt.8 Es ist Beispiel für ein Lernspiel mit Scooring und Ranking, das
ausschließlich der Ausbildung beruflicher Fertigkeiten dient. Darüber hinaus sollte der
Auszubildende jedoch notwendig befähigt werden, sich in einer rasant verändernden
Arbeitswelt zurecht zu finden. Gerade das Beispiel des Lageristen belegt die existentielle
Bedeutung des Erwerbs von Schlüsselqualifikationen, denn Lagerhaltung wird in nicht allzu
ferner Zukunft vollständig digitalisiert und der Beruf des Lageristen wegrationalisiert sein.

Weitere Beispiele für digitale Qualifikationsformate ließen sich anführen und werden u.a.
vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung herausgegeben (LernenPlus:
PeBBLe: AWIMAS).9 Angesichts der Zunahme von E-Learning-Elementen in Kombination
mit Computersimulationen und virtuellen Realitäten in der Aus- und Weiterbildung macht der
Medienwissenschaftler Ralf Lankau deutlich: „Bildung ist immer und notwendig an Personen
und an ein lebendiges Bewusstsein gebunden. Bildung ist zwingend Eigenschaft einer Person,
kein technisches Speicherformat und nicht medialisierbar. Es gibt auch keinen ‚digitalen
Unterricht‘, weil das Unterrichten ebenfalls notwendig an Personen (Lehrende und Lernende)
gebunden ist.“10

4.3 Das Digitale als Lerngegenstand
In der Sekundarstufe I steht Medienkompetenz (im Sinne des Medienpasses) als Bedien-,
Anwendungs-, Produktions- und Präsentationskompetenz im Fokus. Darüber hinaus sollen
Kompetenzen wie Analysieren und Reflektieren implementiert werden, die ein
medienkritisches Moment aufweisen.

Im Kontext beruflicher Bildung ist das Digitale zudem unverzichtbarer Lerngegenstand.
Umfang und Inhalt der Module wird in den Bildungsplänen der jeweiligen Ausbildungsberufe
geregelt.11 Digitale Anforderungsprofile ergeben sich auf Grundlage sich verändernder
Berufsbilder. Aus berufspädagogischer Perspektive darf Medienerziehung nicht mit bloßer
„Bedien- und Anwendungskompetenz“ gleichgesetzt werden. Medienerziehung intendiert
zugleich Medienkritik. Hermeneutik spielt in diesem Kontext eine Schlüsselrolle, sie ist
Voraussetzung der Urteilsfähigkeit.

	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
7
          A.a.O., S. 159.
8
          Das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) präsentierte das Lernassistenzsystem
„PickNick“ auf dem „Zukunftskongress Wirtschaft 4.0“ am 8. November 2016 in Dortmund. In kurzer
Zeit qualifiziert „PickNick“ ungeschultes Personal für die Abwicklung logistischer Prozesse.
9
          https://www.qualifizierungdigital.de/de/awimas-57.php: AWIMAS – Maschinensimulationen in
virtuellen Umgebungen (22.11.16). Zugriff 12.01.18
10
                Lankau, Ralf (2016). Stellungnahme zum Antrag 16/10796 (Landtag NRW) zur Stärkung von
„digitaler Bildung“ und Medienkompetenz.
11
                  Vgl. Krämer, Heike; Jordanski, Gabriele; Goertz, Lutz .Krämer u. a. Medien anwenden und
produzieren – Entwicklung von Medienkompetenz in der Berufsausbildung, Bonn 2013. (BiBB-
Studie)
Innovative Lehr- und Lernarrangements müssen in der didaktisch-methodischen
Bildungsgangarbeit so realisiert werden, dass sie die berufliche Wirklichkeit abbilden. Das
der Handlungsorientierung und dem Lernfeldkonzept inhärente Innovationsvermögen ist die
adäquate Antwort auf die durch die Digitalisierung evozierte Weiterentwicklung der
Berufsbilder und deren Konkretion in der beruflichen Bildung.

Kompetenzen aus dem Bereich der Digitalisierung sind im Kontext von Aus- u. Fortbildung
unerlässlich. Lehrende sämtlicher Schulformen benötigen diese als festen Bestandteil ihres
Dienstes, dies sollte bereits bei der Lehrerausbildung berücksichtigt werden. Regelmäßige
Fortbildungen im Bereich der Digitalisierung sollten erfolgen. Berufsfeldspezifische
Schulungen sind für Lehrkräfte an Berufskollegs unverzichtbar. Berufskollegs bedürfen einer
modernen und professionellen Ausstattung, damit Kompetenzen, die sich aus den digitalen
Anforderungsprofilen der jeweiligen Berufe ergeben, Lerngegenstand werden können.

4.4 Das Digitale als Medium
Bildung und Unterricht sind wesentlich einem umfassenden und ganzheitlichen Ansatz
verpflichtet, um den angesichts gesellschaftlicher und technologischer Veränderungen stets
aufs Neue gerungen werden muss. Werden Lehrende zur grundsätzlichen Verwendung
digitaler Medien verpflichtet, hätte dies eine didaktische und methodische Monokultur zur
Folge. Wird Unterricht monokausal digital, verändert dies Unterrichtsorganisation,
didaktische Konzepte, Lehrerarbeitszeit und Arbeitsorganisation gravierend: als Beispiele
seien genannt: Flipped Classroom, E-School, Freie Schulen, Blended Learning; MOOCs
(Massiver offener Online-Kurs); OER (Open Educational Resources). Digitale Medien dienen
als Hilfsmittel. Sie können sinnvoll Schulbücher ergänzen bzw. ersetzen. Sie können
Lernplattformen bieten. Sie können der Kommunikation der Lernenden dienen. Sie sind
sinnvoll, insofern sie guten Unterricht unterstützen.

4.5 Unverzichtbarer Beitrag des (B)RU
Erweisen sich Lehrerin und Lehrer generell als unverzichtbarer Bestandteil guten Unterrichts,
so ist ihre Rolle im Religionsunterricht einmal mehr von Bedeutung. Die Beschreibung des
Stellenwerts der Lehrkraft in „Identität und Verständigung“ erweist sich als ungebrochen
aktuell: Die Lehrenden „können für die Schülerinnen und Schüler zu bedeutungsvollen
Erwachsenen werden. Mit ihnen können sie die Auseinandersetzung suchen und von ihnen
Orientierungshilfen auch in Bereichen erfahren, die weit über die unmittelbaren Inhalte des
Fachunterrichts hinausgehen.“ (Identität und Verständigung, S. 85) Das Proprium des
konfessionellen Religionsunterrichts vermittelt sich substantiell durch die
Lehrerpersönlichkeit: „Das setzt voraus, dass die Lehrenden mit ihrer eigenen religiösen
Herkunft umzugehen lernen und ihr Glaubensverständnis in einer Weise zu erkennen geben,
die die Schülerinnen und Schüler nicht einengt, sondern ermutigt, selbstständig nach dem
Glauben zu suchen. Damit werden an die Religionslehrerinnen und – lehrer nicht nur hohe
fachliche und didaktische, sondern ebenso erhebliche persönliche Anforderungen gestellt.“
(Ebd.) Durch eine Überbewertung digitaler Medien wird das Selbstverständliche des
Religionsunterrichts in Frage gestellt, nämlich die originäre und durch kein Medium zu
ersetzende Begegnung zwischen Lehrer und Schüler.

Der Inhalt des BRU ist das Verhältnis Gottes zu den Menschen und der daraus resultierenden
Begegnung von Menschen untereinander – im Privatleben, im Berufsleben und in der
Gesellschaft. In solchen Kommunikationsprozessen können digitale Medien nützlich sein, sie
haben sich jedoch notwendig, dem Ziel des BRU unterzuordnen. Eine übermäßige Nutzung
digitaler Medien kann zu sozialen Defiziten führen und, wie der Gehirnforscher Manfred
Spitzer nachweist, „digitale Demenz“ fördern.12 Spitzer belegt zudem, dass durch Gaming u.a.
die Empathiefähigkeit des einzelnen beeinträchtigt werden kann.13 Der Verlust derselben hat
dramatische Veränderungen in zwischenmenschlichen Beziehungen zur Folge und wird das,
was Adorno mit „sozialer Kälte“ beschrieb, zu einer Eiszeit ungeahnten Ausmaßes werden
lassen.

Modularisierung, Individualisierung, Fragmentierung und Subjektivierung sind Kennzeichen
unserer Epoche. Die Digitalisierung forciert diese Entwicklungen und wird zum
Schrittmacher dieses Prozesses. Identitätsbildung ist das Resultat selbstreflexiven Verhaltens.
Das Selbstverhältnis eines Christen ist immer zugleich auch ein Gottesverhältnis. Autorinnen
und Autoren der Bibel berichten, dass der Gott des Alten und Neuen Testaments
zivilisatorischen Fortschritt fordert und fördert. Intendiert ist ein humanes und achtsames
Miteinander unterschiedlicher Spezies und Lebensformen auf diesem Planeten. Bildung muss
den Menschen in Zeiten der „Digitalen Revolution“ in die Lage versetzen, ein mündiges
Wesen mit entsprechender Urteilsfähigkeit zu werden. Wir benötigen Geistes- und
Herzensbildung, damit die Menschen sich in ihrer Humanität weiter - und nicht
zurückentwickeln. Der Religionsunterricht ist hier besonders gefordert. Er kann dies in
herausragender Weise leisten. Ein im Gottesglauben gefestigter Mensch kann in
Umbruchszeiten mit ruhigem Geist und scharfem Verstand auf die revolutionären
Veränderungen Antworten geben.

4.6 Digitalisierung verändert die Arbeitswelt, auch die von Lehrkräften
Die Digitalisierung führt zu einer tiefgreifenden Wandlung der Arbeitswelt, wie u.a. eine im
Jahr 2013 publizierte Studie der Universität Oxford nachweist. Die Übertragung der
Ergebnisse des schwedischen Ökonomen Carl Benedikt Frey und des Informatikers Michael
Osborne auf deutsche Verhältnisse ergab, dass „derzeit 42 % der Beschäftigten (...) in Berufen
mit einer hohen Automatisierungswahrscheinlichkeit“ arbeiten.14 Der Computer ersetzt
sukzessive Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. In der Konsequenz sinken die Löhne in den
automatisierbaren Beschäftigungsverhältnissen. Die Zahl der nicht für den quartären Bereich
Qualifizierten ohne Arbeit steigt. Sie finden kaum noch Jobs, Armutsnähe zeichnet sich ab.
Arbeitsplätze setzen zunehmend Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien voraus. Der
angemessene Umgang mit digitalen Medien wird zu einer Grundkompetenz, die jedoch eine
Vielzahl von Menschen nur bedingt erlernen können.
Dass digitale Medien in der Lage sind, Lernen zu organisieren, verändert auch
Lehrerarbeitsplätze und stellt diese in Frage. Die Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz und
die Entwicklung von Robotern schreiten unaufhaltsam voran und werden auch im Kontext
von Schule und Bildung genutzt werden. Experimente mit Androiden und humanoiden
Robotern verliefen international erfolgreich.15 Bereits im Jahr 2012 wurde im Amtsblatt des
Ministeriums für Schule und Weiterbildung über den Erfolg von „Roberta“, dem „Lernen mit
Robotern“ berichtet.16
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
12
                Vgl. Spitzer, Manfred. Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen.
Droemer Knaur München 2012.
13
                Vgl. Spitzer, Manfred. Das (un)soziale Gehirn. Schattauer, Stuttgart 2013.
14
            	
  Bonin, H., T. Gregory und U. Zierahn (2015): Übertragung der Studie von Frey/Osborne (2013) auf
Deutschland, Expertise für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
15
                www.heise.de/newsticker/meldung/RIE2017-Roboter-unterrichten-im-Klassenzimmer-und-im-
Swimming-Pool-3697607.html, Zugriff 27.04.2017
16
                  Leimbach, Thorsten. Roberta – Lernen mit Robotern. Mädchen für Naturwissenschaften und
Technik begeistern. In: Amtsblatt des Ministeriums für Schule und Weiterbildung, 01/12, S. 6-10.
Digitalisierung berührt das Menschenbild. Der Religionspädagoge Michael Meyer-Blanck
warnt ausdrücklich davor, „die conditio humana nach dem Modell ökonomischer Vernunft“
zu denken.17 Die Religionspädagogik habe die Aufgabe, die „Gefahren eines Menschenbildes
deutlich zu machen, das den Menschen zur programmierbaren trivialen Maschine“
degradiere.18 	
  

Wird Bildung nicht begriffen als umfassende und ganzheitliche, besteht zudem die Gefahr
einer Modularisierung und Filetierung von Bildungsgängen. Berufsbilder und Bildungsgänge
könnten zergliedert und beispielsweise als „digitalisierte Zertifikatskurse“ angeboten werden.
Schon heute sprechen Befürworter dieser Prozesse von „digitaler Bildungskompetenz“ und
fordern die Veränderung unseres Bildungssystems nach ihren Vorstellungen und
ökonomischen Interessen. Im öffentlichen Diskurs fordern sie, digitales Lernen zu fördern,
rechtliche Hürden abzubauen, das Urheberrechtsgesetz zu reformieren, Online-Angebote zu
fördern, das Fernunterrichtsgesetz zu „modernisieren“, klare Rechtsgrundlagen für
Lizenzierungen und Academic Franchising zu schaffen.

Die Lehrkraft von morgen würde damit bestenfalls zum Classroom-Manager, der
standardisierte, digitalisierte Module offeriert. Luis von Ahn, der Chef der
Sprachlernplattform Duolingo, bringt auf den Punkt, worauf die Prozesse auch im Lehrerberuf
hinauslaufen: „Am Ende wollen wir eine Maschine haben, die so gut ist wie ein menschlicher
Lehrer – und sogar noch besser.“19

5. Bedeutung beruflicher Bildung im Allgemeinen und des BRU im Besonderen
Auszubildende sollten durch berufliche Bildung befähigt werden, sich den stetig ändernden
Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft stellen zu können.
Ganzheitliche Lehr-Lern-Arrangements müssen dazu beitragen, dass die Arbeitnehmer von
morgen zu autonomen Lernern werden, die im Rahmen eines lebenslangen Lernens in die
Lage versetzt werden, sich entsprechend der geänderten Produktionsanforderungen durch
(Weiter-) Qualifizierung zu professionalisieren. Nur so können komplexere, schwer
automatisierbare Aufgaben bewältigt werden, aber auch die gelingende Partizipation an der
sich verändernden Gesellschaft gewährleistet werden. Nicht jeder – so der Tenor – ist für den
quartären Bereich geeignet. Der quartäre Bereich ist sozusagen der „HIGH-END“ Bereich.
Was aber geschieht mit Menschen, die eine Lern- oder ESE-Behinderung haben oder aber nur
durchschnitlich kognitiv ansprechbar sind.
Der BRU ist in diesem Kontext wesentlich, da er auf der Grundlage der biblischen
Anthropologie den Wert des Einzelnen unabhängig von dessen Leistungsfähigkeit
thematisiert. Als Geschöpf Gottes ist jedem Menschen uneingeschränkt Wert und Würde
inhärent. Autorinnen und Autoren der Bibel fokussieren die Wertschätzung des einzelnen
unabhängig von Stand oder Leistung. Vielfach sind gerade jene, die schwach (wie David)
oder nicht beredt (wie Mose) zu sein scheinen, diejenigen, die Gott aus(er)wählt, wesentliche
Funktionen im gesellschaftlichen Miteinander zu übernehmen. Zahlreiche biblische
Erzählungen berichten davon, dass „der Stein, den die Bauleute verworfen haben“ schließlich
„zum Eckstein“ wurde. (Psalm 118,22) Autorinnen und Autoren der Bibel formulieren einer
Umkehrung der Wertigkeiten, wie die im Reich Gottes erwartet werden darf und für die
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
17
                Meyer-Blanck, Michael. (2014). Unterricht und Schulseelsorge an der Berufsschule angesichts der
Tendenz zum „optimierten Menschen“. Bibor-Thesenpapier. 13.03.2014, S. 2.
18
                Ebd.
19
                  Von Ahn, Luis (2016): Das Lernsystem weiß alles über Sie. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom
3./4.12.2016, S. 7.
Gegenwart Maßstäbe setzt. In den Makarismen preist Jesus diejenigen selig, die nach
irdischen Bemessungsgrundlagen weder Erfolg noch Einfluss haben, ja, die verfolgt und
ausgegrenzt werden. Die Ordnung seiner Zeitgenossen stellte er auch auf den Kopf, als er
sagte: „Aber viele, die die Ersten sind, werden die Letzten und die Letzten werden die Ersten
sein." (Mt. 19, 30)

Schülerinnen und Schüler sollten grundsätzlich auch jenseits von Schwächen und
Fehlschlägen die Chance erhalten, ihre beruflichen Wünsche weiter zu verfolgen. Eine
detaillierte Dokumentation von Lernprozessen, das Erstellen digitalisierter Lernprofile und
Bildungsbiografien verhindert unkonventionelle Wege, wenn beispielsweise Universitäten,
Ausbilder und Arbeitgeber mit Hilfe von Algorithmen eine vornehmlich leistungsorientierte
Auswahl treffen.

6. Digitalisierte Lernprozesse benachteiligen schwächere Lernende
Digitale Medien sollen die Selbstständigkeit von Lernprozessen fördern. Befürworter betonen,
dass die „neue Lernkultur“ geradezu ungeahnte Möglichkeiten „individueller Förderung“
biete. Für die These, dass individuelle Förderung durch Lernspiele (Gaming) und
Lernprogramme besonders gelänge, steht der erziehungswissenschaftliche Beweis bis dato
noch aus. Belegt wurde vielmehr, dass vor allem lernschwächere Schülerinnen und Schüler
zurück bleiben und von digital geprägten Lernprozessen nicht profitieren. 20 Die Nutzung
eigener Endgeräte beispielsweise erweist sich für diese als wenig vorteilhaft.
In einer Langzeitstudie haben Londoner Wissenschaftler das Lernverhalten von 130 000
Lernenden untersucht. Es zeigte sich, dass diese bei Verbot des Gebrauchs von Smartphones
im Unterricht leistungsfähiger wurden. De facto überfordern digitale Lehrmittel und das
sogenannte selbstorganisierte Lernen Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen
Haushalten. Kinder und Jugendliche, die durch ein entsprechendes Umfeld, Förderung und
Anleitung gelernt haben, eigenständig und selbstorganisiert mit Medien umzugehen, nutzen
auch digitale Angebote zum Lernen und Vorbereiten. Kinder und Jugendliche, die diese
Selbstständigkeit und Selbstorganisation aufgrund der fehlenden Förderung und Anleitung
nicht gelernt haben, scheitern in aller Regel auch an digitalen Angeboten. Das Scheitern gilt
jedoch als selbst verschuldet, da die – rein technischen – Lehrmittel jedem Lernenden
gleichermaßen zur Verfügung stehen. Wer sie nicht zu nutzen weiß, trägt selbst dafür
Verantwortung. Auf diese Weise wird das Schulversagen zurück an die Schülerinnen und
Schüler delegiert.
Statt digitale Medien als fach- und jahrgangsübergreifende Basis von Unterricht und Schule
zu postulieren, sollte vielmehr stets aufs Neue hinterfragt werden, in welchen Fächern und in
welchem pädagogischen Kontext digitale Medien im Unterricht überhaupt sinnvoll sein
können.21

7. Datenschutz
Sowohl der Hardware- als auch der Softwaremarkt im Zusammenhang mit digitalen
Lernprozessen ist hart umkämpft. Finanzielle Interessen Einzelner dürfen nicht im
	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  
20
                Vgl. Prof. Dr. phil. Ralf Lankau Stellungnahme zum Antrag 16/10796.
21
       Ebd.
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