Stellungnahme Deutschen Rentenversicherung Bund - Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung

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Stellungnahme
                        der
 Deutschen Rentenversicherung Bund
                 vom 07.02.2022
                       zum

 Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes
zu Änderungen im Bereich der geringfügigen
                Beschäftigung

        (Übermittelt per Mail am 01.02.2022)
Stellungnahme zum Referentenentwurf eines
Zweiten Gesetzes zu Änderungen im Bereich
der geringfügigen Beschäftigung

I.            Vorbemerkung ............................................................................................................3
II.           Finanzwirkungen ........................................................................................................4
           Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze für Beschäftigte .................................................... 4
           Verschiebung und Ausweitung des Übergangsbereichs ................................................... 4
III.          Zu einzelnen Regelungskomplexen .......................................................................... 6
      1.      Neue „Minijobgrenze“ für Beschäftigte .................................................................... 6
           Künftig „unrunde“ Geringfügigkeitsgrenze ........................................................................ 6
           Unterjährige Änderungen / unterjähriges Inkrafttreten ...................................................... 6
           Neuregelung des zulässigen „gelegentlichen und unvorhergesehenen Überschreitens“ . 6
           Hinzuverdienstgrenzen .....................................................................................................8
           Übergangsregelung in § 276b SGB VI .............................................................................. 9
      2.      Geringfügige selbständige Tätigkeit / freiwillig Versicherte .................................. 9
           „Redaktionelle Anpassung“ nicht geboten ........................................................................ 9
           Erhebliche Aufwände ......................................................................................................10
           Altersvorsorgepflicht für Selbständige............................................................................. 11
      3.      Übergangsbereich ....................................................................................................11
           Weitere Steigerung der Komplexität ............................................................................... 11
           Berechnungsformel in § 134 SGB IV-E........................................................................... 12
           Meldungen nach § 28a SGB IV ....................................................................................... 12
           Bekanntgabe der maßgeblichen Werte........................................................................... 12
IV.           Erfüllungsaufwand ...................................................................................................13
V.            Inkrafttreten ...............................................................................................................13

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Stellungnahme zum Referentenentwurf eines
Zweiten Gesetzes zu Änderungen im Bereich
der geringfügigen Beschäftigung

I.     Vorbemerkung

Vor dem Hintergrund der vorgesehenen Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf
12 EUR zum 01.10.2022 ist es Ziel des Referentenentwurfs, die Möglichkeit der geringfügi-
gen Beschäftigung ohne Verringerung der Arbeitszeit zu erhalten und sie in Abhängigkeit zur
weiteren Entwicklung des Mindestlohns fortzuschreiben. Dazu soll zum 01.10.2022 die Ge-
ringfügigkeitsgrenze von 450 EUR um 70 EUR auf 520 EUR angehoben und - ausgehend
von einer wöchentlichen Arbeitszeit von 10 Stunden - an den gesetzlichen Mindestlohn und
dessen künftige Entwicklung gekoppelt werden.

Die Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze soll gleichzeitig mit Maßnahmen verbunden wer-
den, Anreize für eine Ausweitung der Tätigkeit über die Geringfügigkeitsgrenze hinaus zu
setzen. Zu den Maßnahmen im Referentenentwurf, die in diese Richtung gehen, gehört vor
allem die Neugestaltung der Berechnungsformel im Übergangsbereich, dessen Obergrenze
zugleich von 1.300 EUR auf 1.600 EUR deutlich ausgeweitet wird. Hintergrund für die Neu-
gestaltung der Berechnungsformel ist, dass die aktuell geltenden Regelungen dazu führen,
dass - zumindest bei einer nur moderaten Ausweitung der Tätigkeit über die Geringfügig-
keitsgrenze hinaus - das Nettoentgelt trotz Mehrarbeit geringer ausfallen kann als in der ge-
ringfügigen Beschäftigung. Diese Hürde wird durch die Neugestaltung der Berechnungsfor-
mel beseitigt.

Dies geht jedoch finanziell zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Beitrag zur
Rentenversicherung (RV-Beitrag) im neuen Übergangsbereich fällt im unteren Segment
niedriger aus als nach geltendem Recht.

Hinzu kommt, dass die Entgeltpunkte nach wie vor nicht auf Basis der verminderten Bei-
tragsbemessungsgrundlage, sondern auf Basis des tatsächlichen Arbeitsentgeltes berechnet
werden. Durch die vergrößerte Lücke zwischen Beitragsbemessungsgrundlage und Arbeits-
entgelt erhöht sich damit das Ausmaß der nicht beitragsgedeckten Leistungen weiter. Der
Entwurf enthält keine Regelungen zur Finanzierung dieser Mindereinnahmen.

Durch die gesunkenen RV-Beiträge für Arbeitnehmer dürfte die Ausweitung der Erwerbstä-
tigkeit zunächst attraktiver werden, zumal die Rentenanwartschaften wie erwähnt nach wie
vor anhand des tatsächlich erzielten Entgeltes berechnet werden. Was die künftigen Anreize
zur Beschäftigung für Arbeitnehmer betrifft, ist jedoch auch von Bedeutung, welcher Beitrag
auf ein zusätzliches Arbeitsentgelt zu entrichten ist (Grenzbelastung). Diese Grenzbelastung

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steigt für Arbeitnehmer innerhalb des neuen Übergangsbereichs steiler an als nach den ge-
genwärtigen Regelungen. Die daraus entstehenden Verhaltenswirkungen lassen sich nicht
abschätzen; neue Beschäftigungshürden sind nicht ausgeschlossen.

Auch die geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen führen zu einem weiteren Zuwachs
an Komplexität. Die gesetzte Frist zur Stellungnahme lässt insoweit nur eine kursorische
Prüfung und Darstellung zu. Fest steht: Um die Umsetzung der sehr komplexen Neuregelun-
gen verlässlich meistern und sie nahtlos digital abbilden zu können, muss ein ausreichender
Vorlauf – d. h. mindestens sechs Monate – zwischen der Verkündung und dem Inkrafttreten
des Gesetzes eingeplant werden. Hinzu kommt, dass ein unterjähriges Inkrafttreten zusätzli-
che Erschwernisse, Aufwände und Kosten für alle Beteiligten mit sich bringt, die vermieden
werden können, wenn die Regelungen erst zum 01.01.2023 in Kraft treten. Auch die per-
spektivisch wiederkehrenden Anpassungen sollten daher jeweils nur zum Jahresbeginn vor-
genommen werden.

II.    Finanzwirkungen

Die finanziellen Wirkungen für die Rentenversicherung sind komplex. Sie stehen in einem
engen Zusammenhang mit der geplanten Anhebung des Mindestlohns auf 12 EUR; beide
Maßnahmen können nicht losgelöst voneinander betrachtet werden.

Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze für Beschäftigte

Die Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze für Beschäftigte kann prinzipiell dazu führen, dass
a)     Personen mit Entgelten an der bisherigen Minijobgrenze der Anhebung folgen,
       wodurch die Löhne steigen und höhere Beitragseinnahmen entstehen,
b)     Personen mit Entgelten knapp über der bisherigen Minijobgrenze in den neuen Mi-
       nijobbereich rutschen, der einen höheren effektiven Beitragssatz aufweisen kann.
Durch das Zusammenwirken beider geplanten gesetzlichen Änderungen in diesem Einkom-
mensbereich entstehen somit voraussichtlich Mehreinnahmen.

Verschiebung und Ausweitung des Übergangsbereichs

Der Übergangsbereich beginnt 2022 bei 520,01 EUR, d. h. um 70 EUR höher als bisher, und
endet bei 1600 EUR, also um 300 EUR höher als bisher. Die gesamten Sozialversicherungs-
beiträge im Übergangsbereich sowie deren Aufteilung auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer

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werden zudem anders als bisher berechnet. Werden die RV-Beiträge betrachtet, ergeben
sich folgende Effekte:
a)     In der Zone des neuen Übergangsbereichs vermindern sich die RV-Beiträge bei ei-
       nem bestimmten Arbeitsentgelt, und zwar am stärksten mit knapp 13 % im unteren
       Bereich. Dem steht die Anhebung des Mindestlohnes um rund 15 % gegenüber, die
       jedoch nicht alle Beschäftigte erfasst bzw. wenn, dann nicht immer in vollem Umfang.
       Diese gegenläufigen Effekte könnten sich aufheben.
b)     Der Übergangsbereich ist auch breiter geworden: Die prozentuale Anhebung der
       Obergrenze (+23 %) liegt deutlich über der geplanten Anhebung des Mindestlohnes
       zum 01.10.2022 (+15 %). Dies führt zu Mindereinnahmen.
c)     In der unteren Zone des Übergangsbereichs verschiebt sich die Beitragstragung, d.h.
       im Vergleich zum geltenden Recht werden Arbeitnehmer entlastet, Arbeitgeber dage-
       gen belastet.

Für Personen mit Entgelt in Höhe der neuen Geringfügigkeitsgrenze sollen mit den neuen
Regelungen in einigen Konstellationen Anreize gesetzt werden, das Entgelt geringfügig zu
erhöhen, um in den Übergangsbereich zu gelangen:
-      Für geringfügig Beschäftigte, die auf die Opt-Out-Möglichkeit aus der Rentenversi-
       cherungspflicht verzichtet haben, entfallen dann die aktuell 3,6 % Arbeitnehmerbei-
       trag zur Rentenversicherung. Zudem sind sie dann zusätzlich in den anderen Sozial-
       versicherungszweigen versichert, ohne dass dafür insgesamt ein wesentlicher Beitrag
       geleistet wird.
-      Für geringfügig Beschäftigte, die die Opt-Out-Möglichkeit aus der Rentenversiche-
       rungspflicht gewählt haben, erhöhen sich dann die erworbenen rentenrechtlichen An-
       sprüche deutlich, ohne dass dafür ein wesentlicher Beitrag geleistet wird. Zudem sind
       sie dann zusätzlich in den anderen Sozialversicherungszweigen versichert, auch
       ohne dass dafür ein wesentlicher Arbeitnehmerbeitrag geleistet wird.
-      Den genannten Anreizen kann dann allerdings je nach Konstellation eine höhere
       Steuerbelastung entgegenstehen.

Da sich die zum Teil gegenläufigen Verhaltenswirkungen dieser Änderungen nur schwer ein-
schätzen lassen, ist nicht klar zu bestimmen, wie die Gesamtwirkung auf die Beitragseinnah-
men ausfällt. Die vom BMAS angegebenen moderaten Finanzwirkungen (Mindereinnahmen
von 0,4 Mrd. EUR pro Jahr) befinden sich in einer nachvollziehbaren Größenordnung.

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III.    Zu einzelnen Regelungskomplexen

1.      Neue „Minijobgrenze“ für Beschäftigte

Künftig „unrunde“ Geringfügigkeitsgrenze

Anknüpfungspunkte für die neue Geringfügigkeitsgrenze sind der gesetzliche Mindestlohn
und eine wöchentliche Arbeitszeit von 10 Stunden. Künftige Mindestlohnänderungen werden
nach der Regelung in § 8 Abs. 1a SGB IV-E deshalb zu „unrunden“ Geringfügigkeitsgrenzen
führen: Bspw. betrüge bei einer Anhebung auf 12,25 EUR die Geringfügigkeitsgrenze 531
EUR (12,25 x 130 : 3); bei einer Erhöhung auf 12,30 EUR 538 EUR usw.

Solche, nicht einprägsamen und sich immer wieder ändernden Grenzbeträge beeinträchtigen
Verständlichkeit, Transparenz und damit letztlich auch Akzeptanz rechtlicher Regelungen.
Zudem steigen der Beratungs- und Informationsbedarf der Betroffenen und damit der Auf-
wand sowohl für diese als auch für die Verwaltung, darunter auch die Träger der Rentenver-
sicherung, deren Mitarbeitende entsprechende Auskünfte geben und die Informationsmate-
rial im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit bereitstellen.

Unterjährige Änderungen / unterjähriges Inkrafttreten

Zusätzlich verkompliziert und in der Umsetzung erschwert werden die im Jahr 2022 bevor-
stehenden und künftigen Änderungen der Geringfügigkeitsgrenze dadurch, dass sie unter-
jährig erfolgen. So soll die zunächst infrage stehende Anhebung auf 520 EUR zum
01.10.2022 vorgenommen werden. Zu erwarten ist, dass auch künftige Erhöhungen des Min-
destlohns mit Auswirkungen auf die Geringfügigkeitsgrenze unterjährig vorgenommen wer-
den. Solche unterjährigen Anpassungen führen jedoch bei allen Beteiligten bekanntermaßen
zu deutlich mehr Aufwand und Kosten als Änderungen, die zum 01.01.eines Jahres wirksam
werden und mit ohnehin anstehenden Änderungen verbunden werden können.

Neuregelung des zulässigen „gelegentlichen und unvorhergesehenen Überschrei-
tens“

In den geltenden Geringfügigkeitsrichtlinien ist geregelt, dass ein gelegentliches nicht vorher-
sehbares Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze bis zu drei Monate innerhalb eines Zeit-
jahres möglich ist.

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Die mit § 8 Abs. 1b SGB IV-E vorgesehene gesetzliche Regelung beschränkt demgegenüber
das unschädliche Überschreiten auf die „Gewährung einer nicht mit Sicherheit zu erwarten-
den Einmalzahlung“ in zwei Kalendermonaten innerhalb eines Zeitjahres. Mit dem Begriff
„Einmalzahlung“ ist einmalig gezahltes Arbeitsentgelt im Sinne des § 23a Abs. 1 Satz 1 SGB
IV gemeint, was dann auch so normiert werden sollte. Als nicht mit Sicherheit zu erwarten
benennt die Begründung (S. 23) „insbesondere Einmalzahlungen, die dem Grunde und der
Höhe nach vom Geschäftsergebnis oder einer individuellen Arbeitsleistung des Vorjahres ab-
hängen“, bspw. „die nachträgliche Zahlung eines Weihnachtsgeldes in Abhängigkeit vom
Geschäftsergebnis des Vorjahres oder die Zahlung einer individuellen Prämie im Rahmen
einer leistungsorientierten Bezahlung“.

Fraglich erscheint, für welchen Zeitraum / welche Dauer Versicherungspflicht besteht, wenn
durch die Gewährung einer nicht mit Sicherheit zu erwartenden Einmalzahlung die Voraus-
setzungen des § 8 Abs. 1b SGB IV-E nicht mehr erfüllt sind. Denn einmalig gezahltes Ar-
beitsentgelt wird nicht für die Arbeit in einem einzelnen Entgeltabrechnungszeitraum gezahlt,
so dass eine rückwirkend eintretende Versicherungspflicht beabsichtigt sein könnte - ande-
rerseits gilt der Grundsatz, dass die versicherungsrechtliche Beurteilung vorausschauend
vorzunehmen ist.

Eine vergleichbare, aber auch weitere Fragen stellen sich, was Überschreitungen wegen ge-
leisteter Überstunden (= laufendes Entgelt) anbelangt. Diese Konstellationen führen nach der
beabsichtigten Neuregelung zur Versicherungspflicht; der Gesetzestext hebt ausdrücklich
nur auf „Einmalzahlungen“ ab. Nach der Begründung (vgl. S. 23) bleibt eine flexible Arbeits-
zeitgestaltung jedoch gleichwohl möglich. Aufgeführt wird dazu, dass geleistete Arbeitsstun-
den, die unterjährig zu einem Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze führen, im Laufe des
Kalenderjahres abzubauen sind. Ob das gelingt, erweist sich erst zu einem späteren Zeit-
punkt, d. h. am Ende des Kalenderjahres. Das könnte so zu interpretieren sein, dass gewollt
ist, dass (zunächst?) keine Versicherungspflicht eintritt, wenn die Überstunden geleistet wer-
den, sofern diese – später im Laufe des Kalenderjahres– abgebaut werden. Damit würde die
Beantwortung der Frage der Versicherungspflicht, entgegen dem Grundsatz der voraus-
schauenden Betrachtung, auf einen späteren Zeitpunkt verlagert, die Versicherungspflicht
liegt sozusagen zunächst nur „latent“ vor. Wenn später kein Abbau der Überstunden erfolgt
(was unterschiedliche Gründe haben kann, z. B. auch ein Ausscheiden aus dem Betrieb),
bleibt unklar, ab welchem Zeitpunkt Versicherungspflicht eintritt. Viel spricht dafür, dass in
diesen Fällen Versicherungspflicht ab dem Monat einritt, in dem die Arbeitsstunden geleistet

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wurden. Wenn dies so beabsichtigt ist, sollte auch dies geregelt, wenigstens aber in der Ge-
setzesbegründung so dargestellt werden. Unklar bleibt im Übrigen auch, wie die nach der
Begründung weiterhin möglichen flexiblen Arbeitszeitgestaltungen aussehen können, wenn
der/die betreffende Beschäftigte einen höheren als den gesetzlichen Mindestlohn erhält. Die
neue Geringfügigkeitsgrenze wird dann mit weniger als 10 Wochenstunden erreicht. Die Be-
gründung gibt Anhaltspunkte dafür, dass lediglich über 10 Stunden hinausgehende Über-
stunden gemeint sein könnten.

Unabhängig von den angesprochenen Fragen ist anzumerken, dass es der Rechtsklarheit
nicht zuträglich ist, wenn in einer, zumal für die Praxis sehr relevanten Fallgestaltung (näm-
lich dem Umgang mit Überschreitungen der Geringfügigkeitsgrenze wegen oftmals nicht vor-
hersehbarer Überstunden), Widersprüchlichkeiten zwischen dem Wortlaut des Gesetzes
(Überschreitung durch laufendes Entgelt gar nicht mehr möglich) und der Begründung (fle-
xible Arbeitszeitgestaltungen weiterhin möglich) angelegt sind.

Nach § 2 Abs. 2 MiLoG sind bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die über die vertrag-
lich vereinbarte Arbeitszeit hinausgehenden und auf einem schriftlich vereinbarten Arbeits-
zeitkonto eingestellten Arbeitsstunden spätestens innerhalb von zwölf Kalendermonaten
nach ihrer monatlichen Erfassung durch bezahlte Freizeitgewährung oder Zahlung des Min-
destlohns auszugleichen. In Anlehnung an diese Regelung könnte erwogen werden, den
Ausgleich der Überstunden nicht im Laufe des Kalenderjahres, sondern im Laufe eines Zeit-
jahres vorzusehen. Anderenfalls besteht kein „Gleichklang“ der zeitlichen Anknüpfungs-
punkte in § 2 Abs. 2 MiLoG einer-, in § 8 Abs. 1b SGB IV-E andererseits.

Der im Regelungstext am Ende verwendete Begriff „Einkommen“ sollte durch den für Be-
schäftigte im Gesetz vorgesehenen Terminus „Arbeitsentgelt“ ersetzt werden.

Hinzuverdienstgrenzen

Im vorliegenden Referentenentwurf ist keine Änderung der §§ 34 und 96a SGB VI vorgese-
hen, obgleich ein Zusammenhang zwischen der Geringfügigkeitsgrenze von aktuell 450 Euro
und der in diesen Vorschriften bestimmten Hinzuverdienstgrenze von 6.300 Euro (= 14 x 450
Euro) besteht. Dies ist sachgerecht, sofern zum 01.01.2023 wie aktuell geplant, Änderungen
im Hinzuverdienstrecht in Kraft treten, durch welche der Bezug zwischen der Hinzuverdienst-
grenze und der Geringfügigkeitsgrenze aufgehoben wird.

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Sollten diese Änderungen allerdings doch nicht oder erst später in Kraft treten, wäre die Hin-
zuverdienstgrenze von 6.300 Euro mit Wirkung ab dem 01. 01.2023 sinnvollerweise an die
dann geltende Geringfügigkeitsgrenze anzupassen. Andernfalls wären ab dem Jahr 2023
vermehrt Fälle zu erwarten, in denen die Hinzuverdienstgrenze trotz Ausübung einer gering-
fügigen Beschäftigung überschritten und die Rente entsprechend gekürzt werden müsste.
Für das Jahr 2022, in dem für Altersrenten aufgrund coronabedingter Sonderregelungen eine
höhere Hinzuverdienstgrenze gilt (§ 302 Abs. 8 Nr. 1 SGB VI), bedarf es keiner Anpassung.

Übergangsregelung in § 276b SGB VI

Es ist nicht ohne weitere Erläuterung nachvollziehbar, warum die Übergangsregelung nur auf
Beschäftigte im Privathaushalt Anwendung findet und nicht auf alle Minijobs.

2.     Geringfügige selbständige Tätigkeit / freiwillig Versicherte

Die bisher geltende, in § 165 Abs. 1 SGB VI (selbständig Tätige) und § 167 SGB VI (freiwillig
Versicherte) betragsmäßig geregelte Mindestbeitragsbemessungsgrundlage von 450 EUR
sollte für diese Personengruppen beibehalten werden.

Alternativ käme eine einmalige Anhebung auf den Festbetrag von 520 EUR in Betracht, die
erst zum 01.01.2023 in Kraft tritt.

§ 8 Abs. 3 SGB IV müsste entsprechend angepasst werden.

„Redaktionelle Anpassung“ nicht geboten

Nach den im Referentenentwurf vorgesehenen Regelungen (vgl. § 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
SGB VI-E und § 167 VI-E) soll die „dynamische“ Geringfügigkeitsgrenze, die sich aus dem
gesetzlichen Mindestlohn für Arbeitnehmer und einer Wochenarbeitszeit von 10 Stunden ab-
leitet, auf den Personenkreis der versicherungspflichtigen selbständig Tätigen und der freiwil-
lig Versicherten übertragen werden

Der Begründung zufolge handelt es sich hier jeweils um eine „redaktionelle Anpassung an
die neue Definition der Geringfügigkeitsgrenze in § 8 Absatz 1a des Vierten Buches“, d. h.
um eine – vermeintliche – sprachliche Anpassung.

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Der gesetzliche Mindestlohn gilt allerdings für selbständig Tätige nicht. Deshalb ist es inkon-
sequent, die neue Geringfügigkeitsgrenze bei „Minijobbern“ – also Beschäftigten – auf Selb-
ständige bzw. die freiwilligen Beitragszahler zu übertragen. Erst recht fehlt es an einem
nachvollziehbaren Grund dafür, eine an Steigerungen des Mindestlohns für Beschäftigte
ausgerichtete Geringfügigkeitsgrenze künftig auch für Selbständige und für den Mindestbei-
trag fortlaufend zu dynamisieren. Eine dahingehende „Gleichbehandlung“ ist angesichts der
Unterschiede der Personengruppen, was die Geltung des Mindestlohngesetzes anbelangt,
nicht geboten.

Erhebliche Aufwände

Der fehlende inhaltlich-konzeptionelle Anknüpfungspunkt an Veränderungen des Mindest-
lohns im Fall selbständig Tätiger und freiwillig Versicherter wiegt umso schwerer, als sowohl
die zum 01.10.2022 geplante unterjährige Änderung, als auch die perspektivisch künftigen,
ggf. auch wieder unterjährigen Anpassungen, massiven Aufwand erzeugen und zwar sowohl
für die Verwaltung, als auch für die Betroffenen.

Die versicherungspflichtigen selbständig Tätigen und freiwillig Versicherten tragen ihre Bei-
träge selbst und zahlen sie unmittelbar an den zuständigen Träger der Rentenversicherung.
Ändern sich die Beitragsrechengrößen (regelmäßig zum 01.01. eines Kalenderjahres), wer-
den die Versicherten durch die Rentenversicherungsträger über die zukünftig zu zahlende
abweichende Beitragshöhe rechtzeitig informiert. Dies geschieht regelmäßig im Dezember
eines Jahres mit der sogenannten „Bezugsgrößenmitteilung“.

Auf Grund der hier vorgesehenen Änderungen im Bereich der Versicherungsfreiheit wegen
Geringfügigkeit entsteht bei den aktuell versicherungspflichtig selbständig Tätigen, die zur
Zeit den Mindestbeitrag zahlen, ein erhöhter und zusätzlicher unterjähriger Informationsbe-
darf, da durch die Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze ggf. ab 01.10.2022 Versicherungs-
freiheit wegen Geringfügigkeit nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI eintreten könnte.

Hinzu kommt, dass sowohl die versicherungspflichtig selbständig Tätigen als auch die freiwil-
lig Versicherten, die am SEPA-Lastschrift-Verfahren teilnehmen, durch eine Pre-Notification
(Vorabinformation) im Hinblick auf die Höhe des Buchungsbetrages und das Abbuchungsda-
tum zu informieren sind. Diese soll dem Zahler die Möglichkeit geben, sich auf die Last-
schriftzahlung einzurichten und dementsprechend sein Konto in mindestens der Höhe der
Zahlung zu decken. Sie ist dem Versicherten in der Regel 14 Kalendertage vor der Fälligkeit

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zur Kenntnis zu geben. So sollen Rücklastschriften mangels Deckung vermieden werden.
Dazu müsste ggf. zusätzlich eine umfangreiche Korrespondenz mit den Versicherten vor
dem avisierten 01.10.2022 erfolgen.

Eine unterjährige Änderung des Mindestbeitrages sollte aufgrund des dadurch entstehenden
– ggf. mehrfach jährlichen – Aufwandes sowohl für die Versicherten (z.B. wiederholtes Über-
prüfen und Anpassen der Überweisungs-/Abbuchungsbeträge) als auch für die Rentenversi-
cherungsträger unterbleiben.

Wenn überhaupt, sollte daher, wie eingangs gesagt, eine nur einmalige Anhebung auf einen
festen Betrag i. H. von 520 EUR und dies erst zum 01.01.2023 vorgenommen werden.

Altersvorsorgepflicht für Selbständige

Schließlich beeinträchtigt die beabsichtigte Übertragung der künftig dynamischen Geringfü-
gigkeitsgrenze auf die selbständig Tätigen auch das im Koalitionsvertrag vorgesehene Vor-
haben, für alle neuen Selbstständigen, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem
unterliegen, eine Pflicht zur Altersvorsorge einzuführen, vor allem dessen möglichst einfa-
che, aufwandsarme und digitalisierungstaugliche Umsetzung.

3.     Übergangsbereich

Weitere Steigerung der Komplexität

Die vorgesehenen Änderungen der Regelungen zum Übergangsbereich erhöhen die Kom-
plexität des Rechts ganz erheblich. Schon die geltenden Regelungen zum Übergangsbereich
verkomplizieren das Recht, weil bei versicherungspflichtiger Beschäftigung in diesem Be-
reich die ansonsten geltenden Bestimmungen zur Beitragsbemessungsgrundlage für Arbeit-
nehmer modifiziert werden; beitragspflichtige Einnahme ist hier nicht das gesamte Bruttoent-
gelt, sondern ein in Abhängigkeit von der Höhe des Bruttoentgelts errechneter geringerer
Wert. Der Beitragsanteil der Arbeitgeber wird nach geltendem Recht jedoch nach dem allge-
meinen, für alle versicherungspflichtigen Beschäftigungen angewandten Verfahren ermittelt.

Nach der vorgesehenen Neuregelung soll jedoch auch die Beitragsbemessungsgrundlage
für den Arbeitgeberanteil nicht mehr das Bruttoentgelt, sondern ein in Abhängigkeit von der
Höhe des Bruttoentgelts errechneter (geringerer) Betrag sein und zudem die Beitragstragung

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neu gestaltet werden. Der vom Arbeitgeber zu tragende Beitragsteil ist danach als Saldo zwi-
schen dem vollen Beitrag auf die modifizierte Beitragsbemessungsgrundlage und dem Bei-
tragsanteil des Arbeitnehmer zu bestimmen, wobei die Bemessungsgrundlage für den Arbeit-
nehmerbeitrag nach einer weiteren, neu eingeführten Berechnungsformel aus dem Brutto-
entgelt ermittelt wird. Diese sehr komplexen Zusammenhänge dürften erheblichen Bera-
tungsbedarf bei Arbeitgebern und Versicherten nach sich ziehen.

Fraglich ist, ob und inwieweit bei Mehrfachbeschäftigungen, die sich zusammen noch inner-
halb des Übergangsbereichs bewegen, die betreffenden Arbeitgeber in die Lage versetzt
werden können, die Formeln zutreffend anzuwenden.

Dem Ziel, das Recht zu vereinfachen, steht die vorgesehene Neuregelung jedenfalls diamet-
ral entgegen.

Berechnungsformel in § 134 SGB IV-E

Die Berechnungsformel im neuen § 134 SGB IV-E enthält im Zähler des zweiten Bruches
das mathematische Symbol „G“. Hier sollte die Zahl „450“ stehen, um die Regel des gelten-
den Rechts unverändert weiter anwenden zu können. Im vorletzten Satz müsste es am Ende
zudem „geben“ heißen.

Meldungen nach § 28a SGB IV

Die Verpflichtung zur zusätzlichen Angabe des ungekürzten Bruttoarbeitsentgelts in Entgelt-
meldungen in § 28a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Buchstabe c SGB IV ist aufgrund der Änderung des
§ 163 SGB VI zur Regelung der Bemessungsgrundlage der Rentenversicherungsbeiträge
anzupassen.

Bekanntgabe der maßgeblichen Werte

Die vom BMAS bereitzustellenden Werte (Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz, Faktor F,
Faktor FÜ) sollten frühzeitig bekanntgegeben werden. Eine jeweilige Bekanntgabe bis zum
31.12. für das Folgejahr (§ 20 Abs. 2a SGB IV-E, § 134 SGB IV-E) ist für eine rechtzeitige
Umsetzung zu spät.

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Stellungnahme zum Referentenentwurf eines
Zweiten Gesetzes zu Änderungen im Bereich
der geringfügigen Beschäftigung

IV.    Erfüllungsaufwand

Wie im Referentenentwurf dargestellt, entstehen bei der Deutschen Rentenversicherung pro-
grammtechnische, aber auch andere Aufwände an vielen unterschiedlichen Stellen und in
unterschiedlichen Ausmaßen. In der Kürze der Zeit ist eine sachgerechte Schätzung nicht
möglich. Zu den einmaligen programmtechnischen IT-Umstellungen kommen periodisch wie-
derkehrende programmtechnische Anpassungen. Je nach Ausgestaltung der Regelungen
wird teilweise erheblicher Aufwand in der Sachbearbeitung (Beratung, Anschreiben) erzeugt.
Weitere Aufwände entstehen u. a. für die Beratung der Arbeitgeber und der Beschäftigten
über die verschiedenen rechtlichen Änderungen und ihnen auferlegte Aufbewahrungs- und
Dokumentationspflichten, für Schulungen und für Öffentlichkeitsarbeit. Die beabsichtigten un-
terjährigen Änderungen führen, wie zuvor bereits ausgeführt, zu zusätzlichen Aufwänden
und damit auch Kosten, die sich vermeiden ließen, wenn Änderungen stattdessen zum
01.01. erfolgten.

V.     Inkrafttreten

Die Rentenversicherung ist – unabhängig von Anpassungen, die sie selbst in ihren Syste-
men und Programmen vornehmen muss – darauf angewiesen, dass die Meldungen von den
Arbeitgebern zutreffend abgegeben werden (können) und in der vorgesehenen Form bzw.
mit den vorgesehenen Inhalten bei ihr eingehen.

Die Entgeltabrechnungsprogramme müssen also in der Lage sein, Änderungen im Meldever-
fahren zu dem im Gesetz vorgesehenen Zeitpunkt unterjährig ein- und umzusetzen, zusätz-
lich zu den Änderungen und Anpassungen, die ohnehin zum 01.01. erfolgen. Dazu ist auch
ein ausreichender Vorlauf zwischen der Verkündung und dem Inkrafttreten des Gesetzes
notwendig.

Nicht nur bei einem Festhalten an den vorgesehenen Änderungen für selbständig Tätige und
freiwillig Versicherte (vgl. dazu Ziffer III. 2.), sondern auch in Bezug auf die für die Anpas-
sung der Entgeltabrechnungssysteme der Arbeitgeber notwendige Vorlaufzeit von unseres
Wissens einem halben Jahr, sollten die Regelungen erst zum 01.01.2023 in Kraft treten.

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