Stern Review: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels

Die Seite wird erstellt Michaela Huber
 
WEITER LESEN
Stern Review: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels
Stern Review:
Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels
Stern Review: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels
© Crown copyright 2007

Veröffentlicht mit Genehmigung des britischen Schatzamtes.

Der Inhalt dieses Dokuments ist urheberrechtlich geschützt, darf jedoch (mit Ausnahme des Königlichen
Wappens und der Logos der Ministerien) in beliebigem Format und Medium kostenlos reproduziert werden,
vorausgesetzt, er wird korrekt reproduziert und nicht in einem irreführenden Zusammenhang verwendet.
Das reproduzierte Material muss unter Angabe des Titels als Crown Copyright kenntlich gemacht werden.

Weitere Informationen über den Stern-Review und die internationalen Anstrengungen zur Bekämpfung
des Klimawandels sind auf folgenden Webseiten zu finden:

Stern Review im Auftrag des britischen Schatzamtes: www.sternreview.org.uk
Ministerium für Auswärtige und Commonwealth-Angelegenheiten: www.fco.gov.uk
Ministerium für Umwelt, Ernährung und ländliche Angelegenheiten:
www.defra.gov.uk/environment/climatechange/index.htm
Climate Change Communications: [www.climatechallenge.gov.uk] zu erreichen über:
http://www.direct.gov.uk/en/Environmentandgreenerliving/Thewiderenvironment/Climatechange/index.htm

Diese Broschüre wurde auf mindestens 75% Recycling-Papier gedruckt.
Wenn Sie sie nicht mehr brauchen, führen Sie sie bitte wieder dem Materialkreislauf zu.

Danksagungen
Wir danken der Australian Antarctic Division für die Erlaubnis zur Verwendung des Fotos für das Logo
und David Barnett für den Entwurf des Logos.
Stern Review: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels
Zusammenfassung
                                                                                                                        1

Die wissenschaftlichen Beweise sind jetzt überwältigend: Der Klimawandel bringt sehr schwerwiegende

                                                                                                              STERN REVIEW: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels
globale Risiken mit sich und erfordert eine umgehende weltweite Reaktion.

Diese unabhängige Studie wurde vom britischen Schatzkanzler (Finanzminister) zur Vorlage bei ihm selbst
ebenso wie beim Premierminister in Auftrag gegeben. Sie ist als Beitrag zur Einschätzung der Beweislage
gedacht und soll zu einem besseren Verständnis der wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels führen.

Zunächst werden die vorliegenden Erkenntnisse über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wirtschaft
und die wirtschaftlichen Aspekte einer Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre
untersucht. In der zweiten Hälfte befasst sich die Studie mit den komplexen politischen Herausforderungen,
die damit verbunden sind, den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu bewältigen und dafür
zu sorgen, dass sich die Gesellschaftssysteme an die jetzt schon nicht mehr vermeidbaren Folgen des
Klimawandels anpassen können.

Die Studie nimmt eine internationale Sichtweise ein. Ursachen und Folgen des Klimawandels sind global,
und wirksame, effiziente und angemessene Gegenmaßnahmen von der erforderlichen Größenordnung
können nur durch kollektives internationales Vorgehen realisiert werden. Dafür muss die internationale
Zusammenarbeit in vielen Bereichen intensiviert werden – insbesondere bei der Schaffung von Preissignalen
und Märkten für Kohlendioxid (CO2), der Beschleunigung von Forschung, Entwicklung und Einsatz neuer
Technologien und der Förderung von Anpassungsmaßnahmen speziell in den Entwicklungsländern.

Der Klimawandel stellt die Wirtschaftssysteme vor eine noch nie da gewesene Herausforderung – er
ist das größte und folgenschwerste Marktversagen, das es je gegeben hat. Die wirtschaftliche Analyse
muss daher weltweit und auf langfristige Zeithorizonte ausgelegt sein, die ökonomischen Aspekte von
Risiko und Ungewissheit in den Mittelpunkt stellen und die Möglichkeit bedeutender, keineswegs marginaler
Veränderungen untersuchen. Um diesen Anforderungen zu genügen, greift die Studie auf Konzepte und
Methoden aus fast allen wichtigen Bereichen volkswirtschaftlicher Forschung zurück und berücksichtigt auch
viele neue Erkenntnisse.

Der Nutzen entschiedener frühzeitiger Maßnahmen gegen den Klimawandel überwiegt
die Kosten.

Die Auswirkungen unseres heutigen Handelns auf künftige Klimaveränderungen zeigen sich erst nach langen
Vorlaufzeiten. Was wir heute tun, hat also nur begrenzten Einfluss auf das Klima der nächsten 40 oder 50
Jahre. Andererseits kann das, was wir in den nächsten 10 oder 20 Jahren tun, möglicherweise tief greifende
Auswirkungen auf das Klima in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts und im nächsten Jahrhundert haben.

Niemand kann die Folgen des Klimawandels mit völliger Gewissheit voraussagen. Aber wir wissen inzwischen
genug, um die Risiken zu begreifen. Die Mitigation – also entschiedene Maßnahmen zur Emissionsminderung
– ist als eine Investition zu betrachten, d.h. als Kosten, die heute und in den kommenden Jahrzehnten in
Kauf genommen werden müssen, um die Risiken sehr schwerwiegender Folgen in der Zukunft zu vermeiden.
Wenn bei diesen Investitionen mit Bedacht vorgegangen wird, sind die Kosten tragbar, und es ergeben sich
vielfältige Möglichkeiten für Wachstum und Entwicklung. Damit dieser Prozess erfolgreich verläuft, muss die
Politik für verlässliche Marktsignale sorgen, Marktversagen beheben und eine angemessene Lastenverteilung
sowie Risikominderung in den Mittelpunkt stellen. Das ist im Wesentlichen der konzeptionelle Rahmen
dieser Studie.
Stern Review: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels
Die volkswirtschaftlichen Kosten des Klimawandels sowie Kosten und Nutzen von Maßnahmen zur
2
    Minderung der Emission klimaschädlicher Treibhausgase (THG) werden in dieser Studie auf drei
    verschiedene Weisen untersucht:

    ◗ mittels so genannter disaggregierter Methoden, wobei die praktischen Auswirkungen des Klimawandels
      auf die Wirtschaft, die Lebensbedingungen der Menschen und die Umwelt sowie die Kosten verschiedener
      Technologien und Strategien zur Verringerung der Treibhausgasemissionen separat untersucht werden;

    ◗ mittels wirtschaftlicher Modellrechnungen wie z.B. integrierter Modelle zur Einschätzung der
      wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels (Integrated Assessment Models) und makroökonomischer
      Modelle, die die gesamtwirtschaftlichen Kosten und Auswirkungen des Übergangs zu kohlenstoffarmen
      Energiesystemen darstellen;

    ◗ mittels Vergleichen der derzeitigen und der künftig zu erwartenden "Sozialkosten der CO2-Emissionen"
      (also der Kosten, die mit den Auswirkungen jeder zusätzlich ausgestoßenen THG-Einheit verbunden
      sind) mit den "Grenzkosten" der Emissionsminderung (den Kosten, die mit jeder zusätzlich eingesparten
      THG-Einheit verbunden sind).

    Aus allen diesen Blickwinkeln führen die hier zusammengetragenen Erkenntnisse zu einer einfachen
    Schlussfolgerung: Der Nutzen wirksamer, frühzeitiger Maßnahmen wiegt die damit verbundenen Kosten
    bei weitem auf.

    Die Beweise zeigen, dass das Wirtschaftswachstum letztlich Schaden nimmt, wenn wir den Klimawandel
    ignorieren. Unser Handeln in den nächsten paar Jahrzehnten könnte später in diesem und im nächsten
    Jahrhundert zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens führen,
    und zwar in einer Größenordnung, die den Weltkriegen und der Rezession in der ersten Hälfte des
    20. Jahrhunderts gleichkommt. Und es könnte sich als schwierig oder gar unmöglich erweisen, die
    Veränderungen rückgängig zu machen. Langfristig gesehen ist die Bekämpfung des Klimawandels eine
    wachstumsfreundliche Strategie, die so angelegt werden kann, dass sie die Wachstumserwartungen der
    reichen ebenso wie der armen Länder nicht zu dämpfen braucht. Je früher wirksame Maßnahmen ergriffen
    werden, umso weniger kostspielig werden sie sein.

    Gleichzeitig müssen angesichts der Tatsache, dass der Klimawandel bereits in Gang ist, unbedingt
    Maßnahmen ergriffen werden, um den Menschen bei der Anpassung an die Klimafolgen zu helfen.
    Je weniger wir jetzt für die Mitigation tun, desto schwieriger wird sich die Anpassung zukünftig gestalten.
Stern Review: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels
Sonstige energie-
                                                  Industrie          bezogene                                  Abb. 1
                             Elektrizität            (14%)           (5%)
                                  (24%)
                                                                                                               Treibhausgasemissionen im Jahre
                                                                              Abfälle                          2000, nach Emissionsquellen
                                                                              (3%)

                                                                                                               Gesamtemissionen im Jahre 2000: 42 GtCO2e

                                                                                           NICHT
     ENERGIEBEZOGENE                                                            ENERGIEBEZOGENE
                                                                                                               Energiebezogene Emissionen sind hauptsächlich
     EMISSIONEN                                                                      EMISSIONEN                CO2 (einige Nicht-CO2 in Industrie und
                                                                                                               sonstigen energiebezogenen).

                                                                                                               Nicht energiebezogene Emissionen sind CO2
                         Verkehr                                              Landwirtschaft                   (Landnutzungsänderung) und Nicht-CO2
                          (14%)                                               (14%)                            (Landwirtschaft, Abfälle).
                                    Gebäude
                                                              Landnutzungs-
                                       (8%)
                                                              änderung                                         Quelle: Erstellt vom Stern Review anhand von
                                                              (18%)                                            Daten, die mit dem Climate Analysis Indicators
                                                                                                               Tool (CAIT), Online-Datenbank Version 3.0 des

In der ersten Hälfte der Studie wird untersucht, wie die Erkenntnisse über die wirtschaftlichen Auswirkungen   World Resources Institute gewonnen wurden.
                                                                                                                                                                          3
des Klimawandels und über Kosten und Nutzen von Maßnahmen zur Minderung der Treibhausgasemissionen
in den oben beschriebenen konzeptionellen Rahmen einzuordnen sind.

                                                                                                                                                                STERN REVIEW: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels
Die wissenschaftlichen Daten weisen auf steigende Risiken schwerwiegender,
irreversibler Klimafolgen bei einem BAU-Emissionspfad hin (BAU = Business As Usual,
d.h. "weiter wie bisher").

Die wissenschaftlichen Beweise zu den Ursachen und zukünftigen Pfaden des Klimawandels erhärten sich
zunehmend. Insbesondere sind die Wissenschaftler inzwischen in der Lage, dem möglichen Temperaturanstieg
und den Auswirkungen auf die natürliche Umwelt, die bei den verschiedenen Stabilisierungsniveaus der
THG-Konzentration in der Atmosphäre zu erwarten sind, Wahrscheinlichkeitswerte zuzuordnen. Darüber
hinaus wissen die Klimaforscher heute viel mehr über das Potenzial für dynamische Rückkopplungen,
die bei Klimaveränderungen in früheren Zeiten die zu Grunde liegenden physikalischen Prozesse massiv
verstärkt haben.

Die atmosphärische Konzentration von Treibhausgasen (wie u.a. Kohlendioxid, Methan, Distickstoffoxid
und eine Reihe von Gasen, die bei industriellen Prozessen entstehen) zeigt infolge menschlicher Aktivitäten
zunehmende Tendenz. Die Emissionsquellen sind in Abb. 1. im Überblick dargestellt.

Die derzeitige Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre entspricht ca. 430 Teilen pro Million
(ppm) CO21, – im Vergleich zu nur 280 ppm vor der Industriellen Revolution. Die derzeitige Konzentration
hat bereits bewirkt, dass sich die Welt um mehr als ein halbes Grad Celsius erwärmt hat, und wird
aufgrund der Trägheit des Klimasystems im Laufe der nächsten paar Jahrzehnte zu mindestens einem
weiteren halben Grad Celsius Erwärmung führen.

Selbst wenn das jährliche Emissionsvolumen nicht über die heutigen Mengen hinaus anstiege, würde die
Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre bis 2050 ein Zweifaches des vorindustriellen Niveaus
erreichen – nämlich 550 ppm CO2e – und danach weiter ansteigen. Das jährliche Emissionsvolumen nimmt
jedoch zu, da schnell wachsende Wirtschaftssysteme in CO2-intensive Infrastruktur investieren und der
Energie- und Transportbedarf in der ganzen Welt ansteigt. Eine Konzentration von 550 ppm CO2e könnte
daher bereits 2035 erreicht werden. Bei dieser Konzentration besteht ein mindestens 77%-iges – je nach
verwendetem Klimamodell vielleicht sogar bis zu 99%-iges – Risiko, dass die Weltmitteltemperatur um mehr
als 2°C ansteigt.

Unter einem BAU-Szenario könnte sich die Treibhausgaskonzentration bis zum Ende des Jahrhunderts mehr
als verdreifachen, was ein mindestens 50%-iges Risiko ergibt, dass die globale Durchschnittstemperatur im
Laufe der folgenden Jahrzehnte um mehr als 5°C ansteigt. Damit geriete die Menschheit auf unbekanntes
Terrain. Die Größenordnung einer solchen Erwärmung lässt sich daran ermessen, dass unsere heutigen
Temperaturen nur 5°C höher sind als während der letzten Eiszeit.

                                                                                                               1
                                                                                                                   Im Folgenden als CO2-Äquivalent, CO2e
                                                                                                                   bezeichnet
Stern Review: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels
5%         400 ppm CO2e                 95%

                                                                                                                                                         450 ppm CO2e

                                                                                                                                                                             550 ppm CO2e

                                                                                                                                                                                          650 ppm CO2e

                                                                                                                                                                                                        750 ppm CO2e

                                                                                                                                       Letztendliche Temperaturänderung (gegenüber vorindustriellem Niveau)

          4                                                   Abb. 2                                                   0˚C                 1˚C                  2˚C                 3˚C                 4˚C                 5˚C
                                                                                                                       Nahrung
STERN REVIEW: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels

                                                              Stabilisierungsniveaus und                                             Rückläufige Ernteerträge in vielen Entwicklungsregionen
                                                              Wahrscheinlichkeitsbereiche
                                                                                                                                Schwere Aus-                 Steigende Zahl von Menschen von               Ganze Regionen erleben starken
                                                              des Temperaturanstiegs                                            wirkungen in                 Hunger bedroht (laut einer Studie             Rückgang der Ernteerträge
                                                                                                                                Sahel-Randgebieten           bei schwacher CO2-Düngung 25-60%              (z.B. um bis zu 1/3 in Afrika)
                                                                                                                                                             Zunahme in den 2080er Jahren in
                                                              Die Abbildung veranschaulicht die                                                              Afrika und Westasien)
                                                              Auswirkungen, mit denen weltweit bei
                                                              einer Stabilisierung bei höheren THG-                             Steigende Ernteerträge in Industrieländern                     Erträge in vielen Industrieländern selbst
                                                                                                                                auf hohen Breitengraden bei starker CO2-Düngung                bei starker CO2-Düngung rückläufig
                                                              Konzentrationen zu rechnen wäre. Der obere
                                                              Teil der Tafel zeigt die Temperaturbereiche,             Wasser                                 Erhebliche Veränderungen in der Verfügbarkeit
                                                              die bei verschiedenen Stabilisierungsniveaus                                                    von Wasser (eine Studie sagt für die 2080er
                                                              zwischen 400 ppm und 750 ppm CO2e                                                               Jahre Wassermangel für über 1 Mrd. Menschen
                                                                                                                                                              voraus, viele davon in Afrika; eine ähnliche
                                                              voraussichtlich erreicht werden. Die                                                            Anzahl wird mehr Wasser zur Verfügung haben)
                                                              durchgehenden Horizontallinien markieren
                                                                                                                              Kleine Berggletscher verschwinden                                               Meeresspiegelanstieg bedroht
                                                              den Bereich einer 5 – 95%-igen                                  weltweit – potentielle Bedrohung                                                große Weltstädte wie u.a.
                                                              Wahrscheinlichkeit – auf der Basis von                          für die Wasserversorgung in              Über 30% Rückgang des ober-            London, Schanghai, New York,
                                                                                                                              mehreren Gebieten                        irdischen Abflusses im Mittelmeer-     Tokio und Hongkong
                                                              Klimaempfindlichkeitsschätzungen des                                                                     raum und im südlichen Afrika
                                                              IPCC von 20012 und einer neuen Ensemble-
                                                              Studie des Hadley Centre3. Die Vertikallinie
                                                                                                                       Ökosysteme                 Ökosysteme können großenteils in derzeitiger Form nicht fortbestehen
                                                              kennzeichnet den Durchschnitt des 50.
                                                              Perzentils. Die gestrichelten Linien zeigen den                 Korallenriff-Ökosysteme            Möglicher Beginn des teilweisen
                                                                                                                              werden stark und schließlich       oder totalen Zusammenbruchs
                                                              Bereich einer 5 – 95%-igen Wahrscheinlichkeit                   irreversibel geschädigt            des Amazonas-Regenwalds
                                                              auf der Basis elf neuerer Studien4. Der
                                                                                                                                                                      Zahlreiche Arten vom Aussterben
                                                              untere Teil der Tafel veranschaulicht die                                                               bedroht (laut einer Studie 20-50%)
                                                              Spannbreite der Auswirkungen, mit denen
                                                              bei verschiedenen Erwärmungsniveaus                      Extrem-
                                                                                                                       wetter-        Zunehmende Intensität von Stürmen, Waldbränden, Dürren, Überschwemmungen und Hitzewellen
                                                              zu rechnen ist. Die Zusammenhänge
                                                                                                                       ereignisse
                                                              zwischen weltweiten Änderungen in der                                                               Leichter Anstieg der Hurrikan-
                                                                                                                                                                  Intensität führt zur Verdopplung
                                                              Durchschnittstemperatur und regionalen                                                              der Schadenskosten in den USA
                                                              Klimaveränderungen sind sehr ungewiss –
                                                              insbesondere im Hinblick auf Änderungen                  Risiko rapider
                                                                                                                                             Risiko sinkender natürlicher CO2-Absorption und möglicher Anstieg der natürlichen
                                                                                                                       Klimaveränderung      Methan-Freisetzung sowie Schwächung der thermohalinen Zirkulation im Atlantik
                                                              der Niederschlagsmengen (s. Kasten 4.2).
                                                                                                                       und schwerer
                                                              Diese Abbildung zeigt potenzielle                        irreversibler  Beginn des irreversiblen
                                                              Veränderungen auf der Basis der                          Folgen         Schmelzens des Grönlandeises
                                                                                                                                                                       Zunehmendes Risiko großer abrupter Verschiebungen
                                                              aktuellen wissenschaftlichen Literatur.                                                                  im Klimasystem (z.B. Zusammenbruch der thermohalinen
                                                                                                                                                                       Zirkulation im Atlantik und des westantarktischen Eisschildes)

                                                                                                                2
                                                                                                                    Wigley, T.M.L. und S.C.B. Raper (2001): ‘Interpretation of high projections for global-mean warming’, Science 293: 451-
                                                                                                                    454 based on Intergovernmental Panel on Climate Change (2001): ‘Climate change 2001: the scientific basis. Contribution
                                                                                                                    of Working Group I to the Third Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change’ [Houghton JT, Ding
                                                                                                                    Y, Griggs DJ, et al. (eds.)], Cambridge: Cambridge University Press.
                                                                                                                3
                                                                                                                    Murphy, J.M., D.M.H. Sexton D.N. Barnett et al. (2004): ‘Quantification of modelling uncertainties in a large ensemble of
                                                                                                                    climate change simulations’, Nature 430: 768-772
                                                                                                                4
                                                                                                                    Meinshausen, M. (2006): ‘What does a 2°C target mean for greenhouse gas concentrations? A brief analysis based on
                                                                                                                    multi-gas emission pathways and several climate sensitivity uncertainty estimates’, Avoiding dangerous climate change, in
                                                                                                                    H.J. Schellnhuber et al. (eds.), Cambridge: Cambridge University Press, pp.265-280.
Stern Review: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels
Derartige Änderungen würden die physikalische Geographie der Welt verwandeln. Eine radikale
                                                                                                                                                                        5
Veränderung der physikalischen Geographie aber hätte zwangsläufig weit reichende Konsequenzen
für die Humangeographie, d.h. darauf, wo die Menschen leben und wie sich ihr Leben gestaltet.

                                                                                                                                                              STERN REVIEW: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels
Abb. 2 gibt einen Überblick über die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse zu den Zusammenhängen
zwischen THG-Konzentration in der Atmosphäre und der wahrscheinlich daraus resultierenden mittleren
Erderwärmung sowie den praktischen Auswirkungen, mit denen bei den jeweiligen Temperaturen zu
rechnen wäre. Das Risiko schwerwiegender, irreversibler Klimafolgen nimmt mit steigender Konzentration
der Treibhausgase in der Atmosphäre stark zu.

Der Klimawandel bedroht die Lebensgrundlagen für Menschen in der ganzen Welt –
Zugang zu Wasser, Nahrungsmittelerzeugung, Gesundheit, Landnutzung und Umwelt.

Die volkswirtschaftlichen Kosten des Klimawandels zu schätzen ist kein leichtes Unterfangen. Es gibt jedoch
eine Reihe von Methoden bzw. Ansätzen, mit deren Hilfe wir die wahrscheinliche Größenordnung der
Risiken abschätzen und sie mit den Kosten vergleichen können. In dieser Studie werden drei dieser
Ansätze herangezogen.

Als erstes hat sich die Studie ausführlich mit den praktischen Auswirkungen auf Wirtschaftsaktivitäten,
Lebensbedingungen des Menschen und die Umwelt befasst.

Wenn sich die aktuellen Trends fortsetzen, wird die mittlere Erdtemperatur in den nächsten ca. fünfzig
Jahren um 2-3°C ansteigen.5 Nehmen die Emissionen weiter zu, wird die Erwärmung aber mit Sicherheit
noch mehrere Grade höher liegen.

Die Erderwärmung wird zahlreiche schwerwiegende Auswirkungen haben, bei denen Wasser oft eine
wichtige Rolle spielt:

◗ Das Abschmelzen der Gletscher wird zunächst das Überschwemmungsrisiko erhöhen und dann die
  Wasservorräte stark reduzieren. Dadurch wird letztlich ein Sechstel der Weltbevölkerung gefährdet,
  insbesondere auf dem indischen Subkontinent, in Teilen Chinas sowie in den Anden Südamerikas.

◗ Rückläufige Ernteerträge, besonders in Afrika, könnten dazu führen, dass Hunderte Millionen Menschen
  nicht mehr genug Nahrungsmittel erzeugen oder kaufen können. In den mittleren bis hohen Breiten
  könnten die Ernteerträge bei mäßigem Temperaturanstieg (2-3°C) steigen, mit zunehmender Erwärmung
  dann jedoch abnehmen. Bei 4°C und mehr Erwärmung wird die weltweite Nahrungsmittelproduktion
  wahrscheinlich stark beeinträchtigt.

◗ In höheren Breiten werden kältebedingte Todesfälle abnehmen. Durch den Klimawandel wird jedoch
  die Zahl der auf Unterernährung und Hitzestress zurückzuführenden Todesfälle weltweit steigen. Durch
  Vektoren (Wirte) übertragene Krankheiten wie Malaria und Denguefieber könnten sich weiter ausbreiten,
  wenn keine wirksamen Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

                                                                                                              5
                                                                                                                  Alle Änderungen der globalen Durch-
                                                                                                                  schnittstemperatur sind im Verhältnis
                                                                                                                  zum vorindustriellen Niveau (1750 – 1850)
                                                                                                                  ausgedrückt.
Stern Review: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels
◗ Bei einer Erwärmung um 3 oder 4°C werden durch den Anstieg des Meeresspiegels zusätzlich
          6
                                                                Dutzende bis Hunderte Millionen Menschen alljährlich von Überschwemmungen betroffen sein.
                                                                Es ist mit schwerwiegenden Risiken und einer steigenden Notwendigkeit des Hochwasserschutzes in
STERN REVIEW: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels

                                                                Küstenregionen Südostasiens (Bangladesch und Vietnam), kleinen Karibik- und Pazifikinseln und großen
                                                                Küstenstädten wie Tokio, New York, Kairo und London zu rechnen. Einer Schätzung zufolge könnte die
                                                                Anzahl der Menschen, die durch den steigenden Meeresspiegel, stärkere Überschwemmungen und
                                                                ausgeprägtere Dürren dauerhaft aus ihrer Heimat vertrieben werden, bis zur Mitte des Jahrhunderts
                                                                auf 200 Millionen ansteigen.

                                                              ◗ Die Ökosysteme reagieren auf den Klimawandel besonders empfindlich, ca. 15-40% der Arten sind
                                                                schon bei einer Erwärmung um 2°C potenziell vom Aussterben bedroht. Die Versauerung der Ozeane –
                                                                eine direkte Folge der steigenden Kohlendioxidkonzentration – wird drastische Auswirkungen auf die
                                                                Meeresökosysteme haben, was auch schädliche Folgen für die Fischbestände haben könnte.

                                                              Die klimabedingten Schäden werden mit zunehmender Erderwärmung größer.

                                                              Bei höheren Temperaturen nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass abrupte und weit reichende Veränderungen
                                                              ausgelöst werden.

                                                              ◗ Die Erwärmung kann zu plötzlichen Verschiebungen in regionalen Wettermustern wie z.B. dem
                                                                Monsunregen in Südostasien oder dem El Niño-Phänomen führen, was schwerwiegende Konsequenzen
                                                                für die Verfügbarkeit von Wasser bzw. das Auftreten von Überschwemmungen in den tropischen
                                                                Regionen mit sich bringen und die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen gefährden würde.

                                                              ◗ Eine Reihe von Studien weist darauf hin, dass der Regenwald am Amazonas durch den Klimawandel
                                                                geschädigt werden könnte. Modellierungen für diese Region sagen ein deutlich trockeneres Klima
                                                                voraus. Beispielsweise stellt ein Modell fest, dass der Regenwald am Amazonas durch eine Erwärmung
                                                                um 2-3°C signifikant und möglicherweise auf Dauer geschädigt werden könnte.

                                                              ◗ Das Abschmelzen bzw. der Zerfall von Eisschilden und Eisschelfen würde schließlich Gebiete bedrohen,
                                                                in denen heute 5% der Weltbevölkerung leben.

                                                              Es besteht zwar noch großer Forschungsbedarf hinsichtlich dieser Risiken, aber bei den Temperaturen, die
                                                              sich aus einem ungebremsten Klimawandel ergeben könnten, geriete die Menschheit auf völlig unbekanntes
                                                              Terrain jenseits aller menschlichen Erfahrungswerte. Hier zeichnen sich potenziell sehr schädliche Folgen ab.
Stern Review: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels
Die Klimafolgen sind nicht gleichmäßig verteilt – die ärmsten Länder und Menschen
                                                                                                                         7
werden als erste und am schwersten betroffen sein. Und wenn die Schäden sichtbar
werden, ist es zu spät, den Prozess rückgängig zu machen. Daher müssen wir

                                                                                                               STERN REVIEW: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels
unbedingt weit vorausschauen.

Der Klimawandel stellt für die Entwicklungsländer eine schwere Bedrohung dar und ist ein großes Hemmnis
für die weitere Armutsbekämpfung in allen ihren Dimensionen. Erstens sind die Entwicklungsländer ohnehin
geographisch benachteiligt. Sie haben im Durchschnitt schon jetzt ein wärmeres Klima als die Industrieländer
und weisen eine hohe Niederschlagsvariabilität auf. Somit wird weitere Erwärmung den armen Ländern hohe
Kosten und wenig Nutzen einbringen. Zweitens sind die Entwicklungsländer – insbesondere die ärmsten unter
ihnen – stark von der Landwirtschaft, dem klimaempfindlichsten aller Wirtschaftssektoren, abhängig und
haben mit unzureichender medizinischer Versorgung und schlechten öffentlichen Dienstleistungen zu kämpfen.
Drittens ist die Anpassung an den Klimawandel wegen des niedrigen Einkommensniveaus und anderer
Schwachpunkte für sie besonders schwierig.

Aufgrund solcher Schwachpunkte wird das ohnehin niedrige Einkommensniveau in den Entwicklungsländern
durch den Klimawandel noch mehr gedrückt und Krankheits- und Todeshäufigkeit werden weiter steigen.
Sinkende landwirtschaftliche Einkommen verschärfen die Armut und vermindern die Fähigkeit der Haushalte,
in eine bessere Zukunft zu investieren – sie sind gezwungen, ihre ohnehin kargen Ersparnisse aufzubrauchen,
einfach um zu überleben. Auf Staatsebene führt der Klimawandel zu verminderten Einnahmen und
steigendem Ausgabenbedarf, so dass sich die finanzielle Lage der betroffenen Staaten verschlechtert.

Viele Entwicklungsländer haben ohnehin schon Schwierigkeiten, mit ihren derzeitigen Klimaverhältnissen
zurechtzukommen. Klimaschocks verursachen bereits jetzt Rückschläge in der sozialen und wirtschaftlichen
Entwicklung einiger Länder, obwohl die Temperatur bisher um weniger als 1°C angestiegen ist. Die
Konsequenzen eines ungebremsten Klimawandels, d.h. ein Temperaturanstieg um 3 oder 4°C oder mehr,
werden die Risiken und Kosten derartiger Ereignisse um ein Vielfaches erhöhen.

Klimafolgen dieser Größenordnung könnten auch grenzübergreifende Folgen haben, was den Schaden noch
verschlimmern würde. Der Anstieg des Meeresspiegels und andere klimabedingte Veränderungen könnten
Millionen von Menschen zur Migration zwingen – bei einem Meeresspiegelanstieg von 1m stünde mehr als
ein Fünftel von Bangladesch unter Wasser – was Ende dieses Jahrhunderts der Fall sein könnte. Klimabedingte
Schockereignisse haben in der Vergangenheit schon gewaltsame Konflikte ausgelöst. In einigen Regionen wie
z.B. Westafrika, dem Nilbecken und Zentralasien sind Konflikte in der Tat ein ernst zu nehmendes Risiko.

In einigen wenigen Industrieländern könnte der Klimawandel anfangs geringfügige
positive Auswirkungen haben. Die viel stärkere Erwärmung, mit der Mitte bis Ende des
Jahrhunderts bei BAU-Szenarien zu rechnen ist, wird jedoch wahrscheinlich sehr schädliche
Folgen haben.

In einigen Regionen in höheren Breiten, z.B. in Kanada, Russland und Skandinavien könnten die Klima-
veränderungen bei einer Erwärmung um 2 oder 3°C einen Nettonutzen bringen – höhere landwirtschaftliche
Erträge, geringere Sterblichkeit im Winter, geringerer Heizbedarf und eine mögliche Zunahme des Tourismus.
In diesen Regionen ist aber auch mit den höchsten Erwärmungsraten zu rechnen – mit schädlichen Folgen
für Infrastruktur, menschliche Gesundheit, lokale Lebensgrundlagen und biologische Vielfalt.
Stern Review: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels
8

    Industrieländer in niedrigeren Breiten sind stärker gefährdet – beispielsweise ist bei einem Temperaturanstieg
    von 2°C damit zu rechnen, dass die Verfügbarkeit von Wasser und die Ernteerträge in Südeuropa um
    20% zurückgehen werden. Regionen, in denen Wasser ohnehin schon knapp ist, müssen mit ernsthaften
    Schwierigkeiten und steigenden Kosten rechnen.

    Die Schadenskosten infolge extremer Wetterereignisse (Orkane, Hurrikane, Taifune, Überschwemmungen,
    Dürren und Hitzewellen) machen einige der anfänglichen Vorteile des Klimawandels wett und nehmen bei
    höheren Temperaturen rapide zu. Nach einfachen Hochrechnungen könnten die Kosten extremer Witterung
    bis Mitte des Jahrhunderts bereits 0,5-1% des BIP der Welt erreichen. Und sie werden weiter steigen, wenn
    sich die Erde weiter erwärmt.

    ◗ Für die USA wird vorausgesagt, dass eine Zunahme der Windgeschwindigkeit von Hurrikanen um
      5 oder10%, die mit steigenden Meerestemperaturen zusammenhängt, die jährlichen Schadenskosten
      etwa verdoppeln wird.

    ◗ In Großbritannien könnten sich allein die Verluste durch Überschwemmungen von heute 0,1% auf
      0,2-0,4% des BIP jährlich erhöhen, wenn der Anstieg der Weltmitteltemperatur 3 oder 4°C erreicht.

    ◗ Hitzewellen wie die von 2003 in Europa, als 35.000 Menschen starben und die Verluste in
      der Landwirtschaft 15 Milliarden US-Dollar erreichten, werden Mitte des Jahrhunderts an der
      Tagesordnung sein.

    Bei höheren Temperaturen steht den Industrieländern ein zunehmendes Risiko weit reichender Schocks
    bevor. So könnten beispielsweise die steigenden Kosten extremer Witterung die weltweiten Finanzmärkte
    durch höhere und zunehmend volatile Versicherungskosten erschüttern.
Integrierte Modelle bieten ein Instrument zur Einschätzung der Gesamtauswirkungen auf
                                                                                                                        9
die Wirtschaft. Nach unseren Schätzungen ist mit viel weiter reichenden Auswirkungen
als bisher vermutet zu rechnen.

                                                                                                              STERN REVIEW: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels
Der zweite Ansatz zur Untersuchung der Risiken und Kosten des Klimawandels besteht in der Anwendung
so genannter Integrated Assessment Models, um aggregierte monetäre Schätzwerte zu erhalten.

Die formale Modellierung der Gesamtauswirkungen des Klimawandels in finanzieller Hinsicht ist eine
kolossale Aufgabe, und wegen der Grenzen, die globalen Modellrechnungen über zwei Jahrhunderte
oder mehr gesetzt sind, ist bei der Interpretation der Ergebnisse äußerste Vorsicht geboten. Aber wie
schon gesagt, ist die Zeitverzögerung zwischen Maßnahmen und Wirkung ausgesprochen lang, und
die quantitative Analyse, von der die Maßnahmen geleitet sein sollten, ist auf solche langfristigen
Modellierungen angewiesen. Inzwischen geht man davon aus, dass die finanziellen Auswirkungen
des Klimawandels schwerwiegender sein werden als frühere Studien vermuten ließen, nicht zuletzt,
weil bei diesen Studien einige besonders unsichere, aber potenziell sehr schädliche Auswirkungen nicht
berücksichtigt wurden. Dank neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse ist es jetzt möglich, diese Risiken
anhand von Wahrscheinlichkeiten genauer zu untersuchen.

In der Vergangenheit wurde für die meisten formellen Modellierungen als Ausgangspunkt ein Szenario
mit 2-3°C Erwärmung verwendet. In diesem Temperaturbereich könnten die Kosten des Klimawandels im
Vergleich zu dem, was in einer Welt ohne Klimawandel erzielbar gewesen wäre, einem dauerhaften Verlust
von ca. 0-3% der globalen Wirtschaftsleistung entsprechen. Die Entwicklungsländer werden sogar noch
höhere Einbußen erleiden.

Die früheren Modelle waren allerdings zu optimistisch, was die Erwärmung betrifft. Neuere wissenschaftliche
Daten lassen darauf schließen, dass der Temperaturanstieg bei BAU-Trends bis zum Ende des Jahrhunderts
2-3°C überschreiten könnte. Dadurch nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass das Spektrum der Auswirkungen
größer sein wird als zuvor vermutet. Viele davon, wie z.B. abrupte Klimaveränderungen in großem Maßstab,
sind schwierig zu quantifizieren. Bei einer Erwärmung um 5-6°C – die im nächsten Jahrhundert durchaus
denkbar ist – gehen heutige Modelle, die das Risiko abrupter und weit reichender Klimaveränderungen
einbeziehen, von einem durchschnittlichen Verlust von 5-10% des weltweiten BIP und von mehr als 10% des
BIP für die armen Länder aus. Ferner gibt es auch Hinweise auf ein kleines, aber doch signifikantes Risiko
einer noch über 5-6°C hinausgehenden Erwärmung. Ein Temperaturanstieg dieser Größenordnung würde
den Menschen mit bisher unbekannten Lebensbedingungen konfrontieren und radikale Änderungen in
unserer Umwelt hervorrufen.

Angesichts solcher potenzieller Entwicklungen war klar, dass sich der Modellierungsrahmen für diese
Studie auf wirtschaftliche Risikoanalysen stützen musste. Durch die Bildung eines Durchschnittswerts für
verschiedene Eventualitäten können Risiken verschleiert werden. Es besteht ein reales Risiko, dass viel
schlimmere Resultate als erwartet eintreten, und sie könnten katastrophale Folgen haben. Die Risiken zu
reduzieren ist das wesentliche Ziel der Klimapolitik. Sie können zwar nicht vollständig eliminiert werden,
lassen sich aber deutlich vermindern. Ein solcher Modellierungsrahmen muss auch ethische Werturteile
hinsichtlich der Verteilung der Einkommen und der Behandlung künftiger Generationen berücksichtigen.
Die Analyse sollte sich nicht auf eng gefasste Einkommensmaßstäbe wie z.B. das BIP beschränken. Der
10
                                                              Klimawandel wird sowohl für die Gesundheit der Menschen als auch für ihre Umwelt schwerwiegende
                                                              Konsequenzen haben. Ein umfassender Vergleich der verschiedenen Strategien wird auch eine Evaluierung
STERN REVIEW: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels

                                                              dieser Konsequenzen einbeziehen. Auch hier sind komplizierte Fragen von Konzeption, Ethik und
                                                              Messbarkeit im Spiel, und die Resultate sollten mit der gebotenen Vorsicht behandelt werden.

                                                              Anhand der Resultate eines spezifischen Modells namens PAGE2002 veranschaulicht die Studie, wie
                                                              sich die aus den integrierten Modellen abgeleiteten Schätzwerte in Reaktion auf neue wissenschaftliche
                                                              Erkenntnisse über die Wahrscheinlichkeiten, die bestimmten Erwärmungsgraden zuzuordnen sind, verändern.
                                                              Bei der Auswahl des Modells haben wir uns von der Vorgabe leiten lassen, die Risiken explizit zu analysieren
                                                              – es ist eines der sehr wenigen Modelle, mit dem eine solche Analyse durchführbar ist. Außerdem
                                                              berücksichtigen die Annahmen, die diesem Modell zu Grunde liegen, das gesamte Spektrum früherer
                                                              Untersuchungen. Wir haben das Modell zunächst mit einem Datensatz gefüttert, der den Klimaprognosen
                                                              im Bericht des Zwischenstaatlichen Sachverständigenausschusses für Klimaänderungen (IPCC) von 2001
                                                              entspricht. Dann haben wir einen zweiten Datensatz eingegeben, bei dem die verstärkend wirkenden
                                                              Rückkopplungen im Klimasystem eine kleine Zunahme zeigen. Diese Zunahme repräsentiert einen der
                                                              Bereiche erhöhter Klimarisiken, die seit 2001 in den von Fachkollegen geprüften ("peer-reviewed")
                                                              wissenschaftlichen Veröffentlichungen behandelt wurden.

                                                              Und schließlich haben wir uns auch die Frage gestellt, in welchem Maße die geschätzten wirtschaftlichen
                                                              Kosten des Klimawandels in die Höhe gehen würden, wenn angemessene soziale Diskontsätze verwendet
                                                              und Annahmen für eine gerechte Gewichtung bei der Bewertung der Klimafolgen in armen Ländern sowie
                                                              Schätzungen der Auswirkungen auf die Sterblichkeit und die Umwelt einbezogen würden.

                                                              Unter Berücksichtigung derjenigen Aspekte der Analyse, die sich derzeit einbeziehen lassen, schätzen
                                                              wir anhand dieses Modells, dass die Auswirkungen und Risiken des Klimawandels auf einem BAU-Pfad im
                                                              Verlauf der nächsten beiden Jahrhunderte Gesamtkosten verursachen würden, die einem durchschnittlichen
                                                              Rückgang des weltweiten Pro-Kopf-Verbrauchs um mindestens 5% entsprechen, heute und auf Dauer.
                                                              Diese Kostenschätzung liegt zwar schon auffallend hoch, aber sie lässt immer noch viele wichtige Aspekte
                                                              außer Acht.
Die Kosten eines BAU-Pfades wären noch höher, wenn in der Modellrechnung drei wichtigen Faktoren
                                                                                                              11
systematisch Rechnung getragen würde:

                                                                                                              STERN REVIEW: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels
◗ Zunächst erhöht die Einbeziehung der direkten Auswirkungen auf Umwelt und menschliche Gesundheit
  (die manchmal als 'nicht marktbezogene' Klimafolgen bezeichnet werden) unsere Schätzung der
  Gesamtkosten des Klimawandels auf diesem Pfad von 5% auf 11% des weltweiten Pro-Kopf-Verbrauchs.
  Allerdings ergeben sich hier schwierige analytische und ethische Probleme hinsichtlich der Messbarkeit.
  Die in diesem Modell genutzten Verfahren sind recht konservativ, was den Wert angeht, der diesen
  Auswirkungen zugeordnet wird.

◗ Zweitens deuten einige neue wissenschaftliche Daten darauf hin, dass das Klimasystem stärker als bislang
  vermutet auf die THG-Emissionen reagiert, was u.a. auf verstärkend wirkende Rückkopplungseffekte wie
  die Freisetzung von Methan und die Schwächung von CO2-Senken zurückzuführen ist. Unsere Schätzungen,
  die auf der Modellierung einer begrenzten Verstärkung dieser Reaktion beruhen, lassen darauf schließen,
  dass das potenzielle Ausmaß der Klimareaktion die Kosten des Klimawandels unter BAU-Bedingungen
  von 5% auf 7% des weltweiten Verbrauchs ansteigen lassen könnte, oder sogar von 11% auf 14%, wenn
  die erwähnten nicht marktbezogenen Auswirkungen mit berücksichtigt werden.

◗ Drittens entfällt ein überproportionaler Anteil der Belastung durch den Klimawandel auf die armen
  Regionen der Welt. Bei einer angemessen gewichteten Bewertung dieser Belastung könnten die
  geschätzten globalen Kosten des Klimawandels bei einer Erwärmung um 5-6°C um mehr als ein
  Viertel höher ausfallen als ohne eine solche Gewichtung.

Unter Einbeziehung dieser zusätzlichen Faktoren würden die Gesamtkosten des Klimawandels im BAU-
Szenario einen 20%-igen Rückgang des Pro-Kopf-Verbrauchs verursachen.

Zusammenfassend ist folgendes festzuhalten: Analysen, die die Prinzipien wirtschaftlicher Risikoanalyse
anwenden und das gesamte Spektrum möglicher Auswirkungen und Resultate in Betracht ziehen, weisen
darauf hin, dass der Klimawandel unter BAU-Bedingungen Wohlstandseinbußen in einer Größenordnung
verursachen würde, die einem Rückgang des Pro-Kopf-Verbrauchs um 5-20% entsprechen. Berücksichtigt
man die zunehmenden wissenschaftlichen Indizien für höhere Risiken, die Scheu vor der Möglichkeit von
Katastrophen und einen über eng gefasste Einkommensmaßstäbe hinausgehenden Ansatz, so liegt der
angemessene Schätzwert wahrscheinlich im oberen Bereich dieser Bandbreite.

Wirtschaftliche Prognosen auch nur für ein paar Jahre zu stellen, ist schon ein schwieriges und mit
Ungenauigkeiten verbundenes Unterfangen. Für die Analyse des Klimawandels aber müssen wir zwangsläufig
50, 100, 200 Jahre und noch weiter in die Zukunft blicken. Eine derartige Modellierung ist mit Vorsicht und
einem Schuss Demut anzugehen, und die Resultate sind nur für das jeweils Modell und seine zu Grunde
liegenden Annahmen gültig. Man sollte ihnen keine Genauigkeit und Gewissheit zuschreiben, die sich einfach
nicht erzielen lässt. Hinzu kommt, dass einige der großen klimawissenschaftlichen und ökonomischen
Ungewissheiten mit den Fragen zu tun haben, über die wir am wenigsten wissen (wie z.B. die Auswirkungen
sehr hoher Temperaturen), was sich daraus erklärt, dass diese für uns völliges Neuland sind. Die zentrale
Botschaft dieser Modelle ist diese: die wahrscheinlichkeitsgewichteten Kosten erscheinen ausgesprochen
hoch, wenn Risiken und Ungewissheiten im oberen Bereich angesiedelt werden. Durch eine entschiedene
Mitigationspolitik lassen sich die Risiken großenteils (wenn auch nicht vollständig) reduzieren, und unsere
These ist, dass die Risikominderung weitaus geringere Kosten verursachen wird als die Folgen eines
ungebremsten Klimawandels. In diesem Sinne ist die Mitigation eine äußerst produktive Investition.
Globale Emissionen (in GtCO2e)
                                                                70
                                                                                                                                                 2015 Hoher Spitzenwert – 1,0%/Jahr         2020 Niedriger Spitzenwert – 1,5%/Jahr
                                                                60                                                                               2020 Hoher Spitzenwert – 2,5%/Jahr         2030 Niedriger Spitzenwert – 2,5%/Jahr
                                                                                                                                                 2030 Hoher Spitzenwert – 4,0%/Jahr          2040 Niedriger Spitzenwert – 3,0%/Jahr
                                                                50                                                                               2040 Hoher Spitzenwert – 4,5%/Jahr (Überschreiten)

                                                                40

                                                                30

                                                                20

                                                                10

                                                                  0
                                                                      2000                            2020                   2040                          2060                               2080                            2100

                                                              Abb. 3                                         Wirtschaftswachstum hat bisher stets Emissionen verursacht und wird das auch
12
                                                                                                             weiterhin tun. Dennoch ist eine Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration in der
                                                                                                             Atmosphäre machbar und mit anhaltendem Wachstum vereinbar.
STERN REVIEW: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels

                                                              Darstellung von Emissionspfaden
                                                              zur Stabilisierung bei 550 ppm
                                                              CO2e                                           Es bestand immer ein enger Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen und Pro-Kopf-BIP. So haben
                                                                                                             Nordamerika und Europa seit 1850 mit ihrer Energieerzeugung ca. 70% aller CO2-Emissionen verursacht,
                                                              Die Abbildung zeigt sechs Pfade zur
                                                                                                             während die Entwicklungsländer für weniger als ein Viertel der Emissionen verantwortlich waren. In Zukunft
                                                              Stabilisierung bei 550 ppm CO2e.
                                                                                                             aber wird der Emissionsanstieg in erster Linie von den heutigen Entwicklungsländern ausgehen, was auf
                                                              Bei den in der Legende aufgeführten
                                                                                                             ihr rapides Bevölkerungswachstum, den Anstieg ihres BIP und den zunehmenden Anteil energieintensiver
                                                              Emissionsminderungsraten handelt es sich
                                                                                                             Industriezweige zurückzuführen ist.
                                                              um maximale 10-Jahres-Durchschnittsraten
                                                              der globalen Emissionsminderung. Die
                                                                                                             Trotz dieser historischen Muster und der Projektionen für einen BAU-Pfad braucht sich die Welt aber
                                                              Abbildung zeigt, dass eine Verzögerung
                                                                                                             keineswegs zwischen Klimaschutz und Förderung von Wachstum und Entwicklung zu entscheiden.
                                                              der Emissionsminderung (Verlagerung der
                                                                                                             Veränderungen in den Energietechnologien und den Wirtschaftsstrukturen haben besonders in einigen
                                                              Spitzenwerte nach rechts) bedeutet, dass die
                                                                                                             reichen Ländern dafür gesorgt, dass Emissionsvolumen und Einkommenszuwachs nicht mehr so eng
                                                              Emissionen dann schneller reduziert werden
                                                                                                             gekoppelt sind. Mit Hilfe konsequenter und wohl abgewogener politischer Entscheidungen ist es möglich,
                                                              müssen, um dasselbe Stabilisierungsziel
                                                                                                             die CO2-Emissionen der Industrie- ebenso wie der Entwicklungsländer in dem Umfang zu reduzieren, der
                                                              zu erreichen. Die Emissionsminderungsrate
                                                                                                             zur Klimastabilisierung erforderlich ist, und dabei gleichzeitig das Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten.
                                                              reagiert auch sehr empfindlich auf die Höhe
                                                              des Spitzenwerts. Wenn die Emissionen
                                                                                                             Für eine Stabilisierung – auf welchem Niveau sie auch erfolgt – müssen die jährlichen Emissionen auf ein
                                                              beispielsweise im Jahre 2020 bei einem
                                                                                                             Maß reduziert werden, das der natürlichen Kapazität der Erde zur Absorption von Treibhausgasen aus der
                                                              Wert von 48 GtCO2 statt 52 GtCO2 gipfeln,
                                                                                                             Atmosphäre entspricht. Je länger die Emissionen dieses Maß überschreiten, desto höher wird letztlich auch
                                                              reduziert sich die Minderungsrate von 2,5%
                                                                                                             das Stabilisierungsniveau liegen. Langfristig gesehen müssen die jährlichen Emissionen global auf weniger
                                                              pro Jahr auf 1,5% pro Jahr.
                                                                                                             als 5 Gigatonnen CO2e reduziert werden – das ist das Maß, das die Erde verkraften kann, ohne dass
                                                                                                             sich die THG-Konzentration in der Atmosphäre weiter erhöht. Dieser Wert liegt mehr als 80% unter dem
                                                              Quelle: Im Stern Review reproduziert auf
                                                                                                             derzeitigen absoluten jährlichen Emissionsvolumen.
                                                              Basis von Meinshausen, M. (2006): 'What
                                                              does a 2°C target mean for greenhouse gas
                                                                                                             Die vorliegende Studie hat sich darauf konzentriert, die Realisierbarkeit und die Kosten einer Stabilisierung
                                                              concentrations? A brief analysis based on
                                                                                                             der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre im Bereich von 450-550 ppm CO2e zu untersuchen.
                                                              multi-gas emission pathways and several
                                                              climate sensitivity uncertainty estimates',
                                                                                                             Eine Stabilisierung bei 550 ppm CO2e oder darunter würde voraussetzen, dass die globalen Emissionen in
                                                              Avoiding dangerous climate change, in
                                                                                                             den nächsten 10-20 Jahren ihren Höchstwert erreichen und danach um mindestens 1-3% jährlich abnehmen.
                                                              H.J. Schellnhuber et al. (eds.), Cambridge:
                                                                                                             Die möglichen Pfade sind in Abbildung 3 dargestellt. Bis 2050 müssten die globalen Emissionen demnach
                                                              Cambridge University Press, S. 265-280.
                                                                                                             um ca. 25% unter den derzeitigen Werten liegen. Und diese Absenkung müsste im Kontext einer Weltwirtschaft
                                                                                                             erfolgen, deren Volumen 2050 evtl. 3-4-mal so groß ist wie heute. Das bedeutet, dass die Emissionen pro
                                                                                                             BIP-Einheit 2050 nur ein Viertel der heutigen Werte ausmachen dürften.

                                                                                                             Um eine Stabilisierung bei 450 ppm CO2e ohne Überschreiten des Soll-Scheitelpunkts ("overshooting") zu
                                                                                                             realisieren, müssten die globalen Emissionen in den nächsten 10 Jahren ihren Höchstwert erreichen und dann
                                                                                                             pro Jahr um mehr als 5% fallen, so dass sie bis 2050 ein Niveau von 70% unterhalb des heutigen erreichen.
Theoretisch wäre ein "overshooting" möglich, wenn man die THG-Konzentration in der Atmosphäre
                                                                                                               13
oberhalb des Stabilisierungsniveaus gipfeln und erst später absinken ließe. Das wäre allerdings praktisch
sehr schwierig zu bewerkstelligen und auch sehr unklug. Emissionspfade, die den Soll-Scheitelpunkt

                                                                                                               STERN REVIEW: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels
überschreiten, bringen größere Risiken mit sich, da die Temperaturen ebenfalls rapide ansteigen und viele
Jahrzehnte lang auf einem höheren Niveau verharren, bevor sie schließlich zurückgehen. Eine derartige
Überschreitung würde außerdem erfordern, dass die Emissionen später auf ein extrem niedriges Niveau –
noch unterhalb des Niveaus der natürlichen Kohlendioxidabsorption – reduziert werden, was möglicherweise
praktisch gar nicht realisierbar wäre. Wenn die hohen Temperaturen die Kapazität der Erde zur CO2-
Absorption zusätzlich abschwächen – was beim Überschreiten des Soll-Scheitelpunkts immer wahrscheinlicher
wird – müssten die Emissionen danach noch schneller reduziert werden, um ein gegebenes Stabilisierungsziel
für die atmosphärische THG-Konzentration zu erreichen.

Die Realisierung derartig einschneidender Kürzungen verursacht Kosten. Die Studie
schätzt, dass die Kosten einer Stabilisierung bei 500-550 ppm CO2e bis zum Jahr 2050
jährlich ca. 1% des BIP betragen werden – das ist zwar signifikant, aber verkraftbar.

Den historischen Trend des Emissionsanstiegs umzukehren und die Emissionen im Vergleich zum heutigen
Niveau um 25% oder mehr zu reduzieren, ist eine enorme Herausforderung. Der Übergang der Welt von einem
hohen zu einem niedrigen CO2-Ausstoß wird mit Kosten verbunden sein. Durch wachsende Absatzmärkte für
CO2-arme, hocheffiziente Waren und Dienstleistungen werden sich aber auch wirtschaftliche Chancen ergeben.

Es gibt vier Möglichkeiten, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Die Kosten werden sehr unterschiedlich
ausfallen, je nachdem, welche Kombination von Methoden angewendet wird und um welchen Marktsektor
es geht:

◗ Senkung der Nachfrage nach emissionsintensiven Waren und Dienstleistungen

◗ Steigerung der Energieeffizienz, womit sowohl Kosten als auch Emissionen eingespart werden können

◗ Maßnahmen in Bezug auf Emissionen, die nichts mit der Energieerzeugung zu tun haben, z.B. das
  Verhindern der Entwaldung

◗ Übergang zu weniger CO2-intensiven Technologien für Stromerzeugung, Heizung und Verkehr

Die mit diesen Veränderungen verbundenen Kosten können auf zwei Arten geschätzt werden. Bei der einen
werden die Kosten von Klimaschutzmaßnahmen – einschließlich der Einführung CO2-armer Technologien
und einer veränderten Landnutzung – mit den Kosten eines ungebremsten Emissionsanstiegs (BAU-Pfad)
verglichen. Daraus ergibt sich eine obere Kostengrenze, da hier die Möglichkeit einer Senkung der
Nachfrage nach CO2-intensiven Waren und Dienstleistungen nicht berücksichtigt wird.

Bei der zweiten Methode werden makroökonomische Modelle eingesetzt, um die systemweiten Auswirkungen
des Übergangs zu einer CO2-armen Energiewirtschaft auszuloten. Dies kann nützlich sein, um die dynamischen
Wechselwirkungen verschiedener Faktoren, darunter auch die Reaktion der Wirtschaftssysteme auf
Preisänderungen, über einen Zeitraum hinweg zu verfolgen. Allerdings können derartige Modelle sehr
komplex sein, und die Ergebnisse werden von zahlreichen Annahmen beeinflusst.

Die zentrale Schätzung auf der Basis dieser beiden Methoden läuft darauf hinaus, dass die Stabilisierung
der Treibhausgase bei Werten von 500-550 ppm CO2e bis zum Jahre 2050 im Durchschnitt jährlich ca. 1%
des weltweiten BIP kosten wird. Das ist zwar eine signifikante Einbuße, aber durchaus vereinbar mit weiterem
Wachstum und Entwicklung – im Gegensatz zu einem ungebremsten Klimawandel, der mit der Zeit eine
beträchtliche Gefahr für das Wirtschaftswachstum darstellen würde.
Schätzungen zufolge wird die Obergrenze der zu erwartenden jährlichen Kosten von
14
                                                              Emissionssenkungen, die mit einer Stabilisierung bei 550 ppm CO2e kompatibel sind,
                                                              bis 2050 bei ca. 1% des BIP liegen.
STERN REVIEW: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels

                                                              In der vorliegenden Studie wurde im Detail untersucht, welches Potenzial für Technologien und Maßnahmen
                                                              zur Emissionsminderung in den verschiedenen Sektoren besteht und welche Kosten damit jeweils verbunden
                                                              wären. Ebenso wie bei den Auswirkungen des Klimawandels bestehen auch in dieser Hinsicht bedeutende
                                                              Ungewissheiten. Dazu gehören die Schwierigkeiten, die Technologiekosten über mehrere Jahrzehnte in die
                                                              Zukunft zu projizieren und abzuschätzen, wie sich die Preise für fossile Brennstoffe in Zukunft entwickeln
                                                              werden. Abgesehen davon ist auch schwer einzuschätzen, wie die Menschen auf Preisänderungen
                                                              reagieren werden.

                                                              Wie sich die Mitigationsanstrengungen konkret entwickeln und welche Komponenten der Emissionsminderung
                                                              in den verschiedenen Marktsektoren eingesetzt werden, hängt daher von allen diesen Faktoren ab. Es ist
                                                              jedoch möglich, eine zentrale Kostenprojektion für ein Portfolio wahrscheinlicher Optionen innerhalb einer
                                                              bestimmten Bandbreite vorzunehmen.

                                                              Das technische Potenzial für Effizienzverbesserungen, die Emissionen mindern und Kosten senken, ist erheblich.
                                                              Im Verlauf der letzten hundert Jahre wurde die Effizienz in der Energieversorgung der Industrieländer um
                                                              ein Zehnfaches oder mehr gesteigert, und die Möglichkeiten für weitere Verbesserungen sind keineswegs
                                                              erschöpft. Aus Studien der Internationalen Energieagentur geht hervor, dass die Verbesserung der
                                                              Energieeffizienz das Potenzial besitzt, bis 2050 zur wichtigsten Emissionseinsparmöglichkeit im Energiesektor
                                                              zu werden. Dies wäre sowohl für die Umwelt als auch wirtschaftlich günstig: effizienzsteigernde Maßnahmen
                                                              reduzieren die Energieverschwendung und sparen oft Geld.

                                                              Nicht mit Energieerzeugung verbundene Emissionen machen ein Drittel der gesamten Treibhausgasemissionen
                                                              aus, und Maßnahmen auf diesem Gebiet werden daher einen wichtigen Beitrag leisten. Zahlreiche Indizien
                                                              lassen darauf schließen, dass Maßnahmen zur Verhinderung einer weiteren Entwaldung im Vergleich zu
                                                              anderen Minderungsarten relativ preiswert wären, wenn ein entsprechender politischer Rahmen und
                                                              geeignete institutionelle Strukturen geschaffen werden.

                                                              Um mittel- bis langfristig radikale Emissionskürzungen zu erzielen, müssen in den Bereichen Elektrizität,
                                                              Heizung und Verkehr umweltfreundliche Technologien in großem Maßstab zum Einsatz kommen. Der
                                                              Elektrizitätssektor müsste weltweit bis 2050 zu mindestens 60%, eventuell sogar zu 75% CO2-frei werden,
                                                              um eine Stabilisierung bei 550 ppm CO2e oder darunter zu erzielen. Im Verkehrssektor wird es kurzfristig
                                                              wahrscheinlich schwierig sein, einschneidende Minderungen zu erreichen, letztlich wird das jedoch
                                                              unumgänglich sein. Viele Technologien zur Verwirklichung dieser Verbesserungen existieren bereits, und
                                                              das vorrangige Ziel besteht nun darin, die Kosten dieser Technologien so weit zu senken, dass sie im Rahmen
                                                              einer CO2-Preisordnung wettbewerbsfähig werden gegenüber Alternativen, die fossile Brennstoffe nutzen.

                                                              Zur Stabilisierung der Emissionen ist ein Portfolio von Technologien nötig. Es ist äußerst unwahrscheinlich,
                                                              dass eine einzige Technologie in der Lage wäre, alle erforderlichen Emissionseinsparungen zu liefern,
                                                              da alle Technologien irgendwelchen Einschränkungen unterliegen und es eine Vielfalt von Aktivitäten
                                                              und Sektoren gibt, die Treibhausgase verursachen. Darüber hinaus ist ungewiss, welche Technologien
                                                              sich als die preiswertesten erweisen werden. Deshalb wird für eine kostengünstige Emissionsminderung
                                                              ein Technologie-Portfolio erforderlich sein.
Globales und US-BIP
         Unterschied zum Referenzwert (%)                                                                    Abb. 4
    10
                                                                                                             Streudiagramm modellierter
     5                                                                                                       Kostenprojektionen
     0
                                                                                                             Kosten der CO2-Minderung als
    -5                                                                                                       Prozentsatz des Welt-BIP im
                                                                                                             Verhältnis zum Grad der
   -10
                                                                                                             Minderung
   -15                                                                     IMCP-Datensatz
                                                                                                             Quelle: Barker, T., M.S. Qureshi und
   -20                                                                     post-SRES-Datensatz
                                                                                                             J. Köhler (2006): 'The costs of greenhouse-
                                                                           WRI-Datensatz (nur USA)           gas mitigation with induced technological
   -25
                                                                                                             change: A Meta-Analysis of estimates in
   -30
                                                                                                             the literature', 4CMR, Cambridge Centre
         -100        -80             -60             -40            -20               0              20
                                                                                                             for Climate Change Mitigation Research,
                                    CO2 Unterschied zum Referenzwert (%)
                                                                                                             Cambridge: University of Cambridge.

Der Übergang zu einer CO2-armen Weltwirtschaft wird vor dem Hintergrund reichlich vorhandener fossiler       Eine Vielfalt von Modellierungsstudien,
                                                                                                             einschl. der durch IMCP, EMF und USCCSP
                                                                                                                                                              15
Brennstoffe stattfinden. Mit anderen Worten, die Vorräte an Kohlenwasserstoffen, deren Förderung (unter
den derzeitigen politischen Rahmenbedingungen) profitabel ist, sind mehr als ausreichend, um der Welt        durchgeführten Untersuchungen, sowie vom

                                                                                                                                                              STERN REVIEW: Die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels
Treibhausgaskonzentrationen zu bescheren, die weit über 750 ppm CO2e hinausgehen, was sehr gefährliche       IPCC in Auftrag gegebene Forschungsarbeiten

Konsequenzen hätte. Bei einer BAU-Politik werden die Energieverbraucher wahrscheinlich sogar auf noch        weisen darauf hin, dass sich die für 2050

CO2-intensivere Kohle und Ölschiefer umsteigen und damit das Emissionsvolumen weiter hochtreiben.            projizierten Kosten bei einem Emissionspfad,
                                                                                                             der zur Stabilisierung bei ca. 500-550 ppm

Selbst bei sehr stark zunehmender Nutzung von Erneuerbaren und anderen CO2-armen Energiequellen              CO2e führt, im Bereich von -2% bis +5%

wird auch 2050 möglicherweise noch mehr als die Hälfte des globalen Energieverbrauchs mit Kohlen-            des BIP gruppieren und im Durchschnitt bei

wasserstoffen gedeckt. Ein großtechnischer Einsatz von CO2-Abscheidung und -Speicherung würde die            1% des BIP liegen. Die Bandbreite spiegelt

fortgesetzte Nutzung fossiler Brennstoffe ohne Schaden für die Atmosphäre gestatten und auch der Gefahr      Ungewissheiten hinsichtlich des erforderlichen

vorbeugen, dass eine entschiedene Klimaschutzpolitik möglicherweise irgendwann durch einen Preisrückgang     Minderungsumfangs, des Tempos der

bei fossilen Brennstoffen untergraben würde.                                                                 technologischen Innovation und des Grades
                                                                                                             politischer Flexibilität wider.

Schätzungen auf der Basis der wahrscheinlichen Kosten dieser Emissionsminderungsmethoden zeigen, dass
die jährlichen Kosten einer Stabilisierung bei ca. 550 ppm CO2e im Jahre 2050 wahrscheinlich bei ca. 1%      Die Abbildung oben stützt sich auf Barkers

des globalen BIP liegen werden, mit einem Schwankungsspielraum von -1% (Nettogewinne) bis +3,5% des BIP.     kombinierten Drei-Modelle-Datensatz und
                                                                                                             zeigt die Minderung der jährlichen CO2-

Breiter angelegte makroökonomische Modelle bestätigen diese Schätzungen.                                     Emissionen gegenüber dem Referenzwert
                                                                                                             und die damit verbundenen Änderungen

Der zweite in dieser Studie verfolgte Ansatz stützt sich auf den Vergleich von Schätzwerten aus einem        im Welt-BIP. Die große Bandbreite der

breiten Spektrum makroökonomischer Modelle (wie beispielsweise in Abb. 4 dargestellt). Dieser Vergleich      Modellergebnisse resultiert aus der

ergab, dass die Kosten einer Stabilisierung bei 500-550 ppm CO2e bis 2050 durchschnittlich bei ca. 1%        Konzeption der jeweiligen Modelle sowie

des BIP liegen, mit einer Schwankung von -2% bis +5% des BIP. Dieser Schwankungsspielraum ergibt sich        der Auswahl der darin verwendeten

aus einer Reihe von Faktoren, darunter auch das Tempo der technologischen Innovation und die Effizienz,      Annahmen, die wiederum für das Stellen von

mit der weltweit politische Maßnahmen umgesetzt werden: je schneller die Innovation und je größer die        Zukunftsprognosen typische Ungewissheiten

Umsetzungseffizienz, desto niedriger die Kosten. Diese Faktoren sind durch die Politik beeinflussbar.        und unterschiedliche Ansätze widerspiegeln.
                                                                                                             Das Gesamtspektrum der aus verschiedenen

Ab Mitte des Jahrhunderts wird der Durchschnitt der zu erwartenden Kosten voraussichtlich weiter bei         Stabilisierungspfaden und -jahren abgeleiteten

ca. 1% des BIP liegen. Allerdings divergiert die Bandbreite der Schätzungen dann stark. Einige nehmen bis    Schätzwerte erstreckt sich von -4% des BIP

2100 ab und andere steigen steil an, was die größere Ungewissheit hinsichtlich der Kosten widerspiegelt,     (d.h. Nettogewinne) bis +15% des BIP

die die Suche nach zunehmend innovativen Minderungsmethoden mit sich bringen wird.                           (Kosten), wobei es sich jedoch hauptsächlich
                                                                                                             um "Ausreißer" (stark vom Mittelwert

Eine Stabilisierung bei 450 ppm CO2e liegt schon jetzt fast außerhalb unserer Reichweite, da dieser Wert     abweichenden Studien) handelt, während die

wahrscheinlich schon innerhalb der nächsten zehn Jahre erreicht sein wird und es mit den jetzt verfügbaren   Mehrzahl der Schätzungen bei etwa 1% des

bzw. absehbaren Technologien wirklich schwierig ist, die dafür erforderlichen starken Minderungen zu         BIP liegt. Insbesondere gehen die Modelle,

erreichen. Die Kosten steigen in signifikantem Maße an, wenn die angestrebte Minderung größer sein soll      die zu höheren Kostenschätzungen gelangen,

oder rascher erreicht werden soll. Maßnahmen zu einer rapiden Emissionsminderung werden wahrscheinlich       hinsichtlich des technologischen Fortschritts

sehr kostspielig sein.                                                                                       von Annahmen aus, die historisch gesehen
                                                                                                             sehr pessimistisch erscheinen.

Eine wichtige Konsequenz hieraus ist, dass für jede Verzögerung ein hoher Preis zu zahlen sein wird.
Maßnahmen gegen den Klimawandel hinauszuzögern, würde unweigerlich bedeuten, dass wir mehr
Klimawandel und letztlich höhere Minderungskosten in Kauf nehmen müssten. Wenn in den nächsten
10-20 Jahren nur halbherzige Maßnahmen ergriffen werden, würde selbst eine Stabilisierung bei 550 ppm
CO2e außer Reichweite geraten – und auch dieses Konzentrationsniveau birgt bereits signifikante Risiken.
Sie können auch lesen