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Österreich im internationalen Lesson Study Kontext und Student-led Lesson Studies (SLS) Peter Posch (IUS, Universität Klagenfurt) CARN-DACH Tagung, Klagenfurt, 21.-22.1.2022
In Österreich sind Lesson Studies auf fruchtbaren Boden gefallen Starkes Engagement mehrerer Pädagogischer Hochschulen: z.B. in Kärnten, Niederösterreich und Oberösterreich Integration von Lesson Studies in das Lehrerbildungs- und Fortbildungsprogramm. Publikationen mit Praxisbeispielen (u.a. Mewald & Rauscher 2019 sowie Soukup-Altrichter, Steinmair & Weber, 2020). Fallstudien (u.a. Klammer & Hanfstingl 2019; Gruber 2019; Gierlinger, Spann & Wagner 2016). theoretische Beiträge (u.a. Altrichter, Posch & Spann 2018; Mayrhofer, 2019; Isak & Zehetmeier, 2018; Posch 2015, 2019). CARN Konferenzen der deutschsprachigen Länder in Innsbruck 2019 und Klagenfurt 2021 (Habicher et al., 2020) und 2022.
Weltweite Verbreitung von Lesson Studies 2006 gründet das damalige „Hong Kong Institute of Education“ die „World Association of Lesson Studies“ (WALS). 2012 Gründung des „International Journal for Lesson and Learning Studies“ (IJLLS) als offizielles Organ der WALS. Über 40 Länder aller Kontinente haben an den WALS Konferenzen der letzten Jahre teilgenommen und aus über 30 Ländern wurden Beiträge im IJLLS veröffentlicht. Einige Länder sind dabei, ihr Professionalisierungssystem auf Lesson Studies umzustellen, u.a. Singapur und Indonesien. … und es zeichnen sich neue Entwicklungen der Lesson Studies ab: Student-led Lesson Studies
Müssen Lesson Studies lehrergeleitet sein? Bereits im Jahre 2015 hat John Elliott gefordert, dass Lernende in stärkerem Maße in Lesson Studies einbezogen werden sollten, um ihr Potential als Mitglieder von Lerngemeinschaften ausloten zu können. In mehreren Ländern, auch in Österreich, wurden inzwischen erste Erfahrungen gesammelt. In Japan, dem Ursprungsland der Lesson Studies, zeigen sich einige interessante Entwicklungen, die trotz der großen kulturellen Unterschiede zum deutschsprachigen Raum Anregungen für Innovationen bieten können.
Die Studie von Tamura und Uesugi: Involving Students in Lesson Study – A New Perspective (2020) Theoretischer Ausgangspunkt: Lave und Wengers Konzept des „Situated Learning“, nach dem Lernen nicht so sehr als individueller Fortschritt, sondern als Hineinwachsen in eine „Community of Practice“ verstanden wird, in der durch soziale Auseinandersetzung mit Praxis und durch sozialen Austausch gelernt wird. Praktischer Ausgangspunkt: eine japanische Mittelschule, an der schon seit mehreren Jahren Schüler und Schülerinnen in sogenannte „Student-led Learning Studies“ (SLS) intensiv einbezogen werden.
Merkmale der untersuchten Schule Die untersuchte Schule hat insgesamt 15 Klassen von je ca. 40 (!) Schülern und Schülerinnen. In jedem der drei Jahrgänge gibt es 5 Parallelklassen. In jedem Jahr führt jede/r Lehrende dieser Schule mindestens eine Lesson Study durch und ist auch an den Lesson Study Teams anderer Lehrender beteiligt.
Führungsaufgaben der Lernenden in japanischen Mittelschulen Führungsfunktionen in jeder Klasse (verteilt per Wahl pro Semester): Klassensprecher/in (Classroom Leader, wie bei uns), Lernverantwortliche/r (Learning Leader), Fachverantwortliche/r (Subject Leader) für fast jedes Fach (vor allem für Mathematik, Englisch, Science und Kunsterziehung, fallweise auch für andere Fächer). Medienverantwortliche (Broadcasting Leader), Reinigungsverantwortliche/r (Cleaning Leader)
Das theoretische Konzept Den Schülerinnen und Schülern soll bewusst werden, wie sie lernen und wie sie die Verarbeitung des Wissens verbessern können. Unterrichtsstunden werden als „Lernaktivitäten aus der Schülerperspektive“ gesehen. Die Lernenden sind in die Planung, Beobachtung und nachfolgende Diskussion und Reflexion der Unterrichtsstunde eingebunden. Innerhalb des Unterrichts umfassen die Aktivitäten konzentriertes Zuhören, individuelles Nachdenken, Arbeit in Kleingruppen oder Klassendiskussion. Zugrunde liegt die Theorie selbstregulierten Lernens, bei der Lernen als aktiver, konstruktiver Prozess angesehen wird, indem Lernende sich Ziele setzen und ihre Motivation und ihr Verhalten im Rahmen der Ziele und des jeweiligen sozialen Kontexts selbst steuern.
Methodische Vorgangsweise Zwei Wissenschaftler haben an dieser Schule ein Jahr lang die Praxis der Student-led Learning Studies verfolgt und dazu eine Klasse des Jahrgangs der 13-14jährigen Schüler und Schülerinnen ausgewählt. Sie haben an Forschungsstunden, sowie an den Planungs- und Reflexionsbesprechungen der Lehrenden und der Lernenden teilgenommen, und haben Lehrerinnen und Lehrer und die Schulleitung mehrfach interviewt. Für die Schülerinterviews wurden 18 SchülerInnen ausgewählt, die in dieser Klasse unterschiedliche Führungsrollen übernommen haben, vor allem die für die SLS zuständigen Lernverantwortlichen und Fachverantwortlichen.
Wie verläuft eine Student-led Lesson Study? Vor der Forschungsstunde: Der/die Lern- und der/die relevante Fachverantwortliche erhalten von der Klassenlehrerin ein Briefing über das Unterrichtskonzept der Forschungsstunde, das vom LS-Team ausgearbeitet worden ist. Sie nehmen auch an einer Planungsbesprechung des Lehrerteams teil. Eine Woche vor der Forschungsstunde findet eine vorbereitende Besprechung (pre-discussion) aller Lern- und der jeweiligen Fachverantwortlichen der Schule statt. Die beiden Vertreter der Forschungsklasse erklären die angestrebten Lernaktivitäten und vereinbaren die Beobachtungsaufgaben bei der Forschungsstunde. Sie werden dabei von einer Lehrkraft unterstützt.
Während der Forschungsstunde Dauer der Forschungsstunde: 60 Minuten (Normale Unterrichtsstunden dauern nur 50 Minuten). Anwesend sind (neben dem Lehrerteam) die Lernverantwortlichen und relevanten Fachverantwortlichen der anderen Klassen der Schule. Sie beobachten (im Schichtbetrieb von jeweils 20 Minuten) die Stunde nach den vereinbarten Gesichtspunkten und notieren ihre Beobachtungen (Stärken und Herausforderungen). An der Forschungsstunde nehmen meist auch Lehrende teil, die nicht dem Lesson Study Team angehören – ebenfalls im Schichtbetrieb – und überlassen ihre eigenen Schülerinnen in dieser Zeit dem Selbststudium.
Nach der Forschungsstunde Die Lehrerinnen und Lehrer des Lesson Study Teams führen ihre Postdiskussion noch am selben Tag durch. Die Lern- und Fachverantwortlichen, die den Unterricht beobachtet haben, nehmen z.T. daran teil und besprechen ihre Beobachtungen mit den Lehrern. Später wird in der Forschungsklasse eine „Reflexionssitzung“ durchgeführt, bei der die Beobachtungen vorgestellt und diskutiert werden und Schlussfolgerungen gezogen werden. Diese Sitzung wird von den Lern- und Fachverantwortlichen moderiert und von einem Lehrer unterstützt. Die Beobachter aus den anderen Klassen berichten auch in ihren eigenen Klassen über die Ergebnisse, stellen sie zur Diskussion und es werden gemeinsam Konsequenzen für die eigenen Lernaktivitäten überlegt. Zwei Wochen später treffen sich die beteiligten Lern- und Fachverantwortlichen aller Klassen, um gemeinsam die Erfahrungen auszutauschen.
Erste Erfahrungen der beiden Forscher Die Lernenden sind in der Lage, Lernaktivitäten ihrer Mitschüler zu beobachten und sie mit ihren eigenen Aktivitäten zu vergleichen. Sie sind auch in der Lage, positive Erfahrungen mit Lernaktivitäten anderer Klassen zu identifizieren und für sich zu nutzen. Die Lernenden können über ihre Lernprozesse gemeinsam mit den Lehrenden reflektieren und ihnen Feedback geben, um diese Prozesse zu verbessern. Die Lernenden können bei der konkreten Gestaltung ihrer Lernaktivitäten in Zusammenarbeit mit den Lehrenden eine konstruktive Rolle spielen.
Vorsichtiges Fazit Auch wenn die Unterschiede in der Lehr- und Lernkultur zwischen dem japanischen und dem deutschen Sprachraum groß sind, können diese Erfahrungen und der Trend, der sich darin abzeichnet, Anregungen bieten, neue Möglichkeiten der Beteiligung von Lernenden an der Gestaltung der Lesson Studies zu finden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit
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