Steuerungspotenziale der Agrar- und Raumordnungspolitik für ökologisch und ökonomisch nachhaltige ländliche Regionen - Sciendo
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Raumforsch Raumordn (2013) 71:381–396 DOI 10.1007/s13147-013-0244-9 Wissenschaftlicher Beitrag Steuerungspotenziale der Agrar- und Raumordnungspolitik für ökologisch und ökonomisch nachhaltige ländliche Regionen Ricardo Kaufer · Max Krott · Christiane Hubo · Lukas Giessen Eingegangen: 12. Juli 2012 / Angenommen: 20. Juni 2013 / Online publiziert: 5. Juli 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 Zusammenfassung Agrar- und Raumordnungspolitik be- Schlüsselwörter Raumordnungspolitik · Agrarpolitik · anspruchen in ihren Zielformulierungen zur nachhaltigen Nachhaltige Landnutzung · Politikziele · Instrumente Landnutzung in ländlichen Regionen beizutragen. Beide Politiken versprechen auf der Zielebene eine mehrdimen- sionale nachhaltige Entwicklung für Regionen, die sowohl The Potentials of Agricultural Policy and Spatial die Ökologie als auch die Ökonomie voranbringt und dar- Planning Policy for Ecological and Economic über hinaus Regionen Anschluss an wirtschaftliche Globa- Sustainable Rural Development lisierungsprozesse verschafft und interne Stoffflüsse stärkt. Zur Überprüfung dieses Anspruchs werden die Ziele und Abstract European and german spatial planning policy Instrumente der beiden Politiken separat hinsichtlich ihres and agricultural policy contain the policy objective to Steuerungspotentials für nachhaltige Landnutzung, opera- promote sustainable land use in rural areas. Both policies tionalisiert anhand der vier Nachhaltigkeitsdimensionen promise to promote comprehensive developments in rural Ökologieorientierung, Ökonomieorientierung, regionale areas, aiming at ecological target states, economic develop- und globale Orientierung, analysiert. Im Ergebnis zeigt ment, adaptation to economic globalization processes and sich, dass für die anspruchsvollen Ziele nur wenige starke strengthening regional stock flows to conserve resources. Instrumente zur Verfügung stehen und diese auf Ökonomie Analyzing these policies by testing their policy objectives und Anschluss an wirtschaftliche Globalisierungsprozesse and instruments in regard to sustainable land use deliv- fokussieren. Ökologieorientierung und die Stärkung re- ers that only less instruments can support these objectives. gionsinterner Stoffflüsse werden entgegen der Zielformu- Most instruments focus on economic development and ad- lierungen nicht durch ein zielentsprechendes Instrumenta- aptation to economic globalization processes. Ecological rium gestützt. target states and strengthening regional stock flows are not supported by sufficient instruments. R. Kaufer () · Prof. Dr. M. Krott · Dr. C. Hubo · Keywords Spatial planning policy · L. Giessen, Ph.D. Agricultural policy · Sustainable land use · Abteilung für Forst- und Naturschutzpolitik, Georg-August- Universität Göttingen, Büsgenweg 3, 37077 Göttingen, Policy objectives · Policy instruments Deutschland E-Mail: rkaufer@gwdg.de 1 Einleitung Prof. Dr. M. Krott E-Mail: mkrott@gwdg.de Die Beanspruchung ländlicher Regionen durch konkurrie- Dr. C. Hubo rende Landnutzungsformen, der ökonomische und soziale E-Mail: chubo@gwdg.de Wandel sowie die möglichen Folgen des Klimawandels L. Giessen, Ph.D. haben dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung länd- E-Mail: lgiesse@gwdg.de licher Regionen Auftrieb gegeben. Die Vorstellungen hin-
382 R. Kaufer et al. sichtlich nachhaltiger entwicklung bleiben trotz intensiver untersucht wurden.1 Die Analyse fokussiert deshalb neben wissenschaftlicher und politischer Diskussionen heterogen. der EU- und Bundesebene auf der Ebene der Länder Bran- nachhaltige landnutzung als zentraler Bestandteil der nach- denburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Die Ergeb- haltigen entwicklung ländlicher regionen wird dennoch nisse der Analyse sind auf weitere Regionen übertragbar, als eine lösung für die ökonomischen, ökologischen und da die Handlungsempfehlungen des Projektes nicht auf die sozialen herausforderungen gesehen (vgl. Bundesregierung ausgewählten Regionen ausgerichtet sind. In Kap. 2 wird 2002; WBgU 2008; giessen 2010a). der theoretische und methodische Ansatz, bestehend aus in die entwicklung der landnutzung in ländlichen dem politikwissenschaftlichen Konzept der Politiksektoren, regionen sind mehrere Politiken involviert. eine zentrale den Dimensionen nachhaltiger Entwicklung sowie der Ana- rolle spielen die agrar- und die raumordnungspolitik. ers- lysemethodik, dargestellt. In Kap. 3 folgen die Ergebnisse tere steuert den flächenmäßig größten Landnutzungssektor der empirischen Analyse. in Deutschland (eea 2010) und die raumordnungspolitik wirkt entscheidend auf die räumliche Verteilung der land- nutzungsformen insbesondere in ländlichen regionen ein. 2 Theoretischer und methodischer Ansatz hieraus folgt, dass das landschaftsbild und die ökonomi- sche wie ökologische entwicklung ländlicher regionen von 2.1 Theoretischer Ansatz der ausrichtung der agrar- und der raumordnungspolitik abhängen. Beide Politiken nehmen für sich in anspruch, zur Das Politikverständnis in diesem Beitrag beinhaltet, dass die nachhaltigen entwicklung und stärkung ländlicher regio- Regulierung von Landnutzungskonflikten und die Beförde- nen entscheidend beizutragen (aigner 2011; BMVBs 2012). rung gewünschter Entwicklungen Gegenstand der Raum- inwieweit dieser anspruch eingelöst wird, soll im folgen- nutzungssteuerung durch staatliche Politik ist. Zentral im den untersucht werden. Dazu werden zunächst die prokla- Prozess der Regulierung von Landnutzungskonflikten sind mierten Ziele der beiden Politiken hinsichtlich nachhaltiger Politiksektoren (vgl. Krott/Hasanagas 2006; Jänicke 2006; landnutzung als Kern nachhaltiger regionaler entwicklung Hubo/Krott 2007; Giessen/Krott 2009; Giessen 2011a: 293; herausgearbeitet. für deren Umsetzung ist ein entsprechen- Giessen 2011b: 486). Diese regulieren „Konflikte nach eige- des instrumentarium erforderlich. in einem zweiten schritt nen Programmen in einem bestimmten öffentlichen Aufga- wird deshalb untersucht, welches steuerungspotenzial die benfeld“ (Hubo/Krott 2010: 222). Sie sind gekennzeichnet instrumente besitzen, um die erklärten Ziele umzusetzen. durch besondere analytische Programme, Akteure und Ver- anhand der Zielaussagen und ihrer instrumentellen Unter- fahren,2 wobei die programmatischen Aussagen in ihrer fütterung lässt sich beurteilen, welcher formale Beitrag Gesamtheit das analytische Programm des Sektors bilden, von den Politiken zur steuerung der landnutzung als Kern „welches das Aufgabenfeld und damit den Namen des Sek- nachhaltiger entwicklung ländlicher regionen erwartet tors bestimmt, die Ziele und Gestaltungsspielräume benennt werden kann. sowie Zuständigkeiten, Instrumente und Entscheidungs- Operationalisiert wird nachhaltige landnutzung in länd- strukturen festlegt“ (Hubo/Krott 2010: 222). Entscheidend lichen regionen durch vier nachhaltigkeitsdimensionen, für die Zuordnung programmatischer Aussagen zu einem welche neben Ökologie und Ökonomie zwei ergänzende Sektor ist die Sektorzugehörigkeit der hauptverantwortli- räumliche Dimensionen (global und regional) enthalten und chen Akteure, von denen die Aussagen stammen. Sektorale einen teilausschnitt des nachhaltigkeitsdiskurses abbil- Akteure sind administrative Facheinheiten oder mit admi- den (Mölders/Burandt/szumelda 2012: 97). Diese bilden nistrativen Aufgaben des Sektors betraute Organisationen, den Bewertungsmaßstab für die Analyse des Steuerungs- die sektoral Zuständigen in politischen Entscheidungsgre- potenzials der raumordnungs- und agrarpolitik. Die sek- mien sowie Verbände, deren Interessen überwiegend dem toralen Ziele und instrumente, die auf unterschiedlichen Sektor zuzuordnen sind. Raumordnungspolitik kann wegen politisch-administrativen ebenen formuliert werden, bezie- der sektorübergreifenden Querschnittsorientierung nicht hen sich auch auf ländliche regionen. Die analyse der als herkömmlicher Politiksektor angesehen werden, besitzt steuerungspotenziale der raumordnungs- und agrarpolitik jedoch Merkmale, wie eigene Programme, Akteurskons- bezieht deshalb die regionale ebene ein und dient somit der Überprüfung des anspruchs auf nachhaltige entwick- 1 Förderkennzeichen 033L029. Die Modellregionen sind Diepholz lung ländlicher regionen. Dabei wird auf ergebnisse zu (Niedersachsen), Uelzen (Niedersachsen), Fläming (Sachsen-Anhalt) vier Modellregionen zurückgegriffen, die im rahmen des und Oder-Spree (Brandenburg). Die Autoren sind am Forschungspro- jekt beteiligt. BMBf-Verbundforschungsprojektes „nachhaltiges land- 2 Politiksektoren konkurrieren um Einfluss im Prozess der Politikge- management im Norddeutschen Tiefland“ (NaLaMa-nT) staltung, weshalb eine effektive Politikformulierung der intersektora- ler Koordinierung bedarf (vgl. etwa Hogl (2008), Giessen (2012) und Hogl/Nordbeck (2012)).
Steuerungspotenziale der Agrar- und Raumordnungspolitik für ökologisch und ökonomisch … 383 tellationen und Ziele (von Haaren/Moss 2011: 71), welche 2.2 Analysemethodik diese Einordnung zu analytischen Zwecken als zulässig erscheinen lassen. Die Analyse in diesem Beitrag liefert eine überblicksartige Die Nachhaltigkeitsdimensionen sind vier Entwick- Einschätzung der Nachhaltigkeitspotenziale sektoraler Ziele lungsdimensionen, die unter anderem aus den Klimasze- und Instrumente der Raumordnungs- und Agrarpolitik. Ana- narien des „Intergovernmental Panel on Climate Change“ lysiert werden für die Agrar- und Raumordnungspolitik (IPCC) abgeleitet wurden.3 Die Dimensionen Ökonomie-, zentrale Rechtstexte (etwa das Bundesraumordnungsge- Ökologie-, regionale und globale Orientierung bilden die setz (ROG)), politische Erklärungen, Strategien und Pläne. Maßstäbe, nach denen die Ziele und Instrumente der Poli- Dabei werden die generellen Ziele und die Umsetzungs- tiken geprüft werden. Die regionale und globale Orientie- instrumente separat betrachtet. Die Ziele ergeben sich aus rung dienen der Analyse regionalentwicklungspolitischer den zentralen Gesetzen des Sektors, ergänzend werden Aus- Prozesse in Abhängigkeit von übergeordneten politisch- sagen aus politischen Erklärungen, Strategien, Program- räumlichen Entwicklungen (z. B. steigende Nachfrage nach men und Plänen hinzugezogen. Die Instrumente werden Rohstoffen aus wachsenden Regionen, politisch geförderter den einschlägigen Gesetzen, Verordnungen und Richtli- Wettbewerb zwischen Regionen, Liberalisierung des Han- nien entnommen. Die Analyse ist auf zentrale Instrumente dels) und der Ergänzung des Konzepts der nachhaltigen beschränkt, wobei die Auswahl aus eigenen Erwägungen, Entwicklung um eine räumliche Dimension. Dabei wird Literaturrecherchen und Befragungen von je fünf wissen- die soziale Dimension der Nachhaltigkeit in eine regionale schaftlichen und administrativen Experten der Agrar- und Perspektive übertragen, wobei der analytische Schwerpunkt Raumordnungspolitik resultiert. auf der Betrachtung von Stoffflüssen und der politischen Im Bereich Agrarpolitik wurden wissenschaftliche Beförderung dieser liegt. Experten aus den Sektoren Agrarökonomie, Agrarstatistik, Ökologieorientierung wird bestimmt als Festlegung von Nutzpflanzenwissenschaften und ländliche Entwicklung naturalen Sollzuständen für angenommene positive Umwelt- befragt. Deshalb wurden als Instrumentenschwerpunkte die wirkungen, etwa in § 1 Nr. 2 Düngegesetz (DüngeG): „die finanzielle Steuerung insbesondere durch die Direktzahlun- Fruchtbarkeit des Bodens, insbesondere den standort- und gen, Marktordnungen und Ausfuhrerstattungen, die Regu- nutzungstypischen Humusgehalt, zu erhalten oder nachhal- lierung der pflanzlichen Produktion, die Agrarumweltpolitik tig zu verbessern“. Naturale Sollzustände beinhalten eine (hier insbesondere Cross Compliance4, Agrarumweltmaß- physische Dimension. Es gilt ferner, dass die Erhaltung des nahmen und die Förderung des Ökolandbaus) und die Poli- Naturkapitals die Grundlage für wirtschaftliche und soziale tik zur Entwicklung des ländlichen Raumes identifiziert. Aktivität bildet (Konzept der starken Nachhaltigkeit nach Für die Raumordnungspolitik wurden verschiedene Akteure Ott/Döring 2004; vgl. Rehbinder 2008: 92). der räumlichen Planung hinzugezogen, sodass als Schwer- Unter Ökonomieorientierung wird eine Ausrichtung auf punkte die Raumordnungsplanung, das Raumordnungsver- wirtschaftliches Wachstum, also eine Steigerung des Pro- fahren und Raumentwicklungs- und Landnutzungskonzepte duktionspotenzials, verstanden (Donges/Freytag 2004: 12), identifiziert wurden. welches eine Erhöhung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) Die Beurteilung der Instrumente beruht auf den jewei- und des Einkommens in der Region umfasst. ligen Zielen und dem Wirkungsmodell des Instruments, Dem Kriterium „regionale Orientierung“ liegt zugrunde, das heißt auf den formalen Annahmen über die Wirkung, dass die politische Förderung auf eine Stärkung regionaler die inhärent in der Ausgestaltung des Instruments enthal- Stoffflüsse ausgerichtet ist, sodass als Ergebnis Entwick- ten sind (vgl. Krott 2001). Eine empirische Evaluierung des lungen eintreten, die sich einer autochthonen Regional- Vollzuges der einzelnen Instrumente ist damit nicht verbun- entwicklung nähern und weniger auf externe Nachfrage den. Es wird angenommen, dass eine Gleichgewichtung der ausgerichtet sind (vgl. Hahne 1985; Böcher 2008; Giessen einzelnen Instrumente möglich ist, weil alle Instrumente für 2010b). Im Gegensatz dazu umfasst „globale Orientierung“ bestimmte Probleme angeboten werden und staatliche Pro- die Ausrichtung einer Region auf den globalen Wettbewerb, gramme grundsätzlich auf eine adäquate Problembearbei- welche externe Nachfrage und Mobilisierung extraregiona- tung abzielen. Eine a priori-Wirkungsgraddifferenzierung ler Stoffflüsse erzeugen soll (Böcher/Krott 2011: 11 f.). Glo- auf formaler Ebene ist nicht intendiert und kann erst durch bal wird verstanden als außerhalb der Region liegend, kann eine Evaluierung des Vollzugs festgestellt werden, die somit auch eine nationale Dimension umfassen. jedoch nicht Gegenstand dieser Analyse ist. Inwieweit die Ziele und Instrumente die vier Entwick- lungsdimensionen unterstützen, wird anhand dreier Katego- 3 Aus den Szenarien des IPCC (u. a. IPCC 2000) wurden im Rahmen des Projekts NaLaMa-nT sozioökonomische Szenarien unter Verwen- dung der vier Entwicklungsdimensionen entwickelt, um Nachhaltig- 4 Unter Cross Compliance versteht man die Verknüpfung von Prä- keit zu operationalisieren. mienzahlungen mit der Einhaltung von Umweltstandards.
384 R. Kaufer et al. rien bewertet: „kein Potenzial“, „mäßig starkes Potenzial“ petenzen der Länder beibehalten. Agrarpolitische Steue- und „starkes Potenzial“. Der Bewertung liegen das Ausmaß rung ist geprägt von mehreren Steuerungsebenen, multiplen der Zielausrichtung des Instruments in Bezug auf das jewei- Zielen und Programmen und zielt nicht nur auf die Förde- lige Kriterium und das Vorhandensein konkreter Umset- rung und Protektion europäischer Agrarproduktion, son- zungsregeln zugrunde. Bei regulativen Instrumenten gelten dern analog zur Raumordnungspolitik auch auf den Schutz die Bestimmtheit der Rechtsbegriffe, der Grad des Ermes- natürlicher Ressourcen und die nachhaltige Entwicklung sensspielraums von Behörden und Kontroll- und Sanktions- ländlicher Regionen. Nachfolgend wird dargelegt, welche regelungen als Bewertungsmaßstab. Beispielsweise sieht Steuerungspotenziale die Ziele und Instrumente des Sek- § 13 Sortenschutzgesetz (SortSchG) vor, dass „der Sorten- tors hinsichtlich der Entwicklungskriterien Ökonomie- und schutz bis zum Ende des fünfundzwanzigsten, bei Hopfen, Ökologieorientierung, regionale und globale Orientierung Kartoffel, Rebe und Baumarten bis zum Ende des dreißigs- beinhalten. ten auf die Erteilung folgenden Kalenderjahres dauert“, worin ein starkes ökonomisches Potenzial besteht, da der 3.1.1 Agrarpolitische Ziele Sortenschutzinhaber 25 Jahre vom Sortenschutz profitieren kann, welcher zusätzlich durch die Schadenersatzpflicht bei Die Ziele der Agrarpolitik ergeben sich aus dem Vertrag Zuwiderhandlung gemäß § 37 SortSchG (Sanktionsrege- über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), lung) abgesichert wird. europäischen Rechtsakten, Mitteilungen, Strategien und Für finanzielle Anreizinstrumente gilt die Bedeutung des nationalen Grundlagengesetzen. Auf EU-Ebene folgt die Förderumfangs absolut und im Verhältnis zu anderen För- Zentralität ökonomischer Ziele der Agrarpolitik aus Artikel dermitteln oder zum Bruttoproduktionswert des jeweiligen 39 AEUV, wonach die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) Sektors als Maßstab der Bewertung. In Deutschland stan- der Produktivitätssteigerung durch technischen Fortschritt, den 2010 für Werbung und Absatzförderung 700.000 € aus Rationalisierung und effizienten Produktionsfaktoreinsatz, dem „Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft“ der Gewährleistung einer angemessenen Lebenshaltung der (EGFL) zur Verfügung (BMELV 2011c: 458), was bei landwirtschaftlichen Bevölkerung, der Marktstabilisierung, einem geschätzten Sektorproduktionswert von 45 Mrd. € der Versorgungssicherheit und angemessenen Verbraucher- (BMELV 2011a: 27) ein mäßig starkes ökonomisches Steue- preisen dienen soll. Auch können der Mitteilung der Kom- rungspotenzial bedeutet. Wichtiger Anhaltspunkt für das mission „Eine vereinfachte GAP für Europa – ein Erfolg Steuerungspotenzial informationeller Instrumente ist deren für uns alle“ (Europäische Kommission 2009) exemplarisch Bekanntheitsgrad bei der Zielgruppe (Böcher/Krott 2011: Zielvorgaben entnommen werden. Hierin formuliert die 95 ff.) und die Notwendigkeit der Berücksichtigung in der Kommission, dass „die Vereinfachung der GAP ein wesent- behördlichen Entscheidungsfindung. Eine solche ergibt sich licher Faktor ist bei den Bemühungen, die Landwirtschaft insbesondere, wenn starke Interessen berührt sind. wettbewerbsfähiger zu machen, Arbeitsplätze zu erhalten Zur Verdeutlichung werden eine Gesamtdarstellung der und neue zu schaffen und zu einer nachhaltigen Entwick- Steuerungspotenziale der Agrar- und Raumordnungspoli- lung der ländlichen Gebiete beizutragen“ (Europäische tik in Zielen und Instrumenten in Tab. 1 und die Steue- Kommission 2009: 3). Es kommt der politische Wille zum rungspotenziale einzelner Instrumente der Agrar- und Ausdruck, die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft in Raumordnungspolitik hinsichtlich der vier Nachhaltigkeits- der EU und deren Arbeitsmarktpotenzial zu erhöhen. Die dimensionen in Tab. 2 abgebildet. Mitteilung formuliert darüber hinaus den Anspruch, dass europäische Agrarpolitik die Landwirtschaftsbetriebe bei der Abwehr von Umweltschädigungen und der Bereitstel- 3 Empirische Gegenüberstellung der Agrar- lung öffentlicher Güter zu unterstützen habe. und Raumordnungspolitik Neben der primären Orientierung hinsichtlich wirtschaft- licher Entwicklung mit der Schwerpunktsetzung im Bereich 3.1 Agrarpolitik Wettbewerbsfähigkeit, welche auch aus der Umsetzung der „Europe 2020 strategy for smart, sustainable and inclu- Die politische Steuerung des Agrarsektors findet im euro- sive growth“ (European Commission 2010: 3) resultiert, päischen Mehrebenensystem statt. EU, Bund und Länder worin zugleich eine Orientierung Richtung Weltmärkte zu greifen durch vielfältige Politikmuster in die Landnut- erkennen ist, scheint unter dem Schlagwort der ‚nachhal- zungsentwicklung ein. Agrarpolitik, bestehend aus Agrar- tigen Entwicklung der ländlichen Gebiete‘ subsummierte preis-, Agrarstruktur-, Agrareinkommens-, Agrarsozial-, Ökologieorientierung durch. Ergänzt wird diese Schwer- Agrarhandels- und Agrarumweltpolitik, ist eine besonders punktsetzung im Bereich nachhaltiger Entwicklung durch vergemeinschaftete Sektorpolitik, gleichzeitig wurde die den Managementplan 2012 der Generaldirektion für Land- regions- und länderspezifische Differenzierung durch Kom- wirtschaft und ländliche Entwicklung. Darin ist formuliert:
Steuerungspotenziale der Agrar- und Raumordnungspolitik für ökologisch und ökonomisch … 385 Tab. 1 Steuerungspotenziale der Agrar- und Raumordnungspolitik in Zielen und ausgewählten Instrumenten hinsichtlich der vier Nachhaltigkeits- dimensionen (Ökologie, Ökonomie, regionale Orientierung, globale Orientierung) Nachhaltigkeitsdimensionen Ökologie Ökonomie Regional Global Ziele Agrarpolitik Stark Stark Mäßig stark Stark Raumordnungspolitik Stark Stark Stark Stark Instrumente Agrarpolitik (18) Stark ●●●● ●●●● ●● ●●●● ● ●●●● ●● ●●●● Mäßig stark ●●●● ●●●● ●● ● ●● ●● Kein ●●●● ● ●●●●● ●●●● ●●●● ●●●●● ●●●● ●●●●● ●●●● Raumordnungs-politik (14) Stark ●●●● ●●● ● ●●● Mäßig stark ● ● ●●●● ● Kein ●●●● ●●●● ●●●● ●●●● ●●●● ●●●● ●●●● ●●●● ● ●● ● ●● Die einzelnen Instrumente können für alle vier Nachhaltigkeitsdimensionen formale Steuerungspotenziale aufweisen. Es wurden 18 Instrumente der Agrarpolitik (vgl. Tab. 2) und 14 Instrumente der Raumordnungspolitik (vgl. Tab. 2) einbezogen. Jeder Punkt repräsentiert ein einzelnes Instrument, wobei jedes Instrument Steuerungspotenziale in allen Dimensionen besitzen kann „the CAP faces the same challenges as those identified in In der Mitteilung der Kommission „Die GAP bis 2020: the ‚Europe 2020‘ strategy, resulting from budgetary cons- Nahrungsmittel, natürliche Ressourcen und ländliche traints and from the need to respond to the economic cri- Gebiete – die künftigen Herausforderungen“ wird zudem die sis and climate change. (…) Objectives of the CAP are to Ernährungssicherheit als Ziel genannt (Europäische Kom- maintain the production base for food, feed and renewable mission 2010: 5), welches wiederum über die Steigerung energy across the whole European Union (‚EU‘), to provide der Produktionskapazitäten sowie der Effizienz und Wettbe- environmental public goods and services, to ensure a sus- werbsfähigkeit erreicht werden soll. Auch hierin kommt die tainable management of natural resources, and to contribute starke ökonomische Orientierung zum Ausdruck. to the viability of rural areas and to a balanced territorial Das Landwirtschaftsgesetz (LwG) als nationales agrar- development in the EU“ (European Commission 2012: 3). politisches Grundlagengesetz beinhaltet in § 1 die Ziel- Neben Beiträgen zur Bekämpfung der ökonomischen Krise vorgabe, dass der „Landwirtschaft die Teilnahme an der und des Klimawandels soll die Gemeinsame Agrarpolitik fortschreitenden Entwicklung der deutschen Volkswirt- dem Schutz der Umwelt und der Kulturlandschaften dienen schaft“ und „der Bevölkerung die bestmögliche Versor- und Wachstum, Arbeitsplätze und Innovationen in den länd- gung mit Ernährungsgütern“ durch geeignete Mittel der lichen Gebieten generieren. Die Generaldirektion formuliert Wirtschafts- und Agrarpolitik zu gewähren seien. Hierin zudem, dass die Prioritäten der Gemeinsamen Agrarpolitik kommen eine starke Ökonomieorientierung und die sozial- „promoting a viable and competitive agricultural sector politische Dimension der Agrarpolitik zum Ausdruck. Das which respects high environmental and production stan- Landwirtschaftsgesetz enthält keine Zielaussagen in den dards“, „contributing to sustainable development of rural Bereichen Ökologie, regionale und globale Orientierung. areas“ und „promoting the European agricultural sector in Die deutsche Agrarpolitik hat ihre Zielvorgaben und world trade“ (European Commission 2012: 6) sind. Zentral Grundsätze kürzlich in der „Charta für Landwirtschaft und sind die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, die Erschlie- Verbraucher“ (BMELV 2012) gebündelt. Genannt werden ßung neuer Absatzmärkte und die Ermöglichung einer eine „nachhaltige Produktionssteigerung“, „Lebensmittel- nachhaltigen Entwicklung, was einer Dominanz der Wirt- sicherheit“ und bewusster Umgang damit, „Erhöhung der schafts- und Globalorientierung – da eine starke Zielaus- weltweiten Ernährungssicherheit“, Generierung bzw. Unter- richtung in diesen Dimensionen – und ergänzender starker stützung einer sozial und ökologisch tragfähigen Agrar- Ökologie- und starker regionaler Orientierung entspricht. strukturentwicklung durch Diversifizierung und Stärkung
386 R. Kaufer et al. Tab. 2 Steuerungspotenziale einzelner Instrumente der Agrar- und Raumordnungspolitik hinsichtlich der vier Nachhaltigkeitsdimensionen (Öko- logie, Ökonomie, regionale Orientierung, globale Orientierung) Nachhaltigkeitsdimensionen Ökologie Ökonomie Regional Global Instrumente Agrarpolitik (18) Finanzielle Instrumente Direktzahlungen (EG VO 73/2009; Direktzahlungsverpflichtungs- X XX 0 XX gesetz; Direktzahlungen-Verpflichtungenverordnung) Ausfuhrerstattungen (EG VO 1234/2007) 0 XX 0 XX Marktordnungen (insbesondere Marktmaßnahmen) (EG VO 0 XX X XX 1234/2007) Absatzförderung (EG VO 3/2008; Agrarabsatzförderungsdurch- X XX 0 XX führungsgesetz (AgrarAbsFDG)) Agrarinvestitionsförderung (Agrarinvestionsförderungsprogramm 0 XX XX XX Niedersachsen) Agrarumweltmaßnahmen (z. B. Richtlinie über die Gewährung XX X XX 0 von Zuwendungen für das Niedersächsische und Bremer Agrar- Umweltprogramm (NAU/BAU) 2011) Förderung des ökologischen Landbaus (z. B. Richtlinie über die XX X 0 0 Gewährung von Zuwendungen für das Niedersächsische und Bremer Agrar-Umweltprogramm (NAU/BAU) 2011) Regulative Instrumente Landwirtschaftsgesetz 0 XX 0 0 Gentechnikgesetz (GenTG) i. V. m. Gentechnik-Pflanzenerzeu- XX XX 0 0 gungsverordnung (GenTPflEV) Ökokennzeichengesetz (Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des X X 0 X Rates vom 28. Juni 2007 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologi- schen Erzeugnissen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 2092/91) Pflanzenschutzgesetz (VO (EG) Nr. 1107/2009) XX XX 0 0 Sortenschutzgesetz 0 XX 0 0 Düngegesetz XX XX 0 XX Saatgutverkehrsgesetz X XX 0 0 Gesetz über Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur 0 X 0 0 und zur Sicherung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe (Grundstückverkehrsgesetz – GrdstVG) Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch 0 0 0 0 Informationelle Instrumente EU-Bio Logo (EU VO 271/2010) X X 0 0 EU-Gemeinschaftszeichen für „Geschützte Ursprungsbezeich- 0 X X 0 nung“ und für „Geschützte geographische Angabe“ (EG VO 628/2008) Raumordnungspolitik (14) Finanzielle Instrumente Förderung aus den europäischen Strukturfonds (etwa EFRE) X X X XX Regulative Instrumente Raumordnungsplanung XX XX XX XX Umweltprüfung (§ 9 ROG) XX 0 0 0 Raumordnungsverfahren (§ 15 ROG) XX XX 0 XX Zielabweichungsverfahren (§ 6 ROG) 0 0 0 0 Untersagung raumbedeutsamer Maßnahmen und Planungen XX 0 0 0 (§ 14 ROG) Informationelle/Kooperative Instrumente Europäisches Raumentwicklungskonzept (EUREK) 0 0 0 0
Steuerungspotenziale der Agrar- und Raumordnungspolitik für ökologisch und ökonomisch … 387 Tab. 2: (continued) Nachhaltigkeitsdimensionen Ökologie Ökonomie Regional Global Europäisches Raumbeobachtungsnetzwerk (ESPON) 0 0 0 0 Regionale Entwicklungs- und Energiekonzepte 0 0 X 0 Regionale Kooperationsforen/Städtepartnerschaften 0 0 X 0 Raumordnungsbericht des Bundesamtes für Bauwesen und 0 0 0 0 Raumordnung Konzept der „Europäischen Metropolregionen in Deutschland“ 0 0 0 0 Masterplan Güterverkehr und Logistik 0 0 0 0 Regionalmanagement, -marketing 0 X X X Die einzelnen Instrumente können in allen vier Nachhaltigkeitsdimensionen wirken. Es wurden 18 Instrumente der Agrarpolitik und 14 Instrumente der Raumordnungspolitik einbezogen XX starkes Steuerungspotenzial des Instruments hinsichtlich der jeweiligen Nachhaltigkeitsdimension X mäßig starkes Steuerungspotenzial des Instruments hinsichtlich der jeweiligen Nachhaltigkeitsdimension 0 kein Steuerungspotenzial des Instruments hinsichtlich der jeweiligen Nachhaltigkeitsdimension der Wettbewerbsfähigkeit, Forschung und Entwicklung zu Produktqualität“, „Sicherung und Entwicklung der Kultur- Gunsten der Agrarwirtschaft und Verbraucher, Begrenzung landschaften vor allem durch Landbewirtschaftung“ und der wettbewerbshemmenden Regulierung des Agrarsek- „Erhaltung und Verbesserung der Lebensqualität im länd- tors, wirtschaftlich tragfähiger Tierschutz und die Erhaltung lichen Raum“ (BMELV 2011b: 31) angeführt. Die Ökono- bäuerlich wirtschaftender Landwirtschaftsunternehmen mieorientierung dominiert als starke Zieldimension, indem (BMELV 2012: 13 f.). Es wird ersichtlich, dass die Öko- auf die Notwendigkeit der Stärkung der Wettbewerbsfä- nomieorientierung dominiert. Nachhaltige Produktions- higkeit und die Hebung von Innovationspotenzialen durch steigerung, eine tragfähige Agrarstrukturentwicklung durch Bildung verwiesen wird. Ländliche Entwicklung soll durch Diversifizierung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, eine Steigerung des Produktionspotenzials und erhöh- Forschung und Entwicklung zur Verbesserung der Produk- ten Export aus der Region erreicht werden. In der starken tionsprozesse und Begrenzung wettbewerbshemmender Ökonomieorientierung der ländlichen Entwicklungspolitik Regulierung sind unmittelbar auf die Erhöhung der Produk- kommt zugleich ihre Ausrichtung auf überregionale Märkte tionskapazitäten und die Gewinn- und Verluststruktur der und externe Nachfrage zum Ausdruck. Die Entwicklung Agrarbetriebe und die Produktionsbilanz des Agrarsektors ländlicher Regionen soll durch regionsexterne Nachfrage ausgerichtet. Im Bereich Ökologieorientierung ist festzu- nach regionalen Gütern gelingen. Regionale Orientierung stellen, dass die Produktionssteigerung nachhaltig erfol- wird nicht priorisiert. Die Stärkung des Umwelt-, Natur- gen, der Tierschutz beachtet, Forschung und Entwicklung und Tierschutzes verweist auf die starke Ökologieorientie- über Effizienzsteigerung den Ressourceneinsatz verringern rung der ländlichen Entwicklungspolitik. und durch den Erhalt bäuerlich wirtschaftender Unterneh- Das Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse- men natürliche Ressourcen geschont werden sollen. Nach- rung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAKG) haltige Produktion wird als ökologisches Ziel ausgegeben. beinhaltet in § 2, dass „eine leistungsfähige, auf künftige Durch den Verweis auf die Bedeutung der Wettbewerbs- Anforderungen ausgerichtete Land- und Forstwirtschaft zu fähigkeit für die Agrarstrukturentwicklung wird die starke gewährleisten und ihre Wettbewerbsfähigkeit im Gemeinsa- globale Orientierung deutlich, da deutsche Agrarbetriebe men Markt der Europäischen Union zu ermöglichen sowie mit nichtdeutschen Unternehmen konkurrieren sollen. Eine den Küstenschutz zu verbessern“ und „dabei die Ziele und Förderung regionaler Entwicklung durch Steigerung intra- Erfordernisse der Raumordnung, Landesplanung sowie des regionaler Stoffflüsse ist keine Priorität. Umweltschutzes und des Tierschutzes zu beachten“ sind. Im „Nationalen Strategieplan der Bundesrepub- Ökonomieorientierung und globale Orientierung erscheinen lik Deutschland für die Entwicklung ländlicher Räume für den Agrarsektor als starke Zieldimensionen. Umwelt- 2007–2013“ (BMELV 2011b) werden als Ziele die „Stär- und Tierschutz deuten auf die starke Zielausrichtung im kung der Wettbewerbsfähigkeit, Erschließung neuer Ein- Bereich Ökologieorientierung. kommenspotenziale sowie damit Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen innerhalb und außerhalb der Land- und Forstwirtschaft“, „Verbesserung des Bildungsstandes, der Kompetenz und des Innovationspotenzials“, „Stärkung des Umwelt-, Natur- und Tierschutzes sowie Verbesserung der
388 R. Kaufer et al. 3.1.2 Agrarpolitische Instrumente prämien an landwirtschaftliche Betriebsinhaber kommen dabei die Funktionen zu, Betriebsrisiken abzufedern und Finanzielles Instrumentarium sie für die im Rahmen der Ökologisierung der Agrarpolitik Im Bereich der finanziellen Steuerung des Agrarsektors und der Integration agrarumweltpolitischer Aspekte einge- durch die Europäische Union war die MacSharry-Reform führte Koppelung der Betriebsprämienzahlung an die Erfül- (1992) der erste Reformschritt zur Modernisierung der lung über die Produktion hinausgehender Auflagen (EG VO Gemeinsamen Agrarpolitik und wurde durch die Agenda 73/2009: L 30/16) finanziell zu entlohnen. Die Betriebsprä- 2000, den „Mid-Term-Review“ (2003) und den „Health mienzahlung wird nun stärker als eine Gratifizierung der Check“ (2008) ergänzt. Zentral waren die Entkoppelung der Bereitstellung kollektiver Güter betrachtet. Die Betriebsprä- Direktzahlungen von der Produktion und die Einführung mienzahlung beinhaltet über Cross Compliance ein mäßig der flächenbezogenen Betriebsprämien, die Einführung der starkes Steuerungspotenzial im Bereich Ökologieorientie- zweiten Säule5, die Reduzierung der direkten Einkommens- rung. Die Koppelung der Betriebsprämienzahlung an die stützung im Rahmen der Modulation6 und die Verwendung Erfüllung über die Produktion hinausgehender Auflagen der zusätzlichen Mittel für die zweite Säule. dient ökologischen Mindeststandards, wie aus den Gründen Die Direktzahlungen bilden trotz dieser Reformen den in Absatz 3 der EG VO 73/2009 hervorgeht, wonach „mit Kern der finanziellen Steuerung im Rahmen der Gemeinsa- der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 der Grundsatz fest- men Agrarpolitik. Grundlage jener ist die Verordnung (EG) gelegt wurde, dass die Direktzahlungen an landwirtschaft- Nr. 73/2009 des Rates vom 19. Januar 2009. Sie ist das liche Betriebsinhaber, die bestimmte Anforderungen im wesentliche Instrument der europäischen Agrarpolitik, da Bereich der Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanzen, der sie die unmittelbare Finanzierung der landwirtschaftlichen Umwelt und des Tierschutzes nicht erfüllen, gekürzt bzw. Betriebe darstellt, welche die Gewährung der Betriebsprä- die Betriebsinhaber davon ausgeschlossen werden“. Zentra- mien jedoch an die Einhaltung von Mindestanforderungen les Anliegen ist jedoch „das Ziel der Einkommensbeihilfe“ koppelt. Die Auflagenbindung der Betriebsprämienaus- (EG VO 73/2009 aus den Gründen 25), „um der landwirt- zahlung in den Bereichen Umweltschutz, Tierschutz und schaftlichen Bevölkerung eine angemessene Lebenshaltung Lebensmittelsicherheit bildet das Cross Compliance-Prin- zu gewährleisten“ (EG VO 73/2009: L 30/19). Dieses Ziel zip. Durch die direkten Einkommenstransfers kann die ist eng verknüpft mit der Erhaltung der ländlichen Gebiete europäische Agrarpolitik ihrer Teilfunktion als Agrarein- (EG VO 73/2009: L 30/19). Die EU-Direktzahlungen sollen kommenspolitik entsprechen. Deren monetäre Ausstattung das Betriebsrisiko reduzieren und somit stark in die Ent- nimmt mit einem Finanzvolumen von 40 Mrd. € den quan- wicklungsdimension der Ökonomieorientierung wirken. titativ größten Teil ein (European Commission 2012: 6). In Dieses Ziel wird erreicht, da jene durchschnittlich 60 % des Niedersachsen werden jährlich etwa 1 Mrd. € Direktzah- Unternehmensgewinns ausmachen (BMELV 2011a: 34 ff.; lungen an die Landwirte ausgeschüttet (ML 2012: 1), was Landvolk Niedersachsen 2011: 1). bei einem Produktionswert von 9,3 Mrd. € (ML 2011: 17) Neben den Direktbeihilfen an die Landwirte sind im eine erhebliche Größe darstellt. Aus politikfeldanalytischer Bereich der ersten Säule die marktbezogenen Maßnahmen Perspektive kommen in dieser Ausrichtung auf die Ein- mit einem Finanzvolumen von 2,966 Mrd. € von Bedeutung kommensfunktion der Agrarpolitik das historische Anliegen (Europäische Kommission 2011: 83). Den größten Einzel- der Nahrungsmittelsicherung, der Wille zur Ermöglichung bestandteil innerhalb der marktbezogenen Maßnahmen bil- der Teilhabe der landwirtschaftlichen Bevölkerung an der det die Verteilung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen an gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und die Bedienung stark benachteiligte Personen in der Union mit 500 Mio. € einer ressourcenstarken und einflussreichen Interessen- (Europäische Kommission 2011: 84) im Rahmen der Nah- gruppe zum Ausdruck. Die landwirtschaftliche Interessen- rungsmittelhilfeprogramme, worin eine sozialpolitische vertretungspolitik kann hier durchaus als „Pressure Politics“ Komponente besteht. Die Marktmaßnahmen bilden den bezeichnet werden (Feindt 2009: 68). Die Sicherung der agrarpreispolitischen Schwerpunkt der Gemeinsamen Produktionsfähigkeit europäischer Agrarbetriebe vor dem Agrarpolitik, welche ein stark ökonomisches und stark Hintergrund politisch gewünschter und auf der Ebene der globales – Ausrichtung auf den europäischen Binnenmarkt Welthandelsorganisation (WTO) eingeleiteter Marktliberali- – Steuerungspotenzial beinhalten, da etwa durch Markt- sierungen ist somit erkennbar. Der Auszahlung der Betriebs- interventionen Absatzrisiken der Produzenten reduziert werden können. 5 Die „zweite Säule“ umfasst die Gesamtheit der Maßnahmen zur Zentrale Säulen der finanzpolitischen Steuerung sind „Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft und der ländlichen Ent- somit die Direktzahlungen und die Marktmaßnahmen, wicklung“ (EG VO 73/2009: L 30/17). denen jedoch neben der Erhaltung und Förderung der Wett- 6 Modulation bezeichnet die „progressive Reduzierung der Direktbei- hilfen“ zur „Finanzierung von Maßnahmen zur Entwicklung des länd- bewerbsfähigkeit keine Lenkungsfunktion zugeschrieben lichen Raums“ (EG VO 73/2009: L 30/17). werden kann. Betrachtet man die genannten Kennzahlen vor
Steuerungspotenziale der Agrar- und Raumordnungspolitik für ökologisch und ökonomisch … 389 dem Hintergrund ökologischer Folgewirkungen der Agrar- wirtschaftung“ und der „Richtlinie über die Gewährung von produktion wird deutlich, dass die finanzielle Förderung Zuwendungen zur Förderung ökologischer Anbauverfah- ohne eine explizite Stärkung ökologischer Aspekte – durch ren“ und in Brandenburg auf der Grundlage der „Richtlinie die Förderung im Bereich der zweiten Säule – nur ein mäßig des Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft des starkes Steuerungspotenzial im Bereich Ökologieorientie- Landes Brandenburg zur Förderung umweltgerechter land- rung entfalten kann. Zentral ist die finanzielle Absicherung wirtschaftlicher Produktionsverfahren und zur Erhaltung der landwirtschaftlichen Produktion, die einem verschärf- der Kulturlandschaft der Länder Brandenburg und Berlin“ ten globalen Wettbewerbsdruck ausgesetzt ist. Allerdings (KULAP 2007) vom 27. August 2010 geändert mit Erlass ist zu beobachten, dass die Aufwendungen für Ausfuhr- vom 29. Juli 2010 und vom 30. Januar 2012 statt. Die Bran- subventionen, gekoppelte Direktzahlungen und andere denburgische Ökolandbauförderung zielt gemäß genannter marktbezogene Marktmaßnahmen reduziert (Europäische Richtlinie auf die „Verringerung der Belastung abiotischer Kommission 2011: 83) und die Aufwendungen für entkop- und biotischer Schutzgüter durch Dünge- und Pflanzen- pelte Direktzahlungen und Mittel für die Entwicklung länd- schutzmittel und damit die Verbesserung der Lebensbedin- licher Regionen erhöht (Europäische Kommission 2011: 96 gungen wildlebender Tier- und Pflanzenarten“ (KULAP und 102) wurden. Diese Modifikation kann als Reaktion auf 2007: 15) ab. Hierin ist ein starkes ökologisches Steue- die entwicklungspolitische und umweltschutzfachliche Kri- rungspotenzial zu sehen. tik an der EU-Agrarpolitik interpretiert werden. Die finanzielle Förderung ländlicher Regionen wird Regulatives Instrumentarium auf Bundes- und Landesebene auf der Grundlage der Ver- Die regulative Steuerung des Agrarsektors wird über das ordnung (EG) Nr. 1698/2005 durch den „Europäischen landwirtschaftliche Produktionsrecht, welches sich in die Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Teilbereiche pflanzliche und tierische Erzeugung untertei- Raums“ (ELER) vollzogen. Rechts- und Fördergrund- len lässt, vollzogen (vgl. Grimm 2010). Zentral im Bereich lagen bilden das Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe der pflanzlichen Produktion sind Dünge-, Pflanzenschutz-, „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut- Saatgutverkehrs- und Sortenschutzrecht, da diese Rege- zes“ (GAKG), die „Nationale Rahmenregelung der Bun- lungsbereiche unmittelbaren Einfluss auf die Landnutzung desrepublik Deutschland für die Entwicklung ländlicher ausüben. Im Bereich der tierischen Produktion sind Futter- Räume“ (NRR) und die Länderprogramme zur Förderung mittel-, Tierschutz-, Tierseuchen- und Tierzuchtrecht zent- der ländlichen Räume. Die Mittel zur Förderung der länd- rale Rechtsbestände. lichen Entwicklung dienen gemäß der ELER-Verordnung Für die Steuerung der pflanzlichen Produktion ist das den Zielen der „a) Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Düngerecht mit der flächenangepassten Düngungssteue- Landwirtschaft und der Forstwirtschaft durch Förderung der rung zentral. Das Düngerecht enthält eine starke Ökonomie- Umstrukturierung, der Entwicklung und der Innovation; b) orientierung, da Handel und Umgang mit Düngemitteln und Verbesserung der Umwelt und der Landschaft durch Förde- Düngerausbringung reguliert werden und Düngung einen rung der Landbewirtschaftung; c) Steigerung der Lebens- wichtigen Parameter der pflanzlichen Produktion darstellt. qualität im ländlichen Raum und Förderung“ (Art. 4 Abs. Zu den Zielen des Düngerechts besagt die Verordnung (EG) 1 EG VO 1698/2005). Die finanzielle Förderung der länd- Nr. 2003/2003 über Düngemittel, dass diese der „Verein- lichen Entwicklung fließt überwiegend in die Agrarumwelt- fachung der Rechtsvorschriften im Binnenmarkt“ (EG VO maßnahmen (AUM) und die einzelbetriebliche Förderung 2003/2003: 2) dient, mithin den Verkehr und Handel von landwirtschaftlicher Unternehmen. Letztere sind auf ein- Düngemitteln vereinfachen (EG VO 2003/2003: 3) und zelbetrieblicher Ebene stark ökonomisch orientiert. Zentral „die Sicherstellung des Binnenmarkts für Düngemittel“ sind auf Landesebene neben den Agrarumweltmaßnahmen (EG VO 2003/2003: 3) garantieren soll. Um die Ökotoxi- die Agrarinvestitionsförderungsprogramme (AFP). Die zität zu kontrollieren, sind von den Mitgliedstaaten Maß- Agrarumweltmaßnahmen beinhalten aufgrund der vertragli- nahmen zu ergreifen, was auf Bundesebene durch das chen Selbstverpflichtung der Landwirte zur Ökologisierung Düngegesetz (DüngeG) geschieht. In § 1 DüngeG ist nor- der Produktion ein starkes ökologisches Steuerungspoten- miert, dass „1. die Ernährung von Nutzpflanzen sicherzu- zial und tragen potenziell zur ökologisch nachhaltigen stellen, 2. die Fruchtbarkeit des Bodens, insbesondere den Landnutzung bei. standort- und nutzungstypischen Humusgehalt, zu erhalten Die finanzielle Förderung des Ökolandbaus findet in oder nachhaltig zu verbessern“ und „3. Gefahren für die Niedersachsen auf der Grundlage der Richtlinie über die Gesundheit von Menschen und Tieren sowie für den Natur- Gewährung von Zuwendungen für das Niedersächsische haushalt (…) vorzubeugen oder abzuwenden“ sind. Die und Bremer Agrar-Umweltprogramm (NAU/BAU) 2011, zentrale Stellung der Binnenmarktorientierung im euro- in Sachsen-Anhalt auf der Grundlage der „Richtlinien zur päischen Rechtsakt und der Verweis auf die Ernährung Förderung einer markt- und standortangepassten Landbe- von Nutzpflanzen als prozessualer Zwischenschritt für die
390 R. Kaufer et al. Erhöhung der Produktionseffizienz im Bundesrecht deuten schutzinhaber berechtigt ist, 1. Vermehrungsmaterial der auf die starke Ökonomieorientierung des Düngerechts. Im geschützten Sorte a) zu erzeugen, für Vermehrungszwecke Bereich der Begrenzung der Ökotoxizität sind duldbare aufzubereiten, in den Verkehr zu bringen, ein- oder auszu- Abweichungen von Grenzwerten vorgesehen, diese dür- führen oder b) zu einem der unter Buchstabe a genannten fen jedoch nicht planmäßig ausgenutzt werden (§ 8 Dün- Zwecke aufzubewahren“. Nach § 8 SortSchG steht dem geG). Gemäß § 4 Düngeverordnung (DüV) dürfen maximal „Ursprungszüchter oder Entdecker das Recht auf Sorten- 170 kg Gesamtstickstoff (Wirtschaftsdünger tierischer Her- schutz zu“ und gemäß § 10 a SortSchG ist „ein Landwirt, kunft) je Hektar und Jahr aufgebracht werden. Die Grenz- der von der Möglichkeit des Nachbaus Gebrauch macht, wertfestlegung und die Untersagung einer planmäßigen dem Inhaber des Sortenschutzes zur Zahlung eines ange- Überschreitung deuten auf die starke Ökologieorientierung. messenen Entgelts verpflichtet“. „Der Sortenschutz dauert Düngegesetz und Düngeverordnung sehen für den Verstoß bis zum Ende des fünfundzwanzigsten, bei Hopfen, Kartof- Sanktionsmaßnahmen, die Anordnung der Düngungsein- fel, Rebe und Baumarten bis zum Ende des dreißigsten auf stellung und Bußgelder bis zu 15.000 € vor. Zudem verlangt die Erteilung folgenden Kalenderjahres“ (§ 13 SortSchG), § 11 DüngeG einen Klärschlamm-Entschädigungsfonds für was die immense ökonomische Bedeutung des Sortenschut- Umwelt- und Personenschäden. Das Düngerecht ist stark zes kennzeichnet, da der Ursprungszüchter 25 Jahre einen ökonomie- und ökologieorientiert, da einerseits der Handel konkurrenzlosen Anspruch auf Nutzungsentgelt besitzt. vereinheitlicht und die Pflanzennutzung unterstützt werden, Sortenschutzrecht und Patentierung auf nationaler und zugleich aber auf die externen ökologischen Effekte der europäischer Ebene besitzen ein stark ökonomieorientiertes Düngung reagiert wurde. Das Düngerecht ist hinsichtlich Steuerungspotenzial. Ökologische und räumliche Entwick- der räumlichen Orientierung und möglicher Entwicklungs- lungsimpulse sind vom Sortenschutzrecht nicht intendiert. effekte indifferent. Das Pflanzenschutzrecht beinhaltet eine starke Ökolo- Informationelles Instrumentarium gieorientierung, da es die Anzahl und Beschaffenheit der Im Bereich der informationellen Steuerung ist neben der Pflanzenschutzmittel reguliert. Es stellt im Bereich der steuernden Einflussnahme durch Bildung und Beratung auf pflanzlichen Produktion ein zentrales regulatives Steue- die europäischen Siegel zu verweisen, die Herkunft (Regio- rungsinstrument der europäischen Agrarpolitik dar, da Pro- nalsiegel) und Aspekte der Prozessqualität (Logo der Euro- duktion und Anwendung bestimmter Pflanzenschutzmittel päischen Union für ökologische/biologische Produktion) in der EU illegalisiert werden können. § 1 des Gesetzes signalisieren. Die Steuerungspotenziale im Bereich Öko- zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutzgesetz – nomie sind als mäßig stark einzuschätzen, so sieht die VO PflSchG) benennt als Ziele, „Pflanzen, insbesondere Kul- EU 271/2010 vor, dass „die Verbraucher die unter die EU- turpflanzen, vor Schadorganismen und nichtparasitären Verordnungen über die ökologische/biologische Produktion Beeinträchtigungen zu schützen, Pflanzenerzeugnisse vor fallenden ökologischen/biologischen Erzeugnisse besser Schadorganismen zu schützen, Gefahren abzuwenden, die erkennen können“ (EU VO 271/2010: L 84/19). Ein mäßig durch die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (…) ins- starkes ökologisches Steuerungspotenzial beinhalten Öko- besondere für die Gesundheit von Mensch und Tier und für siegel aufgrund des diesem Instrumententypus inhärenten den Naturhaushalt entstehen können“. § 2a PflSchG sieht appellativen Charakters, da das Wirkungsmodell beinhaltet, vor, dass der „Pflanzenschutz nur nach guter fachlicher dass Verbraucher durch Informationen veränderte Kaufent- Praxis durchgeführt werden darf“. Jene beinhaltet Maß- scheidungen treffen. Die EG VO 834/2007 formuliert, dass nahmen zur Gesunderhaltung und Qualitätssicherung von „die ökologische/biologische Produktionsweise öffentliche Pflanzen, welche zudem der Abwehr von Gefahren des Güter bereitstellt, die einen Beitrag zu Umwelt- und Tier- Pflanzenschutzmitteleinsatzes dienen. Der Verstoß gegen schutz ebenso wie zur Entwicklung des ländlichen Raums die Schutzvorschriften kann gemäß §§ 39 und 40 mit Buß- leisten“ (EG VO 834/2007: L 189/1). Die regionalen Her- geld- und Freiheitsstrafen geahndet werden. kunftssiegel besitzen ein mäßig starkes globalorientiertes Das Sortenschutzrecht ist von zentraler ökonomischer Steuerungspotenzial, da sie externe Güternachfrage Bedeutung für die Entwicklung der agrarischen Land- erzeugen sollen. nutzung, da es über Entschädigungszahlungen an die Ursprungszüchter und die Entdecker die Triebfeder der 3.2 Raumordnungspolitik Sortenentwicklung darstellt. Sortenentwicklung wird von den Agrarproduzenten als ökonomisches Fortschrittsmo- Raumordnung ist die Gesamtheit aller Maßnahmen zur mentum der landwirtschaftlichen Produktion angesehen. zusammenfassenden, überörtlichen und übergeordneten Pla- Ein ökologisches Steuerungspotenzial lässt sich jedoch nung mit den Zielen der Ordnung und Entwicklung des Rau- nicht ableiten. Gemäß § 10 Sortenschutzgesetz (SortSchG) mes und der Steuerung der Raumnutzung. Nachfolgend wird hat der „Sortenschutz die Wirkung, daß allein der Sorten- anhand konkreter Zielformulierungen und der Instrumente
Steuerungspotenziale der Agrar- und Raumordnungspolitik für ökologisch und ökonomisch … 391 der Raumordnungspolitik überprüft, inwiefern die raum- widerspruch der Raumordnungspolitik, da einerseits die ordnungspolitischen Ziele und Instrumente zur Erreichung Reduzierung des Flächenverbrauchs eine wissenschaftlich einer nachhaltigen Landnutzung einer Region beitragen und anerkannte Herausforderung (vgl. Bringezu/Schütz/Sche- ob die Instrumente die Zielumsetzung unterstützen. Prüfkri- pelmann et al. 2009: 2) und politische Zielvorgabe (MKRO terien der raumordnungspolitischen Steuerungspotenziale 2010a) darstellt, die Raumordnungsakteure andererseits sind die vier Entwicklungskriterien regionale und globale gemäß Raumordnungsgesetz (ROG) die infrastrukturelle Orientierung, Ökonomie- und Ökologieorientierung. Entwicklung voranzutreiben haben (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 ROG). Flächensparsame, nachhaltige Landnutzung als Raumord- 3.2.1 Ziele der Raumordnungspolitik nungsziel (Bundesregierung 2002: 288) wird folglich durch konträre Teilziele erschwert. Die Grundlagen und Ziele der Raumordnungspolitik werden Die Ministerkonferenz für Raumordnung beschreibt die auf EU-, Bundes- und Landesebene formuliert. Auf EU-Ebene Zielstellung der europäischen Raumordnungs- und Struk- fungieren das „Europäische Raumentwicklungskonzept“ turpolitik mit der Feststellung, dass die Ziele „Wettbewerbs- (EUREK) und die Territoriale Agenda der Europäischen Union fähigkeit und Beschäftigung“ im Prozess der Förderung (TAEU 2007) als Grundlagendokumente. Demnach ist „eine benachteiligter Regionen im Vordergrund stehen (MKRO ausgewogene und nachhaltige Entwicklung, insbesondere 2010b: 6), obschon zuvor auf die Gleichrangigkeit der auch durch die Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Belange hin- Zusammenhalts, herbeizuführen“ (Europäische Kommission gewiesen wurde. Ökonomieorientierung dominiert vor dem 1999: 10). Dabei ist es Aufgabe der Raumordnungspolitik, die Hintergrund konjunktureller und struktureller Krisen die „sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit Zielausrichtung etwa gegenüber der Ökologieorientierung, seinen ökologischen und kulturellen Funktionen in Einklang zu wie etwa am Paradoxon der Zielvorgaben hinsichtlich des bringen und somit zu einer dauerhaften, großräumig ausgewo- Flächenverbrauchs deutlich wird. genen Raumentwicklung beizutragen“ (Europäische Kommis- Zentrale Rechtsgrundlage der deutschen Raumordnungs- sion 1999: 10). Zentral ist das Ziel, wonach sich „die EU somit politik ist das Raumordnungsgesetz des Bundes (ROG). Es schrittweise von einer Wirtschaftsunion zu einer Umweltunion sieht in § 1 Abs. 1 S. 1 vor, dass der Gesamtraum der Bun- und künftig zu einer Sozialunion, unter Wahrung der regiona- desrepublik „durch fachübergreifende Raumordnungspläne, len Vielfalt, entwickeln“ soll (Europäische Kommission 1999: durch raumordnerische Zusammenarbeit und durch Abstim- 10). Grundlegende, auch für ländliche Regionen bedeutsame mung raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen zu ent- Ziele dieses Dokuments wie „Sicherung eines gleichwertigen wickeln, zu ordnen und zu sichern“ ist. Den Ländern wird Zugangs zu Infrastruktur und Wissen“ und „nachhaltige Ent- in § 8 Abs. 1 S. 1 ROG die Aufgabe zugewiesen, das Lan- wicklung, intelligentes Management und Schutz von Natur desgebiet durch einen Landesplan und die Teilräume über und Kulturerbe“ sind auch zentrale Bestandteile der Territoria- Regionalpläne zu beplanen. Materiell gibt das Raumord- len Agenda der EU (TAEU 2007: 3). nungsgesetz in § 1 Abs. 2 vor, dass „eine nachhaltige Raum- Die deutsche Ministerkonferenz für Raumordnung entwicklung die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an (MKRO) hat hierzu formuliert, dass „sich die Mitglied- den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang staaten auf das zentrale Ziel einer ausgewogenen und nach- [zu] bringen“ hat. Gemäß § 2 Abs. 2 S. 1 ROG haben sich haltigen Entwicklung des europäischen Raumes auf der die raumordnungspolitischen Akteure an „ausgeglichene[n] Grundlage einer polyzentrischen Raum- und Siedlungs- soziale[n], infrastrukturelle[n], wirtschaftliche[n], ökologi- entwicklung, dem gleichwertigen Zugang zu Infrastruktur sche[n] und kulturelle[n] Verhältnisse[n]“ zu orientieren. und Wissen sowie dem Schutz und der nachhaltigen Nut- Raumordnungspolitik hat den Auftrag, eine umfassende zung von natürlichen und kulturellen Ressourcen verstän- Entwicklung einzuleiten und alle Belange (Ökonomie- digt haben“(MKRO 2010b: 3). Es wird ersichtlich, dass und Ökologieorientierung sowie regionale Orientierung) auf EU-, Bundes- und Länderebene sowohl die Ökono- zu berücksichtigen. Es muss konstatiert werden, dass die mieorientierung als auch die Ökologieorientierung betont Raumordnungspolitik zudem eine globale Orientierung werden. Doch bedarf etwa der „gleichwertige Zugang zu einnehmen soll, da Entwicklungen wie dem „Rückgang Infrastruktur“ des Vorrangs der Versiegelung vor dem Erhalt und Zuwachs von … Arbeitsplätzen Rechnung zu tragen“ ökologisch relevanter Flächen. Flächenverbrauch statt Flä- ist (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 ROG) und damit Globalisierungs- chenerhalt wird somit als Bedingung einer nachhaltigen anpassung bzw. -befähigung zu ermöglichen ist, sodass Entwicklung angesehen, da Infrastrukturausbau der ökono- Regionen als Wirtschaftsstandorte interessant werden. Die mischen Entwicklung dient. Dem steht entgegen, dass die Erhaltung und Beförderung der natürlichen Lebensgrund- Bundesregierung hinsichtlich des Flächenverbrauchs das lagen wird als Ziel priorisiert, wenn ein „ökologisch wirk- Ziel vorgegeben hat, täglich maximal 30 Hektar zu versie- sames Freiverbundsystem zu schaffen“ und die „weitere geln (Bundesregierung 2002: 99). Hierin besteht ein Ziel- Zerschneidung der freien Landschaft und von Waldflächen
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