Strategien und Bubbles in einem evolutionären Finanzmarktmodell

 
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Strategien und Bubbles
                 in einem
     evolutionären Finanzmarktmodell

     Diplomarbeit in Monetärer Ökonomik

am Institut für empirische Wirtschaftsforschung
             der Universität Zürich

                       bei

             Prof. Dr. Thorsten Hens

         Verfasser:   Urs Trinkner
                      Bundtstrasse 19
                      8127 Forch
                      01 980 24 30
                      utrinkner@access.unizh.ch

           Abgabedatum: 30. Juli 2001
Abstract

Die vorliegende Diplomarbeit stellt ein evolutionäres Finanzmarktmodell
vor, in welchem verschiedene Gruppen risikoneutraler Investoren ein ri-
sikobehaftetes Wertpapier handeln können. Die Investoren unterscheiden
sich primär in ihren Strategien, welche sie über die Zeit verändern (Mu-
tation) oder wechseln (Selektion) können und gemäss deren sie ihr Ver-
mögen anlegen. In einer Simulation des Modells mit drei fixen Strategien,
jeweils als vereinfachte Versionen der Effizienzhypothese, der Fundamen-
talanalyse und der Charttechnik modelliert, ergibt sich ein komplexes
dynamisches System mit Zeitreihen von Marktpreisen, die stark denjeni-
gen realer Märkte gleichen, insbesondere treten bubbleartige Phänomene
auf.

1. Einleitung

In einer Welt perfekter Märkte ergibt sich der Gleichgewichtspreis eines
Assets aus den mit den Arrow-Securities bewerteten zustandsbedingten
zukünftigen Zahlungsströmen. Insbesondere gilt die Lineare Preisregel,
wonach der Gleichgewichtspreis eines aus anderen Assets zusammenge-
setzten Assets der gewichteten Summe der Gleichgewichtspreise der ein-
zelnen zusammensetzenden Assets entspricht. Der Wert der Arrow-
Securities resultiert dabei aus dem simultanen Handel zwischen voll-
ständig rationalen Agenten, welche zum Beispiel Erwartungsnutzen-
Maximierer sind1. Trifft man zusätzliche Annahmen entweder betreffend
der Präferenzen (quadratisch) oder der Returnverteilungen (normalverteil-
te logarithmierte Returns), so lassen sich risikobehaftete Assets anhand
von Erwartungswert und Kovarianz zum Marktportfolio bewerten. Die
lineare Preisformel wird dann zur Security Market Line des Capital Asset
Pricing Model, kurz CAPM2.

Was passiert, wenn gewisse Annahmen des Paradigmas der perfekten
Märkte gelockert werden, um der Realität etwas näher zu kommen? Sind
Marktpreise noch immer die besten Signale zur Kapitalallokation? Kann
es zu Abweichungen des realisierten Marktpreises zum theoretisch rich-
tigen Gleichgewichtspreis kommen? Diese und ähnliche Fragestellungen
beschäftigt Ökonomen seit Jahrzehnten und hat eine kontroverse, breit
angelegte Diskussion entfacht.

Eine gewichtige Antwort in diesem Zusammenhang war und ist die Hypo-
these effizienter Märkte. Diese besagt, dass Marktpreise alle (privaten
und öffentlichen) verfügbaren Informationen vollständig und instantan
reflektieren3. Preise sind hier immer noch genaue und korrekte Signale

1   Ein schöner Überblick ist in Eichberger/Harper (1997) nachzulesen.
2   Die Preisformel wurde von Sharpe (1964) erstmals hergeleitet.
3   Vgl. z.B. Copeland/Weston (1988)

                                               2
zur Kapitalallokation: Der Preis von heute ist der beste Schätzer für den
Preis von morgen, d.h. Preise folgen Martingalen, was mathematisch
äquivalent zur Linearen Preisregel ist. Darüber hinaus wird aber auch
die effiziente Verarbeitung neuer Informationen behauptet, egal, ob sie
öffentlich oder privat sind. Effizienz wird von den Vertretern dieser Hypo-
these grossen Aktienmärkten wie z.B. der NYSE zugesprochen4.

Die Effizienzhypothese entfachte eine breite wissenschaftliche Debatte:
Vertreter der sogenannten "Behavioral Finance" zeigten in empirischen,
deskriptiven Untersuchungen eine breite Palette von Anomalien, Puzzles
und Effekten auf, die nur schwer mit der Effizienzhypothese zu vereinba-
ren sind. Camerer (1989) unterteilt die dabei entwickelten Theorien, wa-
rum Marktpreise von ihren Fundamentalwerten ("Intrinsic Values based
on market fundamentals") abweichen könnten, in drei Hauptkategorien:
"Growing Bubbles", "Fads" und "Information Bubbles". Erstaunlich ist die
Feststellung, dass in theoretischen Gleichgewichtsmodellen sogar bei
rationalen Erwartungen Bubbles entstehen können, d.h. Growing Bub-
bles sind konsistent mit der Annahme rationaler Erwartungen. Eher sta-
tistischer Art ist die Klassifizierung von Lux (2000): Er fasst die Arbeit
von mehr als drei Jahrzehnten statistischer Untersuchungen von Fi-
nanzmarkt-Zeitreihen in drei Hauptfakten zusammen: (1) Preise folgen
Martingalen, (2) die logarithmierten Returnverteilungen weisen Fat Tails
auf und (3) es kann Volatility-Clustering beobachtet werden.

Wie kann aber festgestellt werden, ob selbst die ärgste Spekulationsblase
tatsächlich eine Überreaktion war oder nicht? Der Fundamentalwert ist
bei unsicheren Anlagen ex ante nie mit Sicherheit bekannt, der Markt-
preis einer Aktie kann also auch in einer Spekulationsblase immer genau
dem Present Value entsprechen, da die zur Berechnung hinzugezogenen
Diskontsätze bzw. Arrow-Securities wiederum abhängig von den Erwar-
tungen der Individuen sind. Solche und ähnliche Fragestellungen kön-
nen also nie abschliessend beantwortet werden, da der "wahre Wert"
höchstens ex post messbar ist.

Ein möglicher Ausweg aus diesem Dilemma ist das Laborexperiment, wo
Fundamentalwerte vorgegeben sind und Versuchspersonen diese auch
kennen. Verschiedene Untersuchungen in dieser Richtung haben gezeigt,
dass auf solchen künstlichen Minimärkten Bubbles sogar dann entste-
hen, wenn das Ende des Versuchs bekannt ist5.

Die vorliegende Arbeit zielt in eine ähnliche Richtung: Möglichst simple
künstliche Agenten treffen auf einem künstlichen Markt aufeinander, wo
sie ihre Verhaltensmuster mit den Mitteln der Evolution (Selektion und
Mutation) über mehrere Perioden hinweg verändern können. Etwas weni-
ger biologisch ausgedrückt: Investoren maximieren ihr Vermögen, indem

4   Vgl. z.B. Fama (1964)
5   Vgl. z.B. Smith et Al. (1988)

                                    3
sie aus den ihnen bekannten Prognosemodellen ("Verhaltensmuster") das
Beste auswählen ("Selektion") oder neue entwickeln ("Mutation"). Als Ge-
samtes werden diese simplen Agenten von einer Populationsdynamik ge-
steuert und erzeugen eine komplexe Dynamik, die schliesslich den Preis-
prozess treibt.

Die Fragestellung in einem solchen evolutionären Finanzmarktmodell
ändert sich substanziell: Es wird nicht mehr gefragt, ob Vorgänge auf
Finanzmärkten im Widerspruch zu klassischen Theorien stehen, viel-
mehr interessiert hier vorerst, was die Eigenschaften der resultierenden
Preisprozesse sind. Gibt es ein Gleichgewichtspreis? Haben Zeitserien
ähnliche statistische Eigenschaften wie reale Märkte? Sind ähnliche Ef-
fekte zu beobachten, wie sie die Behavioral Finance als Abweichungen
zur Effizienzthese ausfindig gemacht hat? Ein grosser Vorteil ist bei sol-
chen Simulationen, dass für jedes festgestellte Phänomen ein eindeutiger
Grund angegeben werden kann, da ex post sämtliche Daten und Ent-
scheidungsgrundlagen der Agenten verfügbar sind. Die Verfügbarkeit
dieser Daten lässt jedoch noch weit spannendere, teils auch normative
Fragen zu: Welche Strategien sind evolutionär stabil? Gibt es eine Super-
strategie, nach der angelegt werden sollte? Wie ändert sich der Preisver-
lauf, wenn neue Strategien zugelassen werden?

Der im folgenden Kapitel vorgestellte künstliche Finanzmarkt unter-
scheidet sich von einem perfekten Markt in folgenden Punkten: Er ist
unvollständig, lässt asymmetrische Informationen zu und ist wenigen
Friktionen unterworfen. Die Unvollständigkeit ist insofern wichtig, dass
sich das gehandelte Asset nicht redundant bewerten lässt und dessen
Preis folglich nicht aus Arbitrage-Gründen eindeutig gegeben ist. Die An-
nahme asymmetrischer Informationen ist so zu verstehen, dass die Indi-
viduen zwar dieselbe Informationsbasis haben, aber nicht wissen, nach
welchen Regeln die anderen Investoren gerade investieren. Sie können
also eine allfällige Überschussnachfrage (und somit die zukünftige Preis-
bewegung) nicht prognostizieren. Schliesslich gibt es zwei Friktionen: (1)
Es gibt Short Sales Constraints und (2) Agenten können nicht simultan
miteinander handeln und einen markträumenden Preis finden, sondern
geben in jeder Runde zum aktuellen Preis ihre Kauforders ab. Ob ihr Auf-
trag ausgeführt wird oder nicht, hängt davon ab, ob sich auf dem Markt
auch eine Gegenposition findet. Diese Spezifikationen bringen eine An-
näherung unseres künstlichen Marktes an reale Finanzmärkte in folgen-
den Punkten:

1. Heterogene Investoren mit unterschiedlicher Informations- und Wis-
   sensbasis treffen Kaufentscheide aufgrund ihrer persönlichen Ein-
   schätzung über den zukünftigen Kursverlauf des betreffenden Titels.

                                 4
2. Der Preis eines Wertpapiers spiegelt kein simultanes Gleichgewicht,
   sondern ergibt sich diskret aus dem Spiel zwischen Angebot und
   Nachfrage der Marktteilnehmer6.

Modelle in dieser Forschungsrichtung sind bereits sehr zahlreich. Ein
gutes Beispiel ist die Arbeit von LeBaron et Al am Santa Fe Institute in
den USA. Deren 25 künstlichen Agenten handeln auf einem künstlichen
Finanzmarkt mit ausgefeilten Lernalgorithmen und generieren dabei
Zeitserien, die gewisse Eigenschaften realer Finanzmärkte wie Volatilität,
Vorhersagbarkeit und Volumen-Zusammenhänge nachzubilden vermö-
gen. Weiter sind die Erwartungen der Agenten konsistent mit den gene-
rierten Zeitserien selbst. Das heisst, dass die Investoren diejenigen Re-
geln und Strategien benützen, die innerhalb der generierten Zeitserien ex
post als nützlich erscheinen, und nicht diejenigen, die in einem Gleich-
gewicht rationaler Erwartungen von Wichtigkeit sein sollten. Interessant
ist dabei auch die Feststellung, dass der Parameter für die Lernge-
schwindigkeit zentral ist und die Resultate bereits bei kleinen Änderun-
gen fundamental zu verändern vermag. In der vorliegenden Arbeit sind
die Individuen weit einfacher modelliert und handeln nur aus einem Mo-
tiv, dem „Spekulationsmotiv“: Sie wollen Kursgewinne realisieren bzw.
Kursverluste vermeiden. Trotzdem lassen sich die generierten Zeitreihen
sehen und ähneln stark beobachteten Preisen auf realen Märkten.

Kapitel 2 leitet vorerst die nötigen Annahmen her, damit Investoren im
obigen Sinne gemäss dem „Spekulationsmotiv“ handeln, anschliessend
wird das Modell erläutert. In Kapitel 3 werden die Resultate der Simulati-
on vorgestellt und einige der oben aufgeführten Fragestellungen unter-
sucht. Kapitel 4 schliesst mit Schlussfolgerungen. Im Anhang findet sich
das Literaturverzeichnis sowie das für die Modellsimulation entwickelte
Computerprogramm, geschrieben in Visual Basic.

2. Ein evolutionäres Finanzmarktmodell

2.1 Einbettung in den State Preference Approach

Nach dem fundamentalen Theorem der Wertpapierpreise ergibt sich der
Preis eines Assets im State Preference Approach aus den mit den Preisen
der Arrow-Securities7 gewichteten zustandsbedingten Zahlungsströmen,
dem sogenannten Present Value. Diese Zustandspreise sind in einer Welt
perfekter Märkte mit homogenen Erwartungen abhängig von der Zeitprä-
ferenz rf der Individuen, der Zustandswahrscheinlichkeiten probs sowie
der relativen Knappheit der Ressourcen in den einzelnen Zuständen.

6   Bid-Ask-Spreads an Finanzmärkten sind z.B. ein Indiz hierfür.
7   Vgl. Arrow (1964): Die Arrow-Security as zahlt in Zustand s genau 1 Geldeinheit aus, in allen ande-
    ren Zuständen jedoch nichts. In einem vollständigen Markt kann eine risikolose Anlage mit einem
    Portfolio bestehend aus je einer Arrow Security für jeden Zustand abgebildet werden.

                                                5
Dies soll hier am Beispiel einer 2-Perioden-Ökonomie mit i Erwartungs-
nutzen-Maximierern und einem vollständigen Arrow-Security-Markt ge-
zeigt werden. Die Erstausstattung ω kann in Konsum k (beide Grössen
bereits gemessen in Geldeinheiten), oder in zs Einheiten der Arrow Secu-
ritiy as zum Preis von qs investiert werden, welche im Zustand s genau
eine Einheit Kaufkraft auszahlt. Das Maximierungsproblem kann folgen-
dermassen dargestellt werden8:

                                                                                  
                              (           )
                       U i k 0i , k si∈S = ui (k 0i ) + 1+1rf ∑ probs ⋅ ui (k si ) s.t.
                                                               s∈S                
                                                                           k 0 + ∑ qs ⋅ z si ≤ ω 0i
                                                                             i

                                                                                          s∈S

                                                                                k ≤ ω si + 1 ⋅ z si
                                                                                  i
                                                                                  s                   ∀s ∈ S .

Die simultane Maximierung der Agenten treibt diese zum Handel, da we-
gen anfänglich unterschiedlicher Grenzraten der Substitution Pareto-
Verbesserungen möglich sind. Der Handel dauert solange an, bis sich
alle Grenzraten gerade entsprechen und ein Ausgleich von Angebot und
Nachfrage erreicht ist. In einem solchen Gleichgewicht sind sich auch
alle Individuen einig über q̂ s , die Gleichgewichtspreise der Arrow-
Securities. Diese lassen sich mittels der First Order Conditions berech-
nen und sind hier gegeben durch9:

                                   probs ⋅ ui′(k si )        probs ⋅ GRS oi ,s (k i )
                        qˆ s =                             =                          .
                                  (1 + r f ) ⋅ ui′ (k si )         1 + rf

Die Determinanten der Arrow-Securities sind also der risikolose Zins rf,
die Zustandswahrscheinlichkeiten probs, sowie die Grenzraten der Sub-
stitution (GRS), d.h. die Nutzenfunktionen der Individuen, die Verteilung
des Konsums.

Die Zustandswahrscheinlichkeiten probs werden von den Individuen aber
nur deshalb identisch eingeschätzt, weil homogene Erwartungen ange-
nommen wurden. Im Modell, welches im nächsten Abschnitt vorgestellt
wird, soll genau diese Annahme fallengelassen werden. Neu werden hete-
rogene Erwartungen unterstellt, die Zustandswahrscheinlichkeiten kön-
nen sich also von Individuum zu Individuum unterscheiden. Grund zum
Handeln sind also nicht mehr ausschliesslich unterschiedliche Grenzra-
ten und somit Spar- und Versicherungsmotive, sondern neu auch Spe-

8   Die s+1 Budgetrestriktionen lassen sich des vollständigen Marktes wegen in nur eine überführen:
                  k 0i + ∑ q s ⋅ k si ≤ ω 0i + ∑ q sω si
                        s∈S                   s∈S
9   Vgl. z.B. Gollier (1999).

                                                           6
kulationsüberlegungen: Wird zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit für
einen Boom-Zustand von einem Investor sehr hoch eingeschätzt, wird
dieser vermehrt in entsprechende Assets investieren wollen.

Weiter wird ein Zins von Null angenommen (rf=0) und Risikoneutralität
(z.B. u(k)=k) unterstellt. Dies bringt zwar einerseits das Problem von
Randlösungen10, andererseits aber auch eine drastische Vereinfachung
der Berechnungen sowie eine Isolation des Spekulationsmotivs: Investo-
ren handeln nur noch aufgrund unterschiedlicher Einschätzungen be-
züglich der zukünftigen Kursbewegungen. Unterschiedliche Portfolioent-
scheide von Investoren resultieren nicht mehr aufgrund verschiedener
Nutzenfunktionen und Anfangsausstattungen, sondern weil die zukünfti-
ge Preisentwicklung unterschiedlich prognostiziert wird. Als Konsequenz
gibt es im Normalfall auch keine gleichgewichtigen Preise für die Arrow-
Securities mehr. Wird die Zukunft anders eingeschätzt, wird qs entspre-
chend anders gesetzt, es werden also individuelle Diskontsätze zur Be-
wertung der zukünftigen Cash Flows herangezogen. Formal kann dies
folgendermassen illustriert werden:

                  Homogene                                Heterogene    =1 wegen
                  Erwartungen                       Erwartungen Risikoneutralität
                  678                                678 64748
                  probs ⋅ GRS oi ,s (k i )            probsi ⋅ GRS oi ,s (k i )
           qˆ s =                          
                                           → qsi ≡                               = probsi .
                       1 + rf                                 1 + rf
                                                               123
                                                                  =1 wegen rf ≡0

Der Present Value einer risikobehafteten Position entspricht nun gerade
dem Erwartungswert, gewichtet mit den individuellen Zustandswahr-
scheinlichkeiten. Diese können interpretiert werden als Resultat eines
individuell hinzugezogenen Prognosemodells über den Markt. Ein solches
Marktmodell ist frei wählbar, kann eine klassische Anlagestrategie dar-
stellen oder auch rein subjektiver Art sein.

Die Risikoneutralität bringt einen weiteren gewichtigen Vorteil: Individu-
en mit gleichen zugrunde gelegten Marktmodellen können zu Populatio-
nen zusammengefasst werden. Es spielt beispielsweise keine Rolle, ob
1000 Investoren je eine Geldeinheit investieren oder ein einziger 1000
Geldeinheiten – wenn alle mit denselben Wahrscheinlichkeiten rechnen,
resultiert aus den 1000 investierten Geldeinheiten in jedem Fall dieselbe
Nachfrage. Verteilungseffekte oder Probleme, die aus unterschiedlichen
Graden von Risikoaversion resultieren, können also getrost vernachläs-
sigt werden. In der Folge wird jedoch einschränkend davon ausgegangen,
dass kein einzelner Investor aufgrund der Grösse seines Vermögens den
Markt beeinflussen kann, es sind also immer unendlich viele marginale
10   Die Annahme von Risikoneutralität bringt das Problem von Randlösungen mit sich: Nutzenmaxi-
     mierende Investoren wählen extreme Portfolios, in denen nur die Anlage mit höchstem Erwar-
     tungswert gehalten wird. Im vorliegenden Modell wird dieses Problem mittels evolutionärer Spiel-
     theorie (gemischte Strategien von Populationen) gelöst.

                                               7
Investoren auf dem Markt11. Die aggregierten Populationen seien zudem
unkoordiniert. Auf diese Weise kann ausgeschlossen werden, dass ent-
weder einzelne Individuen oder Populationen als Gesamtes den Markt
strategisch steuern können. Populationen beeinflussen den Marktpreis
nur durch ihre pure Marktmacht.

Der Marktpreis entsteht also nicht mehr durch simultanes Optimieren
von einzelnen Individuen, sondern durch das Zusammenprallen von Po-
pulationen auf dem Finanzmarkt. Der Marktpreis ist nicht mehr länger
ein markträumender Gleichgewichtspreis, sondern ändert in Abhängig-
keit der erzeugten Netto-Überschussnachfrage NDt.

2.2 Handlungsmöglichkeiten der Individuen

11   D.h. alle Investoren sind Price Takers (wie bei Perfekten Märkten).

                                                 8
Die Investoren werden als nutzenmaximierend, risikoneutral und hetero-
gen angenommen und können ihr Vermögen Wi auf zwei Assets verteilen:
Als erstes steht Geld b in unbegrenztem Angebot zur Verfügung, welches
keinen Zins abwirft. Man stelle sich darunter einen Sparstrumpf vor, der
unter dem Kopfkissen gelagert wird.

Weiter gibt es eine risikobehaftete Anlage Θ mit Marktpreis θ, welche kei-
ne Dividenden abwirft. Das Vermögen kann in Anteile σi ≥ 0 zum Preis
von σiθ Geldeinheiten in diese Anlage investiert werden. θ entspricht auf
einer Börse der Börsenkapitalisierung des Indexes, bei einer Unterneh-
mung der Kapitalisierung der entsprechenden Aktie. Der Anlage Θ liegt
ein Fundamentalwert Vt zugrunde, der sich als Gleichgewichtspreis in
einem Modell vollkommener Rationalität einstellen würde. Ein solcher
Fundamentalwert ist dann eindeutig, wenn die Transversalitätsbedin-
gung12 erfüllt ist und die Investoren als risikoneutral angenommen wer-
den. Vt verändere sich exogen über die Zeit und folge einem Random
Walk mit Erwartungswert V0. Den Investoren sei dieser Wert jeweils be-
kannt, sie berücksichtigen ihn aber nur, wenn sie auch ein entsprechen-
des Prognosemodell benutzen. Der Marktpreis selbst ändert sich in jeder
Periode je nach Situation auf dem Markt: Fragen die Individuen mehr
Anteile nach als angeboten werden, wird im nächsten Zeitpunkt der Preis
um den Faktor u>1 erhöht und vice versa. Entspricht das Angebot der
Nachfrage, bleibt der Preis gleich.

In klassischer Mean-Variance-Sprache haben also beide Anlagen einen
erwarteten Ertrag von 0, wobei Θ eine positive Varianz besitzt. Wären nur
Markovitz-Investoren auf dem Markt, würde die risikobehaftete Anlage
nicht nachgefragt, da das eingegangene Risiko nicht mir höherem Ertrag
abgegolten wird13.

Die einzelnen Investoren bilden sich Erwartungen über die Preisentwick-
lung in der nächsten Periode, indem sie den drei möglichen Zuständen
{up, stay, down} gemäss eines Marktmodells g∈G den Wahrscheinlich-
keitsvektor p=(pu, ps, pd) zuordnen. Nun folgt eine für das Modell zentrale
Annahme: Die einzelnen Investoren dürfen nur reine Prognosen abgeben
und legen sich deshalb gemäss den ermittelten Wahrscheinlichkeiten auf
eines der drei möglichen Ereignisse {up, stay, down} fest.14 Man stelle
sich einen Investor in einer Welt der Unsicherheit vor, der gemäss den

12   d.h.
            i →∞
                   (                        )
            lim E (θ t +i I t ) /(1 + r ) t +i = 0 .
13   Vgl. Markowitz (1952).
14   Ein solcher Agent müsste bei einem Pferderennen folgendermassen setzen: (1) Spiele eine gemisch-
     te Strategie gemäss deiner Wahrscheinlichkeits-Einschätzung zur Auswahl eines Pferdes. (2) Setze
     dein gesamtes Vermögen auf das ausgewählte Pferd.

                                                       9
Wahrscheinlichkeiten seines Modells würfelt, auf welche Kursbewegung
(d.h. reine Strategie) er in der Folgeperiode setzen soll.15

Hat ein Investor seine Strategie gewählt, kann er den (individuellen) Er-
wartungsnutzen jeder Aktienposition bestimmen und so seine Budgetre-
striktion für den nächsten Zeitpunkt maximieren. Aus dieser Maximie-
rung lässt sich nun dessen optimales Zielportfolio herleiten. Dieses bein-
haltet aufgrund der Risikoneutralität nur die Anlagemöglichkeit mit hö-
herem Erwartungswert, er wird folglich nur das Asset halten wollen,
wenn er sich auf {up} festgelegt hat.

2.3 Aggregation zu Populationen

Da die Individuen als risikoneutral angenommen werden, können sie
gemäss des verwendeten Marktmodells durch Addition zu einzelnen Po-
pulationen zusammengefasst werden, charakterisiert einzig und alleine
durch das gewählte Modell und das aggregierte Vermögen. Es spielt also
keine Rolle, wieviele Individuen einer Gruppe angehören und wie das
Vermögen verteilt ist. Jedes Marktmodell entspricht in diesem Sinne ge-
                                                                    ∑
nau einer Population, die ihr Vermögen Wt g = i∈g Wt i gemäss der aus
dem Marktmodell resultierenden gemischten Strategie auf Sparstrumpf
und Anteile verteilt. Die gemischte Strategie {pu, ps, pd}, gesetzt auf das
Populationsvermögen Wg, entspricht gemäss dem Gesetz der grossen
Zahlen genau dem aggregierten Verhalten der einzelnen Populationsmit-
glieder, welche wie oben beschrieben mit den gleichen Wahrscheinlich-
keiten auf eine der drei entsprechenden reinen Strategien gesetzt ha-
ben16.

Auf diese Weise ist das Problem der Randlösungen bei Annahme von Ri-
sikoneutralität17 gelöst: Populationen, zusammengesetzt aus risikoneut-
ralen Investoren, spielen nicht mehr grob reine Strategien und halten
immer entweder nur das Asset oder nur den Sparstrumpf, sondern
schichten ihr aggregiertes Portfolio selbst nach kleinsten Veränderungen
der prognostizierten Wahrscheinlichkeiten entsprechend minim um. Dies
ist die Voraussetzung, dass ein annähernd gleichgewichtiger Preis über-
haupt entstehen kann.

In der Folge soll nun das von einer Population g angestrebte Zielportfolio
(σˆ tg+1 , bˆtg+1 ) bestimmt werden. Dieses muss selbstfinanzierend sein und
vorerst also folgende Bedingung erfüllen:

15   Lux (1995b) begründet ein solches „gemischtes Verhalten“ als „durchschnittliches Verhalten“ von
     Populationen, die aus Investoren mit ähnlichen Marktmodellen zusammengesetzt sind.
16   Vgl. Weibull (1995), S. 71f.
17   Ein einziger risikoneutraler Investor ist z.B. für das CAPM bereits kritisch.

                                                10 
Wt g = σ tgθ t + btg = σˆ tg+1θ t + bˆtg+1 18.
                           1424      3 14243
                             Ursprungsportfolio      Zielportfolio

Da die Population als Ganzes eine gemischte Strategie spielt, können die
Marktmodell-Wahrscheinlichkeiten {pu, ps, pd}g gerade als Anteile inter-
pretiert werden, mit denen die Individuen innerhalb einer Gruppe auf die
drei reinen Strategien {buy, hold, sell} setzen. Es werden also genau Gel-
der in der Höhe von puW auf die reine Strategie {buy} zugeteilt und vice
versa, während Vermögen in der Höhe von psW nicht umgeschichtet
wird.19

                    pug,t (σ tgθ t + btg ) → buy
                    p sg,t (σ tgθ t + btg ) → hold
                    p dg,t (σ tgθ t + btg ) → sell

Daraus kann nun das Zielportfolio (σˆ tg+1 , bˆtg+1 ) einer beliebigen Population
zum Zeitpunkt t bestimmt werden:

                    σˆ tg+1θ t = pug,t (σ tgθ t + btg ) + p sg,t (σ tgθ t ) = σ tgθ t ( pug,t + p sg,t ) + pug,t btg ,
                    bˆtg+1 = pdg,t (σ tgθ t + btg ) + p sg,t btg = btg ( pdg,t + p sg,t ) + pug,tσ tgθ .

Die Nettonachfrage NDg, die von einer Population per Saldo in Geldein-
heiten auf den Markt kommt, entspricht der Differenz zwischen dem
Wert der Anteile in Zielportfolio und Ursprungsportfolio:

                                                               (                   )
                    NDtg = σˆ tg+1θ t − σ tgθ t = σ tgθ t pug,t + p sg,t − 1 + pug,t btg .

Treffen nun alle Populationen auf dem Markt zusammen, wechseln ge-
nau soviele Anteile den Besitzer, wie auch zur Verfügung gestellt werden.
Es ergibt sich also folgende verbleibende Nettoüberschussnachfrage:

                    NDt = ∑ NDtg .
                               g∈G

Per Annahme sei es nun genau diese Überschussnachfrage, die den Preis
in der nächsten Periode bestimmt: Es gibt einen „Market Maker“, der
nichts anderes tut, als den Preis für die neue Periode um den Faktor u, 1
oder u-1 neu zu stellen20. Es werden also nicht ständig Angebots- und
Nachfragekurven hergeleitet und daraus markträumende Preise berech-

18   Diese Budgetrestriktion gilt implizit auch für die einzelnen Individuen (in Kombination mit der
     nachfolgenden Annahme).
19   Durch diese Modellierung sind Short Sales automatisch ausgeschlossen.

                                                       11 
net21, sondern es wechseln genau die Titel die Hand, für die sich zum
aktuellen Preis ein Käufer und ein Verkäufer findet.

Dies soll eine grobe Approximation darstellen, wie im Börsenhandel ein
Preis gefunden wird: Ist dort die momentane Nachfrage stark positiv oder
negativ (d.h. ein Angebotsüberschuss), wird sich der Bid-Ask-Spread mit
grosser Wahrscheinlichkeit in die entsprechende Richtung verkleinern.
Bei einer grossen Überschussnachfrage steigt der (Bid-)Preis so lange, bis
sich ein Verkäufer findet. Dabei muss jedoch nicht zwingend ein Handel
stattgefunden haben.

Die oben vorgestellte Modellierung des Preismechanismus erlaubt genau
dies: Wird beispielsweise zu einem vorherrschenden Preis von allen Po-
pulationen nachgefragt, wird der Prozess iteriert, bis ein Preis gefunden
wird, bei dem eine Population netto zum Verkaufen gewillt ist. Formal
liest sich der Preismechanismus wie folgt:

                    NDt > 0 ⇒ θ t +1 = θ t + ND ⋅ u,
                    NDt = 0 ⇒ θ t +1 = θ t ,
                    NDt < 0 ⇒ θ t +1 = θ t ⋅ u −1.

Nur im Spezialfall NDt = 0 stimmt das Zielportfolio (σˆ tg+1 , bˆtg+1 ) mit dem rea-
lisierten Portfolio überein (σ tg+1 , btg+1 ) . In allen anderen Fällen werden die
gehandelten Titel proportional zur Stärke der Überschussnachfragen NDg
auf die Populationen verteilt.

20   Lux (1995b) macht seinen Preismechanismus auch abhängig von einer (anders) generierten Über-
     schussnachfrage. Allerdings übernimmt dort der Market Maker sämtliche Titel und stellt den Preis
     in Abhängigkeit der Stärke von ND neu.
21   Vgl. LeBaron (1998).

                                                12 
2.4 Drei Marktmodelle: Effizienzler, Fundamentalisten und Char-
    tisten

Der hier entwickelte Modellrahmen erlaubt per se eine unbegrenzte An-
zahl an Marktmodellen, welche den Individuen zur Selektion zur Auswahl
stehen. Durch Mutation entstehen über die Zeit zudem neue Alternati-
ven, während unbrauchbare durch Selektion aussterben. Gerade Mutati-
on ist aber sehr schwierig zu simulieren, da die Agenten mit einer künst-
lichen Intelligenz auszustatten sind, welche ihnen z.B. auch erlauben
müsste, ökonometrische Untersuchungen über die vergangenen Preisbe-
wegungen anzustellen. Es stellt sich also die Frage, wie gross der Strate-
gieraum und welcher Art die künstliche Intelligenz der Agenten gewählt
werden sollen. Schliesslich muss noch bestimmt werden, welche
Marktmodelle öffentlich zugänglich sind und welche nicht.

LeBaron et Al (1998) beispielsweise statten die 25 Investoren, die sie in
ihrem evolutionären Modell handeln lassen, mit je 100 teilweise ver-
schiedenen Strategien aus, die sie mittels eines genetischen Algorithmus
in der Zeit mutieren können. Das Problem ist aber, dass bei einer sol-
chen Vielfalt schnell nur noch statistische Fragestellungen beantwortet
werden können, da es fast nicht mehr möglich ist, allfällige treibenden
Kräfte ausfindig zu machen. Lux (1995) hingegen verzichtet völlig auf die
Möglichkeit der Mutation und lässt Fundamentalisten sowie optimisti-
sche und pessimistische Chartisten interagieren. Weitere Modelle, welche
Chartisten und Fundamentalisten miteinander handeln lassen, sind bei
Harrison (1997) und Huang (1993) nachzulesen.

Aus Gründen der Einfachheit habe ich mich auf drei zur Verfügung ste-
hende Marktmodelle beschränkt, welche die wichtigsten Klassen der in
der Praxis vorherrschenden Modelle grob abdecken sollen: Effizienzler
(„you can’t beat the market in the long run“), Fundamentalisten („I know
it better“) und Chartisten („go with the flow“).

Das Marktmodell der Effizienzler zeichnet sich dadurch aus, dass
es den Preisprozess als Random Walk beschreibt. Dies ist auch
zugleich die Prognose, welche die Theorie der effizienten Märkte auf
diesem künstlichen Markt fordert: Sämtliche Informationen sind
im aktuellen Marktpreis aggregiert. Der gerade herrschende Preis
ist zu jedem Zeitpunkt der beste Schätzer für den Preis von mor-
gen. Mathematisch ausgedrückt, muss der Wahrscheinlichkeits-
vektor p in der angenommenen risikoneutralen Welt der Bedingung
 1+ r f ∑s∈S p s θ s ,t +1 = θ genügen. Setzt man z.B. arbiträr ps=0 ergibt sich:
   1           e

                                     13 
( pue,t , p se,t , pde ,t ) = const =   (
                                        (1+ r f ) −u −1
                                            u −u −1
                                                          ,0,
                                                                u −(1+ r f )
                                                                  u −u −1
                                                                               )   22.

Die Fundamentalisten machen ihre Prognosen der Zukunft davon ab-
hängig, wie gross die relative Abweichung x des Marktwertes θt vom ak-
tuellen Fundamentalwert Vt ist. Per Annahme ist dieser den Marktteil-
nehmern genau bekannt. Je grösser die relative Abweichung, desto höher
wird die Wahrscheinlichkeit eingestuft, dass sich der Kurs in der nächs-
ten Periode in Richtung Fundamentalwert bewegt. Der Wahrscheinlich-
keitsvektor sei hier gegeben durch ( pua,t , psa,t , pda ,t ) = (δ a ,0,1 − δ a ) , wobei

                            x > 0 − 1 e− x + 1
                                         2
                      δ =
                         a
                                               ,
                             x ≤ 0 2 e
                                       1   x

                      x = ln (Vt / θ t ).

Gäbe es nur solche Fundamentalisten auf dem Markt, so würde θt=vt ap-
proximativ gelten: Da der Preis pro Periode nur um die Tickereinheit ver-
ändert werden kann, dauert es maximal 10 Perioden, bis eine vorge-
nommene Fundamentalwertänderung in den Preisen absorbiert ist. Aus
diesem Grund ändert sich dieser exogene Wert in der Simulation nur alle
zehn Perioden.

Diese Charakterisierung der Fundamentalisten beschreibt auch Händler,
die sich in einem effizienten Markt wähnen und einzig auf neue Informa-
tionen reagieren: Eine Fundamentalwert-Änderung entspricht in dieser
Optik dem Wert der neuen Information. Analog reagieren diese „News-
Trader“, wenn keine News eintreffen, der Preis sich aber ändert.

Die Chartisten ziehen für ihr Marktmodell die vergangene Preisentwick-
lung als Prognoseinstrument bei. Als einfache Faustregel wird hier ange-
nommen, dass diese Gruppe die relative Abweichung des Marktwerts θt
zu dessen Realisierung θt-x als Indikator für die Zukunft hinzuzieht. Der
Wahrscheinlichkeitsvektor                     sei auch hier gegeben durch
( pu ,t , ps ,t , pd ,t ) = (δ ,0,1 − δ ) , wobei
   r       r       r          r        r

                          x < 0 − 1 e − x ⋅ a1 + 1
                                  2
                      δ =
                         r
                                                   ,
                         x ≥ 0 2 e
                                 1  x ⋅ a1
                         
                      x = ln (θ t / θ t − x ).

22   Im Sinne eines solchen Effizienzler wäre die Wahrscheinlichkeitsverteilung (0,1,0) am sinnvollsten
     („Preis von heute ist der beste Schätzer für den Preis von morgen“). Allerdings hat diese kleine Un-
     genauigkeit auf der Ebene der Populationen nur minimale Auswirkungen.

                                                                    14 
Der Faktor a ist als Mass für die Sensitivität zu deuten: Je grösser a,
desto sensibler reagieren die Chartisten auf Trendveränderungen.

2.5 Populationsdynamik

Ein Kernpunkt eines jeden evolutionären Modells ist die Populationsdy-
namik. In diesem Kontext ist sie charakterisiert durch die Möglichkeit
der Individuen, die Strategie zu wechseln. Konkret: Es besteht die Mög-
lichkeit, ein anderes Marktmodell zur Prognose des Marktes zu wählen.
Das Kriterium zum Wechsel der Population wurde hier folgendermassen
definiert23: Jeder Investor stellt sich nach jeder Preisänderung folgende
Frage: „Wie wäre mein Vermögenszuwachs ∆W gewesen, wenn ich eine
andere Anlagestrategie x gewählt hätte?“24 Dabei spielt es keine Rolle, ob
die jeweiligen Wunschportfolio auch hätten realisiert werden können:
Aus Sicht des einzelnen Investors ist der Markt kompetitiv, d.h. der Preis
ist auf dieser Ebene exogen gegeben und räumt den Markt. Dieser fiktive
Strategievergleich entspricht begrenzt der Annahme adaptiver Erwartun-
gen: Individuen benützen zwar die Erfahrungen aus der Vergangenheit,
als Messlatte dient aber nur gerade die Performance in der letzten Perio-
de. Weiter sind unsere Agenten nicht lernfähig, wie sie es z.B. bei einer
Simulation mit einem genetischen Lernalgorithmus25 wären. Strategie-
Mutationen sind bei den hier benützten Marktmodellen nicht zugelassen,
es kann bloss aus den bestehenden Strategien ausgewählt werden.

Auf Populationsebene ergibt sich der fiktive Vermögenszuwachs der ein-
zelnen Strategien ex post zum neuen Zeitpunkt t+1 wie folgt:

                  ∆Wˆ t +g1, x = Wˆ t +g1, x − Wt g
                                  (                             )(
                               = σˆ tg+,1xθ t + bˆtg+,1x − σ tgθ t + btg ,              )
                             wobei
                                                                                 pux,t btg
                             σˆ    g ,x
                                  t +1    =σ   t
                                                g
                                                    (p   x
                                                         u ,t   +p   x
                                                                     s ,t   )+     θt
                                                                                             ,

                             bˆtg+,1x = btg ( pdx ,t + p sx,t ) + phx,tσ tgθ t .

Diese relativen ex post Erfolge der drei Strategien sind nun die Bestim-
mungsfaktoren für die in diesem Modell gewählte Dynamik. Vermögens-
23 Lux (1995b) modelliert eine Dynamik, die aus drei verschiedenen Effekten zusammengesetzt ist:
   "Interaction via social field", "contagion" sowie Eintritt/Austritt von Tradern. LeBaron (1999) mo-
   delliert die Selekion als Lernprozess, indem jeweils 20 Strategien zufällig erstellt werden und an-
   schliessend die schlechtesten 20 Strategien eliminert werden.
24 Vgl. Vortrag von Thorsten Hens im Zlink.
25 Der genetische Algorithmus von LeBaron (1998) funktioniert folgendermassen: Fundamental- und

   Chartistenstrategien werden auf einem „Gen“, bzw. auf einem 12 Bit langen String codiert. Dieses
   Gen wird dann zufälligerweise codiert oder mutiert.

                                                                 15 
teile (und somit Individuen) wechseln die Population proportional zum
relativen Erfolg der besseren Strategien26. Weist die eigene Strategie die
beste Performance aus, gibt es keine Abwanderung. Formal liest sich die
Abwanderung einer Population g zur Strategie x am Schluss der Periode t
folgendermassen:

                                         Wˆ t x − Wˆ t g g
                    dWt g , x = a 2                     Wt +1 , ∀x ∈ G .
                                              Wˆ t g

Summiert man diesen Kapitalabfluss über alle x und addiert zusätzlich
den allfälligen Zufluss aus anderen Populationen, ergibt sich für die Po-
pulation g der netto Zu- oder Abfluss:

                                 G                     G
                    dWt g = ∑ dWt g , x + ∑ dWt x , g .
                            x =1          x =1
                            1 4243 1        4243
                                       Abfluss             Zufluss

Die Konsitenzbedingung                      ∑    g∈G
                                                       dWt g = 0 ist dabei automatisch erfüllt.

2.6 Berücksichtigung von Risiko

Im vorliegenden Framework können je nach Bedarf weitere Verfeinerun-
gen vorgenommen werden. Als Beispiel soll hier eine alternative Möglich-
keit vorgeschlagen werden, wie Abneigung gegenüber Risiko berücksich-
tigt werden kann, ohne dies mittels einer konkaven Nutzenfunkion zu
lösen (dies würde die Aggregation zu Populationen verunmöglichen).

Im vorliegenden Modell gibt es zu jedem Zeitpunkt genau einen Zustand,
bei dem die Individuen schlechter gestellt sind als zuvor, und zwar dann,
wenn der Preis aufgrund eines Überangebots sinkt. Darum soll hier das
Risiko R nicht mittels einer statistischen Streuungsgrösse definiert wer-
den, sondern intuitiv die Form des Produkts zwischen erwartetem relati-
vem Schaden und der einem Kursverlust zugeordneten Wahrscheinlich-
keit annehmen:

                                       Wt i − Wt +i 1              θ t σ ti (1 − 1u ) i (1 − u1 )
                     R i = p di ,t ⋅                    = p i
                                                                 ⋅                   = pd ,t ⋅               .
                                             Wt i
                                                            d ,t
                                                                   θ t σ ti + bti                    bi
                                                                                               1 + θ t σt ti
                                       1424        3
                                       relativer Schaden

Diese Definition bringt sehr nützliche Eigenschaften mit sich:

26   Dieser relative Populationswechsel wird in Schlag (1998) angewendet.

                                                             16 
•   Das Risiko nimmt zu mit steigendem Anteil an risikobehaftetem Ver-
    mögen σiθ und strebt gegen Null, wenn alles Vermögen in Anlage b
    investiert ist, d.h. p d (1 − u1 ) ≥ R ≥ 0 .
•   Je sicherer die risikobehaftete Anlage, desto kleiner das Risiko
    ( ∂R ∂pd > 0 ).

Problematisch ist nun die formale Verknüpfung dieses Risikobegriffs mit
dem Portfolioentscheid der Individuen. Hier wird angenommen, dass die
Investoren ihre Risikoaversion berücksichtigen, indem sie die Schadens-
wahrscheinlichkeit pd genau um das obige Risikomass R erhöhen:

               ~                         1 − u1   
               pdi = pdi + R i = pdi 1 +          
                                      1 + bi i    
                                            θσ    
Diese Art der Risikokorrektur bringt ein wichtiger Vorteil mit sich: Weil
                  i
das Verhältnis θσb i für alle Individuen einer Population identisch ist,
können die Individuen innerhalb einer Population weiterhin problemlos
zu einer gemischten Strategie aggregiert werden, d.h. es gilt
 ~
 pdg = pdg + R g = pdi + R i = ~
                               pdi . Diese risikobedingte Pseudo-Erhöhung der
Schadenswahrscheinlichkeit bringt auf Marktebene eine Verbilligung des
risikobehafteten Assets, d.h. der neue Preis ist um die sich implizit erge-
bende Risikoprämie tiefer angesetzt.

3. Resultate

Im folgenden Abschnitt werden anhand von Computer-Simulationen des
oben beschriebenen Modells einige Fragestellungen diskutiert, die ein-
gangs erwähnt wurden. Vorerst wird die Populationsdynamik weggelas-
sen, um zu untersuchen, ob es dominante Strategien gibt. Dazu wird die
Verteilung des Vermögens auf die Populationen auf Stationarität und
Stabilität im Zeitverlauf geprüft. In einem zweiten Teil werden zusätzlich
Strategiewechsel zugelassen, d.h. der Parameter a2 wird grösser Null ge-
setzt. Ein kurzer Blick auf die nun auftretenden Zeitreihen zeigt, dass
bubbleartige Phänomene auftreten. Deshalb wird kurz erläutert, wie im
Modell ein Bubble entsteht und was ihn wieder zum Platzen bringt. An-
schliessend wird noch auf einige weitere Charakteristika hingewiesen, die
v.a. aus der Perspektive der Behavioral Finance von Interesse sind. Auf
statistische Tests wird aus Zeitgründen verzichtet, obwohl die resultie-
renden Preisprozesse sehr stark empirischen Zeitreihen ähneln.

Als Hilfsmittel zur Veranschaulichung der Resultate werden zwei Typen
von Graphen verwendet: Einerseits übliche Zeitreihen (vgl. Abbildung 1),
wo Preise, Fundamentalwerte und Vermögen der Populationen über die
Zeit abgetragen sind, andererseits kommen gleichseitige Dreiecke zum

                                          17 
Einsatz (vgl. Abbildung 5), in denen der Pfad der Vermögensverteilung
auf die drei Strategien (d.h. die Populationsdynamik) veranschaulicht ist.
Der Punkt genau in der Mitte eines solchen Dreiecks repräsentiert z.B.
eine gleichmässige Aufteilung des Gesamtvermögens auf die drei Popula-
tionen: Auf jede Strategie fällt genau ein Drittel des Vermögens. In einem
Eckpunkt besitzt eine Population das gesamte Vermögen der Ökonomie.
Im Allgemeinen kann der Anteil einer Population abgelesen werden, in-
dem vom entsprechenden Eckpunkt aus die Länge der Strecke zwischen
Anteilspunkt und Hypotenuse bestimmt wird.

Für die Simulation müssen vorerst Parameter und Initialwerte festgelegt
werden. Tabelle 1 zeigt diejenigen Werte, welche für sämtliche hier ange-
stellten Untersuchungen konstant gelassen werden.

Tabelle 1: Konstante Parameter und Initialwerte
Symbol Wert      Beschreibung
u        1,01    Tickergrösse
a1       1,25    Sensitivität der Chartisten
x        500     Anzahl Perioden, welche die Chartisten in die Ver-
                 gangenheit blicken
V0       100     Fundamentalwert in t=0
θ0       100     Marktpreis in t=0
z        0,07    Streuungsparameter des exogenen, probabilisti-
                 schen Fundamentalwertprozesses
T        10000 Laufdauer der Simulation

Die Parameter sind nicht zwingend so zu wählen. Die Grössen u und z
müssen allerdings so aufeinander abgestimmt sein, dass der Preis inner-
halb von 10 Perioden eine allfällige Fundamentalwert-Änderung nachbil-
den kann (der Fundametalwert ändert per Annahme nur alle 10 Perio-
den). Der Wert für a1 wurde so festgelegt, dass sich die Sensitivität von
Fundamentalisten und Chartisten ungefähr entsprechen.

In Tabelle 2 sind die Parameter aufgelistet, die in der Folge variiert wer-
den. Vor allem a2 ist ein zentraler Parameter, da dieser ein Mass für die
Geschwindigkeit darstellt, mit der die Individuen ihre Strategie wechseln.
Bei allen Simulationen wurde b0 so gewählt, dass das Startportfolio gera-
de dem Zielportfolio für die Initialprognose (bei allen {.5,0,.5} entspricht.
Damit wird bezweckt, dass die Ökonomie zu Beginn gerade im Gleichge-
wicht ist (wenn auch V0 =θ0 gilt). Dieses wird folglich erst nach 10 Perio-
den gestört, wenn der Fundamentalwert ein erstes Mal exogen verändert
wird.

Tabelle 2: Parameter, die variiert werden
Symbol           Beschreibung
a2               Stärke der Populationsdynamik
σ0θ, b0          Anfangsausstattungen der Populationen

                                   18 
3.1 Evolutionäre Stabilität der Strategien (ESS)

Als erstes soll nun untersucht werden, welche der drei Anlagestrategien
am erfolgreichsten ist, d.h. es wird abgeklärt, ob es im spieltheoretischen
Sinn dominierte Strategien gibt, die über die Zeit hinweg einen kleineren
Gewinn erwirtschaften. Dazu wird Selektion vorerst nicht zugelassen,
d.h. a2 wird gleich Null gesetzt.

Man könnte nun meinen, dass die Fundamentalisten ihre Konkurrenten
schnell einmal überflügeln, da sie ihre Käufe vom Fundamentalwert ab-
hängig machen und somit für ihre Prognosen „bessere“ Informationen
hinzuziehen. Dies muss allerdings nicht unbedingt der Fall sein, da der
Marktpreis erst einmal zum Referenzwert zurückkehren muss. Keynes
brachte diesen Sachverhalt treffend auf den Punkt: „Markets can remain
irrational longer than you can remain solvent“.

 160

 140

 120
 100

     80

     60

     40
                Last                  Wert
                M arktwert            Vermö gen e
     20         Vermö gen f           Vermö gen c
      0
          1   501   1001      1501   200   2501     300   3501    400   4501   5001   5501   600   6501   7001   7501   800   8501   900   9501

Abbildung 1: Zeitreihe mit a2=0, σg=0.33; bg=33

Dieser Sachverhalt ist auch in Abbildung 1 zu sehen: Der Marktpreis in
blau weicht oft über längere Zeitperioden vom Fundamentalwert in rot
ab. Trotzdem scheint die Strategie der Chartisten (violette Kurve) in der
langen Frist leicht schwächer abzuschneiden. Jedoch ist keine Strategie
im engen Sinn schwach oder gar strikt dominiert: Ein kurzer Blick in die
Daten zeigt, dass auch die Chartisten oft die beste Prognose abgegeben
haben.

                                             Es stellt sich nun aber die Frage, ob die Strate-
                                             gien auch langfristig überleben. Die angestellten
                                             Untersuchungen auf Stationarität (o) und Stabili-
                                             tät27 (•) sind zusammengefasst in Abbildung 2,
                                             wo jeder Pfeil eine Simulation über 10000 Perio-
                                             den mit anderen Startwerten repräsentiert.

Abbildung 2: ESS

27   Ein Stationärer Punkt ist ein Punkt, in dem sich ein System im Gleichgewicht befindet. Ein Stabi-
     ler Punkt ist ein stationärer Punkt, in den ein System lokal konvergiert.

                                                                  19 
Zu beobachten ist Folgendes: (1) Die Eckpunkte sind im Falle der Fun-
damentalisten und Effizienzler stationär und auch stabil, im Falle der
Chartisten jedoch nur stationär. (2) Alle inneren Vermögenspfade kon-
vergieren zur unteren Dreieckskante, wo alle Punkte stationär sind. (3)
Je mehr Chartisten im Markt sind, desto überlegener sind die Funda-
mentalisten im Vergleich zu den Effizienzlern. D.h. die Verluste, die die
Chartisten in der langen Frist einfahren, führen bei den Fundamentalis-
ten zu grösseren Gewinnen als bei Famas Freunden. In einem evolutio-
nären Sinn wird die Effizienz-Strategie schwach von der Fundamental-
Strategie dominiert, solange ausreichend Opfer (d.h. Chartisten) im
Markt sind28. (4) Im türkis markierten Bereich oszillieren die Preise zyk-
lisch, der Vermögenspfad wandert jedoch in abnehmenden Spiralen weg
von der Ecke der Chartisten.

Dies lässt folgenden Schluss zu: Die Strategie der Chartisten ist evolutio-
när nicht stabil: Eine kleinste Gruppe von Fundamentalisten oder Effi-
zienzler genügt bereits, um den Pfad in den unteren Dreiecksteil zu drü-
cken. Die hier modellierte einfache Chart-Faustregel ist folglich nicht
stabil gegen solche Formen der Mutation, womit im vorliegenden Markt
die Chartisten in der langen Frist verschwinden, wenn sie gezwungen
sind, an ihrer Anlagestrategie festzuhalten.

3.2 Effekte der Populationsdynamik

Was geschieht, wenn zusätzlich das evolutionäre Werkzeug der Selektion
zugelassen wird? Dies ist Gegenstand dieses Unterkapitels: Die Populati-
onsdynamik wird ins Spiel gebracht, a2 wird grösser als Null gesetzt.
Damit können nun Vermögensteile (bzw. Individuen mit ihrem Kapital)
die Strategie wechseln. Sterben die Chartisten noch viel schneller aus?
Oder stellen sich gar stationäre Gleichgewichtszustände ein? Ein erster
Blick in eine beliebige Zeitreihe zeigt bereits klar: Die Resultate sind fun-
damental anders.

 400
                Wert
 350            Marktw ert
 300            Vermögen e
                Vermögen f
 250            Vermögen c

 200

 150

 100

     50

      0
          t   499   999      1499   1999   2499   2999   3499   3999   4499   4999   5499   5999   6499   6999   7499   7999   8499   8999   9499

Abbildung 3: Zeitreihe mit a2=2, σ                       f=0.3;   bf=30;      σ   c=0.5,   bc=50,   σ   e=0.2,   be=20

28   Vgl. dazu das Spiel in Weibull (1995), S.84f (Beispiel 3.4): Strategie 1 dominiert Strategie 2 nur
     dann schwach, wenn die strikt dominierte Strategie 3 noch vorhanden ist. Weibull illustriert in
     diesem Beispiel, dass anfänglich schwach dominierte Strategien (im Bsp. Strategie 2, im aktuellen
     Kontext die Effizienzler) nicht unbedingt verschwinden.

                                                             20 
Es gibt Phasen, in denen das Vermögen sprunghaft auf andere Strategien
wechselt. Weiter können keine evolutionär dominierten Strategien mehr
ausfindig gemacht werden, wie auch keine stationären oder stabilen
Punkte mehr existieren.

Abbildung 4: Der Vermögenspfad konvergiert gegen die Mitte

Vielmehr gibt es nun gewisse Regionen, in denen sich der Vermögenspfad
einpendelt: Vorerst konvergiert dieser in die Mitte (vgl. Abbildung 429),
um dann dort teils in asymptotisch bis Lyapunow-stabile Zustände zu
gelangen30. Dies ist dargestellt in Abbildung 5. Je grösser die Stärke der
Populationsdynamik, desto extremer werden die Kursverläufe, welche
auch zusehends weniger vom Fundamentalwert gesteuert werden.

Abbildung 5: a2=3 bzw. a2=5: σf=0.3; bf=30; σc=0.5, bc=50, σe=0.2, be=20

3.3. Geschichte eines Bubbles

In Abbildung 3 tritt nach ungefähr 2500 Perioden eine erste Spekulati-
onsblase auf. Was führt zu ihrer Entstehung, und was lässt sie platzen?

29   Der Zeitverlauf wird im Farbverlauf visualisiert: Je dünkler das Blau, desto später in der Simulati-
     on.
30   Definitionen vgl. Weibull (1995) S. 77f, illustriert anhand eines „Scheren-Stein-Papier“-Spiels mit
     unterschiedlichen Parametern für den Payoff des jeweiligen Siegers.

                                                  21 
Dies soll in diesem Abschnitt kurz rein deskriptiv erläutert werden. Zur
Illustration dient Abbildung 6, wo ein solcher Bubble, entstanden in ei-
ner Simulation mit gleichem Wert für a2, grösser dargestellt ist.

Was genau einen Bubble auslöst, ist unterschiedlich und relativ schwie-
rig zu eruieren: In Frage kommen grundsätzlich Effekte der Populations-
dynamik, eine relativ grosse Fundamentalwertänderung (führt zu Schock
in der Wahrscheinlichkeitsverteilung der Fundamentalisten) sowie meh-
rere gleichgerichtete Preisänderungen in der Vergangenheit (Schock bei
den Chartisten). Treten zufällig ein oder mehrere gleichgerichtete
Schocks nacheinander auf, kann der Prozess schnell explodieren, indem
ein oder mehrere Gruppen zusammen eine starke Übernachfrage entwi-
ckeln, die aber nicht gestillt wird. Immer mehr gleichgerichtete Preisän-
derungen sind die Folge, die Chartisten werden nun in allen Fällen zur
treibenden Kraft weg vom Fundamentalwert. Da sie zum bestimmenden
Preisfaktor geworden sind, ist diese Strategie für die Individuen ex post
auch zwangsläufig die Beste. Vermögensteile anderer Strategien wechseln
also auf die „Schockstrategie“, was den Preistrend zusätzlich verstärkt...
der Bubble ist in vollem Gang. Fundamentalisten, die unterdessen ver-
stärkt in die Gegenrichtung spekulieren, verlieren zusehends Geld und
werden zusätzlich geschwächt durch die Populationsdynamik: Sie brin-
gen den Preis nicht mehr zum Fundamentalwert zurück.

 400
                                                                  Last
 350                                                              Wert
                                                                  Marktw ert
                                                                  Vermögen e
 300                                                              Vermögen f
                                                                  Vermögen c

 250

 200

 150

 100

  50

   0
       1          501          1001            1501        2001                2501
Abbildung 6: Bubble (a2=2, σf=0.3; bf=30; σc=0.5, bc=50, σe=0.2, be=20)

Wer soll also den Bubble zum Platzen bringen? Die Antwort ist erstaun-
lich: Es sind die Chartisten selbst. Zwar erhöhen sie pu noch immer mit

                                       22 
jeder zusätzlichen Preisbewegung, jedoch in immer kleinerem Masse.
Gleichzeitig wird aber mit jeder Preiserhöhung der Wert der Aktienpositi-
on grösser, während die Kassahaltung schrumpft (die Effizienzler stellen
bei steigenden Kursen Titel zur Verfügung, es wird also noch gehandelt).
Es wird also in jedem Fall ein Wert für θ erreicht, bei dem die Nachfrage
der Chartisten nach noch mehr Titel versiegt, weil sich pu nur asympto-
tisch dem Wert 1 nähert. Dies lässt sich auch mittels der Formel für NDg
zeigen: Die erste Ableitung nach pu ist positiv, diejenige nach θ negativ.
Da beide zweiten Ableitungen gerade 0 sind und nur der Wertebereich θ
gegen oben unbegrenzt ist, existiert immer ein Grenzwert, bei dem die
Überschussnachfrage versiegt. θ bleibt somit mindestens eine Periode
konstant, womit sich pu sofort verkleinert. θ muss also früher oder später
sinken. Jetzt meldet sich die Populationsdynamik zurück: Die Funda-
mentalstrategie verspricht ex post einen riesigen Gewinn, Kapital wan-
dert zu den Fundamentalisten, der Bubble platzt rasant.

Die Frage ist nun, ob sich wieder ein gleichgewichtiger Zustand ergibt. In
einem realen Markt scheiden nach einem Bubble Investoren aus dem
Markt aus: Entweder sie sind Konkurs oder sie kehren der Börse den
Rücken zu. Beides ist im vorliegenden Modell nicht modelliert (keine
Exit-Option), diese Effekte kommen also nicht in Frage. Im simulierten
Modell beruhigt sich die Situation nur, wenn die Fundamentalisten rela-
tiv zu den Chartisten ausreichend schnell mächtig genug werden, um
deren Feedback-Reaktion zu kompensieren (z.B. wenn θt-500 gerade den
vergangenen Bubble-Höhepunkt referiert, ergibt sich für die Chartisten
erneut eine Extrem-Prognose). Ein gleichgewichtiger Zustand nach einem
Bubble ist also nur für wenige Werte von a2 zu erwarten.

3.4 Einige statistische Eigenschaften

 120
                                               In Abbildung 7 ist ein ty-
 110                                           pisches Muster des Preis-
 100
                                               prozesses dargestellt. Die
                                               Vermutung liegt nahe: Im
  90
                                               Vergleich zur roten Kurve
  80
                                               des Fundamental-Prozes-
                                               Wert   Marktw ert

  70                                           ses liegt Überschuss-Vola-
     1       101        201      301       401
                                               tilität31 und Autokorrela-
tion vor. Auf einen statistischen Nachweis wird hier verzichtet. Auch
       32

kann angesichts der vielen gleichgerichteten Preisänderungen vermutet
werden, dass die Logreturn-Verteilung der Zeitserie in Abbildung 3 Fat
Tails33 aufweist. Allerdings müsste dazu zuerst einmal festgelegt werden,
wieviele Zeitperioden im Modell z.B. einem Handelstag an der Börse ent-
sprechen.

31   Vgl. z.B. Camerer (1989).
32   Vgl. z.B. Lux (2000).
33   Vgl. z.B. Tischhauser (2000) in einer Untersuchung über den SMI.

                                               23 
Als grobes Fazit sei hier festgehalten, dass die generierten Zeitreihen
durchaus Eigenschaften realer Finanzmärkten besitzen.

4. Schlussfolgerungen

Ausgehend von einem perfekten Markt wurde in dieser Arbeit ein evoluti-
onäres Finanzmarktmodell hergeleitet, in welchem Handel exklusiv auf-
grund unterschiedlicher Prognosen über die Zukunft stattfindet. Die
Hauptunterschiede zu den üblichen Annahmen des Paradigmas perfekter
Märkte sind einerseits Risikoneutralität auf Seiten der Individuen, ande-
rerseits die Architektur, speziell das Settlement des künstlichen Marktes.
Durch Annahme von Risikoneutralität verschwinden Sparen und Versi-
chern als klassische Motive des Investierens, neu können dafür (margi-
nale) Investoren mit identischen Strategien zu Populationen zusammen-
gefasst werden. Lässt man diese Populationen gemischte Strategien ge-
mäss deren Prognosen über die Zukunft spielen, resultiert mit dem bör-
senähnlichen Settlement ein Preisverlauf, der wichtige Eigenschaften
empirischer Zeitreihen nachbildet. Die Wichtigsten sind dabei bubble-
ähnliche Phänomene sowie Überschussvolatilität der Preisbewegungen.
Allerdings wurden die nötigen statistischen Tests bezüglich der Güte der
Zeitreihen nicht durchgeführt.

Für die Computersimulation des vorgestellten Finanzmarktmodells wur-
den drei Strategien bzw. Prognosemodelle zugelassen: Die Effizienzhypo-
these, die technische Analyse und die fundamentale Analyse. Letztere
orientiert sich an einem exogen Benchmark, der einen theoretisch kor-
rekten Fundamentalwert darstellen soll. Es zeigt sich, dass die Funda-
mentalstrategie dann langfristig die erfolgreichste ist, wenn die Individu-
en ihre Investitionsstrategien über die Zeit nicht verändern dürfen. Wird
jedoch eine solche Populationsdynamik zugelassen, ist der Vorteil der
Fundamentalstrategie nicht mehr ersichtlich. Hier zeigt sich ein Nachteil
der vorgestellten Modellierung: Die Informationen bezüglich einzelner
Individuen geht durch die Aggregation zu Populationen verloren, sodass
nicht mehr festgestellt werden kann, wie die Perfomance der einzelnen
Individuen (bzw. Strategiekombinationen) über die simulierte Zeitspanne
gewesen ist.

Ein Hauptresultat der vorliegenden Arbeit ist, dass bereits unterschiedli-
che Prognosen bezüglich der Zukunft genügen, um auf einem börsenähn-
lichen Finanzmarkt komplexe Dynamiken zu erzeugen, welche (für die
einzelnen Individuen) unvorhersehbare Preisprozesse generieren. Die
mikroökonomische Fundierung des Modells lässt zudem einige interes-
sante Vermutungen zu. So kann davon ausgegangen werden, dass viele
statistische Effekte, die gegen die Effizienzhypothese sprechen, wesent-
lich von den in den Finanzmärkten vorherrschenden Anlagestrategien

                                  24 
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