STROMVERSORGUNGSSICHERHEIT SCHWEIZ 2025 - STUDIE BEAUFTRAGT VON ELCOM UND BFE BERN, OKTOBER 2021 - EIDGENÖSSISCHE ...

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STROMVERSORGUNGSSICHERHEIT SCHWEIZ 2025 - STUDIE BEAUFTRAGT VON ELCOM UND BFE BERN, OKTOBER 2021 - EIDGENÖSSISCHE ...
Eidgenössische Elektrizitätskommission ElCom
                        Fachsekretariat

Stromversorgungssicherheit Schweiz 2025

Studie beauftragt von ElCom und BFE

Bern, Oktober 2021
Seite 2                                                    STROMVERSORGUNGSSICHERHEIT SCHWEIZ 2025

WARUM DIESE STUDIE?

Seit 2007 verhandelt die Schweiz mit der EU über ein Stromabkommen.
2018 fand die letzte Verhandlungsrunde statt. Seither liegt das Strom-
abkommen auf Eis, denn die EU verknüpft es mit dem Zustandekom-
men eines institutionellen Abkommens. Seit Anfang 2020 analysiert das
Bundesamt für Energie BFE die Auswirkungen eines fehlenden Strom-
abkommens auf die Netzsicherheit und auf die Versorgungssicherheit
der Schweiz. Gemeinsam mit einer Begleitgruppe aus Fachpersonen der
Eidgenössischen Elektrizitätskommission ElCom, dem nationalen Über-
tragungsnetzbetreiber Swissgrid und des Verbands Schweizerischer
Elektrizitätsunternehmen VSE beauftragte das BFE das Beratungsunter-
nehmen Frontier Economics, zusammen mit der Technischen Universi-
tät Graz eine Studie zu erarbeiten. Darin werden die Auswirkungen ver-
schiedener Zusammenarbeitsszenarien analysiert.

Am 26. Mai 2021 hat der Bundesrat die Verhandlungen mit der EU über
ein institutionelles Abkommen abgebrochen. Es ist damit zu rechnen,
dass deshalb auch das Stromabkommen nicht oder nicht innert nützlicher
Frist zustande kommt. Die Resultate der Studie «Analyse Stromzusam-
menarbeit Schweiz-EU» gewinnen damit an unmittelbarer Bedeutung.
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WARUM IST DIE SITUATION OHNE
STROMABKOMMEN PROBLEMATISCH FÜR
DIE SCHWEIZ?

`      Die Schweiz ist mit über 40 grenzüberschreitenden Stromleitungen
       eng mit dem europäischen Übertragungsnetz verbunden. Diese enge
       Verbindung ist ein wichtiger Pfeiler für die Stromversorgungssi-
       cherheit und auch für die Wirtschaftlichkeit unserer Stromversor-
                                                                                               Versorgungssicherheit 1
       gung: Bei Bedarf kann die Schweiz Strom importieren, Überschüsse
       kann sie exportieren.                                                               Sie ist dann gewährleistet, wenn
                                                                                           jederzeit die gewünschte Menge an
                                                                                           Energie mit der erforderlichen Quali-
`      Die Schweiz liegt mitten im europäischen Stromnetz. Sie ist des-
                                                                                           tät und zu angemessen Tarifen im
       halb ein Stromtransit-Korridor für den Stromhandel unserer Nach-
                                                                                           gesamten Stromnetz erhältlich ist.
       barländer. Beispielsweise importiert Italien Strom aus Deutschland,                 Dazu braucht es Strom aus inländi-
       der durch die Schweiz fliesst. Solche Transite sind im Voraus ge-                   schen Kraftwerken oder aus Impor-
       plant und werden durch die Grenzkapazitäten (Net Transfer Capaci-                   ten, ein Stromnetz, das genügend
       ty NTC) limitiert. Sie können deshalb vom Schweizer Übertragungs-                   ausgebaut und sicher betrieben
       netzbetreiber gut gehandhabt werden. Problematisch sind jedoch                      wird und Übertragungskapazitäten
       die ungeplanten Transite (Loopflows). Etwa wenn im Handelssys-                      zwischen den Ländern, die den
       tem der flussbasierten Marktkopplung (Flow-Based Market Cou-                        grenzüberschreitenden Austausch
                                                                                           ermöglichen.
       pling FBMC) Strom von Frankreich nach Deutschland geliefert wird.
       Bis zu 30% des zwischen Deutschland und Frankreich gehandelten
       Stroms fliesst durch die Schweiz. Diese ungeplanten Transitflüsse im
       schweizerischen Übertragungsnetz sind heute schon hoch. Sie wer-
       den in den nächsten Jahren weiter zunehmen und unser Übertra-
       gungsnetz zusätzlich belasten.

`      Grund dafür ist die Gesetzgebung, mit der die EU den europäischen
       Strom-Binnenmarkt reguliert. Die EU hat diese Regulierung in den
       letzten 25 Jahren stark weiterentwickelt. Der jüngste Schritt ist das
       Clean Energy Package. Es ist 2020 in Kraft getreten. Es legt neue Re-
       geln für den Stromhandel und den technischen Netzbetrieb fest. Ziel
       ist, den Stromaustausch in der ganzen EU zu optimieren und so auch
       Preisunterschiede zwischen den Ländern zu reduzieren.

`      Die Schweiz kann als Drittland ohne Stromabkommen nicht bei
       der Festlegung dieser Regeln mitreden. Sie ist aus den Entscheid-
       Gremien der EU ausgeschlossen oder hat nur eine Beobachterrol-
       le. Der weiterentwickelte europäische Strom-Binnenmarkt berück-
       sichtigt die Bedürfnisse der Schweiz nicht. Sie muss aber viele der
       neuen Regeln trotzdem übernehmen, beispielsweise Vorschriften
       für die Netzsicherheit.

1
    «Zuständigkeiten im Bereich der Stromversorgungssicherheit», 2017
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`    Als Drittland ist die Schweiz von den Mechanismen und Marktplatt-
     formen im europäischen Stromhandel ausgeschlossen. So kann sie
     nicht am FBMC teilnehmen. Mit dem FBMC werden die nur be-
     grenzt vorhandenen Übertragungskapazitäten zwischen verschiede-
                                                                                     Flow Based Market
     nen Ländern optimal ausgenutzt. Dabei wird eine über die Grenzen
                                                                                 Coupling FBMC
     gehandelte Strommenge direkt mit der dafür erforderlichen Netzka-
     pazität verknüpft. Die am FBMC teilnehmenden EU-Mitgliedländer              Mit der flussbasierten Marktkopp-
                                                                                 lung werden Marktgebiete effizient
     müssen also die Durchleitung des Stroms nicht separat erwerben.
                                                                                 miteinander verknüpft und die
     Die Schweiz schon. Das ist umständlicher und teurer. Zur Umsetzung
                                                                                 realen Stromflüsse bestmöglich
     des FBMC hat die EU die verschiedenen Länder in Kapazitätsberech-
                                                                                 mitberücksichtigt. Denn durch die
     nungsregionen aufgeteilt. In diesen Regionen werden die Netzkapa-           physische Verbindung der verschie-
     zitäten an den Grenzen berechnet und zugeteilt. Die Schweiz wird            denen nationalen Stromnetze nimmt
     bei diesen Berechnungen nicht berücksichtigt.                               der Strom ungeachtet von Markt-
                                                                                 grenzen stets den kürzesten Weg
`    Durch den Ausschluss aus dem FBMC entstehen den Schwei-                     vom Produzenten zum Verbraucher.
     zer Stromunternehmen nicht nur mehr Aufwand und höhere Kos-                 Die Marktkopplung führt auch zu
                                                                                 einer Angleichung der Preise in den
     ten beim Stromhandel. Es kommt auch zunehmend zu ungeplanten
                                                                                 teilnehmenden Ländern.
     Stromflüssen im Schweizer Übertragungsnetz und damit zu Netz-
     engpässen. Dadurch werden die Importkapazitäten der Schweiz be-
     schnitten und die Netzstabilität gefährdet. Um das Netz stabil zu hal-
     ten, muss der schweizerische Übertragungsnetzbetreiber Swissgrid
     immer öfter eingreifen. Zum Beispiel, indem Energie aus Wasserkraft
     für Redispatch-Massnahmen einsetzt wird. Diese Energie steht
                                                                                     Redispatch und betriebliche
     dann für die Stromversorgung der Verbraucher nicht mehr zur Verfü-
                                                                                 Massnahmen
     gung. Das ist aus Versorgungssicht problematisch und es ist teuer.
                                                                                 Netzengpässe können die Netzsta-
                                                                                 bilität gefährden. Deshalb müssen
`    2025 bringt das Clean Energy Package eine weitere Herausforde-
                                                                                 ­diese jederzeit unter Kontrolle ge-
     rung. Bis spätestens 31.12.2025 müssen alle europäischen Übertra-
                                                                                 halten werden. Ein Mittel dazu ist
     gungsnetzbetreiber mindestens 70% der für den grenzüberschrei-              neben betrieblichen Massnahmen
     tenden Handel relevanten Kapazitäten für diesen freihalten. Die             (wie z.B. Schalthandlungen) der
     Handelskapazitäten mit der Schweiz dürfen von unseren Nachbar-              sogenannte «Redispatch». Damit
     ländern aus Sicht der EU-Kommission nicht zu den 70% angerech-              greift Swissgrid in die Einsatzpla-
     net werden. Das wäre nur mit einem Stromabkommen oder mittels               nung der Kraftwerke ein und weist
     Verträgen zwischen allen beteiligten Übertragungsnetzbetreiberin-           diese an, mehr oder weniger Strom
     nen möglich. Diese 70%-Regel könnte die Importkapazitäten der               zu produzieren.

     Schweiz einschränken. Zudem könnte sie die Netzbelastung erhö-
     hen und so die Netzstabilität in der Schweiz gefährden.

`    Auch die Teilnahme der Schweiz an weiteren wichtigen Handels-
     plattformen der EU ist künftig gefährdet. Dazu gehören beispiels-
     weise die Handelsplattformen für Regelenergie TERRE (Trans Euro-
     pean Replacement Reserve Exchange), MARI (Manually Activated
     Reserves Initiative) oder PICASSO (Platform for the International Co-
     ordination of the Automatic frequency restoration process and Sta-
     ble System Operation).
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`    Eine Klausel im Grundlagenvertrag der europäischen Übertragungs-
     netzbetreiber (Synchronous Area Framework Agreement, SAFA) er-
     möglicht es Swissgrid, mit den europäischen Übertragungsnetzbe-
     treibern Verhandlungen aufzunehmen. Diese Verhandlungen sind
     schon im Gange. Falls sie erfolgreich sind, könnte die Schweiz trotz
     fehlendem Stromabkommen an der grenzüberschreitenden tech-
     nischen Koordination des europäischen Stromsystems zumindest
     teilweise mitwirken.

`    Die Schweiz und auch die europäischen Länder sind daran, ihre Strom-
     produktion aus erneuerbaren Energien stark auszubauen. Im Gegen-
     zug werden Kohle- und Kernkraftwerke abgestellt. Auch das hat
     Auswirkungen auf die Stromflüsse im europäischen Stromnetz und
     damit auf die Netzsicherheit und Versorgungssicherheit der Schweiz.
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WIE WURDEN DIE ANALYSEN GEMACHT?

In verschiedenen Szenarien wurden die Netzsicherheit und die Versor-
gungssicherheit der Schweiz im Jahr 2025 untersucht. Warum 2025?
Ab Ende 2025 müssen alle europäischen Übertragungsnetzbetreiber
70% der für den grenzüberschreitenden Handel relevanten Kapazitä-
ten für diesen freihalten. Ohne Stromzusammenarbeit mit der EU und
den Nachbarländern wirkt sich das unmittelbar auf die Schweiz aus: Sie
könnte im Winter nicht bedarfsgerecht Strom importieren und die Netz-
sicherheit könnte durch hohe ungeplante Stromflüsse durch unser Land
gefährdet werden. Die neue Zuteilung der grenzüberschreitenden Über-
tragungskapazitäten hat zudem auch wirtschaftliche Auswirkungen.

Für die Simulation des Strommarkts und des Stromnetzes im Jahr 2025
wurden in der Studie verschiedene Annahmen getroffen. Beispielsweise
zu den Brennstoff- und CO2-Preisen, zur Stromnachfrage, zum Strom-
angebot und zum Volumen des Stromaustauschs. Auch zum 2025 gel-
tenden Regulierungsrahmen in der Schweiz und der EU wurden Annah-
men getroffen. Wichtig ist aber, dass hier noch einiges im Wandel ist.
So kann beispielsweise die 70%-Regel unterschiedlich interpretiert oder
bis 2025 noch angepasst werden. Zudem ist noch unklar, wann Italien
FBMC umsetzen wird (in der Studie wurde 2025 angenommen). Für den
Schweizer Strommarkt wurde angenommen, dass die im «Bundesgesetz
über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» vorge-
sehene strategische Reserve 2025 umgesetzt wird. Dieses Bundesgesetz
wird ab Winter 2021 im Parlament beraten.
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DIE UNTERSUCHTEN SZENARIEN

Eines der Szenarien zeigt die Situation mit einem Stromabkommen, wie
es geplant war. Die anderen Szenarien zeigen die Alternativen: Eine
Stromzusammenarbeit, die durch Verträge mit den einzelnen Übertra-
gungsnetzbetreibern der europäischen Länder geregelt wird und ein
Szenario ohne jegliche Stromzusammenarbeit mit den Nachbarländern.
Und schliesslich gibt es ein «Status Quo» Szenario. Dieses ist allerdings
theoretischer Natur und dient nur als Vergleichsbasis.

Abbildung 1: Kapazitätsberechnungsregionen ITN und CORE (Quelle: Frontier Economics auf Basis von ACER
Definition of the Capacity Calculation Regions (CCRs) Annex I)

In allen Szenarien wurde angenommen, dass der Ausbau des Schweizer
Übertragungsnetzes zum «Strategischen Netz 2025» plangemäss vor-
ankommt. Eine Verzögerung des Netzausbaus könnte die in dieser Stu-
die angenommenen Importkapazitäten ebenfalls reduzieren.

Für die einzelnen Szenarien wurden quantitative Analysen durchgeführt.
Marktsimulationen des vortägigen Markts (Day-Ahead) zeigen die Han-
delsflüsse und die Auswirkungen auf die Wohlfahrt. Netzsimulationen
und Analysen der Redispatch-Massnahmen zeigen Netzengpässe und
die Kosten für ihre Behebung. Und schliesslich zeigen Generation Ade-
quacy Analysen die Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit.

Auch qualitative Analysen wurden gemacht. Sie zeigen die Auswirkun-
gen der verschiedenen Szenarien auf den untertägigen Markt (Intraday),
den Markt für Regelleistung und Regelenergie (wichtig für Redispatch-
Massnahmen), den Markt für Herkunftsnachweise und die Kapazitäts-
märkte in den Nachbarländern der Schweiz.
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Zudem wurde eine für das Schweizer Übertragungsnetz besonders
schwierige Stresssituation definiert: Die beiden Reaktoren des Kern-
kraftwerks Beznau und ein Drittel der französischen Kernkraftwerke
sind nicht verfügbar. Es steht also zu wenig Energie zur Verfügung. Die-
se eher unwahrscheinliche, aber nicht auszuschliessende Stresssituation
steht beispielhaft für den gravierendsten aller denkbaren Versorgungs-
engpässe. Die Auswirkungen der Stresssituation wurden in allen Szena-
rien mit einer «Generation Adequacy» Analyse überprüft. Diese zeigt,
ob genügend Kraftwerkskapazitäten im Inland oder aus dem grenz-
überschreitenden Handel verfügbar sind, um eine sichere Versorgung
zu gewährleisten.
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RESULTATE

Szenario «Status Quo»

Dieses theoretische Szenario dient lediglich als Vergleich zu den an-
deren Szenarien. Es ist nur theoretischer Natur, da sich die Regulie-
rung in der EU weiterentwickelt und neue Regeln umgesetzt werden
müssen. Ein «weiter wie bisher» ist also nicht möglich.

Die Übertragungskapazitäten der Schweiz mit ihren Nachbarländern
basieren in diesem Szenario auf den aus heutiger Sicht zu erwarten-
den Übertragungskapazitäten im Jahr 2025. Da die Schweiz physika-
lisch gut in das europäische Verbundnetz integriert ist, betragen die
Exportkapazitäten bis zu 11’300 Megawatt (MW) und die Importka-
pazitäten bis zu 9’010 MW.

Die Reservierungen für die Schweizer Übertragungskapazitäten kön-
nen aufgrund des fehlenden Stromabkommens oder fehlender Zu-
sammenarbeitsverträge nicht für die 70%-Regel anerkannt werden.
Die FBMC-Länder müssen daher 70% ihrer eigenen Übertragungska-
pazität in das FBMC geben. Dadurch kann es in bestimmten Situatio-
nen zu hohen Stromflüssen durch die Schweiz kommen. Insgesamt
sind es 34 Terawattstunden (TWh) pro Jahr. Diese stammen aus dem
Stromhandel der Schweiz und zu einem kleinen Teil aus dem FBMC-
Handel der benachbarten Regionen. Es ergibt sich ein Grosshandels-
preisniveau in der Schweiz von durchschnittlich 38,8 €/MWh. Dieses
liegt leicht über dem von Deutschland und Frankreich, aber deutlich
unter dem Preisniveau von Italien.

Wegen der hohen Handelskapazitäten hat dieses Szenario die höchs-
ten Redispatchkosten. Sie liegen bei mindestens 809 Millionen Euro
(für 48 TWh Redispatch) in den Regionen Schweiz, Deutschland,
Frankreich, Norditalien und Österreich.
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           Szenario S1 «Keine Kooperation» (Worst Case)

           Bestehende Kooperationen zwischen der Schweiz und der EU wer-
           den nicht weitergeführt und es werden keine neuen Kooperationen
           geschlossen. Die Nachbarländer der Schweiz können die 70%-Regel
           nur einhalten, wenn sie die Übertragungskapazität zur und von der
           Schweiz einschränken. Deshalb könnte die Schweiz in diesem Szena-
           rio nur noch maximal 2'670 MW Exportkapazität und maximal 2'750
           Importkapazität kommerziell nutzen. Es kann also mehr als dreimal
           weniger importiert und mehr als viermal weniger exportiert werden.
           Betroffen sind auch die Langfristverträge der Schweiz mit französi-
           schen Kraftwerken, die in diesem Szenario keine Garantie auf aus-
           reichend Übertragungskapazität haben. Nicht betrachtet werden in
           diesem Szenario technische Massnahmen, mit denen die Schweiz die
           ungeplanten Transitflüsse aus dem EU-Handel durch die Schweiz be-
           schränken könnte.

           In diesem Szenario steht in der definierten Stresssituation (KKW Bez-
           nau I+II und ein Drittel der französischen KKW nicht verfügbar) in der
           Schweiz zu wenig Energie zur Verfügung. Durch die tiefen Importka-
           pazitäten und die Energieknappheit im Winter sinken die Füllstände
           in den Speicherkraftwerken rasch ab. Kritisch wird die Situation Ende
           März. Während 47 Stunden könnte dann der inländische Strombe-
           darf nicht mehr gedeckt werden (Loss of Load Expectation LOLE), es
           fehlen 66 Gigawattstunden pro Jahr an Energie (Energy Not Served
           ENS). Unter ganz extremen Annahmen (zusätzliche Produktionsaus-
           fälle) könnte die Versorgung sogar bis zu 500 Stunden unterbrochen
           sein und mehr als 690 Gigawattstunden pro Jahr fehlen.

           Da der Handel der Schweiz deutlich eingeschränkt ist, reduzieren
           sich auch die Transitflüsse durch die Schweiz auf 21 TWh (gegenüber
           34 TWh im «Status Quo»). Die FBMC-Flüsse haben dabei mit 19 TWh
           den grössten Anteil.

           Wegen der hohen Handelseinschränkungen gibt es in diesem Szena-
           rio weniger Netzengpässe und tiefere Redispatchkosten. Diese liegen
           bei 282 Millionen Euro (für 32 TWh Redispatch). Die meisten Engpäs-
           se liegen ausserhalb der Schweiz, so dass die Kosten überwiegend
           den Nachbarländerrn zugeordnet werden können.
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           Da der Stromhandel der Schweiz mit den Nachbarländern ab 2025
           durch die 70%-Regel stark eingeschränkt ist, sinken die Einnahmen
           aus dem grenzüberschreitenden Handel (Engpassrenten). Das Gross-
           handelspreisniveau in der Schweiz liegt in diesem Szenario bei durch-
           schnittlich 41,3 €/MWh (Annahme: gute hydrologische Bedingungen
           für die Wasserkraftproduktion und bis 2025 Zubau von erneuerbaren
           Produktionsanlagen). Wie im «Status Quo» liegt das Preisniveau da-
           mit leicht über dem von Deutschland und Frankreich, aber deutlich
           unterhalb dem von Italien. Durch das niedrige Preisniveau entsteht
           für die Schweiz ein negativer Wohlfahrtseffekt von bis zu -150 Millio-
           nen Euro pro Jahr. In Jahren mit guten hydrologischen Bedingungen
           profitieren von den Wohlfahrtseffekten vor allem die Stromkonsu-
           menten. In trockenen Jahren könnten die Strompreise jedoch sehr
           stark steigen. Im Vergleich zu den Szenarien mit Stromzusammen-
           arbeit (S2, S3) sind die Wohlfahrtseffekte um 280 bis 300 Millionen
           Euro pro Jahr tiefer. Nicht eingerechnet sind darin die finanziellen
           Auswirkungen des fehlenden Zugangs zum Intraday-Markt, zum Re-
           gelenergiemarkt, der Ausschluss aus den Kapazitätsmärkten und die
           Nicht-Anerkennung der Schweizer Herkunftsnachweise.
Seite 12                                                       STROMVERSORGUNGSSICHERHEIT SCHWEIZ 2025

Szenario S2 «Technische Kooperation ITN/CORE»

Swissgrid schliesst Verträge ab mit den Übertragungsnetzbetreibern der
Kapazitätsberechnungsregion Italy North ITN (dazu gehören Slowenien,
Italien, Frankreich, Österreich) sowie mit den Übertragungsnetzbetrei-
bern der Kapazitätsberechnungsregion CORE (dazu gehören Belgien,
Deutschland, Frankreich, Kroatien, Niederlande, Österreich, Polen,
Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn). Dazu braucht
es jedoch die Zustimmung der nationalen Regulierungsbehörden der
betroffenen Länder. Die Verträge beschränken die FBMC Transitflüsse
durch die Schweiz und legen fest, wie die Übertragungskapazität an
den Grenzen der Schweiz zu Norditalien, Frankreich, Deutschland und
Österreich berechnet wird. Die Schweiz könnte im Szenario S2 maximal
8’690 MW Exportkapazität und maximal 9’310 Importkapazität kom-
merziell nutzen.

In diesem Szenario kann die definierte Stresssituation (KKW Beznau I+II
und ein Drittel der französischen KKW nicht verfügbar) sicher bewältigt
werden. In der Schweiz steht genügend Energie zur Verfügung (Gene-
ration Adequacy ist gewährleistet). Die Verträge mit ITN/CORE sichern
die Übertragungskapazitäten an den Schweizer Grenzen zu Norditali-
en, Deutschland, Frankreich und Österreich. Zudem begrenzen sie die
FBMC-Transite durch die Schweiz, was die Netzsicherheit weiter erhöht.

Im Szenario S2 werden zwei Varianten untersucht. In Variante a wird der
FBMC-Handel durch Redispatch-Massnahmen gestützt und dadurch we-
niger eingeschränkt. Die Transitflüsse durch die Schweiz liegen in Variante
a bei 32 TWh, wovon rund ein Viertel aus dem FBMC-Handel stammt. Die
Redispatchkosten liegen bei 635 Millionen Euro (für 56 TWh Redispatch).
Diese Kosten fallen überwiegend in Italien und Deutschland an.

In Variante b gibt es eine Kapazitätsreservierung der Grenzkapazitäten
zwischen der Schweiz und Italien (Net Transfer Capacity NTC) zu Lasten
des FBMC-Handels. Die Transitflüsse durch die Schweiz liegen in Va-
riante b bei 23 TWh, die Redispatchkosten bei 307 Millionen Euro (für
26 TWh Redispatch). Ein Teil dieser Kosten fällt in Regionen an, die keine
Grenzen zur Schweiz haben.

In Variante a liegt das Preisniveau in der Schweiz bei durchschnittlich
42,7 €/MWh, in Variante b bei 42,5 €/MWh. Die Wohlfahrtseffekte verbes-
sern sich im Vergleich zum «Status Quo» um -10 Millionen Euro (Variante
a) bis 136 Millionen Euro pro Jahr (b). Die Stromkonsumenten profitie-
ren von diesen Wohlfahrtseffekten ein wenig mehr als die Produzenten.
Gegenüber dem Szenario «Keine Kooperation» (S1) erhöht sich die Wohl-
fahrt um 140 (a) bis 286 Millionen Euro pro Jahr (b). Dies weil mehr Über-
tragungskapazitäten an den Schweizer Grenzen genutzt werden können
und es höhere Erlöse (Engpassrenten) aus dem Stromhandel gibt.
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           Szenario S3 «Stromabkommen»

           Das Abkommen stellt die Schweiz im EU-Strombinnenmarkt einem
           EU-Mitgliedstaat gleich. Damit sind alle EU-Regulierungsvorgaben
           einschliesslich der Vorgaben aus dem Clean Energy Package auch auf
           die Schweiz anwendbar. Die Schweiz nimmt am Flow Based Market
           Coupling (FBMC) teil. Über diesen Kapazitätsberechnungs- und Kapa-
           zitätsallokationsmechanismus wird der Stromhandel in der gesamten
           Region in Abhängigkeit von Preisdifferenzen und Übertragungskapa-
           zitäten so optimiert, dass die Wohlfahrt in der Region maximiert wird.

           Dieses Szenario zeigt die engste Kooperation zwischen der Schweiz
           und ihren Nachbarländern. Es bietet zusätzliche Versorgungssicher-
           heit und auch finanzielle Vorteile für die Schweiz. Die definierte
           Stresssituation (KKW Beznau I+II und ein Drittel der französischen
           KKW nicht verfügbar) kann hier am sichersten bewältigt werden,
           da die Generation Adequacy zusätzlich abgesichert wird. Denn in
           kritischen Versorgungssituationen können durch FBMC die Übertra-
           gungskapazitäten besser genutzt werden. Zudem gibt es klare Re-
           geln für den Fall, dass in mehreren Regionen Versorgungssicherheits-
           probleme auftreten.

           Das Stromabkommen verhindert unkoordinierte Transitflüsse durch
           die Schweiz aus dem Handel der anderen Regionen. Die FBMC-Flüs-
           se werden unter Berücksichtigung der Netzengpässe in der Schweiz
           optimiert und der tägliche Prozess der Kapazitätsberechnung verein-
           facht. Die Transitflüsse durch die Schweiz liegen bei 21 TWh. Für
           diese Transite erhält die Schweiz im vollen Umfang Engpassrenten.
           Die Redispatchkosten liegen bei 259 Millionen Euro (für 30 TWh Re-
           dispatch). Ein Teil dieser Kosten fällt in Regionen an, die keine Gren-
           zen zur Schweiz haben. Das Stromabkommen reduziert ausserdem
           die Schnittstellen und senkt so den Aufwand und die Risiken des
           Netzbetriebs zusätzlich.
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           Das Preisniveau in der Schweiz liegt in diesem Szenario bei durch-
           schnittlich 41,4 €/MWh. Die Wohlfahrtseffekte verbessern sich im
           Vergleich zum «Status Quo» um 150 Millionen Euro pro Jahr, wovon
           vor allem die Stromkonsumenten profitieren. Gegenüber dem Sze-
           nario ohne Kooperation (S1) liegt die Wohlfahrt um 300 Millionen
           Euro pro Jahr höher. Dies weil die FBMC-Transitflüsse, also die Nut-
           zung des Schweizer Stromnetzes durch den Handel anderer Länder,
           nun finanziell vergütet werden (Engpassrenten). Die implizite Kapazi-
           tätsvergabe im Day-Ahead und Intradaymarkt ermöglicht eine effi-
           zientere Nutzung der Übertragungskapazitäten, was die Wohlfahrt
           verbessert. Schweizer Energieunternehmen können gleichberechtigt
           am EU-Binnenmarkt teilnehmen einschliesslich der Teilmärkte wie
           dem Cross Border Intraday Markt (XBID) oder Regelenergieplattfor-
           men. Diese bieten Absatzmöglichkeiten für Leistung und Erzeugung
           aus den flexiblen Schweizer Kraftwerken. Positiv wirkt sich auch die
           ­W ieder-Anerkennung der Schweizer Herkunftsnachweise aus. Swiss-
            grid hat durch die gleichberechtigte Teilnahme der Schweiz am FBMC
            zudem bessere Möglichkeiten, die ungeplanten Transitflüsse durch
            die Schweiz zu begrenzen.
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FAZIT

`    Die Flow Based Market Coupling (FBMC) Transitflüsse aus dem
     Stromhandel der Nachbarländer der Schweiz sind heute mit der EU
     nicht vertraglich festgelegt. Diese Transitflüsse sind heute schon
     hoch. Sie belasten das Schweizer Übertragungsnetz und gefähr-
     den zeitweise dessen sicheren Betrieb. Dieses Problem wird sich
     2025 mit der vollständigen Umsetzung der 70%-Regel im FBMC
     deutlich verschärfen.

`    Ein Szenario ohne eine vertraglich abgesicherte technische Zusam-
     menarbeit (Szenario S1 «Keine Kooperation») ist für die Schweiz
     ungünstig: Die Versorgungssicherheit (Importeinschränkungen)
     und auch die Netzsicherheit (ungeplante Transitflüsse) wären ge-
     schwächt. In kritischen Situationen, beispielsweise einer Energie-
     knappheit im Winter, könnte die Schweiz zu wenig Strom impor-
     tieren. Zudem ergeben sich erhebliche negative Effekte auf die
     Wohlfahrt, von der sowohl Stromkonsumentinnen als auch Produ-
     zenten betroffen sind. Verglichen mit den Szenarien S2 und S3 fällt
     die Wohlfahrt ohne Kooperation um 280 bis 300 Mio. € pro Jahr
     niedriger aus.

`    Vermehrte Netz- und Versorgungssicherheitsprobleme in der
     Schweiz wirken sich auch auf andere Länder in Europa aus. Eine zu-
     mindest minimale vertraglich abgesicherte technische Zusammenar-
     beit dürfte daher auch im Interesse der EU liegen.

`    Die vertraglich abgesicherte technische Zusammenarbeit mit Italy
     North und CORE (Szenario S2 «Technische Kooperation ITN/CORE»)
     würde die Netz- und Versorgungssicherheit der Schweiz verbessern.
     In kritischen Situationen würden für Stromimporte ausreichend
     Übertragungskapazitäten an den Grenzen der Schweiz zu Deutsch-
     land, Frankreich, Österreich und Italien zur Verfügung stehen. Zu-
     dem würden die Wohlfahrtseffekte deutlich positiver ausfallen.
Seite 16                                                              STROMVERSORGUNGSSICHERHEIT SCHWEIZ 2025

              `    Ein Stromabkommen zwischen der Schweiz und der EU (Szenario
                   S3 «Stromabkommen») hätte mehrere Vorteile gegenüber den ver-
                   traglichen Lösungen zwischen Swissgrid und den Übertragungs-
                   netzbetreibern der benachbarten Kapazitätsberechnungsregionen.
                   Swissgrid und die Schweizer Energieunternehmen könnten gleich-
                   berechtigt an allen Entscheid-Gremien, netzsicherheitsrelevanten
                   Prozessen der EU und an allen Plattformen des EU-Strombinnen-
                   markts teilnehmen. Das würde die Netz- und Versorgungssicher-
                   heit der Schweiz und auch die positiven Wohlfahrtseffekte noch
                   weiter verbessern.

                                              S1                     S2 (Variante a/b)              S3
                                              Keine Kooperation      Technische Kooperation         Stromabkommen

              Wohlfahrtseffekte (volkswirt-    –150 Mio. €            –10 Mio. €      +136 Mio. €     +150 Mio. €
QUANTITATIV

              schaftlicher Mehrwert)

              Versorgungssicherheit im         im Extremfall nicht    gesichert                       gesichert
              Jahr 2025                        gesichert

              Operative                        im Extremfall          mit hohem Aufwand               gewährleistet
QUALITATIV

              Netzbetriebssicherheit           gefährdet              gewährleistet

              Marktzugang für Schweizer        Marktzugang stark      Marktzugang mit hohem           Marktzugang möglich
              Unternehmen zu den               eingeschränkt          Aufwand möglich
              benachbarten Strommärkten

              Abbildung 2: Vereinfachte Übersicht der Kooperationsszenarien

              Zum ausführlichen Bericht "Analyse Stromzusammenarbeit CH – EU":
              https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/68518.pdf
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