Südafrika Land der Gegensätze 1 - 2010 - Politik und Unterricht
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Zeitschrift für die Praxis der politischen Bildung HEFT 1 – 2010, 1. QUARTAL, 36. JAHRGANG Inhalt »Politik & Unterricht« wird von der Landeszentrale Editorial 1 für politische Bildung Baden-Württemberg (LpB) herausgegeben. Geleitwort des Ministeriums HERAUSGEBER für Kultus, Jugend und Sport 2 Lothar Frick, Direktor Autoren dieses Heftes 2 CHEFREDAKTEUR Dr. Reinhold Weber reinhold.weber@lpb.bwl.de Unterrichtsvorschläge 3–18 REDAKTIONSASSISTENZ Sylvia Rösch, sylvia.roesch@lpb.bwl.de Einleitung 3 Katharina Rapp, Stuttgart Baustein A: Südafrika – Land der Gegensätze 13 ANSCHRIFT DER REDAKTION Baustein B: Vom Apartheid-Regime zur Demokratie 14 Stafflenbergstraße 38, 70184 Stuttgart Telefon: 0711/164099-45; Fax: 0711/164099-77 Baustein C: Südafrika – die Regenbogennation 15 REDAKTION Baustein D: Die Fußball-WM in Südafrika – Simone Bub-Kalb, Studiendirektorin, Turnier der großen Erwartungen 17 Staatl. Seminar für Didaktik und Lehrerbildung Literaturhinweise 18 (Gymnasien), Stuttgart Judith Ernst-Schmidt, Oberstudienrätin, Werner-Siemens-Schule (Gewerbliche Schule für Elektrotechnik), Stuttgart Texte und Materialien 19–55 Dipl.-Päd. Holger Meeh, Akademischer Rat, Pädagogische Hochschule Heidelberg Baustein A: Südafrika – Land der Gegensätze 20 Wibke Renner-Kasper, Konrektorin der Grund-, Haupt- und Realschule Illingen Baustein B: Vom Apartheid-Regime zur Demokratie 24 Angelika Schober-Penz, Studienrätin, Baustein C: Südafrika – die Regenbogennation 36 Erich-Bracher-Schule (Kaufmännische Schule), Kornwestheim Baustein D: Die Fußball-WM in Südafrika – Turnier der großen Erwartungen 50 GESTALTUNG TITEL Bertron.Schwarz.Frey, Gruppe für Gestaltung, Ulm www.bertron-schwarz.de GESTALTUNG INNENTEIL Einleitung: Prof. Dr. Ingo Juchler und Holger Meeh Medienstudio Christoph Lang, Rottenburg a. N., www.8421medien.de Bausteine VERLAG A, B und C: Prof. Dr. Ingo Juchler Neckar-Verlag GmbH, Klosterring 1, Baustein D: Holger Meeh 78050 Villingen-Schwenningen Anzeigen: Neckar-Verlag GmbH, Uwe Stockburger Telefon: 07721/8987-71; Fax: -50 anzeigen@neckar-verlag.de Das komplette Heft finden Sie zum Downloaden als PDF-Datei unter Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 2 vom 1.5.2005. www.politikundunterricht.de/1_10/suedafrika.htm DRUCK PFITZER GmbH & Co. KG, Benzstraße 39, 71272 Renningen Politik & Unterricht erscheint vierteljährlich. Politik & Unterricht wird auf umweltfreundlichem Papier aus FSC-zertifizierten Frischfasern Preis dieser Nummer: 3,00 EUR und Recyclingfasern gedruckt. FSC (Forest Stewardship Council) ist ein weltweites Label Jahresbezugspreis: 12,00 EUR zur Ausweisung von Produkten, die aus nachhaltiger und verantwortungsvoller Waldbewirt- Unregelmäßige Sonderhefte werden zusätzlich schaftung stammen. mit je 3,00 EUR in Rechnung gestellt. Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers und der Redaktion wieder. Für unaufgefordert eingesendete Manuskripte übernimmt die Redaktion keine Haftung. Nachdruck oder Vervielfältigung auf elektronischen THEMA IM FOLGEHEFT Datenträgern sowie Einspeisung in Datennetze nur mit Genehmigung der Redaktion. Internet Titelfoto: picture-alliance/dpa/dpaweb Auflage dieses Heftes: 24.000 Exemplare Redaktionsschluss: 9. Februar 2010 ISSN 0344-3531
Editorial Es ist ein Ereignis von historischer Tragweite, wenn im Juni Probleme Südafrikas, aber auch die Erfolge der letzten fast 2010 die FIFA-Weltmeisterschaft in Südafrika eröffnet wird. zwanzig Jahre seit dem Ende der Apartheid? Zum ersten Mal in der Geschichte des Fußballs wird das Tur- nier auf afrikanischem Boden ausgetragen – genauer gesagt Wir haben in dem vorliegenden Themenheft von »Politik & in den Städten Südafrikas. Die Weltöffentlichkeit schaut Unterricht« ganz bewusst die fächerverbindenden Ansätze dann auf ein Land mit einer bewegenden Geschichte und mit herausgestellt. Mit dem Heft lassen sich zahlreiche Aspekte zwei Gesichtern: Einerseits ein reiches, mit Bodenschätzen Südafrikas bearbeiten: Historisches rund um die Themen gesegnetes Land, das über starke Industrien verfügt und das Kolonialismus und Apartheid, aktuell Politisches wie die allein ein Viertel der gesamten Wirtschaftsleistung Afrikas Frage nach der Rolle Südafrikas als »Wirtschaftslokomotive« erwirtschaftet. Andererseits ist Südafrika immer noch ein für den »vergessenen Kontinent« Afrika, aber auch Armut, Entwicklungsland, in dem große Teile der schwarzen Bevöl- Gewalt, Kriminalität und Aids. kerung in Armenvierteln rund um die Großstädte wohnen, mit schlechter Bildung, ohne Arbeit und ohne Perspektive. Mehr als ein Drittel der rund 48 Millionen Südafrikaner lebt nach Angaben der Vereinten Nationen in Armut. Daraus wird deutlich: Südafrika ist – und der Titel unseres Themenheftes unterstreicht es – ein Land der Gegensätze. Zahlreichen Lehrerinnen und Lehrern wird die FIFA-Welt- meisterschaft einen willkommenen Anlass bieten, um das Land am Kap der Guten Hoffnung im Unterricht zu thema- tisieren. Die anhaltende Attraktivität des Fußballs sowohl für Jungen als auch für Mädchen lässt sich so auch in den Unterricht transportieren. Was ist das für ein Land, das über Lothar Frick Dr. Reinhold Weber Wochen hinweg die Medien dominieren wird? Wo liegen die Direktor der LpB Chefredakteur Politik & Unterricht • 1-2010 1
Geleitwort des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Zerbricht der Regenbogen? Die Frage stellen sich viele Be- Südafrika hat unbestritten große Erfolge zu verzeichnen. obachter, die sorgenvoll nach Südafrika schauen, wo in den Aber auch die Probleme sind unübersehbar: Armut, Arbeits- Elendsvierteln der Städte Schwarze auf Schwarze losgehen. losigkeit, soziale Ungerechtigkeiten, Gewalt und Krimina- Bedeuten diese seit Mai 2008 immer wiederkehrenden Aus- lität, Korruption und Misswirtschaft. Bis heute fürchten brüche von Gewalt das Ende der Hoffnungen, mit denen manche, dass die FIFA-WM im Fiasko enden könnte, weil Nelson Mandela in den 1990er Jahren die Welt begeistert die Verantwortlichen nicht in der Lage sein könnten, die hat? Großveranstaltung friedlich über die Bühne zu bringen. Aber trotz der gewaltigen Probleme stimmen die Vergabe des Im Bildungsplan des Landes Baden-Württemberg für das Turniers nach Südafrika und die Entwicklung in dem Land Gymnasium heißt es, die Schülerinnen und Schüler können am Kap hoffnungsvoll. Egal wer Weltmeister wird: Südafrika »Räume unterschiedlichen Entwicklungsstandes im Globali- wird auf alle Fälle der Gewinner sein. sierungsprozess von Wirtschaft und Gesellschaft analysie- ren«. Südafrika ist dafür ein besonders spannendes und Gernot Tauchmann vielfältiges Beispiel. Und warum anlässlich der Fußball- Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika nicht die Begeisterung Baden-Württemberg für eine Sportart aufgreifen, die rund um den Globus Männer und Frauen, Jungen und Mädchen aller Hautfarben, Religi- onen und sozialen Gruppen begeistert? Es liegt geradezu auf der Hand, den afrikanischen Kontinent mit all seinen faszinierenden Aspekten, aber auch mit all seinen massiven Problemen dann in der Schule zu behandeln, wenn der Fokus der Welt auf ihn gerichtet ist. Wir danken der Landeszen- trale für politische Bildung Baden-Württemberg, dass sie im Rahmen der Zeitschrift »Politik & Unterricht« erneut ein anlassbezogenes Themenheft herausbringt, welches das Schulbuchangebot ergänzt und damit der Forderung nach Aktualität im Unterricht nachkommt. DIE AUTOREN DIESES HEFTES Prof. Dr. Ingo Juchler lehrt Politikwissenschaft und Didaktik der Politik an der Universität Göttingen. Seine Forschungs- schwerpunkte sind neben der Didaktik der politischen Bil- dung die Bereiche Internationale Beziehungen, Demokratie- theorie sowie Interkulturalität. Holger Meeh ist Akademischer Rat an der Fakultät für Natur- und Gesellschaftswissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Er ist seit 2006 Mitglied der Redak- tion von »Politik & Unterricht«. Seine Arbeitsschwerpunkte sind mediengestütztes Lehren und Lernen in der historisch- politischen Bildung, Mediendemokratie, Mediensozialisation sowie Globalisierung. 2 Politik & Unterricht • 1-2010
Südafrika – Land der Gegensätze ●●● EINLEITUNG war der Landweg nach Ostasien schwieriger geworden und die europäischen Gewürzhändler mussten Afrika umsegeln, um nach Indien und China zu gelangen. Der portugiesische Seefahrer Bartolomeu Diaz gilt heute als der erste Euro- päer, der das Kap der Guten Hoffnung im Jahre 1488 auf seinem Weg zum Indischen Ozean umschiffte und dabei an Land ging, um seine Vorräte aufzufrischen. In der Folge- »Manche Länder sind wie die ganze Welt. Sie faszinieren, zeit nutzten niederländische, spanische, portugiesische, weil sie so viele Völker und Kulturen in sich vereinen. Und britische und französische Seefahrer den leeren Landstrich sie schockieren, weil dort die größten Gegensätze aufein- um das Kap zur Auffüllung ihrer Proviantvorräte. Die erste anderprallen.« Mit diesen Worten umschreibt Arne Perras, europäische Siedlung auf südafrikanischem Boden errichte- Afrika-Korrespondent der »Süddeutschen Zeitung«, treffend ten die Niederländer im Jahre 1652 unter Führung von Jan die heutige politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche van Riebeeck, der für die »Niederländische Ostindien-Kom- Situation der Republik Südafrika. Die parlamentarische De- pagnie« eine Expedition nach Südafrika leitete. Die neu ge- mokratie am Kap der Guten Hoffnung hatte eine wechselvolle gründete Kap-Kolonie wurde vor allem von niederländischen Geschichte, die in vielerlei Hinsicht mit derjenigen anderer Bauern (niederländisch: Buren) sowie von Deutschen und Staaten in Schwarzafrika vergleichbar ist. Bezüglich der dort Franzosen besiedelt. praktizierten Politik der Apartheid weist Südafrika jedoch auch ein Alleinstellungsmerkmal auf: Die gesellschaftlichen Das Verhältnis der eingewanderten Europäer zu den ein- Folgen der Politik der Rassentrennung reichen bis in die heimischen Khoi (abwertend gemeinte niederländische Be- Gegenwart. zeichnung: »Hottentotten«) und den San (Jäger- und Samm- lerethnie) war zunächst friedlich. Dies änderte sich mit der verstärkten Einwanderung von Niederdeutschen, Niederlän- Von der Kolonialisierung … dern, französischen Hugenotten u. a., denn die sich stetig Südafrikas Kolonialgeschichte beginnt mit der Einnahme vergrößernde Kap-Kolonie benötigte für ihre Landwirtschaft Konstantinopels durch die Türken im Jahre 1453. Von da an und Viehzucht vermehrt Land – Land, das von der einheimi- Ein Schild benennt die Koordinaten des »Cape Point« am »Kap der Guten Hoff- nung«. Das Kap ist der südwestlichste Punkt Afrikas, rund 70 Kilometer von Kapstadt entfernt. Hier beginnt die afrikanische Küste ihren Schwenk nach Osten und zeigt die Passage in den In- dischen Ozean an. Im April 1488 wurde das Kap vom portugiesischen Flotten- kapitän Bartolomeu Diaz entdeckt, als er bereits die Südspitze Afrikas umrun- det hatte und sich auf dem Rückweg nach Norden befand. picture-alliance/dpa Politik & Unterricht • 1-2010 3
Einleitung schen schwarzen Bevölkerung nicht ohne Widerstand preis- allerdings Geschäftsleute und Landspekulanten. Sie wurden gegeben wurde. Nachdem sich die niederländischen Buren erst nachträglich aus politischen Gründen zu Repräsen- Ende des 18. Jahrhunderts immer weiter Richtung Norden tanten einer gottesfürchtigen und unabhängigen Bauern- in das Stammesgebiet der Xhosa verbreiteten, kam es zu gesellschaft auf dem Weg in das Gelobte Land stilisiert. Den den ersten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Buren gelang es in der Folgezeit, eigenständige Republiken weißen Siedlern und Xhosa-Angehörigen, den sogenannten wie den Oranje-Freistaat und Transvaal zu gründen. Die Sied- »Kafferkriegen« (»Kaffer«: rassistische Bezeichnung für die lerexpansion durch die Buren sowie die Eroberungen durch Xhosa und später für andere bantusprachige Völker). die britischen Truppen hatten somit bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts dazu geführt, dass weite Teile des heutigen Die politischen Spannungen verliefen jedoch nicht allein Südafrika durch weiße Europäer erobert und beansprucht längs der Linie von südafrikanischer Urbevölkerung und eu- wurden. ropäischen Einwanderern, sondern auch zwischen den Euro- päern selbst. Nachdem die britische Flotte die Franzosen und Ein gewichtiger Streitpunkt zwischen der britischen Kolonial- Spanier bei Trafalgar 1805 vernichtend geschlagen hatte, regierung und den niederländischen Buren betraf die Be- wurde Großbritannien zum unumstrittenen Herrscher über handlung der schwarzafrikanischen Bevölkerung. Die Briten die Weltmeere, was auch Auswirkungen für die Kap-Kolonie hatten bereits im Jahre 1807 auf Drängen der in England zeitigte. Im Jahre 1806 landeten dort britische Truppenver- bedeutsamen philanthropischen Bewegung, die sich für bände, welche den Niederländern weit überlegen waren, so die Gleichheit aller Menschen und die Unverletzlichkeit der dass bereits nach zwei Wochen der Kampf um die Kolonie Menschenwürde einsetzte, jeglichen Sklavenhandel auf bri- entschieden war: Südafrika wurde zur britischen Kronkolonie. tischen Schiffen untersagt. Der Abolitionismus führte dazu, Doch auch unter den neuen Kolonialherren verschärften sich dass 1834 die Sklaverei offiziell verboten wurde, wobei die die Konflikte mit den Xhosa um Wasser und Weidegebiete Sklaven noch vier Jahre an ihre ehemaligen Herrn gebunden stetig. In der Folge kam es zu zahlreichen grausam geführten blieben. Durch eine Reihe gesetzlicher Maßnahmen wurde Grenzkriegen zwischen britischen Truppen und Siedlern auf nach der Abschaffung der Sklaverei auch die rechtliche der einen und den Xhosa auf der anderen Seite. Gleichstellung von (ehemaligen) Sklaven, südafrikanischen Ureinwohnern und Mischlingen vorgenommen. Die Buren ih- Vor dem Hintergrund dieser Kriege verließen von 1835 an rerseits wehrten sich gegen die liberalen Gesetze der Briten Buren die Kap-Kolonie und machten sich im sogenannten in der Sklavenfrage und hinsichtlich der Behandlung der Großen Treck auf, neues Land zur Besiedlung zu suchen. Die Schwarzafrikaner, was zu immer neuen kriegerischen Aus- »Voortrekker« (niederländisch: Vorausziehende), wie sie sich einandersetzungen zwischen ihnen und britischen Truppen selbst nannten, bestanden aus Gruppen von Familiengröße führte. Der Konflikt eskalierte schließlich 1899, als zwischen bis hin zu mehreren Hundert Personen mit ihren Knechten beiden Seiten offiziell der sogenannte Burenkrieg ausbrach, und ihrem gesamten Hausrat auf Pferden und Ochsenwa- in dessen Folge die Buren bis 1902 endgültig geschlagen gen. Politisch verstanden sich die Voortrekker als autonome, worden waren und die britische Oberherrschaft in der ge- gegen die Staatsmacht rebellierende Bewegung mit dem Ziel samten Kap-Kolonie anerkennen mussten. wirtschaftlicher, politischer und kultureller Unabhängigkeit. Berühmte Führer des Trecks wie Andries Pretorius waren Das Voortrekker-Denkmal in Pretoria: Der massive Granitbau wurde zwischen 1937 und 1949 zu Ehren der Voortrek- ker errichtet, die zwischen 1835 und 1854 zu Tausenden die Kapkolonie verließen, um weitere Gebiete des heutigen Südafrikas zu besiedeln. Das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig soll dem Architekten als Vorlage gedient haben. picture-alliance/W. Fiedler/Helga Lade 4 Politik & Unterricht • 1-2010
Einleitung … zum Apartheid-Staat jegliche sexuelle Beziehung zwischen schwarzen und weißen Der britischen Regierung war auch vor dem Hintergrund der Menschen. Zwar wurde in der Südafrikanischen Union 1930 zunehmenden politischen Spannungen mit dem Deutschen das Wahlrecht für Frauen durchgesetzt, den Nichtweißen Reich daran gelegen, einen Zusammenschluss der britischen wurde jedoch 1936 das Wahlrecht und jede politische Parti- und der burischen Kolonien in Südafrika zu einem Staatsge- zipationsmöglichkeit genommen. Diese Politik der Rassen- bilde zu erreichen. Mit der Gründung der Südafrikanischen trennung legt eine Affinität der südafrikanischen Regierung Union im Jahre 1910 wurden diese Bemühungen mit Erfolg zum Regime des Nationalsozialismus in Deutschland nahe, gekrönt, allerdings mit einem hohen politischen Preis: Wäh- welche ihren Ausdruck im Bemühen der Vertretung der Buren rend die Briten prinzipiell bereit waren, der nichtweißen in der Regierung fand, nach der Kriegserklärung Großbritan- Bevölkerung das Stimmrecht zu geben, stieß dies bei den niens gegenüber Deutschland im September 1939 Neutralität Buren auf vehemente Ablehnung. Schließlich lenkte die zu bewahren. Aufgrund der ähnlichen rassenideologischen britische Regierung ein: Den südafrikanischen Nichtweißen Vorstellungen hatten sich die bilateralen Beziehungen der wurde das generelle Wahlrecht vorenthalten. Es galt ein Südafrikanischen Union zu Deutschland bereits verstärkt. Zensuswahlrecht, das die große Mehrheit der Schwarzen Viele Buren sympathisierten mit dem nationalsozialistischen aufgrund ihrer Mittellosigkeit oder Armut von den Wahlen Deutschland. Dem burischen Premierminister Barry Hertzog ausschloss. Diese Entscheidung führte zu Protestkund- gelang es jedoch nicht, die Neutralität des Landes durch- gebungen unter Farbigen und Schwarzen und zur Entstehung zusetzen. Unter seinem Nachfolger Jan Smuts erklärte die nichtweißer politischer Organisationen. Deren wichtigste Südafrikanische Union schließlich Deutschland den Krieg. sollte bald der 1912 gegründete »South African Native Na- tional Congress« werden, der sich ab 1923 »African Natio- Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges setzte sich die nal Congress« (ANC) nannte und heute die Regierung der »United Party« durch, welche eine strikte Politik der Rassen- südafrikanischen Republik stellt. Darüber hinaus bildete die trennung verfolgte. Unter der Regierung des 1948 gewählten Entscheidung von Buren und Briten, der nichtweißen Bevöl- Premierminister Daniel François Malan und seiner Nachfol- kerung das generelle Wahlrecht vorzuenthalten, bereits den ger wurden zahlreiche bereits bestehende diskriminierende Keim des Apartheid-Staates. Gesetze verschärft und weitere neu geschaffen. Die Südafri- kanische Union – seit 1960 Republik Südafrika – war das So wurde bereits im Jahre 1913 ein Gesetz erlassen, wonach einzige Land der Welt, das seinen Rassismus legislativ ver- den schwarzen Südafrikanern – dem weitaus größeren Be- ankerte. Diese rassistische Politik wurde fortan mit dem Ter- völkerungsanteil der Union – nur noch 7,3 Prozent der Ge- minus Apartheid bezeichnet. Der Begriff Apartheid stammt samtfläche des Landes zugeteilt wurde und diese fortan nur ursprünglich aus dem Niederländischen der burischen Ein- in diesen sogenannten Reservaten Land käuflich erwerben wanderer und meint eine strikte Form der Rassentrennung. konnten. Ein Jahr später wurde im »Mines and Work Act« die Im Kern stellte die Apartheid in Südafrika von 1948 bis 1990 Rassentrennung am Arbeitsplatz eingeführt. Die höherwer- einen politischen Unterdrückungsapparat dar, welcher dem tigen Tätigkeiten waren allein Weißen vorbehalten. Diese Ziel der wirtschaftlichen Ausbeutung und sozialen Deklassie- Politik der Rassendiskriminierung wurde auf legislativer rung aller Menschen nachkam, deren Hautfarbe eine andere Grundlage in den kommenden Jahren konsequent weiterge- Pigmentzusammensetzung aufwies als die der Weißen. führt. So untersagte etwa der »Immorality Act« von 1927 Südafrika 1989: Ein Schild kennzeich- net ein Gebiet in Carletonville, das nur für Weiße reserviert ist. Aufgrund des Widerstands der Schwarzen, des inter- nationalen Drucks, der ökonomischen Krise des Landes, des Wechsels der Regierungsführung von Pieter Willem Botha zu Frederik de Klerk sowie der Standhaftigkeit Nelson Mandelas bei den Verhandlungen mit de Klerk brach das System der Apartheid Anfang der 1990er Jahre Schritt für Schritt in sich zusammen. Bei einem Referendum im März 1992 sprachen sich 68,7 Prozent der Weißen für die Abschaffung der Rassentrennung aus. picture-alliance/dpa Politik & Unterricht • 1-2010 5
Einleitung Die konkrete Umsetzung der rassistischen Politik der Apart- Passgesetzen einem Homeland angehören – auch Personen, heid erfolgte zunächst durch die Klassifizierung der Bevöl- die sich aus Erwerbsgründen außerhalb dieser Territorien kerung mit dem »Population Registration Act« im Jahre aufhielten. Mit der formalen Unabhängigkeit verloren die 1950. Die Südafrikaner wurden willkürlich in Eingeborene Bewohner der Homelands die südafrikanische Staatsbürger- (»Native«, »Blacks«, »Bantu« oder »African«), Farbige (»Co- schaft und ihre – ohnehin schon stark eingeschränkten – loured«), Asiaten (»Inder«) und Weiße eingeteilt. Nach dem bürgerlichen Rechte. Zugleich benötigte die südafrikanische »Reservation of Separate Amenities Act« aus dem Jahre Wirtschaft allerdings die Schwarzen als billige Arbeitskräfte, 1953 wurden die Menschen sodann im täglichen Leben ge- weshalb diese in den Homelands keine funktionierende trennt – von gesonderten Parkbänken, Bussitzen und separa- Wirtschaft aufbauen sollten. Die Folge war, dass sich die ten Toiletten bis hin zu getrennten Bildungseinrichtungen. schwarze Bevölkerung vielfach als Wanderarbeiter verdingen Die Schaffung eines getrennten Bildungssystems für die musste. Schwarzen durch den »Bantu Education Act« war darauf ausgerichtet, den Schwarzen nur rudimentäre Kenntnisse zu vermitteln, um ihre soziale Mobilität zu beschränken und sie Widerstand gegen die Apartheid dauerhaft auf den Status ungelernter Arbeitskräfte festzule- Die rassistischen Maßnahmen des südafrikanischen Re- gen. Der Minister für Eingeborenenfragen und spätere Pre- gimes zur Segregation der schwarzen Bevölkerung trafen mierminister Hendrik Verwoerd erklärte unumwunden, der schnell auf deren Widerstand. Der ANC organisierte Ende der »Bantu Education Act« solle den schwarzen Südafrikanern 1940er und zu Beginn der 1950er Jahre erste große Protest- den Weg in das eigentliche Bildungssystem versperren. aktionen gegen den Aufbau des Apartheid-Staates. Durch Massenkampagnen, die nach dem Vorbild Mahatma Gandhis Schließlich wurde mit dem »Homeland Citizenship Act« im als gewaltlose Aktionen gegen die Passgesetze und andere Jahre 1970 ein Gesetz erlassen, welches der schwarzen Be- Maßnahmen der Rassentrennung durchführt wurden, konnte völkerung bestimmte Siedlungsgebiete zuwies. Mit dieser der ANC neue Mitglieder hinzugewinnen. So gelang es der rassistischen Politik der Segregation der Schwarzen in Auto- Organisation, ihre schmale, bislang auf die schwarze Elite nomiegebiete, sogenannte Homelands (früher Reservate), beschränkte Basis zu durchbrechen und dauerhaft Verbin- wollte das südafrikanische Regime einen weißen National- dungen zur städtischen Arbeiterschaft sowie zur ländlichen staat Südafrika schaffen, in dem nur noch Weiße, Coloureds Bevölkerung aufzubauen. Innerhalb eines kurzen Zeitraums und Inder leben sollten. Vier der zehn Homelands wurden in wuchs die Mitgliederzahl des ANC von weniger als Tausend die nur von Südafrika anerkannte Unabhängigkeit entlassen: auf über 100.000 an. Einer der prominentesten schwarzen Transkei (1976), Bophuthatswana (1977), Venda (1979) und Politiker der 1950er Jahre war der überzeugte Pazifist und Ciskei (1981). Bei den Homelands, die aus nicht zusammen- christliche Laienprediger Albert Luthuli, der von 1952 bis hängenden Landstücken bestanden, handelte es sich aber zu seinem Tode 1967 als Präsident dem ANC vorstand. Für tatsächlich um politisch und ökonomisch lebensunfähige sein gewaltfreies Engagement gegen die Maßnahmen des Kleinstaaten, die in vollständiger Abhängigkeit von Süd- südafrikanischen Apartheid-Staates wurde Luthuli 1960 mit afrika gehalten wurden. Die gesamte schwarze Bevölkerung, dem Friedensnobelpreis geehrt. einschließlich der Schwarzen in den städtischen Ghettos der Townships, musste entsprechend den südafrikanischen Schwarze grüßen aus einem Zugabteil erster Klasse mit dem »Daumen hoch«- Zeichen der passiven Widerstands- bewegung gegen die Rassentrennung. Die Schwarzen, die auf ihrer Fahrt nach Kapstadt die nur für Weiße bestimmten Abteile erster Klasse der Bahn be- nutzten, wurden bei ihrer Ankunft ver- haftet. Bei dem Boykottfeldzug gegen die Rassentrennungsgesetze wurden im August 1952 innerhalb weniger Tage fast 3.000 Schwarze verhaftet. picture-alliance/dpa 6 Politik & Unterricht • 1-2010
Einleitung Zusammen mit einer Reihe anderer Organisationen legte der Während Nelson Mandela nach seiner Verhaftung zur Sym- ANC im Jahre 1955 die »Freedom Charter« (Freiheits-Charta) bolfigur des schwarzen Widerstands gegen die Segregation vor. Sie war in der Slumsiedlung Kliptown bei Johannesburg im Bereich der Zivilgesellschaften weltweit avancierte, war vom sogenannten Volkskongress beschlossen worden. Etwa Südafrika außenpolitisch bis in die 1960er Jahre hinein 3.000 Gegner der Apartheid hatten sich dort versammelt, trotz seiner rassistischen Politik der Apartheid keineswegs um mit ihrem zehn Punkte umfassenden Programm eine isoliert. Dies ist zum einen dem Umstand geschuldet, dass Gegenstrategie zur weltweit radikalsten Variante der Rassen- (ehemalige) Kolonialmächte wie Großbritannien, Frankreich trennungspolitik vorzulegen. Dieses Grundsatzprogramm bot und Portugal über Jahrhunderte hinweg gleichfalls eine ras- eine Alternative zum Apartheid-Staat: eine Demokratie mit sistische Politik in ihren Kolonien verfolgten, wenngleich individuellen Menschenrechten anstelle einer rassistischen diese weniger explizit legislativ festgelegt war. Darüber Privilegiengesellschaft. Das südafrikanische Regime ver- hinaus verfügte die Republik Südafrika aufgrund ihres Reich- stärkte daraufhin die Repressionsmaßnahmen gegen die tums an Edelmetallen über eine starke Machtposition: Gold, Anti-Apartheid-Bewegung. Es kam zu einer zunehmenden Platin, Diamanten und das im Kalten Krieg immer wichtiger Kriminalisierung der Opposition und schließlich im Jahre werdende Uran stärkten Südafrikas Stellung auf den Welt- 1960 zum Verbot des ANC sowie des »Pan African Congress« märkten. (PAC), welcher sich vom ANC abgespalten hatte und radika- lere Positionen vertrat. Zugleich wuchs der Widerstand unter der schwarzen Bevöl- kerung stetig an, was zu immer repressiveren Maßnahmen In der Folgezeit sollte Nelson Mandela national wie inter- des Apartheid-Regimes führte. Einen wesentlichen Anteil zur national zu einer Integrationsfigur des Widerstands gegen Verstetigung der Oppositionsbewegung hatte die von dem das Apartheid-Regime werden. Mandela stammt aus dem Studentenführer Steve Biko gegründete »Black Conscious- Volk der Xhosa in der Transkei und war als 22-Jähriger im ness Movement« (BCM), welche ihrerseits politisch von der Jahre 1940 nach Johannesburg gekommen, dem industriel- »Black-Power-Bewegung« in den Vereinigten Staaten von len Zentrum Südafrikas. Vier Jahre später trat er dem ANC bei Amerika geprägt war. Das erklärte Ziel der BCM war es, die und war nach dessen Verbot maßgeblich an der Formierung schwarze Bevölkerung von Minderwertigkeitskomplexen und der geheimen militanten Organisation »Umkonto we Sizwe« verinnerlichten Abhängigkeiten zu befreien. Die schwarzen (»Speer der Nation«) aus den eigenen Reihen beteiligt. Die Südafrikaner sollten wieder ein adäquates Selbstwertgefühl Militärorganisation war vor allem auf Sabotageunternehmen und Stolz auf ihre Kultur und ihre Hautfarbe entwickeln. Die ausgerichtet, Mandela wurde zu deren Befehlshaber. Zwei BCM war vor allem in den Townships der südafrikanischen Jahre später wurde er wegen seiner Beteiligung an verschie- Großstädte erfolgreich, wo die wirtschaftliche Not und die denen Protestaktionen gegen die Apartheid verhaftet und schlechten Lebensperspektiven der schwarzen Jugendlichen zunächst zu fünf Jahren Haft verurteilt. Im Oktober 1963 besonders gravierend waren. Diese explosive Stimmungslage wurde er weiterhin des Hochverrats, der Sabotage und wegen führte zusammen mit der Forderung der südafrikanischen Re- Verschwörung angeklagt und ein Jahr später zu lebensläng- gierung nach der obligatorischen Einführung von Afrikaans licher Haft verurteilt. Diese Haft verbrachte Mandela auf der als Unterrichtssprache am 16. Juni 1976 in Soweto, dem Gefängnisinsel Robben Island unweit von Kapstadt, von wo größten Township der Metropole Johannesburg, zu massiven aus er den Kampf gegen das Apartheid-Regime fortsetzte. Schülerprotesten. Die Jugendlichen sahen sich durch die Der wohl berühmteste politische Häftling der Welt, Nelson Mandela, und seine Ehefrau Winnie grüßen mit erhobener Faust am 11. Februar 1990 nach seiner Freilassung in Paarl die jubelnde Menschenmenge am Weges- rand. Nach 27 Jahren Haft, davon fast 18 Jahre im Gefängnis auf Robben Island, wurde der Führer des African National Congress (ANC) freigelassen. Gut vier Jahre später, am 10. Mai 1994, wurde der charismatische Politiker als erster Schwarzer zum neuen Staats- präsidenten des ehemaligen Apartheid- Staates Südafrika vereidigt. picture-alliance/dpa Politik & Unterricht • 1-2010 7
Einleitung Einführung von Afrikaans ein weiteres Mal benachteiligt, da Apartheid-Gegner war von 1986 an der Ausnahmezustand nur die wenigsten von ihnen dieser Sprache mächtig waren erklärt worden. und ihre Chancen auf einen erfolgreichen Schulabschluss mithin erheblich gemindert würden. Die südafrikanische Polizei reagierte mit äußerster Brutalität auf die Schüler- Regimewechsel am Kap demonstrationen, schoss auf die wehrlosen Jugendlichen Die zunehmende Politisierung der schwarzen Bevölkerung, und tötete innerhalb weniger Tage Hunderte von ihnen. Konsumentenboykotte hinsichtlich südafrikanischer Pro- Wie viele Menschen in dieser Zeit tatsächlich ums Leben dukte sowie internationale Sanktionen von Staaten bewirk- kommen, wurde nie geklärt. ten jedoch gegen Ende der 1980er Jahre ein Umdenken bei der regierenden »National Party« – ein Umdenken, das auch Soweto geriet in der Folgezeit zum Symbol des schwar- durch den allmählichen Niedergang der südafrikanischen zen Widerstands und der Brutalität des südafrikanischen Wirtschaft und durch die weltpolitischen Umbrüche nach Regimes. Viele Jugendliche flüchteten nach der Nieder- dem Ende des Ost-West-Konflikts gestärkt wurde. schlagung des Aufstandes ins Ausland, wo sie sich dem ANC anschlossen. Die ehemaligen Schülerinnen und Schüler Vor diesem Hintergrund leitete Frederik Willem de Klerk, wurden nun zum Teil willige Rekruten des ANC für einen der 1989 zum Präsidenten gewählt worden war, die ent- bewaffneten Kampf gegen das Apartheid-Regime, der zu scheidende politische Wende in Südafrika ein. Unter seiner Beginn der 1980er Jahre einsetzte und sich im Wesentlichen Leitung wurden die Apartheid-Gesetze Schritt für Schritt auf symbolische Aktionen beschränkte. Zum Widerstand des außer Kraft gesetzt, bis schließlich auch die maßgebliche ANC trat Ende der 1970er Jahre und zu Beginn der 1980er gesetzliche Grundlage für die Segregation, der »Population Jahre die erstarkende Gewerkschaftsbewegung hinzu, die Registration Act«, auf dessen Grundlage die Bevölkerung einen stetig größer werdenden politischen Einfluss geltend Südafrikas nach rassistischen Kriterien klassifiziert worden machen konnte. war, abgeschafft wurde. Auf diese Weise konnten im April 1994 erstmals allgemeine freie Wahlen in Südafrika statt- Von 1978 an regierte Pieter Willem Botha das Land, zunächst finden, aus welchen der ANC mit einem Anteil von 62,2 Pro- als Premierminister und nach der Verabschiedung der neuen zent der Stimmen als eindeutiger Sieger hervorging. Einen Verfassung 1984 als Staatspräsident, wodurch er mit weitrei- Monat später wurde Nelson Mandela zum Staatspräsidenten chenden Vollmachten ausgestattet wurde. Zwar waren unter gewählt. Das Land wurde nun von einer Regierung der Na- Botha behutsame Reformen in Gang gesetzt worden wie tionalen Einheit des ANC, der »National Party« und der etwa die Aufhebung des Mischehenverbots sowie der Passge- »Inkatha Freedom Party« regiert. Frederik Willem de Klerk setze. An die Abschaffung der Apartheid war jedoch nicht zu und Nelson Mandela erhielten für den friedlichen Regime- denken. Vielmehr wurden die Repressionsmaßnahmen gegen wechsel vom Apartheid-Staat zur Demokratie im Jahre 1993 die schwarze Oppositionsbewegung weiter verstärkt, indem den Friedensnobelpreis. etwa die südafrikanische Armee neben der Polizei zusehends zum zentralen Ordnungsfaktor im Apartheid-Staat geriet. Für das weitere friedliche politische Miteinander in Südafrika Gegen die permanenten Unruhen in den Siedlungen der war nicht zuletzt neben der umsichtigen Präsidentschaft Schwarzen und zur Durchsetzung der Maßnahmen gegen die Nelson Mandelas die Einrichtung der »Truth and Reconcili- Der südafrikanische Präsident Frederik de Klerk und der ANC-Führer Nelson Mandela werden am 10. Dezember 1993 in Oslo mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. picture-alliance/dpa 8 Politik & Unterricht • 1-2010
Einleitung ation Commission« (TRC; Wahrheits- und Versöhnungskom- erfolgte Wahl von Jacob Zuma zum neuen südafrikanischen mission) entscheidend. Sie wurde 1995 durch ein Gesetz Präsidenten dar. Zuma wurde im Wahlkampf vor allem von zur Förderung der nationalen Einheit und Versöhnung unter den südafrikanischen Gewerkschaften, dem linken Flügel des Vorsitz von Erzbischof Desmond Tutu im Hinblick auf die ANC sowie von Kommunisten unterstützt. Millionen von Ar- Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen in der Apart- beitslosen erhoffen von Zuma nun eine wirtschaftspolitische heid-Zeit bis 1994 eingerichtet. Fünf Jahre später konnte Wende. Sie erwarten auch von ihm, dass die grundsätzliche auf der Grundlage der Anhörung von etwa 21.000 Opfern der Kluft zwischen Arm und Reich geringer wird. Apartheid ein 3.500 Seiten umfassender vorläufiger Bericht vorgelegt werden. Der offizielle Abschlussbericht wurde im Jahre 2003 an Mandelas Nachfolger Thabo Mbeki überge- Wirtschaftliche Entwicklung und Weltwirtschaftskrise ben. Die diesbezüglichen Anhörungen, welche unter großer Jacob Zuma trat sein Amt im Zeichen der größten globa- Anteilnahme der Öffentlichkeit stattfanden, haben einen len Finanz- und Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren wesentlichen Beitrag zur »Vergangenheitsbewältigung« ge- an. Inzwischen hat der Einbruch der Weltwirtschaft auch leistet. Darüber hinaus sind die Empfehlungen der TRC an den afrikanischen Kontinent erfasst. Die OECD rechnet laut Regierung und Parlament weiterhin für den Umgang mit der einer jüngsten Studie mit einem »brutalen Absacken« der jüngeren Vergangenheit Südafrikas von großer Bedeutung. Konjunktur in den afrikanischen Staaten – nach fünf Jahren kräftigen Wachstums. Damit trifft die Krise ausgerechnet Nach der fünfjährigen Präsidentschaft von Nelson Mandela diejenigen am härtesten, die an ihrem Ausbruch am we- wurde im Jahre 1999 Thabo Mbeki zum Präsidenten gewählt, nigsten Schuld tragen: die Entwicklungs- und Schwellenlän- der dem Land neue Impulse im Bereich der Außen- und Wirt- der, von denen die meisten auf dem schwarzen Kontinent schaftspolitik verlieh. So war Südafrika fortan maßgeblich zu finden sind. Südafrika nimmt hierbei als Schwellenland an der Umwandlung der »Organisation für afrikanische Ein- und große Regionalmacht eine besondere Stellung ein. Die heit« in die neue Institution »Afrikanische Union« beteiligt, Republik erzeugt rund ein Viertel der gesamten wirtschaft- welche sich ihrerseits in ihrem institutionellen Gefüge stark lichen Leistung des afrikanischen Kontinents und gilt des- an der Europäischen Union (EU) orientiert. Wirtschaftspo- halb als dessen »Wirtschaftslokomotive«. Das Land verfügt litisch verzeichnete die Präsidentschaft Mbekis insbeson- über reiche natürliche Ressourcen, seine Vorkommen an dere Erfolge im Baugewerbe. Allerdings schaffte es Mbeki in Edelmetallen wie Gold und Platin sowie an Diamanten und seiner zehnjährigen Amtszeit nicht, umfassende Verbesse- Kohle zählen zu den größten der Welt. Anders als in den rungen auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen. Die immens hohe meisten anderen afrikanischen Ländern ist die verarbeitende Arbeitslosigkeit vor allem unter der schwarzen Bevölkerung Industrie in Südafrika ein starker Wirtschaftsfaktor. Der bildet denn auch eine der schwersten Bürden für seinen Goldhandel und der stark anwachsende Tourismus sind die Nachfolger. Die größten Arbeitgeber Südafrikas sind heute wichtigsten Devisenbringer des Landes. Von Südafrikas Ent- der Handel, die verarbeitende Industrie, Sozialdienstleis- wicklung wird auch die Entwicklung seiner Nachbarstaaten tungen und die Finanzbranche. in großem Maße betroffen sein. Ein Unsicherheitsfaktor für die weitere politische und wirt- Doch auch das Schwellenland Südafrika ringt heute mit den schaftliche Entwicklung des Landes stellt die im Mai 2009 Folgen der globalen Rezession. Die Auswirkungen der Krise Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Präsident von Südafrika, Jacob Zuma, kommen im Juli 2009 im italienischen L'Aquila zu einem bilateralen Gespräch zusammen. In L'Aquila fand der G8- Gipfel des Jahres 2009 statt, bei dem die Teilnehmer über die Krise der Welt- wirtschaft, den Klimawandel, die Ent- wicklungshilfe sowie außenpolitische Konflikte beraten haben. picture-alliance/dpa Politik & Unterricht • 1-2010 9
Einleitung erfassen wesentliche Wirtschaftssektoren des Landes. So ist 2010 einen stimulierenden Effekt auf die Wirtschaft in Süd- aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise die Nachfrage nach afrika haben. Der Staat fördert deshalb Infrastrukturprojekte Rohstoffen eingebrochen. In Südafrika werden vornehmlich wie Straßenbau und Investitionen im Bereich der Strom- Platin, Diamanten und Gold gefördert, wobei der Export erzeugung. Diese Maßnahmen sollen somit nicht allein der von Platin von besonderer Bedeutung ist. Entsprechend der Durchführung der FIFA-Weltmeisterschaft dienen. Sie sollen weltweit gesunkenen Nachfrage nach Rohstoffen respektive einen nachhaltigen positiven Effekt auf die wirtschaftliche nach hochwertigem Schmuck setzte für diesen wirtschaft- Entwicklung des Landes haben. lichen Sektor ein Preisverfall ein, der wiederum den Abbau der Stellen zur Folge hatte. Darüber hinaus ist die Automo- Erschwerend wirkt sich in diesem Zusammenhang jedoch die bilbranche von der weltweiten Wirtschaftskrise in beson- derzeit schwache südafrikanische Währung aus. Der Rand derem Maße betroffen, was gleichfalls Rückwirkungen auf hat gegenüber dem Dollar und dem Euro im Jahre 2008 rund diesen wirtschaftlichen Bereich Südafrikas zeitigte. Neben 30 Prozent seines Wertes eingebüßt. Damit verteuert der dem Bergbau- und Minensektor bildet deshalb die Automobil- schwache Rand die Importe, die auch für den Bau der Infra- industrie einen wesentlichen Faktor für den Anstieg der strukturmaßnahmen im Kontext der FIFA-WM notwendig Arbeitslosigkeit am Kap. Bereits vor der globalen Krise lag sind. Die ursprünglich veranschlagten Baukosten haben sich die Arbeitslosenrate in Südafrika bei offiziell 25 Prozent, deshalb inzwischen schon vervierfacht. unter Einbezug der nicht aktiv Arbeitssuchenden jedoch bei 40 Prozent. Auch vor diesem Hintergrund ist Südafrika nach wie vor eines der Länder der Welt mit der größten sozialen Entwicklungshemmnisse: Korruption … Ungleichheit. Der Gini-Koeffizient als Maßstab ungleicher Es bleibt abzuwarten, ob der neue Präsident Jacob Zuma Einkommens- und Vermögensverteilungen auf einer Skala die in ihn gesetzten politischen und wirtschaftlichen Hoff- zwischen 0 (Einkommen und Vermögen eines Staates sind nungen wird erfüllen können. Die bisherige Biographie des auf alle Bewohner gleichmäßig verteilt) und 1 (das gesamte 67-Jährigen gibt angesichts der zahlreichen Korruptions- Vermögen eines Staates gehört einem einzigen Bewohner) vorwürfe wenig Anlass dazu. Zuma stand 2005 wegen der liegt in Südafrika bei 0,68, einem der weltweit schlechtesten Vorwürfe der Geldwäsche, der Steuerhinterziehung, des Be- Werte. Nach Einschätzung des »United Nations Development trugs und der Korruption vor Gericht, wurde allerdings ein Programme« leben 34,1 Prozent der 48 Millionen Südafrika- Jahr später aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Die nerinnen und Südafrikaner in Armut. Korruption stellt eines der fundamentalen Hindernisse für eine nachhaltige politische und wirtschaftliche Entwick- lung nicht nur im Schwellenland Südafrika, sondern in allen Wirtschaftspolitische Ziele Staaten auf dem Kontinent dar. Wer in Südafrika ein vom Vor diesem Hintergrund gab der vormalige Finanzminister Staat finanziertes Haus erwerben möchte, kommt an Mitar- und jetzige Chef des wirtschaftlichen Planungsstabes, Trevor beitern des ANC so wenig vorbei wie jemand, der von der Manuel, in seiner letzten Haushaltsrede vor dem Parlament Landreform profitieren möchte. Moeletsi Mbeki, Soziologe im Februar 2009 fünf vorrangige wirtschaftspolitische Ziele und Geschäftsmann sowie der Bruder des vormaligen Präsi- aus: denten Thabo Mbeki, kommt in seinem neuesten Buch »Ar- ◗ Abbau der Armut chitects of Poverty« zu dem Schluss, dass die afrikanischen ◗ stabiles Beschäftigungswachstum und mehr Ausbildungs- Eliten ihre Staaten als Goldesel betrachten, den Lebensstil möglichkeiten der ehemaligen Kolonialherren nachäffen und keinerlei Ver- ◗ Stärkung der Wirtschaftskraft des Landes und Förderung antwortungsgefühl für ihre Länder und deren nachhaltige von Investitionen Entwicklung verspüren. Moeletsi Mbeki warnt deshalb vor ◗ Abbau von Hindernissen für mehr Chancengleichheit den »parasitären politischen Eliten«, welche die Demokratie ◗ überschaubare Verschuldung, die Raum für die künftige Südafrikas unterminieren. Entwicklung lässt. In das Geflecht von Schmiergeldern und Korruption ist auch Angesichts dieser Ziele hat die südafrikanische Regierung das »Black Economic Empowerment«-Programm verstrickt, die Erhöhung der Sozialausgaben angekündigt. Damit will das ursprünglich als Instrument zur Förderung von Unter- sie die Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise bekämp- nehmensgründungen durch schwarze Geschäftsleute ins fen. Die Sozialleistungen sollen verbessert werden, indem Leben gerufen worden war. Damit sollte die während der Ära das Kindergeld länger ausbezahlt und das Rentenalter bei der Apartheid Jahrzehnte lang praktizierte Ausschließung Männern auf 60 Jahre gesenkt wird. Auf diese Weise soll schwarzer Unternehmer aus dem Geschäftsleben wieder- verhindert werden, dass die Ärmsten am stärksten unter den gutgemacht werden. Das Programm fördert ausschließlich Folgen der globalen wirtschaftlichen Krise leiden. Auch im schwarze Unternehmer und ist wegen zahlreicher Fälle des Bereich der Bildung will die südafrikanische Regierung neue Missmanagements und der Korruption inzwischen sehr in die Anstrengungen unternehmen und die Ausgaben steigern. Kritik geraten. Die Bekämpfung der Korruption wäre deshalb als vorrangige Maßnahme für die nachhaltige Entwicklung Darüber hinaus plant die südafrikanische Regierung eine des Landes erforderlich. Erhöhung der staatlichen Investitionsausgaben. In diesem Zusammenhang soll die geplante Fußballweltmeisterschaft 10 Politik & Unterricht • 1-2010
Einleitung … Kriminalität … steht symbolisch ausgerechnet Präsident Jacob Zuma. Er Die nach wie vor mangelhaften wirtschaftlichen und so- war im Jahre 2005 in einem aufsehenerregenden Verge- zialen Bedingungen großer Teile der schwarzen Bevölke- waltigungsprozess vor Gericht gestanden, der im Mai 2006 rung sowie die Auswirkungen der Korruption gelten neben mit Freispruch endete. Der Richter befand die 31-jährige fremdenfeindlichen Ressentiments sowie dem Wettstreit um Klägerin als nicht glaubwürdig. Zuma hatte den Geschlechts- Arbeitsplätze, Wohnraum und Sozialleistungen als Ursachen verkehr eingeräumt, aber erklärt, die HIV-positive Frau sei für die ausländerfeindlichen Übergriffe, die im Mai 2008 damit einverstanden gewesen. Der Politiker rief insbeson- insbesondere in den Elendsvierteln der Metropolen Johan- dere auch bei Aids-Aktivisten Empörung mit der Aussage nesburg und Kapstadt über sechzig Menschen das Leben hervor, er habe kein Kondom benutzt, aber anschließend kosteten. Dieses aufgrund der wirtschaftlich-sozialen Misere geduscht, um das Risiko einer Infektion zu verhindern. Süd- in den Townships stets präsente Gewaltpotenzial führte im afrika ist eines der Länder, die am stärksten von der HIV/ Sommer 2009 abermals zu gewalttätigen Massenprotesten Aids-Epidemie betroffen sind. HIV/Aids ist heute ein allge- gegen Mängel im öffentlichen Dienst, wobei es erneut zu genwärtiges Problem am Kap – kaum jemand ist nicht auf Ausschreitungen gegen Zuwanderer aus anderen Teilen des die eine oder andere Art davon berührt. Dennoch sterben die afrikanischen Kontinents kam. So hatte die Polizei allein im meisten Menschen im Verborgenen. Oft werden Tuberkulose, Armenviertel der Stadt Balfour in der Provinz Mpumalanga Lungenentzündung oder andere mit HIV/Aids verbundene mehr als einhundert bedrohte Somali, Äthiopier, aber auch Krankheiten als offizielle Todesursache genannt. Das Stigma Chinesen und Pakistani vor wütenden Angreifern in Sicher- der Krankheit lässt es nicht zu, dass Betroffene ihren Status heit bringen müssen. Darüber hinaus waren in den Town- der Öffentlichkeit preisgeben. Auch im Hinblick auf dieses ships Straßenbarrikaden errichtet sowie passierende Autos größte gesundheitliche Problem der Republik Südafrika gibt mit Steinen beworfen und Läden von Ausländern, aber auch die Präsidentschaft von Jacob Zuma wenig Anlass auf eine Fahrzeuge und öffentliche Gebäude zerstört worden. Wende hin zum Besseren. Doch vielleicht vermag die Fuß- ballweltmeisterschaft im Sommer 2010 dem Land am Kap der Zwar verurteilte Präsident Zuma die Übergriffe gegen Aus- Guten Hoffnung wesentliche Impulse zur wirtschaftlichen länder, doch stellt die Sicherheitslage in Südafrika ein pre- und politischen Erneuerung zu geben. Einstweilen bleibt käres Politikum dar. Südafrika hat eine der höchsten Krimi- Südafrika das Land der Gegensätze und sozial tief gespalten – nalitätsraten der Welt. Die Delikte reichen von Einbrüchen, nach dem Ende der Rassentrennung und des Apartheid- Raubüberfallen bis hin zum Mord. Besonders ausgeprägt ist Staates bleibt der alte und neue Gegensatz zwischen Arm die Gewalt gegenüber Frauen: Nach einem Bericht des süd- und Reich. afrikanischen »Medical Research Council« gab jeder vierte befragte Mann an, er habe schon einmal oder mehrere Male eine Frau oder ein Mädchen vergewaltigt. Fußballweltmeisterschaft 2010 »Jetzt kann ich beruhigt sterben«, sagte der damals 85-jäh- rige Ex-Präsident Nelson Mandela, als Südafrika im Jahr 2004 … HIV/Aids-Epidemie bereits im ersten Wahlgang von der FIFA den Zuschlag für die Die sexuelle Gewalt gegenüber Frauen ist weiterhin mit der Austragung der FIFA-Weltmeisterschaft 2010 erhielt. So wird HIV/Aids-Epidemie verbunden. Für diese fatale Verbindung nun also in Südafrika die erste Fußball-Weltmeisterschaft Die Krankheit Aids hat allein in Süd- afrika schon mehr als elf Millionen Kinder zu Waisen gemacht. Die Hälfte von ihnen ist zwischen zehn und 14 Jahre alt. Die steigende Zahl afrika- nischer Kinder, die aufgrund von Aids bereits zu Waisen geworden sind, ist nur der Beginn einer Krise von gewal- tigem Ausmaß. Das Schlimmste wird noch kommen, warnt ein Bericht der UNICEF (»Afrikas verwaiste Genera- tion«). Das Foto zeigt ein Waisenkind in Kapstadt, das von einer Helferin einer internationalen Hilfsorganisation betreut wird. picture-alliance/dpa Politik & Unterricht • 1-2010 11
Einleitung auf dem afrikanischen Kontinent stattfinden. Dieses globale Dynamik, die sich vom Apartheid-Regime nicht mehr kon- Großereignis ist für das Land von hoher wirtschaftlicher, trollieren ließ. Fußballplätze wurden so neben Sportstätten gesellschaftlicher und nicht zuletzt symbolischer Bedeu- zu wichtigen Versammlungsorten, an denen nicht nur über tung. So soll die Fußballweltmeisterschaft nichts weniger Sport diskutiert wurde. Bis zum Ende der Apartheid blieb als auf den ganzen »vergessenen« afrikanischen Kontinent der Fußball einer jener Bereiche, in dem die Kontrolle des ausstrahlen und den Weg in eine bessere Zukunft weisen. Staates nicht vollständig war. Der Fußball war aber auch In Südafrika sorgte der Zuschlag für Jubelfeiern. Tausende ein Bereich, in dem – in geringem Umfang – Rassenschran- Menschen feierten euphorisch mit Hupkonzerten und Ju- ken überwunden werden konnten. Obwohl es einen nach belgeschrei die Entscheidung der FIFA. Viele schwenkten Hautfarbe getrennten Spielbetrieb gab, war es zumindest die südafrikanische Flagge. Zehn Jahre nach Einführung der für weiße Spieler, wenn auch nicht ohne Repressionsandro- Demokratie im einstigen Apartheid-Staat bedeutete die Aus- hungen möglich, in den schwarzen Klubs zu spielen. richtung der FIFA-WM ein wichtiges Signal für die Wirtschaft. Verbesserungen in der maroden Infrastruktur stehen ebenso Zwar ist die Rassentrennung formal seit dem Ende der Apart- auf dem Plan wie die Bekämpfung der allgegenwärtigen Kri- heid überwunden, der Besuch eines Fußballstadions und die minalität und eine Reduzierung der sozialen Ungleichheit. Berichterstattung in den Medien lassen jedoch kaum Zwei- Die Weltmeisterschaft soll aber auch einen Beitrag zur He- fel aufkommen, dass der südafrikanische Fußball weiterhin rausbildung einer gemeinsamen Identität aller Südafrikaner vor allem in der schwarzen Bevölkerung verwurzelt ist. Die leisten. großen Vereine wie die »Kaizer Chiefs« oder die »Orlando Pi- rates« stehen unter der Kontrolle von erfolgreichen schwar- Ob sich durch dieses Großereignis tatsächlich die Rassen- zen Unternehmern. Weiße sind allenfalls auf der Trainerbank grenzen zumindest teilweise einreißen lassen, bleibt abzu- zu finden, und dann sind es zumeist keine Südafrikaner. Auch warten. Die Erfahrungen mit Rugby, der zweiten populären in anderer Hinsicht ist der Fußball ein Spiegel der südafri- Sportart Südafrikas, lassen ein gewisses Maß an Skepsis kanischen Gesellschaft: So begegnet man auch hier extrem angeraten erscheinen. Zwar wurde die südafrikanische Nati- ungleichen wirtschaftlichen Verhältnissen, Korruption und onalmannschaft 2007 zum zweiten Mal Weltmeister, jedoch der allgegenwärtigen Gewalt. Im besten Fall wird die Welt- entbrannten im Anschluss an diesen Erfolg heftige Dis- meisterschaft dazu beitragen, diese gesellschaftlichen Pro- kussionen über den Umstand, dass im Finale kein einziger bleme zumindest ansatzweise zu lösen. Immerhin sind die schwarzer Spieler zum Einsatz kam. Dies zeigt, dass auch Organisatoren dazu gezwungen, sich mit Themen wie Sicher- fast 15 Jahre nach dem Ende der Apartheid die populären heit und Verkehr zu befassen und Lösungen zu entwickeln. südafrikanischen Sportarten immer noch von einer Art »Far- Und vielleicht geht ja auch im Windschatten der FIFA-WM benlehre« geprägt sind. Die weiße Minderheit begeistert für einige Menschen in den Townships der Traum von etwas sich weiterhin in erster Linie für Cricket und Rugby, wäh- wirtschaftlichem Erfolg in Erfüllung und die Spannungen rend die schwarze Mehrheit Fußball bevorzugt. Der Fußball, zwischen den Hautfarben, den Besitzenden und den Armen, ursprünglich von britischen Siedlern in der zweiten Hälfte zwischen Südafrikanern und Migranten weichen zumindest des 19. Jahrhunderts ins Land gebracht, wurde dann im 20. eine Zeit lang einem neuen Miteinander. Jahrhundert zum »schwarzen« Sport. Die rasche Ausbreitung des Fußballs in der schwarzen Bevölkerung entwickelte eine Jubel in Johannesburg: Südafrika- nische Fußballfans freuen sich am 15. Mai 2004 darüber, dass Südafrika die Fußball-WM 2010 ausrichten darf. Mit einem überschäumenden Freuden- fest feierte das Land am Kap der Guten Hoffnung den historischen Zuschlag für die FIFA-WM, der ersten auf afrika- nischem Boden. Während von Kapstadt bis Johannesburg die Menschen nach der live übertragenen Entscheidung des Weltverbandes FIFA jubelnd auf die Straßen stürmten, lagen sich in Zürich die WM-Botschafter um ihre Symbol- figur Nelson Mandela überglücklich in den Armen. picture-alliance/dpa 12 Politik & Unterricht • 1-2010
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