Südafrika Land der Gegensätze 1 - 2010 - Politik und Unterricht

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Südafrika Land der Gegensätze 1 - 2010 - Politik und Unterricht
E4542

1 – 2010

           Südafrika
           Land der Gegensätze
Südafrika Land der Gegensätze 1 - 2010 - Politik und Unterricht
Zeitschrift für die Praxis der politischen Bildung

                                                       HEFT 1 – 2010, 1. QUARTAL, 36. JAHRGANG

                                                       Inhalt
»Politik & Unterricht« wird von der Landeszentrale     Editorial                                                                                    1
für politische Bildung Baden-Württemberg (LpB)
herausgegeben.                                         Geleitwort des Ministeriums
HERAUSGEBER                                            für Kultus, Jugend und Sport                                                                 2
Lothar Frick, Direktor                                 Autoren dieses Heftes                                                                        2
CHEFREDAKTEUR
Dr. Reinhold Weber
reinhold.weber@lpb.bwl.de
                                                       Unterrichtsvorschläge                                                               3–18
REDAKTIONSASSISTENZ
Sylvia Rösch, sylvia.roesch@lpb.bwl.de                 Einleitung                                                                               3
Katharina Rapp, Stuttgart                              Baustein A:     Südafrika – Land der Gegensätze                                         13
ANSCHRIFT DER REDAKTION                                Baustein B:     Vom Apartheid-Regime zur Demokratie                                     14
Stafflenbergstraße 38, 70184 Stuttgart
Telefon: 0711/164099-45; Fax: 0711/164099-77
                                                       Baustein C:     Südafrika – die Regenbogennation                                        15
REDAKTION
                                                       Baustein D:     Die Fußball-WM in Südafrika –
Simone Bub-Kalb, Studiendirektorin,                                    Turnier der großen Erwartungen                                          17
Staatl. Seminar für Didaktik und Lehrerbildung
                                                       Literaturhinweise                                                                       18
(Gymnasien), Stuttgart
Judith Ernst-Schmidt, Oberstudienrätin,
Werner-Siemens-Schule (Gewerbliche Schule
für Elektrotechnik), Stuttgart                         Texte und Materialien                                                            19–55
Dipl.-Päd. Holger Meeh, Akademischer Rat,
Pädagogische Hochschule Heidelberg                     Baustein    A:       Südafrika – Land der Gegensätze                                    20
Wibke Renner-Kasper, Konrektorin der Grund-,
Haupt- und Realschule Illingen
                                                       Baustein    B:       Vom Apartheid-Regime zur Demokratie                                24
Angelika Schober-Penz, Studienrätin,                   Baustein    C:       Südafrika – die Regenbogennation                                   36
Erich-Bracher-Schule (Kaufmännische Schule),
Kornwestheim
                                                       Baustein    D:       Die Fußball-WM in Südafrika –
                                                                            Turnier der großen Erwartungen                                     50
GESTALTUNG TITEL
Bertron.Schwarz.Frey, Gruppe für Gestaltung, Ulm
www.bertron-schwarz.de

GESTALTUNG INNENTEIL                                   Einleitung:          Prof. Dr. Ingo Juchler und Holger Meeh
Medienstudio Christoph Lang, Rottenburg a. N.,
www.8421medien.de                                      Bausteine
VERLAG
                                                       A, B und C:          Prof. Dr. Ingo Juchler
Neckar-Verlag GmbH, Klosterring 1,                     Baustein D:          Holger Meeh
78050 Villingen-Schwenningen
Anzeigen: Neckar-Verlag GmbH, Uwe Stockburger
Telefon: 07721/8987-71; Fax: -50
anzeigen@neckar-verlag.de                              Das komplette Heft finden Sie zum Downloaden als PDF-Datei unter
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 2 vom 1.5.2005.
                                                       www.politikundunterricht.de/1_10/suedafrika.htm
DRUCK
PFITZER GmbH & Co. KG, Benzstraße 39,
71272 Renningen

Politik & Unterricht erscheint vierteljährlich.        Politik & Unterricht wird auf umweltfreundlichem Papier aus FSC-zertifizierten Frischfasern
Preis dieser Nummer: 3,00 EUR                          und Recyclingfasern gedruckt. FSC (Forest Stewardship Council) ist ein weltweites Label
Jahresbezugspreis: 12,00 EUR                           zur Ausweisung von Produkten, die aus nachhaltiger und verantwortungsvoller Waldbewirt-
Unregelmäßige Sonderhefte werden zusätzlich            schaftung stammen.
mit je 3,00 EUR in Rechnung gestellt.

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                                                       Internet
Titelfoto: picture-alliance/dpa/dpaweb
Auflage dieses Heftes: 24.000 Exemplare
Redaktionsschluss: 9. Februar 2010
ISSN 0344-3531
Südafrika Land der Gegensätze 1 - 2010 - Politik und Unterricht
Editorial
Es ist ein Ereignis von historischer Tragweite, wenn im Juni    Probleme Südafrikas, aber auch die Erfolge der letzten fast
2010 die FIFA-Weltmeisterschaft in Südafrika eröffnet wird.     zwanzig Jahre seit dem Ende der Apartheid?
Zum ersten Mal in der Geschichte des Fußballs wird das Tur-
nier auf afrikanischem Boden ausgetragen – genauer gesagt       Wir haben in dem vorliegenden Themenheft von »Politik &
in den Städten Südafrikas. Die Weltöffentlichkeit schaut        Unterricht« ganz bewusst die fächerverbindenden Ansätze
dann auf ein Land mit einer bewegenden Geschichte und mit       herausgestellt. Mit dem Heft lassen sich zahlreiche Aspekte
zwei Gesichtern: Einerseits ein reiches, mit Bodenschätzen      Südafrikas bearbeiten: Historisches rund um die Themen
gesegnetes Land, das über starke Industrien verfügt und das     Kolonialismus und Apartheid, aktuell Politisches wie die
allein ein Viertel der gesamten Wirtschaftsleistung Afrikas     Frage nach der Rolle Südafrikas als »Wirtschaftslokomotive«
erwirtschaftet. Andererseits ist Südafrika immer noch ein       für den »vergessenen Kontinent« Afrika, aber auch Armut,
Entwicklungsland, in dem große Teile der schwarzen Bevöl-       Gewalt, Kriminalität und Aids.
kerung in Armenvierteln rund um die Großstädte wohnen,
mit schlechter Bildung, ohne Arbeit und ohne Perspektive.
Mehr als ein Drittel der rund 48 Millionen Südafrikaner lebt
nach Angaben der Vereinten Nationen in Armut. Daraus wird
deutlich: Südafrika ist – und der Titel unseres Themenheftes
unterstreicht es – ein Land der Gegensätze.

Zahlreichen Lehrerinnen und Lehrern wird die FIFA-Welt-
meisterschaft einen willkommenen Anlass bieten, um das
Land am Kap der Guten Hoffnung im Unterricht zu thema-
tisieren. Die anhaltende Attraktivität des Fußballs sowohl
für Jungen als auch für Mädchen lässt sich so auch in den
Unterricht transportieren. Was ist das für ein Land, das über   Lothar Frick                 Dr. Reinhold Weber
Wochen hinweg die Medien dominieren wird? Wo liegen die         Direktor der LpB             Chefredakteur

Politik & Unterricht • 1-2010                                                                                            1
Südafrika Land der Gegensätze 1 - 2010 - Politik und Unterricht
Geleitwort des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport
Zerbricht der Regenbogen? Die Frage stellen sich viele Be-      Südafrika hat unbestritten große Erfolge zu verzeichnen.
obachter, die sorgenvoll nach Südafrika schauen, wo in den      Aber auch die Probleme sind unübersehbar: Armut, Arbeits-
Elendsvierteln der Städte Schwarze auf Schwarze losgehen.       losigkeit, soziale Ungerechtigkeiten, Gewalt und Krimina-
Bedeuten diese seit Mai 2008 immer wiederkehrenden Aus-         lität, Korruption und Misswirtschaft. Bis heute fürchten
brüche von Gewalt das Ende der Hoffnungen, mit denen            manche, dass die FIFA-WM im Fiasko enden könnte, weil
Nelson Mandela in den 1990er Jahren die Welt begeistert         die Verantwortlichen nicht in der Lage sein könnten, die
hat?                                                            Großveranstaltung friedlich über die Bühne zu bringen. Aber
                                                                trotz der gewaltigen Probleme stimmen die Vergabe des
Im Bildungsplan des Landes Baden-Württemberg für das            Turniers nach Südafrika und die Entwicklung in dem Land
Gymnasium heißt es, die Schülerinnen und Schüler können         am Kap hoffnungsvoll. Egal wer Weltmeister wird: Südafrika
»Räume unterschiedlichen Entwicklungsstandes im Globali-        wird auf alle Fälle der Gewinner sein.
sierungsprozess von Wirtschaft und Gesellschaft analysie-
ren«. Südafrika ist dafür ein besonders spannendes und          Gernot Tauchmann
vielfältiges Beispiel. Und warum anlässlich der Fußball-        Ministerium für Kultus, Jugend und Sport
Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika nicht die Begeisterung      Baden-Württemberg
für eine Sportart aufgreifen, die rund um den Globus Männer
und Frauen, Jungen und Mädchen aller Hautfarben, Religi-
onen und sozialen Gruppen begeistert? Es liegt geradezu
auf der Hand, den afrikanischen Kontinent mit all seinen
faszinierenden Aspekten, aber auch mit all seinen massiven
Problemen dann in der Schule zu behandeln, wenn der Fokus
der Welt auf ihn gerichtet ist. Wir danken der Landeszen-
trale für politische Bildung Baden-Württemberg, dass sie
im Rahmen der Zeitschrift »Politik & Unterricht« erneut
ein anlassbezogenes Themenheft herausbringt, welches das
Schulbuchangebot ergänzt und damit der Forderung nach
Aktualität im Unterricht nachkommt.

                                                              DIE AUTOREN DIESES HEFTES
                                                              Prof. Dr. Ingo Juchler lehrt Politikwissenschaft und Didaktik
                                                              der Politik an der Universität Göttingen. Seine Forschungs-
                                                              schwerpunkte sind neben der Didaktik der politischen Bil-
                                                              dung die Bereiche Internationale Beziehungen, Demokratie-
                                                              theorie sowie Interkulturalität.

                                                              Holger Meeh ist Akademischer Rat an der Fakultät für Natur-
                                                              und Gesellschaftswissenschaften an der Pädagogischen
                                                              Hochschule Heidelberg. Er ist seit 2006 Mitglied der Redak-
                                                              tion von »Politik & Unterricht«. Seine Arbeitsschwerpunkte
                                                              sind mediengestütztes Lehren und Lernen in der historisch-
                                                              politischen Bildung, Mediendemokratie, Mediensozialisation
                                                              sowie Globalisierung.

2                                                                                                       Politik & Unterricht • 1-2010
Südafrika Land der Gegensätze 1 - 2010 - Politik und Unterricht
Südafrika –
                       Land der Gegensätze

                       ●●●         EINLEITUNG                                          war der Landweg nach Ostasien schwieriger geworden und
                                                                                       die europäischen Gewürzhändler mussten Afrika umsegeln,
                                                                                       um nach Indien und China zu gelangen. Der portugiesische
                                                                                       Seefahrer Bartolomeu Diaz gilt heute als der erste Euro-
                                                                                       päer, der das Kap der Guten Hoffnung im Jahre 1488 auf
                                                                                       seinem Weg zum Indischen Ozean umschiffte und dabei an
                                                                                       Land ging, um seine Vorräte aufzufrischen. In der Folge-
                       »Manche Länder sind wie die ganze Welt. Sie faszinieren,        zeit nutzten niederländische, spanische, portugiesische,
                       weil sie so viele Völker und Kulturen in sich vereinen. Und     britische und französische Seefahrer den leeren Landstrich
                       sie schockieren, weil dort die größten Gegensätze aufein-       um das Kap zur Auffüllung ihrer Proviantvorräte. Die erste
                       anderprallen.« Mit diesen Worten umschreibt Arne Perras,        europäische Siedlung auf südafrikanischem Boden errichte-
                       Afrika-Korrespondent der »Süddeutschen Zeitung«, treffend       ten die Niederländer im Jahre 1652 unter Führung von Jan
                       die heutige politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche   van Riebeeck, der für die »Niederländische Ostindien-Kom-
                       Situation der Republik Südafrika. Die parlamentarische De-      pagnie« eine Expedition nach Südafrika leitete. Die neu ge-
                       mokratie am Kap der Guten Hoffnung hatte eine wechselvolle      gründete Kap-Kolonie wurde vor allem von niederländischen
                       Geschichte, die in vielerlei Hinsicht mit derjenigen anderer    Bauern (niederländisch: Buren) sowie von Deutschen und
                       Staaten in Schwarzafrika vergleichbar ist. Bezüglich der dort   Franzosen besiedelt.
                       praktizierten Politik der Apartheid weist Südafrika jedoch
                       auch ein Alleinstellungsmerkmal auf: Die gesellschaftlichen     Das Verhältnis der eingewanderten Europäer zu den ein-
                       Folgen der Politik der Rassentrennung reichen bis in die        heimischen Khoi (abwertend gemeinte niederländische Be-
                       Gegenwart.                                                      zeichnung: »Hottentotten«) und den San (Jäger- und Samm-
                                                                                       lerethnie) war zunächst friedlich. Dies änderte sich mit der
                                                                                       verstärkten Einwanderung von Niederdeutschen, Niederlän-
                       Von der Kolonialisierung …                                      dern, französischen Hugenotten u. a., denn die sich stetig
                       Südafrikas Kolonialgeschichte beginnt mit der Einnahme          vergrößernde Kap-Kolonie benötigte für ihre Landwirtschaft
                       Konstantinopels durch die Türken im Jahre 1453. Von da an       und Viehzucht vermehrt Land – Land, das von der einheimi-

                                                                                                          Ein Schild benennt die Koordinaten des
                                                                                                          »Cape Point« am »Kap der Guten Hoff-
                                                                                                          nung«. Das Kap ist der südwestlichste
                                                                                                          Punkt Afrikas, rund 70 Kilometer von
                                                                                                          Kapstadt entfernt. Hier beginnt die
                                                                                                          afrikanische Küste ihren Schwenk nach
                                                                                                          Osten und zeigt die Passage in den In-
                                                                                                          dischen Ozean an. Im April 1488 wurde
                                                                                                          das Kap vom portugiesischen Flotten-
                                                                                                          kapitän Bartolomeu Diaz entdeckt, als
                                                                                                          er bereits die Südspitze Afrikas umrun-
                                                                                                          det hatte und sich auf dem Rückweg
                                                                                                          nach Norden befand.
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                       Politik & Unterricht • 1-2010                                                                                                3
Südafrika Land der Gegensätze 1 - 2010 - Politik und Unterricht
Einleitung

                                         schen schwarzen Bevölkerung nicht ohne Widerstand preis-        allerdings Geschäftsleute und Landspekulanten. Sie wurden
                                         gegeben wurde. Nachdem sich die niederländischen Buren          erst nachträglich aus politischen Gründen zu Repräsen-
                                         Ende des 18. Jahrhunderts immer weiter Richtung Norden          tanten einer gottesfürchtigen und unabhängigen Bauern-
                                         in das Stammesgebiet der Xhosa verbreiteten, kam es zu          gesellschaft auf dem Weg in das Gelobte Land stilisiert. Den
                                         den ersten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen          Buren gelang es in der Folgezeit, eigenständige Republiken
                                         weißen Siedlern und Xhosa-Angehörigen, den sogenannten          wie den Oranje-Freistaat und Transvaal zu gründen. Die Sied-
                                         »Kafferkriegen« (»Kaffer«: rassistische Bezeichnung für die     lerexpansion durch die Buren sowie die Eroberungen durch
                                         Xhosa und später für andere bantusprachige Völker).             die britischen Truppen hatten somit bis in die Mitte des 19.
                                                                                                         Jahrhunderts dazu geführt, dass weite Teile des heutigen
                                         Die politischen Spannungen verliefen jedoch nicht allein        Südafrika durch weiße Europäer erobert und beansprucht
                                         längs der Linie von südafrikanischer Urbevölkerung und eu-      wurden.
                                         ropäischen Einwanderern, sondern auch zwischen den Euro-
                                         päern selbst. Nachdem die britische Flotte die Franzosen und    Ein gewichtiger Streitpunkt zwischen der britischen Kolonial-
                                         Spanier bei Trafalgar 1805 vernichtend geschlagen hatte,        regierung und den niederländischen Buren betraf die Be-
                                         wurde Großbritannien zum unumstrittenen Herrscher über          handlung der schwarzafrikanischen Bevölkerung. Die Briten
                                         die Weltmeere, was auch Auswirkungen für die Kap-Kolonie        hatten bereits im Jahre 1807 auf Drängen der in England
                                         zeitigte. Im Jahre 1806 landeten dort britische Truppenver-     bedeutsamen philanthropischen Bewegung, die sich für
                                         bände, welche den Niederländern weit überlegen waren, so        die Gleichheit aller Menschen und die Unverletzlichkeit der
                                         dass bereits nach zwei Wochen der Kampf um die Kolonie          Menschenwürde einsetzte, jeglichen Sklavenhandel auf bri-
                                         entschieden war: Südafrika wurde zur britischen Kronkolonie.    tischen Schiffen untersagt. Der Abolitionismus führte dazu,
                                         Doch auch unter den neuen Kolonialherren verschärften sich      dass 1834 die Sklaverei offiziell verboten wurde, wobei die
                                         die Konflikte mit den Xhosa um Wasser und Weidegebiete           Sklaven noch vier Jahre an ihre ehemaligen Herrn gebunden
                                         stetig. In der Folge kam es zu zahlreichen grausam geführten    blieben. Durch eine Reihe gesetzlicher Maßnahmen wurde
                                         Grenzkriegen zwischen britischen Truppen und Siedlern auf       nach der Abschaffung der Sklaverei auch die rechtliche
                                         der einen und den Xhosa auf der anderen Seite.                  Gleichstellung von (ehemaligen) Sklaven, südafrikanischen
                                                                                                         Ureinwohnern und Mischlingen vorgenommen. Die Buren ih-
                                         Vor dem Hintergrund dieser Kriege verließen von 1835 an         rerseits wehrten sich gegen die liberalen Gesetze der Briten
                                         Buren die Kap-Kolonie und machten sich im sogenannten           in der Sklavenfrage und hinsichtlich der Behandlung der
                                         Großen Treck auf, neues Land zur Besiedlung zu suchen. Die      Schwarzafrikaner, was zu immer neuen kriegerischen Aus-
                                         »Voortrekker« (niederländisch: Vorausziehende), wie sie sich    einandersetzungen zwischen ihnen und britischen Truppen
                                         selbst nannten, bestanden aus Gruppen von Familiengröße         führte. Der Konflikt eskalierte schließlich 1899, als zwischen
                                         bis hin zu mehreren Hundert Personen mit ihren Knechten         beiden Seiten offiziell der sogenannte Burenkrieg ausbrach,
                                         und ihrem gesamten Hausrat auf Pferden und Ochsenwa-            in dessen Folge die Buren bis 1902 endgültig geschlagen
                                         gen. Politisch verstanden sich die Voortrekker als autonome,    worden waren und die britische Oberherrschaft in der ge-
                                         gegen die Staatsmacht rebellierende Bewegung mit dem Ziel       samten Kap-Kolonie anerkennen mussten.
                                         wirtschaftlicher, politischer und kultureller Unabhängigkeit.
                                         Berühmte Führer des Trecks wie Andries Pretorius waren

                                                                                                                            Das Voortrekker-Denkmal in Pretoria:
                                                                                                                            Der massive Granitbau wurde zwischen
                                                                                                                            1937 und 1949 zu Ehren der Voortrek-
                                                                                                                            ker errichtet, die zwischen 1835 und
                                                                                                                            1854 zu Tausenden die Kapkolonie
                                                                                                                            verließen, um weitere Gebiete des
                                                                                                                            heutigen Südafrikas zu besiedeln. Das
                                                                                                                            Völkerschlachtdenkmal in Leipzig soll
                                                                                                                            dem Architekten als Vorlage gedient
                                                                                                                            haben.
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                                         4                                                                                                       Politik & Unterricht • 1-2010
Südafrika Land der Gegensätze 1 - 2010 - Politik und Unterricht
Einleitung

                       … zum Apartheid-Staat                                          jegliche sexuelle Beziehung zwischen schwarzen und weißen
                       Der britischen Regierung war auch vor dem Hintergrund der      Menschen. Zwar wurde in der Südafrikanischen Union 1930
                       zunehmenden politischen Spannungen mit dem Deutschen           das Wahlrecht für Frauen durchgesetzt, den Nichtweißen
                       Reich daran gelegen, einen Zusammenschluss der britischen      wurde jedoch 1936 das Wahlrecht und jede politische Parti-
                       und der burischen Kolonien in Südafrika zu einem Staatsge-     zipationsmöglichkeit genommen. Diese Politik der Rassen-
                       bilde zu erreichen. Mit der Gründung der Südafrikanischen      trennung legt eine Affinität der südafrikanischen Regierung
                       Union im Jahre 1910 wurden diese Bemühungen mit Erfolg         zum Regime des Nationalsozialismus in Deutschland nahe,
                       gekrönt, allerdings mit einem hohen politischen Preis: Wäh-    welche ihren Ausdruck im Bemühen der Vertretung der Buren
                       rend die Briten prinzipiell bereit waren, der nichtweißen      in der Regierung fand, nach der Kriegserklärung Großbritan-
                       Bevölkerung das Stimmrecht zu geben, stieß dies bei den        niens gegenüber Deutschland im September 1939 Neutralität
                       Buren auf vehemente Ablehnung. Schließlich lenkte die          zu bewahren. Aufgrund der ähnlichen rassenideologischen
                       britische Regierung ein: Den südafrikanischen Nichtweißen      Vorstellungen hatten sich die bilateralen Beziehungen der
                       wurde das generelle Wahlrecht vorenthalten. Es galt ein        Südafrikanischen Union zu Deutschland bereits verstärkt.
                       Zensuswahlrecht, das die große Mehrheit der Schwarzen          Viele Buren sympathisierten mit dem nationalsozialistischen
                       aufgrund ihrer Mittellosigkeit oder Armut von den Wahlen       Deutschland. Dem burischen Premierminister Barry Hertzog
                       ausschloss. Diese Entscheidung führte zu Protestkund-          gelang es jedoch nicht, die Neutralität des Landes durch-
                       gebungen unter Farbigen und Schwarzen und zur Entstehung       zusetzen. Unter seinem Nachfolger Jan Smuts erklärte die
                       nichtweißer politischer Organisationen. Deren wichtigste       Südafrikanische Union schließlich Deutschland den Krieg.
                       sollte bald der 1912 gegründete »South African Native Na-
                       tional Congress« werden, der sich ab 1923 »African Natio-      Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges setzte sich die
                       nal Congress« (ANC) nannte und heute die Regierung der         »United Party« durch, welche eine strikte Politik der Rassen-
                       südafrikanischen Republik stellt. Darüber hinaus bildete die   trennung verfolgte. Unter der Regierung des 1948 gewählten
                       Entscheidung von Buren und Briten, der nichtweißen Bevöl-      Premierminister Daniel François Malan und seiner Nachfol-
                       kerung das generelle Wahlrecht vorzuenthalten, bereits den     ger wurden zahlreiche bereits bestehende diskriminierende
                       Keim des Apartheid-Staates.                                    Gesetze verschärft und weitere neu geschaffen. Die Südafri-
                                                                                      kanische Union – seit 1960 Republik Südafrika – war das
                       So wurde bereits im Jahre 1913 ein Gesetz erlassen, wonach     einzige Land der Welt, das seinen Rassismus legislativ ver-
                       den schwarzen Südafrikanern – dem weitaus größeren Be-         ankerte. Diese rassistische Politik wurde fortan mit dem Ter-
                       völkerungsanteil der Union – nur noch 7,3 Prozent der Ge-      minus Apartheid bezeichnet. Der Begriff Apartheid stammt
                       samtfläche des Landes zugeteilt wurde und diese fortan nur      ursprünglich aus dem Niederländischen der burischen Ein-
                       in diesen sogenannten Reservaten Land käuflich erwerben         wanderer und meint eine strikte Form der Rassentrennung.
                       konnten. Ein Jahr später wurde im »Mines and Work Act« die     Im Kern stellte die Apartheid in Südafrika von 1948 bis 1990
                       Rassentrennung am Arbeitsplatz eingeführt. Die höherwer-       einen politischen Unterdrückungsapparat dar, welcher dem
                       tigen Tätigkeiten waren allein Weißen vorbehalten. Diese       Ziel der wirtschaftlichen Ausbeutung und sozialen Deklassie-
                       Politik der Rassendiskriminierung wurde auf legislativer       rung aller Menschen nachkam, deren Hautfarbe eine andere
                       Grundlage in den kommenden Jahren konsequent weiterge-         Pigmentzusammensetzung aufwies als die der Weißen.
                       führt. So untersagte etwa der »Immorality Act« von 1927

                                                                                                         Südafrika 1989: Ein Schild kennzeich-
                                                                                                         net ein Gebiet in Carletonville, das nur
                                                                                                         für Weiße reserviert ist. Aufgrund des
                                                                                                         Widerstands der Schwarzen, des inter-
                                                                                                         nationalen Drucks, der ökonomischen
                                                                                                         Krise des Landes, des Wechsels der
                                                                                                         Regierungsführung von Pieter Willem
                                                                                                         Botha zu Frederik de Klerk sowie der
                                                                                                         Standhaftigkeit Nelson Mandelas bei
                                                                                                         den Verhandlungen mit de Klerk brach
                                                                                                         das System der Apartheid Anfang der
                                                                                                         1990er Jahre Schritt für Schritt in sich
                                                                                                         zusammen. Bei einem Referendum im
                                                                                                         März 1992 sprachen sich 68,7 Prozent
                                                                                                         der Weißen für die Abschaffung der
                                                                                                         Rassentrennung aus.
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                       Politik & Unterricht • 1-2010                                                                                                5
Südafrika Land der Gegensätze 1 - 2010 - Politik und Unterricht
Einleitung

                       Die konkrete Umsetzung der rassistischen Politik der Apart-    Passgesetzen einem Homeland angehören – auch Personen,
                       heid erfolgte zunächst durch die Klassifizierung der Bevöl-     die sich aus Erwerbsgründen außerhalb dieser Territorien
                       kerung mit dem »Population Registration Act« im Jahre          aufhielten. Mit der formalen Unabhängigkeit verloren die
                       1950. Die Südafrikaner wurden willkürlich in Eingeborene       Bewohner der Homelands die südafrikanische Staatsbürger-
                       (»Native«, »Blacks«, »Bantu« oder »African«), Farbige (»Co-    schaft und ihre – ohnehin schon stark eingeschränkten –
                       loured«), Asiaten (»Inder«) und Weiße eingeteilt. Nach dem     bürgerlichen Rechte. Zugleich benötigte die südafrikanische
                       »Reservation of Separate Amenities Act« aus dem Jahre          Wirtschaft allerdings die Schwarzen als billige Arbeitskräfte,
                       1953 wurden die Menschen sodann im täglichen Leben ge-         weshalb diese in den Homelands keine funktionierende
                       trennt – von gesonderten Parkbänken, Bussitzen und separa-     Wirtschaft aufbauen sollten. Die Folge war, dass sich die
                       ten Toiletten bis hin zu getrennten Bildungseinrichtungen.     schwarze Bevölkerung vielfach als Wanderarbeiter verdingen
                       Die Schaffung eines getrennten Bildungssystems für die         musste.
                       Schwarzen durch den »Bantu Education Act« war darauf
                       ausgerichtet, den Schwarzen nur rudimentäre Kenntnisse zu
                       vermitteln, um ihre soziale Mobilität zu beschränken und sie   Widerstand gegen die Apartheid
                       dauerhaft auf den Status ungelernter Arbeitskräfte festzule-   Die rassistischen Maßnahmen des südafrikanischen Re-
                       gen. Der Minister für Eingeborenenfragen und spätere Pre-      gimes zur Segregation der schwarzen Bevölkerung trafen
                       mierminister Hendrik Verwoerd erklärte unumwunden, der         schnell auf deren Widerstand. Der ANC organisierte Ende der
                       »Bantu Education Act« solle den schwarzen Südafrikanern        1940er und zu Beginn der 1950er Jahre erste große Protest-
                       den Weg in das eigentliche Bildungssystem versperren.          aktionen gegen den Aufbau des Apartheid-Staates. Durch
                                                                                      Massenkampagnen, die nach dem Vorbild Mahatma Gandhis
                       Schließlich wurde mit dem »Homeland Citizenship Act« im        als gewaltlose Aktionen gegen die Passgesetze und andere
                       Jahre 1970 ein Gesetz erlassen, welches der schwarzen Be-      Maßnahmen der Rassentrennung durchführt wurden, konnte
                       völkerung bestimmte Siedlungsgebiete zuwies. Mit dieser        der ANC neue Mitglieder hinzugewinnen. So gelang es der
                       rassistischen Politik der Segregation der Schwarzen in Auto-   Organisation, ihre schmale, bislang auf die schwarze Elite
                       nomiegebiete, sogenannte Homelands (früher Reservate),         beschränkte Basis zu durchbrechen und dauerhaft Verbin-
                       wollte das südafrikanische Regime einen weißen National-       dungen zur städtischen Arbeiterschaft sowie zur ländlichen
                       staat Südafrika schaffen, in dem nur noch Weiße, Coloureds     Bevölkerung aufzubauen. Innerhalb eines kurzen Zeitraums
                       und Inder leben sollten. Vier der zehn Homelands wurden in     wuchs die Mitgliederzahl des ANC von weniger als Tausend
                       die nur von Südafrika anerkannte Unabhängigkeit entlassen:     auf über 100.000 an. Einer der prominentesten schwarzen
                       Transkei (1976), Bophuthatswana (1977), Venda (1979) und       Politiker der 1950er Jahre war der überzeugte Pazifist und
                       Ciskei (1981). Bei den Homelands, die aus nicht zusammen-      christliche Laienprediger Albert Luthuli, der von 1952 bis
                       hängenden Landstücken bestanden, handelte es sich aber         zu seinem Tode 1967 als Präsident dem ANC vorstand. Für
                       tatsächlich um politisch und ökonomisch lebensunfähige         sein gewaltfreies Engagement gegen die Maßnahmen des
                       Kleinstaaten, die in vollständiger Abhängigkeit von Süd-       südafrikanischen Apartheid-Staates wurde Luthuli 1960 mit
                       afrika gehalten wurden. Die gesamte schwarze Bevölkerung,      dem Friedensnobelpreis geehrt.
                       einschließlich der Schwarzen in den städtischen Ghettos
                       der Townships, musste entsprechend den südafrikanischen

                                                                                                         Schwarze grüßen aus einem Zugabteil
                                                                                                         erster Klasse mit dem »Daumen hoch«-
                                                                                                         Zeichen der passiven Widerstands-
                                                                                                         bewegung gegen die Rassentrennung.
                                                                                                         Die Schwarzen, die auf ihrer Fahrt nach
                                                                                                         Kapstadt die nur für Weiße bestimmten
                                                                                                         Abteile erster Klasse der Bahn be-
                                                                                                         nutzten, wurden bei ihrer Ankunft ver-
                                                                                                         haftet. Bei dem Boykottfeldzug gegen
                                                                                                         die Rassentrennungsgesetze wurden im
                                                                                                         August 1952 innerhalb weniger Tage
                                                                                                         fast 3.000 Schwarze verhaftet.
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                       6                                                                                                       Politik & Unterricht • 1-2010
Südafrika Land der Gegensätze 1 - 2010 - Politik und Unterricht
Einleitung

                       Zusammen mit einer Reihe anderer Organisationen legte der       Während Nelson Mandela nach seiner Verhaftung zur Sym-
                       ANC im Jahre 1955 die »Freedom Charter« (Freiheits-Charta)      bolfigur des schwarzen Widerstands gegen die Segregation
                       vor. Sie war in der Slumsiedlung Kliptown bei Johannesburg      im Bereich der Zivilgesellschaften weltweit avancierte, war
                       vom sogenannten Volkskongress beschlossen worden. Etwa          Südafrika außenpolitisch bis in die 1960er Jahre hinein
                       3.000 Gegner der Apartheid hatten sich dort versammelt,         trotz seiner rassistischen Politik der Apartheid keineswegs
                       um mit ihrem zehn Punkte umfassenden Programm eine              isoliert. Dies ist zum einen dem Umstand geschuldet, dass
                       Gegenstrategie zur weltweit radikalsten Variante der Rassen-    (ehemalige) Kolonialmächte wie Großbritannien, Frankreich
                       trennungspolitik vorzulegen. Dieses Grundsatzprogramm bot       und Portugal über Jahrhunderte hinweg gleichfalls eine ras-
                       eine Alternative zum Apartheid-Staat: eine Demokratie mit       sistische Politik in ihren Kolonien verfolgten, wenngleich
                       individuellen Menschenrechten anstelle einer rassistischen      diese weniger explizit legislativ festgelegt war. Darüber
                       Privilegiengesellschaft. Das südafrikanische Regime ver-        hinaus verfügte die Republik Südafrika aufgrund ihres Reich-
                       stärkte daraufhin die Repressionsmaßnahmen gegen die            tums an Edelmetallen über eine starke Machtposition: Gold,
                       Anti-Apartheid-Bewegung. Es kam zu einer zunehmenden            Platin, Diamanten und das im Kalten Krieg immer wichtiger
                       Kriminalisierung der Opposition und schließlich im Jahre        werdende Uran stärkten Südafrikas Stellung auf den Welt-
                       1960 zum Verbot des ANC sowie des »Pan African Congress«        märkten.
                       (PAC), welcher sich vom ANC abgespalten hatte und radika-
                       lere Positionen vertrat.                                        Zugleich wuchs der Widerstand unter der schwarzen Bevöl-
                                                                                       kerung stetig an, was zu immer repressiveren Maßnahmen
                       In der Folgezeit sollte Nelson Mandela national wie inter-      des Apartheid-Regimes führte. Einen wesentlichen Anteil zur
                       national zu einer Integrationsfigur des Widerstands gegen        Verstetigung der Oppositionsbewegung hatte die von dem
                       das Apartheid-Regime werden. Mandela stammt aus dem             Studentenführer Steve Biko gegründete »Black Conscious-
                       Volk der Xhosa in der Transkei und war als 22-Jähriger im       ness Movement« (BCM), welche ihrerseits politisch von der
                       Jahre 1940 nach Johannesburg gekommen, dem industriel-          »Black-Power-Bewegung« in den Vereinigten Staaten von
                       len Zentrum Südafrikas. Vier Jahre später trat er dem ANC bei   Amerika geprägt war. Das erklärte Ziel der BCM war es, die
                       und war nach dessen Verbot maßgeblich an der Formierung         schwarze Bevölkerung von Minderwertigkeitskomplexen und
                       der geheimen militanten Organisation »Umkonto we Sizwe«         verinnerlichten Abhängigkeiten zu befreien. Die schwarzen
                       (»Speer der Nation«) aus den eigenen Reihen beteiligt. Die      Südafrikaner sollten wieder ein adäquates Selbstwertgefühl
                       Militärorganisation war vor allem auf Sabotageunternehmen       und Stolz auf ihre Kultur und ihre Hautfarbe entwickeln. Die
                       ausgerichtet, Mandela wurde zu deren Befehlshaber. Zwei         BCM war vor allem in den Townships der südafrikanischen
                       Jahre später wurde er wegen seiner Beteiligung an verschie-     Großstädte erfolgreich, wo die wirtschaftliche Not und die
                       denen Protestaktionen gegen die Apartheid verhaftet und         schlechten Lebensperspektiven der schwarzen Jugendlichen
                       zunächst zu fünf Jahren Haft verurteilt. Im Oktober 1963        besonders gravierend waren. Diese explosive Stimmungslage
                       wurde er weiterhin des Hochverrats, der Sabotage und wegen      führte zusammen mit der Forderung der südafrikanischen Re-
                       Verschwörung angeklagt und ein Jahr später zu lebensläng-       gierung nach der obligatorischen Einführung von Afrikaans
                       licher Haft verurteilt. Diese Haft verbrachte Mandela auf der   als Unterrichtssprache am 16. Juni 1976 in Soweto, dem
                       Gefängnisinsel Robben Island unweit von Kapstadt, von wo        größten Township der Metropole Johannesburg, zu massiven
                       aus er den Kampf gegen das Apartheid-Regime fortsetzte.         Schülerprotesten. Die Jugendlichen sahen sich durch die

                                                                                                          Der wohl berühmteste politische
                                                                                                          Häftling der Welt, Nelson Mandela,
                                                                                                          und seine Ehefrau Winnie grüßen mit
                                                                                                          erhobener Faust am 11. Februar 1990
                                                                                                          nach seiner Freilassung in Paarl die
                                                                                                          jubelnde Menschenmenge am Weges-
                                                                                                          rand. Nach 27 Jahren Haft, davon fast
                                                                                                          18 Jahre im Gefängnis auf Robben
                                                                                                          Island, wurde der Führer des African
                                                                                                          National Congress (ANC) freigelassen.
                                                                                                          Gut vier Jahre später, am 10. Mai 1994,
                                                                                                          wurde der charismatische Politiker als
                                                                                                          erster Schwarzer zum neuen Staats-
                                                                                                          präsidenten des ehemaligen Apartheid-
                                                                                                          Staates Südafrika vereidigt.
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                       Politik & Unterricht • 1-2010                                                                                                7
Südafrika Land der Gegensätze 1 - 2010 - Politik und Unterricht
Einleitung

                       Einführung von Afrikaans ein weiteres Mal benachteiligt, da    Apartheid-Gegner war von 1986 an der Ausnahmezustand
                       nur die wenigsten von ihnen dieser Sprache mächtig waren       erklärt worden.
                       und ihre Chancen auf einen erfolgreichen Schulabschluss
                       mithin erheblich gemindert würden. Die südafrikanische
                       Polizei reagierte mit äußerster Brutalität auf die Schüler-    Regimewechsel am Kap
                       demonstrationen, schoss auf die wehrlosen Jugendlichen         Die zunehmende Politisierung der schwarzen Bevölkerung,
                       und tötete innerhalb weniger Tage Hunderte von ihnen.          Konsumentenboykotte hinsichtlich südafrikanischer Pro-
                       Wie viele Menschen in dieser Zeit tatsächlich ums Leben        dukte sowie internationale Sanktionen von Staaten bewirk-
                       kommen, wurde nie geklärt.                                     ten jedoch gegen Ende der 1980er Jahre ein Umdenken bei
                                                                                      der regierenden »National Party« – ein Umdenken, das auch
                       Soweto geriet in der Folgezeit zum Symbol des schwar-          durch den allmählichen Niedergang der südafrikanischen
                       zen Widerstands und der Brutalität des südafrikanischen        Wirtschaft und durch die weltpolitischen Umbrüche nach
                       Regimes. Viele Jugendliche flüchteten nach der Nieder-          dem Ende des Ost-West-Konflikts gestärkt wurde.
                       schlagung des Aufstandes ins Ausland, wo sie sich dem
                       ANC anschlossen. Die ehemaligen Schülerinnen und Schüler       Vor diesem Hintergrund leitete Frederik Willem de Klerk,
                       wurden nun zum Teil willige Rekruten des ANC für einen         der 1989 zum Präsidenten gewählt worden war, die ent-
                       bewaffneten Kampf gegen das Apartheid-Regime, der zu           scheidende politische Wende in Südafrika ein. Unter seiner
                       Beginn der 1980er Jahre einsetzte und sich im Wesentlichen     Leitung wurden die Apartheid-Gesetze Schritt für Schritt
                       auf symbolische Aktionen beschränkte. Zum Widerstand des       außer Kraft gesetzt, bis schließlich auch die maßgebliche
                       ANC trat Ende der 1970er Jahre und zu Beginn der 1980er        gesetzliche Grundlage für die Segregation, der »Population
                       Jahre die erstarkende Gewerkschaftsbewegung hinzu, die         Registration Act«, auf dessen Grundlage die Bevölkerung
                       einen stetig größer werdenden politischen Einfluss geltend      Südafrikas nach rassistischen Kriterien klassifiziert worden
                       machen konnte.                                                 war, abgeschafft wurde. Auf diese Weise konnten im April
                                                                                      1994 erstmals allgemeine freie Wahlen in Südafrika statt-
                       Von 1978 an regierte Pieter Willem Botha das Land, zunächst    finden, aus welchen der ANC mit einem Anteil von 62,2 Pro-
                       als Premierminister und nach der Verabschiedung der neuen      zent der Stimmen als eindeutiger Sieger hervorging. Einen
                       Verfassung 1984 als Staatspräsident, wodurch er mit weitrei-   Monat später wurde Nelson Mandela zum Staatspräsidenten
                       chenden Vollmachten ausgestattet wurde. Zwar waren unter       gewählt. Das Land wurde nun von einer Regierung der Na-
                       Botha behutsame Reformen in Gang gesetzt worden wie            tionalen Einheit des ANC, der »National Party« und der
                       etwa die Aufhebung des Mischehenverbots sowie der Passge-      »Inkatha Freedom Party« regiert. Frederik Willem de Klerk
                       setze. An die Abschaffung der Apartheid war jedoch nicht zu    und Nelson Mandela erhielten für den friedlichen Regime-
                       denken. Vielmehr wurden die Repressionsmaßnahmen gegen         wechsel vom Apartheid-Staat zur Demokratie im Jahre 1993
                       die schwarze Oppositionsbewegung weiter verstärkt, indem       den Friedensnobelpreis.
                       etwa die südafrikanische Armee neben der Polizei zusehends
                       zum zentralen Ordnungsfaktor im Apartheid-Staat geriet.        Für das weitere friedliche politische Miteinander in Südafrika
                       Gegen die permanenten Unruhen in den Siedlungen der            war nicht zuletzt neben der umsichtigen Präsidentschaft
                       Schwarzen und zur Durchsetzung der Maßnahmen gegen die         Nelson Mandelas die Einrichtung der »Truth and Reconcili-

                                                                                                         Der südafrikanische Präsident Frederik
                                                                                                         de Klerk und der ANC-Führer Nelson
                                                                                                         Mandela werden am 10. Dezember 1993
                                                                                                         in Oslo mit dem Friedensnobelpreis
                                                                                                         ausgezeichnet.
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                       8                                                                                                       Politik & Unterricht • 1-2010
Einleitung

                       ation Commission« (TRC; Wahrheits- und Versöhnungskom-          erfolgte Wahl von Jacob Zuma zum neuen südafrikanischen
                       mission) entscheidend. Sie wurde 1995 durch ein Gesetz          Präsidenten dar. Zuma wurde im Wahlkampf vor allem von
                       zur Förderung der nationalen Einheit und Versöhnung unter       den südafrikanischen Gewerkschaften, dem linken Flügel des
                       Vorsitz von Erzbischof Desmond Tutu im Hinblick auf die         ANC sowie von Kommunisten unterstützt. Millionen von Ar-
                       Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen in der Apart-       beitslosen erhoffen von Zuma nun eine wirtschaftspolitische
                       heid-Zeit bis 1994 eingerichtet. Fünf Jahre später konnte       Wende. Sie erwarten auch von ihm, dass die grundsätzliche
                       auf der Grundlage der Anhörung von etwa 21.000 Opfern der       Kluft zwischen Arm und Reich geringer wird.
                       Apartheid ein 3.500 Seiten umfassender vorläufiger Bericht
                       vorgelegt werden. Der offizielle Abschlussbericht wurde im
                       Jahre 2003 an Mandelas Nachfolger Thabo Mbeki überge-           Wirtschaftliche Entwicklung und Weltwirtschaftskrise
                       ben. Die diesbezüglichen Anhörungen, welche unter großer        Jacob Zuma trat sein Amt im Zeichen der größten globa-
                       Anteilnahme der Öffentlichkeit stattfanden, haben einen         len Finanz- und Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren
                       wesentlichen Beitrag zur »Vergangenheitsbewältigung« ge-        an. Inzwischen hat der Einbruch der Weltwirtschaft auch
                       leistet. Darüber hinaus sind die Empfehlungen der TRC an        den afrikanischen Kontinent erfasst. Die OECD rechnet laut
                       Regierung und Parlament weiterhin für den Umgang mit der        einer jüngsten Studie mit einem »brutalen Absacken« der
                       jüngeren Vergangenheit Südafrikas von großer Bedeutung.         Konjunktur in den afrikanischen Staaten – nach fünf Jahren
                                                                                       kräftigen Wachstums. Damit trifft die Krise ausgerechnet
                       Nach der fünfjährigen Präsidentschaft von Nelson Mandela        diejenigen am härtesten, die an ihrem Ausbruch am we-
                       wurde im Jahre 1999 Thabo Mbeki zum Präsidenten gewählt,        nigsten Schuld tragen: die Entwicklungs- und Schwellenlän-
                       der dem Land neue Impulse im Bereich der Außen- und Wirt-       der, von denen die meisten auf dem schwarzen Kontinent
                       schaftspolitik verlieh. So war Südafrika fortan maßgeblich      zu finden sind. Südafrika nimmt hierbei als Schwellenland
                       an der Umwandlung der »Organisation für afrikanische Ein-       und große Regionalmacht eine besondere Stellung ein. Die
                       heit« in die neue Institution »Afrikanische Union« beteiligt,   Republik erzeugt rund ein Viertel der gesamten wirtschaft-
                       welche sich ihrerseits in ihrem institutionellen Gefüge stark   lichen Leistung des afrikanischen Kontinents und gilt des-
                       an der Europäischen Union (EU) orientiert. Wirtschaftspo-       halb als dessen »Wirtschaftslokomotive«. Das Land verfügt
                       litisch verzeichnete die Präsidentschaft Mbekis insbeson-       über reiche natürliche Ressourcen, seine Vorkommen an
                       dere Erfolge im Baugewerbe. Allerdings schaffte es Mbeki in     Edelmetallen wie Gold und Platin sowie an Diamanten und
                       seiner zehnjährigen Amtszeit nicht, umfassende Verbesse-        Kohle zählen zu den größten der Welt. Anders als in den
                       rungen auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen. Die immens hohe       meisten anderen afrikanischen Ländern ist die verarbeitende
                       Arbeitslosigkeit vor allem unter der schwarzen Bevölkerung      Industrie in Südafrika ein starker Wirtschaftsfaktor. Der
                       bildet denn auch eine der schwersten Bürden für seinen          Goldhandel und der stark anwachsende Tourismus sind die
                       Nachfolger. Die größten Arbeitgeber Südafrikas sind heute       wichtigsten Devisenbringer des Landes. Von Südafrikas Ent-
                       der Handel, die verarbeitende Industrie, Sozialdienstleis-      wicklung wird auch die Entwicklung seiner Nachbarstaaten
                       tungen und die Finanzbranche.                                   in großem Maße betroffen sein.

                       Ein Unsicherheitsfaktor für die weitere politische und wirt-    Doch auch das Schwellenland Südafrika ringt heute mit den
                       schaftliche Entwicklung des Landes stellt die im Mai 2009       Folgen der globalen Rezession. Die Auswirkungen der Krise

                                                                                                         Bundeskanzlerin Angela Merkel und der
                                                                                                         Präsident von Südafrika, Jacob Zuma,
                                                                                                         kommen im Juli 2009 im italienischen
                                                                                                         L'Aquila zu einem bilateralen Gespräch
                                                                                                         zusammen. In L'Aquila fand der G8-
                                                                                                         Gipfel des Jahres 2009 statt, bei dem
                                                                                                         die Teilnehmer über die Krise der Welt-
                                                                                                         wirtschaft, den Klimawandel, die Ent-
                                                                                                         wicklungshilfe sowie außenpolitische
                                                                                                         Konflikte beraten haben.
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                       Politik & Unterricht • 1-2010                                                                                               9
Einleitung

erfassen wesentliche Wirtschaftssektoren des Landes. So ist     2010 einen stimulierenden Effekt auf die Wirtschaft in Süd-
aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise die Nachfrage nach     afrika haben. Der Staat fördert deshalb Infrastrukturprojekte
Rohstoffen eingebrochen. In Südafrika werden vornehmlich        wie Straßenbau und Investitionen im Bereich der Strom-
Platin, Diamanten und Gold gefördert, wobei der Export          erzeugung. Diese Maßnahmen sollen somit nicht allein der
von Platin von besonderer Bedeutung ist. Entsprechend der       Durchführung der FIFA-Weltmeisterschaft dienen. Sie sollen
weltweit gesunkenen Nachfrage nach Rohstoffen respektive        einen nachhaltigen positiven Effekt auf die wirtschaftliche
nach hochwertigem Schmuck setzte für diesen wirtschaft-         Entwicklung des Landes haben.
lichen Sektor ein Preisverfall ein, der wiederum den Abbau
der Stellen zur Folge hatte. Darüber hinaus ist die Automo-     Erschwerend wirkt sich in diesem Zusammenhang jedoch die
bilbranche von der weltweiten Wirtschaftskrise in beson-        derzeit schwache südafrikanische Währung aus. Der Rand
derem Maße betroffen, was gleichfalls Rückwirkungen auf         hat gegenüber dem Dollar und dem Euro im Jahre 2008 rund
diesen wirtschaftlichen Bereich Südafrikas zeitigte. Neben      30 Prozent seines Wertes eingebüßt. Damit verteuert der
dem Bergbau- und Minensektor bildet deshalb die Automobil-      schwache Rand die Importe, die auch für den Bau der Infra-
industrie einen wesentlichen Faktor für den Anstieg der         strukturmaßnahmen im Kontext der FIFA-WM notwendig
Arbeitslosigkeit am Kap. Bereits vor der globalen Krise lag     sind. Die ursprünglich veranschlagten Baukosten haben sich
die Arbeitslosenrate in Südafrika bei offiziell 25 Prozent,      deshalb inzwischen schon vervierfacht.
unter Einbezug der nicht aktiv Arbeitssuchenden jedoch bei
40 Prozent. Auch vor diesem Hintergrund ist Südafrika nach
wie vor eines der Länder der Welt mit der größten sozialen      Entwicklungshemmnisse: Korruption …
Ungleichheit. Der Gini-Koeffizient als Maßstab ungleicher        Es bleibt abzuwarten, ob der neue Präsident Jacob Zuma
Einkommens- und Vermögensverteilungen auf einer Skala           die in ihn gesetzten politischen und wirtschaftlichen Hoff-
zwischen 0 (Einkommen und Vermögen eines Staates sind           nungen wird erfüllen können. Die bisherige Biographie des
auf alle Bewohner gleichmäßig verteilt) und 1 (das gesamte      67-Jährigen gibt angesichts der zahlreichen Korruptions-
Vermögen eines Staates gehört einem einzigen Bewohner)          vorwürfe wenig Anlass dazu. Zuma stand 2005 wegen der
liegt in Südafrika bei 0,68, einem der weltweit schlechtesten   Vorwürfe der Geldwäsche, der Steuerhinterziehung, des Be-
Werte. Nach Einschätzung des »United Nations Development        trugs und der Korruption vor Gericht, wurde allerdings ein
Programme« leben 34,1 Prozent der 48 Millionen Südafrika-       Jahr später aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Die
nerinnen und Südafrikaner in Armut.                             Korruption stellt eines der fundamentalen Hindernisse für
                                                                eine nachhaltige politische und wirtschaftliche Entwick-
                                                                lung nicht nur im Schwellenland Südafrika, sondern in allen
Wirtschaftspolitische Ziele                                     Staaten auf dem Kontinent dar. Wer in Südafrika ein vom
Vor diesem Hintergrund gab der vormalige Finanzminister         Staat finanziertes Haus erwerben möchte, kommt an Mitar-
und jetzige Chef des wirtschaftlichen Planungsstabes, Trevor    beitern des ANC so wenig vorbei wie jemand, der von der
Manuel, in seiner letzten Haushaltsrede vor dem Parlament       Landreform profitieren möchte. Moeletsi Mbeki, Soziologe
im Februar 2009 fünf vorrangige wirtschaftspolitische Ziele     und Geschäftsmann sowie der Bruder des vormaligen Präsi-
aus:                                                            denten Thabo Mbeki, kommt in seinem neuesten Buch »Ar-
◗ Abbau der Armut                                               chitects of Poverty« zu dem Schluss, dass die afrikanischen
◗ stabiles Beschäftigungswachstum und mehr Ausbildungs-         Eliten ihre Staaten als Goldesel betrachten, den Lebensstil
  möglichkeiten                                                 der ehemaligen Kolonialherren nachäffen und keinerlei Ver-
◗ Stärkung der Wirtschaftskraft des Landes und Förderung        antwortungsgefühl für ihre Länder und deren nachhaltige
  von Investitionen                                             Entwicklung verspüren. Moeletsi Mbeki warnt deshalb vor
◗ Abbau von Hindernissen für mehr Chancengleichheit             den »parasitären politischen Eliten«, welche die Demokratie
◗ überschaubare Verschuldung, die Raum für die künftige         Südafrikas unterminieren.
  Entwicklung lässt.
                                                                In das Geflecht von Schmiergeldern und Korruption ist auch
Angesichts dieser Ziele hat die südafrikanische Regierung       das »Black Economic Empowerment«-Programm verstrickt,
die Erhöhung der Sozialausgaben angekündigt. Damit will         das ursprünglich als Instrument zur Förderung von Unter-
sie die Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise bekämp-      nehmensgründungen durch schwarze Geschäftsleute ins
fen. Die Sozialleistungen sollen verbessert werden, indem       Leben gerufen worden war. Damit sollte die während der Ära
das Kindergeld länger ausbezahlt und das Rentenalter bei        der Apartheid Jahrzehnte lang praktizierte Ausschließung
Männern auf 60 Jahre gesenkt wird. Auf diese Weise soll         schwarzer Unternehmer aus dem Geschäftsleben wieder-
verhindert werden, dass die Ärmsten am stärksten unter den      gutgemacht werden. Das Programm fördert ausschließlich
Folgen der globalen wirtschaftlichen Krise leiden. Auch im      schwarze Unternehmer und ist wegen zahlreicher Fälle des
Bereich der Bildung will die südafrikanische Regierung neue     Missmanagements und der Korruption inzwischen sehr in die
Anstrengungen unternehmen und die Ausgaben steigern.            Kritik geraten. Die Bekämpfung der Korruption wäre deshalb
                                                                als vorrangige Maßnahme für die nachhaltige Entwicklung
Darüber hinaus plant die südafrikanische Regierung eine         des Landes erforderlich.
Erhöhung der staatlichen Investitionsausgaben. In diesem
Zusammenhang soll die geplante Fußballweltmeisterschaft

10                                                                                                      Politik & Unterricht • 1-2010
Einleitung

                       … Kriminalität …                                                steht symbolisch ausgerechnet Präsident Jacob Zuma. Er
                       Die nach wie vor mangelhaften wirtschaftlichen und so-          war im Jahre 2005 in einem aufsehenerregenden Verge-
                       zialen Bedingungen großer Teile der schwarzen Bevölke-          waltigungsprozess vor Gericht gestanden, der im Mai 2006
                       rung sowie die Auswirkungen der Korruption gelten neben         mit Freispruch endete. Der Richter befand die 31-jährige
                       fremdenfeindlichen Ressentiments sowie dem Wettstreit um        Klägerin als nicht glaubwürdig. Zuma hatte den Geschlechts-
                       Arbeitsplätze, Wohnraum und Sozialleistungen als Ursachen       verkehr eingeräumt, aber erklärt, die HIV-positive Frau sei
                       für die ausländerfeindlichen Übergriffe, die im Mai 2008        damit einverstanden gewesen. Der Politiker rief insbeson-
                       insbesondere in den Elendsvierteln der Metropolen Johan-        dere auch bei Aids-Aktivisten Empörung mit der Aussage
                       nesburg und Kapstadt über sechzig Menschen das Leben            hervor, er habe kein Kondom benutzt, aber anschließend
                       kosteten. Dieses aufgrund der wirtschaftlich-sozialen Misere    geduscht, um das Risiko einer Infektion zu verhindern. Süd-
                       in den Townships stets präsente Gewaltpotenzial führte im       afrika ist eines der Länder, die am stärksten von der HIV/
                       Sommer 2009 abermals zu gewalttätigen Massenprotesten           Aids-Epidemie betroffen sind. HIV/Aids ist heute ein allge-
                       gegen Mängel im öffentlichen Dienst, wobei es erneut zu         genwärtiges Problem am Kap – kaum jemand ist nicht auf
                       Ausschreitungen gegen Zuwanderer aus anderen Teilen des         die eine oder andere Art davon berührt. Dennoch sterben die
                       afrikanischen Kontinents kam. So hatte die Polizei allein im    meisten Menschen im Verborgenen. Oft werden Tuberkulose,
                       Armenviertel der Stadt Balfour in der Provinz Mpumalanga        Lungenentzündung oder andere mit HIV/Aids verbundene
                       mehr als einhundert bedrohte Somali, Äthiopier, aber auch       Krankheiten als offizielle Todesursache genannt. Das Stigma
                       Chinesen und Pakistani vor wütenden Angreifern in Sicher-       der Krankheit lässt es nicht zu, dass Betroffene ihren Status
                       heit bringen müssen. Darüber hinaus waren in den Town-          der Öffentlichkeit preisgeben. Auch im Hinblick auf dieses
                       ships Straßenbarrikaden errichtet sowie passierende Autos       größte gesundheitliche Problem der Republik Südafrika gibt
                       mit Steinen beworfen und Läden von Ausländern, aber auch        die Präsidentschaft von Jacob Zuma wenig Anlass auf eine
                       Fahrzeuge und öffentliche Gebäude zerstört worden.              Wende hin zum Besseren. Doch vielleicht vermag die Fuß-
                                                                                       ballweltmeisterschaft im Sommer 2010 dem Land am Kap der
                       Zwar verurteilte Präsident Zuma die Übergriffe gegen Aus-       Guten Hoffnung wesentliche Impulse zur wirtschaftlichen
                       länder, doch stellt die Sicherheitslage in Südafrika ein pre-   und politischen Erneuerung zu geben. Einstweilen bleibt
                       käres Politikum dar. Südafrika hat eine der höchsten Krimi-     Südafrika das Land der Gegensätze und sozial tief gespalten –
                       nalitätsraten der Welt. Die Delikte reichen von Einbrüchen,     nach dem Ende der Rassentrennung und des Apartheid-
                       Raubüberfallen bis hin zum Mord. Besonders ausgeprägt ist       Staates bleibt der alte und neue Gegensatz zwischen Arm
                       die Gewalt gegenüber Frauen: Nach einem Bericht des süd-        und Reich.
                       afrikanischen »Medical Research Council« gab jeder vierte
                       befragte Mann an, er habe schon einmal oder mehrere Male
                       eine Frau oder ein Mädchen vergewaltigt.                        Fußballweltmeisterschaft 2010
                                                                                       »Jetzt kann ich beruhigt sterben«, sagte der damals 85-jäh-
                                                                                       rige Ex-Präsident Nelson Mandela, als Südafrika im Jahr 2004
                       … HIV/Aids-Epidemie                                             bereits im ersten Wahlgang von der FIFA den Zuschlag für die
                       Die sexuelle Gewalt gegenüber Frauen ist weiterhin mit der      Austragung der FIFA-Weltmeisterschaft 2010 erhielt. So wird
                       HIV/Aids-Epidemie verbunden. Für diese fatale Verbindung        nun also in Südafrika die erste Fußball-Weltmeisterschaft

                                                                                                          Die Krankheit Aids hat allein in Süd-
                                                                                                          afrika schon mehr als elf Millionen
                                                                                                          Kinder zu Waisen gemacht. Die Hälfte
                                                                                                          von ihnen ist zwischen zehn und 14
                                                                                                          Jahre alt. Die steigende Zahl afrika-
                                                                                                          nischer Kinder, die aufgrund von Aids
                                                                                                          bereits zu Waisen geworden sind, ist
                                                                                                          nur der Beginn einer Krise von gewal-
                                                                                                          tigem Ausmaß. Das Schlimmste wird
                                                                                                          noch kommen, warnt ein Bericht der
                                                                                                          UNICEF (»Afrikas verwaiste Genera-
                                                                                                          tion«). Das Foto zeigt ein Waisenkind
                                                                                                          in Kapstadt, das von einer Helferin
                                                                                                          einer internationalen Hilfsorganisation
                                                                                                          betreut wird.
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                       Politik & Unterricht • 1-2010                                                                                             11
Einleitung

                       auf dem afrikanischen Kontinent stattfinden. Dieses globale      Dynamik, die sich vom Apartheid-Regime nicht mehr kon-
                       Großereignis ist für das Land von hoher wirtschaftlicher,       trollieren ließ. Fußballplätze wurden so neben Sportstätten
                       gesellschaftlicher und nicht zuletzt symbolischer Bedeu-        zu wichtigen Versammlungsorten, an denen nicht nur über
                       tung. So soll die Fußballweltmeisterschaft nichts weniger       Sport diskutiert wurde. Bis zum Ende der Apartheid blieb
                       als auf den ganzen »vergessenen« afrikanischen Kontinent        der Fußball einer jener Bereiche, in dem die Kontrolle des
                       ausstrahlen und den Weg in eine bessere Zukunft weisen.         Staates nicht vollständig war. Der Fußball war aber auch
                       In Südafrika sorgte der Zuschlag für Jubelfeiern. Tausende      ein Bereich, in dem – in geringem Umfang – Rassenschran-
                       Menschen feierten euphorisch mit Hupkonzerten und Ju-           ken überwunden werden konnten. Obwohl es einen nach
                       belgeschrei die Entscheidung der FIFA. Viele schwenkten         Hautfarbe getrennten Spielbetrieb gab, war es zumindest
                       die südafrikanische Flagge. Zehn Jahre nach Einführung der      für weiße Spieler, wenn auch nicht ohne Repressionsandro-
                       Demokratie im einstigen Apartheid-Staat bedeutete die Aus-      hungen möglich, in den schwarzen Klubs zu spielen.
                       richtung der FIFA-WM ein wichtiges Signal für die Wirtschaft.
                       Verbesserungen in der maroden Infrastruktur stehen ebenso       Zwar ist die Rassentrennung formal seit dem Ende der Apart-
                       auf dem Plan wie die Bekämpfung der allgegenwärtigen Kri-       heid überwunden, der Besuch eines Fußballstadions und die
                       minalität und eine Reduzierung der sozialen Ungleichheit.       Berichterstattung in den Medien lassen jedoch kaum Zwei-
                       Die Weltmeisterschaft soll aber auch einen Beitrag zur He-      fel aufkommen, dass der südafrikanische Fußball weiterhin
                       rausbildung einer gemeinsamen Identität aller Südafrikaner      vor allem in der schwarzen Bevölkerung verwurzelt ist. Die
                       leisten.                                                        großen Vereine wie die »Kaizer Chiefs« oder die »Orlando Pi-
                                                                                       rates« stehen unter der Kontrolle von erfolgreichen schwar-
                       Ob sich durch dieses Großereignis tatsächlich die Rassen-       zen Unternehmern. Weiße sind allenfalls auf der Trainerbank
                       grenzen zumindest teilweise einreißen lassen, bleibt abzu-      zu finden, und dann sind es zumeist keine Südafrikaner. Auch
                       warten. Die Erfahrungen mit Rugby, der zweiten populären        in anderer Hinsicht ist der Fußball ein Spiegel der südafri-
                       Sportart Südafrikas, lassen ein gewisses Maß an Skepsis         kanischen Gesellschaft: So begegnet man auch hier extrem
                       angeraten erscheinen. Zwar wurde die südafrikanische Nati-      ungleichen wirtschaftlichen Verhältnissen, Korruption und
                       onalmannschaft 2007 zum zweiten Mal Weltmeister, jedoch         der allgegenwärtigen Gewalt. Im besten Fall wird die Welt-
                       entbrannten im Anschluss an diesen Erfolg heftige Dis-          meisterschaft dazu beitragen, diese gesellschaftlichen Pro-
                       kussionen über den Umstand, dass im Finale kein einziger        bleme zumindest ansatzweise zu lösen. Immerhin sind die
                       schwarzer Spieler zum Einsatz kam. Dies zeigt, dass auch        Organisatoren dazu gezwungen, sich mit Themen wie Sicher-
                       fast 15 Jahre nach dem Ende der Apartheid die populären         heit und Verkehr zu befassen und Lösungen zu entwickeln.
                       südafrikanischen Sportarten immer noch von einer Art »Far-      Und vielleicht geht ja auch im Windschatten der FIFA-WM
                       benlehre« geprägt sind. Die weiße Minderheit begeistert         für einige Menschen in den Townships der Traum von etwas
                       sich weiterhin in erster Linie für Cricket und Rugby, wäh-      wirtschaftlichem Erfolg in Erfüllung und die Spannungen
                       rend die schwarze Mehrheit Fußball bevorzugt. Der Fußball,      zwischen den Hautfarben, den Besitzenden und den Armen,
                       ursprünglich von britischen Siedlern in der zweiten Hälfte      zwischen Südafrikanern und Migranten weichen zumindest
                       des 19. Jahrhunderts ins Land gebracht, wurde dann im 20.       eine Zeit lang einem neuen Miteinander.
                       Jahrhundert zum »schwarzen« Sport. Die rasche Ausbreitung
                       des Fußballs in der schwarzen Bevölkerung entwickelte eine

                                                                                                          Jubel in Johannesburg: Südafrika-
                                                                                                          nische Fußballfans freuen sich am
                                                                                                          15. Mai 2004 darüber, dass Südafrika
                                                                                                          die Fußball-WM 2010 ausrichten darf.
                                                                                                          Mit einem überschäumenden Freuden-
                                                                                                          fest feierte das Land am Kap der Guten
                                                                                                          Hoffnung den historischen Zuschlag
                                                                                                          für die FIFA-WM, der ersten auf afrika-
                                                                                                          nischem Boden. Während von Kapstadt
                                                                                                          bis Johannesburg die Menschen nach
                                                                                                          der live übertragenen Entscheidung des
                                                                                                          Weltverbandes FIFA jubelnd auf die
                                                                                                          Straßen stürmten, lagen sich in Zürich
                                                                                                          die WM-Botschafter um ihre Symbol-
                                                                                                          figur Nelson Mandela überglücklich in
                                                                                                          den Armen.
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