TÄTIGKEITSBERICHT 2020 - MARIAMAGDALENA - KANTON ST. GALLEN

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MariaMagdalena

Tätigkeitsbericht
            2020
  Prävention und Gesundheitsförderung für
                 Personen im Sexgewerbe

                        Ein Präventions- und Gesundheitsförderungsprojekt
                     des Gesundheitsdepartementes des Kantons St.Gallen
Inhalt

Vorwort                                         3

Gesundheit und Prävention                       5
_ Statistik Gesprächsthemen                     4
_ Statistik Kontakte nach Herkunft              6
_ Statistik Kontaktorte                         8

ProPriS – Projekt Freierarbeit                  9
_ Statistik Aufsuche ProPriS                   10

Im Fokus
Covid-19 Pandemie: Auswirkungen auf die
Sexarbeit – in der Schweiz und St.Gallen   13 – 17

Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit           18

Personelles und Strukturelles                  19

Dank                                           20

                    1
2
Geschätzte Leserinnen und Leser

Das ausserordentliche Jahr 2020 hat mit der Coronakrise auch für die Arbeit im
Sexgewerbe massive Veränderungen und Herausforderungen mit sich gebracht. Der
erste Lockdown brachte eine vorübergehende Schliessung aller Betriebe; darauf
folgte eine Öffnung mit entsprechenden Schutzkonzepten und der zweite Lockdown
brachte eine Regulierung der Öffnungszeiten von 6 bis 19 Uhr. Was ist noch erlaubt,
wann und wie? Das waren Fragestellungen, welche die Sexarbeitenden und die
Beratungsstelle beschäftigten. Welche Folgen die Einschränkungen und Verbote im
Sexgewerbe nach sich ziehen, steht im Fokus dieses Tätigkeitsberichtes.
Durch die Coronakrise erlitten die meisten Sexarbeitenden massive finanzielle Ein-
bussen und es kam zu existenziellen Notlagen. Die Beratungsstelle Maria Magdalena
wurde zur Anlaufstelle für Überbrückungs- und Nothilfe. Dank dem Spendenfonds,
der neben Einzelspenden hauptsächlich aus Geldern der Glückskette gespeist wurde
und anderen Mitteln wie Essensgutscheinen der Caritas konnten viele Sexarbeitende
mit dem Nötigsten versorgt werden.
Selbstverständlich kamen auch im Coronajahr 2020 in der Aufsuche und in den Be-
ratungsgesprächen die STI-Präventions- und Gesundheitsthemen nicht zu kurz. Die
Senkung der STI-Rate (sexuell transmitted infections) blieb ein wesentliches Ziel.
Exakt im mit Einschränkungen gebeutelten letzten Jahr startete bei Maria Magdalena
das Projekt ProPriS (Projekt Prävention im Sexgewerbe) mit der Zielgruppe der Freier.
Innert zwei Jahren soll ausgelotet werden, wie man die Freier mit Präventionsbot-
schaften erreichen kann. Trotz des Lockdowns konnte für dieses Projekt wesentliche
Aufbau- und Konzeptarbeit geleistet werden, die im Bericht aufgeführt sind.
Auch personell war 2020 ein besonderes Jahr. Die Teamleiterin Susanne Gresser
ging nach 12 Arbeitsjahren bei Maria Magdalena im Mai in die Pension und Margot
Vogelsanger trat im selben Monat ihre Nachfolge an.

Wie immer an dieser Stelle bedanke ich mich herzlich bei allen Teammitgliedern von
Maria Magdalena für ihre wertvolle Arbeit und ihr professionelles Engagement.

Martina Gadient
Gesundheitsdepartement des Kantons St.Gallen

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Statistik Gesprächsthemen

                  4 % Soziale Themen

                          6%    Recht

                    7%     Finanzen

15 % Profession

      68 % Gesundheit und Prävention

                     4
Gesundheit und Prävention

Maria Magdalena setzt sich zum Ziel, die         Maria Magdalena bekannt zu machen, In-
Gesundheit und die Lebensqualität von            formation zu Gesundheit, zur Vermeidung
im Sexgewerbe arbeitenden Personen               von Ansteckung von sexuell übertrag-
zu verbessern, ihre Sozialkompetenz zu           barer Krankheiten sowie Unterstützung
fördern und den Zugang zu Angeboten              und Vermittlung von medizinischen Tests
im Gesundheits- und Sozialbereich sowie          und Untersuchungen anzubieten. Neben
im Rechtssystem zu ermöglichen.                  den Themen Gesundheit und Prävention
Damit leistet die Beratungsstelle einen          welche 68% der Gesprächsthemen aus-
wesentlichen Beitrag zur Prävention von          machten) wurde u.a. auch über die Pro-
sexuell übertragbaren Krankheiten (STI,          fession (15%), Finanzen (7%), Recht (6%)
HIV).                                            gesprochen. (Siehe Grafik Seite 4). Über
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von         300 Bons für kostenfreies Testing wurden
Maria Magdalena sind zuständig für:              abgegeben, 165 Personen wurden für
                                                 das Testing bei der Infektiologie des Kan-
• Prävention und Gesundheitsförde-               tonsspitals St. Gallen angemeldet.
rung in den Angeboten des Sexge-
werbes im Kanton St. Gallen mittels              Wie bereits in den vorangegangenen Jah-
aufsuchender Sozialarbeit                        ren gab es im Berichtsjahr wenig Verän-
• Unterstützung von im Sexgewerbe                derung bezüglich der Herkunftsländer der
arbeitenden Einzelpersonen und                   Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter: 73%
Personengruppen durch Information,               stammen aus Europa; 16% kommen
Beratung und Begleitung                          ursprünglich aus Asien, 11% aus Mittel-
• Umsetzung des nationalen Präven-               und Südamerika. (Siehe Grafik Seite 6).
tionsangebotes «Aidsprävention im                Aus den übrigen Weltteilen wurden keine
Sexgewerbe» (APiS) im Kanton                     Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter ange-
St. Gallen.                                      troffen.

Während des Berichtsjahres haben die             Durch das langjährige Bestehen von Maria
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 645             Magdalena besteht ein guter Überblick
Kontakte mit Sexarbeiterinnen und Sex-           über die Salons, Kontaktbars und weitere
arbeiter an ihren Arbeitsorten gepflegt:          Orte, wo Sexarbeit auf dem Gebiet des
Ziel dieser aufsuchenden Sozialarbeit ist,       Kantons St. Gallen angeboten wird. Regel-
Kontakte zu knüpfen, das Angebot von             mässige Aufsuche gewährt Beziehungs-

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Statistik Kontakte nach Herkunft

                                                        Nordamerika 0 %
                                                             Afrika 0 %

Europa 73%
                                             Mittel- und
                                             Südamerika 11%

                                 Asien 16%

                          6
konstanz sowie das Erkennen von Ver-           Alltag sowie die Einkünfte massiv verän-
änderungen. Die Einschränkungen auf-           derte und ein hoher Bedarf an psycho-
grund der Pandemie führten vielerorts zu       sozialer Beratung entstand. Finanzielle
grossen wirtschaftlichen Einbussen bis         Ängste und Nöte wurden omnipräsent.
hin zu Schliessungen.                          Die Gespräche fanden teilweise in den
Im Berichtsjahr bestand die sektorale          Beratungsräumlichkeiten statt, viele
Verteilung der Lokale im Sexgewerbe wie        aufgrund der Coronamassnahmen aber
aufgeführt: Salon 78%, Kontaktbar 13%,         auch telefonisch.
Sauna 3%, Table Dance 3%, Nachtclub
2%, Bar 1%. (Siehe Grafik Seite 8).        Ebenso wurde die Beratungsstelle für
                                           viele eine wichtige Informationsquelle im
Im Rahmen des Projektes ProPriS wurden Hinblick auf die jeweiligen Änderungen in
insgesamt 40 Lokalbesuche getätigt. Bei den Bestimmungen über Massnahmen,
10 Besuchen war das Lokal allerdings –     Arbeitseinschränkungen, Anforderungen
aufgrund der aktuell eingeschränkten       an Schutzkonzepte sowie die Übersicht
Möglichkeiten und der schwierigen Wirt-    über die unterschiedlichen kantonalen
schaftslage – geschlossen. (Siehe Grafik   Gegebenheiten. Bei jeder Veränderung
Seite 10).                                 konnten unmittelbar und in einfacher
                                           Sprache alle Kontakte (circa 350) über
Die Aufsuche fand 2020 aufgrund der        Kurznachrichten direkt informiert wer-
COVID-19-Pandemie unter neuen und          den, was äusserst geschätzt wurde. Der
teilweise herausfordernden Umständen Dachverband für Sexarbeit, ProCoRe,
statt: Während des ersten Lockdowns        stellte auf seiner Internetseite seit Anbe-
war das Anbieten von sexuellen Dienst-     ginn der Pandemie wichtige und relevan-
leistungen verboten, die Salons geschlos- te Informationen zur Verfügung. Ebenso
sen, die Sexarbeitenden ohne reguläres     hat er ein Schutzkonzept ausgearbeitet,
Einkommen. Im zweiten Lockdown Ende welches Betriebe als Vorlage nutzen kön-
2020 waren die Arbeitszeiten auf die Zeit- nen. Diese Schutzkonzepte hat das Team
spanne zwischen 6 – 19 Uhr beschränkt,     von Maria Magdalena in der aufsuchen-
entsprechend den Bestimmungen auch         den Arbeit verteilt und erläutert.
für andere Dienstleistende.
Neben der Aufgabe der Prävention rückte
die Sorge um das Wohlergehen vieler
Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter ins
Zentrum. Vertieft wird dies ab Seite 13
beschrieben.

Ergänzend zur Aufsuche bietet Maria
Magdalena Sexarbeitenden wie auch
anderen Personen im Bereich des
Sexgewerbes Beratung an. Dies wurde
2020 stark beansprucht: 659 Beratungs-
gespräche fanden statt. Dabei wurde
deutlich, dass die Krise die Arbeit, den

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Statistik Kontaktorte

Bar 1%
Nachtclub 2%
Table Dance 3%
Sauna 3%

Kontaktbar 13%

Salon 78%

                        8
ProPriS – Projekt Freierarbeit

Das Jahr 2020 stand im Zeichen der gras-          besondere in den wirtschaftlich ausser-
sierenden Pandemie. Der Sektor Sexar-             ordentlich schwierigen Pandemiezeiten
beit wurde im besonderen Masse getroffen.         nicht selbstverständlich, da die Präsenz
So haben mehrwöchige komplette und                eines Präventionsmitarbeiters bei Besuch
teilweise behördliche Schliessungen der           eines Betriebs durch einen Teil der Kun-
Betriebe sowie die Angst vor einer Infek-         dinnen und Kunden subjektiv auch als ir-
tion mit dem Virus zu einem gravierenden          ritierend wahrgenommen werden könnte.
Einbruch der Kundenzahlen geführt, was            Die dennoch hoch gebliebene Akzeptanz
während der Anlässe an Aufsuchen in               erscheint einerseits als ein Hinweis für
den Betrieben deutlich spürbar gewesen            das jahrelange vertrauensvolle Verhältnis
ist. So musste der ProPriS-Projektverant-         zwischen Maria Magdalena und ProPriS
wortliche das Fehlen von Kunden wäh-              auf der einen sowie den Betreibenden
rend der Aufsuchen nahezu unabhängig              und den Sexarbeiterinnen und Sexarbei-
von Uhrzeit und Wochentag feststellen,            tern auf der anderen Seite. Andererseits
so dass als Folge nur eine verhältnismäs-         deutet die Kooperation der Betriebe
sig geringe Zahl von Präventionskontak-           auch auf ein entsprechend entwickeltes
ten mit der Kundschaft von Sexarbeite-            Problembewusstsein betreffend die STI-
rinnen und Sexarbeitern im letzten Jahr           Problematik und der Notwendigkeit von
möglich gewesen sind. Dessen unbenom-             innovativen Herangehensweisen in der
men konnten wichtige Erkenntnisse für             Prävention hin.
das Projekt gewonnen werden, die in die
fachliche Weiterentwicklung einfliessen           Im Zuge des ersten Projektjahres konn-
werden. Sie umfassen mehrere Aspekte              ten auf Grundlage des vorgenommenen
des thematischen Einbezugs wichtiger              Problem- und Ressourcenassessments
Stakeholder, wie zum Beispiel die der             PR- und Arbeitsmaterialien konzipiert
Betreibenden, der Sexarbeiterinnen und            und umgesetzt werden, die die Kontakt-
Sexarbeitern und der Kundschaft. So               aufnahme mit der Zielgruppe erleichtern
konnte festgestellt werden, dass die              sowie die Wahrnehmung und Reichweite
Akzeptanz des Projekts seitens der Be-            von ProPriS und dessen Inhalten stärken
treibenden im Kanton St.Gallen gross ist          sollen. In der Perspektive erscheinen
und die allergrösste Mehrheit der für die         diese Materialien, u.a. Sticker und Flyer,
Aufsuche in Frage kommenden Betriebe              geeignet, das Projekt nach deren Ein-
den Zutritt ermöglicht. Dies erscheint ins-       führung in die tägliche Präventionsarbeit

                                              9
Statistik Aufsuche ProPriS

Von insgesamt
40 Lokalen:

                27 Lokale        10 Lokale     3 Lokale
                besucht          geschlossen   keinen Einlass

                            10
auf eine neue Ebene zu heben. Dies, da
Kernbotschaften der Prävention mit den
erwähnten Materialien auch ohne Kontakt
mit einem Präventionsbeauftragten in der
Zielgruppe zirkulieren bzw. zur Kenntnis
genommen werden können. Insofern ist
ProPriS für eine «Neueröffnung» des
Sexgewerbes nach zu erwartender Been-
digung der weiterhin bestehenden Ein-
schränkungen gut aufgestellt und vorbe-
reitet.

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Pandemie und Sexarbeit

    Schätzungsweise gehen
    jährlich in der Schweiz
  13‘000 – 20‘000 Personen
    der Sexarbeit nach, die
zwischen 0.5 – 1.5 Mrd. CHF
         pro Jahr umsetzen.

                                      12
Im Fokus
             COVID-19 Pandemie: Auswirkungen auf die Sexarbeit -
                        in der Schweiz und St. Gallen

   Wir brauchen vier Umarmungen pro                    tenden existieren keine Zahlen. Ebenfalls
Tag zum Überleben.                                     bestehen keine Daten zu den im Land
   Wir brauchen acht Umarmungen pro                    verbliebenden Sexarbeitenden nach In-
Tag zum Leben.                                         krafttreten der Reisebeschränkungen. Die
   Wir brauchen zwölf Umarmungen pro                   Auswirkungen von Reisebeschränkungen
Tag zum Wachsen.                                       auf das Sexgewerbe sind auch für die Zeit
    Virginia Satir (Amerikanische Familientherapeutin) nach Aufhebung des Betätigungsverbots
                                                       spürbar. So konnte festgestellt werden,
Sexarbeit ist in der Schweiz legal. Sie wird dass in einzelnen Betrieben deutlich weni-
unter Anwendung diverser bundesrechtli-                ger Dienstleisterinnen als sonst üblich der
cher, kantonaler und gemeinderechtlicher Sexarbeit nachgingen. Es kann angenom-
Gesetze und Verordnungen reguliert, u.a.               men werden, dass dies eine Folge der
durch Aufenthaltsrecht, Arbeits- und Steuer- wechselseitig und lagebedingt vorgenom-
recht, Prostitutionsgesetze, kommunale                 menen verschärften Regelungen der Staa-
Zonenplanung.                                          ten hinsichtlich Ein- und Ausreise sowie zu
Auf Grundlage bundesrätlicher Verordnun- Quarantäneregelungen ist.
gen war während des ersten Lockdowns                   Die von den Auswirkungen der Verordnung
im Frühjahr das Anbieten jeglichen sexuellen betroffenen Sexarbeitenden sind, je nach
Dienstleistungen in der Schweiz untersagt persönlicher und finanzieller Situation,
und mit Geldbusse oder Freiheitsstrafe bei schlagartig in eine existenzbedrohende
Zuwiderhandlung bewehrt. Infolgedessen                 Lage versetzt worden, da sie kein Ein-
kam das regulierte Sexgewerbe – jährlich               kommen mehr generieren und etliche von
gehen in der Schweiz schätzungsweise                   ihnen keine Leistungen der Arbeitslosen-
13.000 – 20.000 Personen (reale jährliche versicherung oder der Sozialhilfe geltend
Stellenzahl zirka 6000) der Sexarbeit nach, machen konnten / können. Einerseits, weil
die damit hochgerechnet zwischen 0,5 –                 sie trotz Wohnsitz in der Schweiz keine
1,5 Mrd. Franken pro Jahr umsetzen – zum oder in nicht ausreichender Form Sozial-
totalen Erliegen.                                      versicherungsabgaben abgeführt haben.
                                                       Andererseits, weil sie ohne festen Wohn-
Ein Teil der ausländischen Sexarbeitenden sitz in der Schweiz nur für einige Monate
trat im März rechtzeitig vor dem Lockdown zur Arbeit einreisen und daher nicht zum
die Heimreise an. Über den Umfang der                  Kreis der Anspruchsberechtigten gehören.
Rückreisetätigkeit ausländischer Sexarbei- Letzteres gilt auch für EU / EFTA-Bürger

                                               13
und Bürgerinnen im Sexgewerbe. Darüber             vention schwerpunktmässig zu materieller
hinaus erscheint das sogenannte «Huren-            Nothilfe (Verteilung von Lebensmittelgut-
stigma», also die mit der Tätigkeit verbun-        scheinen, Vermittlung und Kostenüber-
dene Ausgrenzung und Benachteiligung               nahme von Übernachtungen im Einzelfall,
sowie möglicherweise drohende ein-                 finanzielle Unterstützungen bei ausste-
bürgerungs- oder aufenthaltsrechtliche             henden dringenden Rechnungen) und Be-
Konsequenzen verantwortlich für die feh-           ratung bei Fragen zur Existenzsicherung
lende Existenzsicherung. In der Schweiz            sowie psychosozialer Beratung verscho-
niedergelassene Sexarbeitende, die über            ben. Die Frequentierung der Mitarbeiterin-
Jahre hinweg Sozialabgaben geleistet               nen von Maria Magdalena durch Rat und
hatten, können Anspruch auf Taggelder              Unterstützung suchende Sexarbeitende
bei selbständiger Erwerbstätigkeit resp.           hat im Vergleich zu der Zeit vor dem Lock-
Kurzarbeit in Betrieben stellen.                   down signifikant zugenommen.

Im Kanton St. Gallen war die Sexarbeit             Aufgrund der existentiellen Not gingen
während des Lockdowns der zweiten Jah-             trotz der behördlichen Massnahmen eine
reshälfte tagsüber bis 19 Uhr erlaubt.             Anzahl der Sexarbeitenden ihrer Arbeit
Sexarbeit findet üblicherweise zu anderen           im Verborgenen oder Halbverborgenen
Zeiten statt, nämlich wenn die Kunden              weiterhin nach. Die möglichen Folgen
keinen beruflichen oder privaten Verpflich-          der illegalen Sexarbeit sind aktuell für die
tungen nachgehen. In den Clubs musste              Sexarbeitenden vielgestaltig bedrohlich.
die Bar geschlossen bleiben. Überall waren         Demnach lässt die beschriebene ausser-
die Einkünfte massiv reduziert. Den An-            ordentlich prekäre finanzielle Situation
spruch auf Kurzarbeit und Taggelder konn-          viele Sexarbeitende neben der Gefahr
ten versicherte Selbständige sowie Arbeit-         eines Strafverfahrens unter anderem auch
geberinnen und Arbeitgeber stellen. Eine           erhebliche Risiken für die eigene Gesund-
vorübergehende Totalschliessung hätte              heit und persönliche Sicherheit eingehen.
allerdings mehr Klarheit und Sicherheit an-        Der Grund hierfür ist, dass einige Kunden
geboten im Hinblick auf Entschädigungen,           in dieser ausserordentlichen Lage den
auf den Interpretationsspielraum dessen,           Versuch unternehmen, die Preise der sex-
was erlaubt ist und sie hätte verhindert,          uellen Dienstleistungen zu drücken oder
dass St .Gallen aufgrund der Einschränkun-         zusätzliche riskante sexuelle Dienstleistun-
gen und Schliessungen der anderen Kan-             gen ohne finanzielle Gegenleistung aus-
tone zu einem Magnet sowohl für Arbeits-           zuhandeln.
suchende als auch für Freier wurde.
                                                   Aufgrund der Corona Pandemie erlebte die
Die prekäre Arbeitssituation aufgrund der          Sexarbeit – wie manches andere Gewerbe
Pandemie hat spürbare Konsequenzen für             ebenfalls – eine teilweise wie auch eine
den Beratungsalltag der entsprechenden             ganze Schliessung über einen gewissen
Fachberatungsstellen. So hat sich der Un-          Zeitraum hinweg, mit grossen kantonalen
terstützungsschwerpunkt der Fachstelle             Unterschieden. Aus diesen Erfahrungen
Maria Magdalena nach dem einschlägigen             lassen sich Rückschlüsse ziehen, was
Erlass der Verordnung des Bundesrats               geschehen würde, wenn das Sexgewerbe,
nahezu schlagartig von Aufsuche und Prä-           nicht aus wie aktuell gesundheitlichen,

                                              14
sondern aus gesellschaftspolitischen                 mit den Auswirkungen der Finanzkrise
Gründen verboten würde, wie dies bereits             2008 – werden vermehrt Menschen zu
in einigen europäischen Ländern der Fall             einem (Wieder-) Einstieg in das Sexgewer-
ist. Illegalität im Sexgewerbe birgt ein             be veranlassen. Folgen sind ein Überan-
grosses soziales und gesundheitliches                gebot, tiefere Preise und die Gefahr von
Risiko, sowohl für die Sexarbeitenden als            verstärkter Gewalt und Ausbeutung.
auch für die Gesellschaft. Konkret feststell-
bare Folgen sind:                                    • Ein Verbot schneidet einzelne Sexarbei-
                                                     tende zumindest tendenziell von medizini-
• Ein Verbot sexueller Dienstleistungen              schen, psychologischen und sozialarbei-
gefährdet unabhängig von Ziel und Dauer              terischen Beratungs- und Unterstützungs-
der gesetzlichen Regel die Sicherheit der            angeboten ab. Die Vermeidung von ent-
Sexarbeitenden. Faktisch rechtlos gestellt           sprechenden Angeboten «schützt» die
bzw. aus wirtschaftlichen und existenziellen         Sexarbeitenden aus deren Perspektive vor
Gründen zur Arbeit ausserhalb des Ge-                Verdächtigungen der illegalen Betätigung
setzes gedrängt sind diese anfälliger für            und so anzunehmender strafrechtlicher
Missbräuche und Zwang seitens der Kund-              Verfolgung. Auf diese Weise wird den
schaft und für Repressionen und rechts-              Sexarbeitenden der Zugang zu wichtigen
missbräuchliche Behandlungen seitens                 Unterstützungsangeboten erschwert.
Behörde.                                             Armut und Illegalität belasten Sexual
                                                     Health: der Kauf von Kondomen sowie
• Ein Verbot gefährdet ernstlich die wirt-           HIV und STI Testing unterliegen einer hö-
schaftliche Existenz der Sexarbeitenden              heren Schwelle und werden vernachlässigt.
und ggf. die deren Familien im Heimatland.
Das Nachgehen der Sexarbeit ist somit                • Ein Verbot schneidet Menschen jeglicher
von existenzieller Bedeutung und wird auch           Geschlechtsidentität und sexueller Orien-
unter Inkaufnahme grosser Risiken für die            tierung von der Möglichkeit ab, eigenver-
eigene Gesundheit, die eigene Sicherheit             antwortlich und innerhalb eines klar
sowie möglicher Strafverfolgung verfolgt.            definierten, beidseitig akzeptierten und
                                                     legalen Handlungsrahmens dem mensch-
• Ein Verbot setzt aufgrund signifikanter             lichen Grundbedürfnis nach sexueller Inter-
marktwirtschaftlicher Verschiebungen im              aktion und Intimität nachgehen zu können.
Sexgewerbe die Preise für die Dienstleis-            Aus der gesellschaftspolitischen, psycholo-
tungen der Sexarbeitenden unter Druck.               gischen und präventionsmedizinischen
Diese sehen sich daher gezwungen, un-                Perspektive ist dies vor allem im Hinblick
sichere oder aber gewaltbezogene Prakti-             auf jene Menschen problematisch, die
ken anzubieten, um auf den nötigen exi-              aus diversen Gründen nicht oder nur sehr
stenzsichernden Umsatz zu kommen. Es                 schwer Sexualpartnerinnen und -partner
kann davon ausgegangen werden, dass                  gewinnen können. Hier sind insbesondere
die entsprechenden Verschiebungen im                 jene Menschen zu zählen, die über eine
Markt auch Nachwirkungen haben auf                   oder mehrere, ggf. als Stigma aufgefasste
die zukünftige Preis- und Leistungsaus-              Eigenschaften verfügen, wie z.B. Trans-
gestaltung. Die gravierenden globalen                menschen, Menschen mit psychischen,
wirtschaftlichen Spätfolgen – vergleichbar           geistigen oder körperlichen Behinderun-

                                                15
gen, betagte Menschen, Menschen aus                nen. Als solche können all jene Eigen-
anderen Kulturkreisen. Eine Erschwerung            schaften zählen, die die Sexarbeitenden
der Aufnahme von sexuellem Kontakt birgt           auf der einen Seite zu einer verlässlichen
die Gefahr von weitreichenden gesund-              und absprachefähigen Arbeitnehmerin
heitlichen Einschränkungen und bemerk-             macht. Auf der anderen Seite sind ver-
baren sozialen Konflikten, nicht nur am             stärkt solche Charakterzüge und Verhal-
Rande der Gesellschaft.                            tensweisen gefragt, die die Sexarbeite-
                                                   rinnen und Sexarbeiter zu angenehmen
• Ein Verbot fordert eine besondere Re-            Gesprächspartnerinnen und Gesellschaf-
silienz der Sexarbeiterinnen und Sexarbei-         tern machen.
ter, die trotz fehlender Legalität der Sex-
arbeit nachgehen. Der auf ihnen lastende           Covid-19 ist nicht nur eine grosse Heraus-
Verfolgungsdruck der Strafverfolgungs-             forderung für die Gesundheit der Mensch-
und Ordnungsbehörden erhöht die                    heit und die wirtschaftliche Stabilität,
psychische Belastung und tritt zu jenen            sondern auch ein Test von menschlicher
resultierend aus dem grundsätzlichen We-           Solidarität. Menschen am Rande der Ge-
sen der Arbeit, der Sorge um die eigene            sellschaft sind verstärkt gefährdet – viele
wirtschaftliche Existenz, der Sorge um             Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter gehören
die eigene Gesundheit hinzu. Zum Risiko            aufgrund ihrer Herkunft, ihres sozialen
der Ansteckung von sexuell übertragbarer           und wirtschaftlichen Standes, ihres Ge-
Krankheiten ist die Angst vor Covid hinzu-         schlechts und ihrer ökonomischen Lage
gekommen.                                          zur vulnerablen Gruppe. Sexarbeiterinnen
                                                   und Sexarbeiter gehören zur Gruppe der
• Die entsprechend wahrgenommene                   Care-Taker wie auch Pflegerinnen, Kinder-
Scham, resultierend aus dem Nachgehen              betreuer, Hausangestellte, etc. Sexuelle
einer verbotenen Arbeit, fördert die ohne-         Befriedigung, körperlicher Kontakt, Berüh-
hin teilweise bestehenden Vorbehalte von           rungen sind für viele Menschen ein Grund-
Sexarbeitenden gegenüber (halb-) staat-            bedürfnis, welches gerade in der Pandemie
lichen Unterstützungsinstitutionen und             schmerzhaft zu kurz kommt. In diesem
sorgt für eine verstärkte soziale Isolation        Sinne leisten Sexarbeitende einen essen-
und Desintegration.                                tiellen Beitrag zur Gesunderhaltung der
                                                   Gesellschaft; ihre Dienstleistungen müssen
Abseits von den oben dargelegten negati-           anerkannt und geschützt werden.
ven Folgen eines Prostitutionsverbots hat
die andauernde Pandemie weitere Folgen
für die Tätigkeit der Sexarbeiterinnen und
Sexarbeiter. So weisen die zu verzeich-
nenden Entwicklungen darauf hin, dass
neben kreativen und auch lukrativen
zusätzlichen Angeboten (wie z.B. Video-
Chats, Pornoindustrie) zunehmend «softe»
Persönlichkeitseigenschaften wichtiger
werden, um in der Sexarbeit ein entspre-
chendes Auskommen generieren zu kön-

                                              16
Pandemie und Sexarbeit

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Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit

2020 stand eine würdige Jubiläumsfeier             Auf regionaler Ebene wurden durch Maria
zum 20-jährigen Bestehen von Maria                 Magdalena Notunterkünfte organisiert und
Magdalena an – weit gediehene Vorberei-            mitfinanziert, mit grosszügiger Unterstüt-
tungen wurden getroffen, schlussendlich            zung der Caritas Gutscheine für die Grund-
musste die geplante Veranstaltung vom 7.           versorgung mancher Sexarbeiterinnen und
Mai 2020 aufgrund des ersten Lockdowns             Sexarbeiter verteilt und Triage zu staatli-
zu unserem grossen Bedauern abgesagt               chen Hilfsangeboten vorgenommen.
werden.
Auch etliche geplante Vernetzungstreffen           Wir konnten einige Medienanfragen und
auf nationaler sowie regionaler Ebene wur-         Interviewbeteiligungen verzeichnen und
den wegen der Pandemie nicht durchge-              durften unsere Arbeit bei Interessengruppen
führt. In der zweiten Jahreshälfte fand der        sowie an der Fachhochschule für Soziale
Austausch der Mitglieder von ProCoRe,              Arbeit vorstellen. Drei Arbeiten von Schü-
dem nationalen Netzwerk zur Verteidigung           lerinnen verschiedener Ausbildungsstufen
der Interessen von Sexarbeitenden in der           zum Thema Sexarbeit wurden von uns
Schweiz, digital statt.                            unterstützt.
Die Treffen der Runden Tische ‚Menschen-
handel‘ sowie ‚Sexarbeit‘ fielen pandemie-
bedingt aus.

Dafür organisierte und koordinierte die
Beratungsstelle situations- sowie klienten-
bezogen schnell und unbürokratisch
finanzielle Nothilfe: Via ProCoRe konnten
Gelder bei der Glückskette bezogen wer-
den, die im Bedarfsfall an die Klientinnen
und Klienten verteilt wurden. Es wurden
Schutzkonzepte für die Anbieter sexueller
Dienstleistungen ausgearbeitet, um eine
möglichst schnelle und gesundheitlich
sichere Wiedereröffnung der Lokale zu
ermöglichen.

                                              18
Personelles und Strukturelles

Ende Mai wurde Susanne Gresser pen-                Martina Gadient   Fachbereichsleiterin
sioniert. 12 Jahre lang war sie für Maria                            Sexual Health
Magdalena tätig: ab Sommer 2008 als
Mitarbeiterin, ab Januar 2015 als Teamlei-         Dobrila Geiger                    50%
terin hat sie mit viel Herzblut und grosser
Sachkenntnis die Beratungsstelle geprägt           Susanne Gresser   bis 31.05.2020 70%
und mitentwickelt.
Am 1. Mai trat Margot Vogelsanger ihre             Marija Possa                      70%
Nachfolge an.
                                                   Margot Vogelsanger ab 01.05. 2020 80%
Die Beratungsstelle Maria Magdalena
gehört zum Gesundheitsdepartement des              Michael Walser                    40%
Kantons St.Gallen und untersteht dem
Kantonsarztamt, welchem eine Vielzahl
von Themen aus den Bereichen Gesundheit
und Krankheit zugeordnet sind. Der Fach-
bereich Sexual Health hat zum Ziel, die
Anzahl Neuinfektionen von HIV und ande-
ren sexuell übertragbaren Infektionen (STI)
zu senken und gesundheitsschädigende
Spätfolgen zu vermeiden. Maria Magda-
lena setzt sich dafür ein, die Gesundheit
und die Lebensqualität der im Sexgewerbe
arbeitenden Personen zu optimieren, ihre
Sozialkompetenz zu fördern und den Zu-
gang zu Angeboten im Gesundheits- und
Sozialbereich sowie im Rechtssystem zu
ermöglichen.
Damit leistet die Beratungsstelle einen
wesentlichen Beitrag zur Prävention von
STI und HIV.

                                              19
Dank

Wir danken:
• allen Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern und den Betreiberinnen und Betreibern
  der Lokale für ihr Vertrauen
• unseren Vernetzungspartnerinnen und -partnern sowie den städtischen,
  kommunalen und kantonalen Behörden für die gute Zusammenarbeit
• dem Personal der Infektiologie des Kantonsspitals St.Gallen und allen nieder-
  gelassenen Gynäkologinnen im Kanton St.Gallen, die Sexarbeiterinnen und
  Sexarbeitern niederschwellig und zeitnahe Termine vergaben
• den Arbeitskolleginnen und -kollegen des Gesundheitsdepartementes vom
  Kanton St.Gallen für ihren Support
• unseren Spenderinnen und Spendern, die unsere Arbeit wesentlich unterstützen
• der Glückskette und der Caritas, die uns dieses Jahr sehr grosszügig und
  unkompliziert ermöglichten, etliche Notlagen abzuwenden
• der Bevölkerung des Kantons St. Gallen für ihre Unterstützung und gesellschaft-
  liche Solidarität
• Ihnen für Ihr Interesse für das Thema Sexarbeit und an unserer Beratungsstelle

Team Maria Magdalena:
Dobrila Geiger, Marija Possa, Margot Vogelsanger, Michael Walser

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MariaMagdalena
Beratungsangebot
für Personen im Sexgewerbe
Friedaustrasse 1
9000 St.Gallen

Fon 058 229 21 67
info.mariamagdalena@sg.ch
Skype: mariamagdalenast.gallen
www.mariamagdalena.sg.ch
Postkonto 90-735716-8

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