Theorie & Wissenschaft - Was ist eine Theorie? Was ist Wissenschaft? Ist Informatik eine Wissenschaft? - Online-Campus Hochschule Landshut
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Theorie & Wissenschaft Was ist eine Theorie? Was ist Wissenschaft? Ist Informatik eine Wissenschaft? 1
Ich hätte so gern einen Dr.-Titel K.-T. Freiherr zu Guttenberg (2009), GuttenPlag, VroniPlag Verfassung und Verfassungsvertrag. Im Feb. 2011 wurde das Wiki GuttenPlag gegründet, um Plagiatsvorwürfen bei der Dissertation von Guttenberg nachzugehen. Im Wiki VroniPlag wurden bislang (Juni 2021) 211 Dissertationen untersucht. Mehr als 80 Dr.-Titel wurden in der Folgezeit aberkannt. Hörenswert: Die Prinzen, Alles nur geklaut feat. Dr. Quelle: https://guttenplag.wikia.org/de/wiki/GuttenPlag_Wiki Guttenberg. Gemeinfrei. 2
Murmelgruppe: Wissenschaft I also witnessed the growing politicization of science, including the vocalization of an anti- science mentality from various elected leaders... Neglect, distrust, and willful disrespect of scientific expertise are horrifyingly evident. (Celeste Rohlfing) Was ist Wissenschaft, d.h. wodurch zeichnet sich Wissenschaft aus, wie unterscheidet sie sich von bloßen Meinungen und Ansichten? Diskutieren Sie diese Frage mit Ihrem Nachbarn und halten Sie die Ergebnisse stichwortartig fest. 3
Theorie Eine Theorie (griech. Betrachtung, Anschauung) ist ein System von Aussagen (Gesetzen), zwischen denen eine logische Abhängigkeit besteht. Sie dient dazu, Beobachtungen • zu beschreiben • zu erklären • vorherzusagen. Eine Theorie beschreibt einen Ausschnitt der Realität (= Modell), welchen sie angemessen vereinfacht. Sie sollte widerspruchsfrei und überprüfbar sein. 4
Wissenschaft Wissenschaft ... Der Gläubige glaubt zu wissen. Der Wissenschaftler weiß, dass er glaubt. ... schafft Wissen. (Friedrich Dürrenmatt) Wissenschaft umfasst • die Erweiterung des Wissens durch Forschung, • dessen Weitergabe durch Lehre, • der gesellschaftliche, historische und institutionelle Rahmen, in dem dies organisiert betrieben wird, • sowie die Gesamtheit des so erworbenen Wissens. Forschung ist die methodische Suche nach neuen Erkenntnissen sowie deren Science is a way of thinking systematische Dokumentation und much more than it is a body Veröffentlichung in Form von of knowledge. wissenschaftlichen Arbeiten. (Carl Sagan) 5
Wissenschaft Phantasie ist wichtiger als Wissen Und was ist dann Wissen? (Albert Einstein) Landläufig ist Wissen eine „objektiv wahre“ Kenntnis von Zusammenhängen. Aber woher kommt die Rechtfertigung? Die Erkenntnistheorie oder Epistemologie ist ein Gebiet der Philosophie, welches sich mit Fragen der Art befasst, • wie Wissen zustande kommt • welche Erkenntnisprozesse (= Methoden) denkbar sind • welche Art von Zweifel an welcher Art von Wissen grundsätzlich bestehen kann. 6
Wissenschaft Und noch eine Definition (de.wikipedia.org/wiki/Agnotology): Agnotologie bezeichnet eine Forschungsrichtung, welche die kulturelle Erschaffung und Aufrechterhaltung von Unwissen untersucht. Ihr Erkenntnisgegenstand ist, wie Unwissen durch Manipulation, irreführende, falsche oder unterdrückte Informationen, Zensur oder andere Formen absichtlicher oder versehentlicher kulturpolitischer Selektivität geschaffen oder gesichert werden kann. Dabei wird nicht Unwissen im eigentlichen Sinne erzeugt, sondern vorhandenes Wissen (meist) zum Zwecke der Marktmanipulation in Frage gestellt, um im schlechtesten Fall Zweifel in der Bevölkerung zu streuen oder im besten Fall das öffentliche Meinungsbild im Sinne des Manipulators zu drehen und damit das eigentlich vorher vorhandene Wissen zu tilgen. „Ablenkungsstudien“ 7
Wissenschaft Die großen Zweifler Socrates (469‑399 v.Ch.): „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Immanuel Kant (1724-1804): „Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ René Descartes Wir erkennen nicht das Ding an sich, (1596-1650): sondern nur dessen Erscheinung. „Ich denke, also bin ich.“ Zweifel ist der Weisheit Anfang (René Descartes) 8
Wissenschaft Die große (Neu-) Gier Ab 1492 gehen in Europa Kapitalismus, Imperialismus und Wissenschaft eine Liebesbeziehung ein. Auf den Schiffen der Weltumsegler, auf der Suche nach Schätzen, sind (fast) immer Wissenschaftler (Biologen, Geologen, usw.) an Bord. Quelle: https://www.imdb.com 9
Wissenschaft ► Fundamentale Einsicht: Die Dummen sind so sicher und die Gescheiten so voller Zweifel. Erkenntnis ≠ Wahrheit (Bertrand Russel) Die moderne Wissenschaft geht immer davon aus, dass sie nicht alles weiß und dass jede Theorie hinterfragt werden kann – es geht auch nicht um „Fakten“, sondern um Zusammenhänge! Wissen ist immer vorläufig. Ein Wissenschaftler kann und muss beobachten, auch wenn die menschliche Beobachtungsgabe prinzipiell begrenzt ist. Wichtig ist daher der anerkannte Weg (der Erkenntnisprozess / die wissenschaftliche Methode), um Beobachtungen zu sammeln und daraus allgemeingültige Theorien abzuleiten. 10
Wissenschaft Fakt: Im Jahr 2020 ist eine „Übersterblichkeit“ beobachtet worden, d.h. es sind im Durchschnitt mehr Menschen gestorben als in den Jahren zuvor. Und was sind die zugehörigen Zusammenhänge / Erkenntnisse? 11
Wissenschaft Fakt: Im Jahr 2020 ist eine „Übersterblichkeit“ beobachtet worden, d.h. es sind im Durchschnitt mehr Menschen gestorben als in den Jahren zuvor. Und was sind die zugehörigen Zusammenhänge / Erkenntnisse? • Wegen des Corona-Virus sind mehr Menschen an und mit Corona gestorben. oder • Es handelt sich um zufällige bzw. insignifikante Fluktuationen. Oder gibt es ganz andere, noch nicht erkannte Zusammenhänge? 12
Erkenntnisprozess Bsp. Erkenntnisprozess: Induktion Induktion ist die Generalisierung vom Speziellen (von einzelnen Fakten = empirische Daten) zum Allgemeingültigen (= Theorien). Ließe man Induktion zu, so wäre Wissenschaft das systematische, unvoreingenommene Sammeln von Fakten, aus denen man universelle Gesetze ableitet. Induktion ist im Gegensatz zur Deduktion logisch nicht zwingend, entspricht aber der Art, wie Menschen gewöhnlich lernen. Bsp.: A hat das Down-Syndrom, sein Chromosom 21 kommt dreimal vor; B hat das Down-Syndrom, ihr Chromosom 21 kommt dreimal vor → Alle Menschen mit Down-Syndrom haben das Chromosom 21 dreimal. 13
Erkenntnisprozess Bsp. Induktion: Sie beobachten die Werte yi = 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55 Welcher Wert kommt als nächstes? 14
Erkenntnisprozess Bsp. Induktion: Sie beobachten die Werte yi = 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55 Welcher Wert kommt als nächstes? Ganz klar: 89. Es handelt sich um die Fibonacci-Folge. 15
Erkenntnisprozess Bsp. Induktion: Sie beobachten die Werte yi = 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55 Welcher Wert kommt als nächstes? Ganz klar: 89. Es handelt sich um die Fibonacci-Folge. Aber Sie beobachten nicht die 89, sondern die 91. Die Werte yi berechnen sich gemäß √e yi-2 . Induktion kann zu falschen Schlüssen führen! 16
Theorie: Das 20ste Jahrhundert Karl Popper: Logik der Forschung (The Logic of Discovery), 1934. Kritischer Rationalismus. Poppers These: Wissenschaftliche Theorien können niemals bewiesen (verifiziert) werden. Induktion ist unzulässig. Theorien lassen sich immer nur falsifizieren. Wissenschaft besteht dann darin, präzise Hypothesen aufzustellen, welche im Experiment nachprüfbare Vorhersagen machen. Erklärt die Theorie ein Experiment, so bleibt sie als Hypothese bestehen. Falsifiziert ein Experiment die Theorie, so wird letztere durch eine neue Hypothese ersetzt, welche das neue Experiment erklären kann. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/ Karl_Popper / LSE Library. Gemeinfrei. 17
Theorie: Das 20ste Jahrhundert Wissenschafts- gläubigkeit ! Vorsicht ! Oder doch: Verifikation per Beweis? Beweise überführen wahre Aussagen (Axiome, Theoreme) mit logischen Schlussregeln (Deduktion o.ä.) in wahre Aussagen. Beweise gibt es nur in der Mathematik / Logik sowie für Modelle, da man nur dort wahre Aussagen fordern kann. Naturgesetze hingegen kann man nie beweisen (und auch nicht, dass die Sonne jeden Tag im Osten aufgeht...). 18
Theorie: Das 20ste Jahrhundert Modelle Wissenschaftliche Modelle sind i.d.R. Abstraktionen, also „beschränkte Abbilder der Wirklichkeit“. Beispiele: • Kapazität von öffentlichem Nahverkehr gemäß Fahrplan und Busgröße • Serverauslastung gemäß Ankunfts‑ und Abfertigungsprozess • Ampel als Endlicher Automat • Wasserfallmodell (= Modell für Prozesse) • Taxonomie (= Klassifikationsschema) • Prototypen (= ausführbare Modelle) • Homo oeconomicus (= rationaler Nutzenmaximierer). Alle Aussagen von Modellen beruhen auf Modellannahmen. 19
Theorie: Das 20ste Jahrhundert Ein gutes Modell • vereinfacht den Umgang mit der Wirklichkeit • ist genau genug, um sinnvolle und nützliche Aussagen und Schlussfolgerungen zu ermöglichen. Troitzsch (1990) unterscheidet folgende Modelltypen: • Reale Modelle (z.B. Tiere in der Medizin) • Ikonische Modelle (z.B. Modelleisenbahnen) • Verbale Modelle (= sprachlich formulierte Modelle) • Formale Modelle (= mathematische Gleichungen). 20
Theorie: Das 20ste Jahrhundert Einige in dieser Form gemäß Popper unwissenschaftliche Hypothesen, da zu unpräzise und somit nicht falsifizierbar: • „Das Erdklima erwärmt sich.“ • „Die Gesellschaft entwickelt sich zum Kommunismus.“ • „Jugendliche, die musizieren, neigen weniger zu Mobbing.“ • „Ego-Shooter führen zu Gewaltbereitschaft.“ • „Kernkraftwerke sind sicher.“ 21
Theorie: Das 20ste Jahrhundert Der Psychologe Daniel Kahneman beobachtet zu Hypothesen: Die Frage ist, wieso sich eine [Hypothese], die mit so naheliegenden Gegenbeispielen angreifbar ist, so lange halten konnte. Ich kann es nur mit einer intellektuellen Schwäche vieler Wissen- schaftler erklären, die ich häufig bei mir selbst beobachtet habe. Ich nenne sie „theorieinduzierte Blindheit“: Sobald man eine Theorie anerkannt hat und als intellektuelles Werkzeug benutzt, ist es überaus schwer, ihre Schwächen zu bemerken. Wenn man eine scheinbar nicht mit dem Modell in Einklang zu bringende Beobachtung macht, geht man davon aus, dass es eine sehr gute Erklärung dafür geben muss, die einem aus irgendeinem Grund entgeht. [...] Der Psychologe Daniel Gilbert hat ganz richtig bemerkt, dass es mühsam ist, Dinge anzuzweifeln. 22
Theorie: Das 20ste Jahrhundert Thomas Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Science progresses Revolutionen, 1962. funeral by funeral. Gemäß Kuhn sind Wissenschaftler soziale Wesen, (Max Planck) die in Denkschulen organisiert sind. Die Vordenker legen das Denkschema (Paradigma, Weltbild) fest, welches zur wissenschaftlichen Erklärung verwendet wird („normale Wissenschaft“). Hat sich eine „kritische Masse“ an Fakten und Experimenten angehäuft, die sich mit dem aktuellen Paradigma nicht erklären lassen, so kommt es zum Paradigmenwechsel („Wissenschaftl. Revolution“): Eine neue, unvergleichliche Denkschule mit neuen Quelle: https://en.wikipedia.org/ Vordenkern und neuen Erklärungsansätzen entsteht. wiki/Thomas_Kuhn. Fotograf Bill Pierce, 1973. 23
Theorie: Das 20ste Jh. Wissenschaft entsteht im Gespräch. (Werner Heisenberg) Aus Kuhns Ansatz folgt, dass Zusammenhänge nicht objektiv sind, sondern relativ zum herrschenden Paradigma. Es sei unmöglich, zwei Paradigmen prinzipiell zu vergleichen, die Weltsichten seien inkompatibel. Die Übernahme eines neuen Paradigma sei auch eine Glaubensfrage, da man zu Beginn die Tragweite nicht überblicken könne. Die Übernahme komme oft durch Einflussnahme der Kollegen (peer pressure) zustande. Wahrheit und Wissenschaft insgesamt seien somit relativ zu den verwendeten historischen Paradigmen (Relativismus). Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_S._Kuhn J. Jastrow, gemeinfrei. 24
Theorie: Das 20ste Jahrhundert Aus Kuhns Ansatz lässt sich leicht nachvollziehen, dass es Wissenschaftler gibt, die „im Abseits stehen“, die mit einem neuen Paradigma arbeiten, das von der Wissenschaftswelt (noch?) nicht anerkannt ist. 25
Theorie: Das 20ste Jahrhundert Der Weg zur Verschwörungstheorie ist manchmal kurz und bequem... • „Freie Energie“ („Nullpunktenergie“) • „Kondensstreifen“ Siehe auch • Freie Energie (Parawissenschaft, Wikipedia-Eintrag) • Claus Turtur, HAW Ostfalia • Philica, ein „freies akademisches Journal“ Die Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Scharlatanerie ist nicht immer (jedem) offensichtlich. 26
Theorie: Das 20ste Jahrhundert Paul Feyerabend: Anything goes (1975, Wider den Methodenzwang; Erkenntnis für freie Menschen). Feyerabend stellt die wohl radikalste Wissenschafts- theorie des 20.Jhr. auf, den Wiss. Anarchismus: Es gäbe keine universell gültigen Methoden der Wissenschaft und auch keine Maßstäbe zur Bewertung derselbigen. Stattdessen müsse jede Wissenschaft die Freiheit haben, ihre Methoden beliebig anzupassen, um produktiv zu sein. Die Wissenschaftsgeschichte habe gezeigt, dass Irrationalität, Intuition und Kreativität für den Erkenntnisgewinn unverzichtbar seien. Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Paul_Feyerabend Fotografin G. Borrini, frei. 27
Methoden Methoden Methoden (griech. Nachgehen, Verfolgen) sind planmäßige Verfahren zur Erreichung eines Ziels. Epistemologisch: Methoden = Anerkannte Wege zur Erkenntnis. Beispiel Medizin: Doppelblindstudien für Arzneimittel. i. Zwei Patienten-Gruppen werden gebildet. ii. Gruppe A erhält Präparat x, Gruppe B erhält ein Plazebo. Weder Arzt noch Patient wissen, wer das Plazebo bekommt. iii. Es wird die statistische Hypothese untersucht, dass die Wahrscheinlichkeit einer Heilung für A größer ist als für B. 28
Methoden Die Ergebnisse solcher Doppelblindstudien sind (nur) Statistik. Vorsicht: Korrelation ≠ Kausalität. Bei rein empirischer Forschung fehlen die tieferen Einsichten. 29
Methoden Beschreibung einer aktuellen wiss. Methodik (Mocikat / Dieter, 2011) – mehr als Statistik: Beobachtung Generalisierung Hypothese/Theorie Vorhersage Experiment 30
Methoden Wiss. Methodik aus der Sicht von Don Norman (2010) (core77.com/blog/columns/why_design_education_must_change_17993.asp): „Science is not a body of facts, not the use of mathematics. Rather, the key to science is its procedures, or what is called the scientific method. The method does not involve white robes and complex mathematics. The scientific method requires public disclosure of the problem, the method of approach, the findings, and then the interpretation. This allows others to repeat the finding: replication is essential. Nothing is accepted in science until others have been able to repeat the work and come to the same conclusion.“ 31
Methoden Nicht alles, was zählt, Methoden und Zahlengläubigkeit kann gezählt werden... … und nicht alles, was If you cannot measure it, gezählt werden kann, you cannot improve it. zählt. (Lord Kelvin) (Albert Einstein) Wissenschaftliche Methodik Die messbare Seite der beruht auf zählen, messen, Welt ist nicht die Welt. wiegen (Quantifizierbarkeit). Es ist die messbare Seite der Welt! Aber welche Zahlen??? (Martin Seel) Bsp.: Welche Variablen messe ich, wenn ich die Qualität von Lebensmitteln quantifizieren will? Kalorien? Fettgehalt? Noch 37 andere Größen? Und welche Variablen bestimmen die Umweltschädlichkeit eines Autos? 32
Methoden Bsp.: Welche Variablen messe ich, um die Corona-Pandemie zu bewerten? • Inzidenzwert? • R-Wert? • Todesfälle „an und mit Corona“? • Auslastung der Intensivbetten? Quelle: • Übersterblichkeit? https://www.sueddeutsche.de/politik/corona- wissenschaft-politik-1.5248352 • Anzahl vernichteter Existenzen? Fotograf: Kay Nietfeld / dpa • Anzahl Depressionen? • Fälle häuslicher Gewalt? • … Unterschiedliche Wissenschaftler messen unterschiedliche Größen. 33
Methoden: Holy Cow! Fallbeispiel: Sabine Begall et al., Magnetic alignment in grazing and resting cattle and deer, Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 2008. Begall et al. untersuchten u.a. mittels Google Maps 8510 Kühe auf 308 Weiden und stellten fest, dass diese beim Grasen ihre Körper in Nord-Süd-Richtung ausrichten. Windrichtung und Sonnenstand konnten als Ursache ausgeschlossen werden. Wird das magnetische Feld der Erde durch elektrische Felder überlagert, so tritt der Effekt nicht auf. Haben Kühe einen magnetischen Sinn? ► Misst bzw. sammelt man überhaupt die richtigen, wichtigen Daten? Oder hat nur der Wahnsinn Methode? 34
Methoden: Holy Cow! Noch ein Beispiel für die Anwendbarkeit wissenschaftlicher Methoden: (IgNobel Prize 2013) 35
Methoden Ansätze der Informatik zur Messbarkeit und Vergleichbarkeit: • Benchmarks. Einheitliche rechenintensive Programme zur Lösung eines komplexen Problems. Tests von Hardware und Systemsoftware. • Ground Truth. Einheitliche, vermessene, öffentlich zugängliche Daten, auf denen verschiedene Algorithmen verglichen werden können. • Wettkampf. Systeme treten direkt gegeneinander an. Beispiele: LINPACK Benchmark: Lösen linearer Gleichungssysteme Stereo-Algorithmen, http://vision.middlebury.edu/stereo Iris-Erkennung, http://www.nist.gov/itl/iad/ig/ice.cfm ► Sind die Benchmarks, die Testdaten, die Messgrößen repräsentativ bzw. problemangemessen / zeitgemäß? 36
Wissenschaftsbetrieb Institutionalisierung / Organisation des Wissenschaftsbetriebs Die Methodik betrifft in erster Linie den einzelnen Wissenschaftler. Zum kollektiven, dauerhaften Erkenntnisgewinn muss die Wissenschaft aber auch institutionalisiert werden. So muss zur Beurteilung der Wissenschaftlichkeit einer Erkenntnis deren Quelle (Artikel in Journal oder Konferenz) bekannt sein, um • Autor und Institution • Daten und Parameter • Methoden und Experimente nachvollziehen zu können. Erst eine Veröffentlichung ermöglicht anderen Wissenschaftlern, besagte Erkenntnis zu wiederholen. 37
Wissenschaftsbetrieb If I have seen a little further it is by standing on the shoulder of giants (Newton und viele andere) Anforderungen an die Organisation einer wiss. Veröffentlichung: • Verzahnung mit bestehenden Veröffentlichungen (dem Stand der Wissenschaft) unter Zitierung aller verwendeten Quellen • Begutachtung von Wissenschaftlern der eigenen Disziplin (peer review) • Öffentlicher Zugang (und auffindbar) • Archivierung (langlebig / unveränderbar). 38
Wissenschaftsbetrieb Autoren Gutachter Wissenschaftl. Veröffentlichung Bibliotheken Verlage I believe that the partnership that once existed between the scholarly community and commercial publishers is fundamentally broken. (D. Knuth) 39
Wissenschaftsbetrieb Die Gutachter geben der Veröffentlichung das Qualitätssiegel. Sie sollten also sicher stellen, dass die Veröffentlichung • neuartigen Inhalt hat • auf dem Stand der Dinge ist • die relevante Literatur zitiert • methodisch vorgeht • die Datensammlung adäquat ist • die angemessene Fachsprache verwendet • ... Gutachten erfolgen in der Regel anonym (ist das gut?). 40
Wissenschaftsbetrieb Open Access – Author Pays Alternatives Veröffentlichungsmodell: Der Autor zahlt dem Verlag eine fixe Summe (und behält seine Urheberrechte). Der Verlag garantiert dauerhaften, freien (d.h. kostenlosen) Zugang zu der Veröffentlichung für alle, auf Dauer. Möglicherweise Aufweichen der Gutachter-Qualität, Scheinwissenschaftliche Raubjournale (predatory journals). Quelle: https://www.focus.de/wissen/fake- science-5000-wissenschaftler-haben-in- scheinwissenschaftlichen-zeitschriften- publiziert_id_9280321.html 19. Juli 2018 41
Wissenschaftsbetrieb Die Bibliometrie bewertet individuelle Veröffentlichungen und Journale mit statistischen Verfahren. Die bekanntesten bibliometrischen Kennzahlen sind • für Autoren der h-Index (J. Hirsch, 2005) • für Journale der Journal Impact Factor jif (Einflussfaktor, E. Garfield, 1963). Eine wichtige Messgröße ist immer die Anzahl der Zitierungen. 42
Wissenschaftsbetrieb Ein Autor hat den h-Index h, wenn h Zi seiner Veröffentlichungen Vi mindestens h-mal zitiert wurden (und die übrigen Veröffentlichungen weniger als h-mal). Zur Bestimmung von h sortiert man die Veröffentlichungen Vi absteigend nach der Anzahl ihrer Zitierungen Zi. Vi sortiert Dann ist h die Anzahl derjenigenVi, die Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/H-Index oberhalb der Diagonalen liegt. ► Ein Autor habe 10 Veröffentlichungen mit den Zitierungsanzahlen 50, 8, 3, 2, 100, 9, 2, 1, 4, 0. Wie groß ist sein h-Index? 43
Wissenschaftsbetrieb Der h-Index eines Autors kann mit der Zeit nur wachsen. Ein Autor mit n Veröffentlichungen kann einen h-Index zwischen 0 und n haben. Sehr einflussreiche Veröffentlichungen (Zi >> 0) sind beim h-Index von mäßig einflussreichen Veröffentlichungen nicht zu unterscheiden. Ein großes Zi ist in erster Linie ein Maß für „Popularität“, nicht für Qualität. Die Anzahl der Autoren je Veröffentlichung bleibt unberücksichtigt. Als Datenquelle dient of das Web of Science. Bücher werden dort nicht aufgeführt. 44
Wissenschaftsbetrieb Der jif beruht auf einer Liste von Journalen vom Web of Science. jifx = durchschnittliche Zitierungsrate im Jahr x = Anzahl von Zitierungen im Jahr x von Artikeln des Journals aus den Jahren x-1 und x-2 / Gesamtzahl der Journal- Artikel in den Jahren x-1 und x-2. Bsp.: New England Journal of Medicine: Zahl der Artikel in 1996 und 1997 zusammen = 4597 Zitierhäufigkeit dieser Artikel im Jahr 1998 = 103 000 jif1998(NEJoM) = 103 000 / 4597 = 22.406 Zum Vergleich: jif2012(CACM) = 2.51 45
Wissenschaftsbetrieb Kritikpunkte jif: • Der betrachtete Zeitraum (zwei Jahre) ist oft zu kurz • Die Varianz der Artikel je Journal ist groß (d.h. schlechte Artikel profitieren von guten Artikeln im selben Journal) • Auch schlechte Artikel werden manchmal häufig zitiert • Bevorzugung englischsprachiger Journale • Keine Vergleichbarkeit zwischen den Disziplinen • Journale veröffentlichen bevorzugt Review-/Survey-Artikel • Es bilden sich Zitier-Seilschaften / Zitierkartelle • ... 46
Wissenschaftsbetrieb Die Anzahl der Zitierungen eines Artikels kann auch abhängen • von dessen Sichtbarkeit auf Google Scholar o.ä. • von dessen „Be-Twitterung“ • von dem Bekanntheitsgrad des Autors („Matthäus-Effekt“: Wer hat, dem wird gegeben). 47
Wissenschaftliches Fehlverhalten Wissenschaftliches Fehlverhalten: • Daten werden -- erfunden -- selektiert -- manipuliert -- geklaut • Dokumente werden zurück gehalten • Dokumente werden vernichtet • Ideendiebstahl • Quellen werden nicht angegeben • Quellen sind irrelevant 48
Wissenschaftliches Fehlverhalten • Gefälligkeitsgutachten • Namedropping • Mehrfachveröffentlichungen (→ “least publishable unit”) • Schlampige / voreingenommene / inkompetente Gutachten • Ergebnisse nach Wunsch des Auftraggebers • Verschweigen von Auftraggeber oder Befangenheiten • Fehlende Ergebnisoffenheit • Übertriebene (medienwirksame) Interpretationen / Aktivismus • Ausblenden von wissenschaftlicher Vorsicht • usw. usw. usw. 21 … ist nur die halbe Wahrheit 49
Wissenschaftliches Fehlverhalten Motivation: Was treibt Wissenschaftler an? + Geld? + Ruhm? + Ehre? + Eitelkeit? + Ideologie? +? Quelle: Z. Obrenovic, The Four Points of the HCI Research Compass, interactions 2013. 50
Wissenschaftliches Fehlverhalten • Fehlende Nachvollziehbarkeit -- The „replication crisis“ C. Camera (Caltech, 2018) untersuchte die Wiederholbarkeit von 21 sozialwissenschaftlichen Veröffentlichungen aus den Zeitschriften Nature und Science zwischen 2010 und 2015. Nur ungefähr 60% konnten nachvollzogen werden. Ein Problem der Wissenschaftsgemeinde: Das Nachvollziehen von Ergebnissen wird (fast) nicht honoriert. Stattdessen kann man sich dabei viele Feinde machen. Quelle: https://www.caltech.edu/about/news/science-trouble-84465 51
Wissenschaftliches Fehlverhalten • Ehrenautorenschaft Als Autoren einer wissenschaftlichen Originalveröffentlichung sollen alle diejenigen, aber auch nur diejenigen, firmieren, die zur Konzeption der Studien oder Experimente, zur Erarbeitung, Analyse und Interpretation der Daten und zur Formulierung des Manuskripts selbst wesentlich beigetragen und seiner Veröffentlichung zugestimmt haben. Empfehlung DFG 52
Wissenschaftliches Fehlverhalten https://www.sueddeutsche.de/politik/aschbacher-plagiatsvorwuerfe-oesterreich- 1.5169918 Teil des Problems: Billig-Doktortitel aus der Slowakei. 53
Wissenschaftliches Fehlverhalten Ohne Worte... 54
Wissenschaftliches Fehlverhalten Spiegel-Interview mit Robert Laughlin, Physik-Nobelpreisträger 1998, www.spiegel.de/spiegel/print/d-55231886.html, 31.12.2007 Über Wissenschaftsbetrug: [..] Es ist das Problem von Firmen, die unter wirtschaftlichem Druck stehen. Da tun oder sagen Leute praktisch alles, nur um nicht gefeuert zu werden. Denn die Wahrheit kann beruflicher Selbstmord sein. Deshalb darf man wissenschaftlichen Aussagen, die in einer solchen Situation gemacht werden, niemals trauen. SPIEGEL: Jetzt reden Sie von einem kleinen Teil des Wissenschaftsbetriebs ... Laughlin: Überhaupt nicht. Meine persönliche Erfahrung sagt mir, dass wir es hier mit einem erschreckend weitverbreiteten Phänomen zu tun haben. Und es gibt sehr viele Wege, die Unwahrheit zu sagen. Zum Beispiel kann es reichen, wahre Dinge zu sagen, die aber irrelevant sind. Es gibt Massen von Experimenten, die schlicht nicht testen, was sie zu testen vorgeben. 55
Wissenschaftliches Fehlverhalten ... oder auch in die andere Richtung https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/andreas- georgiou-griechischer-chefstatistiker-verurteilt- wegen-ehrlichkeit-1.4009453 vom 11. Juni 2018. Foto: Petros Giannakouris/AP 56
Wissenschaftliches Fehlverhalten Wissenschaftliches Fehlverhalten??? Am 6. April 2009 zerstörte ein Erdbeben die Stadt L'Aquila. In der Folge wurden die sieben Mitglieder der Risikokommission (sechs Erdbebenforscher und B. De Bernardinis, Vizedirektor der Katastrophenschutzbehörde) angeklagt, weil sie trotz einiger Vorbeben keine erhöhte Warnstufen ausgerufen hatten. In erster Instanz wurden die Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung zu sechs Jahren Haft verurteilt. In der zweiten Instanz wurden die Erdbebenforscher freigesprochen und De Bernardinis zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. ► Soll ein Wissenschaftler immer nur warnen und die Risikoeinschätzung dem Laien überlassen??? 57
Wissenschaftliches Fehlverhalten Ist Cancel Culture ein Problem der Wissenschaft? Im Oktober 2019 wurde Bernd Lucke, Mitbegründer der AfD, bei seiner Rückkehr an die Uni Hamburg durch lautstarken Protest daran gehindert, seine Vorlesung zu halten. Das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ sieht durch „linke Cancel Culture“ die Meinungs- und Forschungsfreiheit bedroht: „Wir beobachten, dass die verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit von Forschung und Lehre zunehmend unter moralischen und politischen Vorbehalt gestellt werden soll. Einzelne beanspruchen vor dem Hintergrund ihrer Weltanschauung und ihrer politischen Ziele, festlegen zu können, welche Fragestellungen, Themen und Argumente verwerflich sind.“ 58
Wissenschaftliches Fehlverhalten Ganz dreist oder ganz dumm? 59
Wissenschaftliches Fehlverhalten vgl. SCIgen 60
Wissenschaftliches Fehlverhalten Die Hochschule Landshut hat aufbauend auf Empfehlungen der DFG (Dt. Forschungsgemeinschaft) am 25.07.2012 „Richtlinien für gute wissenschaftliche Praxis“ erlassen. Neben allgemeinen Prinzipien (Ehrlichkeit, Pflicht zur Veröffentlichung, Berücksichtigung des Standes der Wissenschaft, Vermeidung wiss. Fehlverhaltens, usw.) werden dort auch institutionelle Maßnahmen festgelegt: • Berufung einer Vertrauensperson, welcher wissenschaftl. Fehlverhalten gemeldet werden kann • Formales Verfahren und mögliche Sanktionen • usw. 61
Wissenschaftliches Fehlverhalten Und noch eine Provinz-Posse: Landshuter Zeitung vom 11. März 2011 62
Wissenschaftliches Fehlverhalten Weiter in der Provinz: „KI-Landkarte“, Feb. 2021. Ist dieser WIF-Master ein „KI-Studiengang“? https://www.plattform-lernende- systeme.de/ki-landkarte.html https://www.th-deg.de/wi-m 63
Wissenschaftliches Fehlverhalten Prof. Untat -- Plagiatsjäger, Plagiatssoftware Prof. Unrat Email vom 05. Dezember 2011 Prof. Uwe Kamenz, FH Dortmund 64
Wissenschaftliches Fehlverhalten SZ vom 18.04.2020 Wissenschaftlichkeit heißt nicht weniger zu streiten, sondern besser. Mai Thi Nguyen-Kim 65
Wissenschaftliches Fehlverhalten Web.de vom 06.05.2020 Im April 2020 veröffentlichen die Neurobiologen J.-P Changeux (geb. 1936) und Z. Amoura eine Studie mit Statistiken (N = 500), die suggerieren, dass Nikotin vor Corona schützen könnte. Die Hypothese von Changeux/Amoura konnte bislang noch nicht bestätigt werden. https://web.de/magazine/news/coronavirus/schuetzt-rauchen-corona-virologe-christian-drosten-zweifelt-34675846 66
Wissenschaftsbetrieb Abschlussarbeiten: Urheberrecht Die Urheberrechte von Bachelor- und Masterarbeiten liegen ausschließlich und für immer beim Autor. Der Urheber kann Nutzungsrechte übertragen, z.B. Veröffentlichungsrechte an die Hochschul-Bibliothek (oder die Erlaubnis zur Verwendung in Plagiatssoftware). Professoren können die Betreuung von BAs/MAs ablehnen, wenn der Autor eine Veröffentlichung ablehnt. 67
Wissenschaftsbetrieb Abschlussarbeiten: Empfehlungen Vergleichen Sie Ihre Arbeit mit dem Stand der Technik: • Dokumentieren Sie die existierenden Ansätze Literaturverzeichnis (wiss. Zeitschriften/Archive; WWW-Verweise nur, wenn erstere nicht existieren). • Versuchen Sie, Ihre Arbeit quantitativ zu bewerten Zählen, Messen, Wiegen. Idealerweise vergleichen Sie Ihre Arbeit mit den konkurrierenden Ansätzen; im einfachsten Fall mit einer simplen Basis-Lösung. 68
Wissenschaftsbetrieb • Schreiben Sie eine einseitige Zusammenfassung (Abstract, Executive Summary, für „Chefs“ verständlich). • Keine eingestreuten persönliche Wertungen („... hat sehr gut funktioniert...“, „... hervorragende Methode...“, „... enorme Größe...“, „modern“, usw.) • Verwendung des Wortes „bewiesen“ nur dann, wenn ein Beweis im wissenschaftlichen Sinn vorliegt. • Verwendung des Wortes „optimal“ (oder auch „minimal“, „maximal“) nur dann, wenn Sie ein Optimierungsproblem formal gelöst haben. • Kurze Sätze. Lieber zwei Sätze als ein langer Satz. 69
Wissenschaftsbetrieb Anträge, Anträge, Anträge • Forschungsgelder gibt es (fast) nur noch aus Drittmitteln. • Drittmittel gibt es nur auf Antrag. • Drittmittel sind an Bedingungen geknüpft ( Die Gefahr des Subventionsbetrugsvorwurfs hängt ständig in der Luft). • Ablehnungsquote von Drittmittelanträgen wird immer höher. • Anträge verlangen viel Zeit zum Schreiben und viel Zeit zum Begutachten. Es bleibt weniger Zeit zum Forschen (und Lehren). Und es wird nur noch das erforscht, was Geld bringt. 70
Wissenschaftsbetrieb Gunter Dueck, Dueck's Panopticon, S.28, 2007 71
Informatik vs. Wissenschaft Informatik als Wissenschaft (Computer Science = Science ?) Was ist der Gegenstand der Informatik als Wissenschaft? • die Natur (Physik, Chemie, Biologie)? • der Mensch (Psychologie, Soziologie, Medizin)? • künstliche Strukturen (Mathematik)? • Information? „Computer Science is what • Algorithmisches Denken? computer scientists do.“ Oder ist Informatik eher • Handwerk? „Our thinking is based on abstraction, • Berufsstand? decomposition, generalization, and • Ingenieurwesen? pattern matching. So please stop • Kunst? asking us to fix your printer.“ 72
Informatik vs. Wissenschaft Computing is the study Peter Denning führt u.a. folgende of information processes, Argumente an, warum Informatik artificial and natural. (computing) eine Wissenschaft sei: (Peter Denning) • Zahlreiche Themen der Informatik seien so komplex, dass man sie nur experimentell verstehen könne. • Es gibt natürliche Informationsprozesse (z.B. DNA-Abbildung). • Algorithmisches Denken (computational thinking, CT) gilt als Problemlösungsmethode. CT umfasst die Gedankenprozesse zum Formulieren von Problemen derart, dass ihre Lösungen als Rechenschritte bzw. Algorithmen repräsentiert werden können. 73
Informatik vs. Wissenschaft The term „computer science“ raises expectations of an ability to define models and to make predictions about the behavior of computers. I think we have a fairly good capability to measure and predict the performance of Quelle: Communciation of the ACM, Oct. 2012, p.5 our computing devices. We are much less able to make models and predictions about the behavior of the artifact we label „software“. […] We generally do not have a reliable ability to anticipate the states the systems can get into, their vulnerabilities, their performance, their ability to adapt to changing conditions. 74
Informatik vs. Wissenschaft Definition seitens der GI: Gegenstand der Informatik ist Die Wissenschaft Informatik befasst die Technik und Automatisierung sich mit der Darstellung, Speicherung, von Denken, Entscheiden und Übertragung und Verarbeitung Handeln. Zu lang. Definitionen hauchen dem Definierten fast von Information. immer die Seele aus. Informatik sei (Gunter Dueck) • Ingenieurwissenschaft • Grundlagenwissenschaft (Modelle, Datenstrukturen, Automaten, Formalismen, Berechenbarkeit, ...) • Systemwissenschaft (Systemarchitektur, Interaktionen, ...) • Experimentalwissenschaft (Simulationen, ...) • Querschnittswissenschaft (hilft allen anderen Wissenschaften). 75
Informatik vs. Wissenschaft Informatik-Theorien = Leuchttürme? In welchen Gebieten der Informatik wird die praktische Tätigkeit von Theorien geleitet und gestärkt? 76
Informatik vs. Wissenschaft Wenn Leute mich fragen, ob meine Projekte eher theoretisch oder eher praktisch sind, dann sage ich immer: Es handelt sich um eine theoretische Arbeit mit praktischen Anwendungen. (Shree Nayar) Einige Probleme des Informatikers mit Wissenschaft: • Algorithmenverliebtheit statt methodischem Datensammeln und Archivierung -- lieber basteln / hacken / löschen. • Es werden nur diejenigen Quellen verwendet, die auf der Festplatte oder im Internet schnell zugreifbar sind. Was Google nicht kennt, zählt nicht. • Ich mache, was mir gefällt -- wenn es den anderen nicht gefällt, dann ist das deren Problem. • Wissenschaft? Was ist das? 77
Informatik vs. Wissenschaft Collberg/Proebsting (2016) haben die Nachvollziehbarkeit (Wiederhol-/Reproduzierbarkeit) von Computer System Research (Konferenzen 2012) untersucht. Wiederholbarkeit: Mit identischen Programmen und Daten werden die veröffentlichten Ergebnisse erzielt. Reproduzierbarkeit: In anderer [??? A.S.] Umgebung führen andere Daten zu vergleichbaren Ergebnissen. Nachvollziehbarkeit gelang in 217 von ursprünglich 601 Fällen. Quelle: Collberg/Proebsting, Repeatability in Computer Systems Research, CACM, Mar. 2016. 78
Informatik vs. Wissenschaft Informatik als Handwerk Charakteristika von Handwerk: • Der Lehrling lernt vom Meister (durch Zuschauen und Nachmachen), wie der Beruf funktioniert. • Es gibt keine wegweisenden Theorien, sondern erprobte Vorgehensweisen. • Perfektionierung durch Wiederholung. Gibt es wegweisende Theorien im Software Engineering? Hilft die Informatik beim Erstellen komplexer Software? Das Wasserfallmodell war ein theoretischer Rahmen – die agilen Methoden gehen eher wieder Richtung Handwerk. 79
Informatik vs. Wissenschaft SEMAT (Software Engineering Methods and Theory) ist eine Initiative von I. Jacobson, B. Meyer und R. Soley (2009). Sie werfen dem SE „unreife“ Praktiken vor, insbesondere • das Vorherrschen von Modeerscheinungen (fads) • das Fehlen einer soliden theoretischen Grundlage • die riesige Anzahl von Methoden, deren Unterschiede nicht verstanden und künstlich aufgebläht werden • das Fehlen von glaubhaften experimentellen Verifikationen • die Aufteilung in akademische Forschung und industrielle Praxis. 80
Informatik vs. Wissenschaft Informatik als Berufsstand Ein akademischer Berufsstand (profession, z.B. Arzt, Architekt) zeichnet sich durch zusätzliche institutionelle und ethische Anforderungen aus (Approbation, Ärzte-/Architektenkammer, ...). „Techniques are certainly important, but professionalism is reflected in the ability to intelligently recognize their limitations and to innovate to adapt them to the particularities of each given real-life context.“ (Siegel / Dray, A Professional Empiricist Manifesto, 2011) ► Sollten Informatiker oder Software-Ingenieure zertifiziert werden, ehe sie ihre Tätigkeit ausüben dürfen (wie z.B. in Texas)? ► Sollten Informatiker einen „Eid“ (pledge, rite-of-passage) ableisten? Vgl. The Pledge of the Computing Professional. 81
Informatik vs. Wissenschaft Die Ethischen Leitlinien der Gesellschaft für Informatik (1994, 2018) ... Vgl. ACM Code of Ethics and Professional Conduct. 82
Informatik vs. Wissenschaft Informatik als Ingenieurswesen P. Denning stellt heraus, dass Ingenieurwesen mehr und anders ist als angewandte Wissenschaft. Und: Zuse / Eckart / Mauchly waren Ingenieure. Quelle: Peter Denning, The Forgotten Engineer, CACM Dec. 2017. 83
Informatik vs. Wissenschaft Big Beacon Manifesto, 2013. The whole new engineer... • finds joy in engineering and in life • is open, trusted, and trusting • is authentically connected with others • is mindful, observant, and an effective listener • has the courage to initiate, fail, and initiate again • is technically competent and agile • is broadly educated and curious • is a team player, a collaborator, and a community builder • is a designer, a creator, and a sustainer • is emotionally and socially aware and competent • is a reflective thinker and a self-directed and persistent learner. 84
Wirtschaftswissenschaften Entscheidungen in der Wirtschaft müssen i.d.R. schnell und unter Unsicherheit getroffen werden (unzureichend Forschungsstand). Evidenzbasiertes Management, d.h. • kritisches, neugieriges, systematisches, faktenorientiertes Hinterfragen von Sachverhalten • Recherchieren und Bewerten von relevanten wissenschaftlich abgesicherten Informationen • mehr Empirie, weniger Theorie • Bewertung von Praxisfällen vor dem Hintergrund wiss. Evidenz. 85
Wissen + Bildung Wir ertrinken in Informationen, aber uns dürstet nach Wissen. Bildung (John Naisbitt) Und welches Wissen brauche ich? Wir wissen immer mehr über immer weniger. Unser Verhältnis zum Wissen verändert sich. Wenn alles Wissen überall zugänglich ist, muss es nicht mehr unbedingt in der Schule erworben und in unseren Köpfen gespeichert werden. Wir müssen lernen, mit der Informationsflut umzugehen und das Wertvolle in Wissen umzusetzen und aufzubereiten. (GI, Was ist Informatik?) 86
Wissen + Bildung • Fast niemand liest Online- Artikel zu Ende. • Oberflächliches Online-Lesen überträgt sich auf Druckmedien. • Aufmerksamkeitsspanne, Verstehendes Lesen und Quelle: Hermann Maurer, Communication of the ACM, kreatives Schreiben werden Jan. 2015, p.48 durch das Internet reduziert. • Copy-Paste-Mentalität zerstört das Denkvermögen. Ganz schlecht: Googeln zersetzt die Bereitschaft zum Nachdenken. 87
Wissen + Bildung Wiener Manifest für den Digitalen Humanismus (Mai 2019) Quelle: https://www.informatik.tuwien.ac.at/dighum/manifesto 88
Wissen + Bildung Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn man alles vergessen hat, was man gelernt hat. (Marquis of Halifax? Georg Kerschensteiner?) Jürgen Mittelstraß unterteilt Wissen in • Verfügungswissen: Fachwissen, wegen Spezialisierung der Gesellschaft erforderlich. • Orientierungswissen: Wissen um Zwecke und Ziele (warum?). Ein reflektiertes Verhältnis zu den Dingen (Nachdenklichkeit, Urteilskraft, Selbstkontrolle) der Welt ist unabdingbar – und das ist vielleicht das wichtigste der Bildung. 89
Wissen + Bildung Ausbilden können uns andere, bilden kann sich jeder nur selbst. (Peter Bieri) Erkenntnis und Bildung lassen sich nicht allein durch Lehre herbeiführen – es braucht einen individuellen Prozess. Zur Bildung gehört insbesondere, sich bei der Frage auszukennen, worin Wissen und Verstehen bestehen: • Was für Belege habe ich für meine Überzeugungen? • Wie verlässlich sind die Prinzipien, mit denen man von den Belegen zu den Behauptungen kommt, die über sie hinausgehen? ► Wissenschaft liefert keine Wahrheiten (Zweifel sind erwünscht!), sondern methodische Ansätze. 90
Wissen + Bildung Man soll Denken lernen, nicht Gedachtes. Bildung, Brockhaus ca. 1960: Bildung: Der Vorgang geistiger Formung, auch die innere Gestalt, zu der der Mensch gelangen kann, wenn er seine Anlagen an den geistigen Gehalten seiner Lebenswelt entwickelt. Gebildet ist nicht, wer nur Kenntnisse besitzt und Praktiken beherrscht, sondern der durch sein Wissen und Können teilhat am geistigen Leben; wer das Wertvolle erfasst, wer Sinn hat für Würde des Menschen, wer Takt, Anstand, Ehrfurcht, Verständnis, Aufgeschlossenheit, Geschmack und Urteil erworben hat. Bildung, etwa 60 Jahre später: Bildung ist heute oft Erziehung zur Berufsfähigkeit (employability). Das Erlernen von Prozessen (das Wie) verdrängt das Hinterfragen (das Warum). Gedachtes wird kopiert, zu Lasten des Neu-Denkens. 91
Wissen + Bildung Nicht das Wissen kräftigt, sondern das Verstehen; nicht die Aufsammlung im Gedächtnis, sondern das Verarbeiten im Verstande; nicht das Betrachten, sondern das Suchen; nicht das Glauben, sondern das Prüfen; nicht das Lernen, sondern das Üben; nicht das Fertige, sondern das Zubereiten; nicht das Vorkauen, sondern das Zergliedern; nicht das Nehmen, sondern das Machen. Adolph Diesterweg (1790-1866) 92
Wissen + Bildung Zeitgeist 2019: Wissenschaft durch Zielvorgabe. Ein Wissenschaftler legt sein Forschungsziel dar, begründet es mit einer nützlichen Anwendung, und erhält dafür Forschungsmittel, die er zielstrebig und zielfördernd einsetzt. „Wenn jemand sucht,“ sagte Siddhartha, „dann geschieht es leicht, daß sein Auge nur noch das Ding sieht, das er sucht, daß er nichts zu finden, nichts in sich einzulassen vermag, weil er nur immer an das Gesuchte denkt, weil er ein Ziel hat, weil er vom Ziel besessen ist. Suchen heißt: ein Ziel haben. Finden aber heißt: frei sein, offen stehen, kein Ziel haben. Du, Ehrwürdiger, bist vielleicht in der Tat ein Sucher, denn, deinem Ziel nachstrebend, siehst du manches nicht, was nah vor deinen Augen steht.“ Hermann Hesse, Siddhartha, 1922 93
Epilog: Goethe war gut 94
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