This is Not a Love Song - ZUM VERHÄLTNIS VON KUNST UND MUSIK - KUNSTFORUM International Bd. 272 Jan. -Feb. 2021 - Alexandra Bachzetsis
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KUNSTFORUM International Bd. 272 Jan.–Feb. 2021 This is Not a Love Song ZUM VERHÄLTNIS VON KUNST UND MUSIK
SHIFTING SPACES BILDENDE KUNST, PERFORMING ARTS, NEUE MEDIEN und das THEATER Eine Serie kuratiert von Max Glauner TEIL 3 Alexandra Bachzetsis Exploring Bodies Die Kunstforum-Reihe Shifting Spaces stellt in ihrer dritten Ausgabe die grie- chisch-schweizerische Künstlerin, Tänze- rin und Choreografin Alexandra Bachzet- sis vor. Ihre Arbeit, offen und hermetisch zugleich, stellt den bewegten Körper in den Mittelpunkt. Er ist bei Bachzetsis Ausdrucksmittel und Forschungsgegen- stand, der Ort seiner Verhandlung neben Studios und Theatern meist Kontexte der bildenden Kunst. So hatte die Künstlerin Aufführungen auf der documenta 14 in Athen und Kassel, in der Londoner Tate Modern oder dem Moma, New York. Noch vor zwanzig Jahren wäre dies undenkbar gewesen. Museen und Thea- Alexandra Bachzetsis © Peggy June ter, die sich als Einrichtungen bürgerlicher Repräsentation im frühen 19. Jahrhundert der ersten Folge vorgestellt (Kunstforum formiert hatten, zeigen sich bis heute Bd. 266) sind wie Bachzetsis Arbeit nach äusserst resilient gegenüber der jeweils wie vor Ausnahmeerscheinungen. anderen Institution. Das gegenseitige Der Weg dorthin lässt sich in der Bil- Verständnis oder gar die Bereitschaft zur denden Kunst mit einer Krise des Werks gegenseitigen Befruchtung steckt nach und einer Auflösung der Institution Mu- wie vor in den Anfängen. Die theatralen seum erzählen. In surrealistischen An- Inszenierungen der Performance- und fängen mässig talentiert, legte der Maler Videopionierin Joan Jonas, portraitiert in Jackson Pollock die Leinwand auf den Alexandra Bachzetsis, Teil 2 der Shifting Spaces (Kunstforum Boden und überzog sie monochrom und PRIVATE: Wear a mask when you Bd. 268), Anne Imhofs somnambule Auf- „all over“ mit „Drippings“, in raschen tän- talk to me, © Blommers führungen im Kunstkontext oder die Thea- zerischen Bewegungen getropfte Farbe. & Schumm terbilder der Videokünstlerin Wu Tsang, in Bei Lichte betrachtet kam damit nicht 305 Max Glauner – Alexandra Bachzetsis
mehr als dekorative Ornamentik heraus. St. Gallen 2003, in dem eine verlas- Sie war nicht figurativ, wohnzimmertaug- sene Kleinbürgerbehausung erfahrbar lich und handgemalt schnell sehr teuer. wird, oder Mike Nelsons Installation The Hans Namuths Fotodokumentationen Deliverance and the Patience, auf der 54. von Pollocks Malaktionen, Pollocks frü- Venedig Biennale 2011, in der dem Publi- her Tod und der öffentliche Hype taten kum ein orientalisches Guerilla-Nest zur ihr übriges. Begründet wurde der Mythos Begehung freigegeben wurde. unter anderem durch Harold Rosenberg, Die „Arena, in der der Künstler auf- Doyen der U.S.-amerikanischen Kunst- tritt“ koppelt sich in der bildenden kritik der Nachkriegsjahre. Er pointierte Kunst zunehmend an die unvermittelte 1952 in der Publikation The American körperliche Präsenz der Künstlerinnen Action Painters: „Die Leinwand ist eine und Künstler, mit der Aufführungen und Arena, in der der Künstler auftritt.“ Das Werke beglaubigt und mit einer kritisch- Dekor war von nun an durch den im Bild heroischen Spur versehen werden. Marina abwesenden Körper des Künstlers be- Abramović’ Marathon-Session The Artist seelt, der qua Beseeltheit der Bewegung is Present im New Yorker Moma 2016, eine Spur auf der Leinwand hinterlassen oder die nun mit der dritten Folge von hatte. Das Performative betritt hinter- Shifting Spaces besprochene Arbeit von rücks die Bühne der Bildenden Kunst. Alexandra Bachzetsis dokumentieren Sie findet ihre Fortsetzung um 1960 in dies. Während Joan Jonas häufig auf das der Theatralisierung des künstlerischen Environment, das Bühnenbild als Rah- Objekts im Environment, dem Kunstwerk mung ihrer Auftritte als autonomen Raum als Plattform der Partizipation in bühnen- gestaltet, setzt eine jüngere Generation, ähnlichen Installationen. Dafür stehen Ar- Tino Sehgal, Simone Aughterlony oder beiten von Allan Kaprow, George Segal, Sophie Jung auf die schiere Präsenz des Nancy und Ed Kienholz bis hin zu Jason meist weiblichen Körpers, der als Ent- Rhoades oder Christoph Büchel, The wurf, Versuchsgegenstand und prekäre House of Fiction (Pumpwerk Heimat), Instanz ins Spiel gebracht wird. EIN AUFTRAG AUS DER VERGANGENHEIT das eine kleine Bewegung, eine Haltung, ein neues Image auslöst. An einem regnerischen Oktoberabend versammelt sich Corona-versprengt, Mas- ken im Gesicht eine Schaar Kunst-Theater- Tanz-Begeisterter vor der Galerie Karma International in Zürich. Seit 2009 pflegt man zunächst als Projektraum gegründet, seit zwei Jahren als kommerzielle Galerie ein ambitioniertes Programm zwischen Alexej Jawlensky, Pop und Trash, Neuen Medien und Per- Bildnis Alexander Sacharoff, 1909, formativer Kunst. Pamela Rosenkranz, Ida Lehnbachhaus Ekblad oder Markus Oehlen gehören zu München, © gemeinfrei den vertretenen Künstler*innen. Gerade zeigt der Show Room im Erdgeschoss Die Künstlerin Alexandra Bachzetsis als eines 70er-Jahre-Bürogebäudes vis a vis selbstbewusst, klug, gewitzt, charmant, der Galerie eine Installation der jungen kurz einen ungewöhnlichen Menschen Kalifornierin Ser Serpas. Im Stockwerk zu bezeichnen, trifft. Auf der Bühne ist sie darüber ist die Bühne für Bachzetsis auf- jedoch mehr, eine Erscheinung. Das weiß gebaut. Drei Abende sind angesetzt. sie und sie spielt damit, spielt mit der Fas- Viel zu dicht gedrängt, dafür mit zination, die ihr volles Haar, ihr Blick, der Masken bewehrt, sitzen gut fünfzig ironische Zug um die Mundwinkel beim Zuschauer auf Stufen, die mit Tischen Publikum auslösen kann, das Einverneh- für die Licht- und Soundtechnik knapp men und der Bruch des Einverständnisses, unter der Decke enden. Neonröhren 306 KUNSTFORUM Serie: Shifting Spaces
strahlen kalt in den Raum. Zwei Drittel Ich habe zwischen links: Alexandra der Büroetage sind leer, durch schwere Bachzetsis, Private Pfeiler unterteilt. Die Bühne? Ein PVC- Theater und Bildender Song © Stathis Mamalakis Bodenbelag, schwarz-weißes Kachelimi- Kunst nie einen großen tat, Lautsprecherboxen, Stühle an der Unterschied gemacht. rechts: Sotiris Vasiliou Seite, mehr nicht. Auftritt, die Künstle- & Alexandra Bachzetsis rin, Turnschuhe, der schlanke Körper Es sind Plattformen, in Private Song von in einem wadenlangen, bis zum Hals differente Setups. Alexandra Bachzetsis © Mathias Voelzke enganliegenden Latexkleid, die kurzen — Alexandra Bachzetsis schwarzen Lockenhaare verwegen aufge- türmt. Person, Maske, Figur, fluide Iden- ersten Weltkrieg arbeitete Sacharoff mit tität, Bachzetsis Auftritt erinnert unwill- Wassily Kandinsky an einem synästheti- kürlich an ein Ölbild Alexej Jawlenskys, schen Kunstwerk. Lange vor Pollock und 1909, im Münchner Lehnbachhaus, das Kaprow reklamiert er neben anderen, den russisch-jüdischen Tänzer Alexander doch exponiert den Einbruch des Perfor- Sacharoff in einem scharlachroten Frau- mativen in die Bildende Kunst, des Abs- enkleid zeigt. Sie teilen das maskenhafte trakten ins Theater. Zweitens: Wer wollen Gesicht, den durchdringend auffordern- wir, wie sein? Die Geschlechteridentität, den Blick, das verschmitzte Grinsen, die so die Botschaft Sacharoffs ist Verhand- Frisur. Und den Namen, Alexander, Ale- lungssache. Auftrag: Macht etwas daraus! xandra, die Männer beschützende und Zwei Weltkriege und die Borniertheit damit auch die Männer abwehrende. Es bürgerlicher Verhältnisse ließen diese Ver- scheint, als ob mit Jawlenskys Bild ein Dä- sprechen uneingelöst. Ist nun die Zeit reif mon der Vergangenheit Aufträge an die für deren Einlösung? Vieles spricht dafür. Gegenwart erteilt. Auftrag eins: Vor dem Auch die Kunst Alexandra Bachzetsis’. 307 Max Glauner – Alexandra Bachzetsis
Sotiris Vasiliou und Thibault Lac, Private Song von Alexandra Bachzetsis © Nikolas Giakoumakis unten: Sotiris Vasiliou & Alexandra Bachzetsis in Private Song von Alexandra Bachzetsis © Mathias Voelzke 308 KUNSTFORUM Serie: Shifting Spaces
BEWEGTE BILDER gedacht, wäre die Künstlerin von der Ausbildung her dem Tanz zuzurechnen. Die Aufführung in der Zürcher Galerie Doch dies würde ihr nicht gerecht. Auch ist eine von vielen Stationen, die Bach- wenn ihre Arbeit flüchtig ist, denkt sie zetsis Private Song seit seiner Urauffüh- zuerst in bewegten Bildern, entwirft sie rung im April 2017 zur documenta 14 in Typologien von Körpern, erstellt ein Re- Piräus und kurz darauf in Kassel hinter pertoire an Bewegungs- und Verhaltens- sich hat, Porto, Berlin, Basel, Dresden, mustern, Interaktionen, die sie im Raum Stavanger. Auftritte in Barcelona und entwirft. Das Ergebnis ein Hybrid aus Rom mussten wegen der Corona-Krise Bewegung, Tableau vivant, Sound, Musik abgesagt werden. Meist sind es Theater- und Gesang. räume, Fabrikhallen, die Blackbox der Illusionsmaschine, in Zürich der White Cube. Auch wenn sie bei ihren Insze- Im Kontext einer Galerie nierungen auf die Trennung von Zu- kann die Emotionalität schauerraum und Akteuren beharrt, ist der Geste größer sein. die Aktion auf der Bühne auf Nahsicht From A to B via C, gestellt, gleich ihr erster Gang in Private Im Theater nehme ich sie 2014, © Alexandra Song ein Übergriff, der den Zuschauer als eher zurück. Dort wirkt Bachzetsis in Kollaboration mit Julia Kollaborateur aufruft: Sie fordert, in die- sie leicht dramatisch. Born and Gina Folly, sem Moment ganz Unterhaltungskünst- Ich bin für Schlichtheit Foto: Arion Doerr, lerin, einen Mann in der ersten Reihe auf, Courtesy: Performance ihr das Latexkostüm mit Glanzspray zu — Alexandra Bachzetsis Space 122 überziehen. Eine Geste, nach der sie für die einstündige Performance auf Distanz geht. Zunächst im Solo, hinreissende fünf Minuten, die vom feminin Lasziven in gymnastische Maskulinität führen, dann in Interaktion mit den Performern Thibault Lac und Sotiris Vasiliou Erpro- bungen, Entfaltungen in denen zu zweit, zu dritt Posen, Gesten, Bewegungen aus der Popkultur, dem Life-Style oder Sport in folkloristische Ausdrucksformen und den Gesang des griechischen Rembetiko überführt und aufgelöst werden. Ergibt sich eine Geschichte, ein Narrativ? Eine Geschichte, nein. Erzählungen körper- licher Formierungen und Ekstasen und Ihrer Übergänge sehr wohl. Da ist Bach- zetsis wieder nah an einer nichtlinearen Bildlogik. Die Frage ist berechtigt: Ist das mehr als Tanztheater im Kunstkontext? Alex- andra Bachzetsis, 1974 als Tochter einer Schweizerin und eines Griechen in Zü- rich geboren, studierte nach Abschluss ihrer Matur an der Accademia Teatro Dimitri im Tessiner Verscio, nahm an- schliessend am Performance Programm des Kunstzentrums STUK im flandri- schen Löwen teil. Ein Postgraduate-Stu- dium in Tanz und Theater an DasArts in Amsterdam und erste Engagements unter anderem bei „Sasha Waltz & Guests“ in Berlin und „Les Ballets C de la B“ in Gent folgten, bevor sie zu Beginn der 2000er-Jahre mit eigenen Projekten hervortrat. In Gattungen und Genres 309
Bachzetsis ein produktives Reibungsfeld, in dem sie ihren eigentlichen Untersu- chungsgegenstand in Szene setzt, eine Ar- beit an Körperbildern, die aus der Kunst- geschichte, dem Tanz, der Populärkultur, dem Sport, der Mode, stammen aber auch aus anerzogen beiläufigen Gesten und Attitüden bis hin zu selbstbestimmten Bewegungen und Haltungen in der Tra- dition der U.S.-amerikanischen Tänzerin und Choreografin Trisha Brown. Für die Aufführung entwickelte Bachzetsis gleich drei unterschiedliche Dramaturgien. Sie ging sensibel auf die Aufführungsorte und ihre medialen Be- dingungen ein, in Genf auf das Setting der Biennial of Moving Images, in Basel auf Tamar Kisch, Escape VERBINDUNG ZWEIER WELTEN den Theaterraum und schließlich auf die Act von Alexandra Online-Übertragung aus dem „Tate Live: Bachzetsis © Blommers Das Treffen mit Alexandra Bachzetsis Performance Room“. Sprach- und Klang- & Schumm einige Tage nach der Aufführung in der raum, Körper- und Bewegungsspiegelun- Zürcher Hochschule der Künste verläuft gen waren das variierte Grundthema, in entspannt und konzentriert. Sie leitet ge- London, als Hinweis auf den Ort, ein Ta- rade ein Seminar für Master Studierende bleau vivant nach Diego Velazquez’ Venus, des Fachbereich Bildende Kunst. Sympto- 1644, mit einem Amor, der der Göttin ei- matisch? „Ich habe zwischen Theater und nen Spiegel vorhält. Mit diesem Zitat ver- Bildender Kunst nie einen großen Un- weist Bachzetsis jedoch nicht nur diskret terschied gemacht. Es sind Plattformen, auf die National Gallery, sondern auch differente Setups. Jede hat ihre Konventi- auf das prekäre Verhältnis von Präsenz des onen. Mich interessieren die verschiede- Körpers und seiner zweidimensionalen nen Regeln der Begegnung und Sprache,“ Repräsentation im Bild respektive im On- entgegnet die Künstlerin. Das betrifft das line-Format. Videoarbeiten für den Kunst- Publikum und ihr Spiel: „Im Kontext kontext zeigen somit grundsätzlich keine einer Galerie kann die Emotionalität der Tanzstücke. Ihre groß projizierte Zweika- Geste größer sein. Im Theater nehme nal-Videoarbeit Studies for Massacre – Seven ich sie eher zurück. Dort wirkt sie leicht Stages, 2017, für die Kassler Documenta- dramatisch. Ich bin für Schlichtheit,“ fügt Halle wurde zwar mit den Darstellern der sie lachend hinzu. Damit ergibt sich für ein Jahr zuvor entstandenen Performance Massacre: Variations of a Theme inszeniert. Die musikalisch-tänzerische Überschrei- bung Strawinskys Sacre de printemps zu Formen des Exzess’ im Alltäglichen, stand jedoch in krassen Gegensatz zur gelasse- nen Temperiertheit des Videos. Alexandra Bachzetsis gelingt so Dimitra Vlachou, scheinbar mühelos die Verbindung zwei- Massacre: Variations er Welten, den Überstieg vom Theater in on a Theme die Bildende Kunst und zurück – produk- © Alexandra Bachzetsis tiv, gewitzt und vor allem eins: Innovativ. rechte Seite oben: Johanna Willig- Rosenstein & Sotiris Vasiliou, Chasing ANMERKUNG a Ghost von Die Fotos zu Performances von Alexandra Alexandra Bachzetsis, Bachzetsis stammen aus eigens inszenierten © Mathilde Agius Fotoshootings. Die Künstlerin fertigt keine Fotografien ihrer Life-Performances rechte Seite unten: oder Filmstills an. Alexandra Bachzetsis, Chasing a Ghost, www.karmainternational.ch © Mathilde Agius www.alexandrabachzetsis.com 310 KUNSTFORUM Serie: Shifting Spaces
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