UN-Polizei: Ordnungshüter vor großen Herausforderungen

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Rotmann | UN-Polizei: Ordnungshüter vor großen Herausforderungen

UN-Polizei: Ordnungshüter
vor großen Herausforderungen
Philipp Rotmann

Seit den sechziger Jahren dienen Polizeibeamte in           Noch bedeutender im Hinblick auf die damit ver-
Friedenseinsätzen der Vereinten Nationen. Ihre Zahl      bundenen Herausforderungen ist die qualitative Kom-
hat sich seitdem vervielfacht, ihre Arbeit ist nicht     ponente dieser Ausweitung, die in den letzten 15 Jah-
mehr wiederzuerkennen. Doch trotz aller Fortschrit-      ren stattgefunden hat. Im Zuge des Wandels der
te bleibt das System UN-Polizei in der ständigen         UN-Friedenseinsätze von der traditionellen Beob-
Mangelverwaltung gefangen. Mit gezielten, effek-         achterrolle zur ungleich komplexeren Aufgabe des
tiven und kostengünstigen Investitionen könnte           Aufbaus staatlicher Institutionen wurden Polizei-
Deutschland viel dazu beitragen, dass die ›Freunde       kräfte zum »unverzichtbaren Baustein jeglichen Über-
und Helfer‹ in Zukunft wirksamere Arbeit leisten.        gangs zu einer stabileren politischen Ordnung«, wie
                                                         es der ehemalige Außenminister Guido Westerwelle
Wenn die Waffen ruhen und mehr oder weniger wirk-        anlässlich einer Polizeikonferenz im Oktober 2012                            Philipp Rotmann,
same politische Lösungen – oft abgesichert durch         in Berlin formulierte. 4                                                     geb. 1980, ist
Blauhelme der Vereinten Nationen – den Weg aus                                                                                        Associate Director
dem (Bürger-)Krieg weisen, ist damit noch lange          Polizeiarbeit im (Nach-)Kriegszustand                                        am Global Public
nicht für die Sicherheit derjenigen gesorgt, die keine                                                                                Policy Institute
Uniform tragen. Der Großteil der Bevölkerung –           Polizeiarbeit in schwelenden Konflikten unterschei-                          (GPPi) in Berlin.
Frauen und Männer, Kinder und Alte – sind auf ein        det sich gänzlich von Polizeiarbeit in stabilen Gesell-                      Seine Forschungs-
Mindestmaß an Vorhersagbarkeit und Vertrauen an-         schaften, sowohl aus Sicht der Polizeibeamtinnen                             schwerpunkte sind
gewiesen, sich frei bewegen, das Lebensnotwendige        und -beamten und ihrer gesellschaftlichen Rolle als                          globale Friedens-
besorgen, den Lebensunterhalt verdienen oder zur         auch aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger, deren                             und Sicherheitspoli-
Schule gehen zu können. Wo dies nicht möglich ist,       Sicherheit im täglichen Leben durch die Polizei ge-                          tik, Friedenseinsätze
entsteht schnell der Nährboden für den nächsten          währleistet werden sollte. Meist sind örtliche Poli-                         und der Schutz von
gewaltsamen Konflikt.                                    zeikräfte damit überfordert.                                                 Zivilisten.
    Diese Sicherheit zumindest ansatzweise zu ge-           Der Unterschied im Selbstverständnis gegenüber
währleisten, ist gemeinhin Aufgabe der Polizei als       europäischen Polizeibeamtinnen und -beamten ist
Teil eines funktionierenden Justizsystems. In direk-     enorm. Das führt bei der erstmaligen Entsendung
ten Nachkriegssituationen oder schwelenden Kon-
flikten sind örtliche Polizei- und Sicherheitsbehörden
dazu oft nicht allein in der Lage. Als Teil moderner
Friedenseinsätze sind sie deshalb auf die Unterstüt-       1 Der Anteil an Frauen bei der UN-Polizei ist gering. Statistisch er-
zung internationaler Polizeikräfte angewiesen.           fasst wird er erst seit dem Jahr 2009. Demnach stieg er von 7,3 Prozent
                                                         auf heute 10 Prozent (Februar 2015), siehe: www.un.org/en/peace-

Dramatisches Wachstum                                    keeping/documents/gender_scres1325_chart.pdf sowie www.un.org
                                                         /en/peacekeeping/contributors/gender/2015gender/feb15.pdf
Dieser Teil der UN-Friedenssicherung hat in den letz-      2 Schon vor der Zypern-Mission (UNFICYP) 1964 entsandten die
ten drei Jahrzehnten sowohl in quantitativer als auch    Vereinten Nationen kleine Gruppen von Polizisten als Teil der Frie-
in qualitativer Hinsicht ein dramatisches Wachstum       densmissionen in Kongo (ONUC) 1960 und in West-Neuguinea (UNSF)
erfahren (vgl. Schaubild S. 52). Der Bedarf an UN-       1962, siehe Duncan Chappell/John Evans, The Role, Preparation and
Polizeikräften ist sogar schneller gewachsen als die     Performance of Civilian Police in United Nations Peacekeeping Ope-
Zahl der mandatierten Blauhelme: 1988, immerhin          rations, Criminal Law Forum, 10. Jg., 1999, S. 171–271, hier S. 179; Erwin
knapp 25 Jahre nach dem ersten Einsatz von Poli-         A. Schmidl, Police in Peace Operations, Landesverteidigungsakademie,
zeibeamten in Kongo, waren gerade einmal 35 un-          Wien 1998.
bewaffnete ›Zivilpolizisten‹ als Teil der UN-Mission       3 Monthly Summary of Military and Police Contribution to United
in Zypern tätig. Zehn Jahre später, 1998, entsand-       Nations Peacekeeping Operations, www.un.org/en/peacekeeping/
ten die Vereinten Nationen immerhin bis zu 3000          documents/Yearly.pdf
Polizeibeamte in eine Handvoll Friedenseinsätze.           4 Zitiert nach Auswärtiges Amt/Bundesministerium des Innern
Heute dienen weltweit mehr als 12 000 UN-Polizis-        (Hrsg.), The Right Capacities for New Challenges. Making Internatio-
tinnen1 und Polizisten aus 90 Ländern in 15 Einsät-      nal Police Peacekeeping More Effective for the 21st Century, Berlin
zen. 2 Fast die gesamte Personalstärke konzentriert      2013, S. 9, www.gppi.net/fileadmin/user_upload/media/pub/2013/Eck
sich auf acht große Einsätze, die Mehrheit davon auf     hard_et_al_2013_UNPOL_international_police_peacekeeping.pdf
dem afrikanischen Kontinent. 3                           (Übersetzung des Autors)

Vereinte Nationen 2/2015										                                                                                                                       51
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UN-Polizeikräfte in Einsätzen, 1995–2015 und 1960–2015                                   für Gewalt. Ihr meist sehr geringes Gehalt sehen sie
                                                                                         eher als Veteranenrente denn als Gegenleistung für
                                                                                         einen anspruchsvollen und gefährlichen Dienst. Eine
                                                                                         Polizei ist in diesem Kontext fehlender rechtlicher
                                                                                         und institutioneller Strukturen alles andere als eine
                                                                                         neutrale, professionelle Bürokratie. Das verschärft
                                                                                         die Risiken für Korruption und Machtmissbrauch
                                                                                         und befördert die Entfremdung zwischen Sicher-
                                                                                         heitskräften und Gesellschaft. Gleichzeitig haben
                                                                                         alle Personalentscheidungen, von der Aufnahme
                                                                                         neuer Rekruten bis zur Auswahl von Führungsper-
                                                                                         sonal, erhebliche Implikationen für den Zugang be-
                                                                                         stimmter Gruppen zu politischer Macht, Anerken-
                                                                                         nung und finanziellen Ressourcen.
Quelle: UN DPKO (2015) Statistics: Troop and Police Contributors, www.un.org/en/peace
keeping/resources/statistics/contributors.shtml, letzter Zugriff: 9.4.2015 (1995–2015:
monatliche Daten, 1960–1994: Trend vom Autor geschätzt).                                 Welche Aufgaben
                                                                                         hat die UN-Polizei heute?
                                                                                         Anders als Blauhelme arbeiten internationale Poli-
                         in meist außereuropäische Krisengebiete zwangs-                 zeibeamte in Friedenseinsätzen immer direkt mit den
                         läufig zu einem Kulturschock, und zwar zusätzlich               örtlichen Sicherheitskräften zusammen. Friedens­-
                         zu den ohnehin unvermeidlichen Formen des Kul-                  truppen können im Regelfall allein durch ihre Ab-
                         turschocks aufgrund von Sprach­problemen, Ernäh-                schreckungsfunktion und das politische Gewicht
                         rungsgewohnheiten oder anderer Umgangsformen.                   des UN-Sicherheitsrats im Rücken ein gewisses Maß
                         Das liegt daran, dass die kulturelle Einbettung pro-            an äußerer Sicherheit garantieren und Staatsstreichen
                         fessioneller Polizeiarbeit im eigenen Land so selbst-           vorbeugen. Von Ausnahmefällen wie dem offensiven
                         verständlich ist, dass sie für die meisten Polizeian-           militärischen Vorgehen gegen Rebellengruppen in
                         gehörigen im täglichen Leben nicht wahrgenommen                 Ostkongo und der notwendigen Kooperation zum
                         und auch in der Polizeiausbildung kaum themati-                 Schutz von Zivilisten abgesehen, sind sie dabei eher
     UN-Polizeikräfte    siert wird. Dementsprechend fehlt der Bezugspunkt               weniger auf die Zusammenarbeit mit den örtlichen
 arbeiten täglich eng    für das, was im Einsatz an Unvorhersehbarem pas-                Streitkräften angewiesen – im Gegenteil, je passiver
 mit den Kolleginnen     sieren kann. Was eine Nachkriegsgesellschaft vom                die ehemaligen Kämpfer auf ihre Demobilisierung
     und Kollegen vor    gewohnten Umfeld eines deutschen Polizeibeam-                   warten, desto besser.
  Ort zusammen und       ten unterscheidet, geht viel tiefer als das Fehlen von             UN-Polizeikräfte arbeiten demgegenüber täglich
sind auf deren Koope-    Infrastruktur, Fahrzeugen oder bestimmten Geset-                eng mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort zu-
   rationsbereitschaft   zen. Es fehlt der Grundkonsens über die Funktion                sammen und sind auf deren Kooperationsbereitschaft
          angewiesen.    von Polizei und Justiz in der Gesellschaft, und die             angewiesen. Dabei ist es unerheblich, ob die Missio-
                         Erwartungen daran unterscheiden sich innerhalb                  nen in Ausübung der Autorität des Sicherheitsrats
                         der Gesellschaft wie innerhalb der Sicherheitskräf-             selbstständig die öffentliche Sicherheit gewährleis-
                         te erheblich.                                                   ten, Amtshilfe für die örtlichen Polizeibehörden leis-
                             Im Regelfall ist die Präsenz uniformierter Poli-            ten, Polizeiausbildung betreiben oder ganze Polizei-
                         zeikräfte im täglichen Leben minimal, und wo Po-                apparate reformieren sollen.
                         lizei auftritt, hat sie wenig gemein mit dem Ideal                 All das hat heute nichts mehr mit dem zu tun,
                         vom ›Freund und Helfer‹. Es gibt oft keine funktio-             was bis in die neunziger Jahre hinein praktiziert und
                         nierende Notrufnummer; wird ein Verbrechen be-                  als das Modell ›Four men in a jeep‹ zu einem berüch-
                         gangen, schreitet niemand ein. Polizeidienststellen             tigten Beispiel für die Nutzlosigkeit von Friedensein-
                         sind für die meisten Menschen nicht erreichbar, oder            sätzen wurde. Fast vier Jahrzehnte nach der Ent-
                         die Wahrscheinlichkeit, dort Hilfe zu erhalten, ist             sendung des ersten Polizeikontingents nach Zypern
                         gering. Die meisten Verbrechen werden weder an-                 waren UN-Polizeikräfte immer noch darauf be-
                         gezeigt noch verfolgt. Menschen leben in täglicher              schränkt, ihre Kolleginnen und Kollegen vor Ort
                         Unsicherheit, viele werden Opfer von Gewalt, man-               bei der Arbeit zu besuchen, zu beobachten und über
                         che greifen zu Selbstjustiz und schaffen damit immer            Missstände zu berichten – meist ohne Folgen. Da-
                         neuen Nährboden für die Mobilisierung von Ge-                   von hatten weder die UN noch die örtliche Polizei
                         walt auf Gruppen- wie auf nationaler Ebene.                     oder die Bevölkerung irgendeinen Vorteil: Die UN
                             Kurz nach einem Bürgerkrieg verstehen sich Po-              trugen kaum zu Stabilität bei, die Polizisten hatten
                         lizistinnen und Polizisten oft nicht als Diener der             weder Grund, ihre Arbeit zu verbessern, noch Hilfe
                         Gesellschaft, sondern als Kriegsveteranen oder Teil             dabei, und die Menschen erhielten keinerlei Schutz
                         einer paramilitärischen Truppe mit einem Freibrief              vor Übergriffen. Qualifizierte internationale Poli-

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zeibeamte kehr­ten häufig frustriert von Einsätzen       ven Grundlagen für effektive Friedenseinsätze spür-
zurück; für ihre Mühen und Entbehrungen sahen            bar gestärkt. Nur dadurch war es dem UN-Sekre-                              Qualifizierte inter-
sie kaum positive oder gar nachhaltige Verände-          tariat möglich, in den letzten Jahren die meisten                           nationale Polizei-
rungen. Sergio Vieira de Mello, damaliger UN-Son-        quantitativen Zielmarken bei der Entsendung von                             beamte kehr­ten
dergesandter in Timor-Leste, brachte die Misere in       Polizisten in Krisengebiete zu erreichen und zu-                            häufig frustriert von
einem unveröffentlichten Papier auf den Punkt: »Die      mindest die dringlichsten Probleme anzugehen.                               Einsätzen zurück.
UN-Polizei braucht lange, um im Einsatzland anzu-
kommen und ist selten effektiv.«5                        Herausforderungen
   Aus dem Versagen des traditionellen Modells wur-
de die Lehre gezogen, dass erfolgreiche Stabilisie-      Trotz wichtiger Schritte in die richtige Richtung
rung eben nicht nur Beobachtung, sondern aktive          macht eine dauerhafte 15- bis 20-prozentige Lücke
Unterstützung von Reformprozessen innerhalb der          zwischen der Zahl der mandatierten und der Zahl
örtlichen Sicherheitskräfte erfordert – und für eine     der tatsächlich entsandten Polizistinnen und Polizis-
Übergangszeit unter Umständen auch die ersatz-           ten deutlich, dass es weiterhin erheblichen Verbes-
weise Übernahme von Polizeiaufgaben durch inter-         serungsbedarf gibt. So gilt nach wie vor, was das
nationale Beamte. Das kann aber nicht heißen, dass       Henry L. Stimson Center im Jahr 2012 rekapitulie-
innerhalb weniger Jahre mit tiefgreifenden Verän-        rend feststellte: »UN-Polizeieinsätze sind (…) ein
derungen der Institutionen zu rechnen ist. Mittler-      überlastetes, unterfinanziertes und institutionell un-
weile ist Konsens, dass »eine Polizeireform eine Ge-     zureichend unterstütztes Unterfangen.«9 Die Studie
nerationenaufgabe ist, die über die realistische Dauer   weiß einen breiten Expertenkonsens hinter sich, wenn
eines Friedenseinsatzes hinausgeht«6 . Der Weltent-      sie auf grundlegende Mängel in der Einsatzpraxis wie
wicklungsbericht 2011 schuf die Grundlage für die-       auch in den entscheidenden institutionellen Grund­
sen Konsens mit der Feststellung, dass, »Länder, die     lagen von Rekrutierung, Ausbildung und Doktrin
gegen die Gewalt vorgingen, nach und nach, meist         hinweist, die enorme Auswirkungen auf die Arbeit
über eine Generation hinweg, Reformen durchge-           im Einsatz haben.
führt haben, um einen sozialen Konsens herzustellen
und ihren Gesellschaften die Möglichkeit zu geben,       Mobilisierungs- und Reaktionsfähigkeit                                      Aus dem Versagen
die Veränderungen anzunehmen und ihre eigenen            Insbesondere in instabilen, krisenhaften Situationen                        des traditionellen
institutionellen Kapazitäten aufzubauen«7.               spielt der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle für                         Modells wurde die
   Die umfassende Aufgabenstellung hat Folgen für        die politische Wirkung jeglicher Intervention. Das gilt                     Lehre gezogen, dass
den Rekrutierungsbedarf von Polizeieinsätzen und         auch für die Aufstellung einer UN-Friedenstruppe:                           erfolgreiche
Polizeikomponenten in Friedenseinsätzen. Die Ver-        »Im Unterschied zu anderen Aspekten des Staats-                             Stabilisierung nicht
einten Nationen benötigen heute eine Vielzahl von        aufbaus kann die Wiederherstellung von Recht und                            nur Beobachtung,
Spezialisten, von erfahrenen Ermittlern über Grenz-      Ordnung nicht warten«, analysierte Sergio Vieira                            sondern aktive
schützer, Drogen- und Forensikexperten bis hin zu ge­    de Mello, als er gerade die Leitung der UN-Mission                          Unterstützung von
schlossenen Polizeieinheiten (Formed Police Units –      in Kosovo gegen die in Ost-Timor eingetauscht hat-                          Reformprozessen
FPUs), deren Fähigkeiten vom Streifendienst über die     te. »Herrscht das Recht nicht ab dem ersten Tag, ge-                        innerhalb der
Eindämmung gewaltsamer Unruhen bis hin zur Rolle         deiht das Verbrechen.«10 Doch im Regelfall dauert                           örtlichen Sicher-
von Sondereinsatzkommandos reichen können. 8             es Monate, bis eine neue Mission zumindest 80 Pro-                          heitskräfte
   Im Zuge der massiven Ausweitung der Einsätze          zent ihrer Sollstärke erreicht.                                             erfordert.
über die letzten Jahrzehnte haben die Mitgliedstaa-
ten viel zu langsam die notwendigen Ressourcen für
eine effektive und verantwortliche Führung und
Steuerung der Einsätze aus dem Sekretariat in New          5 Sergio Vieira de Mello, How Not to Run a Country, unveröffent-
York und der Logistikzentrale in Brindisi bereitge-      lichtes Manuskript, im Besitz des Autors, 2000.
stellt. Von zehn im Jahr 2002 wuchs die UN-Poli-           6 Auswärtiges Amt/Bundesministerium des Innern (Hrsg.), a.a.O.
zeiabteilung auf mittlerweile 64 Planstellen in New      (Anm. 4), S. 17, Übersetzung des Autors.
York und 40 im Rahmen der Ständigen Polizeika-             7 World Development Report 2011, Conflict, Security, and Develop-
pazität (Standing Police Capacity – SPC) in Brindisi,    ment, World Bank, Washington, D.C. 2011, S. 144.
die mit Stefan Feller seit dem Jahr 2013 von einem         8 Michael J. Dziedzic, Introduction, in: Robert Oakley et al., Poli-
Deutschen geführt werden.                                cing the New World Disorder: Peace Operations and Public Security,
   Einsatzplanung und -führung, Rekrutierung so-         Washington, D.C. 1998, S. 3–18, hier S. 12; Thorsten Stodiek, Internatio-
wie Konzept- und Doktrinentwicklung wurden in            nale Polizei: Ein empirisch fundiertes Konzept der zivilen Konfliktbe-
den letzten zehn Jahren erheblich professionalisiert.    arbeitung, Baden-Baden 2004, S. 67ff.
Gemeinsam mit weiteren Investitionen einzelner             9 William J. Durch et al., Understanding Impact of Police, Justice
Mitgliedstaaten und regionaler Organisationen zur        and Corrections Components in UN Peace Operations, Washington, D.C.
Verbesserung von Ausbildung und Entsendung von           2012, S. 3 (Übersetzung des Autors).
Polizeikräften haben diese Fortschritte die operati-     10 De Mello, a.a.O. (Anm. 5).

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Rotmann | UN-Polizei: Ordnungshüter vor großen Herausforderungen

                            Die UN und ihre Mitgliedstaaten arbeiten seit den      ßen Polizeiapparaten geradezu an, gegen entsprechen-
                         neunziger Jahren an diesem Problem, bislang mit sehr      de Bezahlung geschlossene Polizeieinheiten (FPUs)
                         begrenztem Erfolg. 11                                     zu stellen. Ohne sie wären die UN nicht in der Lage
                            Nachdem alle ambitionierteren Reformen am Un-          gewesen, die Anforderungen neuer Missionen in Dar-
         Die Ständige    willen der Mitgliedstaaten gescheitert waren, entwi-      fur oder Tschad auch nur im Ansatz zu bewältigen.
Polizeikapazität (SPC)   ckelte eine kleine Gruppe skandinavischer und an-             Damit holten sich die UN jedoch neue Probleme
    schließt kritische   gelsächsischer Länder eine Reihe von bescheideneren       ins Haus. Beschwerden über sexuelle Übergriffe und
 Lücken, vor allem in    Vorschlägen, um zumindest ein paar Dutzend Poli-          andere Menschenrechtsverletzungen durch UN-Po-
   der Anfangsphase      zei- und Justizexperten in ständiger Einsatzbereit-       lizeieinheiten nahmen zu. Trotz erheblichen Drucks
  neuer Einsätze und     schaft und in der direkten Verfügung des Sekreta-         tat sich das Sekretariat schwer, Ausbildungs- und
in Krisensituationen.    riats zu halten. Diese Lösung, mit zunächst 25 (in­-      Verhaltensstandards für FPUs wirksam durchzuset-
                         zwischen 40) Planstellen und dem Dienstort Brin-          zen, war man doch nach Verabschiedung enormer
                         disi, wurde letztlich Teil des Reformpakets in der        Mandatszahlen durch den Sicherheitsrat auf die Be-
                         Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze, mit dem        reitschaft aller Mitgliedstaaten zur Entsendung von
                         Ban Ki-moon seine Amtszeit als Generalsekretär            Polizeieinheiten angewiesen – zumal die Europäer
                         begann. 12                                                über Kosovo hinaus kaum dazu bereit waren und
                            Diese Ständige Polizeikapazität (SPC) schließt seit-   sind. Wiederholt kam es zu tragischen Zwischenfäl-
                         dem kritische Lücken, vor allem in der Anfangs-           len, deren Aufarbeitung sich über Jahre hinzog. Ein
                         phase neuer Einsätze und in Krisensituationen. Ihre       Beispiel dafür ist die 2007 in Reaktion auf einen
                         Errichtung ist damit mit Abstand der erfolgreichs-        Todesfall in Kosovo begonnene Untersuchung der
                         te Reformschritt zur Verbesserung der Mobilisie-          Auswahl, Ausbildung und Doktrin geschlossener Po-
                         rungs- und Reaktionsfähigkeit, doch ihr Umfang            lizeieinheiten. Erst im März 2010 wurde ein überar-
                         bleibt unzureichend – zumindest die lang geplante         beitetes Grundsatzdokument verabschiedet. Seine
                         Verdoppelung sollte baldmöglichst erfolgen.               Umsetzung, insbesondere im Ausbildungsbereich,
                                                                                   blieb bis heute unvollendet. 14
                         Geschlossene Polizeieinheiten
                         Neben dem Mobilisierungsproblem kämpften die Po-          Unterstützung bei institutionellen Reformen
                         lizeikomponenten in den Friedenseinsätzen der neun-       Auch nach einem Jahrzehnt wachsender Investitio-
                         ziger Jahre mit einer weiteren grundsätzlichen Her-       nen in UN-geführte Reformanstrengungen im Po-
                         ausforderung: In der Instabilität direkter Nachkriegs-­   lizeibereich ist klar, dass UN-Polizeikomponenten
                         phasen oder schwelender Konflikte spielen gewalt-         einen weitaus geringeren Einfluss auf die Fähigkei-
                         tätige Proteste, Streiks und politische Demonstratio-     ten und die Integrität von Polizeiorganisationen in
                         nen sowie Organisierte Kriminalität eine erhebliche       Krisenstaaten haben als die internationale Gemein-
                         und gefährliche Rolle. Weder die individuell rekru-       schaft sich erhoffte. In vielen Missionen werden der
                         tierten Streifenbeamten aus Dutzenden von Ländern         Förderung individueller und institutioneller Integ-
                         noch die als komplette Einheiten (meist in Batail-        rität sowie dem Aufbau von Verwaltungskapazitä-
                         lonsstärke) entsandten Blauhelme waren in der Lage,       ten zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Doch ohne
                         mit diesen Problemen in der Grauzone zwischen mili-       parallele Anstrengungen zur Schaffung dieser ins-
    In den Einsätzen     tärischer Stabilisierung und ziviler Polizeiarbeit ef-    titutionellen Grundlagen läuft jede praktische und
    in Südosteuropa      fektiv umzugehen: Den einen fehlte die Ausbildung         fachspezifische Ausbildungshilfe mit hoher Wahr-
  entdeckten die UN      und Ausrüstung zu gradueller Gewaltdeeskalation           schein­lichkeit ins Leere. 15
     den Nutzen von      im Kontext rechtsstaatlicher Grundsätze, den ande-            Das ist keine neue Erkenntnis, doch bislang wa-
       Bereitschafts-    ren die Fähigkeit zum Selbstschutz und zum wirksa-        ren die Vereinten Nationen nicht in der Lage, über
        polizeien und    men Vorgehen gegen massive Gewalt. 13                     einzelne Ausnahmepersönlichkeiten und -teams hin-
     Gendarmerien.           In den Einsätzen in Südosteuropa entdeckten die       aus ihre Partner vor Ort in systematischer Weise in
                         UN, vor allem aufgrund der Beiträge südeuropäischer       ihren langwierigen und politisch riskanten institu-
                         Länder, den Nutzen von Bereitschaftspolizeien, Gen-       tionellen Reformprozessen zu unterstützen. Das Se-
                         darmerien und vergleichbaren Polizeitruppen. Sie          kretariat allein kann die notwendige Kapazität nicht
                         waren nicht nur besser in der Lage, in den nur teil-      schaffen, denn anders als die ›handwerklichen‹ Fer-
                         weise befriedeten Kontexten der Friedensmissionen         tigkeiten der Polizeiarbeit gehört Organisationswan-
                         die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, sie wa-       del und effektive Führung in Veränderungsprozes-
                         ren vor allem um ein Vielfaches einfacher zu mobi-        sen nicht zum Repertoire der meisten Polizei­beam-
                         lisieren: Es kostete etwa den gleichen Verhandlungs-      ten, selbst höherer Ränge. Die wenigen erfahrenen
                         aufwand, um einen Mitgliedstaat entweder zur Ent­-        Führungspersönlichkeiten, die schon einmal grö-
                         sendung einer Handvoll einzelner Beamter oder ei-         ßere Organisationsreformen und politische Verän-
                         ner ganzen Hundertschaft zu bewegen – ein erheb-          derungen gestaltet haben, stehen viel zu selten für
                         licher Vorteil in der Expansionsphase ab 2003/            internationale Einsätze zur Verfügung. Es ist also
                         2004. Bald bot sich eine Reihe von Staaten mit gro-       nicht damit getan, ›die Richtigen‹ zu mobilisieren.

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Rotmann | UN-Polizei: Ordnungshüter vor großen Herausforderungen

    Im Rahmen ihres sogenannten ›Strategic Gui­-            Am 31. Dezember 2014 dienten 12 436 Polizis-
dance Framework‹ organisiert die Polizeiabteilung        tinnen und Polizisten aus 112 Ländern in Frie-
in der Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze seit    denseinsätzen der Vereinten Nationen. Das sind in
dem Jahr 2010 einen weltweiten Diskussionspro-           etwa so viele Personen wie der uniformierte Teil der                       Deutschland sollte
zess zur Entwicklung globaler Konzepte und Aus-          Berliner Polizei. Es sollte daher eigentlich kein Pro-                     seine personellen
bildungsinhalte. Einer der größten und anspruchs-        blem sein, aus den 193 Mitgliedstaaten der Verein-                         Beiträge in den
vollsten Themenkomplexe ist dabei die Unterstützung      ten Nationen genügend kompetente und motivierte                            Bereich qualitativ
institutioneller Reformprozesse. Auch die Entwick-       Expertinnen und Experten zu gewinnen. Dazu müss-                           nützlicher Größen-
lung von Konzepten und Handbüchern kann dabei            ten aber die Europäer mehr beitragen als die gegen-                        ordnungen heben
nur Teil der Lösung sein. Letztlich wird sich die dif-   wärtigen fünf Prozent. 16                                                  und ein höheres Maß
fizile politische Praxis von Polizeireform durch Frie-      In institutioneller Hinsicht ist es lehrreich zu be-                    an Kontinuität in
denseinsätze nur dann verbessern lassen, wenn aus        trachten, was das Auswärtige Amt und das Bundes-                           der institutionellen
dem heutigen Netzwerk von ein bis zwei Dutzend           ministerium des Inneren in den Jahren 2012/2013                            und politischen
kreativer, begeisterter und erfolgreicher ›change ma-    mit minimalen finanziellen Ressourcen auf die Bei-                         Unterstützung
nager‹ eine kritische Masse global vernetzter Poli-      ne gestellt haben. Eine hochrangige Konferenz in                           schaffen.
zeireformer aus allen Kulturkreisen wird, die ein kol-   Berlin17 schuf eine Gelegenheit zur Netzwerkpflege,
lektives Gedächtnis entwickeln und neue Generatio­-      die politisch sowohl nach innen wirkte als auch zum
nen von Führungspersönlichkeiten heranziehen kön-        Ausgangspunkt eines politischen Impulses in New
nen. Dieser Prozess kann nicht gesetzlich oder mul-      York wurde. In den Folgemonaten war Deutschland
tilateral verordnet werden, sein Erfolg hängt aber       dort wesentlich an der Gründung einer ›Freundes-
durchaus auch von der gezielten finanziellen und poli-   gruppe UN-Polizei‹ beteiligt, einem diplomatischen
tischen Unterstützung von Netzwerktreffen und pro-       Vehikel zur Schaffung nachhaltiger politischer Auf-
fessionellen Foren ab.                                   merksamkeit für das Thema. Bislang scheint dieses
                                                         Engagement einen einmaligen Charakter zu haben,
Aus dem Teufelskreis                                     doch die Gelegenheit zu nützlichen, gezielten und kos-
der Mangelverwaltung heraus                              teneffektiven Beiträgen besteht weiter – umso mehr,
                                                         so lange mit Stefan Feller18 ein deutscher Polizeibe-
Die Erfahrungen aus Kosovo und Bosnien, Timor-           amter an der Spitze der UN-Polizeiabteilung in New
Leste, Sierra Leone und Haiti wie auch heute aus der     York steht.
Zentralafrikanischen Republik und aus Südsudan
ergeben einen frustrierenden Befund: Internationale
Polizeieinsätze sind unverzichtbar, werden aber bis-
lang den praktischen Herausforderungen für eine
effektive Stabilisierung von Nachkriegsgesellschaf-
ten nicht gerecht. Über die notwendigen Verbesse-
rungen von Mobilisierungsmechanismen, Diszip-
lin, Doktrin und der Entwicklung von Führungs-
personal hinaus gilt es, bescheidenere und realisti-
schere Ziele zu formulieren, die den schwierigen Rah-    11 Zum Folgenden ausführlicher Thorsten Benner/Stephan Mergen­
menbedingungen der Einsatzländer gerecht werden.         thaler/Philipp Rotmann, The New World of UN Peace Operations:
    Das erfordert, dass die Mitgliedstaaten und das      Learning to Build Peace? Oxford 2011, S. 83ff.
Sekretariat gemeinsam den gegenwärtigen Teufels-         12 Siehe auch Thorsten Benner/Philipp Rotmann, Operation Blauhelm-
kreis durchbrechen, in dem das tägliche Krisenmana-      reform, Vereinte Nationen, 5/2007, 177–182.
gement keinen Raum für die Bewältigung der strate-       13 Robert Oakley/Michael J. Dziedzic, Conclusions, in: Oakley et al.,
gischen Herausforderungen lässt. Solange der Bedarf      a.a.O. (Anm. 8), S. 509–535, hier S. 518ff.; ausführlicher auch Benner/
an Friedensmissionen auf einem ähnlich hohen Ni-         Mergenthaler/Rotmann, a.a.O. (Anm. 11), S. 74ff.
veau bleibt wie in den letzten zehn Jahren werden sich   14 Private Korrespondenz des Autors mit DPKO-Mitarbeitern.
die langfristigen Probleme innerhalb der gegebe-         15 Durch et al., a.a.O. (Anm. 9), S. 42; vgl. Eric Scheye, Pragmatic Re-
nen Strukturen und Ressourcen nicht lösen lassen.        alism in Justice and Security Development: Supporting Improvement
    Deutschland könnte dabei eine katalytische Rol-      in the Performance of Non-State/Local Justice and Security Networks,
le spielen. Dazu gälte es, einerseits die personellen    Den Haag 2009; Robert Oakley/Michael J. Dziedzic/Eliot M. Goldberg
Beiträge aus der Bedeutungslosigkeit in den Bereich      (Eds.), Policing the New World Disorder: Peace Operations and Public
qualitativ nützlicher Größenordnungen zu heben           Security, Washington, D.C. 1998.
(denn mit quantitativ erheblichen Beiträgen wird nicht   16 Zur Situation Deutschlands siehe Steffen Eckhard, in diesem
zu rechnen sein) sowie andererseits ein höheres Maß      Heft, S. 59–58.
an Kontinuität in der institutionellen und politi-       17 Vgl. Auswärtiges Amt/Bundesministerium des Innern, a.a.O.
schen Unterstützung des Instruments UN-Polizei           (Anm. 4).
zu schaffen.                                             18 Siehe das Interview mit Stefan Feller, in diesem Heft, S. 56–58.

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