Untersuchungsbericht Identifikation
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung Untersuchungsbericht Identifikation Art des Ereignisses: Unfall Datum: 19.09.2020 Ort: Moosburg Luftfahrzeug: Flugzeug Hersteller: Amateurbau Muster: Raven 2XS Personenschaden: Pilot und Fluggast tödlich verletzt Sachschaden: Luftfahrzeug zerstört Drittschaden: Flurschaden Aktenzeichen: BFU20-0809-CX Kurzdarstellung Bei einem Überflug über der Piste kam es zu Motorstörungen. Beim anschließenden Versuch einer Umkehrkurve geriet das Flugzeug in eine unkontrollierte Fluglage und stürzte ab.
Untersuchungsbericht BFU20-0809-CX Sachverhalt Ereignisse und Flugverlauf Der verantwortliche Pilot war zusammen mit einem Passagier um 10:12 Uhr1 vom Verkehrslandeplatz Meschede-Schüren gestartet. Ziel war der Sonderlandeplatz Moosburg auf der Kippe. Es handelte sich um einen Überführungsflug, der nach Sichtflugregeln durchgeführt wurde. Laut Aussage eines Zeugen hatte der verant- wortliche Pilot das Luftfahrzeug am Vorabend mit 85 l Kraftstoff (AVGAS 100LL) be- tankt. Die Flugleiterin des Zielflugplatzes gab an, dass sich der Pilot etwa 5 Minuten vor Er- reichen des Platzes meldete. Er sei schwer zu verstehen gewesen. Der Pilot habe gefragt, ob ein Überflug der Piste 22 mit anschließender Landung auf der Piste 04 möglich sei. Dies habe sie bejaht. Das Flugzeug habe dann die Piste 04 angeflogen. Etwa in Höhe der Halbbahnmarkierung sei die Leistung erhöht worden. Es habe un- mittelbar Motoraussetzer gegeben und der Pilot hätte noch einen unverständlichen Funkspruch abgesetzt, aus dem nur das Fragment „04“ identifizierbar gewesen sei. Kurz danach sei sie informiert worden, dass das Flugzeug abgestürzt sei, und habe die Rettungskräfte alarmiert. Die Befragung weiterer Zeugen ergab, dass das Luftfahrzeug die Piste 04 in einer Höhe von etwa 100 m bis 150 m überflog. Etwa auf Höhe der Halbbahnmarkierung sei die Triebwerksleitung erhöht worden. Direkt danach sei es zu Motoraussetzern gekommen. Das Luftfahrzeug sei nach rechts von der Mittellinie der Piste 04 abgewi- chen und daraufhin nach links, wohl mit dem Ziel, zum Platz zurückzukehren, einge- kurvt. Dabei sei es über die linke Seite abgekippt. Die zur Verfügung stehenden Radardaten belegen diese Aussagen. Demnach über- flog das Luftfahrzeug die Schwelle der Piste 04 in einer Höhe von 407 ft AGL mit ei- ner Geschwindigkeit von 148 kt über Grund. In Höhe der Bahnmitte hatte es eine Geschwindigkeit von 143 kt über Grund und eine Höhe von 411 ft AGL. Im weiteren Verlauf verlor es etwa 100 ft an Höhe, wich nach rechts von der Bahnmittellinie ab und leitete eine Linkskurve ein. Die letzte Radarerfassung wurde um 12:04:57 Uhr in einer Höhe von 313 ft AGL, etwa 70 m südwestlich der Unfallstelle dokumentiert. Die Geschwindigkeit betrug 114 kt über Grund. 1 Alle angegebenen Zeiten, soweit nicht anders bezeichnet, entsprechen Ortszeit -2-
Untersuchungsbericht BFU20-0809-CX Das Flugzeug stürzte in Verlängerung der Piste 04, etwa 180 m hinter der Schwelle der Piste 22, in einem mit Büschen bewachsenen Gelände ab. Beide Insassen ver- starben an der Unfallstelle. Abb.1: Anflug Quelle: Google Earth, Bundeswehr Geschwindigkeit und Höhe über Grund Bearbeitung: BFU -3-
Untersuchungsbericht BFU20-0809-CX Angaben zu Personen Verantwortlicher Pilot Der 44-jährige verantwortliche Pilot war im Besitz einer PPL(A), erteilt durch die Be- zirksregierung Münster, Ausstellungsdatum 06.10.1998, mit den folgenden Berechti- gungen: SEP (land) gültig bis: 30.06.2021 Aerobatic (A) unbefristet ST (A)2 unbefristet Zusätzlich besaß er eine Privatpilotenlizenz, ausgestellt durch die FAA3, Ausstel- lungdatum 21.07.2005. Eingetragen war die Berechtigung SEP (land). Diese Lizenz war in Verbindung mit seiner deutschen Lizenz gültig. Er verfügte über ein flugmedizinisches Tauglichkeitszeugnis der Klasse 2, gültig bis zum 15.04.2021. Es waren keine Einschränkungen eingetragen. Er hatte eine Ge- samtflugerfahrung von ca. 830 Stunden. Seine Flugerfahrung auf dem betroffenen Muster betrug laut Flugbuch seit Septem- ber 2017 etwa 40 Stunden, wobei von insgesamt 116 dokumentierten Flügen 6 eine Flugdauer von mehr als 1,5 Stunden aufwiesen. Die Einträge waren hauptsächlich mit der Bemerkung „Kunstflug“ versehen und von relativ kurzer Flugdauer. Angaben zum Luftfahrzeug Amateurbau/Raven 2XS Bei dem betroffenen Flugzeugmuster handelte es sich um einen zweisitzigen, einmo- torigen Doppeldecker, angetrieben durch ein 280 PS starkes Lycoming-AEIO-540- EX-Kolbentriebwerk. Es wurde als Kunstflugflugzeug eingesetzt. Die maximale Ab- flugmasse betrug 1 700 lb4. Es war als Selbstbau (Experimental) in den USA auf ei- nen amerikanischen Sachwalter zugelassen und wurde durch den verantwortlichen Piloten privat betrieben. 2 Schleppberechtigung mit Motorflugzeugen 3 Federal Aviation Administration 4 Pfund im angloamerikanischen Maßsystem (1 lb = 0,45 kg) -4-
Untersuchungsbericht BFU20-0809-CX Luftfahrzeugmasse und Schwerpunkt Laut dem Wägebericht vom 29.07.2011 hatte das Luftfahrzeug eine Leermasse von 1 323 lb. Der an der Unfallstelle vorgefundene Restkraftstoff hatte eine Masse von 31,6 lb. Der vordere Insasse wog mit Kleidung 165 lb. Der hinten sitzende Pilot wog mit Kleidung und Fallschirm 280 lb. Das Gepäck hinter dem Piloten hatte eine Masse von 15,4 lb. Die ermittelte Gesamtmasse betrug zum Unfallzeitpunkt 1 815 lb. Der ermittelte Schwerpunkt lag 92,7‘‘5 hinter dem Bezugspunkt und somit außerhalb des maximal zulässigen hinteren Limits von 90,2‘‘. Kraftstoffmenge und Kraftstoffverbrauch Das Luftfahrzeug verfügte über einen Haupttank, welcher sich in der Kabine vor dem vorderen Sitzplatz befand. Er hatte ein Fassungsvermögen von 87 l, wobei 3,78 l als nicht ausfliegbare Restmenge definiert waren. In der oberen Tragfläche befand sich ein Zusatztank, der ein Fassungsvermögen von 18,9 l hatte. Die maximal zur Verfü- gung stehende Kraftstoffmenge betrug somit 102 l. Es gab keine direkte Verbindung vom Zusatztank zum Triebwerk. Um den Kraftstoffvorrat des Zusatztanks verwenden zu können, musste während des Fluges, nachdem eine entsprechende Menge aus dem Haupttank verbraucht worden war, der Zusatztank in den Haupttank entleert werden. Wurde dies versäumt, stand diese Kraftstoffmenge nicht zur Verfügung. Der Zusatztank wird nur für Überlandflüge befüllt, da er bei Kunstflugmanövern auslaufen würde. Das Luftfahrzeug verfügte nicht über Kraftstoffanzeigen. Stattdessen war eine Kraft- stoffverbrauchsanzeige (Flight Data Systems, FC-10 Fuel Computer) verbaut, welche die zur Verfügung stehende Kraftstoffmenge aufgrund des Durchflusses ermittelte. In dieser musste vor dem Start die verfügbare Kraftstoffmenge eingegeben werden. Wenn vor dem Flug die volle Kraftstoffmenge eingegeben und während des Fluges versäumt wird, den Hahn vom Reservetank rechtzeitig zu öffnen, kann es dazu füh- ren, dass die Kraftstoffverbrauchsanzeige noch einen Kraftstoffvorrat anzeigt, wel- cher jedoch tatsächlich nicht verfügbar ist. Auf der Instrumententafel des Piloten und der Tankbedieneinheit befanden sich Warnhinweise, die daran erinnern sollten, den Tankschalter des Haupttanks während 5 Zoll -5-
Untersuchungsbericht BFU20-0809-CX des Fluges nicht zu schließen und das der Inhalt des Zusatztanks nur in den Haupt- tank fließt (Abb. 2 und 3). Laut dem Owner’s Manual liegt der Kraftstoffverbrauch bei einer Fluggeschwindigkeit von 140 kt TAS (bei Windstille in 3 000 ft/MSL) bei etwa 43 Liter/Std. Theoretisch stand mit 102 l somit Kraftstoff für eine Flugzeit von etwa 2 Stunden und 20 Minuten zur Verfügung. Bei der ausschließlichen Nutzung des Kraftstoffs aus dem Haupttank (rechnerisch maximal 83,22 l) hätte Kraftstoff für eine Flugzeit von etwa 1 Stunde und 56 Minuten zur Verfügung gestanden. Abb.2: Warnhinweis auf der Instrumententafel Quelle: BFU -6-
Untersuchungsbericht BFU20-0809-CX Abb. 3: Tankschalter, links neben dem Pilotensitz mit Warnhinweis Quelle: BFU Meteorologische Informationen In der Routinewettermeldung (METAR) des 11 NM von Moosburg entfernt gelegenen Verkehrsflughafens München von 11:50 Uhr wurden folgende Bedingungen angege- ben: Bodenwind: 060°, 6 kt, variabel zwischen 020° und 110° Bodensicht: mehr als 10 km Keine signifikante Bewölkung unterhalb 5 000 ft GND (CAVOK) Temperatur: 16° C, Taupunkt: 10° C QNH: 1 020 hPa Der Pilot informierte während des Fluges einen der Unfallzeugen über einen Mes- sengerdienst, dass er sich, aufgrund starken Gegenwindes verspäten würde. -7-
Untersuchungsbericht BFU20-0809-CX Funkverkehr Es bestand Funkverkehr zwischen der Besatzung und dem Sonderlandeplatz Moos- burg, der nicht aufgezeichnet wurde. Angaben zum Flugplatz Der Sonderlandeplatz Moosburg auf der Kippe (EDPI) befindet sich ca. 1,5 km süd- lich des Ortes Moosburg. Der Platz kann von Flugzeugen bis zu einer maximalen Ab- flugmasse (MTOM) von 2 000 kg und Hubschraubern bis 5 700 kg MTOM genutzt werden. Er verfügte über eine 700 m lange und 30 m breite Grasbahn in der Ausrich- tung 04/22 (037°/217°). Die verfügbare Landestrecke der Piste 04 betrug 500 m. Die Platzrundenhöhe für Motorflugzeuge beträgt 2 300 ft AMSL. Im Luftfahrthandbuch wird auf Hindernisse (Bäume) beiderseits des Sicherheitsstreifens und im An- und Abflugbereich hingewiesen. Abb. 4: Ausschnitt der Anflugkarte mit Unfallstelle (roter Stern) Quelle: AIP -8-
Untersuchungsbericht BFU20-0809-CX Flugdatenaufzeichnung Für die Untersuchung standen der BFU Radardaten zur Verfügung, welche durch die Bundeswehr bereitgestellt wurden. Laut diesen Daten bewegte sich das Luftfahrzeug während des Reisefluges in Höhen zwischen 2 000 - 4 000 ft AMSL mit einer Ge- schwindigkeit von etwa 120 – 130 kt über Grund. Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug Die Unfallstelle befand sich ca. 180 m vor der Schwelle der Piste 22, etwa 15 m süd- östlich der verlängerten Pistenmittellinie der Piste 04 (Abb. 5). Sie war aufgrund von ca. 4 m hohem Buschwerk schwer zugänglich. -9-
Untersuchungsbericht BFU20-0809-CX Abb. 5: Unfallstelle Quelle: BFU Das Luftfahrzeug war im Frontbereich und an den Tragflächen stark beschädigt. Die Steuerflächen waren vollständig. Die Verbindungen von den Steuerorganen zu den Steuerflächen waren vorhanden. Die Steuerorgane, die Verbindungen zu den Steu- erflächen und diese selbst waren freigängig. Die Anschlüsse, Sicherungen, Führun- - 10 -
Untersuchungsbericht BFU20-0809-CX gen und Lager der Steuerung waren nicht beeinträchtigt. Ein Propellerblatt befand sich noch unbeschädigt an der Nabe (Abb. 6). Ein weiteres steckte unter dem Trieb- werk im Boden und das dritte wurde etwa 1,2 m links neben dem Triebwerk gefun- den. Beide Tanks waren deformiert, aber dicht. Der Deckel des Zusatztanks befand sich nicht auf der Füllöffnung, jedoch neben dem Flugzeug. Im Haupttank befanden sich 0,7 l Kraftstoff, im Zusatztank 9,5 l. Der Füllstand reichte bis an die Füllöffnung her- an. Abb. 6: Unbeschädigtes Propellerblatt an der Nabe Quelle: BFU Der Tank war durch die Lage des Luftfahrzeuges schräg nach vorne geneigt. Die Rettungskräfte fanden die Tankschalter in den folgenden Positionen vor: Haupttank zu, Zusatztank auf. Aufgrund der Lage des Luftfahrzeuges konnten die 9,5 l nach dem Unfall nicht aus dem Zusatztank in den Haupttank fließen. Der Hauptschalter wurde in der Position „AUS“ vorgefunden. Nach Aussage der Rettungskräfte roch es an der Unfallstelle stark nach ausgelaufenem Kraftstoff. - 11 -
Untersuchungsbericht BFU20-0809-CX Alle 6 Zündkerzen wurden ausgebaut und überprüft. Es wurden keine Verunreini- gungen festgestellt. Die Elektroden waren oberflächlich sehr hell und trocken (Abb. 7). Die Einspritzverteilerspinne wurde ebenfalls ausgebaut und begutachtet. Es stellte sich heraus, dass sich in ihr kein Kraftstoff befand. Ein Verteiler war an der Verschraubung abgebrochen (Abb. 8). Aufgrund der Lage des Triebwerks hätte Kraftstoff aus dieser Bruchstelle nicht auslaufen können. Abb. 7: Zündkerzen Quelle: BFU Abb. 8: Einspritzverteilerspinne Quelle: BFU - 12 -
Untersuchungsbericht BFU20-0809-CX Medizinische und pathologische Angaben Eine gerichtlich angeordnete Obduktion wurde durchgeführt. Beide Insassen waren in Folge schwerer Mehrfachverletzungen (Polytrauma) verstorben. Es ergaben sich keine Hinweise auf Vorerkrankungen, die zum Unfallzeitpunkt die Fliegertauglichkeit oder Flugtüchtigkeit eingeschränkt hätten. Brand Es entstand kein Brand. Zusätzliche Informationen Um die Funktion des Kraftstoffsystems zu prüfen, wurde im Verlauf der Untersu- chung ein Versuchsaufbau konstruiert. Ziel war es, den Kraftstofffluss nachzuvollzie- hen und zu eruieren, wie die Restmenge im Zusatztank erklärt werden kann, obwohl am Triebwerk kein Kraftstoff ankam. Der Zusatztank war noch im Mittelteil der obe- ren Tragfläche integriert und wurde soweit in Schräglage versetzt, dass diese der Position an der Unfallstelle entsprach. In dieser Lage wurde der Tank bis an den Rand der Füllöffnung mit Wasser befüllt. Das Wasser konnte in dieser Position über die abgewinkelte Kraftstoffleitung nicht abfließen (Abb. 9 und 10). - 13 -
Untersuchungsbericht BFU20-0809-CX Abb. 9: Versuchsaufbau Reservetank Quelle: BFU Abb. 10: Maximale Befüllung des Reservetanks Quelle: BFU - 14 -
Untersuchungsbericht BFU20-0809-CX Als der Reservetank in eine waagerechte Position gebracht wurde, konnte das Was- ser restlos abfließen (Abb. 11). Die Menge entsprach der an der Unfallstelle ermittel- ten Restmenge von etwa 9,5 l. Abb. 11: Prüfung der Leitungsdurchgängigkeit Reservetank Quelle: BFU Zur Überprüfung des Kraftstoffflusses vom Reserve- zum Haupttank wurde ein Was- serkanister anstelle des Reservetanks verwendet, da die Kraftstoffleitung zwischen Reserve- und Haupttank an der Unfallstelle durchtrennt wurde. Über eine separate Schlauchleitung wurde der Wasserkanister mit der abgetrennten Benzinleitung am Luftfahrzeug verbunden. Der Kanister wurde etwa einen Meter höher als der Haupt- tank positioniert, was der Einbausituation im Luftfahrzeug entsprach. Der obere Kraftstoffhahn des Reservetanks im Cockpit (Abb. 2) wurde mehrfach ge- öffnet und wieder geschlossen. Das Wasser konnte bei geöffnetem Hahn ungehin- dert in den Haupttank fließen. Bei geschlossenem Hahn floss kein Wasser in den Haupttank. Anschließend wurde die Dichtigkeit des gestauchten Haupttanks über- prüft, indem er mit etwa 20 l Wasser befüllt wurde. Es wurden keine Undichtigkeiten festgestellt. - 15 -
Untersuchungsbericht BFU20-0809-CX Beurteilung Pilot Der verantwortliche Pilot verfügte über eine gültige Lizenz und ein gültiges flugmedi- zinisches Tauglichkeitszeugnis. Die Obduktion ergab keine Hinweise, dass Vorer- krankungen oder sonstige körperliche Einschränkungen für den Unfall ursächlich wa- ren. Er hatte eine hohe Flugerfahrung, was den Kunstflug mit dem betroffenen Muster betraf. Die Flugerfahrung hinsichtlich längerer Flüge auf dem Muster während der letzten 3 Jahre war gering. Individuelle Handlungen Der Pilot entschied sich, vor der Landung noch einen Überflug durchzuführen. Hier- bei handelte es sich nicht um ein Standardverfahren beim Anflug eines Flugplatzes. In Höhe der Bahnmitte kam es zu Triebwerksaussetzern. Der Pilot wich nach rechts von der Mittelinie ab und versuchte dann eine steile Umkehrkurve zu fliegen, sehr wahrscheinlich mit der Intention, entgegen der ursprünglich geplanten Landerichtung zu landen. Dabei kippte das Luftfahrzeug über die linke Tragfläche ab. Eine Umkehr- kurve nach einem Triebwerksausfall in niedriger Höhe sollte grundsätzlich vermieden werden. Aufgrund des relativ hohen Bewuchses in Verlängerung der Piste 04 und des dahinter liegenden Flusses wäre ein Ausweichen nach links und der Versuch ei- ner Notlandung auf der nördlich liegenden Freifläche eine bessere Option gewesen (Abb. 4). Für diese Entscheidung blieb jedoch kaum Zeit. Kraftstoffmanagement Die theoretisch maximal zur Verfügung stehende Kraftstoffmenge hätte für einen Flug mit einer Dauer von etwa 2 Stunden und 20 Minuten (ohne Sicherheitsreserven) ausgereicht. Es ist davon auszugehen, dass das Flugzeug den Startflugplatz vollge- tankt verlassen hat. Aufgrund der aufgefundenen Restmenge im Reservetank ist da- von auszugehen, dass der Hahn zum Befüllen des Haupttanks nicht rechtzeitig ge- öffnet worden ist. Die an der Unfallstelle vorgefundenen Stellungen der Kraftstoffhähne deuten darauf hin, dass der Hahn zur Befüllung des Haupttanks aus dem Zusatztank erst geöffnet wurde, als es bereits Triebwerksaussetzer gab und der Hahn des Haupttanks im weiteren Verlauf geschlossen wurde. Es ist nicht auszu- schließen, dass der Hahn für den Haupttank geschlossen wurde, um eine Notlan- - 16 -
Untersuchungsbericht BFU20-0809-CX dung vorzubereiten. Dies wird auch durch den Fakt unterstützt, dass der Hauptschal- ter für die Elektrik in der Position „AUS“ vorgefunden wurde. Auch die Flugdauer lässt den Schluss zu, dass nur Kraftstoff aus dem Haupttank ge- nutzt worden ist. Rechnerisch hätte diese Menge unter optimalen Bedingungen für einen Flug mit einer Dauer von 1 Stunde und 56 Minuten ausgereicht. Die Zeit vom Start bis zum Unfall betrug etwa 1 Stunde und 53 Minuten. Die Restmenge Kraftstoff im Haupttank deutlich unterhalb der nicht ausfliegbaren Kraftstoffmenge, die trocke- ne Einspritzverteilerspinne und die trockenen, hell gefärbten Zündkerzen belegen, dass das Triebwerk lief, bis es keinen Kraftstoff mehr bekam. Die helle Färbung der Zündkerzen deutet auf eine hohe Verbrennungstemperatur hin. Dies geschieht auch, wenn zum Beispiel das Kraftstoffgemisch stark abgemagert wird und es dabei zu ei- ner Kraftstoffunterversorgung kommt. Es wurde nachgewiesen, dass beide Tanks dicht waren. Die ermittelten 0,7 l entsprachen der tatsächlichen Restkraftstoffmenge im Haupttank. Die ermittelte Faktenlage könnte das Szenario einer fehlerhaften Bedienung des Tanksystems, bei dem der Haupttank nicht rechtzeitig aus dem Reservetank befüllt wurde, erklären. Vermutlich wurde der Zusatztank durch den Piloten nur sehr selten benutzt, da er das Flugzeug überwiegend für Kunstflüge und weniger für längere Flugstrecken benutzt hat. Luftfahrzeug Bei der Untersuchung des Luftfahrzeuges ergaben sich keine Hinweise auf techni- sche Mängel, welche als unfallursächlich anzusehen wären. Masse und Schwerpunkt Der Schwerpunkt lag außerhalb der zulässigen Grenzen und das Luftfahrzeug war überladen. Der zu weit hinten liegende Schwerpunkt hat eine Schwanzlastigkeit zur Folge, wodurch die Steuerbarkeit abnehmen und die Trudelneigung zunehmen kann. Gerade in Verbindung mit einem Triebwerksausfall in niedriger Höhe kann dies gra- vierende Folgen haben. Es ist davon auszugehen, dass die Masse des Luftfahrzeu- ges und die Schwerpunktlage zum Absturz beigetragen haben. - 17 -
Untersuchungsbericht BFU20-0809-CX Örtliche Gegebenheiten Der An- und Abflugbereich des Flugplatzes war dicht bewachsen. Im Abflugbereich der Piste 04 befindet sich zudem ein relativ breiter Fluss. Lediglich nördlich des Plat- zes gab es beschränkte Außenlandemöglichkeiten. Schlussfolgerungen Der Flugunfall bei dem das Flugzeug aus geringer Flughöhe abkippte, ist auf folgen- de Ursachen zurückzuführen: - Triebwerksstörung beim Überflug über die Piste. - Unterschreitung der erforderlichen Geschwindigkeit beim Einleiten einer Um- kehrkurve. Beitragende Faktoren: - Die Bedienung der Kraftstoffversorgung war fehlerhaft. - Das Luftfahrzeug war überladen und der Schwerpunkt lag zu weit hinten. Untersuchungsführer: Christian Blanke Untersuchung vor Ort: Herbert Lehner, Jürgen Freytag Braunschweig, 21.06.2021 - 18 -
Untersuchungsbericht BFU20-0809-CX Die Untersuchung wurde in Übereinstimmung mit der Verordnung (EU) Nr. 996/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Okto- ber 2010 über die Untersuchung und Verhütung von Unfällen und Störun- gen in der Zivilluftfahrt und dem Gesetz über die Untersuchung von Unfäl- len und Störungen beim Betrieb ziviler Luftfahrzeuge (Flugunfall- Untersuchungs-Gesetz - FlUUG) vom 26. August 1998 durchgeführt. Danach ist das alleinige Ziel der Untersuchung die Verhütung künftiger Unfälle und Störungen. Die Untersuchung dient nicht der Feststellung des Verschuldens, der Haftung oder von Ansprüchen. Herausgeber Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung Hermann-Blenk-Str. 16 38108 Braunschweig Telefon 0 531 35 48 - 0 Telefax 0 531 35 48 - 246 Mail box@bfu-web.de Internet www.bfu-web.de - 19 -
Sie können auch lesen