Zunehmende Verdichtung und konkurrierende Nutzungen - Klärle
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3 · 2018 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Urbane Räume und Flächen Zunehmende Verdichtung und konkurrierende Nutzungen Straßenraumgestaltung | Spielraum in Städten | Grüne Infrastruktur | Dach- und Fassadenbegrünung | Stadtnatur
THEMA Urbane Räume und Flächen Dachbegrünung. © Frankfurt UAS/ Martina Klärle GREEN-AREA Intelligentes Gründachkataster auf der Basis von GIS-Daten Dachbegrünung, Geoinformationssysteme (GIS), Klimaschutz, Urban Gardening, Hochwasserschutz Martina Klärle, Ute Langendörfer Mit dem Gründachkataster GREEN-AREA liefert der Forschungsbereich der Geoinformatik an der Frank- furt University of Applied Sciences dort einen bedeutenden Beitrag zur Verbesserung des Klimas und der Biodiversität, wo er am nötigsten ist: in der Stadt. Darüber hinaus beantwortet GREEN-AREA wei- tere interessante Fragen: Wie viel Feinstaub wird gebunden? Wie viel CO2 wird absorbiert? Wieviel Was- ser wird zum Beispiel bei Starkregen durch die verzögerte Abgabe des Regenwassers zurückgehalten? Wieviel Abwassergebühr wird eingespart? Diese Informationen können dank GREEN-AREA über einen Online-Kartendienst für jede einzelne Dachfläche abgerufen werden. Das Gründachkataster ist ein geeignetes Werkzeug Die Vorteile einer Dachbegrünung sind vielfältig. für Städte und Ballungsräume mit Anpassungsdruck So verringert sich bei einem bepflanzten Dach die an den Klimawandel. Es zeigt auf, wo Dächer groß- Abwassermenge bei Regen, da dort bis zu 80 % des flächig begrünt werden können, um das Kleinklima Niederschlags zurückgehalten werden. Dadurch lokal zu verbessern. werden Abwassergebühren eingespart und Kanal- 74 3ɋ·Ɍɋ2018 TRANSFORMING CITIES
THEMA Urbane Räume und Flächen systeme bei Starkniederschlägen weniger stark be- unter die Rubrik „teilversiegelte befestigte Flächen“, lastet. Der Pflanzenbewuchs im Stadtgebiet redu- wofür unabhängig von der Art der Bepflanzung ein ziert außerdem den Gehalt von CO2 und Feinstaub einheitlicher Versiegelungsfaktor von 0,5 angesetzt in der Luft – ein wichtiges Element von Anpassungs- wird. Ein Gründach verringert somit in Abhängigkeit strategien der Ballungsräume an den Klimawandel. der Dachgröße die Abwassergebühren für Nieder- Ein weiterer Vorteil eines Gründaches ist die Steige- schlagswasser um bis zu 50 %. rung der biologischen Vielfalt in der Stadt. Bepflanz- Dachbegrünungen wirken dämmend. Untersu- te Dächer können von Vögeln und Insekten als Auf- chungen haben gezeigt, dass Gründächer den Wär- enthaltsort genutzt werden, die in eng bebauten me- und Kälteschutz verbessern. Stadtgebieten sonst nur wenige Rückzugsgebiete Nicht zuletzt stellt die Bepflanzung einen Schutz vorfinden. vor UV-Strahlung und starken Temperaturschwan- Jede begrünte Fläche vermindert den Versiege- kungen dar und bewirkt somit eine längere Lebens- lungsgrad in Städten und wirkt der Bildung von Wär- dauer der Dachabdichtung. Nach Erkenntnissen des meinseln entgegen. Durch Feuchtigkeitsaufnahme Bundesverbands GebäudeGrün e. V. (BuGG) liegt und Verdunstung heizen sich die begrünten Gebäu- die Lebensdauer bekiester Flachdächer bei fach- deoberflächen im Sommer weniger stark auf, was gerechter Ausführung durchschnittlich bei 15 – 25 zu einer lokalen Reduktion der Temperatur führt. Jahren, die Lebensdauer eines Gründachs bei etwa Gründächer sind (Ersatz-)Lebensräume für Pflan- 40 Jahren. zen und Tiere, vor allem für verschiedene Insekten- Dachbegrünungen lassen sich auch sehr gut mit arten und Vögel. Langzeituntersuchungen in Berlin Photovoltaik-Anlagen kombinieren, da sie deren und Brandenburg haben gezeigt, dass sich auf den Wirkungsgrad im Sommer erhöhen. Der Wirkungs- Gründächern rund 7 % des regionalen Artenspekt- grad von Photovoltaik-Modulen ist abhängig von rums der Gefäßpflanzen ansiedeln konnte. Weiter- der Temperatur. Es gilt die Faustregel: Je wärmer das hin wurden mehr als 50 verschiedene Wildbienen- Modul, desto geringer der Wirkungsgrad und damit arten und Honigbienen nachgewiesen. Auch in Basel der Ertrag. Die Module können sich auf Dächern wurde eine Vielzahl von Insekten- und Spinnenarten mit Kiesabdeckungen oder dunklen Abdichtungs- auf einem Gründach nachgewiesen, darunter auch bahnen sehr stark aufheizen. Dachbegrünungen viele gefährdete Arten. hingegen führen zu einer niedrigeren Umgebungs- Die biologische Artenvielfalt von Fauna und Flora temperatur auf dem Dach und erhöhen somit den kann durch das Einbringen unterschiedlicher Struk- Stromertrag der Photovoltaik-Module. turen erhöht werden, zum Beispiel mittels Variation in der Substrathöhe durch partielle Anhäufung so- Aufbau einer Dachbegrünung und Statik wie Einbringung von Totholz, Steinhaufen oder klei- Ein Gründach kann sowohl eine Stärke von wenigen nen Kiesbereichen. Zentimetern als auch von mehr als einem Meter Gründächer leisten außerdem einen Beitrag zum aufweisen. Entscheidend dafür sind die statische Hochwasserschutz: Abhängig vom Gefälle, von der Belastbarkeit und das Gefälle des Daches. Bei einer Wasserspeicherfähigkeit und der Stärke des Sub- nachträglichen Begrünung ist nur selten ein Aufbau Bild 1: strats werden 40 bis 80 % des Jahresniederschlags von mehr als 30 cm möglich. Die Stärke des Sub- Beispielhafter zurückgehalten. Auch die Abflussspitzen bei Un- strats entscheidet über den Wasserrückhalt und die Aufbau eines Gründaches wettern und Starkregen fallen geringer aus. Pflanzenverwendung, was wiederum die Feinstaub- (Warmdach). und CO2-Bindung beeinflusst. © Klärle GmbH Vorteile für Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer Ein Gründach bedeutet eine optische Aufwertung und Verbesserung des Arbeits- und Wohnumfeldes für die Menschen, besonders bei begehbaren bzw. einsehbaren Dachbegrünungen. Das Dach kann von den Hausbewohnern als Gartenersatz oder -er- gänzung genutzt werden (Stichwort „Urban Garde- ning“), als „grüner Wohn- und Erholungsraum“. Seit der Einführung der gesplitteten Abwasser- gebühr trägt eine Dachbegrünung auch zur Redu- zierung der Abwassergebühren bei. Gründächer fallen je nach kommunalen Vorgaben beispielsweise 3ɋ·Ɍɋ2018 TRANSFORMING CITIES 75
THEMA Urbane Räume und Flächen Die Eignung für die Dachbegrünung hängt von der Statik des Gebäudes und der Neigung des Daches ab. Zudem wird eine intakte Dachabdichtung vor- ausgesetzt. Die statischen Anforderungen an Dach und Ge- bäude sollten vor der Planung von einem Fachmann geprüft werden. Dachbegrünungen wiegen je nach Aufbau 80 – 300 kg/m² (wassergesättigter Zustand mit Vegetation). Zur Orientierung: Auf einer Garage mit einer Kiesschicht von etwa 5–6 cm – das ent- spricht etwa einem Gewicht von 120 kg/m² – ist also eine ausreichende Lastreserve für eine Extensiv- begrünung (naturnah angelegte Begrünung, die sich weitgehend selbst erhalten und weiterentwickeln kann, also wenig Pflege braucht) vorhanden. Das Gefälle spielt eine entscheidende Rolle bei der Eignung als Gründach. Je steiler das Dach ist, umso größer ist der Aufwand bei Sicherungsmaß- nahmen gegen das Abrutschen der Konstruktion, des Substrats und der Pflanzen. Prinzipiell sind alle Flachdächer bis 5° Dachnei- gung sehr gut und alle Dachflächen mit einer Nei- gung von 5° bis 10° gut bzw. von 10° bis 15° noch geeignet, wenn die Statik passend ist. Ab einer Dachneigung von 15° müssen Schubsicherungen (Sicherungen gegen das Abrutschen von Dachsub- straten) eingebaut werden. Mit Schubsicherung sind in der Regel Dachbegrünungen bis zu einer Neigung von 35° möglich. Ist das Dach stärker als 35° geneigt, wird von einer Dachbegrünung abgeraten. 3ÀDQ]OLVWH +DOEVFKDWWLJHU6WDQGRUWIU'DFKDXIEDXELVFP Bepflanzung Begrünte Dächer sind Extremstandorte mit einer Deutscher Name Botanischer Name Heimi- Wuchs- Blü- sche höhe in WH]HLW Blüten- Gesel- farbe ligkeit hohen Strahlungsintensität, starker Windhöffigkeit, 3ÀDQ]H cm Monat %RGHQGHFNHU)OlFKHQSÀDQ]HQ Sommertrockenheit und Winterfeuchte. Pflanzen, .DPWVFKDWND)HWWKHQQH 6HGXPNDPWVFKDWLFXP 9,,9,,, gelb die sich an diese Standortfaktoren anpassen kön- 6HGXP NDPWVFKDW 9DUHOODFRPELD 9,,9,,, gelb QXP nen, finden sich in der Natur vor allem in Trockenra- 0RQJROHQ)HWWKHQQH 6HGXPK\EULGXPC,PPHUJUQFKHQ 9,,9,,, gelb $PXU)HWWKHQQH 6HGXPVHOVNLDQXPC*ROGLORFNV 9,,,; gelb sen, Steppen und im Gebirge. .DXNDVXV6HGXP 6HGXPVSXULXPC$OEXP6XSHUEXP 9,,9,,, weiß Extensive Begrünungen verfügen über nur weni- 6HGXP VSXULXP C5RVHXP 6XSHU 9,,9,,, URVD EXP ge Zentimeter Pflanzsubstrat, auf denen hauptsäch- 6HGXPVSXULXPC6SOHQGHQV 9,,9,,, URVD 6HGXPVSXULXPC)XOGDJOXW 9,,9,,, VFKDU lich trockenheitsresistente Sedum-Arten gepflanzt ODFK werden. Auch eine Einsaat mit gebietsheimischem 6HGXPVSXULXPC9DULHJDWXP 9,,9,,, weiß 6HGXPVSXULXPC3XUSXUWHSSLFK 9,,9,,, purpur Saatgut oder der Einbau von vorkultivierten Vegeta- 6FKDWWHQ6HGXP 6HGXPVWRORQLIHUXP 9,9,, URVD tions- und Moosmatten ist auf wenig geneigten Dä- 7HSSLFK*ROGEHHUH :DOGVWHLQLDWHUQDWD ,99 gelb 6WDXGHQLQ.OHLQJUXSSHQ chern möglich. Meistens handelt es sich um große .ULHFKHQGHU*QVHO Dächer auf Industrie- oder öffentlichen Gebäuden. $MXJDUHSWDQV ,99 EODX *lQVHNUHVVH $UDELVSURFXUUHQV ,99 weiß *HOEHU/HUFKHQVSRUQ &RU\GDOLVOXWHD 9,; gelb Intensive Begrünungen erlauben mit einer höhe- 0DXHU=LPEHONUDXW &\PEDODULDPXUDOLV 9,9,, OLOD *HÀHFNWH7DXEQHVVHO /DPLXPPDFXODWXP 99,, violett ren Substratstärke eine größere Pflanzenvielfalt. Die (KUHQSUHLV 9HURQLFDRI¿FLQDOLV 9,,9,, EODX Blütezeit lässt sich bis in den Oktober verlängern. ,PPHUJUQ 9LQFDPLQRU ,99 EODX *ROGEHHUH :DOGVWHLQLDJHRLGHV ,99 gelb *UlVHULQ.OHLQJUXSSHQ Bild 2: (oben) 'DYDOOV6HJJH &DUH[GDYDOOLDQD Online-Analyse und Pflanzempfehlung. -DSDQ6HJJH &DUH[PRUURZLLC9DULHJDWD © Gründachkataster Marburg 9RJHOIX6HJJH &DUH[RUQLWKRSRGDC9DULHJDWD Bild 3: (unten) %lUHQIHOO6FKZLQJHO )HVWXFDJDXWLHULC3LF&DUOLW Ausschnitt einer Pflanzliste. © Gründachkataster Marburg 76 3ɋ·Ɍɋ2018 TRANSFORMING CITIES
THEMA Urbane Räume und Flächen Bei Substratstärken ab 60 cm können auch Sträu- Das erste intelligente Gründachkataster auf Basis Bild 4: Gründach- cher und Bäume gepflanzt werden. Außerdem sind von hochaufgelösten Geobasisdaten wurde im Jahr potenzial eines auf diesen Dachgärten Kombinationen mit Terras- 2016 für die Stadt Marburg umgesetzt. Die Stadt Flachdaches in senflächen und Sitzbereichen möglich. Marburg hat in diesem Zusammenhang im Jahr 2017 Marburg. © Gründach- Ist eine individuelle Bepflanzung gewünscht, ein kommunales Förderprogramm zur Dachbegrü- kataster Marburg wird dem Nutzenden des Gründachkatasters in nung aufgelegt. Obwohl das Programm erst spät im Abhängigkeit von Besonnung und Dachaufbau Jahr startete, wurden 13 Anträge eingereicht, von eine Pflanzliste vorgeschlagen, mit Informationen denen 12 in entsprechende Baumaßnahmen mün- zu Wuchshöhe, Blütenfarbe und -zeit. Zudem gibt deten. Das Programm soll in den nächsten Jahren es zahlreiche Hinweise zu Auswahl, Pflanzung und erneut aufgelegt werden. Pflege der Pflanzen. Weitere Informationen: Kosten www.marburg.de/gruendachkataster Die Kosten für eine extensive Dachbegrünung mit einem Dachaufbau bis zu 10 cm liegen auf großen Flächen bei 30 – 40 Euro/m². Je kleiner die Flächen sind, umso höher sind Aufwand und Preis. Bei Inten- sivbegrünungen hängen die Kosten sehr stark von den individuellen Gestaltungswünschen ab. Dachbegrünungen bei Neubauten und Sanierungen werden in einigen Kommunen durch direkte finan- AUTORINNEN zielle Zuschüsse gefördert; auch bei der Kreditan- stalt für Wiederaufbau (KfW) gibt es zinsgünstige Kredite hierfür. Schlussbetrachtung Prof. Dr. Martina Klärle Grundsätzlich sind alle Geobasis- und Geofachdaten Fachbereich zur Erstellung eines GREEN-AREA-Gründachkatas- Architektur • Bauingenieurwesen • Geomatik ters flächendeckend vorhanden. Besondere Vortei- Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: martina.klaerle@fb1.fra-uas.de le ergeben sich, wenn bereits ein Solardachkataster vorliegt. Durch die Mehrfachnutzung der gleichen Datengrundlagen – Laserscanner-Daten, Luftbilder, amtliche Geobasisdaten, Liegenschaftskarte – wer- den Synergien geschaffen und das Kosten-Nutzen- Ute Langendörfer Wissenschaftliche Mitarbeiterin Verhältnis optimiert. So können Umweltinformatio- nen in Zeiten der Digitalisierung intelligent vernetzt Fachbereich Architektur • Bauingenieurwesen • Geomatik und Bürgerinnen, Bürgern und Kommunen als On- Frankfurt University of Applied Sciences line-Dienstleistung zur Verfügung gestellt werden. Kontakt: ute.langendoerfer@fb1.fra-uas.de 3ɋ·Ɍɋ2018 TRANSFORMING CITIES 77
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