Vielfacher Wandel für die Spielfähigkeit - Beratergruppe ...

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Vielfacher Wandel für die Spielfähigkeit - Beratergruppe ...
Debatte

     Vielfacher Wandel für die
     Spielfähigkeit
     Barbara Buzanich-Pöltl / Frank Boos

     Organisationen, Management und Teams sollen heute agiler werden, um besser mit den
     neuen Gegebenheiten zurechtzukommen. Das Ziel ist, im Spiel zu bleiben und die Spiel-
     fähigkeit zu entwickeln. Dafür müssen Organisationen einiges umstellen und viele Hebel
     in Bewegung setzen. Drei dieser Hebel sind: Purpose, Rollen und Meetings. Mit ihnen
     gelingt es, eine agile Transformation erfolgreich zu gestalten.

                                                                                                Illustration: iStock/ma_rish

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Debatte

S
        olche Aussagen sind vielen bekannt: „Eigent-      gaben, Meetings sind klar ausgerichtet, Aufgaben
        lich verbringe ich viel zu viel unproduktive      werden erledigt und das Team selbst entwickelt sich
        Zeit in Meetings.“ „Die Führungskräfte oder       auch weiter. Es werden sinnvolle Entscheidungen
Kollegen und Kolleginnen haben nicht alle Informa-        getroffen, die zu Innovation führen. Auch die Art
tionen, damit sie wichtige Entscheidungen gut tref-       der Zusammenarbeit verändert sich durch die neue
fen können.“ „Wir verwenden viel zu wenig Ressour-        Form der Meetings. Viele neue Rollen entstehen und
cen, um über Innovation und Neues nachzudenken            Rollen statt Personen stehen im Mittelpunkt. Um
und ersticken in Routine.“                                das Ganze zusammenzuhalten, kennen agile Orga-
     Wir alle kennen diese Sätze und haben solche         nisationen ihren Purpose, den Daseinszweck, den
oder ähnliche Beobachtungen gemacht. Führungs-            Grund, wozu es genau diese Organisation gibt. Der
kräfte und Mitarbeitende erleben einen steigenden         Purpose ist mehr als ein Ziel, denn er ist immer da,
Druck und erhöhte Anforderungen. Die Organisati-          kann jedoch nie ganz erreicht werden.
onen, das Management und die Teams sollen agiler               Purpose, Rollen und Meetings sind drei Ansatz-
werden, um besser mit den neuen Gegebenheiten             punkte, oder wie wir sagen: Hebel, um Organisatio-
zurechtzukommen. Möglicherweise wurden auch               nen spielfähiger zu machen. Wir kennen neun He-
schon einige Methoden ausprobiert: Scrum, Design          bel, die agile Transformationen vorantreiben (siehe
Thinking und auch Prototyping. Aber die Lage hat          Abbildung 1), doch selten wird man alle gleichzeitig
sich nicht wesentlich verbessert. Vom gewünschten         in Bewegung setzen. Daher empfehlen wir hier mit
Ziel sind viele nach wie vor weit weg.                    drei Hebeln zu beginnen: Rollenkonzept, Meeting
                                                          Mastery von agilen Teams und Purpose.

Drei Hebel, um Spielfähigkeit
zu gewinnen
Gleich vorweg: Es liegt nicht an der Methode, denn
keine dieser Methoden – oder eine andere – führt
ans Ziel. Es geht um etwas anderes: Es gilt, eine
neue Spielfähigkeit zu erlernen. Agile Organisati-
onen wollen antwortfähig sein, mitgestalten und
als spielendes Team wahrgenommen werden, das
mit Überraschungen genauso fertig wird, wie es
Standardsituationen lösen kann. Genau solche Fä-
                                                                                                                 #1 Entscheidung
higkeiten fordern die Digitalisierung, der verstärkte                                                            #2 Kultur
Wettbewerb und die höhere Komplexität. Der Fokus                                                                 #3 Purpose
lautet heute nicht mehr „Wir sollen effizient in jeder                                                           #4 Rolle
Hinsicht sein“, sondern „Wir wollen agil und spiel-                                                              #5 Wachsen & Entwickeln
                                                                                                                 #6 Skills
fähig sein“. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Or-                                                             #7 Führung & Macht
ganisationen aber vieles umstellen.                                                                              #8 agile Teams
    Das Ziel, agile Spielfähigkeit zu erreichen, klingt                                                          #9 soziale Innovation
verlockend: Im Team kennen alle die eigenen Auf-          Abbildung 1: Neun Hebel der agilen Transformation

03 April 2021                                                                                                                      55
Debatte

                                                                               Abbildung 2: Agile Teams
                                                                               differenzieren bewusst in ihrem
                                                                               Tun. Dafür nutzen sie eine
                                                                               gemeinsame Landkarte, die
                                                                               vier Räume von agilen Teams

             1 Role-Making, Role-Taking und Rollen-Vielfalt          nicht eine Rolle, sondern ich habe eine Rolle.“ Wenn
             Damit Organisationen agiler werden, brauchen sie        Rollen wie Kostüme ausgezogen, gewechselt und
             mehr Flexibilität und Klarheit für ihre Mitspieler      verbessert werden können, ohne dabei die Person
             und Mitspielerinnen: Sie können unterschiedliche        selbst in den Mittelpunkt zu stellen, lässt es sich
             Rollen einnehmen, bei Bedarf schnell wechseln und       leichter spielen.
             arbeiten dadurch wirksam. Mit einer gemeinsamen
             Praxis wird das möglich. Durch Role-Making wer-
             den die Rollen laufend entwickelt, angepasst und        2 Meeting Mastery in agilen Teams
             explizit beschrieben. Immer mit dem Fokus auf           Agile Teams differenzieren bewusst in ihrem Tun.
             den gemeinsamen Zweck und die Ziele in der Zu-          Dafür nutzen sie eine gemeinsame Landkarte: die
             kunft. Der Vorteil: Man richtet sich nicht an aktuel-   vier Räume von agilen Teams (siehe Abbildung 2).
             len Personen und Funktionen aus, sondern es wird        Diese Räume trennen zwischen:
             zukunftsgerichtet daran gearbeitet, was abgedeckt
             werden muss.                                                –   operativem Arbeiten wie Rollen
                 Role-Taking unterstützt die Mitspieler und                  synchronisieren und Neues entwickeln,
             Mitspielerinnen dabei, die Fähigkeiten und Kompe-           –   organisationalen Themen wie Governance
             tenzen zu entwickeln, die es für Rollenübernahmen               und Ziele,
             und -wechsel braucht. Dabei werden auch Prinzipi-           –   interpersönlichen Themen wie
             en aus der angewandten Improvisation geübt: zum                 Teamentwicklung sowie
             Beispiel das Agieren aus dem „Hier-und-Jetzt“, eine         –   persönlicher Entwicklung.
             „Ja-und-Haltung“ oder lustvolles Scheitern.
                 Rollen-Vielfalt fokussiert auf das Gelingen,
             mehrere Rollen einnehmen zu können und fördert          3 Purpose
             das Wechseln von Rollen innerhalb von Teams.            Dieser Hebel beschäftigt sich mit dem „Wofür“ und
                 Dieser Hebel trennt bewusst zwischen Rollen         wie dieser umgesetzt werden kann:
             und Person. Dahinter steht der Gedanke: „Ich bin

     „ Damit Organisationen agiler
                                                                         –   Wofür machen wir uns auf den Weg?
                                                                         –   Was ist unser Auftrag in der Gesellschaft?
                                                                         –   Was wollen wir tun?

     werden, brauchen sie mehr                                       Das sind nicht nur Fragen, mit denen sich die gesam-
                                                                     te Organisation auseinandersetzt, sondern mit ihnen
     Flexibilität und Klarheit für ihre                              setzen sich auch Teams auseinander. Der Purpose
                                                                     gibt Teams die Orientierung im eigenen Unterneh-
     Mitspieler und Mitspielerinnen.                                 men und richtet die Aktivitäten und Rollen aus. Er

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Debatte

                                                                      Abbildung 3:
                                                                      Rollenbeschreibung

ist immer wieder wie das warme Feuer in der Mitte,       liche Zwecke haben? Welche zusätzlichen Rollen
um das sich alle versammeln und zeigt auf, welche        brauchen wir, damit wir unseren Purpose erfüll-
Wege in die gemeinsame Richtung führen.                  ten? Neben klassischen Rollen wie Leitung Brand
                                                         & Communication, oder Leitung HR können auch
                                                         Rollen wie Feel Good Manager entstehen, die sich
Drei Phasen einer Schleife                               um die Belange dieses Teams kümmert. Jede Rol-
                                                         le wird im Detail beschrieben (siehe Abbildung 3)
Die Logik, der wir folgen, orientiert sich entlang der   und die Rollen werden von Personen übernommen
Schleife: Aufsetzen, Üben, Evaluieren, Anpassen.         und energetisiert.
                                                             Im letzten Schritt wird eine prototypische
1. Phase: Aufsetzen                                      Meeting-Struktur entwickelt, die sich an den Zwe-
In der ersten Phase geht es darum, die Rahmenbe-         cken der vier Räume ausrichtet. Hilfreich ist es,
dingungen zu schaffen. Gestartet wird mit einem          Experten und Expertinnen zu involvieren, die ver-
Purpose-Prozess: Was ist unser Auftrag als Organi-       schiedene agile Meeting-Formate kennen, wie zum
sation und als Management? Welche Aufgaben und           Beispiel das holakratische Tactical- und Gover­
Verantwortungen liegen dahinter? Welche Prinzipi-        nance-Meeting, Team-Retrospektiven, Stand-ups
en sollen uns in Zukunft leiten, damit wir wirksam       oder OKR-­Meetings.
werden? Ein Beispiel für so einen Purpose wäre:
„We set the direction, lead and create the condi-        2. Phase: Üben
tions for our people to achieve our vision.“             Diese Phase ist aufregend und fordernd zugleich.
    Dieser Purpose gibt die notwendige Ausrich-          Es gilt, das Ganze einfach auszuprobieren. Hier ein
tung für den Hebel Rolle: Welche Rollen werden in        paar Tipps, die unterstützen:
diesem Team eingenommen? Welche Funktionen
können aufgesplittet werden, weil sie unterschied-       • Meetings werden moderiert. Dies kann durch ein
                                                            erfahrenes Teammitglied gemacht werden oder
                                                            zum Start von einer Expertin bzw. einem Experten.
                                                         • In den Meetings selbst hilft es, Rollenklarheit her-
   Literaturtipp                                            zustellen: In welchen Rollen bin ich hier? Welche
                     Frank Boos; Barbara                    Themen bearbeite ich aus welcher Rolle heraus?
                     ­Buzanich-Pöltl (2020):             • Es gilt bei Projekten, Meetings und neuen Her-
                      „Moving Organizations:                ausforderungen zu fragen: Brauchen wir wirklich
                      Wie Sie sich durch agile              nur Rollen aus diesem Team oder brauchen wir
                      Transformation krisenfest             auch anderes Know-how? Es lohnt sich, mutig
                      aufstellen“, Schäffer-Poeschel        zu sein und auch temporäre, interdisziplinäre
                                                            Teams zu schaffen.

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Debatte

     „ Im letzten Schritt wird eine
     prototypische Meeting-Struktur
     entwickelt, die sich an den Zwecken
                                                                            zu früher? Welche Wirkungen wurden erzielt? Was
     der vier Räume ausrichtet.                                             passen wir an? Und wenn der Weg der agilen Trans-
                                                                            formation weiter beschritten werden soll: Welche
                                                                            der neun Hebel sind sinnvollerweise als nächstes
                                                                            anzugehen?
            • Team-Reflexionen und Feedback brauchen ausrei-
               chend Zeit: Was gelingt gut, was weniger? Was ist
               ungewohnt? Welche neuen Probleme entstehen                   Es braucht Teams, die sich
               durch das neue Arbeiten? Wo brauche ich Unterstüt-           konsequent einlassen
               zung? Welche Spielregeln müssen wir ergänzen?
            • Zu empfehlen ist, kleine Lerneinheiten zu integrie-          Unsere Erfahrung zeigt, dass die neun Hebel die
               ren, die agile Zusammenarbeit unterstützen. Die              richtigen Ansatzpunkte für die agile Transformati-
               angewandte Improvisation hat einen Schatz an                 on sind. Und die drei hier dargestellten Hebel sind
               Übungen, um diese Fähigkeiten zu stärken.                    ein guter Einstieg. Es geht darum, Veränderung vo-
            • Man sollte auf die Transparenz von Rollen und                ranzutreiben, die Wirkungen zu beobachten und zu
               Spielregeln achten. Ein Teil des Übens ist auch,             lernen, wie es weitergeht. Eine agile Transformati-
               regelmäßig nachzusehen, wer für was verantwort-              on erfordert allerdings den Wandel auf vielen un-
               lich ist.                                                    terschiedlichen Ebenen, denn die Spielfähigkeit zu
            • Man muss Durchhaltevermögen zeigen. In man-                  erhalten, ist das Ziel und für viele Organisationen
               chen Phasen fühlt sich das neue Arbeiten anstren-            eine radikale Umstellung.
               gend an. Immer wieder entstehen Fragezeichen,                    Eine solche Umstellung wird besser in Teams
               ob das wirklich alles funktionieren kann.                    gemacht. Teams, die sich konsequent einlassen,
            • Der Spaß und das Feiern von Erfolgen sollte nicht            werden viel lernen und sich selbst verändern. Sie
               vergessen werden.                                            werden verbundener, fokussierter, klarer und auch
                                                                            die Personen selbst entwickeln sich weiter. Dann hö-
            3. Phase: Evaluieren und Anpassen                               ren wir Sätze wie diese: „Ich hätte mir nie gedacht,
            Nach spätestens einem halben Jahr ist es an der Zeit            dass wir so einen großen Sprung gemeinsam schaf-
            zu evaluieren: Was sind die größten Unterschiede                fen können.“ 

              Barbara Buzanich-Pöltl                                          Frank Boos

              ist geschäftsführende Gesellschafterin der Beratergruppe        ist geschäftsführender Gesellschafter der Beratergruppe
              Neuwaldegg. Sie begleitet Organisationen in agilen Trans-       Neuwaldegg. Seit Jahrzehnten berät er Organisationen im
              formationen, Kulturveränderungen und zum Thema Gender           internationalen Kontext. Die Schwerpunkte seiner Arbeit
              Equality. Als Autorin, Speakerin und Ausbildnerin liebt sie     der vergangenen Jahre sind Familienunternehmen und die
              es, ihre Expertise in lebendigen Formaten weiterzugeben.        Weiterbildung von Managern und Managerinnen sowie von
              Kraft für ihr Tun geben ihr ihr Mann, ihre Teenager und         Beratern und Beraterinnen. Er ist Autor und Herausgeber
              ihre Yogapraxis.                                                zahlreicher Publikationen.

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