Ursachen, Früherkennung und Frühintervention bei "Burn-Out" am Arbeitsplatz - Harald Gündel
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Ursachen, Früherkennung und Frühintervention bei „Burn-Out“ am Arbeitsplatz Harald Gündel Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Universitätsklinikum Ulm
Ausgangslage – Mitarbeiter S. 48j. leitender Angestellter (eigenes Sachgebiet) Fachlich sehr guter Ruf, viele Jahre beruflich sehr engagiert, respektiert Freundlich, macht immer mal Witze Erhält vom Chef wiederholt wichtige Aufgaben, die er stets gewissenhaft erledigt Bereichsleiter hat allerdings das Gefühl, immer wieder „nachhaken“ zu müssen, „Druck“ machen zu müssen. Er erklärt Herrn S. beim jährlichen Feedbackgespräch auf dessen Nachfrage, für eine höhere Bezahlung wäre stärkeres Eigenengagement notwendig. Seit ca. 2 J. allmählicher (leichter) sozialer Rückzug, kommt nicht mehr auf Feiern oder Betriebsausflug. Macht weiter „lockere Sprüche“
Informationen bei Erstberatung Herr S. ist zuhause mürrisch, massiv zurückgezogen, depressiv, weitgehender Verlust der Lebensfreude seit ca. 2 J. Ehe massiv belastet Ehefrau krebskrank, langsam fortschreitend Schwere Erkrankung eines weiteren Familienmitgliedes Herr S. hatte dominanten, leistungsorientierten Vater => Leistung und Erfolg im Beruf immer sehr wichtig =>„Overcomittment“? Für beruflichen Erfolg immer wieder wichtige private „Opfer“ gebracht Auslöser, nicht alleinige Ursache: Fühlt sich bei Beförderung vor ca. 2 J. übergangen
Stand am Ende der ersten tagesklinischen psychosomatischen Behandlung: Benennung und erste Stärkung der („verschütteten“) eigenen Ressourcen und des Selbstwertes Erste Gespräche mit Vorgesetzen sehr konstruktiv erlebt Gemeinsam klare Regeln und Verhaltensweisen erarbeitet Verständnis bei Chef wg. z.T. offengelegter privater Belastungen Klärung der beruflichen Situation so weit wie möglich Bessere Entwicklung auch der privaten Situation, wieder mehr Gemeinsamkeiten, etliche Veränderungen Kurz vor Rückkehr an den Arbeitsplatz: „Was sage ich meinen Kollegen“? 1: „Depression – klingt nicht gut, nach Weichei…“ 2. „Burn-Out“ – viel besser
Psychosomatische Störungen im Betrieb aus Sicht der Betroffenen: Synonym „Burnout“ Emotionale Erschöpfung: Gefühl, durch den Kontakt überbeansprucht und ausgelaugt zu sein Depersonalisation: Gefühllose und abgestumpfte Reaktionen im Umgang mit den Interaktionspartnern; negative und zynische Einstellungen gegenüber den Klienten Reduzierte persönliche Erfüllung und Leistungsfähigkeit: Unzufriedenheit mit der eigenen Person, wachsendes Gefühl der Inkompetenz und des Versagens bei der Arbeit mit Menschen => Ursprünglich begrenzt auf soziale Berufe, jetzt massive Begriffsausweitung Maslach und Jackson 1982, 1984
Gesundheitszustand arbeitsloser Menschen in Deutschland Hollederer - Vortrag SBG II Bundeskongress - 2007
• Arbeit strukturiert den Tag und den ganzen Menschen, • stiftet (Lebens-)Sinn ⇒ Arbeit hält gesund ⇒ Nur unter speziellen Bedingungen kann Arbeit zur seelischen oder körperlichen Erkrankung beitragen ⇒ Dann nicht selten Kombination aus privater und beruflicher Belastung
Arbeitsverhältnisse: Folgen der Globalisierung ⇒ ZNS häufiger im „Fight or Flight“ – Zustand => Kreative und Regenerationsphasen können verloren gehen ⇒ Psycho-somatische Erkrankungsraten steigen
Erklärungsansätze zu Burnout Individuenbezogene Ansätze Maßgeblich sind persönliche Einflüße, z.B. Missverhältnis zwischen zu hohen Erwartungen und Realität im Beruf, misslungener sozialer Tausch Ö Personalentwicklung, ggf. Therapie Ö Verhalten Organisationsbezogene Ansätze Maßgeblich sind widrige Arbeitsbedingungen, z.B. widersprüchliche Arbeitsanforderungen Ö Arbeits- und Organisationsgestaltung Ö Verhältnisse
Der Einzelne … Lieberman & Eisenberger 2009
Risk factors for low back pain in industrial (!) workers 2,5 Alter „Physische Subj. Mangel Arbeitsbelastung“ an Unterstützung 2 Odds Ratio 1,5 1 0,5 0 16-34 1 35-44 2 45-65 3 4awkward 5 perceived 6 7 by 8by 9 10 posture load coworkers superior Ijzelenberg, W., Burdorf, A., Spine 30 (2005) 1550-1556
Dimension der Persönlicheit bei Führungskräften „Gute“ Führungskraft (G. Dammann) • Mit Diskrepanz zwischen idealem inneren Selbst und realem Selbst zurechtkommen •Enttäuschung darüber aushalten •Setzt gutes Selbstwertgefühl voraus •„Arbeitssucht“ (Unfähigkeit, abzuschalten) entgegenwirken (Ferenczi 1919) •„Wie der Minenarbeiter die Staublunge, bekommt der Mächtige die Paranoia..“ (Erdheim, 2006)
Anforderungs-Kontroll-Modell (Karasek)
Gratifikationskrisenmodell (Siegrist) Verhältnis von Verausgabung & Belohnung Einkommen Zeitdruck Wertschätzung Unterbrechungen Arbeitsplatzsicherheit Verantwortung beruflicher Aufstieg Überstunden Arbeitsverdichtung Niedrige Belohnung Hohe Verausgabung Modell der „Gratifikationskrisen“ nach Siegrist (1996)
Erlebte Gerechtigkeit / Ungerechtigkeit Prozedurale Gerechtigkeit (Verfahrensgerechtigkeit) „Es gibt Möglichkeiten zur Einflussnahme auf Entscheidungen.“ Relationale Gerechtigkeit „Der Vorgesetzte behandelt mich freundlich & respektvoll.“ nach Kivimäki, 2003 Kivimäki 2005: 35% höhere Rate kardiovaskulärer Ereignisse bei Menschen die in der Arbeit geringe oder mäßige Gerechtigkeit empfanden.
2. Früherkennung von arbeitsbezogenen seelischen Beeinträchtigungen („Burn-Out“) ?
Diagnostik und Messung von Burnout ICD-10: Keine medizinische Diagnose ! F 48.0 (Arbeitsbezogene) Neurasthenie Z 00 – Z 99 Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten führen ª Z 73 Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung ª Z 73.0 Ausgebranntsein Burn-out, Zustand der totalen Erschöpfung DSM-IV: Burnout nicht genannt (ª 68.20 Probleme im Beruf) Maslach Burnout Inventory (MBI): über 90% aller wiss. Studien gute psychometrische Qualität; Normierung in Vorbereitung [andere: CBI (nur Erschöpfung), OLBI (bipolar), etc. ] Folie nach J. Glaser
„Irritation“ (Mohr, 2005): Frühe Symptome dauerhaft erhöhter Beanspruchung
Algorithmus zur „Diagnose“ von „Burnout“ (v. Känel, 2008, S. 480)
Arbeitsstress & Herzerkrankungen • Überblicksanalyse über 14 Langzeitstudien mit 83.014 beruflich beschäftigen Personen • Fragestellung: Risiko für die Erstmanifestation einer koronaren Herzkrankheit oder plötzlichen Herztod in Abhängigkeit von beruflichem Stress • wenig vs. stark belastende Tätigkeit • RR 1,43 (1,15-1,84) • Gratifikationskrise: RR 1,58 (0,84 - 2,97) • geringe vs. große Ungerechtigkeit: RR 1,47 (1,12 - 195) Kivimaki et al. (2006) Scand J Work Environ Health
3. Frühintervention von arbeitsbezogenen seelischen Beeinträchtigungen („Burn-Out“) ?
Gefährdungsbeurteilung – ein Beispiel (Glaser & Herbig, 2010) nein gar eher teils, eher ja nicht nein teils ja genau 1 2 3 4 5 Organisationale Stressoren beschreiben, ob Sie in Ihrer Arbeit mit organisationalen Veränderungen und Unsicherheiten konfrontiert sind. Range: 1.0-2.75 o nr pq Zeitdruck beschreibt, ob Sie durch die Menge Ihrer Arbeitsaufgaben zeitlich überfordert sind. Range: 1.0-4.67 pn r qo Widersprüchliche Aufträge beschreiben, ob Sie miteinander unvereinbare Arbeitsaufträge erhalten. Range: 1.0-3.0 o np r q Informationsdefizite beschreiben, ob Ihnen für Ihre Arbeit Range: 1.0-3.0 notwendige Informationen fehlen. np r oq Arbeitsunterbrechungen beschreiben, ob Sie häufig in Ihrer Arbeit Range: 1.0-3.5 unterbrochen werden. pn or q
Gesundheitszirkel – ein Beispiel (Weigl, Hornung, Glaser & Angerer, 2010) Exemplarische Themen Entwickelte Maßnahmen Arbeitsabläufe - Koordination Pflege/Ärzte (morgens) - Anrufumleitung CA-Sekretariat (morgens) - verbindliche Sprechzeiten Führung - (Wieder-)Einführung Mitarbeitergespräche - Präsenz CA/OA auf Station Information und Qualifizierung - internetgestützte Informationsplattform - verbesserter Zugang zu Fachliteratur - abteilungsbezogene Fallbesprechungen Ö Abbau von Stressoren, Förderung von Ressourcen, tendenziell bessere Gesundheit (Engagement, Burnout) Ö bessere Patientenurteile bzgl. Organisation ärztlicher Behandlung
Betriebliche Stressprävention & Folgeseminar „Gesund Führen“ Informationsveranstaltung Studiendesign Gesundheitscheck I (Ein/Ausschluss der Teilnehmer) Aufnahme in die Studie Randomisierung IG (n=87) Warte-KG (n=87) Stressbewältigungstraining Einzelberatung + 2 Auffrischungssitzungen auf Anfrage möglich Gesundheitscheck II Gesundheitscheck II Gesundheitscheck II nach 1 Jahr (n= 75) nach 1 Jahr (nach (n=79) 12 Monaten) Einzelberatung Stressbewältigungstraining auf Anfrage möglich + 2 Auffrischungssitzungen Gesundheitscheck III Gesundheitscheck III nach 2 Jahren (n=64) nach 2 Jahren (n=67)
Betriebliche Stressprävention - Beispiel „MAN-GO!“ Stress-Reaktivitäts-Skala SRS-Summenwert t1-t2 p = .002 t2-t3p = 0.795 ** Effektstärke IG vs. CG T1/T2 = 0,25 Effektstärke IG T1/T3 = 0,56 MZP
Projektpartner Psychosomatische Arbeits-, Sozial- und Medizin Umweltmedizin und Psychotherapie LMU Ulm Stadt München (RAW) Job Center Hannover f-bb Ethnomedizinisches BMBF Zentrum e.V. AOK Bayern Projekt 50 TOP! Modellvorhaben Impuls 50 28
„Train the Trainer“ – Prinzip: Gesundheitskompetenztraining für arbeitslose Menschen 1. Schritt Schulung zum „Gesundheits-Coach“ für pädagogische MitarbeiterInnen + Begleitsupervision Für arbeitslose Kunden 2. Schritt FIT-Beratung FIT-AG Ö Bewegungseinheit Ö Gruppenaktivitäten 29
Insgesamt 20 fortlaufende FIT-AGs ∅ 6-8 Teilnehmer 350 FIT-Beratungen Schwerpunktthemen: Bewegung und Ernährung München, 30 31 01 2011
Gesundheitszustand nach 12 Monaten (SF 12) Körperliche Psychische Funktionsfähigkeit Funktionsfähigkeit 47 * n.s. n.s. ** * p < 0,05 46 IG: n = 89 CG: n = 59 45 44 n.s. 43 42 41 40 CG IG CG IG zu Beginn nach 3 Monaten nach 12 Monaten 31
1. Schritt: Schulung zum Gesundheits-Coach Follow-up Befragung nach mindestens 3-monatiger Umsetzung 83% würden die Schulung weiterempfehlen Gesamtnote 2 FIT-Beratung bzw. FIT-AG wurden von 90% bzw. von 95% als hilfreich für die Arbeit mit den Klienten eingeschätzt. München, 32 32 31 01 2011
Die Psychosomatische Sprechstunde im Betrieb Innovative Intervention und neuer Versorgungsbaustein
Neuer Versorgungsbaustein: „Psychosomatische Sprechstunde im Betrieb“ Wozu? • „Verhältnispräventive Maßnahme zur verhaltenspräventiven Unterstützung“ Sprich: der Betrieb macht seinen Mitarbeitern ein Präventions-/ Interventionsangebot um sie bei der Erhaltung / Wiederherstellung ihrer Gesundheit zu unterstützen • niederschwellig • Früherkennung / Vermeidung von Chronifizierung
Stuttgart Ulm Sonnenberg- Daimler AG Psychosomatik CASSIDIAN Klinik Uni Ulm Klinik Klinik n= 70 n= 70 n= 70 n= 70 T1 Fragebögen (Erstgespräch) T2 Fragebögen (8 Wochen nach Erstgespräch) 1. Latent Class Analyse (quantitativ) 2. Varianzanalyse 2x2 Design für Messwiederholungen (quantitativ) 3. Experteninterview (qualitativ)
„Psychosomatische Sprechstunde im Betrieb“ Baukasten Modell Diagnostik Mini-Intervention Behandlungsplanung O Diagnostik O Erkrankungsmodell O Info O erweiterte Biographie O Vermittlung von Behandlungsmöglichkeiten O Vorbefunde Erkrankungswissen O Behandlungsziele definieren O bisherige Therapie O Mini-Intervention O Weitere Behandlung planen Lösungsversuche und diskutieren O Unterstützenstützen bei der Aufnahme weiterer Behandlung
Weitere Kernelemente früher Versorgung • die systematische Erhöhung der Kompetenz von Betriebsärzten in Diagnostik, Indikationsstellung und ggf. Motivierung zu einer adäquaten Behandlung • und die krankheitsadäquate berufliche Wiedereingliederung.
Zusammenfassung • Früherkennung: Sensibilisierung: Aufmerksamkeit, Empathieschulung. „Kirche im Dorf lassen“ ⇒ Frühbehandlung: Primär- und Sekundärprävention ⇒ 1. Der Einzelne: Stressprävention, Gesund Führen, Ambulanz im Betrieb Risikoprofile identifizieren ⇒ 2. Analyse und ggfs. Beeinflussung von Arbeitsverhältnissen
Publikationen zu MAN-GO! 1. Limm H, Angerer P, Heinmüller M, Marten-Mittag B, Nater UM, Gündel H: Self-perceived stress reactivity is an indicator of psychosocial impairment at the workplace. BMC Public Health 2010, 10:252 http://www.biomedcentral.com/1471-2458/10/252 2. Limm H, Gündel H, Heinmüller M, Marten-Mittag B, Nater UM, Angerer P: Stress-Management interventions in the workplace improve perceived stress reactivity: a randomized controlled trial. 2010 Sep 10. [Epub ahead of print=Online erschienen, Zeitschrift folgt]
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Harald.Guendel@uniklink-ulm.de
„Psychosomatische Sprechstunde im Betrieb“ • Die Termine werden vom Unternehmen (Cassidian) bzw. von der Betriebskrankenkasse (BKK Wieland Werke) erstattet – Cassidian: max. 2 Termine + „Termine über Hochschulambulanz – Wieland: max. 12 Termine (Kurzzeitintervention) • Abrechnung für das Unternehmen (Cassidian) anonym über einen Dummie-Patienten, BKK Wieland Werke erhält nur die zur Abrechnung notwendigen Daten • Zugangswege (Flyer, Betriebsarzt, Betriebsräte, Personaler)
Sie können auch lesen