Veränderung der Lungenfunktion bei Höhenexposition in Zermatt und auf dem Klein Matterhorn

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Veränderung der Lungenfunktion bei Höhenexposition in Zermatt und auf dem Klein Matterhorn
Veränderung der Lungenfunktion bei Höhenexposition
     in Zermatt und auf dem Klein Matterhorn

             Benjamin Marty, Monica Niederöst, Tanja Rüegg, Sara Spring
                    Forschungsgruppe academia der Kantonsschule Wattwil (2011)

1.     Abstract
Purpose: Ascent to high altitude is associated with changes in lung function possibly caused by the de-
crease in respiratory muscle strength and the development of a high altitude pulmonary edema (HAPE).
The aim of the present physiological study was to analyse the effect of exposure to moderate and high
altitude on the outcome of spirometry.
Methods: Forced vital capacity (FVC) and forced expiratory volume in 1 second (FEV1) were measured
in 18 healthy young volunteers during one week in Zermatt (1'732m) and a subgroup of 5 subjects in the
course of an overnight stay on Klein Matterhorn (3'883m). Further reference measurements were col-
lected in Wattwil (613m).
Results: Mean FVC and FEV1 (± SE) decreased significantly (p
Veränderung der Lungenfunktion bei Höhenexposition in Zermatt und auf dem Klein Matterhorn
Abb. 1: Thoraxröntgen eines HAPE-        Abb. 2: Bronchioal-         Abb. 3: Elektronenmikroskopische Auf-
Patienten mit bilateralen, hauptsäch-    veoläre Lavage mit          nahme eines Alveolarseptums unter pul-
lich perihilaren Ödemen (aus [5]).       protein- und zellreicher    monaler Hypertonie mit defektem Endo-
                                         Flüssigkeit beim HA-        thel (links) und zerstörtem Alveolar-
                                         PE (aus [5]).               epithel (rechts, aus [6]).

2.3.     Pathophysiologie des HAPEs
Die genaue Ursache für die Ausbildung eines HAPEs ist noch weitgehend unklar. Es muss davon ausge-
gangen werden, dass die Pathogenese multifaktoriell ist. Die Anfälligkeit auf die Lungenerkrankung ist
zwar weitgehend unabhängig von Alter oder Trainingszustand, jedoch individuell sehr verschieden. So
ist das Risiko, dass Bergsteiger, die bereits einmal an HAPE erkrankt sind, bei einer weiteren Exposition
wieder klinische Symptome ausbilden, viel grösser als in der Normpopulation.
Auffallend ist die Korrelation zwischen pulmonaler Hypertonie und der Entwicklung eines HAPEs [7].
Diese Beobachtung basiert vermutlich auf dem Euler-Liljestrand-Mechanismus. Unter Hypoxie kommt
es demnach durch die Inaktivierung O2-sensitiver Kaliumkanäle in der glatten Muskulatur der Lungenge-
fässe zu einer Depolarisation, was über spannungsabhängige Kanäle zu einem Calcium-Influx in die
Muskelzellen und damit zu einer Vasokonstriktion führt, wie in Abb. 4 ersichtlich ist. Mit der Abnahme
des Gefässradius r nimmt gemäss dem Gesetz von Hagen-Poiseuille
                                                       8ηL
                                                  R=
                                                       πr 4
der Strömungswiderstand R stark zu, wenn die Viskosität des Blutes η und die Länge der Gefässe L kon-
stant bleiben. Daraus folgt, dass bei unverändertem Blutstrom I der Blutdruck Δp im Lungenkreislauf an-
steigt (pulmonale Hypertonie), denn es gilt
                                                       Δp
                                                  R=          .
                                                        I

      Abb. 4: Funktionsprinzip des Euler-Liljestrand-Mechanismus. Unter Hypoxie werden O2-sensitive
      Kaliumkanäle inaktiv, wodurch die intrazelluläre Kaliumkonzentration ansteigt. Das führt zu einer
      Depolarisation der Zellmembran und zur Aktivierung von spannungsabhängigen Calcium-Kanälen.
      Folglich kontrahieren die glatten Muskelzellen in der Wand der Lungengefässe, was als Vaso-
      konstriktion bezeichnet wird (aus [8]).

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Veränderung der Lungenfunktion bei Höhenexposition in Zermatt und auf dem Klein Matterhorn
In Tierversuchen mit Kaninchen konnte verifiziert werden, dass unter pulmonaler Hypertonie das Endo-
thel der Lungenkapillaren und das Alveolarepithel beschädigt wird, wie aus der elektronenmikroskopi-
schen Aufnahme in Abb. 3 ersichtlich ist. Im Extremfall können dadurch Blutbestandteile in die Alve-
olen austreten.
Verstärkt wird dieser Effekt durch eine gesteigerte Aktivierung des Sympathikus unter Hypoxie, wie an-
dere Studien aufzeigen [9]. Der Sympathikus bewirkt neben der Steigerung des Herzminutenvolumens
zusätzlich eine leichte Vasokonstriktion in den Lungengefässen. Beides resultiert in einer Erhöhung des
pulmonalen Blutdrucks und steigert das Risiko eines Lungenödems.
Als weitere Ursache für das HAPE wird der Wachstumsfaktor VEGF (vascular endothelial growth fac-
tor) diskutiert, der unter Hypoxie unter dem Einfluss des Transkriptionsfaktors HIF (hypoxic inducible
factor) in der Niere gebildet wird. Durch den VEGF wird die Angiogenese stimuliert, was insbesondere
der O2-Unterversorgung des Gewebes entgegenwirken soll. Ob der VEGF einen Einfluss auf die Steige-
rung der Endothelpermeabilität in den Lungenkapillaren und damit auf die Ödembildung haben könnte,
wird zurzeit kritisch debattiert. Zudem könnten inflammatorische Prozesse an der Entstehung des HAPE
beteiligt sein. Bei der pharmakologischen Prävention des HAPEs sind neben Vasodilatatoren (z.B. Nife-
dipin) jedenfalls auch entzündungshemmende Glucocorticoide (z.B. Dexamethason) wirksam [10].

3.     Methodik
3.1.     Fragestellung
Die vorliegende Studie verfolgte das Ziel, die Veränderung der Lungenfunktion unter Hypoxie zu quanti-
fizieren. Im Zentrum der Forschung stand insbesondere die Untersuchung der in der Fachliteratur häufig
beschriebenen Theorie, dass die forcierte Vitalkapazität (FVC) als Mass für die Lungenfunktion unter
hypobaren Bedingungen abnimmt. Als Ursachen hierfür kommen die Abnahme der Kraft der Atemmus-
kulatur oder die Ausbildung eines subklinischen HAPEs in Frage (vgl. Kap. 2).

3.2.    Messverfahren
Die Lungenfunktion wurde mit einem offenen Spirometriesystem (EasyOne Spirometer, ndd Medizin-
technik AG, Zürich) geprüft. Hierbei handelt es sich um einen Strömungssensor, der den Luftstrom
ΔV/Δt bei der Expiration mittels Laufzeitmessung von Ultraschallwellen misst. Das Funktionsprinzip ist
in Abb. 5 und Abb. 6 dargestellt.
Die Probanden wurden angehalten, nach maximaler Inspiration so fest und schnell wie möglich durch
das Spirometer auszuatmen (Tiffeneau-Test). Die forcierte Vitalkapazität (FVC) entspricht der nach der
Zeit Δt integrierten Volumendifferenz ΔV zwischen maximaler Inspiration und maximaler Expiration.
Ferner kann die Einsekundenkapazität (FEV1), d.h. das bei maximaler Expiration innerhalb einer Sekun-
de ausgeatmete Volumen, ermittelt und mit der FVC verglichen werden.

Abb. 5: Probandin bei maximaler Expiration     Abb. 6: Messtechnologie des Spirometers. Schräg zum
durch das Atemrohr des Spirometers. Die Na-    Atemrohr sind zwei Sonden positioniert, die abwechselnd
senklammer verhindert die Ausatmung über       Ultraschallimpulse senden und empfangen. Die Impulse wer-
den Epipharynx.                                den durch die vorbeiströmende Atemluft abgebremst oder
                                               beschleunigt. Aus der Laufzeit der Impulse kann auf den
                                               Luftstrom ΔV/Δt geschlossen werden (Hersteller-Abbildung).

                                          Höhenmedizin - 3
Die Messwerte wurden vom Gerät automatisch von ATPS- (ambient temperature pressure saturated) in
BTPS-Bedingungen (body temperature pressure saturated) umgerechnet. Der BTPS-Korrekturfaktor
wurde mit der Gesetzmässigkeit
                                V BTPS Tbody p amb − p H 2O ,amb
                                      =      ⋅
                                V ATPS Tamb p amb − p H 2O ,body
bestimmt. VBTPS und VATPS entsprechen den Volumina unter BTPS- bzw. ATPS-Bedingungen, Tbody der
Temperatur in der Lunge (310K), Tamb der Temperatur der ausgeatmeten Luft im Spirometer (≤310K),
pH2O,amb und pH2O,body dem Wasserdampfdruck bei 100% Sättigung bei Tamb oder Tbody. Der Abnahme des
Luftdrucks pamb in der Höhe wurde mit der vereinfachten Barometerformel
                                                  ⎛ 0.0065 ⋅ h ⎞5.255
                                        pamb = p0 ⎜1−          ⎟
                                                  ⎝    288 ⎠
Rechnung getragen, wobei p0 der Luftdruck auf Meereshöhe (1.013⋅103Pa) und h die Höhe über Meer
[m] ist.

3.3.     Studiendesign
Insgesamt 26 Probanden haben an der Studie teilgenommen, wobei die Daten von 18 Teilnehmern für
die weitere Analyse verwendet wurden (Ausschlusskriterien siehe 3.4). Die Probanden haben während
einer einwöchigen Höhenexposition in Zermatt (1'732m) etwa jeden zweiten Tag den soeben beschriebe-
nen Tiffeneau-Test absolviert. Zusätzlich wurde ca. eine Woche nach der Rückreise eine Vergleichsmes-
sung in Wattwil (613m) durchgeführt. Bei 5 Studienteilnehmern aus der erwähnten Gruppe wurde zu-
sätzlich die Auswirkung eines 30 Stunden dauernden Aufenthalts auf dem Klein Matterhorn (3'883m)
studiert. Dieser zusätzliche Höhenaufenthalt erfolgte vom 5. auf den 6. Messtag der Studiendauer in
Zermatt. Der Tiffeneau-Test wurde jeweils mindestens 3 Mal wiederholt, wobei der grösste FVC- bzw.
FEV1-Wert gezählt wurde.

3.4.   Versuchspersonen
Die ausgewerteten Lungenfunktionstests wurden mit 18 jungen, gesunden Probanden (davon 10 Frauen)
durchgeführt. Informationen zu den anthropometrischen Daten der Versuchspersonen und den mittleren
Lungenfunktionswerten zu Studienbeginn sind den nachstehenden Boxplots1 zu entnehmen.

Abb. 7: Alter [y] der        Abb. 8: Grösse [cm] der      Abb. 9: FVC [L] zu         Abb. 10: FEV1 [L] zu
Probanden.                   Probanden.                   Studienbeginn.             Studienbeginn.

Zum Ausschluss aus der Studie führten folgende Kriterien, die entweder direkt aus den Messresultaten
abgeleitet werden konnten oder mittels standardisierter Anamnese überprüft wurden:
ƒ Unvollständige oder ungenügende Daten (200ml)
ƒ Höhenexposition von >5 Tagen auf über 3'000m in den letzten 2 Monaten bzw. von >1 Tag auf über
   2'000m in den letzten 14 Tagen vor Studienbeginn

1
 Die Boxplots zeigen den Median (schwarze Linie), das obere und untere Quartil (gelber Balken), Maximal- und
Minimalwert (T-Linien), sowie allfällige Ausreisser (Stern).

                                            Höhenmedizin - 4
ƒ           Aktive Raucher
ƒ           Frühere ärztliche Diagnose einer Lungen- oder Herzerkrankung, sowie Bluthochdruck
ƒ           Frühere ärztliche Behandlung aufgrund eines HAPEs
ƒ           Grippaler Infekt oder Grippe in den letzten 7 Tagen vor Studienbeginn (>2 Symptome aus dem fol-
            gendem Katalog: Halsschmerzen, Husten, Schnupfen, Kopfschmerzen und Fieber).

4.                  Resultate
4.1.     Höhenexposition in Zermatt
Die mittlere Änderung der relativen FVC und FEV1 (n=18) während und nach der einwöchigen Höhen-
exposition in Zermatt sind in Abb. 11 und Abb. 12 veranschaulicht. Für die Berechnung der Werte wurde
die an den einzelnen Tagen gemessene FVC bzw. FEV1 zunächst als Fraktion relativ zum Mittelwert
über die ganze Studiendauer angegeben. Hieraus wurde für jeden Probanden die prozentuale Änderung
der Fraktionen im Verlauf der Studie im Vergleich zum Ausgangswert an Tag 0 berechnet. Die so erhal-
tenen Werte wurden für jeden Messtag über alle Probanden arithmetisch gemittelt.
Es ist ersichtlich, dass die FVC (± SE) in den ersten Tagen in Zermatt deutlich abnahm und am 4.
Messtag mit -2.5 ± 1.0% signifikant (p
5.     Diskussion
Die Studienresultate deuten auf eine deutliche, progrediente Beeinträchtigung der Lungenfunktion in den
ersten Stunden bzw. Tagen nach dem Aufstieg in eine neue Höhe hin. Beide untersuchten Parameter,
FVC und FEV1, haben sich teils signifikant verändert. Die Abnahme der FVC stützt die
Ausgangshypothese der Schwächung der Atemmuskulatur oder der Ausbildung eines subklinischen
HAPEs unter Hypoxie. Die Resultate bestätigen die Erkenntnisse der Vorgängerstudie auf dem Piz
Corvatsch [11] und decken sich mit der Meinung anderer Autoren [z.B. 2, 3]. Nicht unerwartet ist auch
die Verkleinerung der FEV1 unter hypobaren Bedingungen, die auf eine Obstruktion der Atemwege
hindeutet und der gleichen pathophysiologischen Kausalität wie die Reduktion der FVC unterliegen
könnte.
Erstaunlich ist, dass die Beeinträchtigung der Lungenfunktion bereits auf der relativ moderaten Höhe in
Zermatt festgestellt werden kann. Zumindest im Fall der FVC wirken aber offenbar Effekte im Rahmen
der Höhenadaption in der zweiten Hälfte der Studiendauer dem Abnahmetrend entgegen. Wie diese
Gegenmassnahmen auf globaler oder zellulärer Ebene wirken und warum sie die FEV1 nicht zu
stabilisieren vermögen, kann aus den vorliegenden Daten nicht eruiert werden. Hierzu wären weitere,
differenziertere Untersuchungen der physiologischen Prozesse im Atemapparat notwendig.

6.     Literaturverzeichnis
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                                          Höhenmedizin - 6
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