Veränderungen Bonn 2009 bis 2015 | Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch - Stephan Eisel

Die Seite wird erstellt Klaus-Peter Krebs
 
WEITER LESEN
Veränderungen Bonn 2009 bis 2015 | Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch - Stephan Eisel
Veränderungen
Bonn 2009 bis 2015 | Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch
Veränderungen Bonn 2009 bis 2015 | Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch - Stephan Eisel
Oberbürgermeister
          Jürgen Nimptsch

          Veränderungen
          Bonn 2009 bis 2015

         Zahl der Beschäftigten in Bonn                    Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 2014

                                                   90.000,00 €
164000
                                                   80.000,00 €
162000
160000                                             70.000,00 €
158000                                             60.000,00 €
156000                                             50.000,00 €
154000                                             40.000,00 €
152000
                                                   30.000,00 €
150000
148000                                             20.000,00 €
146000                                             10.000,00 €
144000                                                  0,00 €
             2009            2014                                NRW   Deutschland   Bonn

                Bonn muss stark bleiben
                Oberbürgermeister-Kandidat, 2009

                Bonn ist noch stärker geworden
                Oberbürgermeister, 2015

                                                                                            1
Inhalt

    Vorbemerkung

    1.   Bürgerbeteiligung stärken                                           7

    2.   Bonn ist noch stärker geworden - die wirtschaftliche Entwicklung   14

    3.   Unser Geld - der Haushalt                                          22

    4.   Internationale „Hauptstadt der Nachhaltigkeit“                     26

    5.   Bildungs- und Wissenschaftsstadt                                   39

    6.   Kulturstadt                                                        44

    7.   Bundesstadt als Teil der Region                                    59

    8.   Stadtentwicklung und Verkehr                                       62

    9.   Modernisierung der Stadtverwaltung                                 75

    10. Großprojekte „WorldCCBonn“ und „Festspielhaus“                      79

    Schlussbemerkung

    Anhang: Zahlen, Daten und Fakten zur Arbeit des Oberbürgermeisters

2
mit dem ich gelegentlich zusammenkommen
                                                      durfte und der mich am Ende meiner Amtszeit
                                                      zu einem längeren Abschiedsgespräch einlud.
                                                      In seinem Plädoyer „Für Freiheit“ schreibt er zu
                                                      dieser Frage: „Bei vielen Menschen, die mir im
                                                      Land begegnen, vermute ich eine geheime Ver-
                                                      fassung, deren virtueller Artikel 1 lautet ´Die Be-
                                                      sitzstandswahrung ist unantastbar´.“

                                                      Ich lernte, diesen Tatsachen ins Auge sehen, was
                                                      dem Rheinländer in mir nicht schwerfiel. Zur ent-
                                                      spannenden Fünf-Minuten Lektüre zwischen
                                                      dem Studium der Akten und der Kenntnisnahme
Vorbemerkung                                          unfassbarer Horrormeldungen über die täglichen
                                                      „Desaster“ in unserer Stadt legte ich mir eine
Am Ende meiner Amtszeit als Oberbürgermeis-           gebundene Ausgabe des Rheinischen Grund-
ter schaue ich mit dieser Zusammenstellung zu-        gesetzes von Konrad Beikircher neben meinen
rück auf sechs Jahre Stadtgeschichte. Es ist we-      Schreibtisch: „Et kütt wie et kütt“. Es war eben
niger ein Bericht über meine Arbeit, sondern eher     hinzunehmen, dass einzelne Menschen und Me-
eine Beschreibung von Veränderungen, die unse-        dien aus einem kleinen Problem gern ein Un-
re Stadt in den letzten Jahren erfahren hat und       tergangsszenario entwickeln, und zum Beispiel
an denen ich beteiligt war. Daher die Überschrift     schreiben, in Bonn könne man nur „überwiegend
„Veränderungen“ – es ist auch der Titel des dies-     negative Nachrichten“ vermelden, große Pläne
jährigen Beethovenfestes. Mir liegt daran, deut-      würden stets „mit Getöse versenkt“ und es liege
lich zu machen, wie stark sich unsere Stadt in        „Mehltau über der Stadt“. Übertreibungen also,
den letzten Jahren zu ihrem Vorteil gewandelt hat     bei denen aus einem Problem gleich ein „Desas-
und dass keine Rede davon sein kann, wie gele-        ter“, aus kleinen negativen Dingen gleich eine
gentlich behauptet wird, es sei eine Art Stillstand   „Hiobsbotschaft“ und aus einem Fehler in der
eingetreten.                                          Verwaltungsarbeit gleich ein „Organisationsver-
                                                      sagen“ gemacht wird.
In den ersten Wochen meiner Amtszeit, im Herbst
2009, beschlich mich bisweilen das Gefühl, ich        Da aber den Lauten immer mehr Aufmerksam-
sei Oberbürgermeister einer krisengeschüttel-         keit geschenkt wird als den Leisen, entstand mit-
ten Stadt am anderen Ende der Welt geworden.          unter der Eindruck, es bestehe in unserer Stadt
Mit dieser Einschätzung war ich nicht allein. Im      tatsächlich Anlass zur Unzufriedenheit. Der aus
Februar 2010 fragten der IHK-Präsident und der        dem Rheinland stammende Physiker Benzen-
IHK-Hauptgeschäftsführer in einem öffentlichen        berg hat hingegen einmal gesagt: „Zahlen bewei-
Aufruf, ob denn vielleicht „Larmoyanz eine spe-       sen“. Ich will daher ein paar Zahlen nennen, die
zielle Bonner Tugend?“ sei. Beide verwiesen da-       den tatsächlichen Zustand der Stadt beschreiben
rauf, dass Bonn doch trotz der allgemeinen Wirt-      und aus denen man ablesen kann, dass es uns
schafts- und Finanzkrise gut dastehe und man          nicht nur, wie es die IHK-Chefs 2010 beschrieben
gute Voraussetzungen habe, weiter positiv nach        haben, eigentlich ganz gut geht, sondern dass
vorne zu arbeiten. Eigentlich fehle es – nicht        unsere Stadt in den letzten Jahren noch stärker
überall, aber doch meistens - an Gründen für das      geworden ist und sich durch große Dynamik aus-
täglich zu hörende und gern verbreitete Wehkla-       zeichnet.
gen.
Ich war sehr froh, mich über diese Haltung eines      ■ In meiner Amtszeit sind in unserer Stadt jähr-
kleinen Teils unserer Bürgerschaft gelegentlich         lich rund 2600 neue Arbeitsplätze entstan-
mit sehr erfahrenen Menschen austauschen zu             den, seit dem Bonn/Berlin-Beschluss 1991
können. Ein besonders geschätzter Ratgeber war          sind es insgesamt 30 000 mehr geworden. In
Bundespräsident Joachim Gauck, den ich bei sei-         jedem Jahr gibt es einige hundert Gewerbe-
nem Amtsantritt im Bonner Rathaus begrüßte,             anmeldungen mehr als -abmeldungen. Bonn

                                                                                                       3
hatte 2014 bundesweit die höchste Dichte an     Abschluss; in ganz Nord-rhein-Westfalen wa-
    freiberuflichen Existenzgründern.               ren es 4,4 Prozent. Das Hamburger Weltwirt-
                                                    schaftsinstitut erteilte bei seinem Städteran-
■ Bonn liegt mit seinen DAX-Unternehmen aktu-       king Bonn Bestnoten im Bereich Bildung und
  ell auf Platz 2 der Börsenliga und ist im Städ-   stellt fest: Bonn verzeichnet den geringsten
  teranking des Hamburger Weltwirtschaftsins-       Anteil der untersuchten Städte bei Schulab-
  tituts von Platz 9 in 2008 auf Platz 3 in 2012    gängern ohne Abschluss und den größten
  geklettert.                                       Anteil der Schulabgänger mit Hochschulreife.
                                                    Mehr noch als anderswo gilt also: Bildung ist
■ Man vertraut wieder darauf, dass man in un-       Bonns Kapital.
  serer wachsenden Stadt investieren kann und
  Immobilien hier auch langfristig eine gute ■ Deswegen betrug der Bauumsatz des Städ-
  Geldanlage sind. Viele Investoren, Geldan-        tischen Gebäudemanagements in meiner
  leger, z.B. Versorgungskassen, kaufen oder        Amtszeit fast 200 Mio. Euro für Bau- und
  bauen Häuser in Bonn. Das kann nicht ver-         Sanierungsmaßnahmen in Kindergärten und
  wundern bei einem Leerstand von nur 3,5           Schulen. Vom 1.1.2009 bis 1.1. 2015 haben
  Prozent bei den Büroimmobilien und Spit-          wir 24 neue, öffentlich geförderte Kindergär-
  zenmieten von 16,50 Euro pro qm und mehr.         ten mit rund 1 940 neuen Plätzen gebaut und
  Nach einer Studie von September 2015 haben        die insgesamt zur Verfügung stehende Zahl
  Immobilien in Bonn die besten Aussichten auf      an Kindergartenplätzen von 9 467 (1.1.2009)
  Wertsteigerungen in ganz Nordrhein-Westfa-        auf 11 408 (1.1.2015) erhöht (+ 20 Prozent).
  len. Bonn belegt Platz 1 unter den „Immobili-     Aktuell können wir 2 496 U3-Plätze in Kinder-
  en Top Ten“.                                      gärten und 900 Plätze in der Tagespflege an-
                                                    bieten, was einem Versorgungsgrad von über
■ Wir wachsen und haben jedes Jahr rund 1 000       42 Prozent entspricht. Für die 3-6jährigen
  neue Einwohner und wir verzeichnen einen          stellen wir insgesamt 8 912 Plätze in Kinder-
  Geburtenüberschuss - ein Anzeichen dafür,         gärten und ca. 30 Plätze in der Tagespflege
  dass Familien unserer Stadt vertrauen.            zur Verfügung, was einem Versorgungsgrad
                                                    von 99 Prozent entspricht. Im Ganztagsbe-
■ Unser Kapital sind die überdurchschnittlich       reich an Grundschulen konnten wir die Ange-
  vielen gut ausgebildeten Menschen. Sie er-        botszahl um 2423 Plätze von 5 018 (2009) auf
  ar-beiten ein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf       7441 (2015) erhöhen (+ 48 Prozent).
  von 83 394 Euro, das ist der höchste Wert in
  Nordrhein-Westfalen und sie haben nach An- ■ Im Kulturranking liegen wir mit unserem phan-
  gaben des Statistischen Bundesamtes und           tastischen Angebot auf Platz 5 unter den 30
  von Krankenkassen auch noch eine geringe-         größten Städten in Deutschland. Nach dem
  re Krankenquote als diese in anderen Städ-        Wegfall der Konzerte auf dem Museumsplatz
  ten verzeichnet wird. Da inzwischen für 25,3      und der eintägigen „Rheinkultur“ haben wir an
  Prozent der Arbeitsplätze in Bonn ein Hoch-       anderer Stelle neue Veranstaltungen schaffen
  schulabschluss erwartet wird – das sind           können. Die Zahl der Open-Air-Konzerte ist
  4 Prozent mehr als 2009 und mehr als dop-         2015 höher als 2011 und in den letzten Jah-
  pelt so viel wie anderswo - ist es gut, dass fast ren kletterte die Zahl der Veranstaltungen
  ein Drittel unserer Einwohner über 15 Jahre       von 299 in 2013 auf 347 in 2015. Unser Flagg-
  schon einen Hochschulabschluss hat; auch          schiff, das Beethoven Orchester, sammelt ei-
  das ist mehr als doppelt so viel wie in anderen   nen Echo-Klassik-Preis nach dem anderen.
  Städten. Über die Hälfte (53 Prozent) unserer
  Einwohner über 15 Jahre hat eine Hochschul-
  zugangsberechtigung; in NRW sind es nur 30
  Prozent. Und auch am anderen Ende der Ska-
  la haben wir uns verbessert. 2013 verließen in
  Bonn nur noch 153 Jugend-liche (2,8 Prozent)
  von rund 5000 insgesamt die Schule ohne

4
2009                     2014

Kindergartenplätze U 3                                                        2181                    3 396

Kindergartenplätze                                                           9 467                    11 408

OGS-Plätze                                                                   5 018                    7 441

Arbeitsplätze                                                               150 752                  163 663

Arbeitsplätze mit Hochschulabschluss                                         20,8%                    25,3%

Insolvenzen                                                                   194                      142

Platzierung im Städteranking des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts             9                        3

Bruttoinlandsprodukt pro Kopf                                             81 731 Euro              83 394 Euro
                                                                                                  [Platz 1 in NRW]

Umsatz in der Immobilienwirtschaft                                      707 Mio. Euro            1,15 Mrd. Euro

Vermietete Büroflächen [m2]                                                  85 700                   88 900

Hotelzimmer                                                                  3 701                    4 327

                                                                      Stärkster Anstieg der      Bonn gehört zu den
Kriminalitätsbericht                                                   Kriminalität von allen     sichersten Städ-
                                                                      Stadten in NRW [2000]      ten in Deutschland

Schulden im städtischen Haushalt                                      1 213 213 522 Euro        1 691 241 117 Euro

Wir können also festhalten: In Bonn kann man gut         schafts- und Wissenschaftsstandort mit starkem
arbeiten, gute Geschäfte machen, gut lernen und          kulturellen Profil und Menschen aus rund 180 Na-
gut leben. Dass unsere Stadt in den letzten sechs        tionen. „Boomtown Bonn“ kann man gelegentlich
Jahren sogar noch stärker geworden ist, das ist          in den bundesweiten Blättern lesen oder ab und
das Verdienst der ganzen Stadtgesellschaft, de-          zu titelt dann sogar auch schon einmal eine unse-
ren Bürgerinnen und Bürger in der Summe Groß-            rer Zeitungen: „Wir sind der Motor NRWs“.
artiges leisten. Städte über denen „Mehltau“ liegt
sehen anders aus. Eigentlich wissen wir das auch,Ich nehme an, dass der Autor, der von den
denn bei einer Umfrage von infas haben 98 Pro-   „versenkten Projekten“ schrieb, damit das
zent der Bonnerinnen und Bonner gesagt, dass     WorldCCBonn und das Festspielhaus gemeint
sie sich hier „wohl“ oder „sehr wohl“ fühlen.    hat. Wen mein Blick auf das WorldCCBonn, das
                                                 Festspielhaus und das „Hallenkonzept“ interes-
Wenn es eine Stadt gibt, die mit Wandel umge- siert, der mag es in Kapitel 5 und 10 nachlesen.
hen kann, dann sind wir es. Wir haben uns in un-
serer 2000jährigen Geschichte immer neuen He- Ich will an dieser Stelle vorab nur Folgendes sa-
rausforderungen gegenüber gesehen und haben gen. Nachdem es uns gelungen ist, den „Dämon
besondere Aufgaben übernommen. Allein in den WorldCCBonn“ zu verjagen und das neue Haupt-
letzten 20 Jahren haben wir einen enormen Weg gebäude des Konferenzzentrums mit einer fünf-
zurückgelegt von einer überwiegend durch Mi- jährigen Verzögerung zu eröffnen wird es uns
nisterien, Verbände und Behörden geprägten Be- hoffentlich genau so gehen, wie dem Bund, des-
amtenstadt zu einem zukunftsorientierten Wirt- sen Bauprobleme auf derselben Meile inzwi-

                                                                                                                      5
schen fast in Vergessenheit geraten sind. Beim
vom Rheinhochwasser versenkten Schürmann-
Bau des Bundes, nur 100 Meter weiter, gab es
vor 20 Jahren eine Verzögerung von 7 Jahren und
einen 10 Jahre dauernden Rechtsstreit; mit ge-
schätzten 700 Millionen Euro gilt es als eines der
teuersten Gebäude der deutschen Nachkriegsge-
schichte. Und der Deutsche Bundestag musste
nach seinem Einzug in das gegenüber liegende
neue Parlamentsgebäude 1992 wegen Baumän-
geln direkt wieder ausziehen, und konnte erst ein
Jahr später zurückkehren.

Beim Projekt „Festspielhaus“ hätte ich mir von al-
len Beteiligten einen längeren Atem gewünscht.
Von der Idee bis zur Realisierung hat das Fest-
spielhaus in Salzburg 30 Jahre gebraucht und bei
der Oper in Sydney dauerte es sogar noch länger.

Wie also geht es Bonn 2015? Was haben alle Mit-
wirkenden gemeinsam erreicht? Damit meine ich
die gesamte Stadtverwaltung mit rund 6000 Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeitern, den Stadtrat und
die Bezirksvertretungen, die Wirtschaft und die
gesamte Bürgerschaft mit all ihren Organisatio-
nen, Institutionen, Initiativen und Vereinen.

Ich hatte 2009 dem Ziel „Bonn muss stark blei-
ben!“ eine zweite zentrale Wahlkampfaussage
hinzugefügt: Bürgerbeteiligung stärken! Ich be-
ginne daher bei den Bürgerinnen und Bürgern; sie
sind das Maß aller Dinge. Ich war als von ihnen di-
rekt gewählter erster Repräsentant gerne bei ih-
nen und habe, neben den vielen inoffiziellen Ter-
minen, rund 2500 Reden und Grußworte auf rund
3000 Veranstaltungen gehalten und die Gelegen-
heit zu unzähligen Gesprächen genutzt. Ich wollte
ein Oberbürgermeister sein, der den Bürgerinnen
und Bürgern zuhört und der sie so umfassend wie
möglich an Planungen und Entscheidungen betei-
ligt. Wir alle leben nämlich davon, dass sich un-
sere Bürgerschaft täglich tausendfach engagiert;
sie macht den Herzschlag unserer Stadt aus. Die
sehr hohe „Wohlfühlrate“ ist nur so zu erklären,
dass die Menschen in Bonn einander vertrauen,
miteinander arbeiten und füreinander leben. Und
darum steht auch das Kapitel „Bürgerbeteiligung
stärken!“ am Anfang dieses Berichts.

6
Es gab zu Beginn noch eine gewisse Reserviert-
                                                       heit gegenüber einer mutig betriebenen Bürger-
                                                       beteiligung vor einer Ratsentscheidung. Dabei
                                                       zeigten sich doch schon früh die Entwicklungen
                                                       wie eine mutige Bürgerschaft nach einer vom
                                                       Stadtrat gefassten Entscheidung, dessen Ent-
                                                       scheidung wieder einkassierte, z.B. in Bad Hon-
                                                       nef (Nationalpark), Siegburg (Einkaufszentrum),
                                                       Köln (Schauspielhaus), Hamburg (Schulreform)
                                                       und Stuttgart (Bahnhof). Es ist nur klug, Bürge-

1.
                                                       rinnen und Bürger vor der Entscheidung von Gre-
                                                       mien möglichst umfassend zu beteiligen. So war
                                                       es auch keine Überraschung, dass in einer dar-
                                                       aufhin von der Universität Bonn durchgeführten
                                                       qualitativen Vorstudie von 1000 im April 2010 re-
                                                       präsentativ ausgewählten Bonnerinnen und Bon-
Bürgerbeteiligung stärken!                             nern 90 Prozent die Themen nannten, die ihnen
                                                       auf den Nägeln brannten und bei denen sie sich
                                                       eine größere Beteiligung wünschten: Bildung,
„Wer an den Dingen der Stadt keinen                    Festspielhaus, Finanzen, Verkehr, WorldCCBonn.
Anteil nimmt, ist kein stiller, sondern ein
schlechter Bürger.“                                    Mein Ziel, am Tag der Landtagswahl, im Mai
			                                     [Perikles]     2010, auch eine Abstimmung über wichtige kom-
                                                       munale Fragen zu ermöglichen, konnte ich nicht
                                                       erreichen. Mehr und mehr regten sich aber inte-
Am Tag meines Dienstantritts begann ich damit,         ressierte Bürgerinnen und Bürger. So veröffent-
wie im Wahlkampf versprochen, den Dialog zwi-          lichte eine Gruppe von Innenstadtbewohnern
schen Verwaltung und Bürgerschaft zu intensivie-       schon im Oktober 2010 eine ganzseitige Anzeige
ren und neue Formen der Bürgerbeteiligung ein-         mit der Überschrift „Wem gehört der öffentliche
zuführen. Dazu gehörte die sofortige Einrichtung       Raum?“ und beklagte eine Reihe von Missstän-
des Internet-Portals „direkt zu“, die Errichtung ei-   den im City-Bereich. Ich griff dies auf und richte-
ner kleinen Arbeitsgruppe zur Bürgerbeteiligung        te dazu eine ämterübergreifende Arbeitsgruppe
in meinem Dezernat, die Einführung der Video-          mit einer Ansprechpartnerin für diese Bürgerin-
übertragung von Ratssitzungen und eine öffent-         nen und Bürger ein. Schritt für Schritt schaff-
lichen Veranstaltung 100 Tage nach Beginn mei-         ten wir so eine Reihe von in der Tat vorhandenen
ner Amtszeit („Ich stelle mich“). Bei „direkt zu“      Missständen ab. Ich erwähne den „Kleinen Hain“,
erreichte ich bereits innerhalb der ersten Monate      die mit Bäumen gestaltete Fläche zwischen Frie-
über 50 000 Leser, mehr als sich bei den meisten       densplatz und Bottlerplatz, die mit der Zeit verun-
Bundes- oder Landespolitikern meldeten.                staltet worden war. Der durch die Bäume eigent-
                                                       lich mögliche, schöne Aufenthaltsbereich mitten
Der Stadtrat beschloss zur politischen Beglei-         in der Stadt war zugestellt worden durch eine Im-
tung meiner Initiative die Einführung eines neu-       bissbude, einen Stromkasten, vier Dreiecksstän-
en „Ausschusses für Beteiligung der Bürgerinnen        der, eine Fahrradabstellanlage und eine Telefon-
und Bürger“. Die Parteien nahmen sich ebenfalls        zelle. Nach und nach befreiten wir den „Kleinen
des Themas an; so beschloss der SPD-Bundes-            Hain“ von diesen Lasten.
parteitag Ende 2009 den Ausbau der Bürgerbe-
teiligung als politisches Ziel und der „Vorwärts“      Im Zuge des Ausbau unserer Bürgerbeteiligung be-
berichtete zu den Aktivitäten in Bonn. Die ersten      zogen wir die Bürgerschaft bei wichtigen Prozes-
Vorschläge aus dem Ausschuss waren zunächst            sen mehr und mehr ein, z.B. beim Lärmaktionsplan,
noch verhalten und mündeten im Beschluss,              bei der Spielplatzplanung, bei der Entwicklung
die Bürgerinnen und Bürger zunächst zu befra-          des „Behindertenpolitischen Teilhabeplans“ und
gen, ob sie überhaupt gefragt werden wollen.           schafften so nach und nach neue Strukturen.

                                                                                                        7
Bürgerdialog zum Haushalt                              mas „Schwimmbäder“. Zu diesen Vorschlägen
„Bonn packt’s an“                                      hat der Stadtrat allerdings bis heute keine Be-
                                                       schlüsse getroffen. Bei der Bestenliste aus dem
Es war ein wichtiger Schritt, dass wir in Bonn im      Bereich „Natur- und Landschaftspflege“ setzten
Januar 2011 zum ersten Mal eine breite Bürgerbe-       sich die meisten Vorschläge mit der Übernahme
teiligung bei der Aufstellung des Haushalts unter      ehrenamtlicher Tätigkeiten im Bereich der Grün-
dem Titel „Bonn packt´s an“ ermöglicht haben.          pflege auseinander. In der Umsetzung wurden
Noch im Jahr zuvor, im März 2010, hatten wir bei       die städtischen Bemühungen verstärkt, Grünpa-
der Vorstellung des für ein Jahr eingebrachten         tenschaften zu bewerben. Zwischenzeitlich gibt
Haushaltes auf das bis dahin praktizierte Verfah-      es diverse gelungene Projekte; so z.B. die Com-
ren gesetzt und mit 1500 Broschüren und 100            munity Gärten auf dem Gelände der Ermekeilka-
Plakaten nur rund 100 Menschen bei einer Bür-          serne.
gerversammlung zum Haushalt erreicht. Nun,
bei „Bonn packt´s an“ waren auf einmal 12 377          Beim Bürgerdialog zum Haushalt 2015/2016
Personen online dabei und auf der Internetsei-         stand wieder das Thema „Konsolidierung“ im
te gab es 191 000 Besucherinnen und Besucher.          Fokus. 3 700 aktiv registrierte Nutzerinnen und
Dazu kamen fast 3000 schriftliche Rückmeldun-          Nutzer haben im November 2014 insgesamt 390
gen. Die Bürgerinnen und Bürger machten 1 494          Bürgervorschläge zum Haushalt gemacht und
eigene Konsolidierungsvorschläge und verfass-          diese – gemeinsam mit 25 ausgewählten Kon-
ten rund 12 700 Kommentare. Die einzelnen Vor-         solidierungsvorschlägen der Verwaltung – über
schläge wurden mehr als 535 000 Mal bewertet.          77 500mal mit Pro, Neutral oder Contra bewer-
Von den bestbewerteten 108 Bürgervorschlägen           tet und rund 4 000 Diskussionsbeiträge verfasst.
wurden 48 sofort umgesetzt. Von den 108 Ein-           Von den 25 bestbewerteten Bürgervorschlägen
sparvorschlägen der Verwaltung wurden 49 von           stimmte der Stadtrat im Mai 2015 acht in vollem
den Bürgerinnen und Bürgern mit Pro bewertet;          Umfang zu. Weiteren acht Bürgervorschlägen
30 davon wurden umgesetzt und erbrachten eine          ist grundsätzlich zugestimmt worden, der Rat
Einsparung bzw. Einnahmeerhöhung von 14,5              hat hier zum Teil Änderungen oder Ergänzungen
Mio. Euro. Von den 59 Vorschlägen der Verwal-          vorgenommen. Vom Stadtrat abgelehnt wurden
tung, die mit Contra bewertet worden waren, ka-        acht Bürgervorschläge. Ein Vorschlag ist in wei-
men 46 nicht zur Anwendung. Dreizehn Vorschlä-         tere Beratungen verwiesen worden. Die Bürge-
ge im Umfang von 12,8 Mio. Euro haben wir trotz        rinnen und Bürger hatten auch die Möglichkeit,
des abweichenden Bürgervotums umgesetzt,               die Konsolidierungsvorschläge der Verwaltung zu
weil wir sonst die volle Einflussmöglichkeit auf die   bewerten. Die am stärksten positiv bewerteten
Gestaltung unserer Finanzen an die Aufsichtsbe-        Verwaltungsvorschläge werden seitdem im We-
hörde im Nothaushalt verloren hätten; wir hatten       sentlichen umgesetzt. Dies sind Vorschläge wie
aber so im Verfahren erstmals eine Chance, un-         „Erhöhung der Vergnügungssteuer auf Geldspiel-
sere Entscheidung zu begründen und um Akzep-           geräte“ oder „Einführung einer Bettensteuer“.
tanz zu werben.                                        Von den Verwaltungsvorschlägen, die die Bürge-
                                                       rinnen und Bürger am negativsten bewertet hat-
Für den Haushalt 2013/2014 registrierten sich          ten, werden zum Beispiel Kürzungen im OGS-Be-
rund 1 750 Teilnehmende auf dem Portal und             reich oder die Schließung von Bäderstandorten
machten 245 Vorschläge. Diese wurden über              nicht umgesetzt. Zum Teil umgesetzt werden die
318 000 Mal bewertet. Insgesamt hatte die Inter-       „Schließung von Bibliotheksstandorten“ oder die
netseite rund eine halbe Million Klicks. Wir hatten    Grundsteuererhöhung.
zwei Produktbereiche des Bonner Gesamthaus-
halts zur Beteiligung angeboten, Natur- und Land-      „Bonn packt’s an“ hat sich während meiner
schaftspflege und Sportförderung. Die Bürge-           Amtszeit etabliert. Es ist ein niedrigschwelliges
rinnen und Bürger konnten aber auch allgemein          Dialogangebot zwischen den Wahlen zum städti-
Spar- und Einnahmeerhöhungsvorschläge ma-              schen Haushalt, das es prinzipiell jeder Bür-gerin
chen. Von den bestbewerteten 25 Vorschlägen            und jedem Bürger ermöglichen soll, einen Vor-
im Bereich Sportförderung beschäftigten sich al-       schlag oder Kommentare zu Vorschlägen abzu-
lein 18 mit unterschiedlichen Facetten des The-        geben. Es öffnet also ein bislang weitgehend von

8
der Öffentlichkeit unbemerktes Haushaltsplan-          Projekte zu legitimieren und eine breitere
verfahren und macht es resonanzfähiger für das         Akzeptanz von Planungen und Entscheidun-
Feedback, für Ideen und Hinweise aus der Bür-          gen zu erreichen.
gerschaft, insbesondere für die politisch nicht-
organisierten Bevölkerungsteile. Der Stadtrat be-   ■ Es ist wichtig, alle gesellschaftlichen
rät die Anregungen der Bürgerschaft intensiv und      Gruppen zu aktivieren und Chancengleichheit
entscheidet am Ende. Die Ergebnisse werden in         bei der Beteiligung zu ermöglichen.
Form eines Rechenschaftsberichtes den Bürge-
rinnen und Bürgern zurückgemeldet. Dieses An-       ■ Bürgerbeteiligungsprozesse müssen auf
gebot ist eine in die formale Haushaltsplanung        Basis von – allen akzeptierten – Qualitäts-­
eingebettete Beteiligungsmaßnahme, die weit           standards erfolgen.
mehr Bürgerinnen und Bürger erreicht als jemals
zuvor. Statt Repräsentativität stehen der offene    ■ Bürgerbeteiligung muss Bestandteil des tägli-
Dialog, der Austausch und die Entwicklung mög-        chen Verwaltungshandelns sein.
lichst vieler unterschiedlicher Sichtweisen sowie
der offene und interaktive Wettbewerb um Vor-       Um Bürgerbeteiligung zu verankern braucht es ei-
schläge zum Haushalt im Vordergrund. Erfolgs-       nen gemeinsamen Rahmen innerhalb der Stadt-
kriterium ist dabei nicht nur die Beteiligungs-     gesellschaft – am besten wird dieser Rahmen
zahl, sondern ein qualifizierter Austausch über     von Bürgerschaft, Politik und Verwaltung gemein-
gute Ideen zum Haushalt und die Debatte über        sam entwickelt. 2012 bildeten wir dazu die aus
die Vorschläge der Verwaltung.                      acht zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bür-
                                                    gern, acht Mitgliedern aus der Politik und sieben
Weitere Bürgerbeteiligungen mit Online-Elemen-      Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern
ten wurden auch zum „Masterplan Innenstadt“         zusammengesetzte Arbeitsgruppe „Leitlinien für
und zum „Kulturkonzept“ sowie zur öffentlichen      die Bürgerbeteiligung“. Die breite Öffentlichkeit
Diskussion des Gutachtens zur Bäderlandschaft       beteiligte sich per Online-Kommentierung und in
in Bonn durchgeführt. Das Ergebnis der sich an-     einer Bürgerwerkstatt mit ihren Ideen und Vor-
schließenden repräsentativen Bürgerbefragung,       schlägen. Wesentliche Zielsetzung der Arbeits-
welches Hallenbad in Bonn geschlossen werden        gruppe war die Entwicklung eines Rahmens und
soll – nämlich das Kurfürstenbad in Bad Godes-      einer Orientierung für die Bürgerbeteiligung.
berg – führte allerdings nicht zu einem Ratsbe-     Konkret wurden Qualitätsanforderungen an die
schluss. Die Stadtverordneten aus Bad Godes-        Bürgerbeteiligung in Bonn formuliert und darauf
berg verweigerten ihrer Koalition aus CDU und       aufbauend Ansprüche an die Gestaltung der Be-
Grünen die Zustimmung zur Schließung „ihres“        teiligungsprozesse erarbeitet. Damit verbunden
Kurfürstenbades. Die anderen Fraktionen be-         sind Vorschläge, wie diese Prozesse konkret in
gnügten sich mit der Rolle des Beobachters.         der Praxis etabliert und gesteuert werden kön-
                                                    nen. Das Ergebnis der Arbeitsgruppe, die „Leit-
                                                    linien Bürgerbeteiligung Bonn“, wurden im März
Leitlinien für die Bürgerbeteiligung                2014 einstimmig vom Rat der Stadt Bonn verab-
                                                    schiedet. Als eine von ganz wenigen Städten in
Meinem Ansatz einer integrativen und nachhal-       Deutschland kann Bonn die Bürgerbeteiligung
tigen Bürgerbeteiligung lagen von Anfang an fol-    auf dieser Grundlage integriert und nachhaltig
gende Leitgedanken zu Grunde:                       angehen. Das Fundament und der Rahmen für
                                                    die künftige Umsetzung der Bürgerbeteiligung
■ Partizipation stellt ein zentrales Element        sind 10 Qualitätskriterien für gute Bürgerbetei-
  kommunaler Demokratie dar.                        ligung. Diese werden für alle rechtlich veranker-
                                                    ten und freiwilligen Bürgerbeteiligungsprozesse
■ Ziel ist es, die kommunale Beteiligungskultur     in Bonn gelten. Mit einer Vorhabenliste wird zu-
  weiterzuentwickeln, um Entscheidungen in          dem sichergestellt, dass die Einwohnerinnen und
  einem gemeinsamen Diskurs auf eine brei-          Einwohner frühzeitig von den relevanten Vorha-
  tere Basis zu stellen und Projekte weiter zu      ben in Bonn erfahren. Ein „Beirat Bürgerbeteili-
  qualifizieren. Darüber hinaus geht es darum,      gung“, dem paritätisch besetzt Vertreterinnen

                                                                                                   9
und Vertreter aus Einwohnerschaft, Politik und         che Beteiligungs-Basisinfrastruktur mit ständig
Verwaltung angehören, begleitet die Initiierung,       freigeschalteten und nutzbaren Beteiligungska-
Umsetzung und Evaluation aller Beteiligungspro-        nälen bereit. Die Dialogplattform beinhaltet da-
zesse. Die Leitlinien für die Bürgerbeteiligung ver-   rüber hinaus in verschiedenen Ausbaustufen
stehen sich als lernendes System, das sich durch       erweiterbare Beteiligungsmodule, wie zum Bei-
Evaluation kontinuierlich weiterentwickelt. Inhalt-    spiel Umfragen, um der Stadt Bonn zu ermögli-
lich setzen die Leitlinien auf ein kooperatives Rol-   chen, kurzfristig zu politischen Fragestellungen
lenverständnis zwischen Politik, Verwaltung und        oder Konzeptpapieren Bürgerinnen und Bürger
Bürgerschaft. Das bedingt Wertschätzung, Of-           als Hinweis - und Feedbackgeber einzubinden.
fenheit und Lernbereitschaft auf allen Seiten.         So ist auch vorgesehen, über die Dialogplattform
                                                       besonders interessierte Bürgerinnen und Bürger
Partizipationsportal                                   in Form von Bürgerpanels wiederholt zu gleichen
                                                       (um Entwicklungen und Veränderungen zu beob-
Das 2015 eingerichtete Partizipationsportal            achten) oder unterschiedlichen Themen einzubin-
„Bonn macht mit“ ist letztlich die Konsequenz          den und somit eine nachhaltige Bindung zu dieser
aus der Entwicklung eines Leitbildes für die Bür-      aktiven, partizipations- und engagierten Bürger-
gerbeteiligung. Es ist das Forum für die sich aus      schaft aufzubauen. Ich freue mich, dass wir das
der Umsetzung der Leitlinien ergebenden Anfor-         mir besonders wichtige Ziel erreicht haben, näm-
derungen an Information und Dialog für und mit         lich bedeutende Vorlagen der Verwaltung für den
den Bürgerinnen und Bürgern. Die Einrichtung           Stadtrat zunächst einer online-Abfrage bei einer
dieser Dialogplattform als zentrale Anlaufstelle       dafür ausgewählten repräsentativen Gruppe von
für Bürgerbeteiligung ist ein wichtiger Zwischen-      1000 Bürgerinnen und Bürgern zuzuführen. Mein
schritt hin zu einer integrierten und nachhaltigen     Nachfolger hat nun die Möglichkeit dieses Instru-
Bürgerbeteiligung. Hier wird über alle Bürgerbe-       ment einzusetzen.
teiligungsaktivitäten und -angebote der Stadt
Bonn – auch via Newsletter im Sinne eines „Be-         Neben den 63 Bürgersprechstunden, in denen
teiligungs-Alert“ und Social Media – informiert        ich rd. 400 längere Gespräche führen konnte, er-
bzw. auf bestehende Informations- und Beteili-         freuten sich vor allem das erwähnte „direkt zu-
gungsangebote verwiesen. Die Informations- und         Portal“ bzw. das auf dem im Januar 2015 an den
Transparenzfunktionen der Dialogplattform er-          Start gegangene Bonner Bürgerbeteiligungspor-
füllt die in ständiger Weiterentwicklung befindli-     tal „Bonn macht mit“ eingerichtete Modul „Frag
chen Open-Data-Anforderungen, indem die Dia-           den OB“ großer Beliebtheit. Seit der Freischal-
logplattform zukünftig auch Schnittstellen zum         tung der Plattform „direkt zu“ im Januar 2010
Export maschinenlesbarer Daten zu laufenden            und der Weiterführung auf „Frag den OB“ seit Ja-
oder abgeschlossenen Beteiligungsereignissen           nuar 2015 wurden insgesamt rd. 1,2 Mio. Lese-
(Statistiken und anonymisierte Teilnehmerbeiträ-       rinnen und Leser gezählt. 333 Beiträge wurden
ge) anbieten kann. Neben den bereits vorhande-         eingereicht, 16 421 Stimmen zu ihrer Wertung ab-
nen stets erreich- und nutzbaren Bürgerservices        gegeben. Insgesamt sind bisher 287 Antworten
wird den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt             (3 Top-Anliegen alle 14 Tage) in die Portale einge-
Bonn mit der Dialogplattform auch auf der darü-        stellt worden. Diese Antworten erreichten, neben
ber liegenden Beteiligungsebene die Möglichkeit        den über 1,2 Mio. Leserinnen und Lesern, insbe-
eröffnet, sich jederzeit in politisch-administrative   sondere die 14 465 Bürgerinnen und Bürger, die
Prozesse einzubringen, auf aktuelle Themen un-         diese Anliegen zuvor mit ihrer Pro-Stimme unter-
mittelbar zu reagieren oder eigene Themen auf          stützt hatten.
die Agenda zu setzen. Es ist nun möglich, die öf-
fentliche Diskussion professionell darzustellen        Fachbereich Bürgerbeteiligung
und einen tatsächlichen Dialog im Rahmen der           und Fortbildung
e-Partizipation zu gewährleisten. Die Dialogplatt-
form stellt damit – neben in der Regel größeren        Der Fachbereich Bürgerbeteiligung ist inzwi-
und personell aufwändiger betreuten, mode-             schen anerkannter, zentraler Ansprechpartner
rierten und medienübergreifenden Beteiligungs-         der Verwaltung für informelle Bürgerbeteiligungs-
verfahren wie etwa zum Haushalt – eine einfa-          verfahren als Querschnittsaufgabe der Gesamt-

10
verwaltung. Das heißt konkret, dass der Fach-        von Einrichtungen) zeigten wir die Vielfalt, wie
bereich die Ämter in ihren jeweiligen Vorhaben       bürgerschaftliches Engagement in unserer Stadt
berät und unterstützt, die Federführung und die      ihren Ausdruck findet.
Durchführung von Maßnahmen jedoch bei den
Fachämtern verbleibt. Der Fachbereich Bürger-        Bürger-Zukunftsforum und
beteiligung initiiert federführend Projekte unter    Perspektivwerkstatt
dem Aspekt der Entwicklung, Erprobung und Ko-
ordination von neuen Maßnahmen zur informel-         Bereits nach dem erfolgreichen Verlauf des Bür-
len Bürgerbeteiligung. Der Fachbereich ist auch      gerforums 2011, einer Initiative des damaligen
bundesweit gefragter Ratgeber zu Fragen der          Bundespräsidenten und der Heinz-Nixdorf-Stif-
Bürgerbeteiligung. Insbesondere die Themen           tung, in dem auch Bonner Bürger gemeinsam mit
„Bürgerdialog zum Haushalt“, „Leitlinien Bürger-     Vertretern aus 24 anderen bundesweit ausge-
beteiligung“ und „Partizipationsportal“ stoßen       wählte Städte und Landkreise ein bundesweites
auf großes Interesse und sind für viele Kommu-       „Bürger-Zukunftsprogramm“ entwickelt hatten,
nen beispielgebend. Der Fachbereich vertritt die     entstand die Idee, in einer Folgeveranstaltung
Stadt Bonn in den bundesweiten Netzwerken            gleichen Formats die wichtigsten Zukunftsthe-
„Bürgerbeteiligung“, „Bürgerhaushalt“ und „Par-      men Bonns auf lokaler Ebene mit den Bürgerin-
tizipationsbeauftragte“, hat im „Innovationsdia-     nen und Bürgern zu diskutieren.
log Bürgerbeteiligung“ der Bertelsmann-Stiftung
die Broschüre „Bürger beteiligen – ein Leitfaden     Etwa zur gleichen Zeit meldete sich im Mai 2011
für eine neue Beteiligungskultur in Behörden“ mi-    eine Initiative aus Wirtschaft, Gewerkschaften,
tentwickelt und ist als Praxispartner im Vorstand    Kirchen und Sozialverbände bei mir und über-
des Fortschrittskollegs „E-Partizipation“ des Lan-   reichte mir den gemeinsamen Aufruf „Für Bonn“.
des Nordrhein-Westfalen. Er steht außerdem in        Dort hieß es: „Wir brauchen eine gemeinsame
engem Kontakt mit allen Fachbereichen der Ver-       Anstrengung aller, um die Lähmung aufzuheben,
waltung, zu deren Arbeit Bürgerbeteiligungspro-      um den Nebelschleier von der Stadt zu ziehen
zesse gehören, z.B. im Bereich der Bauplanung.       und wieder zu der gemeinsamen Motivation zu-
                                                     rückzufinden. Der Strukturwandel ist ins Stocken
Eine stärkere Bürgerbeteiligung kann nur gut um-     geraten. Es entsteht der Eindruck, dass es nicht
gesetzt werden, wenn die rund 6 000 Mitarbeite-      vorangeht; fast wirkt die Stadt wie gelähmt. Zu-
rinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung auch      rückzuführen ist das wesentlich auf das Projekt
davon überzeugt sind, dass dieser Weg richtig ist.   World Conference Center Bonn. Die bei der Um-
Bei meiner „Aktion Schatzkiste“, mit der im am       setzung dieses Projektes gemachten Fehler und
ersten Tag meiner Amtszeit ein Signal in die Ver-    Versäumnisse gefährden die städtischen Finan-
waltung gesandt und um Verbesserungsvorschlä-        zen, beschädigen den Ruf der Stadt und vergiften
ge zur Verwaltungsstruktur gebeten hatte, hoben      das innerstädtische Klima. Bonn braucht eine Vi-
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst einen    sion als Wegweiser seiner Entwicklung, als Per-
verbesserten „Bürgerservice“ unter die TOP 10        spektive für das politische und gesellschaftliche
der insgesamt 153 Vorschläge.                        Handeln. Nehmen Sie die Politikerinnen und Po-
Daran anknüpfend gelang es, auf allen Verwal-        litiker im Rat beim Wort - sie haben mit ihrem
tungsebenen die besondere Bedeutung der Bür-         Wahlmandat einen Gestaltungsauftrag übernom-
gerbeteiligung bewusst zu machen und durch           men, den es nun einzulösen gilt.“
eine Reihe von Maßnahmen mit Leben zu füllen.        Ich dankte den Initiatoren sehr herzlich.
So widmeten wir 2015 die jährliche Themenwo-
che unserer Fortbildungsaktivitäten gezielt dem      Im Juni 2012 legte ich mit dem Verwaltungsvor-
Bereich „Bürgerschaftliches Engagement“ und          stand das Papier „Zukunft Bonn“ vor. Einen Mo-
boten gemeinsam mit unserer Freiwilligenagen-        nat später folgte ein weiteres Papier aus dem be-
tur viele Veranstaltungen an, in denen die un-       reits 2011 in Erscheinung getretenen Bündnis aus
terschiedlichen Facetten bürgerschaftlichen          Vertretern der Kirchen, Sozialverbände, Gewerk-
Engagements dargestellt wurden. In rund 40 Ver-      schaften und Wirtschaft mit dem Titel „Vision
anstaltungen (Vorträgen, workshops, Schnuppe-        Bonn 2025“. Mein Ziel war es, die beiden umfang-
rangebote, Markt der Möglichkeiten, Vorstellung      reichen Papiere in einer großen Bürgerwerkstatt

                                                                                                   11
zusammenzuführen. Es freut mich sehr, dass           mit Sachinformationen des Presseamtes er-
die Stadt Bonn im Wettbewerb „Zukunftsstadt“,        scheint mehrfach in der Woche und erreicht eine
der vom Bundesministerium für Bildung und For-       hohe Zahl von Abonnenten.
schung im Rahmen des „Wissenschaftsjahres            Meine etwa 600 Tweets erreichten zuletzt jeweils
2015“ durchgeführt wird, auch deswegen als Teil-     1 261 Follower. Über die Netzwerke bei „Face-
nehmerstadt ausgewählt wurde, weil der Bonner        book“ mit etwa 5000 „Freunden“, „Xing“, „Yasni“
Weg zur Etablierung einer stärkeren Bürgerbe-        und „Linkedin“ sowie über die private Homepage
teiligung für vielversprechend gehalten wird. Im     nimptsch.de verfolgen regelmäßig mehrere tau-
Rahmen dieses Wettbewerbs wird ab September          send Menschen meine Arbeit.
2015 nun auch die „Bürgerwerkstatt“ als „Bürger-
Zukunftsforum“ durchgeführt. 300 repräsentativ       Ein Ergebnis stärkerer Beachtung der Bedürfnis-
ausgewählte Bürgerinnen und Bürgern werden           se von Bürgerinnen und Bürgern war auch die Ein-
auf der Grundlage der beiden Strategiepapiere        führung eines neuen Beschwerdemanagements,
„Zukunft Bonn – Überlegungen zur Entwicklung         nämlich die Einrichtung einer Ombudsstelle. Als
der Bundesstadt Bonn“ und „Vision Bonn 2025“         letzte interne Instanz, Differenzen zwischen der
ein neues Leitbild Vision Bonn 2030+ entwickeln,     Verwaltung und einzelnen Bürgerinnen und Bür-
das von einem breiten Querschnitt der Bevölke-       gern über eine konkrete Entscheidung auszuräu-
rung mitgetragen wird.                               men, haben wir eine Reihe von unabhängigen
                                                     Expertinnen und Experten aus verschiedenen
2015 begannen wir, zugeschnitten auf die Bedürf-     Bereichen gewinnen können, die bei konkreten
nisse des Ortes, eine „Perspektivwerkstatt“ in       Anliegen in ein unabhängiges Prüfungsverfahren
Bonn-Buschdorf. Ziel ist hier, die die Bürgerinnen   einsteigen und zwischen den Beteiligten vermit-
und Bürger unmittelbar vor Ort betreffenden Fra-     teln, bevor möglicherweise sonst der Rechtsweg
gen und Probleme zu ermitteln und gemeinsam          als letztes Mittel eingesetzt wird.
nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, bzw. die-
se vorzustellen. Die „Perspektivwerkstatt Busch-     Auch zukünftig wird vieles in unserer Stadt nur
dorf“ hat konkrete Vorschläge zur Verbesserung       möglich gemacht werden können, wenn ihr
bzw. Weiterentwicklung in den Bereichen Ver-         „Herzschlag“, das bürgerschaftliche Engagement
kehr, Baumaßnahmen und bürgerschaftlichem            im Ehrenamt, weiter funktioniert. Die öffentliche
Engagement entwickelt.                               Wertschätzung des bürgerschaftlichen Engage-
                                                     ments und Förderung des Ehrenamtes bleibt da-
Verschiedenes                                        her sehr wichtig. Dies gilt uneingeschränkt und
                                                     in gleicher Weise für jede ehrenamtliche Tätigkeit
Mit der Plattform anliegen.bonn.de haben wir         und jede Organisation, die dieses koordiniert. Ih-
nach der Einführung im Oktober 2014 und einer        nen allen sei von Herzen gedankt, vor allem den
Erweiterung des Angebots im Juli 2015 bereits        inzwischen 2 000 Menschen, die sich bei der in
5000 Menschen erreicht, die sich sehr konkret        meiner Amtszeit ausgeweiteten Ehrenamtsagen-
online zu den dort gelisteten Beschwerdeberei-       tur gemeldet haben und von dort aus eingesetzt
chen (z.B. Wilde Müllkippe, Grünüberwuchs im         werden. Inzwischen haben wir 1 000 besonders
Verkehrsraum, verstopfter Gully, Farbschmie-         engagierte Ehrenamtliche mit der Ehrenamtskar-
rereien, herrenlose Fahrräder, defekte Straßen-      te auszeichnen können, womit kleine Vergünsti-
schilder, Ampeln, Laternen, Kanaldeckel) geäu-       gungen, z.B. bei Eintrittsgeldern verbunden sind.
ßert und auf diese Weise mit für Abhilfe gesorgt
haben.                                               In diesem Zusammenhang will ich drei Bereiche
Nichts aber ist besser als der persönliche Kon-      benennen, deren bedeutsame und auch zahlen-
takt. Ich habe mich bei jedem meiner 2 857 Ter-      mäßig besonders wichtige ehrenamtliche Arbeit
mine bis zum 30.06.2015 gefreut, dass ich als Re-    nach meiner Wahrnehmung nach wie vor nicht
präsentant der Stadt insgesamt mehr als 100 000      hinreichend genug gewürdigt wird. Dies betrifft
interessierten Menschen begegnet bin und die         vor allem die Kirchen, die große zweistellige Mil-
Gelegenheit zu unzähligen Gesprächen wahrneh-        lionenbeträge in den Unterhalt von Kinderta-
men konnte.                                          gesstätten, Schulen, sozialen Einrichtungen und
Der neu eingeführte städtische online-newsletter     Krankenhäusern einbringen. Ohne diese Ange-

12
bote und vor allem, ohne die auch dort in riesi-
gem Umfang geleistete ehrenamtliche Arbeit,
könnten wir unsere Standards nicht halten. Wir
nehmen das kirchliche Engagement als zu selbst-
verständlich an; es verdient mehr Dank und Aner-
kennung als unsere Gesellschaft laut ausspricht.
Dies betrifft auch den Sport und seine rund
80 000 Vereinsmitglieder; die ehrenamtliche Ar-
beit in diesen Vereinen mit hunderttausenden
von Stunden ist besonders für die Persönlich-
keitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen
von unschätzbarem Wert für unsere Stadt. Hier
sollten wir alle miteinander besonders laut „Dan-
ke“ sagen. Und es betrifft einen dritten Bereich,
den Karneval, der 2015 offiziell als immaterielles
Kulturerbe anerkannt wurde. Die vielen hundert
Vereine in Bonn erbringen mit ihrem starken eh-
renamtlichen Engagement eine großartige Integ­-
rationsleistung und tragen mit vielen freudvollen
Veranstaltungen zur Steigerung unseres „Brutto-
inlandsglücks“ bei.

Aktuell zeigt sich bei der Betreuung von rund
3 000 Flüchtlingen in unserer Stadt wieder ein-
mal, dass wir tatsächlich füreinander da sind,
wenn es Not tut.

                                                     13
Dramatisierungen dieser Art beruhen auf Un-
                                                          kenntnis der tatsächlichen Situation.

                                                          Die Detecon-Tochter musste 2011 von Bonn nach
                                                          Köln umziehen, weil die Telekom diese Flächen
                                                          für sich selbst brauchte, denn sie erhöhte in mei-
                                                          ner Amtszeit die Zahl der Arbeitsplätze in Bonn
                                                          von 14 208 im Jahr 2010 auf 16 204 Beschäftig-
                                                          te im Jahr 2015; in Köln hingegen besaß sie im
                                                          Jahr 2011 leer stehende Immobilien. Unter dem

2.
                                                          Strich verlor Bonn also keinen einzigen Arbeits-
                                                          platz, sondern gewann viele hinzu.

                                                          Als die Haribo-Führung mir 2012 erstmals ihre
                                                          Expansionspläne vorstellte und einen Flächenbe-
Bonn ist noch stärker                                     darf von 27 Hektar (38 Fußballfelder) anmeldete,
                                                          prüften wir in einer eigens gegründeten ämterü-
geworden – die wirtschaft-                                bergreifenden „Projektgruppe Haribo“ alles, was
liche Entwicklung                                         auch nur irgendwie möglich schien, auch unter
                                                          Einbeziehung von Flächen der Nachbargemein-
                                                          den. Wir erwogen sogar, um das Gelände des
„Et bliev nix wie et wor.“                                „Wissenschaftsparks“ in Pützchen herum, rechts
                                                          und links der Autobahn, weitere Flächen zu er-
			                   [„Sei offen für Neuerungen!“,
			                    Art. 5, Rheinisches Grundgesetz]   schließen, eine Autobahnüberbauung (!) zuzulas-
                                                          sen, kamen aber nicht auf die geforderte Größe.
                                                          Am Ende war klar, dass es überhaupt nur zwei
Seit 2009 ist die Zahl der Arbeitsplätze in Bonn          Flächen in der Großregion gab, die den Anforde-
in jedem Jahr im Durchschnitt um rund 2 600 an-           rungen entsprachen: in Euskirchen und in Graf-
gestiegen; zeitweise war Bonn die einzige Stadt           schaft. Grafschaft machte das Rennen.
in Nordrhein-Westfalen mit einem Wirtschafts-             Die Zurich-Versicherung entschied sich am Ende
wachstum. Wirtschaftsfachleute in der Wissen-             einer intensiven Beratung, Begleitung und Unter-
schaft preisen dies ein und so kletterte Bonn im          stützung durch die Wirtschaftsförderung zur Zu-
Städteranking des Hamburger Weltwirtschafts­              sammenführung der beiden Standorte in Bonn
instituts (HWWI) von Platz 9 in 2008 auf jetzt            und Köln für Köln, wo sie 2017 in der Nähe von
Platz 3 in Deutschland.                                   Messe, ICE-Bahnhof und Autobahnan-schluss ein
                                                          Gebäude anmieten wird. Wir hatten bei der Wer-
In den Zuwachs von rund 15 000 Arbeitsplätzen             bung für Bonn mit einem Investor in einer Anima-
in sechs Jahren waren gelegentlich auch Verluste          tion unter anderem ein tolles neues Gebäude auf
einzurechnen. Drei größere Unternehmen erklär-            dem Gelände des frei werdenden Bonn-Centers
ten, ihren Standort zu verlagern und ganz oder            präsentiert; ein großes „Z“ stand auf dem Dach
teilweise aus Bonn wegzuziehen, wie die Detecon,          in Sichtweite zu den Zeichen der UN, der Deut-
die Zurich-Versicherung und Haribo. Die Bevor-            schen Post DHL und der Telekom und mit dem
zugung von Negativ-Meldungen führte an diesen             Rhein und dem Siebengebirge im Hintergrund –
Stellen zu Aussagen wie: „Bankrotterklärung für           wir boten also einen Ort für eine neue Landmar-
die Bonner Wirtschaftsförderung“, „Ekla­tantes            ke unter Global Playern. Wenige Monate später
Versagen der Stadtspitze“, „Wirtschaft fordert            kündigte der zweitgrößte Erstversicherer „Ge-
ein eigenes Dezernat“, „Investoren und ansässige          nerali“ an, seine Konzernzentrale von Köln nach
Unternehmen müssen die Wirtschaftsförderung               München zu verlegen. Unternehmen entscheiden
stärker als Lotse wahrnehmen können“, „Bei der            eben nach Abwägung vieler Kriterien, auf die eine
Bonner Wirtschaftsförderung fehlt eine Schnitt-           einzelne Wirtschaftsförderung, selbst im Zusam-
stelle, die die verschiedenen Fachämter zusam-            menwirken mit dem Wirtschaftsministerium des
menbringt und koordiniert“.                               Landes, oft keinen Einfluss hat.

14
Ich will vor dem Hintergrund der oft auf Unkennt-    Beispiel schon wissen, dass wir uns zur Durch-
nis beruhenden Kritik an der Wirtschaftsförde-       setzung unternehmerischer Bauvorhaben auch
rung die Gelegenheit wahrnehmen und schildern,       schon mal mit der Kommunalaufsicht zum Woh-
wie das Amt für Wirtschaftsförderung arbeitet.       le unserer Stadt heftig auseinandersetzen oder
                                                     dass wir, um die Zufahrt zu einem Unternehmen
2007 landete Bonn in einer Studie der „Wirt-         zu erleichtern, schon einmal Verkehrswege än-
schaftswoche“ bei 50 untersuchten deutschen          dern? Als die IHK-Vertreter erkannten, dass wir
Städten in der Wirtschaftsfreundlichkeit nur         an tausend Stellen helfen konnten – und dafür
auf Platz 43. Aus dieser Zeit stammt auch eine       mit Neuansiedlung oder Standorterweiterung be-
Studie an der Hochschule Bonn/Rhein-Sieg,            lohnt wurden – bot uns die IHK an, „Praxisbei-
die im Auftrag der Industrie- und Handelskam-        spiele“ dieser Art regelmäßig in ihrer Zeitschrift
mer die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft           zu veröffentlichen. Wir haben dieses Angebot
und Verwaltung untersucht hatte. Die befrag-         gerne angenommen und werden zukünftig nicht
ten Unternehmen benannten im Abschnitt „Ver-         nur Gutes tun, sondern auch mehr darüber reden.
besserungspotenzial“ drei Sofortmaßnahmen:
Beschleunigung der Genehmigungsverfahren,            Dazu gehört auch, mit Stolz auf die Auszeichnun-
Einführung der Lotsenfunktion und Arbeit als         gen zu verweisen, die wir für unsere Arbeit im Be-
One-Stop-Agency (einheitlicher Ansprechpart-         reich der Wirtschaftsförderung erhalten haben:
ner). Die Stadtverwaltung war gefordert.             Die Geo-Informationsinitative der Region Bonn
                                                     wurde 2015 mit dem weltweiten Preis „Geospa­
2008 begann der Umbau der Bonner Wirtschafts-        tial Business Hub of the Year“ ausgezeichnet und
förderung. Zielsetzung war es, unternehme­           2014 wurde unser „Bündnis für Fachkräfte“ für
rische Anliegen noch intensiver zu koordinieren      seine Arbeit im Bereich der Nachwuchskräfte-
und zu begleiten. Das Team des Service Cen-          sicherung mit dem Preis „Innovatives Netzwerk
ter übernimmt seither, wenn vom Unternehmen          2014“ des Bundesministeriums für Arbeit und So-
gewünscht, die Funktion als erste Anlaufstelle       ziales ausgezeichnet.
für alle Fragen bezüglich Existenzgründung, Be-
standsqualifizierung, Neuansiedlung oder Arron-      Als oberster Wirtschaftsförderer war ich in vielen
dierung innerhalb der Stadt Bonn. Die Bilanz des     persönlichen Kontakten erster Ansprechpartner
Service Centers Wirtschaft als Partner in unter-     für die Chefetage der Unternehmen und führte
nehmerischen Fragestellungen seit 2009 weist         dazu unter anderem 75 offizielle Unternehmens-
aus, dass die vielfältigen Angebote angenommen       besuche durch. Innerhalb der Verwaltung brach-
werden und zu Ansiedlungen oder Erweiterungen        te dies die Aufgabe mit sich, mitunter auch un-
führen. Bei den Ansiedlungs- und Investitionsvor-    terschiedliche Sichtweisen zu vereinen und im
haben stieg die Zahl der Beratungen zwischen         rechtlich zulässigen Rahmen Abwägungsent-
2010 und 2014 um rund 70 Prozent auf 191 im          scheidungen zu treffen, bei denen zum Beispiel
letzten Jahr und auch bei den Bestandsunterneh-      Aspekte der Wirtschaftsförderung, des Planungs-
men war im gleichen Zeitraum eine leichte Stei-      rechts, Verkehrsfragen oder Umweltbelange zu-
gerungsrate um rund 10 Prozent zu verzeichnen.       sammenzuführen waren.

Es war nicht mehr viel nachzusteuern, als ich        Mit dafür zu sorgen, dass 2009 neue sozialver-
2009 ins Amt kam. Bonn hat heute die Art von         sicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden,
moderner Wirtschaftsförderung, wie sie gerne         war angesichts einer nachwirkenden Weltwirt-
gefordert wird. Als ich bemerkte, dass wir es also   schafts- und Finanzkrise nicht einfach und be-
vor allem mit einem Kommunikationsproblem zu         deutete eine besondere Herausforderung. Wir
tun hatten, habe ich mich 2014 mit der Leiterin      hatten im Rahmen unserer Einflussmöglichkei-
 des Amtes für Wirtschaftsförderung und der          ten die Aufgabe, alles zu tun, was die Attraktivi-
Chefetage der IHK zusammengesetzt und wir ha-        tät unseres Standortes erhält, ja vielleicht sogar
ben die vielen Mosaiksteine erfolgreicher Arbeit     steigern konnte. Wir mussten zeigen, dass wir
zusammengetragen, die sich von außen gar nicht       trotz aller Turbulenzen um uns herum, unsere Fi­
erkennen lassen, über die man aber offenbar          nanzen „im Griff“ hatten, selbst an der richtigen
auch von Zeit zu Zeit reden muss. Wer kann zum       Stelle investieren und die hervorragende Poten-

                                                                                                    15
ziale in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft,    nehmen und eine gegenüber 2009 (194) stark
Internationales, Bundesstadt und Kultur, die sich   rückläufige Zahl von Insolvenzen in 2014 (142)
gegenseitig ergänzen, auch als Wettbewerbsfak-      weist auf ein gesundes Wirtschaftsklima hin. Bei
tor einsetzen.                                      den freiberuflichen Gründungen war Bonn im
                                                    Städtewettbewerb mit rund 1 000 Gründungen
Erste Erfolge sahen wir bereits im Juni 2011.       im Jahr 2014 (48,6 Gründungen je 10 000 Ein-
IT.NRW bescheinigte uns, dass wir als einzige Stadt wohner) bundesweit führend. Hier war es außer-
in Nordrhein-Westfalen positiv aus der allgemei-    ordentlich hilfreich, dass wir 2011 unser eigenes
nen Wirtschaftskrise herausgekommen waren.          Gründungszentrum für wissensbasierte Dienst-
Während allerorten das Bruttoinlandsprodukt         leistungen gegründet haben, das schon zu Be-
um 4,4 Prozent gesunken war, war es in Bonn um      ginn fast alle Einheiten vermieten konnte.
0,8 Prozent gestiegen. Zur eingangs zitierten
„Larmoyanz“ bestand schon damals überhaupt Man vertraut wieder darauf, dass man in unserer
kein Anlass.                                        wachsenden Stadt investieren kann und Immo-
                                                    bilien hier auch langfristig eine gute Geldanlage
2013 landeten wir beim Prognos-Zukunftsatlas, sind. Viele Investoren, Geldanleger, z.B. Versor-
der nicht nur die Wirtschaftskraft, sondern die gungskassen, kaufen oder bauen Häuser in Bonn.
„Zukunftsaussichten“ der Stadt in allen Berei- Das kann nicht verwundern bei einem Leerstand
chen bewertet, auf Platz 1 in Nordrhein-Westfa- von nur 3,5 Prozent bei den Büroimmobilien und
len. Bundesweit konnten wir uns gegenüber 2007 Spitzenmieten von 16,50 Euro pro m2. Von 707
(Platz 44) deutlich verbessern (Platz 24).          Mio. Umsatz und 3 404 Immobilien, die im Jahr
                                                    2010 in Bonn den Besitzer wechselten stieg der
2014 erzielten wir Ende Juni mit insgesamt Umsatz im Jahr 2014 auf 1,15 Mrd. Euro. Bei Ei-
163 663 sozialversicherungspflichtig Beschäftig- gentumswohnungen wurde im Durchschnitt ein
ten einen neuen Höchststand; pro Jahr waren Preis von 3 325 Euro pro qm erzielt (+ 9 Prozent).
2 600 neue Arbeitsplätze entstanden. Ich freue Nach einer Prognos-Studie vom Juli 2015, in der
mich besonders darüber, dass der Anstieg der die 402 deutschen Städte und Kreis untersucht
Arbeitsplätze sich auch auf den produzierenden wurden, können Immobilienbesitzer in Bonn bis
Bereich bezieht. Auch hier investierten die Global 2030 mit einer hohen Wertsteigerung ihrer Lie-
Player kontinuierlich in Bonn, wie zum Beispiel genschaften rechnen. Dies bestätigte eine Stu-
SGL Carbon 2011, was wir mit einem gemeinsa- die der Postbank im September 2015, nach der
men Spatenstich für die größte Carbonpresse Immobilien in Bonn die besten Aussichten auf
der Welt zur Herstellung von isostatischem Gra- Wertsteigerungen in ganz Nordrhein-Westfalen
phit mit einem Investitionsvolumen von 75 Mio. verzeichnen und Bonn Platz 1 unter den „Immo-
Euro öffentlich machten. Auch andere Unterneh- bilien Top Ten“ belegt. Bei meiner Teilnahme an
men des produzierenden Gewerbes investieren den jährlichen Immobilienmessen in München
und werden in Bonn weiter expandieren, wie z.B. und Cannes, fasste ich unsere Botschaft meist
GKN Sinter Metals oder Fahrzeugbau Miesen, ein plakativ zusammen: Kommen Sie nach Bonn;
Unternehmen, das wir in meiner Amtszeit wieder wir machen aus Beton Gold!
nach Bonn zurückgeholt haben. Auch hier gilt,
dass die Entscheidungen einzelner Unterneh- Unser eigentliches Kapital aber sind die über-
men, die Zahl der Beschäftigten in den kommen- durchschnittlich vielen gut ausgebildeten Men-
den Jahren zu reduzieren, wie dies offenbar bei schen. Sie erarbeiten ein Bruttoinlandsprodukt
SGL Carbon und Step-G der Fall sein wird, nicht pro Kopf von 83 394 Euro, das ist der höchs-
gleich als „Hiobsbotschaft für den Industries- te Wert in Nordrhein-Westfalen und sie haben
tandort Bonn“ bezeichnet werden sollten, son- nach Angaben des Statistischen Bundesamtes
dern als das was es ist: die Entscheidung eines und von Krankenkassen auch noch eine geringe-
einzelnen Unternehmens zu seinem eigenen Pro- re Krankenquote als dies in anderen Städten ver-
fit, nicht aber eine Trendwende des gesamten Ar- zeichnet wird. Da für 25,3 Prozent der Arbeits-
beitsmarktes.                                       plätze in Bonn ein Hochschulabschluss erwartet
                                                    wird – das ist doppelt so viel wie anderswo - ist
Ein Gewerbesaldo von zuletzt 268 neuen Unter- es gut, dass fast ein Drittel unserer Einwohner

16
Sie können auch lesen