VERBRANNTE BÜCHER - VERFEMTE KOMPONISTEN - IRIS BERBEN LIEST MUSIKALISCH BEGLEITET
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Verbrannte Bücher – Verfemte Komponisten U2 Anzeige carpe artem Iris Berben · Lesung „Das war ein Vorspiel nur, dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen“ Heinrich Heine Idee und Konzept Christian Reinisch – carpe artem GmbH Dramaturgie und Buch Gitta Jäger (Bayerischer Rundfunk, München) Eingesprochene Textpassagen Axel Wostry Musik Südwestdeutsches Kammerorchester Pforzheim/ Musikalische Leitung Achim Fiedler Eine Produktion der carpe artem GmbH · München Produktionen von CARPE ARTEM München www.carpeartem.de Christian Reinisch · Fon 089 330 356 68-0 • Dytha Mund · Fon 089 330 356 68-13 · dytha@carpeartem.de 3
Programm XXXXXXXXXXXXXXXXXX Programm Karl Amadeus Hartmann 1905–1963 Kurt Tucholsky 1890–1935 Concerto funebre für Violine und Streichorchester · „Hitler und Goethe – ein Schulaufsatz“ Introduktion. Largo (Solo: Sonja Starke) Max Bruch 1838–1920 Karl Kraus 1874–1936 Kol Nidrei op. 47 für Violoncello und Streichorchester „Die letzten Tage der Menschheit“ (Solo: Andrea Hanke) Vorwort Kurt Tucholsky Karl Amadeus Hartmann „Eine Frage“ Concerto funebre für Violine und Streichorchester · Adagio Karl Amadeus Hartmann Bertolt Brecht 1898–1956 Concerto funebre für Violine und Streichorchester · „Der Soldat von La Ciotat“ Allegro di molto – Choral Paul Ben-Haim 1897–1984 Hermann Kesten 1900–1996 Sephardische Melodie aus „Lieder ohne Worte“ für Klarinette und „Josef sucht die Freiheit“ · Ausschnitt Streicher (Solo: Andrea Steinberg) Ernst Krenek 1900–1991 Stefan Zweig 1881–1942 Suite für Klarinette und Streichorchester op. 148a · „Geschichte in der Dämmerung“ aus „Die Mondscheingasse – Erzählungen“ Andante sostenuto – Allegro Erwin Schulhoff 1894–1942 Joseph Roth 1894–1939 Alla valse viennese (Molto allegro) aus „Fünf Stücke für Streichquartett“ „Hiob“ · Letztes Kapitel Irmgard Keun 1905–1982 Ernst Krenek „Das kunstseidene Mädchen“ · Beginn Suite für Klarinette und Streichorchester op. 148a · Andante – Vivace Erwin Schulhoff Joseph Roth Alla Serenata (Allegro con moto) aus „Fünf Stücke für Streichquartett“ „Hiob“ · Letztes Kapitel (Fortsetzung) 4 5
Verbrannte Bücher – Verfemte Musik Verbrannte Bücher – Verfemte Musik 1933 kamen die Nationalsozialisten in Deutschland an die Gesinnung und bzw. oder ihre jüdische Herkunft. Am 9. Juni Macht. Bereits im Mai und Juni dieses Jahres wurden in vielen 1941 veröffentlichte das Reichssicherheitshauptamt unter der deutschen Städten in einer übergreifend geplanten studen- Führung Heinrich Himmlers einen Erlass, nach dem „Druckschrif- tischen „Aktion wider den undeutschen Geist“ öffentlich und ten, die nicht in die Liste des schädlichen und unerwünschten demonstrativ Bücherverbrennungen durchgeführt. Die Autoren Schrifttums eingereicht worden sind“, verboten wurden. Betrof- Gegen Klassen standen bereits im März 1933 auf einer im Auftrag des Propa- fen waren hiervon weitere 300 Titel religiösen, philosophischen kampf und gandaministeriums erstellten „Schwarzen Liste“. Sie war die oder metaphysischen Gedankenguts. Materialismus, in den Folgejahren noch erweiterte Grundlage für die Feme, die für Volks Bücher mit der Plünderung von Buchhandlungen und Bibliotheken, bald Mit „Verbrannte Bücher – Verfemte Komponisten“ setzt Iris gemeinschaft verbrennung 1933 auch privater Sammlungen, begann und mit Exil und Tod vieler Berben ihr Engagement wider das Vergessen und für den Dialog und idealistische zeitgenössischer fort: Die positive Resonanz auf die Produktionen „Das Tagebuch Lebnshaltung Literaten, der Anne Frank – Tagebücher von Joseph Goebbels“ (2002) und (Feuerspruch) Komponisten „Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier – Zeugnisse von und Künstler en- Holocaust-Opfern“ (2004) ist noch nicht vergessen. Für beide dete. Doch auch Projekte wurde Iris Berben mit Ehrungen bedacht. posthum wurden viele große Au- Die hier ausgewählten Texte spiegeln nur in den seltensten Fäl- toren, Musiker len den ernsten Hintergrund wider, wurden sie doch nicht we- und Maler, die gen ihres direkten Bezugs zur politischen Situation vernichtet, das Bild eines sondern generell wegen ihres „undeutschen Geistes“, dessen „Volkes der genaue Kriterien im Dunkeln blieben. In jedem Falle wurden – Dichter und Den- außer den ausnahmslos jüdischen Texten – alle Schriften darun- ker“ mitgeprägt ter subsumiert, die weit entfernt von Idealisierung, Glorifizierung hatten, zum Tod und Illusionierung standen, sondern die Szenen menschlichen des Vergessens Lebens schildern, sei es in frappant drastischer oder ironischer, verurteilt. wenn nicht gar sarkastischer und auch melancholischer Form. So bietet sich für uns ein breites Spektrum an Schriften und Und die Verfolgung wurde perfektioniert: Das Reichsministerium Themen, die sich der Maßgabe entzogen, Volk verherrlichende für Volksaufklärung und Propaganda gab ab 1935 in regelmä- und Wunschbilder erzeugende Kunst zu schaffen, und stattdes- ßigen Abständen eine Liste „schädlichen und unerwünschten sen ganz nah am Leben bleiben – auch für den Leser von heute. Schrifttums“ heraus: Sie umfasste am Ende 12.400 Titel und das Gesamtwerk von 149 Autoren. Ihr „Vergehen“ war ihre Im Zuge der „Gleichschaltungsmaßnahmen“ schlug dann humanistisch-pazifistische, demokratische oder sozialistische ebenso für die Musik und deren Komponisten die „Stunde der 6 7
Verbrannte Bücher – Verfemte Musik „Der Soldat von La Ciotat“ „Der Soldat von La Ciotat“ von Bertolt Brecht Wahrheit“. Sie wurden in mancher Hinsicht sogar noch mehr Nach dem ersten Weltkrieg sahen wir in der kleinen südfranzö- instrumentalisiert als das geschriebene Wort. „Die Sprache sischen Hafenstadt La Ciotat auf einem öffentlichen Platz das der Töne ist manchmal durchschlagender als die Sprache der bronzene Standbild eines Soldaten der französischen Armee, Worte“ heißt es unter Punkt 9 der „Zehn Grundsätze deutschen um das sich die Menge sich drängte. Wir traten näher hinzu und Musikschaffens“. Die deutsche Musik sollte die von Deutsch- entdeckten, dass es ein lebender Mensch war, der da unbeweg- land beanspruchte Vormachtstellung in der Welt kulturell lich in erdbraunem Mantel, den Stahlhelm auf dem Kopf, ein legitimieren. Und noch heute haftet vielen damals zu Propagan- Bajonett im Arm, in der heißen Junisonne auf einem Steinsockel dazwecken eingesetzten und gedeuteten Werken der Schatten stand. Sein Gesicht und seine Hände waren mit einer Bronzefar- der NS- Zeit an. Alle „rationale“, „unemotionale“ und jede Form be angestrichen. Er bewegte keine Muskel, nicht einmal seine moderner, zeitgenössischer Musik galt als „zersetzend“ und Wimpern zuckten. Zu seinen Füßen an dem Sockel lehnte ein Vernichtung „unerwünscht“ und fiel in die Kategorie der „entarteten Kunst“ Stück Pappe, auf dem folgender Text zu lesen war: des „Entarteten“ – der „verfemten“ Musik. „Der Statuenmensch Ich, Charles Louis Franchard, Soldat im Xten Regiment erwarb als Folge einer Verschüttung vor Verdun die ungewöhnliche Fähigkeit, vollkom- men unbeweglich zu verharren und mich beliebige Zeit lang wie eine Statue zu verhalten. Diese meine Kunst wurde von vielen Professoren geprüft und als eine unerklärliche Krankheit bezeichnet. Spenden Sie bitte einem Familienvater ohne Stellung eine kleine Gabe!“ Wir warfen eine Münze in den Teller, der neben dieser Tafel stand und gingen kopfschüttelnd weiter. Hier also, dachten wir, steht er, bis an die Zähne bewaffnet, der unverwüstliche Soldat vieler Jahrtausende, er mit dem Geschichte gemacht wurde, er der alle diese großen Taten der Alexander, Cäsar, Napoleon ermöglichte, von denen wir in den Schulbüchern lesen. Das ist er. Er zuckt nicht mit der Wimper. Er besitzt die eben doch nicht so ungewöhnliche Fähigkeit, sich nichts anmerken zu lassen, wenn alle erdenklichen Werk- zeuge der Vernichtung an ihm ausprobiert werden. Wie ein Stein, fühllos, sagt er, verharre er, wenn man ihn in den Tod 8 9
„Der Soldat von La Ciotat“ Ein Gespräch mit Iris Berben schicke. Durchlöchert von Lanzen der verschiedensten Zeitalter, angefahren von Streitwagen, zertrampelt von den Elefanten des Erinnerung und Mahnung zugleich Hannibal und den Reitergeschwadern des Attila, zerschmettert von Geschützen mehrerer Jahrhunderte, zerrissen von Gewehr- Frau Berben, immer wieder setzen Sie sich in Vorträgen und kugeln, steht er, unverwüstlich, immer von neuem, kommandiert Lesungen mit der Geschichte des Dritten Reichs auseinander. in vielerlei Sprachen, aber immer unwissend warum und wofür. Ein Lebensthema? Die Ländereien, die er eroberte, nahm er nicht in Besitz, so wie der Maurer nicht das Haus bewohnt, das er gebaut hat. Noch Iris Berben: Als ich vor 30 Jahren zum ersten Mal nach Israel gehörte ihm etwa das Land, das er verteidigte. Nicht einmal kam – die Fernsehbilder des Sechs-Tage-Kriegs im Kopf – war seine Waffe oder seine Montur gehörte ihm. Aber er steht, über das einer der ganz entscheidenden Momente in meinem Leben. sich den Todesregen der Flugzeuge und das brennende Pech Ich besuchte damals noch das Internat in St.-Peter-Ording, und der Stadtmauern, unter sich Mine und Fallgrube, um sich Pest es war für mich eine Konfrontation mit einem Land und einer 1933 verbrannt und Gelbkreuzgas, fleischerner Köcher für Wurfspieß und Pfeil, Geschichte, von der ich so gar nichts wusste, die auch in meiner und verboten: Zielpunkt, Tankmatsch, Gaskocher, vor sich den Feind und hinter Schulzeit sehr ausgespart wurde. Damals nach dem Sechs- Bertolt Brecht sich den General! Tage-Krieg herrschte eine ungeheure Euphorie diesem Land gegenüber, weltweit gab es Zuspruch. Man spürte, dass es sich Unzählig Hände, die ihm das Wams lohnen würde, dort etwas aufzubauen, dass dort eine Geschich- webten, den Harnisch klopften, die S tiefel te vonstatten ging, an der man beteiligt sein sollte. Mit meinem schnitten! Unzählbare Taschen, die sich ersten Besuch in Israel stellten sich mit plötzlich unendlich viele durch ihn füllten! Unermessliches Geschrei unbeantwortete Fragen. Eigentlich sollte ich nur drei Wochen in allen Sprachen der Welt, das ihn an- bleiben, aus denen dann drei Monate wurden, ich wollte das feuerte! Kein Gott, der ihn nicht segnete! Land gar nicht mehr verlassen, das so unterschiedliche Eindrücke Ihn, der behaftet ist mit dem entsetzlichen in mir hinterlassen hatte. Da waren zunächst einmal meine ganz Aussatz der Geduld, ausgehöhlt von der großen Bedenken und meine Zurückhaltung, die Frage, wie man unheilbaren Krankheit der Unempfindlich- als Deutsche dort auftreten würde, wie wird man sich verhalten, keit! wie wird man aufgenommen? Daneben war die Faszination dieses im Aufbau befindlichen Landes ungeheuerlich. Ich war Was für eine Verschüttung, dachten wir, ist sehr jung und somit sehr empfänglich für alles Neue, eine das, der er diese Krankheit verdankt, diese neue Sprache, eine andere Sicht auf die Dinge. Heute leben 96 furchtbare, ungeheuerliche, so überaus Nationen in Israel, aber schon damals faszinierte mich die Mi- ansteckende Krankheit? schung all dieser unterschiedlichen Menschen. Plötzlich konnte Sollte sie, fragten wir uns, nicht doch ich mich dort in diesem Land und mit diesen Menschen meiner heilbar sein? Geschichte stellen. Wir haben in Israel Gespräche geführt 10 11
Ein Gespräch mit Iris Berben Ein Gespräch mit Iris Berben über die eigene Geschichte, die eigene Verantwortung dieser als Schauspielerin oder öffentlicher Mensch. Ich war fast ein Geschichte, die Herkunft. Paradox! Ich musste – quasi immer Jahr mit der Lesung „Mama, was ist Auschwitz“ unterwegs. noch aus dem Land der „Täter“ – in das Land der Opfer gehen, Es ist heute wichtiger denn je, Farbe zu bekennen, denn das um zum ersten Mal über diese Dinge sprechen zu können, in Problem des Rechtsradikalismus ist ein sehr tiefgreifendes, einen Dialog zu treten. Diese Eindrücke haben sich in mir festge- das alle Gesellschaftsschichten berührt. Für mich ist es einfach „So ist in mir saugt, mich nicht mehr losgelassen und mich in meiner Ansicht unbegreiflich, dass man fast sieben Jahrzehnte nach Kriegsende eine Verantwor- bestärkt, dass hier noch lange nichts in Ordnung ist. So ist in mir seine Geschichte am liebsten verabschieden möchte, dass man tung gewachsen, eine Verantwortung gewachsen, die ich ganz normal finde. Viel- keinen Bezug mehr zu den Dingen hat, die auch schmerzhaft die ich ganz leicht hat das auch mit meiner Erziehung zu tun, mit Offenheit, waren. Das ist so ein kurzer Zeitraum, und wenn mir die Leute normal finde“ mit Reden und Hinterfragen, dass ich mich immer mehr diesem heute sagen, sie haben keinen Bezug mehr dazu, dann muss Iris Berben Thema stellte, Erfahrungen suchte, die Verantwortung spürte. man ihnen eine Hilfestellung geben. Wir sind ein wohlhabendes Im Gegensatz zu den meisten Menschen habe ich auch immer und aufgeklärtes Land, das alle Möglichkeiten und Chancen noch ein Schuldgefühl. Ich bin nicht frei davon, obwohl ich 1950 hat. Also ist es doch nur ein Teil unserer gesellschaftlichen geboren bin. Das hat damit nichts zu tun. Aufklärung – nicht, sich schuldig zu fühlen, sondern einfach um die Dinge zu wissen. Das Leben ist nicht immer nur Vorteil oder Amüsement, sondern auch Arbeit, Aufarbeiten, Sich-Einbringen. Erfahrung und Wissen wurden also zu den wesentlichen Ich denke, dieses Thema ist ein Teil unserer Tagesordnung, ein Grundlagen dessen, was Sie heute machen. Teil unseres Lebens und unserer Kultur. Iris Berben: Ja, die ersten Lesungen, die meinerseits damals noch sehr „leise“ waren, habe ich schon vor fast 30 Jahren „Unsere Kultur“, das war ja immer auch ein Teil jüdische Kul- gemacht. Ich hatte immer eine gewisse Scheu davor, dieses tur, was in manchen Bereichen fast vergessen scheint. Sicher Thema mit meinem Beruf zu verbinden, der soviel mit äußer- ist das ein Teil der Thematik, die Sie in Ihrer aktuellen Lesung lichen Dingen zu tun hat. Ich hatte Angst, dass man mir etwas „Verbrannte Bücher – Verfemte Komponisten“ aufgreifen. nehmen könnte, indem man das öffentlich macht, dass man es als einen Trend oder eine Attitüde interpretiert. Aber ich wollte Iris Berben: Absolut. Man muss sich bewusst machen, welche Schritt für Schritt einen Weg finden zur Normalität – obwohl ich Aktualität diese Texte auch heute – 78 Jahre nach der Bücher- das Wort nicht mag. Normalität heißt abgehakt. Nein, ich wollte verbrennung – noch haben. Geht es nur um das Erinnern, oder die Tabuisierung vermindern, wollte, dass man in Deutschland hat das Thema nicht auch sehr viel mit unserer Zeit zu tun? Es offen und öffentlich über das Thema Judentum spricht. Somit wurden ja nicht nur jüdische Dichter verbrannt, sondern auch hatte ich mich entschlossen, meine Popularität pragmatisch Künstler geächtet, die diesen „undeutschen Geist“ verbreitet zu nutzen, auch wenn das Anliegen ein sehr privates ist, haben. Eine schreckliche Formulierung, die uns heute aber auch vielleicht mein privatestes als Bürger dieses Landes, nicht nicht ganz fremd ist. 12 13
Ein Gespräch mit Iris Berben Ein Gespräch mit Iris Berben Was ist für Sie deutsch? Wenn man die Auswahl der Texte betrachtet, fällt auf, dass diese sich nicht immer unmittelbar mit der Thematik des Iris Berben: Bei dieser Frage muss ich von meinem Jahrgang Dritten Reichs auseinandersetzen. Vielmehr scheint eine be- und meinem gelebten Leben ausgehen. Natürlich ist deutsch für stimmte Stimmung die literarischen Szenen auszuzeichnen … mich meine Geschichte. Das Dritte Reich ist Deutschland, aber Deutschland ist auch eine Nation, die wunderbare kulturelle Iris Berben: Die Textauswahl enthält viele Facetten: zum Werte geschaffen hat. Deutsch ist für mich aber auch, gar keine Beispiel einen Mann wie Bert Brecht, der seit Beginn der Leichtigkeit zu haben. Das hat nichts mit Spaßgesellschaft zu Dreißiger Jahre auf der schwarzen Liste der Nazis stand und tun, sondern mit Lebens- ihnen immer ein Dorn im Auge war. Am Anfang der Lesung leichtigkeit. In Deutschland steht Karl Kraus. Seine Bücher wurden nicht verbrannt, er war hat alles etwas Schwe- „nur“ unerwünscht. Aber dieser Einstieg, der sich gar nicht auf res, etwas so katholisch die Thematik des Dritten Reichs, sondern auf das Scheitern des Gebücktes. Ersten Weltkriegs bezieht, scheint mir kraftvoll und weitsichtig. Der Abend soll auf ganz unterschiedliche Weise auch eine sarkastische und komische Komponente haben. Wenn man sich Leichtigkeit als Flexibilität? in diese Thematik einarbeitet, wird einem erst bewusst, als wie groß die Nazis diese Gefahren eingeschätzt haben, diese Iris Berben: Ja, vielleicht ist Bücher, ihre Ideale, die Menschen, den eigenen Alltag … Bei es das. Flexibilität, Lust auf Tucholsky, ein Pazifist, der für die Nazis einfach unbequem war, Risiko, oder Unbekanntes, dominieren seine sarkastische Ader, das Schräge, seine Komik. Unabgesichertes … Bei Irmgard Keun liegt die Kraft in der Sprache der Zwanziger Jahre, dann Stefan Zweig mit einem erotischen Text. Das alles … das Risiko, sich auf Geschichte einzulassen … waren Begriffe, vor denen das NS-Regime Angst hatte: der Erotik willen, des Gefühls wegen, das passte nicht in ihr Bild. Iris Berben: … und sich selbst auszuhalten. Risiko beinhaltet Uns war wichtig, all diese unterschiedlichen Ebenen zu zeigen, auch Veränderungen, aber wichtig ist, das Rückgrat zu haben … die man als Bedrohung empfunden hat: Erotik, Sozialkritik, Zynismus und Sarkasmus. Es waren nicht nur politische Texte, die damals vernichtet wurden, das versuche ich in der Auswahl für diese Lesung Ich denke auch, dass man im Grunde erst jetzt anfängt, wirklich widerzuspiegeln. Nehmen Sie beispielsweise den Text von aufzuarbeiten. Aufarbeitung ist immer ein Prozess, und wir Irmgard Keun, in dem sie sich mit dem Slang und der Sprache versuchen, Akzente zu setzen. Ich trage immer die Vorstellung der Zwanziger Jahre gegen jede bürgerliche Moral stellt. Und in mir, dass das ganze eine große Wunde war, die ausheilen damit den Idealen der Nazis widersprach. musste. Dann hat sich eine Kruste gebildet, und diese scheint 14 15
Ein Gespräch mit Iris Berben Ein Gespräch mit Iris Berben sich jetzt ein bisschen zu lösen. Über die Wundheilung entsteht Ein wesentlicher Aspekt, der meiner Meinung nach auch zu auch eine gewisse Distanz, die dazu führt, vieles besser benen- dieser Thematik gehört, ist sicher so etwas wie das „Leiden nen zu können und in die heutige Zeit hineinzutransportieren. Es der Kunst“ an ihrer Geschichte. Auf der einen Seite die braucht einfach mehrere Generationen, weil jede nachfolgende Vergessenheit, auf der anderen Seite der Missbrauch, der ja Generation sich einen anderen Zugang erschließt. Die Kruste auch in der Musik manche Komponisten bis heute belastet. löst sich, und dadurch gewinnt man Möglichkeiten, auf ganz Muss neben der Befreiung aus der Vergessenheit nicht auch unterschiedliche Art und Weise mit dem Thema umzugehen die Befreiung von den Schatten des Missbrauchs stehen? und zu arbeiten. Jeder muss für sich einen Weg suchen, den er selbst begreifen und vermitteln kann. Das wäre das Schönste, was man erreichen könnte. Also ist dieser Abend für Sie nicht nur ein historisches, Kann Kunst überhaupt rassistisch sein? sondern auch ein aktuelles Thema? Ich denke, dass man sie als Transportmittel, als Medium Iris Berben: Auch heute sind viele unterschwellige Facetten benutzen kann – aus jeder Richtung, aus der man sie benutzen wahrnehmbar, und es ist wichtig, dass man diese sehr früh möchte. Kunst bietet immer die Möglichkeit der Verbindung, ob erkennt und darüber nachdenkt: die Politikmüdigkeit der Men- man zerstört oder hinterfragt. Das ist in der Musik besonders „Kunst ist eine schen, die sie dann wieder zu den Rattenfängern treibt. Oder die stark zu spüren. Musik ist durch ihre unmittelbare Emotionalität große Kraft, Leute Zweifel an der Demokratie … das alles sind Indizien dafür, dass ein ganz starkes Bindeglied, das Menschen unterschiedlichster zu vereinen und immer eine Gefahr besteht, und wir mit unserer Arbeit nicht nur Herkunft und Bildung anrührt. Bücher hingegen setzen eine etwas zu bewirken“ eine Erinnerungstour machen. Warum macht man einen solchen gewisse Form kultureller Erziehung voraus. Man kann Kunst Abend? Will man sich nur erinnern? Natürlich, das möchte ich benutzen, für Positives ebenso wie für Negatives. Auch wir Iris Berben auch, aber es geht auch darum, festzustellen, dass wir auch benutzen Kunst, um zu verbinden, zu öffnen, zu analysieren und heute in einer Zeit leben, in der Diskussionen von Überfrem- anzustoßen. Das ist das positivste, was Kunst erreichen kann. dung, von „Nicht-deutsch-genug-sein“ geführt werden. All das Aber Kunst wird niemals rassistisch sein können. In der Kunst sind Parallelen, die Kunst und Literatur widerspiegeln können. gibt es keinen Fremdenhass, keinen Rassismus. Kunst ist eine So ist diese Lesung auch ein aktueller Beitrag, unser heutiges große Kraft, Leute zu vereinen und etwas zu bewirken. Leben wahrzunehmen, aufzuzeigen, wie Dinge be- und verurteilt werden. Der Abend ist Erinnern und Mahnen zugleich. Dann ist Kunst auch die größte Chance? Ja! Und das ist auch der Sinn dieses Abends. 16 17
Biographie Biographie Iris Berben Ihre Schullaufbahn war weder geradlinig noch von Erfolg die Serie „Sketchup“ zu einem regelrechten TV-Highlight und für gekrönt – ganz anders dagegen ihr Weg als Schauspielerin. Iris Berben – diesmal an der Seite von Diether Krebs – zu einer Während sie als Schülerin aneckte, als vorlaut galt und ohne weiteren Gelegenheit, ihr Comedy-Talent unter Beweis zu stel- „In dieser Zeit, in das angestrebte Abitur die Schule verlassen musste, machte sie len. Zum absoluten Publikumsliebling avanciert sie schließlich in der sich Anzei- früh vor der Kamera auf sich aufmerksam: Schon als 18-Jährige „Die Guldenburgs“. Die Familiensaga aus Adelskreisen gehört chen von Rechts- spielt Iris Berben in Kurz- bis heute zu den erfolgreichsten deutschen Fernsehserien und radikalismus filmen der Hamburger hielt die Zuschauer zwischen 1986 und 1990 in Atem. Während mehren, muss Kunsthochschule, die bei Iris Berben gemeinsam mit Sohn Oliver und dem Regisseur Carlo dieses Thema den renommierten Ober- Rola in den 1990er Jahren ihre inzwischen wohl bekannteste im Bewusstsein hausener Kurzfilmtagen Figur entwickelt, die Kommissarin Rosa Roth der gleichnamigen der Öffentlichkeit präsentiert werden. Bald ZDF-Krimireihe, spielt sie außerdem in zahlreichen großen Kino- erhalten bleiben. darauf dreht sie unter und Fernsehfilmen. Mit Filmen wie „Ein mörderischer Plan“ Denn jeder Tag, der Regie von Rudolf (2000), „Fahr zur Hölle, Schwester“ und „Wer liebt hat Recht“ der vergeht, Thome ihren ersten Ki- (beide 2001) bestätigt sie ihren Ruf als eine der profiliertesten vernichtet die nofilm „Detektive“. Nur und vielseitigsten deutschen Schauspielerinnen. Die starke Zeugnisse der ein Jahr später hat sie Kämpferin wie 2004 in „Die Patriarchin“ oder 2007 in „Afrika, Vergangenheit.“ 1969 in Klaus Lemkes mon amour“ stellt sie ebenso überzeugend dar wie die verletzte Iris Berben „Brandstifter“ ihr Ehefrau in „Silberhochzeit“ (2005) oder die schöne, jedoch stän- Fernsehdebüt. Ihre erste dig alkoholisierte Verliererin in „Die Mauer“ (2006). Und immer große Popularitätsetap- noch steht ihr Gesicht auch für eine der beliebtesten deutschen pe gewinnt Iris Berben Fernsehkommissarinnen: Rosa Roth. Iris Berben versteht in allen Mitte der 1970er Jahre Rollen zu begeistern, und ihre schauspielerische Leistung wird mit ihren Auftritten nicht nur durch hohe Einschaltquoten belohnt, sondern auch als Chantal in Michael durch zahlreiche Auszeichnungen wie Bambi, Goldene Kamera Pfleghars Serie „Zwei oder Romy, mit denen sie zum Teil sogar mehrfach geehrt wird. himmlische Töchter“. Für ihr politisches Engagement gegen das Vergessen, gegen Nach zahlreichen Rollen Antisemitismus und für Toleranz erhält sie u.a. das Bundesver- für Kino und Fernsehen dienstkreuz und wird vom Zentralrat der Juden Deutschlands entwickelt sich 1985/86 mit dem Leo-Baeck-Preis ausgezeichnet. 18 19
Biographie Biographie Südwestdeutsches Kammerorchester Pforzheim und CDs eingespielt. Auch heute arbeitet es mit international bekannten Solisten wie Mischa Maisky, Cyprien Katsaris, Nigel Ein frischer und packender musikalischer Zugriff und stilistische Kennedy, Michala Petri oder Frank Peter Zimmermann zusam- Vielfalt von der Alten bis zur Neuen Musik sind die Erkennungs- men und war mit ihnen in ganz Europa (Festival Prager Frühling, zeichen des Südwestdeutschen Kammerorchesters Pforzheim. Schleswig-Holstein-Musikfestival, Schwetzinger Festspiele, Das mit vierzehn Musikern aus sieben Nationen besetzte En- Flandern-Festival, Festival Euro Mediterraneo Rom, OsterKlang semble ist eines der ganz wenigen Full-time-Kammerorchester, Wien), in den USA und Japan zu Gast. so dass eine außergewöhnliche Homogenität und Flexibilität des Klangbildes möglich wird. Gegründet wurde das Orchester 1950 von dem Hindemith- Achim Fiedler Am Pult internationaler Schüler Friedrich Tilegant. Rasch fand das Ensemble inter- Achim Fiedler studierte Violine in Köln bei Saschko Gawriloff Orchester täig: nationale Anerkennung und war bald bei den Festspielen in und an der Guildhall School London sowie Dirigieren in Mailand Achim Fiedler Ensemble der Salzburg, Luzern und Leipzig und auf weltweiten Konzertreisen und Stuttgart. Er besuchte Meisterkurse Extra Klasse: Süd- mit musikalischen Größen wie Maurice André, Dietrich Fischer- u.a. bei Seiji Ozawa, absolvierte Assi- westdeutsches Dieskau, Frans Brüggen und Yehudi Menuhin zu hören. Nach stenzen bei Bernard Haitink und Carlo Kammerorchester dem allzu frühen Tod des Gründers 1968 wurde das Orchester Maria Giulini und wurde schließlich in Pforzheim vor allem durch den Wiener Paul Angerer und den aus der das Dirigentenforum des Deutschen großen tschechi- Musikrates aufgenommen. Besondere schen Musiktradition Anerkennungen seiner künstlerischen stammenden Vladislav Arbeit sind die Auszeichnung mit dem Czarnecki geprägt. Herbert-von-Karajan-Stipendium und Seit 2002 wirkt Se- Preise bei verschiedenen internationalen bastian Tewinkel als Dirigentenwettbewerben. Seit 1998 Künstlerischer Leiter wirkt Achim Fiedler als Künstlerischer und hat Klang, Stilistik Leiter der Festival Strings Lucerne und und Programmatik die- seit 2006 als Chefdirigent des Folkwang- ses traditionsreichen Kammerorchesters Essen. Daneben ist Ensembles stetig er Gast am Pult renommierter Orchester weiterentwickelt. im In- und Ausland und dirigierte u.a. die Staatskapelle Dresden, das Konzert- Auf seinem Erfolgsweg hat das Südwestdeutsche Kammer- hausorchester Berlin und den Wiener orchester neben Rundfunkaufnahmen rund 250 Schallplatten Concert Verein. 20 21
Biographie „Hier vollzieht sich Politik. Und hier ereignet sich Geschichte. Die Flam- men dieser politischen Brandstiftung würden sich nicht löschen lassen. Sie würden weiterzüngeln, um sich fres- sen, auflodern und Deutschland, wenn nicht ganz Europa, in verbrannte Erde verwandeln.“ Erich Kästner am 10. Mai 1958 auf dem PEN-Kongress in Hamburg Impressum Herausgeber Carpe artem GmbH, München Redaktion Verlag Piribauer GesbR, Ottendorf a.d. Rittschein Gesamtherstellung dm druckmedien gmbh München Copyright Titelfoto www.harald hoffmann.com 22
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