Verschwörungsmystiker wie der Basler Daniele Ganser kapern Rudolf-Steiner-Bewegung - Siper

Die Seite wird erstellt Heinrich Herold
 
WEITER LESEN
Verschwörungsmystiker wie der Basler Daniele Ganser kapern Rudolf-Steiner-Bewegung - Siper
https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/verschwoerungsmystiker-wie-der-basler-daniele-ganser-kapern-rudolf-steiner-bewegung-132179380

RUDOLF STEINER

Verschwörungsmystiker wie der
Basler Daniele Ganser kapern Rudolf-
Steiner-Bewegung
von Christian Mensch — Nordwestschweiz • Zuletzt aktualisiert am 8.2.2018 um 11:33 Uhr

Das Goetheanum in Dornach ist mit seiner typischen
anthroposophischen Architektur das Weltzentrum der Steiner-
Bewegung.
© Landratsamt Lörrach

Verschwörungsmystiker wie der Schweizer «Friedensforscher» Daniele
Ganser oder der deutsche Youtube-Moderator Ken Jebsen erhalten
Unterstützung durch die anthroposophische Bewegung von Rudolf Steiner.
Am 3. März findet in Basel die Tagung «Terror, Lüge und Wahrheit» statt, an
der die Propagandisten einer Weltverschwörung ihre Thesen ausbreiten
können.
Am Samstag, 3. März, kommt es zum grossen Schaulaufen. Im
anthroposophischen Veranstaltungsort «Scala», einem ehemaligen Basler Kino in
der Freien Strasse, treten mit Daniele Ganser, Ken Jebsen und Elias Davidsson
gleich drei Redner aus der ersten Fraktion der deutschsprachigen
Verschwörungsmystiker auf.

An der öffentlichen Tagung referieren sie über «Terror, Lüge und Wahrheit».
Wer sich die geballte Einigkeit anhören will, dass die Welt von okkulten Mächten
gesteuert werde und die grossen Terroranschläge der vergangenen Jahrzehnte
Inszenierungen von Geheimdiensten gewesen seien, kann ein Ticket zu sechzig
Franken erwerben.

Der Paracelsus-Zweig, eine Gruppierung, die der Allgemeinen
Anthroposophischen Gesellschaft angeschlossen ist, vermietet nicht bloss die
Lokalität, sondern tritt als Veranstalterin auf. Präsident Marcus Schneider sieht
im Aufmarsch kein Problem. Er sagt: «Das ist doch interessant.» Er plädiere ür
ein «offenes Geistesleben». Die Einseitigkeit sei gerechtfertigt zur Einseitigkeit,
die einem sonst durch die Medien «um die Ohren geschlagen» werde. Die
Vorträge hätten eine «hygienische Funktion» und seien ganz im Sinn von Rudolf
Steiner, da man versuche, «hinter die Kulissen» zu schauen.

An ällig ür Exzentriker

Dass sich in der breiten Bewegung der Anthroposophen schon immer
neurotische Esoteriker, Geschichtsrevisionisten (vor allem zum Ersten Weltkrieg)
und selbst Holocaust-Leugner tummelten, ist bekannt. Doch in Zeiten von «Fake
News» und von Verschwörungsszenarien, die über die sozialen Medien leichte
Verbreitung finden, geraten die Steiner-Schüler zunehmend in den Einfluss von
Agitatoren, die vom Wirken dunkler Mächte schwadronieren. Mit der
Veranstaltung im «Scala» kommen die Konspiratisten der anthroposophischen
Zentrale, dem Goetheanum in Dornach SO, nun sehr nahe.

Die Art, wie Rudolf Steiner seine esoterische Sekte begründete, macht sie
angrei ar. Zum einen verbreitete Steiner selbst Okkultismus und bietet mit
seinen mystischen Aus ührungen zu einer «geistigen Welt» viel ältige
Anknüpfungspunkte ür wirres Gedankengut. Zum anderen verhindert sein
Dogma – die Glaubensfreiheit des Individuums – jede Form eines institutionellen
Korrektivs. Anders als die Katholische Kirche, die Abweichler in frühen Zeiten
auf den Scheiterhaufen band und heute exkommuniziert, ist die Steiner-
Bewegung ungeschützt gegen Unterwanderung: Eine verbindliche Lehre gibt es
so wenig wie eine «Lehrgewalt» und/oder eine «Weisungsbefugnis». Die einzige
Wahrheit liegt in Steiners Wort beziehungsweise in dessen unzähligen Schriften.
Nach Abschluss der Monsteredition im Jahre 2025 umfasst dessen Werk
vierhundert Bücher. Wer sucht, findet darin ür jede Lebenslage die treffende
Referenz.

Treibende Kraft der «Scala»-Veranstaltung ist der anthroposophische Verleger,
Publizist und Vortragsredner Thomas Meyer. Mit der Zeitschrift «Der Europäer»
und seiner «Perseus»-Buchreihe ührte Meyer bisher selbst innerhalb der
Steiner-Bewegung ein Nischendasein. Aufsehen erregte er, als er die Autorin
Barbro Karlen promotete, die behauptet, eine Inkarnation von Anne Frank zu
sein. Finanziert wird seine Tätigkeit von einem Förderverein, der auf der Liste
der gemeinnützigen, also steuerbefreiten Organisation figuriert.

Unter Zutun des Paracelsus-Zweigs öffnet Meyer nun das Tor ür
Verschwörungsmystiker wie Ganser und Jebsen, die bisher in der Öffentlichkeit
wenig mit der Steiner-Bewegung in Verbindung gebracht worden sind.

Das Duo üllt in Deutschland Säle mit einem gläubigen Publikum, das sich
vornehmlich aus rechten Kreisen, «Reichsbürgern», Pegida- und AfD Anhängern
rekrutiert. Seriöse Medien geben ihnen immer weniger Plattform ür das
Ausbreiten ihrer Szenarien, was sie selbstredend als Teil dieser Verschwörung
«entlarven». Sie sind zunehmend auf Publikationen wie das «Compact»-Magazin
angewiesen, das von der «Zeit» spöttisch als «Hauspost ür die Wütenden»
bezeichnet wurde. Mit der anthroposophischen Bewegung öffnen sich Rednern
wie Ganser, Jebsen oder Davidsson Kreise, die emp änglich sind ür alternative
Fakten.

Ganser, der zwölf Jahre lang die Basler Steiner-Schule besuchte, hatte zunächst
eine seriöse wissenschaftliche Karriere eingeschlagen, bis er sich nach 9/11 zu
einem ührenden Vertreter der deutschsprachigen «Truther-Szene» entwickelte.
An der Universität Basel verlor er den Lehrauftrag, nun arbeitet er als
«Friedensforscher» seines eigenen «Swiss Institute for Peace and Ener y
Research» (SIPER). Ganser trat in Deutschland schon in verschiedenen
Waldorfschulen auf, in denen Steinersche Pädagogik gelehrt wird. 2015 gab er
der Zeitschrift «Das Goetheanum», einem Zentralorgan der Bewegung, ein
langes Interview. Darin kokettiert er mit dem von Steiner besungenen «freien
Willen». Als «neue Medienkompetenz» bezeichnet er in diesem Zusammenhang,
dass man «nicht mehr passiv konsumiert, sondern aktiv auswählt und sich
abgrenzt von dem, was einen nicht interessiert.» Was nicht unvernünftig klingt,
ist gleichzeitig eine Blaupause, weshalb man die «Lügenpresse» nicht mehr
beachten müsse und sich stattdessen «aktiv» ür alternative Medien entscheiden
könne.
Ein solches Alternativmedium bietet Jebsen, der seinen richtigen Namen nicht
preisgibt. Jebsen, ebenfalls ein Steiner-Schüler, war bis 2011 Berliner
Radiojournalist, verlor seine Stelle aufgrund antisemitischer Äusserungen, die er
dann doch nicht so gesagt haben wollte. Seither ist er als agitatorischer Redner
unterwegs und verbreitet unter dem Label «KenFM» Youtube-Clips. Ganser ist
sein häufiger Gast.

Eine besondere Biografie zeichnet Elias Davidsson aus, ein in Palästina
geborener, in Island lebender und in Basel ausgebildeter Pianist und Komponist.
Er fiel vor zwanzig Jahren auf, als er unter dem Aktenzeichen S182.96/97 die
Basler Regierung anzeigte. Er behauptete, sie mache sich der
Rassendiskriminierung schuldig, indem sie zum 100. Jahrestag des
Zionistenkongresses beitragen wolle. Denn der Zionismus sei eine rassistische
Ideologie. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren wegen «Fehlen eines
subjektiven Tatbestands» ein. Davidsson legte Beschwerde ein, mit der er vor
Gericht abblitzte.

Der Musiker, der während seiner Studienzeit an der Steiner-Schule den
Eurythmieunterricht am Klavier begleitete, sieht nach 9/11 die Geheimdienste
am Wirken, wenn sich ein neuer Terroranschlag ereignet. Seit einem Jahr hat er
eine neue Mission: Der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt sei ein Fake,
es sei nie ein Lastwagen in die Menschen gefahren.

Die politischen Ambitionen

Die Anthroposophen verstehen sich als geistige Bewegung. Treten sie den
politischen Kampf an, wie mit der nationalen Initiative ür ein Grundeinkommen
oder auch der Basler Bodeninitiative, so unterlassen sie es, auf die ideologische
Fundierung durch Steiners Lehren hinzuweisen. So, als hätte das eine mit dem
anderen nichts zu tun. Die «politische Unschuld» ist mit ihren neuen Rednern
schwer nicht zu vereinbaren. Deren Positionen sind offen Russland-freundlich,
antiamerikanisch und antizionistisch.

Der grüne Politiker Gerold Häfner war dreimal gewähltes Mitglied des Deutschen
Bundestages und bis 2014 Europaparlamentarier. Politisch setzte er sich ür
mehr Bürgerrechte ein, nun ist er Leiter der Sektion Sozialwissenschaften der
Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft. Das Einzige, was ihm auf Anfrage
zur «Scala»-Veranstaltung ein ällt, stammt aus dem rhetorischen
Standardbaukasten: «Wir nehmen nicht urteilend Stellung zu Ankündigungen
anderer Veranstalter.» Und: «Anthroposophie setzt sich ür die Freiheit jedes
einzelnen Menschen sowie ür ein freies Geistes- und Kulturleben ein.» Dazu
gehörten die Denk- und Redefreiheit sowie auch das Recht, Veranstaltungen
durchzu ühren.

                      © Copyright 2010 – 2018, az Aargauer Zeitung
Sie können auch lesen