Versorgungsforschung bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz - Potenziale der Telemedizin

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     Versorgungsforschung: Von der Theorie zur Praxis                :   V OR T RAG 3

Versorgungsforschung:
Von der Theorie zur Praxis
Versorgungsforschung bei fortgeschrittener
Herzinsuffizienz – Potenziale der Telemedizin
PROF. DR. FRIEDRICH KÖHLER, LEITER DES ARBEITSBEREICHS KARDIOVASKULÄRE TELEMEDIZIN AN DER CHARITÉ /
DR. SANDRA PRESCHER, WISSENSCHAFTLICHE MITARBEITERIN CHARITÉ – UNIVERSITÄTSMEDIZIN BERLIN

D
           as Telemonitoring bei Herzinsuffizienz ist     Hintergrund
           eine telemedizinische Methode innerhalb
                                                          Am 17. Dezember 2020 hat der Gemeinsame Bundesaus-
           der digitalen Kardiologie, bei der durch
                                                          schuss (G-BA) einen Beschluss gefasst, wonach bei Hoch-
täglichen Vitaldatentransfer aus der Häuslichkeit der
                                                          risikopatient*innen mit chronischer Herzinsuffizienz das
Patient*innen an ein Telemedizinzentrum frühzeitig        Telemonitoring mit nicht-invasiven Messgeräten sowie unter
eine Veränderung des Krankheitszustands erkannt           Nutzung von aktiven Implantaten (implantierte Defibrillato-
werden kann, um so Hospitalisierungen wegen               ren mit und ohne Funktion der kardialen Resynchronisati-
kardialer Dekompensationen zu vermeiden. Dieses           onstherapie (CRT)) als eigenständige Methode mit Zusatz-
                                                          nutzen anerkannt wurde (1). Dieser Beschluss tritt nach der
(Mit-)Betreuungskonzept stellt eine Ergänzung zu der
                                                          Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft. Daraus leitet
bestehenden ambulanten haus- und fachärztlichen
                                                          sich für gesetzlich Versicherte ein grundsätzlicher Leistungs-
Betreuung dar. In mehreren randomisierten Studien         anspruch auf diese Versorgung ab.
konnte eine überlegene Wirksamkeit der telemedizini-           Aktuell befindet sich dieser Beschluss im Bewertungs-
schen Mitbetreuung in Bezug auf Reduktion der Ge-         ausschuss des G-BA. Neben der Höhe der Vergütung wer-
samtmortalität und der ungeplanten Hospitalisierun-       den dabei für die Anwendung dieser Methode in der Quali-
                                                          tätssicherungsvereinbarung die notwendigen Struktur- und
gen wegen Herzinsuffizienz nachgewiesen werden.
                                                          Prozessqualitätsmerkmale definiert. Erst wenn über die Höhe
Die Entwicklung und klinische Erprobung telemedizini-
                                                          der Vergütung entschieden wurde, kann diese ambulante
scher Verfahren bei Herzinsuffizienz kann als Beispiel    Leistung von Ärztinnen und Ärzten erbracht und abgerech-
für den evidenzbasierten Weg einer digitalen Innovati-    net werden. Das Gremium muss innerhalb von sechs Mo-
on in die Regelversorgung gelten. Die größte Heraus-      naten nach Inkrafttreten eine Abrechnungsziffer festsetzen.
                                                               Dieser Beschluss stellt in dreifacher Hinsicht einen Mei-
forderung in Bezug auf die Versorgungsforschung
                                                          lenstein in der Geschichte des G-BA dar:
betrifft die Skalierbarkeit telemedizinischer Verfahren
                                                          a. Basierend auf einer positiven Evidenz bezüglich Reduk-
unter den Bedingungen der Regelversorgung.                tion von Mortalität und Morbidität wurde mit dem Tele-
                                                          monitoring bei Herzinsuffizienz erstmals für eine digitale
                                                          Versorgungsform ein erstattungsfähiger medizinischer
                                                          Zusatznutzen bestätigt. Bisher waren positive Entschei-
                                                          dungen des G-BA zur Herzinsuffizienz ausschließlich zu
                                                          Medikamenten und Implantaten erfolgt, die die Pathoge-
                                                          nese der Erkrankung (z. B. durch pharmakologische Rezep-
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torblockade) oder eine implantaterzeugte Membranpo-             1). Das entspräche einem Zwölftel der gesamten deutschen
tentialveränderung bei CRT mit einem positiven Effekt auf       Herzinsuffizienzpopulation. Bei einer 1:1-Übertragung des
Mortalität und Morbidität beeinflussen.                         Studienmodells würde dies einen Bedarf von etwa 400 TMZ
b. Die G-BA Entscheidung erfolgte nur zwei Jahre nach           bedeuten, was ein unrealistisches Vorgehen darstellt.
der Veröffentlichung der positiven Ergebnisse der TIM-HF2            Umgekehrt müssen die strukturellen und prozessualen
Studie (2) und markiert den vorläufigen Abschluss einer         Grundzüge des Studienmodells bezüglich der Arbeitsweise
15-jährigen Entwicklungs- und Forschungstätigkeit. In die-      eines Telemedizinzentrums auch unter den Bedingungen der
sem Innovationsprozess spielte Deutschland – auch dank          Regelversorgung gewahrt bleiben. Andernfalls können die
großer öffentlicher Förderung von Studienprojekten – eine       positiven Effekte in der Versorgung möglicherweise nicht
wichtige internationale Rolle.                                  reproduziert werden. Der Translationsprozess für digitale
c. Deutschland ist das erste Land, das künftig Telemonito-      Versorgungsformen als Regelversorgung umfasst deshalb
ring bei Herzinsuffizienz als Regelleistung erstattet, so das   den Bedarf für weitere technische Innovationen mit dem
mit weiteren Innovationen auch der Medizintechnik zu            Fokus auf eine Skalierbarkeit des Verfahrens.
rechnen ist.                                                         Ein weiteres Schlüsselelement der Translation ist die
     Dennoch weist der Translationsprozess von der Anwen-       Verknüpfung des in der Regel täglichen telemedizinischen
dung des Telemonitorings in randomisierten Studien hin zur      Vitaldatenmonitorings mit der medizinischen Präsenzver-
Anwendung im Regelbetrieb grundsätzliche Unterschiede im        sorgung in der haus- und fachärztlichen Praxis. Telemedizin
Vergleich zur Translation beispielsweise eines neuen Medi-      stellt keinen Ersatz, sondern eine Ergänzung zur Präsenz-
kamentes auf. Bei einem neuen Medikament beginnt nach           medizin dar. Der gesamte Translationsprozess bedarf einer
der Zulassung durch die Europäische Arzneimittelagentur         weiteren Effektivitätsprüfung, die einen wesentlichen Inhalt
(EMA) und dem Beschluss des G-BA über die Erstattungs-          der Versorgungsforschung für die Telemedizinanwendung
fähigkeit die Massenproduktion durch den Hersteller und         bei Herzinsuffizienz in den nächsten Jahren darstellt.
die Verschreibung durch die behandelnden Ärztinnen und               Nachfolgend werden ausgehend von einer epidemiolo-
Ärzte (vereinfacht dargestellt).                                gischen und klinischen Definition der potenziell für Telemoni-
     Das Telemonitoring unter Studienbedingungen kann           toring geeigneten Patient*innen die Grundzüge des Transla-
nicht ohne Weiteres auf den Regelbetrieb übertragen wer-        tionsprozesses für diese medizinische Innovation dargestellt.
den. Die Betreuungskapazität der an den Studien beteilig-
ten Telemedizinzentren (TMZ) lag bei maximal 500 parallel       Epidemiologie der chronischen Herzinsuffizienz
betreuten Herzinsuffizienzpatient*innen. Legt man die Kri-
terien des G-BA-Beschlusses (3), die Patient*innen erfüllen     In Deutschland leiden etwa 2,5 Millionen Patient*innen an
müssen, zu Grunde, besteht ein Bedarf für Telemonitoring in     chronischer Herzinsuffizienz (Klassifikation nach ICD-10:
Deutschland bei etwa 200.000 Patient*innen (siehe Tabelle       I50) (4). Mit einer Inzidenz der Erkrankungshäufigkeit von
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547,2 Fällen pro 100.000 Einwohnern und mit fast 489.000                   Klinische Definition der chronischen Herzinsuffizienz
vollstationären Aufenthalten in Deutschland im Jahr 2018
stellt sie den häufigsten krankheitsbedingten Hospitalisie-                Die Herzinsuffizienz ist eine funktionelle Erkrankung, bei
rungsgrund dar (5). Diese rund 200.000 Patient*innen,                      der die Pumpleistung des Herzens nicht den Bluttransport-
die jährlich wegen hydropischer kardialer Dekompensation                   bedarf des Körpers zur Aufrechterhaltung einer adäquaten
stationär behandelt werden müssen, stellen die Höchstrisi-                 Sauerstoffversorgung aller Gewebe decken kann. Dieses
kogruppe dar. Sie haben eine um etwa 30 Prozent höhere                     Defizit führt bei Patient*innen zu typischen Symptomen,
Sterblichkeitsrate und eine Rehospitalisierungsrate von 50                 wie Kurzatmigkeit, Müdigkeit, Ödemen und klinischen Zei-
Prozent in den ersten sechs Monaten nach Entlassung (6).                   chen der Lungenstauung. Die Ursache ist eine akute oder
Etwa vier Fünftel der jährlichen Therapiekosten von mehr                   chronische Schädigung des Herzens. Die Herzinsuffizienz
als 5,2 Milliarden Euro werden für stationäre Aufenthalte                  ist deshalb keine Herzerkrankung, sondern beschreibt ei-
aufgewendet (7, 8).                                                        nen lebensbegrenzenden Folgezustand, den verschiedene
     Ausgehend von diesem epidemiologischen Hintergrund                    Herzerkrankungen auslösen können.
und den Studienergebnissen besteht eine hohe Erwartung,                         Die beiden häufigsten Ursachen der Herzinsuffizienz
durch eine telemedizinische Mitbetreuung die Zahl der Kran-                sind der akute Myokardinfarkt, der durch einen akuten Ge-
kenhausaufenthalte wegen Herzinsuffizienz signifikant zu                   webeuntergang von Muskelzellen zu einer verminderten
senken. Eine weitere Herausforderung in der Betreuung                      Pumpleistung führt oder die unbehandelte arterielle Hyper-
von Herzinsuffizienz betrifft die Überwindung regionaler                   tonie, bei dem es durch die oft jahrelang aufrechterhaltene
Unterschiede in der Ergebnisqualität insbesondere zwischen                 Blutzirkulation unter Hochdruckbedingungen zu langfristen
Großstadtregionen und dem strukturschwachen ländlichen                     strukturellen Veränderungen am Herzen, wie Hypertrophie
Raum. Häufig können die Leitlinienempfehlungen der Euro-                   und Fibrose, kommt (10).
pean Society of Cardiology (ESC) einer strukturierten mul-                      Soweit es möglich ist, stellt das wichtigste Element der
tidisziplinären Betreuung (Klasse-I-Empfehlung; Evidenzgrad                Herzinsuffizienzbehandlung die jeweils zugrunde kardiale
A) aufgrund des Mangels an fachärztlicher kardiologischer                  Grunderkrankung dar. Dazu kommt eine spezifische Herz-
Versorgung in strukturschwächeren ländlichen Regionen                      insuffizienzbehandlung, die beispielsweise durch eine Verbes-
nur eingeschränkt umgesetzt werden (9).                                    serung der Herzpump-Bedingungen (sogenanntes Vorlast-/
                                                                           Nachlastmanagement) zur Verbesserung der Symptomatik
                                                                           als auch der Lebenserwartung der Patient*innen führt.
Kritierien des G-BA-Beschlusses
                                                                                Hier hat es in den letzten Jahren entscheidende Verbes-
 1. Vorliegende Herzinsuffizienz in den Stadien der New                    serungen im Bereich der medikamentösen Therapie als auch
 York Heart Association (NHYA) II oder III mit einer Ejek-                 durch den Einsatz innovativer Implantate (z. B. implantierbare
 tionsfraktion < 40 Prozent                                                Defibrillatoren) gegeben. Die Sterblichkeit ist zwischen den
 2. Implantation eines kardialen Aggregates (ICD, CRT-P,                   Jahren 2016 und 2018 um 7,1 Prozent zurückgegangen (5),
Kritierien des G-BA-Beschlusses
 CRT-D) oder stationäre Behandlung aufgrund kardialer                      dennoch liegt die Fünfjahres-Sterblichkeit bei Herzinsuffizienz
 Dekompensation im zurückliegenden Jahr                                    bei etwa 40 Prozent (11) und die Prognose ist quo ad vitam
 3. Leitliniengerechte Behandlung der Herzinsuffizienz                     schlechter als bei vielen onkologischen Erkrankungen (12).

 4. Kein Vorhandensein von Faktoren, die das Telemo-
 Quelle: adaptiert von Gemeinsamer Bundesausschuss (1)
 nitoring verhindern würde (z. B. technische Gründe,                       Klassifikation der Herzinsuffizienz
 Behinderung des Selbstmanagements)
                                                                           Die Herzinsuffizienz wird nach drei Hauptkriterien klassifi-
 ICD = implantierbarer Kardioverter-Defibrillator; CRT-D = kardiale
 Resynchronisationstherapie mit Defibrillator; CRT-P kardiale Resynchro-   ziert, die zur Beurteilung des Herzinsuffizienzstatus der ein-
 nisationstherapie mit Schrittmacher
                                                                           zelnen Patient*innen alle geprüft werden müssen:
Quelle: adaptiert von Gemeinsamer Bundesausschuss (1)                      1. die linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF), die einen
                                                                           (z. B. echokardiographisch) messbaren Parameter für die
Tabelle 1: Legt man die Kriterien des G-BA-Beschlusses zu Grunde, be-
stünde ein Bedarf für Telemonitoring in Deutschland bei etwa 200.000
                                                                           Pumpkraft des Herzens darstellt,
Patienten.                                                                 2. der Zeitverlauf der Entwicklung einer Herzinsuffizienz

                          Individualebene
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NYHA-Klassifikation

 Funktions- Beschreibung der körperlichen Leistungsfähigkeit
NYHA-Klassifikation
 klasse
 I                  Keine Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit trotz nachgewiesener kardialer Schädigung.
 II                 Mäßige Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, Beschwerdefreiheit unter Ruhebedingung;
                    das Treppensteigen von zwei Stockwerken ist möglich.
 III                Ausgeprägte Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Weitgehende Beschwerdefreiheit
                    unter Ruhebedingungen. Das Treppensteigen von sieben bis neun Treppenstufen ist möglich und wird
                    durch das Auftreten von Luftnot begrenzt.
Quelle: Charité - Universitätsmedizin Berlin
 IV                 Unfähigkeit zu körperlicher Betätigung. Herzinsuffizienzsymptome bereits unter Ruhebedingungen.
Quelle: Charité - Universitätsmedizin Berlin

Tabelle 2: Die häufigste Einteilung der körperlichen Leistungsfähigkeit ist die Klassifikation der New York Heart Association (NYHA).

(akute versus chronische Herzinsuffizienz)                                        Die Klassifikation nach dem Zeitverlauf des Auftretens
3. die körperliche Leistungsfähigkeit.                                       von Herzinsuffizienzsymptomen unterscheidet die akute
                                                                             Herzinsuffizienz von der chronischen Herzinsuffizienz:
Bezüglich der LVEF lassen sich drei Formen der Herzinsuffi-                       Die akute Herzinsuffizienz stellt eine lebensbedrohliche
zienz kategorisieren: Individualebene                                        klinische Situation dar, bei der durch eine akute Herzschädi-
a. Herzinsuffizienz mit reduzierter LVEF (
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     Versorgungsforschung: Von der Theorie zur Praxis                      :   V OR T RAG 3

                                                                                                                               Universitätsmedizin Berlin
                                                                                              Abbildung 2:
                                                                                              Beispiel für nicht-invasive

                                                                                                                             © Möller/ Charité –
                                                                                              telemedizinische Messgeräte
                                                                                              im Projekt Telemed5000

gung (z. B. unbehandelter arterieller Bluthochdruck) entwi-          Vor diesem Hintergrund bedeutet die G-BA-Entschei-
ckelt. Die Patient*innen entwickeln Symptome und klinische      dung eine Begrenzung der Leistungsgewährung auf jene
Zeichen der Herzinsuffizienz über einen längeren Zeitraum,      Patient*innen, für die es eine evidenzbasierte Therapiemög-
die sich unter einer entsprechenden Therapie bessern.           lichkeit gibt.
     Es gibt Übergänge zwischen akuter und chronischer
Herzinsuffizienz. Aus einer akuten Herzinsuffizienz während     Rationale von Telemedizin bei chronischer Herzinsuffizienz
eines überlebten akuten Myokardinfarktes entwickelt sich
eine chronische Herzinsuffizienz durch den Umbau der un-        Die häufigste Komplikation im Krankheitsverlauf einer chro-
tergegangenen Herzmuskelzellen in eine nicht pumpfähige         nischen Herzinsuffizienz stellt die hydropische Dekompen-
Narbe. Umgekehrt kann eine chronische Herzinsuffizienz          sation mit Wassereinlagerungen meist in der Lunge oder in
z. B. auf der Basis eines arteriellen Hypertonus durch einen    den Extremitäten dar, die zu schwerer Luftnot führt.
akuten Blutdruckanstieg zu einer akuten Herzinsuffizienz im          Die Rationale einer telemedizinischen Mitbetreuung bil-
Rahmen einer hypertensiven Krise führen. Dieser Zustand der     det die Früherkennung einer beginnenden kardialen Dekom-
akuten Verschlechterung einer zuvor stabilen chronischen        pensation durch die tägliche Übersendung von Vitaldaten
Herzinsuffizienz wird als dekompensierte Herzinsuffizienz       (Telemonitoring) durch die Patient*innen an ein Telemedi-
beschrieben und kann ad hoc oder auch schleichend über          zinzentrum, um falls nötig durch eine frühzeitige Interven-
mehrere Tage eintreten. Bei den Patient*innen manifestieren     tion – idealerweise vor dem Einsetzen von Symptomen, die
sich die klinischen Zeichen der akuten Herzinsuffizienz, so     kardiale Dekompensation vermeiden zu können.
dass die akute Dekompensation auch als Subtyp der akuten             Eine weitere Möglichkeit der telemedizinischen Mitbe-
Herzinsuffizienz betrachtet wird.                               treuung bildet die ambulante Kontrolle von Medikationstitra-
     Die Klassifikation nach der körperlichen Leistungsfä-      tionen nebenwirkungsbehafteter Herzkreislaufmedikamente
higkeit dient der Beschreibung des Schwergrades der zu          (z.B. Antiarrhythmika), die früher häufig längere Kranken-
einem bestimmten Zeitpunkt vorliegenden Herzinsuffizi-          hausaufenthalte bedurften.
enz. Die verbreitetste Einteilung dazu ist die Klassifikation        Die telemedizinische Mitbetreuung bildet dabei eine
der New York Heart Association (NYHA) und umfasst vier          Teilkomponente eines holistischen ambulanten Betreuungs-
Funktionsklassen (siehe Tabelle 2) (13). Die Bedeutung der      konzeptes, für das der Begriff „Remote Patient Management
NYHA-Klassifikation liegt in der Prognose der Mortalität, un-   (RPM)“ eingeführt wurde (14). Neben dem Telemonitoring
abhängig von der kardialen Grunderkrankung. So beträgt die      beinhaltet das RPM-Konzept die leitliniengerechte ambu-
Einjahres-Sterblichkeit etwa 50 Prozent bei Patient*innen in    lante haus- und fachärztliche Betreuung sowie eine struk-
der Funktionsklasse IV, während sie bei Patient*innen in der    turierte Edukation zur Steigerung des Selbstmanagements
Funktionsklasse II weniger als 10 Prozent beträgt.              der Patient*innen (siehe Abbildung 1). Zudem gibt es auch
     Bedeutsam ist, dass jede durch präventive und/ oder        relevante indirekte Faktoren der telemedizinischen Mitbe-
therapeutische Interventionen erreichte Verbesserung der        treuung, die sich positiv auswirken. So wird beispielsweise
körperlichen Leistungsfähigkeit zu einer Verbesserung der       die Adhärenz zur medikamentösen Therapie mit Diuretika
Lebenserwartung führt und umgekehrt Verschlechterungen          durch die tägliche (telemedizinische) Gewichtskontrolle ge-
in der körperlichen Leistungsfähigkeit mit einer Verschlech-    steigert und die depressive Symptomatik verringert (15). Je
terung der Prognose quo ad vitam einhergehen.                   nach verwendeter telemedizinischer Technologie wird das
FRAN K FUR T ER FORU M           :  DIS K URSE       31

Studienübersicht zur telemedizinischen Mitbetreuung bei Herzinsuffizienz

 Studie                           Studiengröße/ Fol-     Intervention              Primärer Endpunkt             Ergebnis
                                  low-up Dauer
 Invasives Monitoring
 IN-TIME, NCT00538356             – n=716                Home-Monitoring           Modifizierter Packer-         – Signifikante Reduktion der
 (19)                             – Follow-up:           von ICD oder CRT-D        Score                         Mortalität
                                  12 Monate
 Champion-Trial,                 – n=570                 tägliche Messung          Anzahl von Herzinsuffizi-     – Reduktion der Herzinsuffizi-
 NCT00531661 (20)                – Durchschnittliches    des Drucks in der Ar-     enz- Hospitalisierungen       enz-bedingten Hospitalisierun-
                                 Follow-up:              teria pulmonalis                                        gen um 30%
                                 15 Monate
Quelle: Charité - Universitätsmedizin Berlin                                                                     – Steigerung der Lebensqualität
 Opti-Link,                       – n=1.002              Übertragung intra-        Gesamtmortalität und          – Neutral im primären Endpunkt
 NCT00769457 (21)                 – Follow-up:           tho-rakaler Impe-         Rate ungeplanter kardi-
                                  18 Monate              danz mit Alarm            ovaskulärer Hospitalisie-
                                                                                   rungen
 Nichtinvasives Monitoring
 TIM-HF, NCT00543881              – n=710                komplexes 24/7d           Gesamtmortalität              – Neutral im primären Endpunkt
 (22, 23)                         – Durchschnittliches   RPM                                                     – Verbesserung der Lebensqua-
                                  Follow-Up:                                                                     lität
                                  24 Monate                                                                      – Identifikation einer profitie-
                                                                                                                 renden Subgruppe
 TELE-HF, NCT00303212 – n=1653                           Anruf an telefonba-       Rehospitalisierung oder       – Neutral im primären Endpunkt
 (24)                   – Follow-up:
                    Individualebene                      sierten interaktiven      Gesamtmortalität
                        6 Monate                         Anrufbeantworter
 BEAT-HF, NCT01360203             – n=1437               Telemonitoring und   Rate der Rehospitalisie-           – Neutral im primären Endpunkt
 (25)                             – Follow-up:           Coaching per Telefon rungen jeder Ursache im
                                  6 Monate                                    ersten Halbjahr nach sta-
                                                                              tionärer Entlassung
 TIM-HF2, NCT01878630             – n=1538               komplexes 24/7 RPM Verlorene Tage durch un-             – Positiv im primären Endpunkt
NYHA-Klassifikation
(2)                               – Follow-Up:                              geplante kardiovaskuläre             – Signifikante Reduktion der
                                  12 Monate                                 Hospitalisierungen und               Gesamtmortalität
                                                                            Tod jeder Ursache (in %)             – Signifikante Reduktion der
                                                                                                                 Hospitalisierungen aufgrund
                                                                                                                 kardialer Dekompensation
 OSICAT, NCT02068118              – n=937                Telemonitoring und   Rate der Gesamtmortali-            – Neutral im primären Endpunkt
 (26)                             – Follow-Up:           Coaching per Telefon tät und ungeplanter Hos-           – Identifikation einer profitie-
                                  18 Monate                                   pitalisierungen wegen              renden Subgruppe
                                                                              Herzinsuffizienz.
 ICD = implantierbarer Kardioverter-Defibrillator; CRT-D = kardiale Resynchronisationstherapie mit Defibrillator; RPM = Remote Patient Management

Quelle: Charité - Universitätsmedizin Berlin

Tabelle 3: Die klinischen Studien, die zur telemedizinischen Mitbetreuung mit nicht-invasiven und invasiven Messgeräten durchgeführt wurden,
weisen unterschiedliche Ergebnisse auf.

Telemonitoring in nicht-invasiv mit externen Messgeräten                        (z. B. Verhinderung des plötzlichen Herztodes). Diese kom-
(z. B. Tele-EKG, Abbildung 2) und invasiv mittels implantierter                 plexen Implantate genieren dazu große Datenmengen zur
Devices eingeteilt. Bei den Implantaten wird darüber hinaus                     Herzfunktion, die auch für das Telemonitoring genutzt wer-
zwischen aktiven und passiven Devices unterschieden. Akti-                      den können. Passive Implantate dienen allein zur Messung
ve Implantate sind Herzschrittmacher und/oder implantierte                      und Datengewinnung eines bestimmten Parameters (z. B.
Defibrillatoren, deren Zweckbestimmung in einer aktiven                         Druckmessung in der Lungenarterie) und haben deshalb eine
Beeinflussung des individuellen  Krankheitsverlaufs besteht
                       Individualebene                                          ausschließlich diagnostische Zweckbestimmung.
3 2  
     Versorgungsforschung: Von der Theorie zur Praxis                                   :   V OR T RAG 3

Stimmdatenaufzeichnungen - Entwicklung eines Algorithmus zur Früherkennung einer hydropischen
Volumenbelastung in Telemed5000

Quelle: ???

                                                                                                                                                © Telemed5000
Abbildung 3: Für die Translation in die Regelversorgung bedarf es auch neuer Vitalparameter, wie z. B. die Stimmanalyse zur Früherkennung der
kardialen Dekompensation. Noch stehen Nachweise zur Reliabilität und Validität aus.

                      Individualebene
     In der Therapie der terminalen Herzinsuffizienz bedarf                die (Passport-HF, NCT04398654), die den Nutzen bezüglich
es zur dauerhaften Stabilisierung der Herzinsuffizienz oft                 Morbidität und Mortalität eines Telemonitorings mit einem
einer Herztransplantation oder einer Implantation von Her-                 passiven Implantat (CardioMEMS™ HF System) zur Messung
zunterstützungssystemen (10). Dabei stellen die physiologi-                des Druckes in der Lungenstrombahn unter den Bedingun-
schen Besonderheiten, potenzielle systembezogene Kom-                      gen des deutschen Gesundheitssystems untersuchen soll.
plikationen und einhergehende Begleiterkrankungen die                      Erste Ergebnisse werden 2024 erwartet.
medizinische Versorgung der Patient*innen vor eine große                         Der aktuelle G-BA-Beschluss bezieht sich daher aus-
Herausforderung für das gesamte Behandlungsteam (16).                      schließlich auf das nicht-invasive Telemonitoring und das
Bei den Herzunterstützungssystemen kommt das linksven-                     invasive Telemonitoring mit aktiven Implantaten für die ein
trikuläre Unterstützungssystem (LVAD) am häufigsten zum                    evidenzbasierter Wirksamkeitsnachweis vorliegt. Im G-BA-Be-
Einsatz kommt.                                                             schluss wird das nicht-invasive Telemonitoring als Typ I und
     Es gibt jedoch für das LVAD-Konzept bisher nur sehr                   das Telemonitoring mit aktiven Implantaten als Typ II-Telemo-
eingeschränkte Lösungsansätze für eine telemedizinische                    nitoring bezeichnet. In der internationalen Fachliteratur sind
Fernüberwachung in Ermangelung einer entsprechenden                        diese zwei Bezeichnungen dagegen keine üblichen Kategori-
Technologie. Gleichwohl hätten telemedizinische Metho-                     en. Die Frage, wann die Patient*innen ein Typ I- oder ein Typ
den ein großes Potenzial, die der Therapieform immanenten                  II-Telemonitoring erhalten, hängt von der Indikationsstellung
Komplikationen (z. B. Blutungen) frühzeitig zu erkennen (17,               für die Implantation der aktiven Implantate ab. Dies trifft nur
18). Der Einsatz von Methoden der künstlichen Intelligenz                  auf eine Teilmenge der Herzinsuffizienz-Patient*innen zu.
und 5G-Campusnetzen zur kontinuierlichen telemedizini-
schen Datenübertragung von LVAD-Systemen wird deshalb                      Evidenz von Telemedizin bei chronischer Herzinsuffizienz
gegenwärtig im Rahmen des vom Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie geförderten Forschungsprojektes                     Seit 20 Jahren werden weltweit randomisierte klinische Stu-
5GMedCamp (Laufzeit: 2021-2024) erforscht.                                 dien zum Nachweis der Wirksamkeit einer telemedizinischen
     Für das Telemonitoring mit passiven Implantaten för-                  Mitbetreuung bei Patient*innen mit chronischer Herzinsuffi-
dert der G-BA aktuell eine randomisierte, kontrollierte Stu-               zienz in Bezug auf klinische Endpunkte wie Morbidität und
FRAN K FUR T ER FORU M      :  DIS K URSE    33

Mortalität mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen durchge-       Betreuungskonzept bei Hochrisikopatient*innen zu einer
führt (siehe Tabelle 3). Die Studien unterschieden sich in den   Lebensverlängerung und zu weniger Krankenhausaufent-
verwendeten Telemedizinsystemen, der Intensität und der          halten führt. Da dieses Ergebnis unabhängig vom Wohnort
Schnelligkeit bei der Reaktion der medizinisch Betreuenden       der Patient*innen war, scheint RPM auch geeignet, regi-
auf eingehende Vitaldaten sowie in der Dauer der telemedi-       onale Versorgungsunterschiede zwischen Stadt und Land
zinischen Mitbetreuung (zwischen 6 und 24 Monaten). Bei          zu kompensieren und insgesamt eine Verbesserung der
allen Unterschieden in der Studiendurchführung wurde als         Versorgungsqualität zu erreichen.
wichtigstes übereinstimmendes Studienergebnis die Popu-               Für das Typ II-Monitoring wurde 2014 erstmals in der
lation der Patienten*innen beschrieben, die von einer tele-      randomisierten, multizentrischen klinischen Phase-III-Stu-
medizinischen Mitbetreuung am meisten profitieren. Diese         die „Implant-based multiparameter telemonitoring of pa-
Gruppe umfasst Patient*innen mit einer stattgehabten Herz-       tients with heart failure“ (IN-TIME, NCT00538356) eine
insuffizienzhospitalisierung maximal 12 Monate vor Beginn        Verbesserung der Gesamtmortalität durch RPM mit akti-
der telemedizinischen Mitbetreuung und stellt gleichzeitig       ven Implantaten (implantierte Defibrillatoren mit und ohne
die Gruppe der Patient*innen mit dem höchsten Risiko für         CRT-Herzschrittmachern) nachgewiesen (19). Die Studie wur-
Rehospitalisierungen und Mortalität dar.                         de zwischen 2007 und 2011 mit 716 Herzinsuffizienz-Pa-
     Neben dem Wirksamkeitsnachweis lieferten die Studien        tient*innen in insgesamt 36 Zentren in Europa, Australien
(z. B. TIM-HF) als weiteres wichtiges Studienergebnis den evi-   und Israel durchgeführt.
denzbasierten Ausschluss der Notwendigkeit einer teleme-              Im primären Endpunkt „Packer-Score“, der einen kom-
dizinischen Mitbetreuung für Herzinsuffizienzpatient*innen       binierten Endpunkt aus Mortalität, ungeplanten Herzinsuf-
mit niedrigem Risiko an Hand des Schlüsselkriteriums einer       fizienz-Hospitalisierungen, Veränderungen der NYHA-Klas-
kürzlich stattgehabten Herzinsuffizienzhospitalisierung (23).    se und Veränderungen in der Selbsteinschätzung der
Dieses Studienkriterium bedeutet für den Translationspro-        Patient*innen darstellt, zeigte sich ein signifikanter Vor-
zess in der Regelversorgung die Vermeidung eines unnö-           teil für die Patient*innen der RPM-Gruppe gegenüber der
tigen materiellen und personellen Ressourceneinsatzes im         Kontrollgruppe. Ebenso war die Gesamtsterblichkeit mit
dreistelligen Millionenbereich.                                  3,4 Prozent pro 100 Personenjahren in der RPM-Gruppe
     Für das Typ I-Telemonitoring konnte erstmalig 2018          signifikant niedriger als in der Kontrollgruppe, die eine
die randomisierte, multizentrische klinische Phase-III-Studie    Gesamtmortalität von 8,7 Prozent pro 100 Personenjahren
„Telemedical Interventional Management in Heart Failure II“      aufwies. Bedeutsam ist, dass beide Studien ganz (TIM-HF2)
(TIM-HF2, NCT01878630) eine Verbesserung der Gesamt-             bzw. überwiegend (IN-TIME) in Deutschland durchgeführt
mortalität durch RPM mit externen, nicht-invasiven teleme-       wurden. Beide Studien bildeten maßgeblich die Evidenz-
dizinischen Heimmessgeräten nachweisen (2). Die Studie           grundlage für die positive Bewertung des Telemonitorings
wurde zwischen 2013 und 2018 mit 1538 Patient*innen              durch das Institut für Qualitätssicherung und Wirtschaft-
mit Herzinsuffizienz in Deutschland durchgeführt. Im pri-        lichkeit in der Medizin (IQWiG) (27).
mären Endpunkt „verlorene Tage durch ungeplante kardi-
ovaskulären Hospitalisierungen und Tod jeder Ursache (in         Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC)
Prozent) im einjährigen Follow-up“ zeigte sich ein signifi-
kanter Vorteil für die Patient*innen der RPM-Gruppe ge-          In den aktuellen ESC-Leitlinien zur Behandlung der akuten
genüber der Kontrollgruppe. Bezogen auf ein Jahr verloren        und chronischen Herzinsuffizienz aus dem Jahr 2016 wurde
Patient*innen der RPM-Gruppe durchschnittlich 17,8 Tage          erstmals eine Klasse-IIb-Empfehlung für eine telemedizini-
durch ungeplante kardiovaskuläre Hospitalisierungen und          sche Mitbetreuung mittels invasiven Telemonitorings festge-
Tod jeder Ursache gegenüber durchschnittlich 24,2 Tagen          legt (9). Die nächste Revision der Leitlinien wird voraussicht-
in der Kontrollgruppe.                                           lich 2021 erfolgen. Es wird erwartet, dass aufbauend auf
     Ebenso war die Gesamtsterblichkeit mit 7,9 pro 100          dem klinischen Update durch die Heart Failure Association
Personenjahren in der RPM-Gruppe signifikant niedriger als       (HFA) aus dem Jahr 2019 (28), die Ergebnisse der TIM-HF2-
in der Kontrollgruppe mit 11,3 pro 100 Personenjahren.           Studie in den Empfehlungen für nicht-invasive telemedizi-
Die Studienergebnisse zeigen, dass das telemedizinische          nische Mitbetreuung berücksichtigt werden.
3 4  
     Versorgungsforschung: Von der Theorie zur Praxis                          :   V OR T RAG 3

Schwerpunkte der Versorgungsforschung nach dem                     Als weitere Möglichkeit zur Bereitstellung der Versor-
G-BA-Beschluss                                                 gung ist die Etablierung von telemedizinischen Netzwerken
                                                               zwischen mehreren telemedizinischen Arbeitsplätzen in kar-
Mit dem Nachweis des klinischen Nutzens einer telemedizi-      diologischen Praxen und einem TMZ mit 24/7-Dienstsystem
nischen Mitbetreuung besteht die Herausforderung, ein tele-    zur Sicherung einer 24h-Verfügbarkeit denkbar und tech-
medizinisches Versorgungsmodell für die Regelversorgung        nisch umsetzbar. So könnte während der Praxiszeiten die
zu etablieren. In diesem Translationsprozess steht das Pro-    telemedizinische Betreuung in den Praxen erfolgen, wäh-
blem der Skalierung an erster Stelle. In den randomisierten    rend zu Nachtzeiten und an Wochenenden oder Feiertagen
klinischen Studien wurden in den beteiligten TMZ bis maxi-     das überregionale TMZ im Krankenhaus der Maximalversor-
mal 500 Patient*innen simultan telemedizinisch mitbetreut.     gung die Mitbetreuung von Notfällen übernimmt. All diese
     Basierend auf den Einschlusskriterien der randomisier-    Ansätze müssen mindestens noch unter Bedingungen der
ten Studien mit positivem Endpunkt würden geschätzt etwa       Regelversorgung erprobt und evaluiert werden.
200.000 Patient*innen in Deutschland von einer telemedi-
zinischen Mitbetreuung profitieren und diese auch nutzen       Fazit für die Praxis
können. Um die Qualität der medizinischen Versorgung wie
unter Studienbedingungen bei gleichzeitiger Wirtschaftlich-    • Eine telemedizinische Mitbetreuung als ganzheitlicher
keit garantieren zu können, bedarf es technologischer In-      Ansatz reduziert bei einer gut definierten Gruppe von Pa-
novationen unter Nutzung von Methoden der künstlichen          tient*innen mit chronischer Herzinsuffizienz über 12 Mo-
Intelligenz. Diese kann sowohl in den Endgeräten, durch den    nate die ungeplanten kardiovaskulären Krankenhaustage
Einsatz neuer Vitalparameter sowie durch Entscheidungsun-      sowie die Gesamtsterblichkeit.
terstützung am telemedizinischen Arbeitsplatz durch Priori-    • Durch die Telemedizin wird kein direkter Arzt-Patien-
sierung der eingehenden Vitaldaten unter Berücksichtigung      ten-Kontakt dauerhaft ersetzt, sondern die medizinische
der individuellen medizinischen Vorgeschichte erfolgen. In     Tätigkeit ergänzt.
dem Förderprojekt Telemed5000 des Bundesministeriums für       • Telemedizin stellt ein effektives Mittel zur Überwindung
Wirtschaft und Energie wird ein solcher Ansatz gegenwär-       regionaler Unterschiede im Management der Herzinsuffi-
tig entwickelt und auch im Rahmen einer klinischen Studie      zienz dar.
geprüft (Telemed5000-Stimme, DRKS00020763).                    • Das Schlüsselelement dieses Betreuungsansatzes ist ein
     Bezüglich der telemedizinischen Endgeräte der Pati-       gut strukturiertes Telemedizinzentrum mit 24/7-Service.
ent*innen ist absehbar, dass die Bedeutung von Smartpho-       • Für die Teilnahme der Patient*innen an einem solchen
nes und anderen Geräten wie Smartwatches mit EKG-Bestim-       Betreuungskonzept ist die Ansprache durch die betreuen-
mung weiter zunehmen wird. Neue Vitalparameter wie die         den Ärztinnen und Ärzte von zentraler Bedeutung.
Stimmanalyse zur Früherkennung kardialer Dekompensation        • Für die Überführung der Studienergebnisse in die Re-
sind denkbar (siehe Abbildung 3), müssen jedoch in Bezug       gelversorgung sind weitere technische Innovationen not-
auf die Reliabilität und Validität der gemessenen Daten kli-   wendig, die auch die Nutzung von Methoden der künstli-
nisch noch evaluiert werden.                                   chen Intelligenz beinhaltet.
     Eine grundsätzliche Herausforderung aller telemedizini-
                                                               E-Mail-Kontakt: friedrich.koehler@charite.de
schen Innovationen stellt zudem der Datenschutz dar, der
                                                               Literatur:
bei jedem neuen Angebot neu bewertet werden muss. Die
                                                               1. Gemeinsamer Bundesausschuss. Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses
Anzahl der Anbieter von Apps und telemedizinischen ge-            über eine Änderung der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung: Tele-
                                                                  monitoring bei Herzinsuffizienz. 2020.
sundheitlichen Dienstleistungen für herzinsuffiziente Pati-
                                                               2. Koehler F, Koehler K, Deckwart O et al. Efficacy of telemedical interventional ma-
ent*innen wird weiter zunehmen, sodass es für Patient*in-         nagement in patients with heart failure (TIM-HF2): a randomised, controlled,
                                                                  parallel-group, unmasked trial. Lancet. 2018;392(10152):1047-57.
nen und betreuende Ärztinnen und Ärzte immer schwieriger
                                                               3. Gemeinsamer Bundesausschuss. Tragende Gründe zum Beschluss des Gemein-
wird, den Nutzen entsprechender Angebote zu bewerten.             samen Bundesausschusses über eine Änderung der Richtlinie Methoden vertrags-
                                                                  ärztliche Versorgung (MVV-RL): Telemonitoring bei Herzinsuffizienz. 2020.
Ein wichtiges Qualitätskriterium bildet das Maß der Einbin-
                                                               4. Holstiege J AM, Steffen A, Bätzing J. Prävalenz der Herzinsuffizienz – bundeswei-
dung in den ausschließlich „analogen“ Betreuungsprozess           te Trends, regionale Variationen und häufige Komorbiditäten. Zentralinstitut für
                                                                  die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) Versorgungsatlas-Bericht Nr
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FRAN K FUR T ER FORU M      :  DIS K URSE    35

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10. Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsge-
    meinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF).               arzt der Kardiologie und Leiter des
    Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische Herzinsuffizienz – Langfassung, 3.
    Auflage Version 2. 2019.                                                                 Arbeitsbereichs für kardiovaskuläre
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