VIEWÖsterreichs erstes Interview Magazin - Marlene Erhart

 
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Österreichs erstes Interview Magazin
Hans
    Krankl MariaFekter ThomasGeierspichler AustroFred StefanRuzowitzky
GerhardDörfler DanielaIraschko AlfredKomarek AlfredGusenbauer
MichaelGlawogger BrigitteEderer ElisabethGehrer AndréMüller ChristianBaha
KlausWerner-Lobo ShakerAssem, das böse Synchrontrio maschek, ein Autist,

Österreichs erster Hundeflüsterer, die Linzer HipHopper Texta, ein Internet-Pokerspieler ...

Herausgegeben vom Institut für Journalismus & Medienmanagement der FHWien
www.dasinterview.at
VIEWÖsterreichs erstes Interview Magazin - Marlene Erhart
Editorial
                                                         Liebe Leserin, lieber Leser,

                                                         An Selbstvertrauen mangelt es den Jung-Journalistinnen
                                                         und -Journalisten des Instituts für Journalismus &
                                                         Medienmanagement der FHWien nicht wirklich.
                                                         Scherzhalber gefragt, ob sie für dieses Heft ein Interview
                                                         mit Fiona Swarovski machen könne, erklärte eine unserer
                                                         Studentinnen ebenso eindeutig wie empört:
                                                         „Mit der red’ ich nicht.“

                                                         Sie erfahren auf den folgenden 97 Seiten also nicht,
                                                         wie’s dem selbstgepflanzten Gemüse auf der Swarovski-
                                                         Grasser’schen Terrasse geht. Aber wir wollten in diesem
                                                         Magazin ja mit Leuten reden, die wirklich was zu sagen
                                                         haben.
                                                                                                                       Reinhard Christl
                                                         Interessante Gespräche mit interessanten Menschen             Herausgeber
                                                         wollten wir führen, als wir „Das Interview“ im Vorjahr
                                                         erstmals auf den Markt brachten. Schon die Reaktionen

Impressum
                                                         auf die erste Ausgabe waren positiv bis euphorisch.
                                                         Heuer haben wir noch mal zugelegt, an Umfang
                                                         (100 statt 84 Seiten) und an Qualität (Fakten statt Fiona).

                                                         Wie im Vorjahr wurden sämtliche Interviews des Heftes
                                                         von Journalismus-Studierenden geführt, alle Inserate
Das Interview
                                                         von Medienmanagement-StudentInnen verkauft. Große
Herausgeber                                              Komplimente an beide Teams: an das Redaktions-Team
Reinhard Christl, Anneliese Rohrer                       für die gelungene Mischung und die hohe Qualität der
Chefredaktion
                                                         Interview-Texte, an die Anzeigenverkäufer, weil sie trotz
Reinhard Christl, Marlene Erhart, Anneliese Rohrer,      Finanz-, Wirtschafts- und Medienkrise über 40.000 Euro
Michael Weiß                                             Inseratenumsatz geschafft haben.
Interviewer                                              Letzteres werten wir als Beweis, dass Printjournalismus
Theresa Aigner, Peter Babutzky, Marlene Erhart,
Alexander Klein, Nina Lindschinger, Martin Tschiderer,
                                                         gerade wegen der kurzlebigen Internet-Info-Flut wieder
Michael Weiß, Wolfgang Zwander                           Zukunft hat, sowohl bei den Inserenten, als auch bei den
                                                         Lesern, die mehr denn je nach erklärenden Hintergrund-
Lektorat                                                 informationen verlangen – und die konsumieren sie eben
Silke Rudorfer                                           lieber auf der Couch und auf Papier als am Schreibtisch
Art Direction
                                                         und am PC.
Christian Sulzenbacher
                                                         Wenn auch Sie zu dieser Art von Leserinnen und Lesern
Foto
Jacqueline Godany, Christian Müller
                                                         gehören und Ihnen unser Magazin gefällt, schreiben
                                                         Sie uns bitte. Denn Sie ahnen gar nicht, wie viel Lob wir
Anzeigen                                                 Journalisten vertragen können, die jungen wie die alten.
Julia Frühwirth, Pierre Greber, Yvonne Valerie Heuber,   Wenn Ihnen das Heft nicht gefällt, schreiben Sie uns
Julia Schmid
                                                         bitte ebenso. Denn das mit dem Selbstvertrauen (siehe
Druck                                                    oben) wissen Sie ja jetzt auch.
Druckerei Berger, Wienerstraße 80, 3580 Horn
Verlagsort                                               Die Herausgeber
Wien                                                     Reinhard Christl, Anneliese Rohrer
Medieninhaber
FHWien-Studiengänge der WKW für Management               reinhard.christl@fh-wien.ac.at
und Kommunikation, Währinger Gürtel 97, 1180 Wien        anneliese.rohrer@fh-wien.ac.at
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                   André Müller                                                    Alfred Gusenbauer                                               Texta
                   Seitenwechsel mit dem Interviewpapst                            Ausgedient                                                      So schnö kaunst goa ned schaun
              6    Normalerweise stellt er die Fragen. „Müller the Killer“
                   erzählt, warum ihn seine Gesprächspartner genauso
                                                                              45   Seinen Sandkastentraum vom Kanzleramt musste er
                                                                                   schnell wieder aufgeben. Jetzt ist er Europareferent der
                                                                                                                                              68   Irgendwann wird auch im Altersheim Rap gehört, da
                                                                                                                                                   sind sich die Linzer sicher. Bis dahin lästern sie über
                   wenig interessieren wie seine Mitmenschen.                      Arbeiterkammer und Firmenberater, spricht aber nach             Wohlstandshansln und unglaubwürdigen Gangsta-Rap.
                                                                                   wie vor gerne über Themen, die die Welt bewegen.

         12
                   Maria Fekter                                                                                                                    Christian Högl
                   Die eiserne Lady                                                Sahra Wagenknecht                                               Heilbare Homophobie
              12   Innenministerin Maria Fekter würde niemals auf die              Die schöne Linke
                                                                                                                                              72   Der Obmann der HOSI Wien wollte Jörg Haider
                   Straße gehen. Trotzdem muss sie die Rahmenbedingun-
                   gen dafür gewährleisten.
                                                                              46   Streikkultur à la französisches Bossnapping ist zwar
                                                                                   der letzte Ausweg, aber durchaus einer, von dem man
                                                                                                                                                   schon vor Jahren outen. Warum ihm daran lag und wieso
                                                                                                                                                   es keine schwulen Fußballer gibt.

Inhalt
                                                                                   aus deutscher Sicht lernen könnte, so Wagenknecht.
                   Daniel Tammet                                                                                                                   Alexander Gerhardinger

         28
                   Genie und Wahnsinn                                                                                                              Sex sells
              16   Deutsch und Isländisch hat er in je einer Woche gelernt.
                   Autist und Autor Daniel Tammet über den Charakter
                                                                                   Brigitte Ederer
                                                                                   Alles richtig bei Frau Wichtig
                                                                                                                                              76   Warum viele seiner Kunden nur zum Reden kommen
                                                                                                                                                   und Sex auf Spesenrechnung ausgedient hat, erzählt der
                   von Zahlen und die Gemeinsamkeit von Knopf, Knolle
                   und Knospe.
                                                                              48   Brigitte Ederer über ihre zwei eklatanten Karriere-
                                                                                   Nachteile: Frau zu sein und ihre Herkunft, den
                                                                                                                                                   Saunaclubbesitzer beim Besuch im „Golden Time“.

                                                                                   Arbeiterbezirk.                                                 Daniela Iraschko
                   Olugbenga Oduala                                                                                                                Männlicher Gebärmutterneid
                   Der österreichische Traum                                       Elisabeth Gehrer
                                                                                                                                              80   Die feministische Schispringerin ist als bisher einzige

         45
              20   From Rags to Riches. Vom Tellerwäscher und                      Sündenbock                                                      Frau über 200 Meter auf Schiern geflogen. Trotzdem
                   Schneeräumer zum Manager bei PORR. Warum die
                   schwarze Hautfarbe zwar viele Nachteile, aber auch
                                                                              52   Die Studiengebühren wird sie wohl nie wieder los,
                                                                                   auch wenn sie selbst eigentlich dagegen war. Warum sie
                                                                                                                                                   geht es ihrer Gebärmutter gut.

                   Vorteile birgt.                                                 trotzdem weder auf Karl-Heinz Grasser noch auf die              Thomas Geierspichler
                                                                                   Medien böse ist.                                                Zwischen Exzess und Olympia
                   Shaker Assem
                   Der Extremist                                                   Gehard Dörfler
                                                                                                                                              84   Vom einen Extrem in das andere. Olympiasieger
                                                                                                                                                   Thomas Geierspichler erzählt, wie tief das Tief war
              24

         48
                   Der Sprecher der radikal-islamischen Partei Hizb-ut-            Ungeahnte Parallelen                                            und wie er den Weg zurück fand.
                   Tahrir im deutschsprachigen Raum glaubt, dass Religion
                   und Demokratie grundsätzlich unvereinbar sind.
                                                                              55   Der Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler
                                                                                   vergleicht seinen Vorgänger Jörg Haider mit James               Hans Krankl
                                                                                   Dean, Elvis Presley und Falco.                                  Fußballgott
                   Austrofred
                   Tausendsassa mit falschem Bart                                  Anna Hackl
                                                                                                                                              88   Die laut Selbstdefinition nicht arrogante Legende
                                                                                                                                                   erzählt, warum seine Rekorde zwar super, aber eigentlich
              28   Schnauzer und gelbe Jacke sind zwei der offensichtlichen        Die Retterin der Hasen                                          eh wurscht sind.
                   Features, die ihn zum buntesten Künstler Österreichs
                                                                              56   Während der „Mühlviertler Hasenjagd“ im Zweiten

         58
                   machen. Die Künstlerzehe ist ein weniger bekanntes.             Weltkrieg hat sie zwei russischen Gefangenen das Leben          Reinhard Mut
                                                                                   gerettet. Heute sieht sie Parallelen zu damals.                 Begabt oder verrückt?

                   Das Interview Spezial                                           Stefan Ruzowitzky
                                                                                                                                              90   Er ist Österreichs erster staatlich anerkannter Hunde-
                                                                                                                                                   flüsterer. Die Ähnlichkeit von Hund und Herrchen
                   Krise? Welche Krise?                                            Erfolgsexport                                                   zeigt sich mittlerweile auch in ihren Krankheiten –

                   Christian Baha
                                                                              58   Der Oscar-Gewinner hat gelernt, die neu gewonnene
                                                                                   Prominenz taktisch klug einzusetzen. Außerdem hofft
                                                                                                                                                   Wadlbeißer sind trotzdem genetisch vorherbestimmt.

         80
                   Doch Kommunismus?                                               er, dass Quentin Tarantinos neuer Film die österreichi-         maschek
              34   Warum dem Mann, der die Geschicke von Superfund                 sche Jugend verändert.                                          Mit fremder Zunge
                   lenkt, sowohl Geld als auch das politische System
                   egal sind.                                                      Alfred Komarek
                                                                                                                                              94   Weder Putin noch Fischer sind vor ihnen sicher, die
                                                                                                                                                   FPÖ aber schon. In die Scheiße wollen selbst Österreichs
                                                                                   Seelenabgründe und Schafe                                       böseste Synchronstimmen nicht reingreifen.
                   Franz
                                                                              60   Im Herbst erscheint sein letzter Polt-Roman. Warum
                   Fische ausnehmen                                                langsame Krimis ihren Reiz haben, wieso Stadt und
                                                                                                                                              96 Das Interview Team
              38   Seine Branche boomt trotz Krise. Ein Student, der beim          Land unterschiedliche Perversionen hervorbringen und

         88
                   Pokern im Internet mehr verdient als jeder Angestellte,         weshalb Schafe ihren Landsleuten ähneln.                        Anneliese Rohrer
                   erklärt, warum das trotzdem kein Glücksspiel ist.                                                                               Die letzte Seite

                   Klaus Werner-Lobo
                                                                                   Michael Glawogger
                                                                                   Das feinste Gras
                                                                                                                                              98   Zwei Zigaretten mit der Herausgeberin. Diesmal geht es
                                                                                                                                                   um die FPÖ, Otto Schulmeister und Sympathiefiguren.
                   Kein Sex für das Geld
                                                                              64   Er spricht über Drogen in den verschiedensten Lebens-
              42   Globalisierungskritiker Klaus Werner-Lobo hat
                   beobachtet, dass Geld sich nicht von selbst vermehrt,
                                                                                   bereichen. Der Regisseur von „Nacktschnecken“ und
                                                                                   „Contact High“ über die hässlichste Stadt der Welt und
                   weil es weder Geschlechtsverkehr hat, noch arbeitet.            heimliche Touren mit „geborgten“ Mopeds.
VIEWÖsterreichs erstes Interview Magazin - Marlene Erhart
Interview: Wolfgang Zwander |Fotos: Anna-Lena Zintel

                                     André Müller „Ich verlange
                                     in einem Interview alles von mir“
                                     Der Literat André Müller gilt als bester
                                     Interviewer deutscher Zunge. Er löste mit
                                     seinen Gesprächen Skandale aus und war
                                     in den achtziger und neunziger Jahren ein
                                     Star der deutschsprachigen Feuilletons.
                                     Ein Gespräch über die Frage was gute von
                                     schlechten Interviews unterscheidet, warum er
                                     sie macht und warum der Leser sie liest.

                                     —— Sie gelten als der beste Interviewer im deutschsprachigen
                                     Raum. Was macht den Reiz eines guten Interviews aus?
                                     Ich habe es immer als lächerlich empfunden, wenn
                                     irgendjemand glaubt, es gibt auf irgendwelche Fragen
                                     irgendwelche Antworten. Die Fragen sind in Wirklich-
                                     keit natürlich genauso lächerlich. Den Reiz des Interviews
                                     macht das Spiel aus, das ich als Interviewer gegen mein
                                     Gegenüber gewinnen will.

                                     —— Wie gewinnt man dieses Spiel?
                                     Ein Interview ist eine an sich kranke Situation, in der sich   Zur Person
                                     der Befragte schamlos öffnen soll, der Interviewer aber
                                     nichts von sich preisgibt. Dieses Ungleichgewicht sollte       André Müller (62)
                                     aufgebrochen werden und der Interviewer muss einen             geboren 1946 in Branden-
                                     Monolog mit verteilten Rollen formen.                          burg, Deutschland, ist ein
                                                                                                    österreichischer Journalist
                                     —— Einen Monolog mit verteilten Rollen?                        und Schriftsteller. Er wuchs
                                     Jeder stellt doch bei allem Gesagten immer Bezüge zu           in Wien auf und studierte
                                     sich und seiner eigenen Gedankenwelt her. Niemand              hier Philosophie, Germanis-
                                     kann sich dem entziehen. Der Interviewer sollte daher          tik und Geschichte.
                                     versuchen, aus dem Befragten genau das rauszuholen, was        Ab 1967 arbeitete er als
                                     er von ihm hören will.                                         Gerichtsreporter und
        André Müller glaubt nicht,                                                                  Theaterkritiker bei der
dass es auf Fragen Antworten gibt.   —— Führt das nicht zu einem Machtkampf ?                       „Kronen Zeitung“, 1970
                                     Ich verlange in einem Interview ja auch alles von mir und      übersiedelte er nach
                                     nichts von meinem Gesprächspartner.                            München und wechselte zur
                                                                                                    „Abendzeitung“. Seit 1975
                                     —— Sie haben sogar öfter betont, Ihre Gesprächspartner seien   ist er freischaffend und
                                     Ihnen völlig egal. Stimmt das wirklich?                        sorgte mit den von ihm
                                     Das sage ich halt immer so. Diese Einstellung habe ich         geführten Interviews immer
                                     mir selbst zur These gemacht. Weil man ohne Interesse          wieder für Aufsehen.
                                     eine ziellose Neugier entwickeln kann, die eine ganz gute      Er veröffentlichte mehrere
                                     Grundlage für ein Gespräch ist.                                Bücher, seine Texte werden
                                                                                                    unter anderem in den
                                     —— Sie haben sich sogar damit gerühmt, dass Sie Interviews     Medien „Stern“, „Playboy“,
                                     nur wegen dem Geld machen.                                     „Die Zeit“ und „Der
                                     Das zeigt doch nur, wie arm ich bin.                           Spiegel“ abgedruckt.

                                                                                                                 Das Interview 7
VIEWÖsterreichs erstes Interview Magazin - Marlene Erhart
www.s-versicherung.at

Thomas Bernhard
verhalf André Müller
zum Durchbruch.

                         —— Ist das nicht auch eine Art Pose, mit der man signali-           für sich bin ich niemand, der gerne fragt. Ohne Bezah-
                         sieren will, die VIPs seien einem egal – oder ist es wirklich nur   lung frage ich wenig.
                         das Geld?
                         Wenn ich Erbe wäre, oder Rentier, dann würde ich keine              —— Kein Interesse an Ihren Mitmenschen?
                         Interviews machen. Obwohl sich im Gespräch dann schon               Die Frage ist doch: Was interessiert einen Menschen
                         manchmal Situationen entwickeln, von denen ich mir                  wirklich? Es interessiert einen nur, was die Geliebte
                         danach denke, es hat sich gelohnt, den getroffen zu haben.          denkt, von der man nicht verlassen werden will. Bis auf
                                                                                             reine Wissensfragen ist doch alles andere bloße Konversa-
                         —— Bei wem hat es sich gelohnt?                                     tion. Ich glaube nicht, dass irgendjemand an irgendje-
                         Bei Thomas Bernhard zum Beispiel, den wollte ich                    mandem anderen interessiert ist. Im Grunde reden wir
                         ja wirklich kennenlernen. Das Gespräch mit ihm war                  doch nur, damit die Zeit vergeht. Außer man hat dieses
                         dann auch eines der einfachsten überhaupt. Es war kein              Liebesinteresse.
                         Interview, wir funktionierten wie zwei Zahnräder, die
                         ineinander passten. Bernhard war ein sehr generöser Mann            —— Dafür, dass Sie nicht gerne fragen, sind Ihre Fragen
                         und hat eine ganz entscheidende Rolle in meinem Leben               ziemlich erbarmungslos. „Müller, der Killer“ wurden Sie
                         gespielt.                                                           genannt. Sie sind einer, der ständig versucht, Prominente in ihrer
                                                                                             Rolle als splitternackter Mensch darzustellen.
                         —— Was hat er gemacht?                                              Warum auch nicht? Was spricht dagegen? Wahrschein-
                         Kennen Sie die Geschichte meines Interviews mit Claus               lich mache ich das, weil ich ein Einzelkind bin, das ohne
                         Peymann?                                                            Vater aufgewachsen ist. Ich habe nie Hierarchien erlebt.
                                                                                             Ich habe mich auch nie länger in ein Angestelltenver-
                         —— Das Interview, das in Österreich einen Skandal auslöste,         hältnis fügen können, und ich habe auch nie wirkliche

„
                         weil der damalige Burgtheater-Direktor Peymann darin mehrere        Vorgesetzte gehabt, das könnte ich nicht ertragen.
                         Politiker, die Stadt Wien und die halbe deutsche Kulturproduk-
    Ein Interview ist    tion beleidigte?                                                    —— Sie konnten mit Ihren Arbeitgebern nicht?

                                                                                                                                                                                               n„•„‘—Œˆ•—ê–—„„—Œ†‹ê
eine an sich kranke      Bernhard hat damals verhindert, dass es nicht gedruckt              Ich konnte mit den Oberen immer besser als mit denen
Situation, in der sich   wird. Der „Spiegel“ wollte es nicht bringen, weil er recht-         aus der Mitteletage, die von oben getreten werden und
der Befragte schamlos    liche Konsequenzen fürchtete. Daraufhin sandte er es                dann weiter treten wollen. Das halte ich nicht aus, das
öffnen soll.“            ohne mein Wissen zur Autorisierung an Peymann, der es
                         aber nicht lesen wollte und an Bernhard weitergab. Und
                         Bernhard sagte, es müsse gedruckt werden. Am Ende ist
                                                                                             geht mit mir nicht.

                                                                                             —— Als Sie Anfang zwanzig waren, haben Sie auch einmal
                                                                                                                                                                                               Šˆ‰H•‡ˆ•—ꌑêwˆ‘–Œ’‘ê
                         es dann anstatt im „Spiegel“ in der „Zeit“ erschienen,
                         woraufhin mir die „Zeit“ mehrere Jahre lang ein Fixum
                         zahlte. Das hat mein Leben verändert, weil ich zum ersten
                                                                                             unter Hans Dichand im Kulturteil bei der „Kronen Zeitung“
                                                                                             gearbeitet – wie war der als Chef ?
                                                                                             Der Dichand war sehr lustig. Der hatte einen Schmäh
                                                                                                                                                                                               Œ—ꇈ•ê–êw•Œ™„—¾wˆ‘–Œ’‘
                         Mal für eine längere Periode regelmäßig Geld verdiente.             und ist nie wie ein Vorgesetzter aufgetreten, gab keine
                                                                                             Direktiven. Aber als ich dann einmal über einen ihm
                         —— Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen, sich auf die               bekannten Theaterdirektor irgendetwas Böses geschrieben
                         Form des Interviews zu spezialisieren?                              habe, wurde ich gekündigt.
                         Das bringt einem als freier Journalist einfach am meisten
                         Geld. Interviews sind in der Regel lang und die Chef-               —— Mitte der neunziger Jahre haben Sie einmal Jörg Haider                Auf der Suche nach der richtigen Vorsorge? Mit der s Privat-Pension schaffen Sie sich Ihre finanzielle Unabhängigkeit im
                         redaktion kann nur schwer etwas wegstreichen. An und                interviewt, wie haben Sie ihn erlebt?                                    Alter und können die volle staatliche Förderung in Anspruch nehmen.
8 Das Interview
                                                                                                                                                                      Kommen Sie jetzt zu Ihrem Kundenbetreuer in Erste Bank und Sparkassen.
VIEWÖsterreichs erstes Interview Magazin - Marlene Erhart
INFORMATION.
                                                                                                                                                           RASCH.
                                                                                                                                                           UMFASSEND.
André Müller war über
die offensichtlich schwule
                                                                                                                                                           Wir stellen folgende Informationsangebote
Atmosphäre in Haiders
Umfeld verwundert.
                                                                                                                                                           und Serviceleistungen zur Verfügung:

                             Es gab ja damals schon dieses Gerücht, dass er schwul           nen. Das geht aber eben meistens nicht in zehn Minuten         www.bundeskanzleramt.at
                             ist. Ich habe gewusst, thematisieren kann man das nicht,        im Fernsehen. Man hätte ihm nachweisen müssen, dass er
                             das wollte ich auch gar nicht. Als ich dann aber dort war,      ungenau denkt.                                                Der zentrale Internet-Auftritt
                             war ich wirklich erstaunt. Da sind auf einmal überall so
                             schnieke Bürschlein rumgerannt, das war so eine schwule         —— Wie halten Sie es mit der Politik?
                                                                                                                                                           des Bundeskanzleramtes
                             Atmosphäre. Ich habe mir gedacht: Na hör mal, der               Politik? Naja, ich wähle nicht. Ich kann mich in über-
                             getraut sich was! Der hat da überhaupt kein Geheimnis
                             daraus gemacht.
                                                                                             haupt keine Gruppe einordnen. Eine Zeit lang war
                                                                                             mir Joschka Fischer sehr sympathisch. Der ist mir aber         Servicetelefon 0800-222 666
                                                                                             inzwischen unerträglich geworden. Er wirkt wie dieser
                             —— Wie verlief das Interview?                                   typische Proletarier, der auf einmal etwas geworden ist.      Anfragen gebührenfrei
                             Er begann sofort zu blocken, verfiel in Verteidigungsre-        Wie er da rumstapft, mit dieser aufgesetzten Seriosität. Es   Montag bis Freitag: 9-18 Uhr
                             flexe, wurde wütend, wenn ich ihm Ungenauigkeiten               ist unfassbar, denn er war wirklich okay.
                             nachwies. Aber abgebrochen hat er nicht, er war eitel
                             und wollte in die deutsche Presse. An der Wand hingen
                             alle Titelblätter der Magazine, bei denen er am Cover
                                                                                             —— Spielt bei solchen Betrachtungen nicht ein bisschen der
                                                                                             Neid mit?
                                                                                                                                                            Europatelefon 0800-22 11 11
                             war, fein säuberlich gerahmt. Er hatte eine unglaubliche        Nein, um Gottes Willen. Ich bin auf niemanden neidisch.
                             Geltungssucht, um die zu stillen, war ihm jedes poli-           Wenn überhaupt, dann auf Menschen wie Rainer Werner
                                                                                                                                                           Für Anfragen zur Europäischen Union
                             tische Rezept recht. Mich hat gestört, dass er in seiner        Fassbinder. Diese hemmungslosen Selbstverwirklicher,          gebührenfrei, Montag bis Freitag 9-18 Uhr
                             Argumentation so ungenau war. Und nie hat ihn jemand            die sich einfach austoben können. Ich musste immer alles
                             an dieser Ferse gepackt. Trotzdem habe ich ihn aber auch        so furchtbar ökonomisch angehen. Wenn ich mir etwas
                             nie für so teuflisch gehalten, wie er eine Zeit lang interna-
                             tional eingeordnet wurde.
                                                                                             Schönes leisten wollte, dann musste ich dafür immer
                                                                                             buchhalterisch das Geld mit Interviews reinarbeiten.
                                                                                                                                                            Bürgerinnen- und Bürgerservice

„   Es interessiert
einen nur, was die
                             —— Sie denken, seine Dämonisierung war übertrieben?
                             Ich weiß natürlich nicht, was jemand wie er, der so stark
                             Opfer seiner eigenen undurchschaubaren Neurosen ist,
                                                                                             —— Gibt es jemanden, den Sie gerne interviewt hätten, aber
                                                                                             nie gekriegt haben?
                                                                                             Die meisten sind bereits tot. Jean Paul Sartre oder Mar-
                                                                                                                                                           Schriftliche Anfragen an: Bundeskanzleramt,
                                                                                                                                                           Bürgerinnen- und Bürgerservice
                                                                                                                                                           1014 Wien, Ballhausplatz 1
Geliebte denkt, von          machen würde, wenn er in einem wirklich wichtigen               lene Dietrich. Günther Grass wollte ich haben, aber der
der man nicht ver-           Land eine sehr mächtige Position hätte. In Österreich           hat gar nicht reagiert. Obwohl, dann hätte ich seinen         Fax: +43/1/53115-4274
lassen werden will.“         konnte er ja nicht so viel anrichten. Aber sicher sind das      ganzen Schrott lesen müssen. Also seine ganzen späteren       E-Mail: buergerservice@bka.gv.at
                             gefährliche Leute, die nicht die Gründe ihres Handelns          Sachen, das ist schon teilweise, naja… Wenn das jetzt in
                             erforschen. Das landet dann irgendwann bei Hitler. Aber         der Zeitung steht, dann ist es mit einem Interview mit
                             zum Glück gibt es ja die Demokratie, die solchen Leuten
                             Barrieren entgegenstellt.
                                                                                             Grass sowieso aus, aber das ist mir auch wurscht.              Servicezentrum HELP.gv.at
                                                                                             —— Wie fanden Sie dieses Interview?
                             —— Warum stehen die Medien solchen Personen oft so hilflos      Sie waren sehr kontrolliert, ich bin bei Interviews nicht
                                                                                                                                                           Informationen und Beratung betreffend
                             gegenüber?                                                      so kontrolliert. Man darf aber natürlich auch nicht die       E-Government und Bürgerkarte
                             Hilflos ist vor allem das Fernsehen. Dort wird einem nur        Oberhand verlieren. Wie alt sind Sie?
                             selten ein Denkfehler nachgewiesen, man konnte Haider
                                                                                                                                                           Ballhausplatz 1 (Eingang Schauflergasse), 1014 Wien
                             aber nicht mit Gegenmeinungen beikommen. Er war                 —— Vierundzwanzig.                                            geöffnet Montag bis Freitag 9-17 Uhr
                             ja wahnsinnig eloquent, sehr geschickt, und auf dieser          Da bin ich gerade erst nach München gekommen.                 Telefon: 0800 220 803 (gebührenfrei)
                             Ebene müssten sie ihm erst mal das Wasser reichen kön-          War entspannend mit Ihnen. •
                                                                                                                                                           E-Mail: servicezentrum@bka.gv.at
10 Das Interview
VIEWÖsterreichs erstes Interview Magazin - Marlene Erhart
Interview: Peter Babutzky und Theresa Aigner |Fotos: Jacqueline Godany

Maria Fekter
„Die wirklich Armen stellen nicht viele Asylanträge“
Wenn es um Recht und Ordnung geht, kennt die „Eiserne Lady“ aus der
Herrengasse kein Pardon. Maria Fekter steckt Kinder in Schubhaft und
würde für nichts auf der Welt demonstrieren gehen. Demokratie findet sie aber
trotzdem gut.

                            —— Frau Fekter, wofür würden Sie auf die Straße gehen?          —— Am 1. Mai wurde anlässlich des zehnten Todestages von
                            Für gar nichts. Auf die Straße zu gehen, ist für mich           Marcus Omofuma vor Ihrem Ministerium demonstriert. Omo-
                            persönlich keine Option.                                        fuma wurde bei seiner Abschiebung von Polizisten geknebelt und
                                                                                            ist anschließend erstickt. Wie beurteilen Sie den Fall zehn Jahre
                            —— Warum?                                                       danach?
                            Weil damit fast immer Exzesse und Ausschreitungen               Tragisch und dramatisch.
                            verbunden sind und ebenso Gewalt und Eskalation
                            möglich sind.                                                   —— Wurde Omofuma ermordet?
                                                                                            Nein. Der Fall ist sehr breit untersucht worden. Jeder
                            —— Aber sehen Sie das Recht auf Demonstrationsfreiheit und      Todesfall ist bedauerlich.
                            freie Meinungsäußerung nicht als eine wichtige Errungenschaft
                            der Demokratie?                                                 —— Die Beamten, die für den Tod von Omofuma verant-
                            Ja, Demonstrationsfreiheit ist ein demokratisches Grund-        wortlich sind, haben damals acht Monate auf Bewährung
                            recht, das ich respektiere und das für mich ein hohes Gut       bekommen. Finden Sie das gerecht?
                            ist. Ich bin ja als Innenministerin verantwortlich, die         Ich beurteile keine Entscheidung eines Richters. Das
                            Rahmenbedingungen für die Ausübung dieses Rechts zu             steht mir nicht zu.
                            gewährleisten, aber ich lehne Demonstrationen für mich
                            persönlich ab.                                                  —— Dass diese Beamten wieder im Dienst sind, liegt doch
Zur Person                                                                                  in Ihrem Verantwortungsbereich. Ist der verschuldete Tod eines
                            —— Als „einfache“ Person hat man wenige Möglichkeiten,          Menschen kein Entlassungsgrund?
Maria Fekter (53)           in der Öffentlichkeit Gehör zu finden. Da wird es doch zur      Man muss sich schon die Gesamtumstände ansehen.
wurde 1956 in Attnang-      Notwendigkeit sich mit anderen zusammenzuschließen und diese    Wenn das Gericht zur Erkenntnis kommt, dass es kein
Puchheim als Tochter        Anliegen in der Öffentlichkeit kundzutun.                       Mord war, dann müssen die Ressortverantwortlichen das
eines ÖVP Gemeinderats      Das glaube ich nicht. Es gibt eine Fülle von Dialog-            dementsprechend berücksichtigen.
und Kieswerk-Besitzers      möglichkeiten. Man kann seine Meinung ja auch in der
geboren. Diese Umstände     Presse äußern. Das muss nicht zwangsläufig auf der              —— Von Menschenrechtsorganisationen wird der Polizei
legten die politische       Straße sein. Aber wer diesen Weg wählt, soll das bitte          systematischer Rassismus vorgeworfen, da es immer wieder zu
Zugehörigkeit fest und      friedlich tun.                                                  Menschenrechtsverletzungen kommt. Wie beim Fall Seibane
brachten ihr den unchar-                                                                    Wague, der infolge einer Verhaftung starb...
manten Spitznamen           —— Hätte es bei Zwentendorf nicht diese große, öffentliche      ...Wie lange ist das her! Seibane Wague: sieben Jahre.
„Schotter-Mitzi“ ein.       Protestbewegung gegeben, stünde vielleicht ein Atomkraftwerk    Marcus Omofuma: zehn Jahre. Man kann doch nicht
Nach einem Jus- und         mitten in Österreich?                                           30.000 Polizisten vorwerfen, dass sie rassistisch sind,
BWL-Studium an der          Zwentendorf war eine Volksabstimmung. Das war das er-           weil es alle zwei Jahre zu solchen Zwischenfällen kommt.
Universität Linz startete   ste Votum, bei dem ich selber wählen durfte. Durch diese        Die rassistische Tendenz ist in der Polizei sicher nicht
Fekter ihre politische      Volksabstimmung ist Zwentendorf geschlossen worden.             ausgeprägter als in der Gesamtbevölkerung.
Karriere im kleinen
Gemeinderat von Attnang-    —— Aber zu diesem Votum wäre es wahrscheinlich nicht            —— Der schwarze, US-amerikanische Sportlehrer Mike
Puchheim.                   gekommen, wäre dem nicht der Protest auf der Straße voran-      Brennan wurde erst vor kurzem von zwei Polizisten in der
Im Juli 2008 stieg sie      gegangen.                                                       Wiener U-Bahn krankenhausreif geprügelt.
zur mächtigsten Frau in     Ich glaube, dass man in einer Demokratie die Straße nicht       Es ist nicht bewiesen, dass das rassistisch motiviert war.          Innenministerin Maria Fekter
der Regierung auf und       zwangsläufig braucht. Ich toleriere dieses Recht, aber für      Nicht jede Amtshandlung ist ein Exzess. Wenn die Exe-               wehrt sich gegen Rassismusvorwürfe.
übernahm das                mich persönlich lehne ich es ab. Meinungen können ja            kutive im U-Bahn Bereich gegen Drogendealer vorgeht,                „Nicht jede Amtshandlung der
Innenressort.               auch über die Medien transportiert werden.                      halte ich das für gut. Die Bevölkerung fürchtet sich                Polizei ist ein Exzess.“

12 Das Interview
VIEWÖsterreichs erstes Interview Magazin - Marlene Erhart
übrigens nicht vor der Polizei, sondern vor den Drogen-          —— Waren Sie schon einmal in einer Schubhaft?                gemeint ist, sondern eher einen negativen Beigeschmack           umso fundamentaler werde ich in diesen Fragen. Das war
                          dealern.                                                         Ich kenne natürlich solche Einrichtungen.                    hat, den man mir umhängen will.                                  ich zu Beginn meiner Karriere noch nicht.

                          —— Ist es nicht auffällig, dass bei diesen Polizei-Skandalen     —— Warum werden immer wieder auch Kinder in Schubhaft        —— Sie sind als Innenministerin eine der mächtigsten Frauen      —— Und wo stehen Sie jetzt?

„
                          immer Afrikaner die Opfer sind?                                  gesteckt?                                                    in Österreich und leiten eines der größten Ministerien der Re-   Die Emanzipation ist eigentlich steckengeblieben.
                          Das stimmt doch so nicht. Ich wehre mich dagegen, dass           Weil man eine Familie nicht trennen soll. Ich will nicht     publik. Ist man da nicht manchmal nervös?                        Allerdings nicht für uns Karrierefrauen. Wir haben
    Ute Bock deckt eine   die Polizei als rassistisch bezeichnet wird, wie das manche      verantwortlich sein, dass minderjährige Kinder unter-        Ich bin kein ängstlicher Typ und aufgrund meiner                 relativ viele Defizite bei Frauen mit Migrationshinter-
Nische ab. Sie ist en-    Medien tun. Genauso wenig darf man sagen, dass alle              tauchen und wir dann Kinder suchen müssen. Können Sie        politischen Erfahrung gehört Nervosität auch nicht zu            grund. Bei denen fehlt die partnerschaftliche Beziehung,
gagiert, das muss man     Afrikaner Drogendealer sind.                                     sich etwa nicht an den Fall Arigona erinnern?                meinen Problembereichen.                                         der respektvolle Umgang miteinander, die Möglichkeit
wohl gut finden.“                                                                                                                                                                                                        der gesellschaftlichen Teilhabe – das ist etwas, das in der
                          —— Aber viele Asylwerber rutschen in die Kriminalität ab,        —— Gibt es keine alternative Einrichtung für diese Kinder?   —— Es gibt relativ wenige Frauen in Österreich, die in einem     Mehrheitsgesellschaft Gott sei Dank überwunden ist.
                          weil sie in Österreich nicht arbeiten dürfen.                    Muss man sie wirklich ins Gefängnis sperren?                 politischen Kontext so hohe Funktionen erreichen. Die Frauen-
                          Nein, Asylwerber dürfen hier zum Beispiel als Saisonniers        Wir haben die Regelung, dass jene, die ihren ersten          quote im Nationalrat ist zuletzt sogar gesunken. Ist das nicht   —— Waren Sie eigentlich schon immer ein politischer Mensch?
                          arbeiten. Die Straftäter rutschen nicht ab – die sind schon      Asylantrag in einem EU-Land gestellt haben, dorthin          ein Armutszeugnis für Österreich?                                Nein. Während meiner Studienzeit in Linz hat mich die
                          kriminell. Diese Verbrecher verstecken sich nur unter            auch zurückgeschoben werden (Anm.: das sogenannte            Dieses Problem ist ein großes Mosaik an kleinen Ursa-            linke Seite, also der VSStÖ, angesprochen. Eine Studien-

                                                                                                                                                                                                                                                                                       „
                          dem Deckmantel unseres Asyl-Systems.                             Dublin-Verfahren). Damit diese Menschen vor der Ab-          chen, die aber in Summe diese negative Wirkung haben.            kollegin hat mich gefragt, ob ich nicht politisch tätig
                                                                                           schiebung nicht untertauchen, kommen sie in Schubhaft.       Es fängt damit an, dass wir noch immer ein sehr tradi-           sein möchte, weil ich so eloquent war. Ich habe damals
                          —— Können Sie nicht nachvollziehen, dass viele Menschen                                                                       tionelles Rollenverhalten haben. Mädchen und Burschen            geantwortet: „Um Himmels Willen, das ist immer in der             Je älter ich werde
                          unter enormen Strapazen vor schlechten Lebensbedingungen         —— Waren Sie schon einmal bei der Flüchtlingshelferin        sind anders sozialisiert, das setzt sich fort in der Berufs-     Freizeit. Man muss dauernd auf irgendwelche Veranstal-        und je länger ich
                          flüchten?                                                        Ute Bock im zweiten Wiener Bezirk?                           wahl. Männer überlegen sich nie, ob sie den Job, der             tungen gehen, zu denen man privat niemals hingehen            politisch tätig bin,
                          Doch, das kann ich natürlich. Die Armut in vielen Län-           Ich kenne Ute Bock. In ihrem Heim war ich aber noch          ihnen angeboten wird, schaffen können. Bei Frauen ist            würde. Also nein, Politik, das widerspricht meiner            umso fundamentaler
                          dern braucht man ja auch gar nicht zu leugnen. Ich kann          nie.                                                         das die erste Frage, die sie sich stellen. Männer denken in      Lebensqualität!“ Ich bin dann erst mit 28 Jahren politisch    werde ich in der
                          als Innenministerin aber nicht die Millionen Armen, die                                                                       Männernetzwerken und schanzen sich dann die Posten zu.           tätig geworden.                                               Frauenfrage.“
                          zu uns kommen wollen, aufnehmen. Außerdem stel-                  —— Schätzen Sie die Arbeit von Ute Bock?
                          len die wirklich Armen, zum Beispiel die Afrikaner, bei          Sie deckt eine Nische ab. Sie ist engagiert, das muss man    —— Wie geht es Ihnen da als Frau in der ÖVP, in der es           —— Das war dann aber nicht mehr für die linke Seite...
                          uns ja gar nicht so viele Asylanträge. Die Mehrheit der          wohl gut finden.                                             einen Cartellverband gibt, in dem fast ausschließlich Männer     ...Nein. Das hängt mit dem familiären Umfeld zusam-
                          Aslysuchenden in Österreich sind Russen, Serben und                                                                           netzwerken?                                                      men. Mein Papa war schon für die ÖVP Gemeinderat.
                          Kosovaren. Im Vergleich zu manchen Afrikanern geht es            —— Die Medien bezeichnen Sie oft als „Hardlinerin“,          Auch Frauen bauen Netzwerke auf. Aber dann kommt                 Und ich bin ja auch eine Schwarze – eine Tiefschwarze. •
                          denen gut.                                                       „Eiserne Lady“ oder „Law and Order“-Politikerin.             der Karriereknick durch die Babypause. Es ist aus meiner
                                                                                           Empfinden Sie sich selbst als solche?                        Sicht eine schlechte gesellschaftliche Entwicklung,
                          —— Die Asylsuchenden aus Russland kommen aber vorwie-            Die „Eiserne Lady“ war Margret Thatcher. Das war eine        dass man als Frau eher dann Karriere macht, wenn man
                          gend aus Tschetschenien. Dort herrscht seit Jahrzehnten Krieg.   ausgesprochen erfolgreiche Persönlichkeit. Ich würde         kinderlos bleibt. Es ist auch sehr eigenartig, wenn man
                          Geht es denen wirklich gut?                                      es vermessen finden, mich mit der Maggie Thatcher zu         sich die Lebensmodelle unserer Regierungsmitglieder
                          Der Krieg ist ja vorbei.                                         vergleichen, weil diese Frau Geschichte geschrieben hat.     anschaut. Die Herren Minister sind alle verheiratet und
                                                                                           Negativ ist der Begriff für mich nicht.                      haben einen Haufen Kinder, die Ministerinnen sind aber
                          —— Offiziell.                                                                                                                 unverheiratet. Die Männer nehmen das nicht mal als ein
                          Die Truppen sind abgezogen. Aber es stimmt. Es gibt              —— Sie können also mit dem „Law and Order“-Image gut         Problem wahr.
                          dort natürlich immer noch Clan-Konflikte. Da möchte              leben?
                          ich auch gar nicht beurteilen, wer die Guten und wer die         Ich habe kein Problem damit, auch wenn ich weiß, dass        —— Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?
                          Bösen sind.                                                      das „Law and Order-Etikett“ nicht als Kompliment             Je älter ich werde und je länger ich politisch tätig bin,

14 Das Interview                                                                                                                                                                                                                                                                               Das Interview 15
VIEWÖsterreichs erstes Interview Magazin - Marlene Erhart
Interview: Peter Babutzky |Fotos: Jerome Tabet

Daniel Tammet
„Vier ist schüchtern – genau wie ich“
Daniel Tammet ist Autist. Er lernt eine Fremdsprache in nur einer Woche.
Er löst hochkomplexe Rechnungen in nur wenigen Sekunden und merkt sich
die Kreiszahl „Pi“ bis zur 22.514. Stelle nach dem Komma.
Doch seine Begabung hat auch Schattenseiten.                                                                                                                                                                                                                                           „Als Kind hatte ich keine
                                                                                                                                                                                                                                                                                       Freunde“. Daniel Tammet
                                                                                                                                                                                                                                                                                       musste erst lernen,
                                                                                                                                                                                                                                                                                       mit anderen Menschen
                                                                                                                                                                                                                                                                                       umzugehen.

                              —— Ein sanfter Händedruck. Ein leichtes Lächeln. So          Beziehung mit Neil Mitchell scheiterte. Heute lebt Tam-
                              begrüßt mich Daniel Tammet im Cafe l’Opera im süd-           met in Avignon – mit seiner neuen Liebe Jerome, den er
                              französischen Avignon. Dass Tammet mit einem fremden         während des Interviews nicht aus den Augen lässt: „Ob er
                              Menschen redet, ist für ihn keine Selbstverständlichkeit.    heute glücklich ist?“, frage ich. „Ja, Glück bedeutet für
                              Tammet hat Autismus. Fremde Menschen machen ihn              mich frei zu sein. Und ich fühle mich frei.“
                              nervös. Jemandem die Hand zu geben, ihm in die Augen
                              zu schauen, musste er erst jahrelang lernen. Gleichzeitig    —— Herr Tammet, Sie sprechen zwölf Sprachen, haben
                              ist Tammet ein Genie, ein Savant – ein Wissender. Sein       Deutsch in nur einer Woche gelernt und sind dazu noch ein
                              Autismus ist Fluch und Segen zugleich. Doch in seiner        Rechengenie. Sind manche Menschen neidisch auf Sie?
                              Kindheit war seine „Krankheit“ vor allem eins: eine          Neidisch? Vielleicht. Aber ich könnte ja auch auf viele
                              Belastung. Als Baby weinte er ununterbrochen, schlug         Menschen neidisch sein. Zum Beispiel kann ich aufgrund
                              seinen Kopf gegen Wände. Mit drei Jahren brachte ein         meines Autismus nicht Auto fahren, weil ich mich nicht
                              schwerer epileptischer Anfall sein Savant-Syndrom, und       auf verschiedene Dinge gleichzeitig konzentrieren kann.
                              damit seine Genialität, zum Vorschein. Als Kind begann       Außerdem kann ich mir Gesichter nur schwer merken.
                              er zu rechnen: 82 x 82 x 82 x 82 = ? – nach zehn Sekun-
Zur Person                    den wusste er die Antwort. In der Schule blieb er einsam.    —— Warum fällt Ihnen das Erkennen von Gesichtern schwer?      —— Die Welt der Zahlen?                                        —— Zahlen sind aber nicht Ihr einziges Spezialgebiet. Sie
                              Er war ein schüchterner, zurückgezogener Junge.              Die menschliche Mimik ist extrem komplex. Mit jedem           Zahlen sind für mich etwas Schönes. Ich sehe sie in unter-     haben Deutsch und Isländisch in nur einer Woche gelernt. Wie
Daniel Tammet (30)                                                                         Ausdruck verändert sich das Gesicht eines Menschen. Ich       schiedlichen Farben, Formen und Schatten. Ich visuali-         machen Sie das?
kam 1979 in London zur        Von sozialen Problemen merkt man heute nicht mehr            habe sogar Probleme Freunde und Verwandte zu erken-           siere sie, was man in der Fachsprache Synästhesie nennt.       Das Wichtigste ist, keinen Stress zu haben. Ich lese mir
Welt. Er ist ein so-          viel. Tammet spricht in schönstem Oxford-English.            nen. Darum habe ich Fotos von all meinen Freunden, die        Jede Zahl zwischen eins und 10.000 hat für mich eine           Kinderbücher laut vor und versuche meiner Intuition zu
genannter „Savant“ (ein       Er redet wie gedruckt, stockt und stottert nicht. Er wirkt   ich mir immer wieder anschaue, um die Menschen dann           eigene Persönlichkeit.                                         folgen. Und vor allem lerne ich eine Sprache anders als in
Wissender), der aufgrund      jünger als 30 Jahre. Wenn Tammet über die negative           zu erkennen.                                                                                                                 der Schule.
seiner persönlichen           Seite seines Autismus spricht, wenn er über die schwarzen                                                                  —— Welche Zahlen beeindrucken Sie denn am meisten?
Ausformung von Autismus       Tage seiner Kindheit berichtet, dann fällt sein Blick        —— Sie hatten als Kind auch Probleme Freunde zu finden.       Elf ist für mich eine richtig schöne Zahl. Sie ist glän-       —— Warum? Lernt man in der Schule falsch?
besondere Leistungen          immer wieder auf Jerome – seinen Lebensgefährten,            Ja, ich habe als Kind noch nicht gewusst, dass ich            zend und freundlich. Vier ist hingegen introvertiert und       Ja. Es hat keinen Sinn, Phrasen oder einzelne Wörter
vollbringen kann. Tammet      der mit uns am Tisch sitzt. Er ist heute seine Stütze.       irgendwie anders bin. Ich war immer ein Außenseiter,          schüchtern. Mit dieser Zahl konnte ich als Kind sehr gut       einfach auswendig zu lernen. Ich suche Muster in der
spricht zwölf Sprachen.                                                                    was sehr schmerzhaft und frustrierend für mich war. Als       spielen, da ich mich mit der Zahl vier identifiziere.          Sprache. Zum Beispiel sind im Deutschen Wörter mit

                                                                                                                                                                                                                                                                                       „
Unter anderem Isländisch,     Früher waren Tammets Eltern und seine acht Geschwis-         Kind möchte man ja vor allem eins: Mit anderen Kindern                                                                       „kn“ am Wortanfang oft etwas Kleines. Knopf, Knolle,
Litauisch oder Rumänisch.     ter sein einziger Anker. Sie sahen in ihm nicht das          spielen und viele Freunde finden. Durch meine autistische     —— Die Visualisierung von Zahlen hat Ihnen auch bei            Knospe. Oder Wörter mit „str“ am Wortbeginn bezeich-
Dazu stellte er 2004 einen    seltsame Kind, sondern den großen Bruder. Die Mutter         Erkrankung hatte ich aber große soziale Probleme. Ich         einem Europarekord geholfen. Sie haben die Zahl „Pi“ bis zur   nen oft etwas Langes. Strand, Straße, Strumpf..                    Zahlen sind für
Europarekord auf, in dem er   war Sekretärin. Der Vater Stahlarbeiter, der das ganze       konnte darum nur schwer Freunde finden und wusste             22.514 Stelle nach dem Komma auswendig aufsagen können.                                                                       mich etwas Schönes.
die Zahl „Pi“ bis zur         Leben an Epilepsie litt und schließlich auch daran starb.    einfach nicht warum.                                          Ja, richtig. Aber auswendig ist das falsche Wort. Ich          —— Naja, trotzdem können nur die Wenigsten eine Sprache        Ich sehe sie in unter-
22.514. Stelle nach dem       Trotz seiner Scheu schaffte Tammet mit 18 Jahren die                                                                       nutze die Visualisierung von Zahlen und schaffe mir            in einer Woche lernen.                                         schiedlichen Formen,
Komma aufsagen konnte.        Schule und wagte einen gewaltigen Schritt: Er ging nach      —— Nun sind Sie kein Außenseiter geblieben. Sie führen eine   dadurch eine Art Landschaft, die ich vor meinem inneren        Das sehe ich gar nicht so. Ich versuche, eine Sprache intu-    Farben und Schatten.“
Nur etwa hundert              Litauen, um dort Englisch zu unterrichten. Die Fremde        glückliche Beziehung und haben viele Freunde. Wie haben Sie   Auge sehen kann. So habe ich mir dann auch die Zahl            itiv zu lernen – wie das kleine Kinder auch machen. Ich
Menschen weltweit besitzen    tat ihm gut. Er fand Freunde, ging ins Kino – er lernte      Ihre Probleme überwunden?                                     „Pi“ eingeprägt und wiedergegeben.                             glaube, dass durch die Schule und durch das Alter diese
diese Fähigkeiten. Doch er    zu leben. Zurück in England begegnete er seiner ersten       Ich habe die anderen Kinder damals einfach beobachtet                                                                        Form des intuitiven Lernens mehr und mehr verloren
ist nahezu der Einzige, der   großen Liebe: Neil Mitchell. „Ich wusste schon in meiner     und mir ihr soziales Verhalten eingeprägt. Zum Beispiel       —— Wie wichtig ist Ihnen dabei Perfektion? Sie haben keinen    geht. Trotzdem glaube ich, dass jeder eine Sprache relativ
über die Vorgänge in          Jugend, dass ich schwul bin und das fühlt sich für mich      ist ein Gespräch eine enorm schwierige Sache. Man muss        einzigen Fehler bei diesen 22.514 Stellen gemacht.             einfach lernen kann.
seinem Kopf auch sprechen     total richtig und natürlich an“, sagt Tammet im Inter-       merken, wann der andere mit seinem Satz fertig ist. Man       Natürlich wollte ich, dass es makellos ist. Die Zahl „Pi“
kann. Tammet lebt heute       view. Gemeinsam gründeten sie die e-learning Plattform       sollte Augenkontakt halten und dann auch noch die             ist unglaublich schön. Wenn ich einen Fehler gemacht           —— Sie sprechen in Ihrem neuen Buch „Wolkenspringer“
mit seinem französischen      „Optimnem“, auf der sie Sprachkurse anboten. 2006            Körpersprache beachten. Was für andere sehr leicht ist,       hätte, hätte ich diese Schönheit zerstört. Wenn man ein        ja auch von einer universellen Grammatik.
Lebensgefährten in            veröffentlichte Tammet seine Memoiren „Born on a blue        musste ich erst lernen. Als Kind habe ich mich dann oft       Stück aus einem Gemälde rausschneidet, dann ist es auch        Diese Theorie kommt eigentlich von Noam Chomsky. Sie
Avignon.                      day“ und wurde damit schlagartig berühmt. Doch seine         in die Welt der Zahlen geflüchtet.                            weniger schön.                                                 besagt, dass Kinder eine Sprache eben nicht nur durch

16 Das Interview                                                                                                                                                                                                                                                                                 Das Interview 17
VIEWÖsterreichs erstes Interview Magazin - Marlene Erhart
„   Ich möchte mit
Sprache spielen.
                      Zuhören lernen, sondern dass in jedem Menschen auch
                      ein natürliches Gespür für Sprache schlummert. Das
                                                                                    —— Heute misst man Intelligenz mit dem IQ-Test. In
                                                                                    Österreich zum Beispiel bei Aufnahmeprüfungen für manche
Darum habe ich eine   würde auch erklären, warum Kinder ihre erste Sprache          Hochschulen.
eigene Sprache        sehr leicht lernen.                                           Der IQ-Test besagt doch nur, dass man gut oder schlecht
erfunden – Mänti.“                                                                  in diesem Test ist – sonst nichts. Das ist für mich total
                      —— Warum glauben Sie das?                                     bizarr. Man kann doch nicht etwas messen, was nicht
                      Denken Sie doch nur an die vielen Gemeinsamkeiten, die        messbar ist.
                      unterschiedliche Sprachen haben. Wörter mit „i“ sind in
                      sehr vielen Sprachen etwas Kleines. „Petite“ im Franzö-       —— Aber dumme Menschen gibt es schon, oder?
                      sischen, „winzig“ im Deutschen, „tiny“ im Englischen.
                      Wir haben alle einen Sprachinstinkt – wir müssen ihn nur
                      nutzen.
                                                                                    Nein. Es gibt nur dumme Handlungen. Ich kenne sehr
                                                                                    gebildete Menschen, die unglaublich dumme Sachen
                                                                                    machen.
                                                                                                                                                     Ein Fall für 2 >
                      —— Sie haben auch eine eigene Sprache erfunden, die „Mänti“
                      heißt. Wozu?
                                                                                    —— Der Autismus hat Ihnen geholfen, sehr viel Intelligenz
                                                                                    zu zeigen. Gleichzeitig behindert er Sie auch. Wenn Sie selber
                                                                                                                                                     Gesucht: der Unterschied
                                                                                                                                                     zwischen Hanni und Nanni
                      Ich möchte mit Sprache spielen. Und wenn ich das mit          ein Kind hätten, würden Sie wünschen, dass es Ihre Form von
                      Französisch oder Englisch mache, wären mir vielleicht ein     Autismus erbt?
                      paar Sprachliebhaber böse. Darum habe ich eine eigene         (überlegt lange) Diese Antwort fällt mir schwer. Aber:
                      Sprache entwickelt. Mir macht es einfach sehr viel Spaß,      Man kann es sich nicht aussuchen. Dennoch bin ich davon
                      eine eigene Sprachlogik zu entwerfen.                         überzeugt, dass jedes Leben einen Wert hat.

                      —— Außer Ihnen spricht aber niemand diese Sprache.
                      Stimmt, die ist nur für mich (grinst).
                                                                                    —— In der Geschichte gab es aber immer wieder Bestrebungen,
                                                                                    eine „Herrenrasse“ zu züchten – zum Beispiel bei den
                                                                                                                                                                     Österreich und die EU > unterhalten
                                                                                    Nationalsozialisten.                                                             eine erfolgreiche Partnerschaft in den Belangen Wissenschaft
                      —— Waren Sie jemals von Ihren eigenen Fähigkeiten über-       Da muss man gar nicht auf die Nazis verweisen. Sogar                             und Forschung. Für diese Bereiche erhält Österreich mehr
                      rascht?                                                       Winston Churchill hat die Eugenik befürwortet (Anm.:
                      Ich kann natürlich Sachen, die nicht jeder kann. Aber ich     Wissenschaft, die „Erbkrankheiten“ auslöschen will).                             Geld, als es einzahlt. So können österreichische Forscher/-
                      denke auch, dass jeder auf eine gewisse Art so lernen kann    Viele wollen sich ja auch in unserer Zeit ein Designer-
                      wie ich. Ich glaube übrigens, dass es typisch westlich ist,   Baby zusammenstellen. In Zukunft werden wir das viel-                            innen zum Beispiel erforschen, warum eineiige Zwillinge
                      dass man Sprache als schwer empfindet.                        leicht auch können. In England arbeiten Wissenschaftler                          biochemisch verschieden sein können. Damit etwa
                                                                                    gerade daran, Autismus schon vor der Geburt zu erken-
                      —— Warum?                                                     nen.                                                                             eine Krankheit nicht unausweichlich doppelt
                      In Afrika ist es selbstverständlich, dass die Menschen                                                                                         gemoppelt wird……
                      mehrere Sprachen sprechen, die zum Teil viel kompli-          —— Wie denken Sie darüber?
                                                                                                                                                     Johannes Hahn
                      zierter sind als etwa Deutsch. Deutsch hat drei               Das ist für mich sehr besorgniserregend. Die Welt würde
                      Geschlechter: der, die, das. In Afrika gibt es Sprachen,      so viel verlieren. Denken Sie nur an die vielen Autisten,
                      die bis zu 16 Geschlechter haben.                             die etwas Wunderbares geschaffen haben. Sie kompo-
                                                                                    nieren Symphonien wie Derek Paravicini, malen Gemälde
                      —— Was bedeutet für Sie eigentlich Intelligenz?               wie der Niederländer Willem van Genk oder helfen, so
                      Das ist etwas sehr Persönliches und meiner Meinung nach       wie ich, der Wissenschaft, um das menschliche Gehirn zu
                      nicht messbar. Früher haben Wissenschaftler Schädel           erforschen. •                                                                    www.bmwf.gv.at                       Bundesministerium für Wissenschaft
                      vermessen und gemeint, sie können aufgrund der Schädel-
                                                                                                                                                                                                          und Forschung
                      größe irgendwelche Aussagen über Intelligenz machen.
                      Das ist Unsinn.

18 Das Interview
Interview: Peter Babutzky |Fotos: Jacqueline Godany

Olugbenga Oduala
„Meine Hautfarbe ist mein Joker“
Als 18-jähriger Wirtschaftsflüchtling kommt Olugbenga Oduala 1978
von Nigeria nach Wien und beginnt als Tellerwäscher und Schneeräumer zu
arbeiten. Heute errichtet er als Manager für den österreichischen Bau-
konzern PORR Hochhäuser in ganz Europa. Im Interview spricht Oduala
über seinen Weg nach oben, Drogenhandel und warum ihn „Negerwitze“
kalt lassen.

                               —— Herr Oduala, was hat Sie ausgerechnet nach Österreich       Meinungsbildung aus. Viele sagen dann lieber: Weg mit
                               geführt?                                                       den Ausländern!
                               Ich wollte nach Österreich, weil Menschen aus der so-
                               genannten „Dritten Welt“ hier gratis studieren durften.        —— Warum schaffen politische Gruppen und die Medien Ihrer
                               In der Schweiz, meiner ersten Station in Europa, war das       Meinung nach solche Feindbilder?
                               anders. Man brauchte für ein Studium einen reichen On-         Ich bin kein Psychologe. Aber es gibt immer fremden-
                               kel oder einen reichen Vater – die hatte ich aber nicht.       feindliche Menschen. Überall auf der Welt – auch in
                                                                                              Nigeria. Die politischen Gruppen wollen mit ihrer rassis-
                               —— Konnten Sie Deutsch?                                        tischen Hetze mehr Stimmen gewinnen. Die Medien wie-
                               Kein Wort. Ich habe ein Wort im Flieger gelernt und das        derum schaffen diese Feindbilder nicht, aber sie berichten
                               war „danke“. Erst an der Uni Wien und am Goethe-Insti-         sehr viel über ausländerfeindliche politische Gruppen und
Zur Person                     tut habe ich Deutsch gelernt. Außerdem musste ich hier         verstärken dadurch deren Aussagen.
                               noch die österreichische Matura nachholen, weil meine
Olugbenga Oduala (39)          Matura aus Nigeria nicht anerkannt wurde.                      —— Sie haben nach der Matura an der Technischen Uni-
wird 1970 in Lagos, der                                                                       versität in Wien studiert. Wurden Sie dort akzeptiert?
größten Stadt Nigerias,        —— Nach heutiger Gesetzeslage müssten Sie sogar mehr           Es hat natürlich Probleme gegeben. Zum Beispiel haben
geboren. Mit 18 Jahren         Studiengebühren zahlen als österreichische Staatsbürger und    mir manche Professoren schlechtere Noten gegeben, als
kommt er nach Wien.            EU-Bürger. Außerdem würden Sie mit sehr hoher Wahrschein-      ich verdient hätte. Andere waren wiederum erstaunt, dass
Oduala beginnt an der          lichkeit keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, weil Sie ein   ich überhaupt antworten konnte, so dass ich sogar bessere
Technischen Universität in     sogenannter „Wirtschaftsflüchtling“ sind...                    Noten bekommen habe. Ich habe Diskriminierung
Wien Bauingenieurwesen zu      Da bin ich mir nicht sicher.                                   gespürt und gesehen. Diese Wehwehchen waren für mich
studieren. Nach dem                                                                           aber nicht maßgebend. Wenn von zehn Leuten acht in              „Ich kriege immer, was ich will!“
Studium arbeitet er sich im    —— Nicht sicher? Warum?                                        Ordnung sind, konzentriere ich mich eben nicht auf die          Olugbenga Oduala lässt sich von
österreichischen Baukon-       Wissen Sie: Ich kriege, was ich will (lacht).                  zwei, die mit mir nicht korrekt umgehen, sondern auf die        Rassisten nicht den Weg verstellen.
zern PORR kontinuierlich                                                                      positive Mehrheit.
hoch. Heute leitet Oduala      —— Vielen Asylsuchenden geht es aber nicht so. Warum geht
den Bereich Hochbau            die Entwicklung immer mehr in Richtung Abschottung?            —— Blenden Sie damit nicht die Realität aus?
Großprojekte in Mitteleu-      Ich begründe es so: Ich lade einen zu mir zum Essen            Wenn es einen Berg gibt, muss ich ihn überwinden. Das-
ropa und ist zusätzlich seit   ein. Das ist kein Problem. Aber wenn statt einem gleich        selbe habe ich mit den Skinheads auf der Straße gemacht.
2008 Vorstandsmitglied in      mehrere Menschen kommen, wird das für viele ein                Da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder nehme ich es
der Slowakei. Er war in        Problem. Ich glaube, dass die abwehrende Reaktion sehr         mit ihnen auf oder ich mache einen Bogen um sie. Ich
Wien unter anderem             menschlich ist.                                                bin ihnen immer aus dem Weg gegangen. Was nutzt mir
verantwortlich für den Bau                                                                    die Konfrontation? Ich will mein Ziel erreichen und mir
der neuen Abflughalle am       —— Also ist alles o.k.?                                        nicht von solchen Leuten den Weg verstellen lassen.
Flughafen Schwechat und        Nein, das Problem ist nicht, dass jemand behauptet,
für den Kinokomplex in der     dass es zu viel Zuwanderung gibt, sondern die negative         —— Sie haben während Ihrer Studienzeit als Tellerwäscher
Millennium City. Oduala ist    Stimmung, die von politischen Gruppen und Medien               und Schneeräumer gearbeitet. Haben Sie in diesen Berufen mehr
mit einer Wienerin             gemacht wird. Man kann Probleme, die es mit Migra-             Rassismus erlebt als in der sogenannten „Bildungselite“?
verheiratet und hat mit ihr    tion gibt, auch sachlich erklären. Medien und politische       Nein. Die Prozentzahl von Rassisten ist in der obersten
zwei Kinder.                   Gruppen üben aber einen sehr starken Einfluss auf die          und untersten Klasse annähernd gleich. Der Unterschied

20 Das Interview
„  Wenn ich Bilder
                                                                                                                                                                                                                                                                                      von afrikanischen
                                                                                                                                                                                                                                                                                      Flüchtlingen an den
                                                                                                                                                                                                                                                                                      Küsten Europas sehe,
                                                                                                                                                                                                                                                                                      weint mein Herz.“

                                                                                     Natürlich sind nicht alle Nigerianer Drogenhändler.                —— Haben Sie je an eine Rückkehr nach Nigeria gedacht?        —— Nigeria hat enorme Ölvorkommen und Bodenschätze.
                                                                                     Der Bevölkerung das zu sagen, ist aber sehr anstrengend.           Am Anfang ja. Aber ich habe hier eine eigene Familie          Trotzdem gelingt es seit Jahrzehnten nicht, diesen Reichtum
                                                                                                                                                        gegründet. Somit ist Österreich meine erste Heimat            gerecht zu verteilen. Außerdem kommt es immer wieder zu
                                                                                     —— FPÖ und BZÖ argumentieren, dass Wirtschafts-                    geworden und Nigeria meine „Herzheimat“.                      gewalttätigen Auseinandersetzungen innerhalb der Bevölkerung.
                                                                                     flüchtlinge das österreichische Sozialsystem ausbeuten. Sie sind                                                                 Verzweifeln Sie manchmal an dieser schier ausweglosen Situa-
                                                                                     das lebende Gegenbeispiel. Was sagen Sie denn solchen Leuten?      —— Sie haben 13 Geschwister. Sind sie alle noch in Nigeria?   tion?
                                                                                     Das ist alles Schwachsinn. Ich liebe Österreich. Ich bin           Fünf sind in England und Irland. Alle anderen sind noch       Mein Vater hat immer gesagt: Wenn du die Welt verän-
                                                                                     mit einer Wienerin verheiratet. Meine Kinder sind selber           in Nigeria.                                                   dern willst, dann schau in den Spiegel und versuche den
                                                                                     Österreicher. Im Baugewerbe ist außerdem eines klar:                                                                             Mann im Spiegel zu ändern – erst dann hast du Erfolg.
                                                                                     Ohne sogenannte Ausländer müssten alle österreichischen            —— Unterstützen Sie mit ihrem Gehalt Ihre Familie in          Ich glaube von mir, dass ich diesem Grundsatz folge. •
                                                                                     Baufirmen zusperren. Dasselbe gilt für die Gastronomie             Nigeria?
                                                                                     und den Pflegebereich. Ich persönlich habe mich auch               Ja, sicher! Ohne meine finanzielle Unterstützung wäre es
                                                                                     noch nie als Ausländer betrachtet. Ich bin ein Nigerianer,         eine Katastrophe.
                                                                                     der auch die österreichische Staatsbürgerschaft hat. Aber
                                                                                     ich bin doch kein Ausländer. Ich bin ein Weltbürger. Ich           —— Wie geht es Ihnen persönlich, wenn Sie im Fernsehen
                                                                                     fühle mich überall wohl.                                           Berichte über Flüchtlingsboote vor Lampedusa oder anderen
                                                                                                                                                        europäischen Inseln sehen?
                                                                                     —— Der Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler                    Schrecklich. Ich weine selten, aber da weint mein Herz.
                                                                                     erzählt schon mal einen „Negerwitz“. Lustig, oder?                 Ich weiß, dass diese Leute keine andere Wahl haben.
                                                                                     Wenn ein ganz normaler Bürger so einen Witz erzählt,               Das kann ein normaler Österreicher sich nicht richtig
                                                                                     habe ich nichts dagegen. Über irgendjemanden macht                 vorstellen.
                                                                                     man sich bei Witzen ja immer lustig. Es gibt auch Bur-
                                                                                     genländerwitze. Aber jemand wie der Kärntner Landes-
                                                                                     hauptmann muss wissen, dass er solche Sachen nicht frei
                                                                                     von der Leber weg erzählen kann. Ich weiß auch nicht,
                                                                                     was er damit bezwecken will.

                                                                                     —— Verletzt Sie so etwas?
                       liegt in der rassistischen Methode. In den unteren Klassen    Nein. Dann soll er mich halt Neger nennen, er kann
                       bekommt man Rassismus verbal zu spüren. Je weiter nach        sagen was er will – so etwas lässt mich kalt.
                       oben man kommt, desto feiner ist die Rassismus-Show.
                       Ich habe mich aber nie versteckt. Meine Hautfarbe ist         —— Ist das Leben für einen Afrikaner, seit Sie in Österreich
                       mein Joker.                                                   sind, leichter oder schwerer geworden?
                                                                                     Schwerer! Eindeutig.
                       —— Ein Joker?

„                                                                                                                                                                                                                                                 Städte mit 30% weniger
                       Zum Beispiel: Jemand schreibt ein Projekt aus und             —— Wie äußert sich das?
                       PORR bewirbt sich. Man erwartet viel von einem öster-         Man braucht unheimlich viel Energie, um hier ein nor-
     Wenn ich früher   reichischen Unternehmen – aber keinen Schwarzen. Wenn         males Leben führen zu können. Wenn man schwarz ist, ist
in der Disco war,
wurde ich regelmäßig
                       ich dann den Verhandlungssaal betrete, sind die Leute
                       erst mal irritiert. Vielen imponiere ich dann durch mein
                                                                                     es nicht leicht eine Wohnung oder Arbeit zu bekommen.
                                                                                     Ich rede nicht von mir. Ich behaupte, dass ich immer
                                                                                                                                                                                                                                                  Energieverbrauch?
auf Drogen ange-       Können und meine Menschlichkeit. Im Grunde habe ich           kriege, was ich will. Diese Energie haben aber nicht alle.
sprochen. Das war      mehr Vorteile als Nachteile durch meine Hautfarbe.                                                                                                                                                                         Als führender Produzent von energieeffizienten
leider ganz normal.“                                                                 —— Stellen Sie sich vor: Sie können eine Sache in Österreich
                                                                                                                                                                                                                                                  Lösungen hilft ABB, große Energieeinsparungen zu
                       —— In einigen österreichischen Medien wird über Nigerianer    verändern. Was wäre das?
                       vor allem dann berichtet, wenn es um Drogenhandel geht. Hat   Die Frage ist unrealistisch. Aber wenn es so leicht wäre,                                                                                                    erzielen, ohne dabei die Leistung zu verringern. Unser
                       man Sie schon mal um Drogen gebeten?                          würde ich Diskriminierungen abschaffen.                                                                                                                      Lichtmanagementsystem kann bis zu 50% Strom
                       Ja sicher. Das ist nichts Außergewöhnliches. Wenn ich                                                                                                                                                                      einsparen und unsere Gebäudeautomation bis zu
                       früher am Abend in der Disco war, wurde ich oft auf           —— Wie können Diskriminierung und Rassismus dann                                                                                                             60%. Während alle von hohen Energiepreisen, Strom-
                       Drogen angesprochen. Ich kenne aber nicht einmal alle         realistischerweise bekämpft werden?                                                                                                                          knappheit und Klimawandel sprechen, tut ABB etwas
                       Bezeichnungen für die unterschiedlichen Drogen. Auch          Rassismus kann in Wirklichkeit nur von den sogenannten                                                                                                       dagegen. Und zwar hier und heute.
                       wenn es für viele fast unglaubwürdig klingt, wenn ein         Ausländern selbst bekämpft werden – also von den                                                                                                             www.abb.com/energyefficiency
                       Nigerianer nicht einmal weiß, wie das ganze Zeug eigent-      Opfern. Sie müssen ihr eigenes Schicksal in die Hand
                       lich heißt.                                                   nehmen. Sie müssen zeigen, was sie können und sie müs-

                       —— Wie reagieren Sie auf solche Anfragen?
                                                                                     sen akzeptieren, dass sie nicht mehr in ihrem Heimatland
                                                                                     sind. Sie sollten die Idee und die Kultur eines Landes
                                                                                                                                                                                                                                                                                            Sicher.
                       Ich sage einfach, dass ich keine Drogen habe. Ich kann        annehmen. Natürlich nicht alles – man kann und soll
                       diesen Leuten aber auch nicht böse sein. Die fragen mich      nicht alles annehmen. Doch durch die Übernahme von
                       ja danach, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass ein     Ideen werden die Einheimischen sie mehr und mehr
                       Nigerianer Drogen hat. Es ist zum Teil ja auch leider so.     akzeptieren.

22 Das Interview
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