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W A S chauungen NEWS elt n Sonderausgabe 1 Der apologetische Informationsdienst der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Evangelische Orientierungen Inmitten Weltantschaulicher Vielfalt • Basisinformationen STAMMTEIL • Argumentationshilfen • Handlungsempfehlungen
Impressum Stammteil Herausgegeben: Im Auftrag der Konferenz der Landeskirchlichen Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Autoren: Andreas Hahn, Dr. Reinhard Hempelmann, Oliver Koch, Dr. Matthias Pöhlmann München: Stand 6/2020 V.i.S.d.P.: Kirchenrat Pfarrer Dr. Matthias Pöhlmann Karlstraße 18, 80333 München, 089/5595-610 Redaktionelle Hinweise: Auf www.weltanschauungen.bayern finden Sie im Regionalteil für Bayern weitere Informationen. Zum Inhaltsvereichnis Herausgeber der WAS NEWS: Arbeitskreis Apologetik der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Erscheinungsort: München Redaktion: Bernd Dürholt, Dr. Haringke Fugmann, Dr. Matthias Pöhlmann, Manuel Ritter WAS-News erscheint einmal jährlich. ISSN (Print) 2569-0345 ISSN (Online) 2569-121X
Evangelische Orientierungen Inmitten Weltantschaulicher Vielfalt Stammteil • Basisinformationen • Argumentationshilfen • Handlungsempfehlungen
INHALT STAMMTEIL Einführung: Evangelisch inmitten weltanschaulicher Vielfalt 6 1 Neue christliche Bewegungen 1.1 Einleitung 8 1.2 Evangelikale 10 1.3 Pfingstlich-charismatische Bewegungen 12 1.4 Kulturelle Zuwanderung: Gemeinden außereuropäischer Herkunft 14 2 Christliche Religionsgemeinschaften im Wandel 2.1 Einleitung 16 2.2 Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten 18 2.3 Neuapostolische Kirche 20 3 Religiöse Gemeinschaften christlicher Herkunft 3.1 Einleitung 22 3.2 Zeugen Jehovas 24 3.3 Christengemeinschaft 26 3.4 Christliche Wissenschaft (Christian Science) 28 3.5 Bruno-Gröning-Freundeskreis 30 3.6 Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage - „Mormonen“ 32 3.7 Universelles Leben 34 3.8 Neuoffenbarungsbewegungen und Einzelgänger 36 3.9 Unitarier 38 4 Esoterische Weltanschauungen und Angebote 4.1 Esoterik allgemein 40 4.2 Anthroposophie 42 4.3 Astrologie 44 4.4 Der Glaube an Engel 46 4.5 Spiritismus und Channeling 48 4.6 Reinkarnationsvorstellungen in Europa 50 5 Faszination des Dunklen und Geheimnisvollen 5.1 Okkultismus 52 5.2 Satanismus 54
INHALT STAMMTEIL 6 Spiritualität asiatischer Herkunft 6.1 Einleitung 56 6.2 Zen 58 6.3 Yoga 60 6.4 Ki-Bewegungen 62 6.5 Ayurveda 64 6.6 Transzendentale Meditation 66 7 Angebote zur Lebenshilfe und Selbstoptimierung 7.1 Einleitung 68 7.2 Scientology 70 7.3 Access Consciousness 72 7.4 Familienstellen nach Hellinger 74 7.5 Positives Denken 76 7.6 Coaching 78 8 Facetten der Religionsdistanz 8.1 Einleitung 80 8.2 Neuer Atheismus 82 8.3 Säkulare Organisationen 84 9 Verschwörungsdenken, Verschwörungstheorien und Verschwörungsglaube Verschwörungsdenken, -theorien und -glaube 86 10 Weltanschauliche Beratung 10.1 Merkmale konfliktiver Gruppen 88 10.2 Argumentationshilfen für weltanschauliche oder religiöse Entscheidungen 89 10.3 Beratungs- und Informationsstellen 90 Die Autoren der Orientierungshilfe (Stammteil) 91 Ansprechpartner*innen in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 94
EINFÜHRUNG Evangelisch inmitten weltanschaulicher Vielfalt Pluralität als Normalfall Schattenseiten des Pluralismus In früheren Zeiten war die religiöse Welt Der Pluralismus hat eine dunkle Kehrseite: überschaubarer: Gläubige waren Christ*innen, Menschen erleben, wie sie manipuliert oder evangelisch oder katholisch, und sie lebten in unter Druck gesetzt werden bis hin zu Abhän- konfessionell einheitlichen Gebieten. Begeg- gigkeiten von Gruppen oder Anbietern, die nungen mit der anderen Konfession oder gar absolute Hingabe fordern oder ihre Interessen mit einem fremden Glauben waren selten. mit Gewalt durchsetzen. Heute ist weltanschauliche Vielfalt der Früher wurde für solche Gruppen der Be- Normalfall: griff „Sekte“ verwendet. Wer sich aufgrund • Das Christentum selbst erscheint vielfäl- von Sonderlehren von der Kirche trennte, war tiger: Wir finden unterschiedliche Freikir- „Sektierer“ und wurde bekämpft. Später wur- chen, größere oder kleinere Gemeinschaf- de der Begriff auch auf Gruppen ausgeweitet, ten in christlicher Tradition, zahlreiche die vom gesellschaftlichen Mainstream abwi- unabhängige christliche Neugründungen, chen. teilweise in Gestalt von Migrationsgemein- In der heutigen religiösen Vielfalt erscheint den. dieser klassische Sektenbegriff untauglich. • Neue Religionen kamen ins Land, vor allem Wer soll und darf denn bestimmen, was eine der Islam und buddhistische Traditionen „Sekte“ ist und was nicht? Die größeren Or- und Techniken sind präsent. ganisationen gegenüber den kleineren? Oder die älteren gegenüber den jüngeren Neubil- • Neben klar erkennbaren Gruppen und Ge- dungen? Das dürfte kaum ein geeignetes Kri- meinschaften finden sich neue religiöse terium sein – sonst wären auch die evangeli- Strömungen und Bewegungen mit unver- schen Kirchen „Sekten“ gegenüber der katho- bindlichem Charakter. lischen Kirche oder das gesamte Christentum • Nicht wenige Menschen haben nur geringes gegenüber dem Judentum. Außerdem gibt es Interesse an religiösen Themen oder verste- religiöse oder religionsähnliche Neugründun- hen sich ausdrücklich als religionskritisch, gen wie z. B. Scientology, die nicht aus einer sodass man nicht nur von einem religiösen, Abspaltung hervorgegangen sind. Schon aus sondern genauer auch von einem weltan- diesen Gründen ist Vorsicht bei der Bezeich- schaulichen Pluralismus sprechen muss. nung „Sekte“ geboten. • Zunehmend verschwimmen die Grenzen Darüber hinaus schwingt beim Gebrauch zwischen säkularen und religiösen Angebo- des Wortes „Sekte“ heute noch etwas anderes ten und Weltdeutungen. mit: „Sekten“ – das sind diejenigen, die ihre • Vorgegebene Traditionen spielen immer Mitglieder schlecht behandeln. Damit richtet weniger eine Rolle, stattdessen müssen wir sich der Blick darauf, ob Gemeinschaften oder selbst unterschiedliche Lebensbereiche zu Anbieter für ihre Mitglieder nach innen oder einem Ganzen zusammenfügen. nach außen zu Konflikten führen. „Sekte“ bezeichnet also eine konfliktträch- tige Gruppe. Folgende Merkmale können auf eine solche Gruppe hinweisen: 6 Evangelische Orientierungshilfe / Stammteil - Ausgabe für Bayern
EINFÜHRUNG • absoluter Wahrheits- und Erlösungsan- möglich. Beides findet in dieser Handrei- spruch, verbunden mit Schwarz-Weiß- chung seinen Niederschlag, wenn bei der Denken Darstellung anderer Glaubensüberzeugun- • betonte Gemeinschaft nach innen und Ab- gen versucht wird, deren Binnenperspektive wehr oder gar ein Verbot von Außenkontak- wahrzunehmen, d. h. sich hineinzudenken ten und ein Gespür dafür zu entwickeln, wie diese Religiosität „funktioniert“, und sie dann aus • Aufbau radikaler Gegenwelten, Bedro- der Außensicht des evangelisch-christlichen hungsszenarien und Endzeiterwartungen Glaubens eingeschätzt wird. • Personenkult um die Leiter*innen, die über So können Christ*innen eine begründete jede Kritik erhaben sind evangelische Position jenseits von Abgren- • Kontrolle vieler oder aller Lebensbereiche zung einerseits und Relativismus andererseits • Verbreitung von passenden Verschwö- einnehmen. Die Spannung zwischen der Bin- rungstheorien nen- und der Außensicht lässt sich nie ganz • vollständige finanzielle, berufliche, famili- auflösen, denn es gibt keine neutrale Position äre usw. Abhängigkeit der Mitglieder von im religiös-weltanschaulichen Pluralismus. der Gemeinschaft und ihrer Leitung, sodass Die vorliegende Orientierungshilfe ist eine ein normales gesellschaftliches Leben nicht Handreichung für evangelische Kirchenge- mehr möglich ist. meinden. Sie will Hilfestellungen zur eigenen Diese Merkmale können unterschiedlich stark Urteilsbildung geben, wenn es beispielsweise ausgeprägt sein, eine trennscharfe Abgren- Anfragen gibt nach gemeinsamen Veranstal- zung zwischen „Sekte“ und „Nichtsekte“ ist tungen, zur Raumvergabe, zu Doppelmit- immer nur graduell möglich. Auch verändern gliedschaften wie auch zu kirchlichen Hand- sich diese Merkmale: Man kann von „Versek- lungsfeldern (Taufen, Segnungen, Trauungen, tung“ sprechen – wenn eine Gruppe immer Beerdigungen) und zur Seelsorge. Sie erhebt mehr oder stärkere konfliktträchtige Merkma- keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Öku- le zeigt – oder umgekehrt von „Entsektung“. menische und interreligiöse Themen bleiben außen vor. Eine evangelische Perspektive – zu die- Neben „klassischen“ Vertretern aus christ- ser Handreichung licher Tradition (Kap. 1-3) kommt das weite Der Blick auf andere Konfessionen und Reli- Feld neuerer Religiosität und Spiritualität zur gionen war lange Zeit von Abwehr und Kritik Sprache. Dabei werden Esoterik (Kap. 4), die bestimmt. Die heutige weltanschauliche Plu- Faszination „dunkler“ Spiritualität (Kap. 5) ralität stellt die Kirchen vor die Herausforde- und Aspekte aus ursprünglich asiatischem rung, für ein gutes gesellschaftliches Zusam- Kontext (Kap. 6) in den Blick genommen. menleben einzutreten. Dazu gehört einerseits Die Kapitel über Lebenshilfe-Angebote die Achtung der Freiheit anderer religiöser (Kap. 7) und über Formen von Religions und weltanschaulicher Gewissheiten – und distanz (Kap. 8) werfen einen Blick auf die dies, obwohl die Wahrheit des christlichen Grenzen zwischen Säkularem und Religiösem. Glaubens durch diese anderen infrage gestellt Die Auswahl beruht auf Erfahrungen aus der wird. Andererseits ist religiöse – und damit Beratungsarbeit. Die Internetlinks geben den auch christliche – Wahrheit immer existen- Stand von März 2020 wieder. ziell und nur aus der je eigenen Perspektive Evangelische Orientierungshilfe / Stammteil - Ausgabe für Bayern 7
NEUE CHRISTLICHE BEWEGUNGEN 1.1 Einleitung In den Groß- und Freikirchen – häufiger noch lischen Kirche, die sich als protestantisch- neben ihnen – haben sich in den vergange- freikirchlich und zugleich unabhängig verste- nen Jahrzehnten christliche Frömmigkeitsfor- hende International Christian Fellowship (ICF) men entwickelt, die sich unter den Begriffen mit großen Gemeinden u. a. in Zürich, Basel, „evangelikal“ und „pfingstlich-charismatisch“ Karlsruhe, München und Berlin oder die aus zusammenfassen lassen. Ihre Schattenseiten Australien kommende Hillsong-Bewegung in werden u. a. mit der wertenden Begrifflichkeit Konstanz, Düsseldorf, München und Berlin. „christlich-fundamentalistisch“ beschrieben. In den evangelischen Landeskirchen und Mit „evangelikal“ wird eine Glaubenshaltung der römisch-katholischen Kirche werden bezeichnet, die durch Entschiedenheit cha- evangelikale und pfingstlich-charismatische rakterisiert ist und die verpflichtende Bin- Erneuerungsgruppen teils als Hoffnungszei- dung an die Bibel als inspiriertes Wort Got- chen, teils als Störung und Provokation emp- tes hervorhebt. Pfingstler und Charismatiker funden. Für ein christliches Selbstverständnis, unterstützen diese Anliegen und sind insofern das sich eng mit der säkularen Kultur verbun- ebenso evangelikal orientiert. Darüber hinaus den hat, sind evangelikale und pfingstlich- praktizieren sie eine auf den Heiligen Geist charismatische Gemeinden und Gruppen ein und die Gaben des Geistes (v. a. Zungenrede/ Thema, das als Infragestellung eines moder- Glossolalie/Sprachengebet, Prophetie, Hei- nen, aufgeklärten Christentums empfunden lung) bezogene Frömmigkeit. wird. Bei allen notwendigen Differenzierun- In neuen christlichen Bewegungen geschieht gen, die zwischen Pfingstlern, Charismati- das christliche Leben oft in konfessionsüber- kern, Evangelikalen und christlichen Bibel- greifenden Gemeinschaftsbildungen, die sich Fundamentalisten gemacht werden müssen, durch ein hohes Maß an Verbindlichkeit und verbindet sie die Haltung des Protestes gegen missionarischem Engagement auszeichnen. ein geheimnisleeres säkulares Wirklichkeits- Hierzu gehören u. a.: verständnis und die Kritik am Weltverständnis • Erneuerungsgruppen in den beiden großen der Aufklärung. Kirchen und den klassischen Freikirchen Die wirkungsvolle Ausbreitung erweckli- • neue unabhängige Gemeindegründungen, cher Frömmigkeit resultiert nicht nur aus der die keiner bestimmten christlichen Konfes- beanspruchten Wiedergewinnung urchristli- sion zuzuordnen sind cher Glaubenserfahrung. Die Resonanz dieser Frömmigkeitsform wird durch verschiedene • christliche Migrationsgemeinschaften Rahmenbedingungen begünstigt wie das • unabhängige Missionswerke. Schwinden der Selbstverständlichkeit und Missionsaktivitäten pfingstlich-charismati- kulturellen Abstützung christlicher Glauben- scher und evangelikaler Bewegungen tragen spraxis und den antiinstitutionellen Affekten zur fortschreitenden innerchristlichen Plurali- junger Menschen. sierung bei. Diese konkretisiert sich in zahlrei- Wo christliche Religion in intensiven Aus- chen neuen Gruppenbildungen, die innerhalb drucksformen gelebt wird, ruft sie Bewunde- der Kirchen mit teilweise weit ausstrahlender rung und Zustimmung, aber auch Distanz und Wirkung entstehen wie etwa das Gebetshaus Ablehnung hervor. in Augsburg im Bereich der römisch-katho- 8 Evangelische Orientierungshilfe / Stammteil - Ausgabe für Bayern
NEUE CHRISTLICHE BEWEGUNGEN Wo christlicher Glaube eine deutliche Gestalt im europäischen Kontext erkennbar. Religi- gewinnt und mit großem persönlichen Ein- öse Pluralisierungsprozesse tragen dazu bei, satz gelebt wird, treten auch Gefährdungen dass Christsein aufgrund von Erfahrung und und Schattenseiten zutage: persönlicher Entscheidung stärker, während • Religiöse Hingabebereitschaft kann ausge- Christsein aufgrund von Tradition schwächer nutzt und missbraucht werden. wird. Für die Ausbildung christlicher Identität hat die Mitgliedschaft in Gruppen und Bewe- • Die Orientierung an charismatischen Füh- gungen oft eine wichtigere Bedeutung als die rerpersönlichkeiten kann das Erwachsen- Konfessionszugehörigkeit. werden im Glauben verhindern. • Die Berufung auf Gottes Geist kann funk- tionalisiert werden für ein problematisches Macht- und Dominanzstreben. • Das gesteigerte Sendungsbewusstsein ei- ner Gruppe kann umschlagen in ein elitäres Selbstverständnis, das sich scharf nach au- ßen abgrenzt, im Wesentlichen von Feind- bildern lebt und Gottes Geist nur in den eigenen Reihen wirken sieht. Die Ausbreitung evangelikaler und pfingst- lich-charismatischer Bewegungen wird von diesen Schatten begleitet. Kritische Ausein- andersetzungen mit erwecklichen Frömmig- keitsformen können an Kontroversen anknüp- fen, die innerhalb dieser Bewegungen selbst sichtbar werden, wie z. B. die Diskussion über geistlichen Missbrauch. Kritik an intensiven Formen christlicher Frömmigkeit ist insbeson- dere dann berechtigt und nötig, wenn über- triebene Heilungsversprechen dazu führen, dass die Gebrochenheit christlichen Lebens nicht ernst genommen wird, oder wenn das, was als erlebte „Bekehrung“ oder „Erfahrung des Heiligen Geistes“ bezeichnet wird, den Menschen nicht für andere öffnet, sondern ihn vereinnahmt und kommunikationsunfä- hig macht. Die Anwesenheit neuer Gruppen und Gemeinden zeigt, dass sich die christliche Landschaft in Wandlungsprozessen befindet. Konfessionelle Bindungen sind im Schwin- den begriffen. Der Einfluss transkonfessio- neller Bewegungen wächst. Die weltweite Erfolgsgeschichte evangelikaler und pfingst- lich-charismatischer Bewegungen ist auch Evangelische Orientierungshilfe / Stammteil - Ausgabe für Bayern 9
NEUE CHRISTLICHE BEWEGUNGEN 1.2 Evangelikale Wahrnehmungen siert sich der „Aufbruch der Evangelikalen“ in zahlreichen missionarischen Aktionen und Wenn von den Evangelikalen gesprochen publizistischen Aktivitäten (Glaubenskurse, wird, kann sehr Unterschiedliches damit ge- Konferenzen, das Nachrichtenmagazin idea, meint sein: unabhängige freikirchliche Bewe- das Christliche Medienmagazin pro, die me- gungen, die Bekenntnisbewegung Kein an- diale Präsenz von ERF Medien), die sich z. T. in deres Evangelium, die Pfingstbewegung, die Parallelstrukturen zu etablierten kirchlichen evangelistische Aktion ProChrist, die Willow- Angeboten vollziehen. Das Profil der evan- Creek-Bewegung, die Deutsche Evangelische gelikalen Bewegung in Deutschland ist auch Allianz (DEA), mit der sich ca. 1,3 Millionen durch das Gegenüber zur pluralen Volkskirche Christ*innen aus den evangelischen Landes- bestimmt. kirchen (ca. die Hälfte) und den Freikirchen verbunden wissen. In Teilen der Medienöf- • Für evangelikale Theologie und Frömmig- fentlichkeit werden Evangelikale pauschal mit keit charakteristisch ist die Betonung der christlichen Fundamentalisten gleichgesetzt, Notwendigkeit persönlicher Glaubenser- die gegen Homosexualität, gegen Feminismus fahrung in Buße, Bekehrung/Wiedergeburt und Gender Mainstreaming mithilfe exorzis und Heiligung. tischer Praktiken gegen Dämonen und den • In Absetzung von der Bibelkritik liberaler Teufel kämpfen. Eine solche Wahrnehmung Theologie wird die Geltung der Heiligen trifft jedoch nur bestimmte Ausprägungen Schrift als höchster Autorität in Glau- des Evangelikalismus und wird der Vielfalt der bens- und Lebensfragen unterstrichen. Der Bewegung nicht gerecht. theologischen Hochschätzung der Heiligen Schrift entspricht eine ausgeprägte Bibel- Inhalte frömmigkeit. Evangelikale repräsentieren eine erweckli- • Der zweite Glaubensartikel, das Heilswerk che Strömung innerhalb des Protestantis- Gottes im Kreuz und in der Auferweckung mus, die transkonfessionell ausgerichtet ist Jesu Christi, steht im Mittelpunkt. Die Ein- und eine zunehmende Resonanz erfährt. Die zigartigkeit Jesu Christi wird pointiert her- Wurzeln der evangelikalen Bewegung liegen vorgehoben. Evangelikale Religionstheolo- im Pietismus, im Methodismus und in der gie ist exklusivistisch geprägt. Erweckungs bewegung. Vorläufer hat sie in • Gebet und Zeugendienst stehen im Mittel- Bibel- und Missionsgesellschaften und in der punkt der Frömmigkeitspraxis. Gemeinde 1846 in London gegründeten Evangelischen bzw. Kirche werden vor allem vom Evange- Allianz. Bereits die geschichtliche Herkunft lisations- und Missionsauftrag her verstan- belegt, dass innerhalb der Bewegung ein brei- den. tes Spektrum an Ausprägungen der Frömmig- keit vorhanden ist. Auf der einen Seite steht • Die Ethik wird vor allem aus den Ordnungen die Heiligungsbewegung, aus der die Pfingst- Gottes und der Erwartung des Reiches Got- frömmigkeit erwuchs, auf der anderen Seite tes entwickelt. steht ein sozial aktiver Typus evangelikaler Kristallisationspunkt der Sammlung der Evan- Frömmigkeit, der Beziehungen zum „Social gelikalen im deutschsprachigen Raum ist die Gospel“ aufweist. In Deutschland konkreti- Evangelische Allianz, die sich zunehmend in 10 Evangelische Orientierungshilfe / Stammteil - Ausgabe für Bayern
NEUE CHRISTLICHE BEWEGUNGEN Richtung einer evangelikalen Allianz entwic- mit strenger Unterscheidung zwischen Glau- kelt hat. Zentrale Dokumente der Bewegung benden und Nichtglaubenden und der Ten- sind die Allianz-Basis (in Deutschland, Öster- denz zur Konzentration auf die eigene Fröm- reich und der Schweiz in unterschiedlichen migkeitsform, die die Vielfalt authentischer Fassungen) und die Lausanner Verpflichtung christlicher Lebens- und Frömmigkeitsformen von 1974, die durch das Manila-Manifest zu wenig wahrnimmt. (1989) bekräftigt und 2010 (Lausanne III in Handlungsempfehlungen Kapstadt/Südafrika) weitergeführt wurde. Vor allem mit der Lausanner Verpflichtung bekam Stellungnahmen zur evangelikalen Bewegung die evangelikale Bewegung ein theologisches erfordern differenzierende Wahrnehmungen Konsensdokument, das zeigt, dass sie sich und Urteilsbildungen. Aufgrund der Vielge- nicht allein aus einer antiökumenischen und staltigkeit der Bewegung kann es keine pau- antimodernistischen Perspektive bestimmen schalen Beurteilungen geben. Ein wichtiges lässt, sondern Themen aufgreift, die auch in Kriterium für die Beurteilung evangelikaler der ökumenischen Bewegung von Bedeutung Gruppierungen ist ihre Offenheit für ökume- sind: die Verbindung von Mission und sozialer nische Beziehungen. Verantwortung, das Engagement der Laien, Weitere Informationen das Engagement für Menschenrechte. Im Un- terschied zur ökumenischen Bewegung, in der Frederik Elwert / Martin Rademacher / Jens Kirchen miteinander Gemeinschaft suchen Schlamelcher (Hg.): Handbuch Evangelikalis- und gestalten, steht hinter der evangelikalen mus, Bielefeld 2017. Bewegung das Konzept einer evangelistisch- Reinhard Hempelmann: Evangelikale Bewe- missionarisch orientierten Gesinnungsöku- gungen. Beiträge zur Resonanz des konser- mene, in der kirchliche Eigenheiten und etwa vativen Protestantismus, EZW-Texte 2016, die unterschiedlichen Taufverständnisse und Berlin 2009. Taufpraktiken zurückgestellt werden und in der im missionarischen Zeugnis der entschei- dende Ansatzpunkt gegenwärtiger ökumeni- scher Verpflichtung gesehen wird. Einschätzungen Die Stärke der evangelikalen Bewegung be- steht darin, angesichts einer oft unverbind- lichen Christlichkeit die Notwendigkeit per- sönlicher Entscheidung und Verpflichtung hervorzuheben, auf Gestaltwerdung des gemeinschaftlichen christlichen Lebens zu drängen, für den unmittelbaren Zugang jedes Christen zur Bibel Raum zu geben und den missionarischen Auftrag in den Mittelpunkt der Glaubenspraxis zu stellen. Ihre Schwä- che liegt in ihrer oft einseitigen und zum Teil verengenden Erfahrungsorientierung (Wie- dergeburt als konkret datierbares Erlebnis) Evangelische Orientierungshilfe / Stammteil - Ausgabe für Bayern 11
NEUE CHRISTLICHE BEWEGUNGEN 1.3 Pfingstlich-charismatische Bewegungen Wahrnehmungen ken, die theologisch nicht selten eine Nähe zur Pfingstbewegung aufweisen und sich als In charismatischen Gottesdiensten sind die „überkonfessionell“ verstehen (u. a. Christli- Texte und Melodien leicht nachvollziehbar. che Zentren in Frankfurt, München, Karlsruhe; Länger andauernde Zeiten des Lobpreises und Jesus Gemeinde Dresden; Gemeinde auf dem eine neue Musikkultur sind charakteristisch. Weg, Berlin; Gospel Forum, Stuttgart; ebenso Die Lieder werden oft stehend, mit erhobenen Werke bzw. Gruppierungen wie Jugend mit Händen gesungen. Eine Band unterstützt den einer Mission und Christen im Beruf). Gesang. Neben der ausführlichen Predigt sind auch Gebete um Heilung und das Rechnen Religiöse Pluralisierungsprozesse haben mit prophetischen Worten kennzeichnend. auch das Erscheinungsbild der charismati- Die gottesdienstliche Versammlung ist durch schen Bewegung verändert. Freie charisma- Siegesgewissheit in der Auseinandersetzung tische Zentren und neue Gemeinden stehen mit den Mächten des Bösen bestimmt. Im heute im Vordergrund: u. a. die International charismatischen Gottesdienst ist die Sehn- Christian Fellowship (ICF) und die ursprüng- sucht wirksam, in urchristliche Verhältnisse lich zur Pfingstbewegung (Assemblies of God) zurückzukehren (vgl. dazu Apg 1 und 2 und gehörende Hillsong Church. Die zahlenmäßi- 1. Kor 12-14). ge Verbreitung pfingstlich-charismatischer Bewegungen lässt sich nur schätzen, im Inhalte deutschsprachigen Bereich gehören ihnen ca. In nahezu allen historischen Kirchen, ebenso 250 000 Personen an. Im Vergleich mit ande- in allen Freikirchen, sind seit den 1960er Jah- ren Ländern bleiben die Zahlen im kontinen- ren charismatische Erneuerungsgruppen ent- talen Europa eher begrenzt, obgleich in den standen. Sie greifen Anliegen der klassischen letzten Jahrzehnten mehrere Hundert neue Pfingstbewegung auf, die sich seit Beginn des charismatische Zentren und Gemeinden ent- 20. Jahrhunderts wirkungsvoll global aus- standen sind. breitete. Anders als die pfingstlerischen Be- Die zentralen Anliegen der charismatischen wegungen, die als „erste Welle des Heiligen Bewegung kommen gleichermaßen in den in- Geistes“ bezeichnet wurde, will dieser „zweite nerkirchlichen Gruppenbildungen wie in den Ansatz“ zu keinen neuen Kirchenspaltungen konfessionsunabhängigen Gemeinden und führen, sondern das Leben der Kirchen von in- Werken zum Ausdruck. Sie lauten: Anbetung, nen erneuern. Im deutschsprachigen Bereich Seelsorge, Evangelisation, Heilungsdienste, entstanden charismatische Erneuerungs- das Erfasst- und Erneuertwerden des gan- gruppen in den evangelischen Landeskirchen zen Menschen wie auch der Gemeinde. Dabei (Geistliche Gemeindeerneuerung, GGE) und wird eine auf den Heiligen Geist und die Cha- im Bereich der römisch-katholischen Kirche rismen (v. a. Heilung, Prophetie, Zungenrede/ (Charismatische Erneuerung in der Katholi- Glossolalie) bezogene erfahrungsorientierte schen Kirche), ebenso in den Freikirchen, u. a. Frömmigkeit akzentuiert. im Methodismus und Baptismus. Neben der Diakonische Dienste werden in enger Zuord- Ausbreitung charismatischer Frömmigkeit in nung zum Evangelisationsauftrag praktiziert. den historischen Kirchen vollzog sie sich seit Die Sozialformen, in denen sich die Be- den 1970er Jahren auch in „konfessionsun- wegung konkretisiert, sind u. a. Haus- und abhängigen“ Gemeinden und Missionswer- Gebetskreise, Glaubenskurse und Einfüh- 12 Evangelische Orientierungshilfe / Stammteil - Ausgabe für Bayern
NEUE CHRISTLICHE BEWEGUNGEN rungsseminare, Anbetungs-, Heilungs- und zuerkennen und zu würdigen. Zugleich sind Segnungsgottesdienste, Kongresse. Die cha- kritische Auseinandersetzungen nötig. Die rismatische Bewegung zielt auf der individu- Schattenseiten der Pfingstfrömmigkeit – u. a. ellen Ebene auf die Erneuerung des Einzelnen unrealistischer Heilungsoptimismus, Fixie- durch die Bitte um das Kommen des Heiligen rung der Geisterfahrung auf außerordentliche Geistes mit seinen Gaben, auf der gemein- Phänomene, Tendenz zum Dualismus – zeigen schaftlichen Ebene vor allem auf die Erneue- sich auch in der Glaubenspraxis der charis- rung des Gottesdienstes, der nach dem Vorbild matischen Bewegungen. von 1. Kor 14,26 eine neue Gestalt finden soll. Handlungsempfehlungen Zentrum und Kristallisationspunkt der indivi- duellen wie der gottesdienstlichen Erfahrung Zwischen Erneuerungsgruppen in Kirchen und ist das Getauft- bzw. Erfülltwerden mit dem Freikirchen einerseits und Endzeitgemein- Heiligen Geist mit enthusiastischen Manifes schaften oder Gruppen, die ein Wohlstands- tationen. Die angestrebte Geistestaufe bzw. und Gesundheitsevangelium verkündigen, Geisterfüllung wird vor allem als Bevollmäch- andererseits bestehen grundlegende Diffe- tigung zum christlichen Zeugnis verstanden. renzen, auch wenn es eine innere Nähe in In einzelnen Ausprägungen pfingstlich- den Ausdrucksformen der Frömmigkeit geben charismatischer Bewegungen verbindet sich mag. Pauschale Orientierungen wird es für der pfingstlich-charismatische Impuls mit der den Umgang mit enthusiastisch geprägten Kraft des Positiven Denkens (Positive Thin- Gemeinschaftsbildungen nicht geben kön- king). Bezeichnet werden diese Ausprägungen nen. Die Geisterfahrung äußerte sich in der als Wort-des-Glaubens-Bewegung. Inhaltlich Geschichte des Christentums in verschiedener verbreiten sie ein Wohlstands- und Gesund- und mannigfaltiger Weise. Außergewöhnliche heitsevangelium (Prosperity Gospel). Es ist die Ergriffenheitserfahrungen können im christ- Überzeugung ihrer Repräsentanten, dass Rea- lichen Leben vorkommen, sie sind jedoch für lität durch die Vorstellungskraft des Geistes das christliche Leben nicht entscheidend. geschaffen wird und sich auch entsprechend Auseinandersetzungen mit enthusiastischen verändern lässt. Überzogene Heilungsverspre- Orientierungen müssen seelsorgerliche, her- chen bauen dabei jedoch einen Erfolgsdruck meneutische, psychologische und ethische auf, der die Gebrochenheit christlichen Lebens Aspekte berücksichtigen. Kritik an Fehlformen unterschätzt. pfingstlerischer Bewegungen sollte in einer Form geschehen, die die gemeinsamen christ- Einschätzungen lichen Orientierungen nicht außer Acht lässt. Die vielfältigen Ausdrucksformen charisma- Weitere Informationen tischer Frömmigkeit nötigen zu differen- zierender Wahrnehmung und Beurteilung. Marianne Brandl / Bernd Dürholt u. a. (Hg.): In ihnen begegnen die vergessenen Themen Weil wir gefragt werden, Arbeitshilfe zum der eigenen Glaubensorientierung. Zugleich neo-charismatischen Christentum und seinen sind sie ein ambivalentes Phänomen: Sie Großveranstaltungen, Bayreuth 2017. schaffen Verbindungen und Brücken zwi- Reinhard Hempelmann: Sehnsucht nach Ge- schen Christ*innen verschiedener Konfessio- wissheit – neue christliche Religiosität, in: nen, verursachen aber auch Spannungen und ders. u. a. (Hg.): Panorama der neuen Religio- Spaltungen. Das christliche Zeugnis, das von sität. Sinnsuche und Heilsversprechen zu Be- charismatischer Frömmigkeit ausgeht, ist an- ginn des 21. Jahrhunderts, Gütersloh 22005, 411-509. Evangelische Orientierungshilfe / Stammteil - Ausgabe für Bayern 13
NEUE CHRISTLICHE BEWEGUNGEN 1.4 Kulturelle Zuwanderung: Gemeinden außereuropäischer Herkunft Wahrnehmungen lektiv ausgewählt und unmittelbar und ohne Berücksichtigung des innerbiblischen Zusam- Zum christlichen Leben gehören an vielen Or- menhangs in die Gegenwart übertragen. ten Gemeinden, die aus der globalen Migra- tion entstanden sind. Einige pflegen die Tra- Besonders (aber nicht nur) in Gemeinden ditionen ihrer Herkunftsländer und -kirchen afrikanischer und russlanddeutscher Herkunft oder sehen sich sogar als deren Missions- treten die (fast immer männlichen) Pastoren stützpunkte. Andere fühlen sich nur schwach mit einem hohen, geistlich begründeten Au- mit den historischen Kirchen ihrer Konfession toritätsanspruch auf. Viele deuten ihre Rolle verbunden, die kulturelle Prägung bestimmt wie auch die Auswanderung aus dem Hei- ihre konfessionelle Identität wesentlich mit. matland weniger ökonomisch oder politisch Eine dritte Gruppe versteht sich, oft geprägt als religiös und sehen sich zur Mission beru- durch die bereits hier geborene Generation, fen. Sie wollen die Landeskirchen, die sie oft ausdrücklich als international und überkon- als säkularisiert wahrnehmen, zum wahren fessionell. Einen Sonderfall stellen die Farsi Christsein bekehren. sprechenden Christ*innen dar: Sie haben in Einschätzungen der Regel in den Landeskirchen eine Heimat gefunden. Schließlich gehören auch noch die Interkulturelle Begegnungen halten uns einen zahlenmäßig sehr großen russlanddeutschen Spiegel vor und fordern uns zu konstruktiven Aussiedlergemeinden zu diesem Themenbe- Verhältnisbestimmungen heraus. Die Leben- reich. digkeit der Gottesdienste, die gelebte Fröm- migkeit der Mitglieder, die Einbeziehung von Viele der Migrationsgemeinden sind klein Emotionen, die Fähigkeit, über den Glauben und werden durch gemeinsame Erfahrungen zu sprechen, und die Herzlichkeit können und Lebenssituationen zusammengehalten. ohne Zweifel zu ökumenischen Bereicherun- Inhalte gen der eigenen Gemeinde- und Kirchen- praxis werden und es trotz mancher Unter- Christlicher Glaube ist hier nicht wie in un- schiede erleichtern, gemeinsam christlich zu serer Gesellschaft nur eine private Option, glauben und zu leben. Das Zusammenleben sondern zentraler Bestandteil persönlicher mit Migrationsgemeinden nötigt aber auch Identität, der besonders in der Situation des zu Klärungen. Exils zu einem wichtigen Identifikationsfaktor wird. Das missionarische Selbstbewusstsein man- cher Migrationsgemeinden versperrt oft den Die Spiritualität der Gemeinden ist durch Weg, den weltanschaulichen Pluralismus Bibeltreue und überwiegend pfingstlich-cha- unserer Gesellschaft als Basis für ein fried- rismatische Erfahrungen geprägt, die Gottes- liches Miteinander zu sehen und den dabei dienste sind emotional und stark auf Glau- erreichten Stand des Dialogs der Religionen benserfahrungen bezogen. Lautes, persönli- und Weltanschauungen zu würdigen. Vielen ches Gebet, Tanz, Ekstase und Heilungen bil- Gemeinden steht auch der Lernprozess, Teil den wichtige Bestandteile. Die Verkündigung des Leibes Christi zu sein, noch bevor. Die Kri- ist von einem starken Dualismus durchzogen, tik an scheinbar laschen und verweltlichten die Gläubigen haben teil am Kampf Gottes Landeskirchen übersieht die Errungenschaft, gegen das Böse. Bibeltexte werden oft se- 14 Evangelische Orientierungshilfe / Stammteil - Ausgabe für Bayern
NEUE CHRISTLICHE BEWEGUNGEN dort Nähe und Distanz zur Gemeinde selbst Handlungsempfehlungen bestimmen zu können und mit Ambivalenzen Überall dort, wo die genannten Probleme zu leben. angesprochen und geklärt werden können, Die Autorität vieler Pastoren entzieht sich sollte einem gemeinsamen christlichen Leben oft einer strukturellen Kontrolle, vor allem im nichts im Wege stehen. Zentral ist sicherlich Blick auf ihre Ausbildung und Kompetenz, auf die Frage nach der grundsätzlichen ökumeni- Lehre und Seelsorge. Emotionalität bis hin zu schen Haltung. Hierbei können internationale ekstatischen Phänomenen ist kein Ausweis Konvente und Konferenzen hilfreich sein, bei besonderer Frömmigkeit, sondern bedarf ei- denen sich die unterschiedlichen Gemeinden ner theologischen Einordnung. Damit tut sich als Teil des Leibes Christi bekennen und zur ein dualistisches Weltbild schwer. Zu fragen ökumenischen Zusammenarbeit und zum Ver- wäre hier, ob in diesen Gemeinden Menschen meiden von Spaltungen verpflichten. wirklich effektiv geheilt und befreit oder ob Klare Absprachen und vor allem kontinuierli- Heilungs- und Befreiungsprozesse gar ver- che dialogische Nachbarschaftsarbeit können hindert werden. Entspricht diese Form der helfen, kulturell bedingte Missverständnisse Befreiung, mit ihrer Zwischenwelt aus Dä- abzubauen. Probleme wie laute Veranstaltun- monen und Ahnen, der Rechtfertigung des gen, das Abwerben von Kirchenmitgliedern Sünders oder wird hier eine neue religiöse oder ein allzu schnelles Umsetzen bei Taufan- Leistung gefordert? Stärkt der Wunder- und fragen aus anderen Gemeinden können und Dämonenglaube Christ*innen im Umgang mit sollten klar angesprochen werden. dem Bösen oder treibt er sie in noch größere Ängste? Wird hier dem Bösen zu viel Macht Gelingende christlich-interkulturelle Begeg- eingeräumt, weil Christus als Sieger über alle nungen können unsere eigenen kulturellen Mächte und Gewalten nicht recht deutlich Engführungen aufdecken und zugleich Mi- wird? grationskulturen den Weg in den westlichen Pluralismus erleichtern. Das je eigene Profil Diese Fragen bleiben virulent. Weil sie mit kann gestärkt werden und es wird erkennbar, Existenzhaltungen zusammenhängen, sind sie dass das christliche Zeugnis facettenreich ist. nicht einfach kognitiv zu klären, sondern be- dürfen eines toleranten und vertrauensvollen Weitere Informationen kontinuierlichen Gesprächs, das die jeweils Lothar Weiß (Hg.): Russlanddeutsche Migra- andere Perspektive grundsätzlich würdigt. tion und evangelische Kirchen, Bensheimer Ein dämonistisches Wirklichkeitsverständnis Hefte 115, Göttingen 2013. sollte nicht einfach als vor-aufklärerische Weltsicht geringgeschätzt werden. Bleibende, EKD (Hg.): Gemeinsam evangelisch! Erfahrun- auch kulturell bedingte Unterschiede müssen gen, theologische Orientierungen, EKD-Text 119, 2014, www.ekd.de/Gemeinsam-evange- nicht notwendig ökumenisch trennend wir- lisch-1091.htm. ken. Problematisch aus evangelischer Sicht blei- ben aber das Versprechen von Wohlstand als Folge und das Einhalten rigider ethischer Vor- schriften als Kennzeichen gelebten Glaubens. Evangelische Orientierungshilfe / Stammteil - Ausgabe für Bayern 15
CHRISTLICHE RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN IM WANDEL 2.1 Einleitung Christliche Sondergemeinschaften, die im 19. Auch die christlichen Kirchen sahen und se- und am Anfang des 20. Jahrhunderts ent- hen sich zu einer kritischen Verhältnisbestim- standen sind, haben ihr Selbstverständnis in mung gegenüber diesen Sondergemeinschaf- deutlicher Abgrenzung zu anderen Kirchen ten herausgefordert. Während es einerseits entwickelt. Dabei vertreten sie Glaubensauf- heute noch Gemeinschaften gibt, die an fassungen und Praktiken, die von der Mehr- einer exklusiven, antiökumenischen und ab- zahl der christlichen Kirchen ausdrücklich grenzenden Haltung festhalten (z. B. Zeugen nicht geteilt werden. Daher ist das Verhältnis Jehovas) und sich manche im Lauf der Zeit zu den Sondergemeinschaften von Konflikten noch stärker radikalisiert haben, gibt es an- und Distanz geprägt. Der Blick auf die Entste- dererseits auch Gemeinschaften, die ihre ab- hung von christlichen Sondergemeinschaften lehnende Haltung gegenüber den ökumenisch lässt sie als „außerkirchliche religiöse Pro- orientierten christlichen Kirchen revidiert und testbewegungen der Neuzeit“ (Helmut Obst) einen Öffnungsprozess begonnen haben, um erscheinen. Die Abgrenzung von den großen die gewählte „Selbstisolation“ zu überwinden. christlichen Kirchen wurde meist damit be- Möglicherweise haben innerer Druck, neue gründet, dass diese das biblische Zeugnis Kommunikationswege und Informationsmög- nicht ernst genommen, wichtige Aspekte lichkeiten für Mitglieder und Ehemalige bzw. nicht berücksichtigt und sich insgesamt zu Aussteiger*innen diesen Prozess beschleunigt. sehr der Welt und dem jeweiligen Zeitgeist Nicht zuletzt dürften die Säkularisierungspro- angepasst hätten. zesse in der Gesellschaft ebenfalls dazu beige- Mit der Gründung und Ausformung von tragen haben, dass die Haltung der Abschot- Sondergemeinschaften wurde innerhalb die- tung aufgegeben wurde. ser Gruppen oftmals ein absoluter Wahrheits- Mehrere herkömmlich als christliche Son- und Erlösungsanspruch entwickelt. Manche dergemeinschaften bezeichnete Gemein- dieser Gruppen wählen gezielt die Distanz zur schaften haben ihre Sonderlehren und die Welt, fordern Gehorsam und sind maßgeblich konfliktträchtigen Ausdrucksformen ihrer re- von einem Schwarz-Weiß-Denken bestimmt. ligiösen Praxis teils verändert und neu inter- Hinzu kommen die Vorstellung eines perfek- pretiert. Dazu zählen neben den Siebenten- tionistischen Christseins und ausgeprägte Tags-Adventisten und der Neuapostolischen endzeitliche Vorstellungen, wobei das Heil Kirche, um die es im Folgenden geht, u. a. die ausschließlich der eigenen Gemeinschaft zu- Weltweite Kirche Gottes, die Kirche des Naza- teilwerden soll. Das Selbstverständnis ist von reners, die Gemeinde Gottes (Cleveland) und angeblich neuen Einsichten in das biblische die Gemeinde Gottes (Anderson). Zeugnis oder von neuen Offenbarungen ge- In diesem Kapitel werden zwei Gemeinschaf- prägt. Die Entstehung und weitere Entwick- ten vorgestellt, die einen längeren bzw. einen lung christlicher Sondergemeinschaften ist beschleunigten Öffnungsprozess vollzogen maßgeblich im Gegenüber zu den christlichen und ihren Exklusivitätsanspruch aufgegeben Kirchen entwickelt und formuliert worden. haben: Die Freikirche der Siebenten-Tags- Die abgrenzende Haltung wurde zum ent- Adventisten (STA) und die Neuapostolische scheidenden Kennzeichen des eigenen Selbst- Kirche (NAK) sind mittlerweile Gastmitglied verständnisses. in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kir- 16 Evangelische Orientierungshilfe / Stammteil - Ausgabe für Bayern
CHRISTLICHE RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN IM WANDEL chen (ACK). Durch Begegnungen und offiziel- trachtet. Nachdem die NAK schon zuvor auf le Gespräche zwischen Vertreter*innen dieser lokaler (Memmingen 2006) und regionaler Gemeinschaften und der Kirchen kam es bei Ebene Gastmitglied der Arbeitsgemeinschaft den ehemaligen Sondergemeinschaften zur Christlicher Kirchen geworden war, wurde sie Formulierung eines neuen Selbstverständnis- im April 2019 auch auf Bundesebene offiziell ses, das nicht in Abgrenzung, sondern in einer als Gastmitglied aufgenommen. neuen Verhältnisbestimmung zu den christli- Zwischen diesen beiden Gemeinschaften chen Kirchen und der Suche nach einer ge- und der evangelischen Kirche gibt es regel- meinsamen Übereinstimmung in Fragen der mäßige bilaterale Kontakte und Begegnun- Lehre und Praxis formuliert wurde. gen, um Gemeinsamkeiten zu suchen, aber So haben sich die Siebenten-Tags-Adventis auch theologische Unterschiede zu diskutie- ten von einer radikal antikatholischen Gruppe ren. zu einer Freikirche gewandelt, die seit 1993 Weitere Informationen als Gastmitglied in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen vertreten ist. Verantwort- Matthias Pöhlmann / Christine Jahn (Hg.): lich dafür waren vor allem Begegnungen und Handbuch Weltanschauungen, Religiöse Ge- Gespräche von Adventisten, die als offizielle meinschaften, Freikirchen, Gütersloh 2015, Konzilsbeobachter des Zweiten Vatikani- 320-324. schen Konzils (1962–1965) anwesend waren. Ulrich H. J. Körtner: Ökumenische Kirchenkun- Bedenken haben die STA weiterhin, weil sie de, LETh 9, Leipzig 2019. befürchten, dass eine „Welteinheitsökumene“ Helmut Obst: Außerkirchliche religiöse Pro- das eigene adventistische Anliegen verwäs- testbewegungen der Neuzeit, KEG III/4, Berlin sern könnte. Deshalb haben sie die Charta 1990. Oecumenica, in der im Jahre 2003 „Leitlini- en für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa“ verabschiedet wurden, nicht mitunterzeichnet. Seit 2001 hat die Neuapostolische Kirche in einem ökumenischen Öffnungsprozess begon- nen, ihr Verhältnis zu den christlichen Kirchen neu zu bestimmen. Stammapostel Richard Fehr (Amtszeit: 1988–2005) setzte 1999 eine Projektgruppe Ökumene ein, die später in „Arbeitsgruppe Kontakte zu anderen Konfes- sionen/Religionen“ umbenannt wurde. Maß- geblich für die ökumenische Annäherung war nicht zuletzt die Veröffentlichung des neuen Katechismus der NAK im Jahre 2012, in dem sie ihr Selbstverständnis neu formulierte. Sie bekräftigt darin, dass sie sich den Glaubens- bekenntnissen der Alten Kirche verpflichtet fühlt und die ökumenische Zusammenarbeit mit anderen Kirchen als wichtige Aufgabe be- Evangelische Orientierungshilfe / Stammteil - Ausgabe für Bayern 17
CHRISTLICHE RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN IM WANDEL 2.2 Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten Wahrnehmungen stieß sie mit ihren Prophezeiungen im Kreis der Adventisten auf große Aufmerksamkeit. In verschiedenen Gegenden Deutschlands Nach einer Konferenz im Jahre 1863 wurde findet sich am Orteingang ein Hinweisschild, die Gemeinschaft der STA offiziell gegründet. auf dem die Adventgemeinde zu ihrem Got- Besonderen Wert legte E. G. White auf eine tesdienst am Samstag um 10:30 Uhr einlädt. gesunde Lebensweise für Christen. Die Er- Die Mitglieder heiligen den Sabbat (Samstag). richtung von Krankenhäusern und Sanatorien In ihrem Alltag legen die Siebenten-Tags- diente ebenfalls der Gesundheitspflege. 1876 Adventisten (STA) Wert auf eine gesunde Le- entstand die erste deutsche STA-Gemeinde in bensweise und verzichten auf Alkohol, Tabak Solingen. und oft auch auf fleischliche Nahrung. Die Freikirche der STA darf nicht mit Gruppen und Ihre Glaubensüberzeugungen haben die Initiativen verwechselt werden, die im Um- STA in 28 Glaubensartikeln zusammenge- feld von Kirchentagen meist antikatholische fasst. Folgende Lehrbesonderheiten sind darin und stark endzeitlich ausgerichtete Schriften zu finden: verteilen. In der Regel handelt es sich dabei Die sogenannte Heiligtumslehre (Art. 24- um Vertreter adventistischer Splittergruppen, 28) beruht auf der Vorstellung, dass es eine von denen sich die Freikirche der STA deutlich Nachbildung der alttestamentlichen Stifts- distanziert. hütte als Heiligtum im Himmel gebe, in der Jesus als Hohepriester seinen Opferdienst ver- Inhalte richte. Mit seinem Eintritt in das Heiligtum, Die Gemeinschaft der STA ist in der Mitte des der 1844 erfolgt sei, habe das Gericht vor der 19. Jahrhunderts in den USA entstanden. Ei- Wiederkunft Jesu begonnen. Die im Gericht nen prägenden Einfluss auf ihre Entstehung ermittelten Gerechten würden dann in den übten die zeitgenössischen nordamerikani- Himmel aufgenommen, die Ungerechten aber schen apokalyptischen Bewegungen aus. Der sterben. Daran schließe sich eine 1000-jähri- baptistische Farmer William Miller (1782– ge Zeit an, in der nur Satan und seine Engel 1849) begann die Bibel intensiv zu studie- auf der verwüsteten Erde hausen, während ren und meinte einen Schlüssel für die Be- Christus mit seinen Heiligen im Himmel herr- rechnung der sichtbaren Wiederkunft Christi sche und bis zur zweiten Auferstehung über gefunden zu haben, die er zwischen dem 22. die noch Unerlösten Gericht halte. Begleitet März 1843 und dem 21. März 1844 erwar- sei das Ende des Millenniums von einer kos- tete. Seine Botschaft stieß auf große Reso- mischen Entscheidungsschlacht. nanz. Als die von ihm errechnete Wiederkunft Der Sabbat ist für die STA der wöchentliche Christi ausblieb, war die Enttäuschung sehr „Gedenktag der Schöpfung“, der auch in den groß. Die Bewegung zerfiel in mehrere Grup- Zehn Geboten verankert sei. Sie begreifen ihn pen. Eine zentrale Person für die Einigung der auch als Sinnbild der Erlösung durch Chris verschiedenen adventistischen Gruppen war tus, als Zeichen der Heiligung, als Ausdruck Ellen Gould White (1827–1915), die sich zu- menschlicher Treue und als Vorgeschmack vor der Miller-Bewegung angeschlossen hat- ewigen Lebens im Reich Gottes. te. Da sie nach Auffassung von Glaubensge- Die Endzeit ist nach Vorstellung der STA schwistern den „Geist der Weissagung“ besaß, geprägt vom Glaubensabfall. Daher sei die 18 Evangelische Orientierungshilfe / Stammteil - Ausgabe für Bayern
CHRISTLICHE RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN IM WANDEL „Schar der Übrigen“ herausgerufen, um an über 20 Millionen getaufte Mitglieder in ins- den Geboten festzuhalten und den Glauben gesamt 215 Ländern. zu bewahren. Die „Übrigen“ hätten die Aufga- Einschätzungen be, darauf hinzuweisen, dass die Stunde des Gerichts gekommen sei: Diese sog. Dreifache Seit 1993 arbeitet die Freikirche der STA als Engelsbotschaft enthält nach der Vorstellung Gastmitglied in der Arbeitsgemeinschaft der STA (1) den Ruf zur Umkehr und zur allei- Christlicher Kirchen (ACK) sowie in der Ver- nigen Anbetung des Schöpfers angesichts des einigung Evangelischer Freikirchen (VEF) mit. nahenden Gerichts und (2) die Aufforderung Die Charta Oecumenica wurde von ihr nicht zur Abwendung von „Babylon“. Babylon wird unterzeichnet. Auf internationaler Ebene herkömmlich als falsche Verbindung von Re- gab es mehrere bilaterale Gespräche mit den ligion und Staat gedeutet. Die wahren Gläu- christlichen Kirchen. Für das Deutsche Natio- bigen werden aus korrumpiert erscheinenden nalkomitee des Lutherischen Weltbundes sind religiösen Organisationen herausgerufen. dabei noch verschiedene theologische Fragen Schließlich wird (3) davor gewarnt, das in der im Blick auf adventistische Sonderlehren of- Johannesoffenbarung genannte „Tier“ anzu- fen geblieben (Sabbat, Heiligtumslehre, End- beten. Dies wird als Ruf zur Entscheidung für zeiterwartung), die derzeit diskutiert werden. oder gegen Gott verstanden. (Zum Öffnungsprozess der STA vgl. das vor- Der Gabe der Weissagung wird eine beson- ausgehende Kap. 2.1.) dere Bedeutung beigemessen, sie sei jedoch Handlungsempfehlungen an der Schrift zu messen. Taufe und Abend- mahl gelten für die STA nicht als Sakramente, Taufen innerhalb der STA werden aus evan- sondern als „heilige Handlungen“. Dazu zählt gelischer Sicht als rite vollzogen anerkannt. ergänzend auch die Fußwaschung. Adventisten können gastweise zu evangeli- schen Abendmahlsfeiern eingeladen werden. Die Freikirche der STA ist zentralistisch Gegenseitige Besuche können ein besseres organisiert. Grundlegende Entscheidungen Verständnis auf beiden Seiten ermöglichen. werden auf internationaler Ebene von der Generalkonferenz-Versammlung getroffen. Bei der Zusammenarbeit mit einem Mitglied Mehrere Einzelgemeinden eines Landesteils der STA oder einer Anstellung eines Mitglieds bilden eine „Vereinigung“. Mehrere Vereini- sollte die Auswirkung der Sabbatheiligung gungen bilden einen „Verband“. Verbände ei- miteinander besprochen werden. nes Erdteils sind in weltweit 13 „Divisionen“ Weitere Informationen zusammengeschlossen. In Deutschland gibt es den Norddeutschen und den Süddeutschen Christian Feichtinger: Das geheiligte Leben. Verband. Die STA betreiben den „Adventis Körper und Identität bei den Siebenten-Tags- tischen Pressedienst Deutschland“ (APD), Adventisten, KKR 72, Göttingen 2018. zwei Verlage und den „Hope Channel“. Hin- Matthias Pöhlmann / Christine Jahn (Hg.): zu kommen mehrere soziale Einrichtungen. Handbuch Weltanschauungen, Religiöse Ge- Die Theologische Hochschule Friedensau in meinschaften, Freikirchen, Gütersloh 2015, Sachsen-Anhalt und das Schulzentrum Ma- 159-178. rienhöhe in Darmstadt widmen sich den Bil- dungsaufgaben der STA. Ende 2018 zählte die Freikirche in Deutschland 34 792, weltweit Evangelische Orientierungshilfe / Stammteil - Ausgabe für Bayern 19
CHRISTLICHE RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN IM WANDEL 2.3 Neuapostolische Kirche Wahrnehmungen wurde. Erst in jüngster Zeit hat sich die NAK davon distanziert und die Offenbarungsquali- Die Neuapostolische Kirche (NAK) hat in den tät dieser Botschaft bestritten. vergangenen Jahren einen enormen ökume- nischen Öffnungsprozess vollzogen. Seit April Einen wichtigen Schritt in Richtung Ökume- 2019 ist sie Gastmitglied in der Arbeitsge- ne vollzog die NAK mit der Veröffentlichung meinschaft Christlicher Kirchen (ACK). ihres neuen Katechismus im Dezember 2012. Vorangegangen waren zahlreiche mehrjährige Inhalte Kontaktgespräche mit kirchlichen Fachstellen. Die Wurzeln der NAK reichen in das England Darin hat die NAK eine Revidierung ursprüng- des 19. Jahrhunderts zurück. Hier entstanden licher Positionen vorgenommen, die dazu zwischen 1832 und 1835 die sog. Katholisch- führte, dass sie ihren bisherigen Exklusivitäts- Apostolischen Gemeinden, die sich als das anspruch aufgegeben hat. Sie schließt sich an „wieder aufgerichtete Erlösungswerk“ Jesu die altkirchlichen Bekenntnisse an und hat Christi, als wahre Kirche in der Endzeit ver- ein eigenes Glaubensbekenntnis formuliert. In standen. Theologische Streitigkeiten führten zehn Artikeln wird darin die verbindliche Lehre 1863 in Hamburg zur Abspaltung der Allge- der NAK formuliert. (Zum Öffnungsprozess der meinen Christlichen Apostolischen Mission; NAK in Richtung Ökumene vgl. auch Kap. 2.1.) aus deren Wurzeln ist – begleitet von wei- Eine Besonderheit der NAK ist das Apostel- teren Zerwürfnissen – die Neuapostolische amt: Für die NAK ist die wahre Kirche an das Gemeinde bzw. die NAK hervorgegangen. Amt des Apostels gebunden, da es unmittel- Auch in den Folgejahren kam es immer wie- bar von Jesus Christus eingesetzt worden sei. der zu Spaltungen, die zur Bildung weiterer Aufgabe des Apostels sei es, „heilsverlangen- Gemeinschaften wie des Apostelamts Jesu den Menschen Erlösung zugänglich zu ma- Christi oder der Apostolischen Gemeinschaft chen“ und „die Gläubigen auf die Wiederkunft führten. Die NAK ist das Ergebnis eines lang- des Herrn vorzubereiten“ (Katechismus, 289). wierigen Ablösungs- und Verwerfungsprozes- Darüber hinaus findet sich auch die Vorstel- ses. Pfingsten 1897 führte die Errichtung des lung, wonach der Stammapostel „gegenwär- Stammapostolats zur eigentlichen Konstituie- tige Offenbarungen“ empfangen könne, die rung der Gemeinschaft, die sich seit 1930 NAK aber – so die Interpretation – auch am bibli- nennt. Ihre weitere Geschichte wurde stark schen Zeugnis zu messen seien. von den jeweiligen Stammaposteln geprägt, Die NAK spendet drei Sakramente: Neben insbesondere von Johann Gottfried Bischoff der Wassertaufe und dem Abendmahl kennt (1871–1960). Während seiner Amtszeit kam sie noch die sog. Versiegelung, die Spendung es zu einer massiven Abgrenzung von ande- des Heiligen Geistes. Durch Wassertaufe und ren Kirchen und zu zahlreichen Abspaltungen. Versiegelung vollzieht sich die Gotteskind- Seine unerfüllte Erwartung, wonach er der schaft. Die NAK praktiziert als weitere Beson- letzte Stammapostel sei und die Wiederkunft derheit das sog. Entschlafenenwesen. Sie geht des Herrn unmittelbar bevorstehe, stürzte die von der Unsterblichkeit der Seele und einem NAK in eine große Krise, da die sog. „Bischoff- nachtodlichen Jenseits aus. Hier setzt das Botschaft“ auch noch lange Zeit danach als Entschlafenenwesen der NAK an: So spenden Offenbarung an den Stammapostel betrachtet der Stammapostel (Kirchenoberhaupt) oder 20 Evangelische Orientierungshilfe / Stammteil - Ausgabe für Bayern
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