Gutes Leben für alle braucht eine andere Globalisierung - Herausforderungen und Gestaltungsräume für Städte und Regionen - Stadt Wien

 
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Gutes Leben für alle braucht eine andere Globalisierung - Herausforderungen und Gestaltungsräume für Städte und Regionen - Stadt Wien
W E R K S T A T T B E R I C H T 173
                                      lokal    regional      national                  global

                                              Gutes Leben für alle
                                              braucht eine andere
                                              Globalisierung
                                              Herausforderungen und Gestaltungsräume
                                              für Städte und Regionen
Gutes Leben für alle braucht eine andere Globalisierung - Herausforderungen und Gestaltungsräume für Städte und Regionen - Stadt Wien
Gutes Leben für alle
braucht eine andere
Globalisierung
Herausforderungen und Gestaltungsräume
für Städte und Regionen
Gutes Leben für alle braucht eine andere Globalisierung - Herausforderungen und Gestaltungsräume für Städte und Regionen - Stadt Wien
Inhalt

          4 Vorwort der Vizebürgermeisterin
            von Wien, Maria Vassilakou

          8 Einleitung

         10 Leitfragen des 2. Kongresses
            Gutes Leben für alle

         12 Teil 1
            Gutes Leben für alle braucht eine andere Globalisierung

         14 5 Thesen zum Kongress                      36 Gutes Leben für alle braucht
            Gutes Leben für alle                          öffentliche Dienstleistungen:
            Andreas Novy & Alexandra Strickner            Rekommunalisierung als Trend
                                                           Alice Wagner & Iris Strutzmann
         16 Keynote von Andreas Novy
            beim Eröffnungspodium Kongress             38 Das Alternative Handelsmandat:
            Gutes Leben für alle am 9. Februar 2017       Eckpunkte einer gerechten EU Handels-
                                                          und Investitionspolitik
         24 Globalisierung 4.0: Warum das                  Alexandra Strickner
            Gute Leben für alle eine andere
            Globalisierung braucht                      42 Gutes Leben – gute Arbeit
            Werner Raza                                    Klemens Himpele

         27 A Commentary on the five-thesis             45 Was ist „gut“ und wer sind „alle“?
            proposal for the Good Life for All             Gewerkschaftliche Perspektiven
            Congress 2017                                  auf das Gute Leben für alle
            Jean-Marc Fontan                               Erich Foglar

         29 Globale Ressourcen-Fairness                 47 Soziale Innovationen
            für ein Gutes Leben für alle                   für ein Gutes Leben für alle
            Stefan Giljum                                  Michaela Neumayr

         32 Weltoffen Regional                          50 Gutes Leben für alle braucht die
            Eine nachhaltige Gesellschaft muss             Überwindung der „imperialen
            großteils regional wirtschaften. Mit           Lebensweise“
            Nationalismus und nationalstaatlicher          Interview von Sylvia Einöder
                                                           mit Ulrich Brand
            Abschottung hat dies jedoch nichts
            zu tun!
            Volker Plass

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Gutes Leben für alle braucht eine andere Globalisierung - Herausforderungen und Gestaltungsräume für Städte und Regionen - Stadt Wien
Inhalt

54 Teil 2
   Nahversorgung für alle – Herausforderungen und Beispiele gelingender Transformation

56 Nahversorgung für alle in der             72 Stadtentwicklung von unten –
   Donaustadt                                   Möglichkeiten, Grenzen, Kritik
   Andreas Novy & Beatrice Stude                Monika Grubbauer

59 Die „Foundational Economy“ als            76 Erfolreich Mobil
   work in progress                             Andreas Trisko & Michael Erdmann
   Leonhard Plank
                                             79 10 Jahre Brunnenpassage – #kunstwirkt
61 Zentren – Versorgungsknoten                  Ivana Pilić
   in einer Stadt der kurzen Wege
   Pia Hlava                                 82 Nahversorgung für alle in der
                                                Donaustadt
64 Gutes Leben für alle braucht                 Beatrice Stude
   Nahversorgung für alle
   Guido Schwarz                             86 Wiens Initiativen für ein
                                                Gutes Leben für alle
66 Gutes Leben für alle braucht                 Ira Mollay & Anna Leitner
   öffentlichen Raum für die
   Schwächsten                               92 Impressum
   Thomas Ritt

69 Urban Citizenship: Stadt für alle
   Sarah Schilliger & Ilker Ataç

                                                                                              3
Gutes Leben für alle braucht eine andere Globalisierung - Herausforderungen und Gestaltungsräume für Städte und Regionen - Stadt Wien
Vorwort der Vizebürgermeisterin

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    der vorliegende Werkstattbericht entstand aus einer Kooperation der Wiener Stadtplanung
    mit der Wirtschaftsuniversität und einer Vielzahl von wissenschaftlichen, zivilgesellschaftli­
    chen und gewerkschaftlichen Einrichtungen. Der Kongress Gutes Leben für alle 2017 an der
    Wirtschaftsuniversität brachte über 1000 Menschen – Fachleute, zivilgesellschaftlich aktive
    und engagierte Menschen – vom 9. bis 11. Februar 2017 zusammen, um über Alternativen
    zur aktuell stattfindenden Form der Globalisierung nachzudenken. Das Interesse der Wiener
    Stadtplanung an diesem Kongress war aus mehreren Gründen groß.

    Zum einen hat die Stadtregierung in ihrer Koalitionsvereinbarung schon 2015 ein Bekenntnis
    zum Guten Leben für alle als Vision Wiener Stadtpolitik abgegeben. So heißt es in der Prä­
    ambel: „Wir arbeiten an einer sozialen, weltoffenen und lebenswerten Zukunft, in der alle
    Perspektiven für sich und ihre Familien sehen. Jeder Mensch in Wien hat alle Chancen, sein
    Leben selbstbestimmt und unabhängig zu gestalten. Zwei Millionen Chancen, auf die Wien
    stolz sein kann.“ So verbindet die Stadtregierung mit den OrganisatorInnen das Interesse an
    konkreten Strategien, wie in kleinen Schritten und vielen Projekten die Utopie eines guten
    Lebens für alle Wirklichkeit werden kann.

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Gutes Leben für alle braucht eine andere Globalisierung - Herausforderungen und Gestaltungsräume für Städte und Regionen - Stadt Wien
Mag.a Maria
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                                                                                                   Vizebürgermeisterin,
                                                                                                   Stadträtin für Stadt­
                                                                                                   entwicklung, Verkehr,
                                                                                                   Klimaschutz,
                                                                                                   Energieplanung und
Zum anderen ermöglicht uns die Reflexion über die fünf Thesen des Kongresses, selbstbe­            BürgerInnenbeteiligung
wusst, aber auch kritisch über das Potenzial von Stadtpolitik zu reflektieren. So freute es uns,
festzustellen, dass Globalisierung nicht als Nullsummenspiel definiert wurde, bei dem mehr
internationale Zusammenarbeit auf Kosten der Handlungsspielräume von Gemeinden, Städ­
ten und Regionen geht. Die am Kongress angesprochene andere Globalisierung versteht sich
vielmehr als eine Verbindung aus Weltoffenheit und Heimatverbundenheit, die auf gemein­
sam verhandelten europäischen und globalen Regeln einerseits sowie klaren und erweiterten
Handlungsspielräumen „von unten“ andererseits fußt.

Es ist daher für die Wiener Stadtplanung notwendig, über den eigenen Tellerrand zu schauen.
Horizonterweiterung bedeutet gleichermaßen den Austausch über gelungene Erfahrungen
anderer Städte sowie die Suche nach geänderten Rahmenbedingungen, insbesondere die
Ermöglichung von ambitionierten Investitionsprogrammen in den stark wachsenden Städten
Europas. Es ist insbesondere das fiskalische Korsett, das es der Stadt Wien gegenwärtig schwer
macht, konsequent die notwendigen Schritte hin zu mehr Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit
zu setzen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Vergnügen beim Nachlesen über den Kongress und
dem Weiterdenken, ob und wie gutes Leben für alle Leitmotiv einer solidarischen und nach­
haltigen Stadt sein kann.

Maria Vassilakou
Vizebürgermeisterin von Wien

                                                                                                                            5
Gutes Leben für alle braucht eine andere Globalisierung - Herausforderungen und Gestaltungsräume für Städte und Regionen - Stadt Wien
Kongress Gutes Leben für alle

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Gutes Leben für alle braucht eine andere Globalisierung - Herausforderungen und Gestaltungsräume für Städte und Regionen - Stadt Wien
Februar 2017

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Gutes Leben für alle braucht eine andere Globalisierung - Herausforderungen und Gestaltungsräume für Städte und Regionen - Stadt Wien
Einleitung

             Vom 9. bis 11. Februar 2017 fand der 2. Kon­      ren gestaltet sein müssen, damit in der
             gress Gutes Leben für alle statt, organisiert     Stadt und vor Ort Experimente und
             vom Institute for Multi-Level Governance          Neues „von unten“ entstehen
             and Development, gemeinsam mit mehr als           kann sowie Weltoffenheit und systemi­
             30 KooperationspartnerInnen. Über 1000            sche Lösungen gemeinsam gedacht
             Personen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft,     und gelebt werden.
             Gewerkschaft, Politik und Verwaltung            – Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Gewerk­
             nahmen am Kongress teil, noch mehr als            schaften, PionierInnen des Wandels,
             am erfolgreichen ersten Kongress, der 2015        Politik und Kultur zu vernetzen und
             stattfand. Erneut ging es darum, Lern-,           unkonventionelle Lern- und For­
             Such- und Forschungspartnerschaften für           schungspartnerschaften zu unter­
             nachhaltige Lebens- und Produktionswei­           stützen.
             sen zu fördern und die Suche nach eman­
             zipatorischen Alternativen hin zu einem         Der Werkstattbericht mit dem Titel „Gutes
             transformierten Wirtschafts- und Gesell­        Leben für alle braucht eine andere Globalisie­
             schaftssystem zu unterstützen.                  rung. Herausforderungen und Gestaltungs­
                                                             räume für Städte und Regionen“ enthält
             Die Ziele des 2. Kongresses Gutes Leben         einen Auszug aus einer Reihe von Debatten,
             für alle mit dem Titel „Gutes Leben für alle    die wir beim Kongress geführt haben und die
             braucht eine andere Globalisierung“ waren:      es weiterzuführen und zu vertiefen gilt.

             – Einen Raum zu schaffen, um über               Im ersten Teil des Werkstattberichts geht es
               die Frage einer koordinierten wirt­           um die Auseinandersetzung und Reflexion
               schaftlichen Deglobalisierung zu              der fünf Thesen, die wir beide – Andreas
               diskutieren, um ein Gemeinwesen               Novy und Alexandra Strickner – beim
               gestalten zu können, in dem alle Men­         Kongress zur Diskussion gestellt haben. Wir
               schen ein gutes Leben führen können.          haben unterschiedliche Akteure – aus der
             – Gemeinsam zu erkunden, wie städti­            Stadtverwaltung, der Wissenschaft, Zivilge­
               sche Institutionen und Infrastruktu­          sellschaft, Gewerkschaft und Unternehmen –

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Gutes Leben für alle braucht eine andere Globalisierung - Herausforderungen und Gestaltungsräume für Städte und Regionen - Stadt Wien
gebeten, diese Thesen kritisch zu diskutieren    Akteure schwierig sind, wie z. B. im Bereich
und ihre Überlegungen dazu einzubringen.         des Klimawandels und der Weltfinanzord­
Die AutorInnen der Beiträge zeichnen weite­      nung.
re Wege für die Diskussion, teilen gewonnene
Einsichten oder werfen neue Fragen auf.          Wir wollen sichtbar machen, dass Aktivitäten
                                                 und Handlungsoptionen für Freiheit, Solida­
Im zweiten Teil des Werkstattberichts geht       rität, Nachhaltigkeit und Demokratisierung
es um die Frage der Möglichkeiten, Her­          auf diversen Ebenen möglich und notwen­
ausforderungen und Beispiele gelingender         dig sind. Emanzipatorische Politik ist nur
sozialökologischer Transformation auf der        im Zusammenspiel verschiedener Ebenen
lokalen bzw. städtischen Ebene. Die his­         umsetzbar.
torischen Erfahrungen von Wien in der
Schaffung städtischer Infrastrukturen und        Wir möchten an dieser Stelle der Stadt Wien
Institutionen, die ein gutes Leben für alle in   danken, die es ermöglicht hat, eine Auswahl
Wien Lebende ermöglichen, ist dabei genau­       an Kongressbeiträgen und Debatten im Rah­
so im Blickfeld wie die Herausforderungen,       men des Werkstattberichts zu publizieren.
die sich angesichts der gegenwärtigen Krisen     Wir hoffen, dass Sie, als Leserin bzw. Leser,
stellen. Es geht darum, sichtbar zu machen,      von diesen Beiträgen und Debatten inspi­
wie Menschen und Institutionen vor Ort           riert werden. Wir laden Sie herzlich ein, bei
Antworten auf die großen globalen Themen         Interesse uns auch kurze Blogbeiträge über
wie Klimawandel, Armut, Menschenrechte           diese Themen und Fragen zu schicken. Nach
und Welthandel geben. Damit wollen wir           Möglichkeit werden wir diese auf der Websi­
den Blick dafür schärfen, dass all diese The­    te www.guteslebenfueralle.org publizieren.
men auf unterschiedlichen Ebenen und mit
verschiedenen Strategien bearbeitet werden       Wir wünschen Ihnen eine spannende und
können. Neben globalen Handlungsstrate­          inspirierende Lektüre.
gien braucht es lokale – gerade in Zeiten wie
diesen, in der in manchen Themenfeldern          Andreas Novy & Alexandra Strickner
globale Antworten aufgrund der politischen       Kongressleitung

                                                                                                 9
Leitfragen
     des 2. Kongresses Gutes Leben für alle

10
1.
 Was müssen wir ändern
 oder weiterentwickeln, wenn
 wir ein gutes Leben für alle
 verwirklichen wollen (Rahmen­
 bedingungen, Institutionen,
 Infrastrukturen, Praktiken etc.)?

                                          2.
                    Woran wollen wir uns orientieren?
                    Welche Werte, Richtlinien und
                    Regeln sollen uns leiten?

               3.
          Was sind hilfreiche, konkrete
          Schritte dazu in der Wissen­
          schaft, Verwaltung, Zivilge­
          sellschaft, Gewerkschaften,
          Politik, Wirtschaft etc.?

                                                        11
Teil 1

12
Gutes Leben für alle
braucht eine andere
Globalisierung

                       13
5 Thesen zum Kongress Gutes Leben für alle,
Februar 2017

Andreas Novy, WU Wien & Alexandra Strickner, WU Wien & Attac Österreich

                           These 1:
                           Gesellschaften brauchen
                           Utopien, die Orientierung geben und Potenziale nutzen

                           In den gegenwärtigen Zeiten grundlegender Veränderung, den Angriffen
                           auf zivilisatorische Errungenschaften wie Rechtsstaat oder Menschen- und
                           BürgerInnenrechte und zunehmender Unsicherheit braucht es mehr, als nur
                           jeweils das Schlimmste zu verhindern. Für emanzipatorische Entwicklungen
                           braucht es positive Erzählungen, die Hoffnung geben und den Möglichkeitssinn
                           stärken. Ein Blick in die Geschichte lehrt uns das: Menschenrechte, Frauen­
                           rechte, die Abschaffung der Sklaverei oder ArbeitnehmerInnenrechte und
                           der Sozialstaat – am Anfang waren all diese Errungenschaften Utopien, die
                           Orientierung gaben und Potenziale mobilisiert haben.

                           These 2:
                           Gutes Leben für alle ist die
                           konkrete Utopie einer Zivilisation, die nicht auf Kosten anderer lebt

                           Das gute Leben für alle beschreibt eine Welt, in der das freie Zusammenleben
                           friedlich und solidarisch organisiert wird. Es ist ein positiver Gegenentwurf,
                           der Sinn stiftet und Fantasie anregt. Er stellt die Frage danach, wie Lebens- und
                           Produktionsweisen zu verändern und zu gestalten sind – und zwar so, dass das
                           eigene gute Leben nicht auf Kosten anderer erfolgt und Freiheit, Solidarität,
                           Nachhaltigkeit und Demokratisierung für alle ermöglicht. Das gute Leben
                           für alle ist ein Kompass, der konkrete Umsetzungsschritte ermöglicht und
                           diese in den großen Horizont hin zu einer verallgemeinerbaren Lebens- und
                           Produktionsweise einbettet. Insofern ist die Utopie des guten Lebens für alle
                           kein Wohlfühlkonzept, sondern eine Utopie, die zur Auseinandersetzung mit
                           Widersprüche und Konflikten zwingt.

                           These 3:
                           Freiheit für alle braucht Grenzen, die demokratisch verhandelt werden

                           Die aktuelle Hyperglobalisierung basiert auf entgrenzten Märkten, die die
                           Möglichkeiten sozialökologischer Veränderung massiv einschränken. Die
                           Utopie einer grenzenlosen Globalisierung, die zu Frieden und Entwicklung
                           führt, erweist sich zunehmend als Illusion. Die Starken setzen ihren Willen
                           mit und ohne Regeln durch. Doch Freiheit für alle ist ohne Grenzen, Regeln
                           und Ordnung nicht möglich. Doch was, wo und wie begrenzt wird, muss
                           demokratisch verhandelt werden. Das gilt insbesondere für Geld und Waren.
                           Es gilt, Vor- und Nachteile grenzenlosen Handelns abzuwägen und demokratisch
                           zu regeln.

14
These 4:
Selektive wirtschaftliche Regionalisierung ermöglicht Eigenständigkeit
und Weltoffenheit

Es geht darum, Globalisierung zu erden. Es braucht Strategien der
emanzipatorischen Regionalisierung, um Handlungsspielräume „von unten“
zurückzugewinnen. Dies erfordert demokratisch verhandelte Grenzziehungen,
insbesondere für Finanzmärkte, ebenso wie eine Zivilisierung des Welthandels,
die Sozial- und Umweltdumping verunmöglichen. Freihandel und Abschottung
sind keine emanzipatorischen Ansätze, vielmehr braucht es Spielregeln und
Rahmen, die ein sinnvolles Zusammenspiel von lokal und global ermöglichen
und die Widersprüchlichkeiten zwischen lokal und global, Vielfalt vor
Ort und globaler Zusammenarbeit im Interesse eines guten Lebens für alle
ausbalancieren. Für ein gutes Leben für alle braucht es beides: Eigenständigkeit
und Weltoffenheit, so etwas wie einen heimatverbundenen Kosmopolitismus.

These 5:
Auf dem Weg zum guten Leben für alle braucht es erweiterte Hand­
lungsspielräume „von unten“

Viele meinen, die großen globalen Themen – wie Klima, Armut, Menschen­
rechte und Weltwirtschaftsordnung – erfordern globale Handlungsstrategien.
Ohne die Notwendigkeit von Global Governance zu leugnen, zeigen die
aktuellen Entwicklungen (von Putin bis Trump), dass gegenwärtig globale
Handlungsfelder schrumpfen. Doch globale Probleme sind vielschichtig
und nicht nur global bearbeitbar. Auf allen räumlichen Ebenen gibt es
Handlungsspielräume für Klima- und Sozialpolitik. Auf allen Ebenen
können Menschen tätig werden, um Freiheit, Solidarität, Nachhaltigkeit und
Demokratisierung zu befördern. Es geht um Erfahrungen, etwas verändern zu
können, wirksam zu werden in der Gestaltung der Welt. Daher ist es sinnvoll
und notwendig, Handlungsfähigkeit auszuweiten, wo immer diese vorhanden
ist – regional, national und europäisch.

                                                                                   15
Keynote von Andreas Novy beim Eröffnungspodium
Kongress Gutes Leben für alle am 9. Februar 2017

Andreas Novy, WU Wien

                        andreas novy leitet das Institute for
                        Multi-Level Governance and Development
                        am Department Sozioökonomie der Wirt­
                        schaftsuniversität Wien. Er ist Obmann
                        der Grünen Bildungswerkstatt. Arbeits­
                        schwerpunkte sind sozialökologische
                        Transformation, Stadtentwicklung, soziale
                        Innovationen, Entwicklungsforschung und
                        Transdisziplinarität.

                        Sehr geehrte Damen und Herren,                      Teil der Weltbevölkerung den ressourcen­
                        liebe Kolleginnen und Freunde,                      verschlingenden westlichen Lebensstil
                                                                            praktiziert und dass wir die Rechnung ohne
                        als wir 2015 den ersten Kongress ausrich­           zukünftige Generationen machen. Tatsache
                        teten, war dies vor dem Hintergrund eines           ist: der kleinere Teil der Weltbevölkerung ist
                        sich verschärfenden Widerspruchs zwi­               reich, lebt gut und ökologisch nichtnachhal­
                        schen Ökologie und Ökonomie – Stichwort             tig; der größere Teil ist arm, lebt nicht so gut,
                        Wachstumskritik. Im Vordergrund stand,              dafür aber ökologisch nachhaltig.
                        neu zu definieren, worum es bei einem gu­
                        ten, einem geglückten Leben geht – weniger          Das thematisiert ein grundlegendes Dilem­
                        konsum-, mehr beziehungsorientiert, mit             ma: Bislang waren Zivilisationen immer
                        Zeitwohlstand, Lebensqualität und sozialer          Gesellschaften, in denen einige auf Kosten
Unser Wirt­             Sicherheit. Wir interessierten uns vor allem        vieler gut leben konnten: die Leistungen
schaftssystem           für die Avantgarde, die PionierInnen des            eines Aristoteles – inklusive seiner Schriften
                        Wandels, die, die es schon heute anders ma­         zum guten Leben – verdanken sich auch den
ist nicht
                        chen – Energie sparen, Ressourcen sorgsam           Frauen, SklavInnen und Fremden, die ihm
nachhaltig.
                        nutzen, gemeinsam anpacken. Von diesen              die nötige Muße ermöglichten. Und auch
                        Initiativen von unten gibt es viel zu lernen.       viele Bequemlichkeiten unseres Lebens ver­
                        2015 gab es sogar eine eigene, von Josef            danken sich internationalen Ausbeutungs­
                        Kreitmayer organisierte Initiativenmesse, bei       strukturen – sei es bei Handys, Textilien oder
                        der sich 65 Projekte vorstellten – und die vie­     dem Zugang zu Öl und Gas.
                        len von der Mutmacherei organisierten Ex­
                        kursionen geben auch diesmal wieder einen           Heute, 2017, erscheinen – zumindest
                        Einblick in die Kreativität von unten. Aber         wenn wir uns an Berichterstattung, Wahl­
                        gleichzeitig ist klar: Es reicht nicht, wenn sich   kampfthemen, öffentlicher Aufmerksamkeit
                        Initiativen wie Magdas Hotel, RUSZ oder die         orientieren – ökologische Sorgen zweitran­
                        Bank für Gemeinwohl in Nischen einrichten.          gig. Die Rahmenbedingungen, unter denen
                        Das Problem ist nämlich ein systemisches.           der zweite Kongress stattfindet, sind ge­
                                                                            prägt von Krieg in Europas Nachbarschaft,
                        Unser Wirtschaftssystem ist nicht nachhal­          Flüchtlingen, Brexit und Trump. Ökologie
                        tig. Es basiert darauf, dass nur ein kleiner        und Klima sind – nur unterbrochen durch

16
Berichte über Wetterextreme – wieder aus         sind fünf Thesen entstanden, die ich im rest­
den Schlagzeilen verschwunden. Die soziale       lichen Vortrag ausführen möchte.
Frage und vermeintliche Kulturkämpfe sind
zurück auf der Agenda.                           These 1: Gesellschaften brauchen
                                                 Utopien, die Orientierung geben und
Tatsächlich aber bewahrheitet sich eine          Potenziale nutzen
Kernthese der Umweltforschung: Weiter so
wie bisher ist keine Option. Veränderung         Ein Blick in die Geschichte lehrt: Menschen­
kommt entweder chaotisch oder es ge­             rechte, Frauenrechte, die Abschaffung der
lingt, die sozialökologische Transformation      Sklaverei oder der Sozialstaat – am Anfang
friedlich zu gestalten. Flucht und Krieg sind    waren all dies Utopien, die als unrealistisch,
die wahrnehmbaren Symptome von Chaos,            als Schwärmerei abgetan wurden. Doch sie
Klimawandel und wirtschaftliche Verwer­          gaben Orientierung und mobilisierten. Die        Es geht
fungen die bedrohliche Hintergrundmu­            Mütter vom Plaza Mayo in Argentinien,            darum, die
sik, die daran erinnert, dass die eigene, als    Martin Luther King, Rosa Jochmann und            sozialökologische
selbstverständlich angesehene Lebensweise        Nelson Mandela. Bis heute werden über sie
                                                                                                  Transformation
gefährdet ist. Alles, vom Schifahren zu Weih­    Geschichten erzählt, die Hoffnung geben
nachten bis zu den Zukunftschancen der           und den Möglichkeitssinn stärken. Das            friedlich zu
Kinder, aber selbst Friede und Rechtsstaat in    Bestehende, das, was ist, ist nicht das einzig   gestalten.
Europa erscheinen nicht länger als Selbstver­    Mögliche. Es könnte auch anders sein.
ständlichkeiten. Es könnte, so die sich rasant
verbreitende Erkenntnis, auch ganz anders        Und um etwas anderes, potenziell Verwirk­
– und zwar schlechter – werden. Katastro­        lichbares anstreben zu können, braucht es
phismus macht sich breit. Doch angesichts        Ziele, Visionen, für die es sich lohnt, Zeit,
der Angriffe auf zivilisatorische Errungen­      Hirnschmalz, Energie, Engagement zu
schaften braucht es mehr als Abwehrkämp­         investieren. Es braucht eine Idee, in welcher
fe, mehr als nur jeweils das Schlimmste zu       Richtung Alternativen zu suchen sind.
verhindern.
                                                 Bei seiner Amtseinführung sagte Alexander
Im Zuge der Vorbereitung, auch in vielen         van der Bellen: „Wesentlich scheint mir, dass
Gesprächen mit KooperationspartnerInnen,         die Politik es schafft, die Rahmenbedingun-

                                                                                                                  17
Keynote von Andreas Novy

                     gen so zu gestalten, damit möglichst viele,      Sozialstaat; an den Kampf um Menschen­
                     eigentlich alle Menschen die Möglichkeit         rechte und für die Ächtung von Krieg. Die
                     haben, ein für sie geglücktes Leben … zu         Utopie vom guten Leben für alle basiert auf
                     führen.“ Den Worten des Bundespräsidenten        der Republiksgründung 1918, dem Roten
                     folgend stehen wir vor einer Herausforde­        Wien der Zwischenkriegszeit, dem kulturel­
                     rung: Ist es möglich, unsere Errungenschaf­      len Aufbruch nach 1968 und dem ökologi­
                     ten in Europa – Rechtsstaat, Menschenrechte,     schen Bewusstsein der letzten Jahrzehnte. Es
                     materieller Wohlstand und soziale Sicherheit     ist also eine Utopie, die eine Geschichte hat.
                     – zu bewahren und gleichzeitig für möglichst     Wissend, woher wir kommen, ermöglicht
                     alle Menschen die Voraussetzungen zu schaf­      sie den Blick in eine bessere Zukunft, die
                     fen, dass sie gut leben können – heute und in    Antworten findet auf eine zentrale Frage:
                     Zukunft? Das führt zu These 2:                   Wie müssen wir in Österreich Leben und
                                                                      Arbeiten gestalten, sodass sieben Milliarden
                     These 2: Gutes Leben für alle ist die kon­       Menschen ebenfalls gut leben können, mit
                     krete Utopie einer Zivilisation, die nicht       ähnlichem ökologischen Fußabdruck und
                     auf Kosten anderer lebt                          Ressourcenverbrauch? Keine leichte Frage.
                                                                      Fest steht, dass dies zu Auseinandersetzun­
                     Das gute Leben für alle führt zu einem           gen mit widerstreitenden Wünschen und
                     ökologischen Imperativ: „Lebe so, dass dein      Interessen führen wird. Das führt zur dritten
                     Lebensstil verallgemeinerbar sein könnte.“       These:
Die Globalisierung   Ein Beispiel: In Städten der kurzen Wege, mit
ist mitverant­       Begegnungszonen, Radfahren, Öffis, Nahver­       These 3: Freiheit für alle braucht
wortlich für den     sorgung und Naherholung könnten sieben           Grenzen, die demokratisch verhandelt
                     Milliarden Menschen leben. Dreieinhalb           werden
Klimawandel.
                     Milliarden Autos weltweit, die die Mobi­
                     litätsbedürfnisse eines durchschnittlichen       Die aktuelle Hyperglobalisierung basiert auf
                     Österreichers globalisieren, führen in den       entgrenzten Märkten, die Wettbewerb, Be­
                     ökologischen Kollaps. In diesem Sinne gibt       schleunigung und Ressourcenübernutzung
                     das gute Leben für alle Orientierung für eine    immer weiter vorantreiben. In der Spirale
                     Lern- und Suchbewegung, die das eigene           von Mehr und Schneller bleiben demokrati­
                     gelungene Leben mit den Möglichkeiten aller      sches Nachdenken, sozialer Zusammenhalt
                     Menschen, auch zukünftiger Generationen,         und Nachhaltigkeit auf der Strecke. Der
                     vereinbar macht. Es ist also kein Brief ans      aktuelle empirische Befund, der mittler­
                     Christkind, sondern eine konkrete Utopie,        weile auch von OECD und Währungsfonds
                     die auf den Werten der Aufklärung und der        geteilt wird, ist besorgniserregend. Sowohl
                     Französischen Revolution beruht: Vernunft,       Thomas Piketty als auch Branko Milanovic
                     Freiheit, Gleichheit und Solidarität – ein Ge­   weisen auf die Gefahr hin, dass die zweite
                     meinwesen für alle, eine Zivilisation, in der    Globalisierung des 21. Jahrhunderts zu den
                     nicht einige auf Kosten anderer leben. Das       Klassenstrukturen des 19. Jahrhunderts
                     wäre, halten wir fest, historisch etwas gänz­    zurückzukehren droht. Das 19. Jahrhun­
                     lich Neues. Aber es ist nicht weltfremd.         dert, erinnern wir uns, war das Jahrhundert
                                                                      von Raubtierkapitalismus, Kolonialismus
                     Denn diese Utopie baut auf Erfahrungen, sie      und Imperialismus. Heute verfestigt sich
                     schließt an an die Bewegung für Rechts- und      Ungleichheit erneut; Aufstiegschancen von

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Unterschichtskindern schwinden; Abstiegs­        gen wachsen. Sind die Ziele klar, können
ängste der Mittelschicht steigen.                Menschen gemeinsam gestalten – transfor­
                                                 mation by design wird dies in der Umweltfor­
Die Freiheit der einen endet, wo die Frei­       schung genannt. Auch wenn Österreich kein
heit anderer eingeschränkt wird. Das gilt        Land der Revolutionen ist, verdanken sich
umso mehr in einer endlichen Welt mit            auch bei uns soziale Errungenschaften der
beschränkten Ressourcen. Historisch wurden       Arbeiterbewegung, Frauenrechte der Frau­
Verteilungskämpfe gelöst, indem selektiert       enbewegung und ökologisches Bewusstsein
wurde, indem einige privilegiert, viele aber     der Umweltbewegung. Transformation by
unter prekären Bedingungen leben mussten.        design gibt es nicht zum Nulltarif, sie kann
Selbst die Ringstraße, Wiens Prachtboule­        auch nicht delegiert werden an die Politik
vard, verdankt seine Schönheit den elendigen     oder Expertinnen, sondern sie erfordert das
Bedingungen, unter denen, wenige Kilome­         Aktiv-Werden, politisches Engagement, und
ter entfernt am Wienerberg, die damaligen        das wiederum geht nur mit demokratischer
Migranten, die Ziegel-Bem, die Arbeiterin­       Regelsetzung, wissend, dass die Starken ihren
nen aus Tschechien, Ziegel für die Pracht­       Willen – mit und ohne Regeln – immer
bauten herstellten. Pracht und Schönheit         leichter durchsetzen. Freiheit für alle ist aber
einerseits, Elend andererseits. Es bedurfte      ohne Grenzen, Regeln und Ordnung nicht
der Arbeiterbewegung, aus eben diesen            realisierbar.
Migranten, den Novys, Prohaskas und Pos­
pisils, BürgerInnen dieser Stadt zu machen.      Hier auf der WU muss nochmals klargestellt         Die Globalisie­
Von 1919 bis 1934 legte das Rote Wien mit        werden, was auf dem Spiel steht. Kapitalisti­      rung führt zu
seinen Gemeindebauten, seinen Bädern und         sche Marktwirtschaften sind eine Erfolgsge­        einer immer
Bibliotheken, seiner Schul- und Sozialhilf­      schichte. Die letzten 200 Jahre haben ja nicht
                                                                                                    intensivierten
ereform den Grundstein für eine Stadt, die       nur exponentielles Wachstum, Konsumismus
bis heute zwar nicht allen, aber doch vielen     und Kolonialismus, sondern auch sozia­             Ausbeutung
ein gutes Leben ermöglicht. Doch waren all       len Fortschritt und individuelle Freiheiten        von Natur.
diese sozialen Fortschritte damals keinesfalls   gebracht. Hartmut Rosa spricht von Weltrei­
unumstritten. Während Friedrich Hayek,           chenweitenvergrößerung, erweiterten Mög­
der neoliberale Vordenker, das Rote Wien         lichkeitsräumen. Sich von so einem, in der
als Wegbereiter hin zur Knechtschaft sah,        Vergangenheit für unsere Breiten so erfolg­
verkörperte es für Karl Polanyi, den Versuch,    reichen grenzenlosen Wirtschaften zu ver­
Freiheit für alle zu verwirklichen. Obwohl       abschieden, ist nicht leicht, aber angesichts
das Rote Wien 1934 durch Bürgerkrieg und         ökologischer Dynamiken unvermeidbar. Der
austrofaschistische Diktatur endete, ebnete      Hyperglobalisierung, dem Wachstumszwang
es den Weg für ein inklusives Wohlfahrtsmo­      und einem Konkurrenzdenken, das alle Le­
dell und eine Stadtentwicklung, die bis heute    bensbereiche unterwandert, müssen Grenzen
Slums, Banlieus und extreme Formen der           gesetzt werden.
Gentrifizierung vermieden hat.
                                                 Handelskriege, konkurrenzorientierte
Von diesen historischen Erfahrungen kön­         Abschottung und kriegsbedingte Deglobali­
nen wir lernen. Die Bearbeitung der sozialen     sierung sind aber keine emanzipatorischen
Frage in Europa im 20. Jahrhundert zeigt:        Antworten. Unbestritten ist, dass die Ent­
Gesellschaften können an Herausforderun­         grenzung der Geld- und Finanzmärkte die

                                                                                                                      19
Keynote von Andreas Novy

                     Krisenanfälligkeit erhöht, die Marktmacht       me „von unten“ zurückgewonnen werden.
                     von Konzernen und Vermögensbesitzenden          Doch davon ist die aktuelle EU sehr weit
                     gestärkt und demokratische Gestaltungs­         entfernt, ja sie untergräbt mit ihrem neolibe­
                     spielräume eingeschränkt hat. Diesbezüglich     ralen Regelwerk kommunale und nationale
                     ist auch Trump – entgegen der landläufigen      Gestaltungsmöglichkeiten. Sie ist heute vor
                     Einschätzung – ein Hyperglobalisierer, der      allem treibende Kraft zur Entgrenzung von
                     die Ökonomisierung aller Lebensberei­           Märkten.
                     che radikalisiert. An sich ist der verstärkte
                     Regulierungsbedarf im Finanzsektor mitt­        Dringend benötigt wird aber eine Europäi­
                     lerweile weitgehend unbestritten. Rasend        sche Union als soziales und demokratisches
                     schnelles, hypermobiles Finanzkapital ist ein   Gegengewicht zur Hyperglobalisierung, als
                     Haupttreiber universeller Konkurrenz um         Gegenmacht zu global agierenden Konzer­
                     alles und jedes. Im Warenhandel ist die Frage   nen, die marktbeherrschende Stellungen
                     bezüglich Globalisierung komplexer, denn        einnehmen – denken wir nur an Bay­
                     Welthandel hat auch viele Vorzüge, weshalb      er-Monsanto, Amazon, Google und Apple;
                     es hier gilt, Vor- und Nachteile grenzenlosen   oder an Unternehmen, die „too big to fail“
                     Handelns abzuwägen.                             sind, um für ihr Marktversagen bestraft zu
                                                                     werden, wie Volkswagen oder zuletzt Monte
Weder unbegrenz­     Es geht also darum, Globalisierung zu           del Paschi in Italien. Wirtschaftliche Regio­
ter Freihandel       erden. So wenig wie sich Europa auf Brüssel     nalisierung könnte derartige Machtkonzen­
noch Abschottung     reduziert (Europa ist auch genauso Lesbos,      trationen vermeiden und die Übermacht
                     Ostslowakei und Langenlois), findet Glo­        globaler Player einschränken. Welthandel
sind emanzipa­
                     balisierung nicht nur auf Weltkonferenzen       könnte dann ein Korrektiv sein, regionale
torische Ansätze.    oder einer herbeigewünschten Weltregierung      Monopole und Seilschaften zu verhindern.
                     statt, sondern Globalisierung wird auch „von
                     unten“ gemacht: destruktiv und konstruktiv      Denn weder unbegrenzter Handel noch
                     werden auch vor Ort planetarische Grenzen       Abschottung sind emanzipatorische Ansät­
                     und Klimaveränderungen mitgestaltet. Das        ze. Vielmehr braucht es möglichst simple
                     führt zur These 4.                              Spielregeln und Rahmen, die ein sinnvolles,
                                                                     demokratisch gestaltetes Zusammenspiel von
                     These 4: Selektive wirtschaftliche              lokal und global ermöglichen und die Wi­
                     Regionalisierung ermöglicht Eigen­              dersprüchlichkeit zwischen Vielfalt vor Ort
                     ständigkeit und Weltoffenheit                   und globaler Zusammenarbeit ausbalanciert.
                                                                     Es braucht beides: Eigenständigkeit und
                     Strategien einer emanzipatorischen Regio­       Weltoffenheit, so etwas wie einen heimatver­
                     nalisierung brauchen vor allem Kostenwahr­      bundenen Kosmopolitismus.
                     heit im Transport. Dann wäre kleinteiliges
                     Wirtschaften wieder attraktiver. Saisonales     Der Wertschätzung von Vielfalt und Regi­
                     und regionales Essen, aber auch lokale          onalisierung wird wohl leicht zugestimmt.
                     Reparaturnetzwerke könnten eine auf Klein-      Und trotzdem meinen viele, die großen
                     und Mittelbetrieben aufbauende regionale        globalen Themen – wie Klima, Armut, Men­
                     Ökonomie stützen. Durch transnationale Re­      schenrechte und Weltwirtschaftsordnung
                     gionalisierungen, allen voran die europäische   – erfordern globale Handlungsstrategien.
                     Integration, könnten Handlungsspielräu­         Globale Koordinierung ist in der Tat wichtig,

20
Wir brauchen neue Ansätze,
um die brennenden Probleme
unserer Zeit zu bearbeiten.

                              21
Keynote von Andreas Novy

Wirtschaft und       zugleich zeigen die aktuellen Entwicklungen     eindrucksvoll vorgestellt. Geld eröffnet
Gesellschaft         (von Putin bis Trump), dass gegenwärtig         vermeintlich größtmögliche Freiheit: Texti­
müssen grund­        globale Zusammenarbeit prekär ist. Schon        lien aus Bangladesh, Mangos aus Brasilien,
                     lange beobachten wir, dass Investoren und       Bücher von Amazon, Taxi von Uber – all
legend neu
                     Finanzmärkte demokratische Regierungen          diese Produkte sind mit Geld erwerbbar,
organisiert          erpressen oder aber direkt an den Hebeln        oftmals billiger als lokal angebotene Waren.
werden.              der Macht sitzen. Ex-Kommissionspräsident       Die unintendierte Folge der vielen einzelnen
                     Barroso ist ein letztes Beispiel dieses fata­   Kaufentscheidungen ist aber nicht nur die
                     len Drehtüreffekts. America First, Trumps       Konzentration von Macht und die damit
                     Anspruch, die politische Macht zum eige­        verbundene Erosion von Demokratie, son­
                     nen wirtschaftlichen Vorteil einzusetzen,       dern auch die Manipulation des Angebots
                     untergräbt ernsthafte globale Kooperation.      – unkontrollierte Gentechnik und Agrobu­
                     Vor dem Hintergrund dieser realpolitischen      siness gehen Hand in Hand; Amazon und
                     Sachlage braucht es neue Strategien, um die     Uber wollen keine Gewerkschaften, globale
                     brennenden Probleme unserer Zeit dennoch        Finanzmärkte bestrafen Regierungen, die fair
                     zu bearbeiten. Gott sei Dank sind globale       besteuern und Sozialprogramme einführen
                     Probleme nicht nur global bearbeitbar. Das      wollen.
                     führt zu fünften und letzten These.
                                                                     Das Anliegen dieses Kongresses ist es, die
                     These 5: Auf dem Weg zum guten Leben            Lösung dieses Dilemmas nicht bei individuell
                     für alle braucht es erweiterte Hand­            fairen Kaufentscheidungen zu suchen, son­
                     lungsspielräume „von unten“                     dern in einer radikalen Neudefinition dessen,
                                                                     was gutes Leben für alle braucht. Auch da
                     Eine der Kernbotschaften dieses zweiten         helfen die Überlegungen Hartmut Rosas zu
                     Kongresses lautet: Auf allen räumlichen         Resonanz und sein Insistieren auf gelungene
                     Ebenen gibt es Handlungsspielräume für          Weltbeziehungen, die uns berühren, anspre­
                     Klima- und Sozialpolitik; und es gilt, wo im­   chen, die „etwas in Schwingung bringen“.
                     mer möglich, diese zu nutzen und auszuwei­      Sein statt Haben. Politisch gesprochen geht
                     ten – regional, national und europäisch. Auf    es um die Abkehr vom Konsumismus als
                     allen Ebenen können Menschen tätig werden       Illusion, die Bedürfnisse von sieben Milliar­
                     und den notwendigen sozialökologischen          den Menschen ließen sich allein am Markt
Es braucht andere    Umbau unserer Wirtschaft und Gesellschaft       befriedigen. Geld haben, das mit Kreditkarte
Formen als den       vorantreiben. Die eigene Nachbarschaft,         global Shoppen-Gehen, ist nicht die ganze
Markt, um die        Österreich und Europa sind wichtige Hand­       Freiheit, die wir meinen.
                     lungsebenen.
grundlegenden
                                                                     Gutes Leben für alle braucht die Abkehr
Bedürfnisse von      Jede, jeder von uns ist gleichermaßen Kon­      von dieser Illusion, die unter ökologischen
sieben Milliar­      sumentin, BürgerIn, Beschäftigte. Globale       Gesichtspunkten desaströse Konsequenzen
den Menschen         Finanzmärkte und digitale Medien haben          hätte. Es braucht andere Formen, wie die
zu befriedigen.      universelle Märkte geschaffen, die uns als      Befriedigung von Bedürfnissen organisiert
                     KonsumentInnen durch den Besitz von             wird. Unbegrenzte Mobilität und unbegrenz­
                     Geld ermächtigen. Durch die Globalisie­         te Einkaufsmöglichkeiten haben einen Preis
                     rung vergrößert sich unsere Weltreichweite      – und dieser Preis kann für ein Gemeinwesen
                     dramatisch – das hat Hartmut Rosa gestern       hoch – mitunter zu hoch – sein. Die Kämpfe

22
rund um Airbnb und Uber zeigen, dass uns     Die Strategie, klimaschädliche Infrastruktu­
hier Auseinandersetzungen um Grenzzie­       ren zurückzubauen – allen voran bestimmte
hungen und Regulierungen bevorstehen.        Verkehrsinfrastrukturen und fossile Ener­
Klemens Himpele kann darüber beim Glo­       giesysteme – und stattdessen eine leistbare
balisierungs-Panel sicher mehr berichten.    sozialökologische Infrastruktur für alle
                                             auszubauen, ist daher sicherlich der beste
Statt Wohlstand über den Zugang zu Geld      Weg, um strukturelle Veränderungen weg
zu definieren, braucht es „von unten“ eine   von Konsumismus und Wachstumszwang
Neudefinition von Lebensqualität im Sin­     einzuleiten. Während die Umverteilung von
ne geglückter Weltbeziehung – durch die      Geld die Funktion hat, Not zu lindern – und
erfolgreiche Integration von Schutzsu­       das ist nicht wenig!, sind attraktive öffentli­   Wir brauchen
chenden, durch Projekte, die Mittelschule    che Räume, billige öffentliche Verkehrsmittel,    klimafreundliche
und Gymnasium in Dialog bringen, durch       Zeitwohlstand, erschwinglicher Zugang zu          Infrastrukturen
energieautarke Gemeinden. Gemeinden und      Energie, Wasser, Wohnen, Gesundheit und
                                                                                               für eine solidari­
Städte haben die Möglichkeit, Menschen,      Bildung, Kommunikation und vielem mehr
die im Kleinen etwas verändern wollen, die   notwendige Voraussetzungen für eine neue,         sche Lebensweise.
selbst-wirksam ihr Lebensumfeld und die      solidarische Lebensweise mit reduziertem
Welt gestalten, zu unterstützen. „Vor Ort“   ökologischen Fußabdruck – aber besserer
handeln heißt Sorge zu tragen für das Le­    Lebensqualität für alle.
bensumfeld, Verantwortung zu übernehmen
für diesen Planeten, Politisch-werden im     In diese Richtung sollte Wissenschaft den­
Sinne der Gestaltung des Gemeinwesens und    ken, in diese Richtung sollten soziale Bewe­
der Welt.                                    gungen aktiv werden. Vielen Dank!

                                                                                                                23
Globalisierung 4.0: Warum das gute Leben für alle
eine andere Globalisierung braucht

Werner Raza, ÖFSE

                    Werner raza ist Ökonom und seit
                    2010 Leiter der Österreichischen
                    Forschungsstiftung für Internationale
                    Entwicklung (ÖFSE). Arbeitsschwer­
                    punkte sind Internationaler Handel,
                    Entwicklungsökonomie und -politik.

                    Neoliberale Globalisierung – Ziele und         rechten (Patente, Copyrights), beides beson­
                    Motive                                         dere Anliegen transnationaler Konzerne.

                    Die neoliberale Globalisierung der letzten     Die spezifische politische Intention des
                    30 Jahre beruhte auf einem Projekt Tiefer      Projekts bestand in einem disciplinary
                    Integration, das heißt, Ziel war und ist die   neoliberalism (Stephen Gill), das heißt der
                    Herstellung eines möglichst einheitlichen      Einschränkung politischer Handlungsspiel­
                    globalen ordnungspolitischen Rahmens für       räume mit dem Ziel der Etablierung eines
                    eine zunehmend transnational organisierte      new constitutionalism im Sinne einer recht­
                    Ökonomie. Das erforderte insbesondere          lichen Absicherung des globalen ordnungs­
                    einen Doppelschritt zur Deregulierung          politischen Rahmens durch internationale
                    historisch gewachsener, aber aus Sicht des     Verträge, insbesondere auf Ebene der Welt­
                    transnationalen Kapitals handelshemmender      handelsorganisation WTO.
                    nationaler Wirtschaftsordnungen und ihrer
Die politische      teilweisen Re-Regulierung durch einheitliche   Effekte neoliberaler Globalisierung
Absicht der         globale Standards. Daher ging es nicht bloß
neoliberalen        um die Durchsetzung des Freihandels durch      Diese Form der Globalisierung blieb für
                    Beseitigung von Zöllen, sondern vor allem      Gesellschaft, Ökonomie und Natur nicht
Globalisierung
                    um die Liberalisierung von Kapitalflüssen,     folgenlos, sondern zeitigte eine Reihe von
besteht in der      von Dienstleistungen und partiell auch um      Effekten. Besonders bedeutend darunter
Einschränkung       Arbeitnehmerfreizügigkeit. Nicht zufällig      erscheinen mir die Folgenden:
politischer         liegt der Schwerpunkt der rezenten Handels­
Handlungs­          politik à la TTIP und CETA auf Themen          Erstens kam es zu starken sektoralen und
                    wie der Vereinheitlichung von technischen      räumlichen Verschiebungen der Produk­
spielräume.
                    Standards, von behördlichen Prüf- und          tion. Die starke räumliche Fragmentierung
                    Genehmigungsverfahren, oder von Sektor­        von Produktionsprozessen führte zum
                    regulierungen z. B. im Finanzsektor oder       Entstehen globaler Produktionsnetzwerke,
                    bei Infrastrukturleistungen. Darüber hinaus    innerhalb derer einzelne Produktionsschrit­
                    zentral sind auch die Öffnung nationa­         te in unterschiedliche Länder ausgelagert
                    ler öffentlicher Beschaffungssysteme und       wurden. Während wertschöpfungsinten­
                    die Durchsetzung einheitlicher und hoher       sive Bereiche und die Kontrolle über die
                    Schutzstandards bei geistigen Eigentums­       Produktionskette in den Industrieländern

24
verblieben, wurden arbeitsintensive Schritte     del, insbesondere im Rahmen von globalen
in Billiglohnländer ausgelagert. Das führte      Produktionsnetzwerken ist der zentrale
zu Kosteneinsparungen, die zum Teil die          Treiber für die Zunahme des Transports. So
Unternehmensprofite erhöhten, zum Teil           kam es zu einer Verdoppelung des Energie­
über geringere Warenpreise den Konsumen­         einsatzes im globalen Transportwesen in den
tInnen zugutekamen, allerdings häufig unter      letzten 30 Jahren. Die höchsten Steigerungs­
brutaler Ausbeutung von ArbeiterInnen und        raten entfielen dabei auf den internationalen
Natur in den Schwellen- und Entwicklungs­        Flug- und Schiffsverkehr. Der Anteil des
ländern. In geopolitischer Hinsicht ermög­       Verkehrs an den globalen Emissionen steigt
lichte die neue internationale Arbeitsteilung    stark, so sind diese in der EU zwischen 1990
aber auch die wirtschaftlichen Aufholpro­        und 2014 von 15 % auf 23 % gestiegen.
zesse der Schwellenländer, insbesondere von
China, Indien, Indonesien oder der Türkei.       Viertens, brachte die Globalisierung einen       Globalisierung 4.0
                                                 Verlust demokratischer Handlungsspiel­           heißt die Rück­
Zweitens muss eine solche Restrukturierung       räume auf nationaler Ebene, aber kaum            gewinnung der
starke Verteilungseffekte auf Einkommen          einen Zugewinn solcher auf supra- bzw.
                                                                                                  demokratischen
und Vermögen zeitigen. Die vorliegende em­       internationaler Ebene. Dafür ausschlag­
pirische Evidenz* deutet für die Jahrzehnte      gebend ist insbesondere die Erosion des          Gestaltungs­
seit 1980 auf zwei große Trends hin. Einer­      gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses im        macht über
seits ist es zu einer deutlichen Abnahme der     keynesianischen Wohlfahrtsstaat als Folge        eine entgrenzte
globalen Einkommensunterschiede gekom­           der Aufwertung der internationalen Ebene         Wirtschaft.
men. Dafür verantwortlich ist der wirtschaft­    im Zuge der Globalisierung. Dies begünstigte
liche Aufholprozess in den Schwellenländern,     jene Akteure, die über größere räumliche
wo vor allem in China und Indien eine neue       Mobilitäts- und Vernetzungspotenziale ver­
Mittelklasse entstanden ist. Andererseits sta­   fügen, also vor allem transnationale Unter­
gnieren die Einkommen der Mittelschicht in       nehmen und Banken/Finanzakteure. Diese
den Industrieländern, während das oberste        konnten ihren Einfluss auf die Politikgestal­
Perzentil der globalen Einkommensvertei­         tung in internationalen Foren bzw. Organi­
lung, d. h. die globalen Superreichen, einen     sationen wie auch auf der nationalen Ebene
starken Einkommenszuwachs verbuchen              zulasten von stärker räumlich gebundenen
konnte. Die Einkommensunterschiede               Akteuren wie Gewerkschaften oder sozialen
zwischen Arm und Reich innerhalb der             Bewegungen ausbauen.
einzelnen Staaten sind daher gestiegen. Fazit:
Es gibt zwei Gewinnergruppen der Globali­        Schritte zur Globalisierung 4.0
sierung – die globalen Reichen/Superreichen
und die Mittelklasse in den Schwellenlän­        Der bekannte Ökonom Dani Rodrik hat das
dern, und eine Verliererin – die Mittelklasse    „politische Trilemma der Weltwirtschaft“
in den Industrieländern. Das bietet den aktu­    als heuristisches Werkzeug zur Analyse
ellen Nährboden für RechtspopulistInnen à        der politischen Optionen im Zeitalter der
la Strache, Orban, Le Pen, Trump etc.            Globalisierung vorgeschlagen. Das Trilemma
                                                 verdeutlicht die Beziehungen zwischen den
Drittens, führt die Globalisierung zu einer      drei Polen (1) nationale Souveränität, (2)
intensivierten Ausbeutung von natürlichen        Hyperglobalisierung, d. h. eine tiefgehende
Ressourcen und ist mitverantwortlich für         ökonomische Integration der Weltwirtschaft,
den Klimawandel. Der internationale Han­         und (3) demokratischer Politik. Es postuliert,

                                                                                                                  25
Warum das gute Leben für alle eine andere Globalisierung braucht

Die Globalisierung    dass nur jeweils zwei, nicht aber alle drei Pole                      men, wie z. B. in der Steuerpolitik oder der
muss neu gestaltet    miteinander vereinbar sind. Geht man davon                            Umweltpolitik, eine stärkere internationale
werden.               aus, dass Nationalstaaten bis auf weiteres die                        Zusammenarbeit erfordert, bedeutet es in
                      dominante Form politischer Organisation                               anderen Bereichen, wie etwa dem Finanzsek­
                      bleiben und ein substanzieller Machttransfer                          tor, der Landwirtschaft oder den öffentlichen
                      auf die internationale Ebene im Sinne einer                           Diensten, eine Rücknahme von Liberalisie­
                      demokratischen Global Governance daher                                rung und Deregulierung sowie die Förde­
                      nicht realistisch ist und vertritt man zudem                          rung regionaler wirtschaftlicher Kreisläufe.
                      die Meinung, dass eine auf die Durchsetzung                           Anders als die Rezepte des Rechtspopulismus
                      nationaler Souveränität ausgerichtete und                             würde dieses Projekt konsequent für eine
                      dafür zu autoritären Mitteln greifende Po­                            Ausweitung demokratischer Räume auf
                      litik kombiniert mit einer vertieften Hyper­                          lokaler, nationaler und internationaler Ebene
                      globalisierung nicht wünschenswert ist, wird                          eintreten und auf dieser Basis den Primat
                      man zu der Schlussfolgerung gelangen, dass                            der Politik über die Wirtschaft wiederher­
                      jedes emanzipatorische Projekt zwischen Hy­                           stellen wollen. Globalisierung 4.0 heißt daher
                      perglobalisierung und Demokratie abwägen                              primär Rückgewinnung der demokratischen
                      muss. VerfechterInnen des guten Lebens für                            Gestaltungsmacht über eine räumlich und
                      alle sollte diese Wahl leicht fallen.                                 sozial entgrenzte Wirtschaft.

                      Die Globalisierung muss daher neu gestaltet
                      werden. Während dies bei bestimmten The­

                      * Siehe Branko Milanovic: Die ungleiche Welt – Migration, das Eine Prozent und die Zukunft der Mittelschicht. Suhrkamp Verlag,
                      Frankfurt/Main, 2016

26
A Commentary on the five-thesis proposal for the
Good Life for All Congress 2017

Jean-Marc Fontan, Université du Québec à Montréal

   Few conferences propose to debate the future                 Jean-Marc fontan is professor of
   of humanity. And when they do, few or none                   sociology at Université du Québec
                                                                à Montréal (UQAM) and director of
   take place under the auspices of a depart­
                                                                the Incubateur universitaire Parole
   ment of economics. The conference on this                    d’excluEs (IUPE - http://iupe.word­
   subject in Vienna is daring on two accounts:                 press.com). He is a research member
   first, by questioning the merits of the current              of the Centre de recherche sur les
   societal order and, secondly, by being held                  innovations sociales (CRISES - http://
                                                                www.crises.uqam.ca), a Québec
   at a university this is dedicated primarily to
                                                                research consortium dedicated to the
   economics, the Vienna University of Econo­                   study of social innovation and societal
   mics and Business (WU). The main objective                   transformation. He leads a SSHRC
   of the conference was to lay the foundations                 pan Canadian research project dedi­
   for a conversation and a debate to unfold                    cated to the study of Grant-Making
                                                                Foundations (http://rpc.uqam.ca/
   on the restructuring of the current societal
                                                                en/) and promotes the publication of
   order. Andreas Novy presented a reformation                  a variety of studies on social innova­
   proposal that revolved around the idea of the                tion (http://www.puq.ca/catalogue/
   Good Life for All as new meta-narrative for                  livres/innovation-sociale-1471.html).
   society.

   The proposal is based on the following five
   insightful and engaging theses:

   1. Societies need utopias to ensure their         My main comment about these five theses is
      development.                                   “fantastic!” Why? For one, the overall pro­
   2. The Good Life for All is a concrete            posal is kept simple. This is important, since
      utopia that could replace the great            if the conversation and debate on a viable
      developmentalist narrative of                  common future is to take place at a global
      “progress for the sake of progress” that       level, we must define the terms and propose
      has prevailed since Enlightenment              a vocabulary that is accessible to all. Novy’s
      humanism.                                      proposal supports this direction. It comple­
   3. This concrete and pragmatic utopia             ments the proposals made by other paradig­
      affirms the importance, as underlined          ms, including those of Buen Vivir, de-growth
      by Karl Polanyi, of delineating the            or the Convivialistes.
      boundaries of freedom in a democratic
      fashion and in all its forms.                  We, in turn, have some compementary
   4. The utopia is based on a revised concept       suggestions for the five theses. As the title
      of the economy according to which the          suggests, the presented theses could benefit
      globalization of socio-economic activities     from being embedded in an ethical frame­
      is to be based on local and regional           work that lays out the values and guiding
      democratic territorial jurisdictions.          principles to promote, being solidarity, equa­
   5. Finally, the local level should be given       lity, inclusiveness, otherness and an “ecolo­
      priority in order to ensure the proper and     gic.” The proposal could also subscribe to a
      full development of the political space.       legal framework that is founded not on the

                                                                                                          27
A Commentary on the five-thesis proposal for the Good Life for All Congress 2017

                       sacrosanct principle of private property but      quity, if not further back, and deserves to be
                       rather on the reasoned principle of commu­        seriously revisited.
                       nal ownership.
                                                                         Admittedly, the new motor of history should
                       Further, the five theses could also be com­       not be limited to an abstract concept such as
                       plemented by a process evaluation on how          that of cosmopolitanism. If anything, it must
                       to achieve the required social and ecological     be driven by a collective motivation, such as
                       transition. To be sure, while it is imperative    the “spirit of capitalism” coined by Max We­
                       to change the narrative and to adopt a new        ber, that guides our collective and individual
                       vision of living together, it is also important   actions. This motivation, which we will have
                       to find a smooth transition to the propo­         to conceive collectively, will make it possible
                       sed new order. Such a transition cannot be        to deconstruct all the a prioris according to
                       improvised. The issue of the transition is        which our happiness and wellbeing depends
                       crucial and calls for the large-scale mobiliz­    primarily on technological progress. Al­
It is imperative       ation of all the forces of the societies of the   though the idea of technological progress
to change the          North and the South in order to bring about       could be maintained, it should be subservi­
narrative and to       the swift reconfiguration of the insitutitonal    ent to certain ethical and aesthetic notions
                       spaces and fields in place. The proposal also     of social utility and environmental accep­
adopt a new vision
                       needs to be complemented by a theoretical         tability. This also means, however, that the
of living together.    reflection on the functioning of the societal     new ethical and aesthetic focus will have to
                       ecosystem as a whole. Without a general the­      introduce a prioris that will impel us to say
                       ory on how the social functions in a context      “NO to capitalistic development” rather than
                       of cultural complexity (Edgar Morin), it will     blindly say “YES” to the belief that technolo­
                       be difficult to grasp the profound nature of      gy is synonymous with emancipation.
                       the risks and challenges posed by the de­
                       ployment of the Good Life for All narrative.      Beyond the identified technological limits,
                       Hence the importance of mobilizing traditi­       the glass ceiling of technology, we will also
                       onal and modern knowledge as well as past,        have to contend with resistance and social
                       new or future knowledge in order to avoid         dissent—this being the human condition
                       repeating the mistakes of the past.               and human nature. It is important, therefore,
                                                                         to think about how we might deal with—in
                       Finally, the concrete utopia proposed by          a decent and human way, so as not to revert
                       Novy/Strickner calls on us collectively to        to barbarism—any opposition that might
                       reflect on the overall logic that will guide      emerge in the face of the proposals and
                       all future transformations. Karl Marx had         dissemination of a new meta-narrative that,
                       identified the class struggle as the motor        if embraced collectively on a planetary scale,
                       of history in the development of human            could possibly become the Good Life for All.
                       societies. In the Good Life for All narrative,
                       it appears that the newly proposed motor of
                       history would merit from being informed
                       by cosmopolitanism: an ancient ethical and
                       political proposition that goes back to anti­

28
Globale Ressourcen-Fairness
für ein gutes Leben für alle

Stefan Giljum, WU Wien

                                                               Stefan giljum leitet die Forschungs­
                                                               gruppe „Nachhaltige Ressourcen­
                                                               nutzung“ am Institute for Ecological
                                                               Economics der WU Wien. Zu seinen
                                                               Fachgebieten zählen die Analyse der
                                                               Ressourcennutzung von Produktion
                                                               und Konsum, die Untersuchung öko­
                                                               logischer und sozialer Auswirkungen
                                                               der Globalisierung sowie die Bewer­
                                                               tung von Nachhaltigkeit.

   Die Diskussion über die Übernutzung der          den Blickpunkt gesellschaftlicher und politi­     Die Globalisie­
   ökologischen Tragfähigkeit unseres Planeten      scher Debatten.                                   rung führt zu
   und die Notwendigkeit einer nachhaltigen                                                           einer intensivier­
   Nutzung natürlicher Ressourcen durch             Was zeigen die aktuellen Trends des
                                                                                                      ten Ausbeutung
   erhöhte Ressourceneffizienz hat sich in den      Ressourcenverbrauchs?
   letzten Jahren sowohl in Europa als auch                                                           von natürlichen
   international deutlich intensiviert. Denn der    In den letzten vier Jahrzehnten hat sich der      Ressourcen.
   rasant steigende Verbrauch an natürlichen        weltweite Verbrauch von erneuerbaren und
   Ressourcen auf weltweiter Ebene ist eng          nicht-erneuerbaren Rohstoffen fast vervier­
   mit einer Vielzahl an Umweltproblemen            facht. Heute werden weltweit mehr als 90
   verbunden, darunter Klimawandel, Was­            Milliarden Tonnen an Rohstoffen jährlich
   serknappheit oder Verlust der Artenvielfalt.     gewonnen. Umgerechnet bedeutet dies,
   Die zunehmende Bedeutung dieses Themas           dass jede Sekunde Rohstoffe in das globale
   hat jedoch auch wirtschaftliche Gründe.          Wirtschaftssystem eingespeist werden, die
   Die internationale Konkurrenz um knapper         etwa der Ladung von 100 LKWs entspre­
   werdende Ressourcen wie Rohstoffe, Wasser        chen. Das Wachstum des weltweiten Res­
   oder Land, ausgelöst etwa durch den Aufstieg     sourcenverbrauchs ist insbesondere nach
   und die gestiegene Nachfrage in Schwellen­       der Jahrtausendwende deutlich angestiegen.
   ländern wie China, nimmt ständig zu. Auch        Dies hat mit der stark steigenden Nachfrage
   sind viele Industrieländer, vor allem in Euro­   in Entwicklungs- und Schwellenländern zu
   pa, zunehmend vom Import von natürlichen         tun, genauso aber mit dem nach wie vor sehr
   Ressourcen aus anderen Ländern abhängig,         hohen Pro-Kopf-Konsum in den reichen
   um ihre Produktions- und Konsumaktivitä­         Industrieländern.
   ten aufrechtzuerhalten. Fragen der Verteilung
   von materiellen Ressourcen und der mit dem       Wenn bewertet werden soll, ob ein Land
   Abbau, der Verarbeitung und der Nutzung          oder eine Region (wie die EU) dabei ist, im
   einhergehenden negativen ökologischen und        Sinne der Nachhaltigkeit weniger Ressour­
   sozialen Folgen rücken somit zunehmend in        cen zu konsumieren, müssen umfassende

                                                                                                                           29
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