70.Jahr Heft6 Juni2017 - Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 70. Jahr Heft 6 Juni 2017 zum Inhaltsverzeichnis TITELTHEMA Geflüchtet nach Hessen
I n d ieser H L Z HLZ 6/2017 2 wohnt, sollen mit den Worten der Aus- Zeitschrift der GEW Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung stellungskuratorinnen Aileen Treusch ISSN 0935-0489 und Juliane von Herz „eine Annähe- rung an die Porträtierten“ ermöglichen I M P R E S S U M „und damit auch einen Resonanzraum für brandaktuelle Fragen, die unsere Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft westliche Gesellschaft beschäftigen und Landesverband Hessen herausfordern“, schaffen (www.newci- Zimmerweg 12 60325 Frankfurt/Main tizens.de). Vitus Saloshanka beobach- Telefon (0 69) 971 2930 tete als Nachbar das Ankommen der Fax (0 69) 97 12 93 93 Menschen. Erst nach einigen Mona- E-Mail: info@gew-hessen.de ten sprach er einen von ihnen an und Homepage: www.gew-hessen.de fragte, ob er ihn porträtieren dürfe. Da- Verantwortlicher Redakteur: Harald Freiling bei lernte er die Biographien kennen, Klingenberger Str. 13 die Fluchtgeschichten: „Doch die Ge- 60599 Frankfurt am Main schichten selbst sollen den Betrachtern Telefon (0 69) 636269 Fax (069) 6313775 bei der Ausstellung vorenthalten wer- E-Mail: freiling.hlz@t-online.de den und hinter die Gesichter treten.“ Mitarbeit: New Citizens in Frankfurt Kuratorin von Herz beschrieb das Pro- Christoph Baumann (Bildung), Tobias Cepok (Hoch- jekt gegenüber der Frankfurter Rund- schule), Dr. Franziska Conrad (Aus- und Fortbildung), Haymed auf dem Foto auf dieser Seite schau als „ein Kunstprojekt“, das „keine Holger Giebel, Angela Scheffels (Mitbestimmung), Michael Köditz (Sozialpädagogik), Annette Loycke und Mohammad Karim auf der Titelsei- Pro-Flüchtlings-Aufklärungskampag- (Recht), Heike Lühmann (Aus- und Fortbildung), Ka- te der HLZ gehören zu den geflüchte- ne“ sein wolle. rola Stötzel (Weiterbildung), Gerd Turk (Tarifpolitik ten Menschen, die nach ihrer Ankunft Bei der Eröffnung der Ausstellung und Gewerkschaften) in Deutschland in einem Wohnwagen- spielten der syrische Pianist Aeham Gestaltung: Harald Knöfel, Michael Heckert † camp auf dem Frankfurter Rebstockge- Ahmad und das Ensemble Staccato Titelthema: Harald Freiling lände untergebracht waren. Die groß- Burnout, die auch im Bridges-Orches- Illustrationen: Thomas Plaßmann (S. 27), Dieter Tonn formatigen Fotos sind zwei von 14 ter mitwirken. Die Initiative „Bridges – (S. 33), Ruth Ullenboom (S. 4) Fotos, die vier Wochen lang im April Musik verbindet“ hat seit ihrer Grün- Fotos, soweit nicht angegeben: und Mai 2017 an Haus-, Kirchen- und dung 2016 über 80 professionelle Harald Freiling (Titel, S. 2, S. 15-17), GEW (S. 23-24) Baustellenfassaden in der Frankfurter Musikerinnen und Musiker aus Frank- Verlag: Innenstadt gezeigt wurden. Die Werke furt und der ganzen Welt mit oder ohne Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH Niederstedter Weg 5 des weißrussischen Fotografen Vitus Flucht- und Migrationshintergrund zu- 61348 Bad Homburg Saloshanka, der seit 2010 in Deutsch- sammengebracht (http://bridges-mu- Anzeigenverwaltung: land lebt und in der Nähe des Camps sikverbindet.de). Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH Peter Vollrath-Kühne Postfach 19 44 Wandkalender der GEW Hessen für das Schuljahr 2017/2018 61289 Bad Homburg Telefon (06172) 95 83-0, Fax: (06172) 9583-21 E-Mail: mlverlag@wsth.de Dieser Ausgabe der HLZ ist der Wandkalender der GEW Hessen für das Schul- jahr 2017/2018 beigelegt. Wir bitten um Beachtung! Erfüllungsort und Gerichtsstand: Bad Homburg Die nächste Ausgabe der HLZ erscheint Anfang Juli nach Beginn der hessischen Bezugspreis: Sommerferien. Deshalb wünschen wir schon jetzt allen Leserinnen und Lesern Jahresabonnement 12,90 Euro (9 Ausgaben, ein- eine erholsame Sommerzeit. schließlich Porto); Einzelheft 1,50 Euro. Die Kosten sind für die Mitglieder der GEW Hessen im Beitrag enthalten. Zuschriften: Aus dem Inhalt Rubriken Titelthema: Geflüchtet nach Hessen Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder 4 Spot(t)light 7 Philipp-Holzmann-Schule: wird keine Haftung übernommen. Im Falle einer Ver- 5 Briefe Sadaf Amiri darf bleiben öffentlichung behält sich die Redaktion Kürzungen vor. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen 6 Meldungen 8 Asyl- und Aufenthaltsrecht: nicht mit der Meinung der GEW oder der Redaktion 32 Recht: Tarifentgelt und Besoldung Im Gewirr der Paragraphen übereinstimmen. 37 Jubilarinnen und Jubilare 10 Die Arbeit des Petitionsausschusses: 38 Magazin Im Gespräch mit Andrea Ypsilanti 12 Bag Mohajer: Ein Selbsthilfeprojekt Redaktionsschluss: Einzelbeiträge Jeweils am 5. des Vormonats geflüchteter Menschen in Athen 23 Sanierungsstau an Schulen 14 Im Ruhestand: Ehrenamtliche 24 Ein Porträt: Jürgen Jäger, Flüchtlingshelfer im Gespräch Schadstoffbeauftragter der GEW Nachdruck: 16 Ein rassismuskritischer Stadtrund- Fotomechanische Wiedergabe, sonstige Vervielfälti- 26 Landtag beschließt Schulgesetz gang über die Zeil in Frankfurt gungen sowie Übersetzungen des Text- und Anzei- 28 Sexuelle Gewalt an Kindern 18 Refugee Law Clinic in Gießen: genteils, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion und des Verlages. 30 Arbeitszeit gesetzlich begrenzen! Studierende beraten Flüchtlinge 34 Free Deniz Yücel! Druck: Druckerei und Verlag Gutenberg Riemann GmbH 36 NSU-Verbrechen: Kassel fragt nach 19-22 lea-Fortbildungsprogramm Werner-Heisenberg-Str. 7, 34123 Kassel
3 HLZ 6/2017 zum Inhaltsverzeichnis KOMMENTAR Wahltaktik statt Humanität Mit Erschrecken haben wir vernommen, dass die Für minderjährige und junge afghanische Flücht Zahl der Abschiebungen nach Afghanistan in jüngs linge fordern wir als Kirche einen sofortigen Abschie ter Zeit weiter zugenommen hat. Parallel dazu sinken bestopp nach Afghanistan und Aufenthaltssicherheit die Hoffnungen der Betroffenen auf Anerkennung der zum Erlernen der Sprache. Sie sollen Gelegenheit be Asylanträge: Nach Angaben von tagesschau.de wur kommen, einen Schulabschluss zu erlangen und eine den 2015 noch mehr als 77 Prozent der Anträge von Ausbildung zu absolvieren. Junge Menschen brau Afghaninnen und Afghanen anerkannt, in den ers chen unabhängig von den Asylverfahren gesicherte ten beiden Monaten diesen Jahres lag die Quote bei Duldungen für mindestens fünf Jahre. nicht einmal 50 Prozent. Die derzeit stattfindenden Abschiebungen folgen Die Flieger mit Abgeschobenen landen wahrlich vor allem politisch-wahltaktischen Gründen. Die ak nicht in einem Land, in dem das Leben sicher ist. tuelle Praxis ist für die Betroffenen und das Land ka Kaum eine Woche vergeht, in der nicht von Bom tastrophal. Die gegenwärtige Abschiebepraxis scha benanschlägen am Hindukusch die Rede ist. Und det Deutschland und beschädigt die Bildungs- und wir wissen aus der Arbeit unserer kirchlichen Ein Integrationsbemühungen der Beteiligten – der Flücht richtungen, dass viele der von Ausweisung Bedroh linge, der Schulen, der Sozialpädagoginnen und Sozi ten in Afghanistan nicht nur Repressalien befürch alpädagogen und der vielen Ehrenamtlichen. Sie un ten, sondern um ihr Leben fürchten müssen. Immer terminiert die psychische Stabilität der jungen Leute, wieder sind unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sie untergräbt Lernmotivation und Konzentrations als Seelsorger gefragt, wenn die Geflüchteten erfah kraft, führt zu Stress, Aggression und Hass, auch bei ren, dass Angehörige Gewalt zum Opfer gefallen sind. denen, die anerkannt und dauerhaft in Deutschland Mehr als 6.500 Flüchtlinge wurden Ende März bleiben werden. Die derzeitige Abschiebepraxis führt 2017 bei der Zentralen Vermittlung von Unterkünf junge Menschen in falsche Bildungskarrieren, in die ten in Frankfurt, die beim Evangelischen Verein für Illegalität, in Depressionen und Krankheit, aber auch Wohnraumhilfe angesiedelt ist, gezählt. Die größte in religiöse und politische Radikalisierungen. Gruppe bilden Menschen aus Afghanistan, gut 1.500 Wir sind ein reiches Land und sollten als christ der dort Betreuten werden als Afghaninnen und Af lich und humanitär geprägte Gesellschaft alles tun, ghanen geführt. Und noch ein wenig mehr Statistik: den zu uns geflüchteten Jugendlichen und jungen Er Alleine die Zahlen in der Großunterkunft der Diako wachsenen einen gesicherten Ort für ihre Entwick nie Frankfurt für Familien in Bonames zeigen, dass lung zu bieten und sie an unserem Bildungs- und die Lage der Flüchtlinge aus Afghanistan von großer Sozialsystem teilhaben zu lassen. Unser Ziel sollte Unsicherheit geprägt ist. Mehr als 50 Prozent der Fa sein, dass sie mit uns an einer friedlichen Welt bau milien haben keinen Aufenthaltsstatus, 30 Prozent en, egal ob sie später selbst Deutsche werden, in an gar eine Ablehnung. Es ist davon auszugehen, dass dere Länder weiterziehen oder sich am Aufbau ihres die Zahlen für Alleinreisende aus Afghanistan noch Herkunftslandes beteiligen. Menschen im Jahr 2017 ungünstiger sind. nach Afghanistan abzuschieben, passt nicht zu ei Die drohende Abschiebung lähmt, belastet die Fa nem solchen Ziel. milien und den Alltag in der Flüchtlingsunterkunft, blockiert Integration und dämpft die Motivation der Menschen. Auch wenn es zu begrüßen ist, dass die Stadt Frankfurt am Main über Maßnahmen nach denkt, wie den Menschen bei einer Rückkehr der Dr. Achim Knecht Start in eine neue Existenz in ihrem Heimatland er möglicht werden kann, gilt nach wie vor: Für diese Pfarrer Achim Knecht, Menschen ist eine rechtliche Bleibeperspektive oder Jahrgang 1957, ist seit September 2014 Duldung notwendig, da Afghanistan nicht als ein si Evangelischer Stadtdekan cheres Herkunftsland gesehen werden kann. in Frankfurt am Main.
SPOT(T)LIGHT zum Inhaltsverzeichnis HLZ 6/2017 4 Das wahre Leben „Tanz im Karton ohne Beleuchtung“ statt Grundrechenarten. Eine schwä- bische Berufsschule behauptet auf ih- rer Website auch, dass sie das wah- re Leben vermittelt. Die Jugendlichen Der Jugendfreund ist in den letzten fort. Man feierte ihn für seine kreati- dürfen für Veranstaltungen catern. Das vierzig Jahren (auch) nicht schöner ge- ven Ideen und Innovationen! Zum Bei- „wahre Leben“: kochen und Geld zäh- worden. Vermutlich hätten wir uns im spiel für die neuen Sitzbezüge in den len? Freilerner und Home-Schooler in Vorbeigehen auf der Straße nicht er- Bussen und für die Oldtimer-Straßen- den Schweizer Bergen bewahren ihre kannt. Er schiebt die letzten drei Scam- bahnen, die man für Geburtstagsfeiern Kinder vorm Zwang des regelmäßigen pi auf seinem Teller hin und her und mieten kann. Schulbesuchs und bloggen stolz darü- gibt sich Mühe, mir zuzuhören. Aber Ich schweige neidisch. Nein, das ber. Die lieben Kleinen lernen direkt im das fällt ihm schwer. Er redet gerne sel- „wahre Leben“ habe ich nie kennen- „wahren Leben“: im Kuhstall nebenan, ber. Am liebsten von sich und seinen gelernt. Gleich nach dem Abitur an am Bienenstock, mit Mutti in der Kü- Krankheiten. Als ich einen Moment in- die Uni. Von der Uni direkt zurück in che, mit Vati im Urlaub. Bestechend nehalte, bricht es aus ihm heraus: „Ach die dumpfe Gemütlichkeit der Schule. an ihrem Alltag finde ich, dass sie je- ja, Lehrer wollte ich auch mal werden. Schule, ein muffig-warmer Schonraum. den Morgen ausschlafen können. So Habe die Kurve nach dem ersten Staats- Ein sanftes embryonales Dämmern im ein „wahres Leben“ hätte ich als Lehre- examen aber noch rechtzeitig gekriegt. pädagogischen Fruchtwasser. Nie mit rin auch gern gehabt. Stattdessen habe Gottseidank. In der Schule bekommt Erwachsenen klargekommen, keinen ich Schüler telefonisch aus dem Schlaf man vom wahren Leben ja überhaupt Wettbewerb und keinen Leistungsdruck gerissen, damit sie sich rechtzeitig auf nichts mit!“ ausgehalten, nie einen kühnen Gedan- den Weg in die Lernkaserne machen. Und er erzählt mir vom „wahren ken gefasst. „Lehrer sind doch meist Habe sie per SMS an ihre Referatster- Leben“. Seins begann in der Bundes- infantile Persönlichkeiten, die sich nur mine erinnert. Habe Eltern von Schul- anstalt für Materialprüfung, einem Ort kleinen Kindern gewachsen fühlen“, er- abstinenten unter Druck gesetzt, um der Abenteuer und existenziellen Erleb- klärt jetzt der Jugendfreund. „Ein Leben ihre Kinder vom „wahren Leben“ in nisse. Danach landete er in einem Son- lang auf Stuhlkreisniveau. Die wenigs- Einkaufszentren und Spielhallen ab- derforschungsbereich, wo er, allein mit ten haben jemals über den Tellerrand zuhalten. Habe auf dem Schulhof kon- sich selber, zwischen Akten, Zeitschrif- geblickt. – Ich meine jetzt nicht dich sequent das „wahre Leben“ (Spucken, ten und Karteikarten gesellschaftlich persönlich, aber du hättest doch auch Kratzen, Dealen, Mobben, Faustkampf höchst relevanten Themen nachging. bessere Möglichkeiten gehabt.“ und Messerstechen) unterbunden. Habe Die Ergebnisse seiner Arbeit interes- Traurig gehe ich nach Hause. Was versucht, mich in das „wahre Leben“ sierten niemanden besonders, weil eine ist das wahre Leben? Wo finde ich es? der Elternhäuser einzumischen, weil die kleine Uni im Süddeutschen schneller Google sagt es mir. Das „wahre Le- Kinder in meinen Augen schlecht er- gewesen war. Irgendwann setzte der ben“ hält z.B. Einzug, wenn an einer nährt, vernachlässigt oder misshandelt Jugendfreund seine Karriere in einem Brennpunktschule ein paar Bildhau- wurden. Auch im Fachunterricht habe städtischen Nahverkehrsunternehmen er und Choreographen auftauchen: ich unbeirrt versucht, meine Schüler vom „wahren Leben“ abzuhalten. An- statt sie über Mietverträge, Investitions- darlehen, Hausrat- oder Haftpflichtver- sicherungen aufzuklären, habe ich sie Werke toter Schriftsteller analysieren lassen – in dem Irrglauben, dass „Bil- dung“ und Urteilsvermögen wichtiger sind als „Marktgängigkeit“. Das Versagergefühl am Ende meines Berufslebens ist bedrückend. Glückli- cherweise bin ich jetzt Mitglied in ei- nem Kompetenzteam der Schulverwal- tung geworden. Wir erarbeiten, was für Kinder und Jugendliche im „wahren Leben“ wirklich wichtig ist: z.B. Wahl des richtigen Smartphones mit kom- patiblem Selfie-Stick, posten, bloggen und twittern, Bedienung eines Naviga- tionsgeräts, Basiskenntnisse über Le- bens- und Putzmittel, ein wenig All- tagspsychologie und Grundwissen über Kinderkrankheiten, Aktienfonds und Kreditzinsen. Vermutlich verkürzen un- sere Ergebnisse die Pflichtschulzeit um mindestens vier Jahre! Gabriele Frydrych
5 HLZ 6/2017 zum Inhaltsverzeichnis B riefe Betr.: HLZ 4/2017 Betr.: HLZ 4/2017 die Integration von neuen Schülerinnen Tarifabschluss Lehrermangel und Schülern in die Klassen während des laufenden Schuljahrs. (...) Es gibt Ein „deutliches“ Lohnplus? Doch ein Offenbarungseid keine Entlastungsstunden für Klassen- Auf Seite 6 steht die Überschrift „Tarif- Wenn ich recht erinnere, war die Misere lehrerinnen und Klassenlehrer und zu abschluss: Deutliches Lohnplus“. Dabei schon absehbar, als klar war, dass die in wenig Stunden von Sozialpädagogin- kann es sich nur um einen Druckfehler den 70er Jahren eingestellten LehrerIn- nen und Sozialpädagogen. (...) handeln. Mittlere Jahresinflation 2017 nen auf den wohlverdienten Ruhestand Damit InteA „einen echten Beitrag zu ei bisher: 1,9%. Wie kann man da von ei- zustrebten. War es nicht unsere GEW, ner gelingenden und erfolgreichen Inte nem „deutlichen“ Lohnplus sprechen? die immer wieder für kleine Klassen gration der Jugendlichen leisten kann“, Das muss ein Druckfehler sein! und gegen die Nichteinstellungspolitik fordert der GPRLL unter anderem: Wolfgang Schmidt, Leun der jeweiligen Landesregierungen ge- • Klassengrößen verkleinern kämpft hat und nicht gehört wurde, • Praktika möglichst in Ausbildungsbe- obwohl von der Politik immer wieder trieben und in der Schulzeit, um eine Betr.: HLZ 4/2017 professionelle Betreuung zu garantie- Reise nach Palästina das Hohelied von der Bedeutung der Bildungspolitik gesungen wurde. Wer ren und das duale System kennzulernen Palästinensischer Opfermythos musste denn die Einspar- und Brems- • Stundentafel auf mehr als 20 Stun- Vergeblich habe ich in dem Bericht politik von Koch und Konsorten ausba- den erhöhen und vier Stunden zusätz- nach Aussagen gesucht, die eine israe- den? Auf wessen Rücken wurden denn liche Deutschförderung wie in PuscH lische Sicht der Dinge erkennen lassen die sogenannten Bildungsreformen (…) und BzB könnten. Stattdessen wurde in der HLZ und der ganze Kompetenzirrsinn um- • angemessene zielgruppenorientierte wieder einmal der palästinensische Op- gesetzt? Auf dem Rücken überalterter und sprachsensible Unterstützung bei fermythos bedient und dieses Faktum und absehbar ausgebluteter Kollegien. Übergängen in Regelklassen mit Aussagen von vermeintlich neutra- Einstellungskonsequenzen: NULL! (…) • Durchführung der Abschlussprüfun- ler Seite kaschiert. Dass die israelischen Jetzt will man die PensionärInnen ak- gen in InteA nach der VO der BzB Siedlungen nicht das eigentliche Frie- tivieren, ausgerechnet die KollegInnen, • Anerkennung vorhandener Ab- denshindernis darstellen, haben die Er- die in den letzten 40 Jahren den Karren schlüsse und Zertifikate fahrungen nach der Räumung der jüdi- am Laufen hielten. Ich nenne dies alles • Entlastung für InteA-Klassenlehre- schen Siedlungen im Gazastreifen mehr einen veritablen Offenbarungseid! Und rinnen und Klassenlehrer als deutlich gezeigt. Hatte der Rückzug all dies ist übrigens nur ein kleiner Aus- Vorrangiges Ziel ist es, alle Schülerin- der israelischen Armee zunächst einen schnitt des Politikversagens. nen und Schüler so schnell wie mög- Bürgerkrieg zwischen Hamas und Fatah Und dann noch der nicht unerheb- lich in den Regelunterricht zu integrie- mit weit mehr als 100 Toten zur Folge, liche finanzielle Pappenstiel, wenn die ren. Deshalb muss eine angemessene führte der Sieg der Hamas schließlich GrundschullehrerInnen A13 bekämen? zielgruppenorientierte und sprachsen- dazu, dass südisraelische Orte jahrelang Wer soll das bloß finanzieren? Schon sible Unterstützung sowohl in den In- mit Raketen aus dem Gazastreifen be- mal was von völlig kontraproduktiver tensivklassen als auch in der Regelbe- schossen wurden. Schuldenbremse gehört? (…) Es kann schulung erfolgen. Es ist naiv oder zynisch, der isra- nicht darum gehen, die derzeitigen Re- elischen Bevölkerung angesichts die- alitäten zu verkennen, aber auch nicht Betr.: HLZ 4/2017 ser Erfahrungen und des Zustands der darum, dem derzeitigen Konsensge- Schwimmunterricht sie umgebenden arabischen Staaten brabbel auf den Leim zu gehen. zu empfehlen, ihren halbwegs funk- Jürgen Scherer, Alsbach Aquadynamische Voraussetzung tionierenden Rechtsstaat gegen ei- Ein mit „Schwimmunterricht“ beauf- nen binationalen Staat mit einem fast tragter Sportlehrer, der auf dem Be- Betr.: HLZ 5/2017 fünfzigprozentigen palästinensischen ckenrand rumhampelnd vollmundig InteA-Kurse an Berufsschulen Bevölkerungsanteil einzutauschen, mit mit wortreichen (und überflüssigen) Menschen, die seit mehr als 70 Jah- Abschlussperspektiven fehlen Erklärungen im Wasser befindlichen ren von ihren Funktionären und Medi- In einem Brief nimmt der Gesamtperso Schülern, die bereits des Schwim- en antisemitisch indoktriniert werden. nalrat der Lehrerinnen und Lehrer im Be mens kundig sind, darlegt, wie sie nun Solidarität mit den Nachkommen reich Darmstadt und Darmstadt-Dieburg „schön“ und somit „richtig“ schwim- der in Europa ermordeten jüdischen (GPRLL) zum InteA-Erlass vom 9.11.2016 men müssen, um eine gute Note zu Menschen erwarte ich von meiner Ge- unter anderem wie folgt Stellung. bekommen, liefert keinen Beweis da- werkschaft schon lange nicht mehr. Ich (...) Tatsächlich verspricht der InteA- hingehend, dass er ein ausgebildeter möchte aber in der HLZ nicht von Au- Erlass auf dem Papier mehr, als er in Schwimmlehrer wäre. Vielmehr ist auf toren missioniert werden, deren Sen- der Praxis leistet. (...) Es ist nicht nach- ihn die Spruchweisheit „Who can, does; dungsbewusstsein mit einem eklatanten vollziehbar, dass den Schülerinnen und who cannot, teaches“ zu applizieren. Mangel an Neutralität und Objektivi- Schülern in InteA die Möglichkeit ei- Im Übrigen ist fraglich, ob die Kunst tät einhergeht. Genügt es nicht, wenn nes allgemeinbildenden Hauptschul- des Schwimmens durch ein Unterrichts- 2009 von 500 befragten deutschen Bür- abschluss nicht gegeben wird. (...) Die fach, das die aquadynamischen Voraus- gern 65 % angaben, dass vom Staat Is- Rahmenbedingungen haben sich stän- setzungen für das Getragenwerden im rael die größte Gefahr für den Weltfrie- dig verschlechtert, z.B. durch die Anhe- Wasser außer Acht lässt, überhaupt er- den ausgeht? bung der maximalen Klassengröße von lernt werden kann. Jan Engbers, Darmstadt 16 auf 20. Erschwerend hinzu kommt Horst May, Korbach
M el d un g en zum Inhaltsverzeichnis HLZ 6/2017 6 Vergleichsarbeiten VERA: 22. Juni 2017: Belastung ohne Ertrag Fachtagung „Ausgeschult!“ Der GEW-Kreisverband Hanau woll- Die Gruppe InklusionsBeobachtung te sich mit einer eigenen Umfrage ein Hessen (GIB) führt am Donnerstag, dem genaueres Bild machen, wie die Leh- 22. Juni von 14 bis 18 Uhr in Frankfurt rerinnen und Lehrer an Grundschulen eine Fachtagung zum Phänomen der die verbindlichen Vergleichsarbeiten in steigenden Zahl „ausgeschulter“ Schü- den Fächern Mathematik und Deutsch lerinnen und Schüler durch. Die Tagung in allen dritten Klassen (VerA3) beur- thematisiert pädagogische Ansatzpunk- teilen. 181 Grundschullehrkräfte betei- te für den Umgang mit inklusiv be- ligten sich an der Umfrage und waren schulten Kindern und Jugendlichen, die sich einig: 92,4 % der Befragten stimm- ein besonders hohes Maß an Unter- ten der Aussage „voll und ganz“ (83 %) stützung und pädagogischer Aufmerk- oder „eher“ zu, die Arbeit in der Inklu- samkeit benötigen. In der GIB Hessen sion und in heterogenen Gruppen wer- arbeiten GEW, Landesbehindertenrat, de von VerA „in keiner Weise unter- Gemeinsam leben e.V., elternbund, Lan- stützt“. 94,3 % halten die Forderung, desschülervertretung und Landesaus- die für VerA verwendeten Ressourcen länderbeirat zusammen. Referentinnen besser für zusätzliche Förderstunden und Referenten sind Dr. Dorothea Ter und ‑materialien zu nutzen, für „höchst pitz (Ausgeschult – Ein neuer Trend?) GEW: Bildung braucht dringlich“. Auch der Kritik, dass die und Rektor a.D. Albert Claßen (Trai- bessere Bedingungen Vergleichsarbeiten „für deutsche Kin- ningsraumkonzept). Arbeitsgruppen der in homogenen Gruppen“ konzipiert befassen sich mit Verhaltensauffällig- Am 9. und 10. Juni fordern Lehrerin- sind und „Kinder mit Beeinträchtigun- keiten (Jochen Raue, Lehrer und Kin- nen und Lehrer, Eltern und Schüler- gen nicht vorkommen“, stimmen über derpsychotherapeut) und mit Autismus vertretungen in mehreren hessischen 90 % der Befragten zu. (Dr. Monika Lang, Institut für Reha- Städten im Rahmen eines dezentralen • Eine ausführliche Auswertung findet bilitationspsychologie und Autismus). Aktionstags der GEW Hessen „besse- man auf der Homepage der GEW Hanau • Veranstaltungsort ist Hoffmanns Höfe, re Bedingungen für gute Bildung“. Die (www.gew-hanau.de) und in der nächsten Heinrich-Hoffmann-Str. 3, 60528 Frank GEW-Kreisverbände Kassel-Stadt und Ausgabe der HLZ. furt; Informationen und Programm: www. Kassel-Land initiierten außerdem eine gib-hessen.de Online-Petition. Noch bis zum Beginn der Sommerferien kann man sich der GEW Hessen kritisiert Forderung anschließen, dass „an der Landesrechnungshof 23. Juni 2017, 19.30 Uhr: Bildung nicht gespart werden darf“. Regierung gesucht • https://www.openpetition.de/petition/ „Mangelnde Sachkenntnis“ warf die online/an-bildung-darf-nicht-gespart- stellvertretende GEW-Landesvorsit- Auch die Gewerkschaften müssen sich werden zende Karola Stötzel dem Hessischen Gedanken machen, wie ihre Forderun- Landesrechnungshof vor, der in einem gen auch in den Parlamenten vertreten Bericht zu den Kosten der Kinderbetreu- werden und mit welcher Mehrheit der ung in Hessen eine Erhöhung der El- geforderte Politikwechsel durchgesetzt 17. Juni 2017: ternbeiträge und eine Reduzierung der werden kann. Das Institut Solidarische Hessisches Sozialforum Fachkräfte fordert. Dabei ignoriere er Moderne (ISM) sucht dieses Bündnis „wissenschaftlich untermauerte Fach- mit den Gewerkschaften, um „Jahre des Das XII. Hessische Sozialforum steht kraft-Kind-Relationen“ und Erkennt- politischen Stillstands“ zu beenden. Im unter der Überschrift „Alle werden ge- nisse der pädagogischen Forschung Rahmen einer Veranstaltungsreihe des braucht! Hessen und Europa gehen über die Bedeutung von Gruppengrö- ISM diskutieren der Autor Imran Ayata, auch solidarisch!“ Im Frankfurter Haus ßen und orientiere sich stattdessen „an der Politikwissenschaftler Ulrich Brand am Dom diskutieren Vertreterinnen und den Mindeststandards des Kinderför- und die „Europäerin“ Daphne Bülles Vertreter von sozialen Bewegungen und derungsgesetzes“. Neben der unmittel- bach über „die europäische Dimension Bürgerinitiativen, aus Kirchen, Ge- baren Arbeit mit Kindern müsse auch der Bundestagswahl im Herbst 2017“ werkschaften und Wohlfahrtsverbän- die Zeit für die Dokumentation von Bil- und die Frage, welche Rolle „Deutsch- den über die Chancen für eine alterna- dungsprozessen, die Konzeptentwick- land in einem friedlichen, solidari- tive Politik im Lande Hessen und einen lung und die Zusammenarbeit mit den schen und demokratischen Europa spie- politischen Neustart für Europa. Refe- Eltern angemessen berücksichtigt wer- len kann“. Die Veranstaltung findet am rentinnen und Referenten sind unter den. Auch den Vorschlag des Rech- Freitag, dem 23. Juni, um 19.30 Uhr im anderem der ver.di-Vorsitzende Frank nungshofs, die kostengünstigere Kin- Ökohaus in Frankfurt statt (Kasseler Bsirske und Sabine Knickrehm, Vor- dertagespflege auszubauen, lehnt die Str.1a). Kooperationspartner sind un- sitzende Richterin am Bundessozialge- GEW ab, weil „hier die nötigen fachli- ter anderen die gewerkschaftliche Ini- richt in Kassel. chen Voraussetzungen zur Bildung, Er- tiative „Europa neu begründen“, die IG • Samstag, 17. Juni, 10 bis 16 Uhr, ziehung und Betreuung von Kindern in Metall Frankfurt und die GEW Hessen. Frankfurt, Haus am Dom, Domplatz 3 der Regel nicht gegeben sind“. • www.regierung-gesucht.de
7 HLZ 6/2017 zum Inhaltsverzeichnis T ite l thema : g E F L Ü C H T E T N A C H h E S S E N Sadaf Amiri darf bleiben Der Schutz von menschlichem Leben ist doch wohl das Min- rechtlichen Bestimmungen für eine solche Duldung so unklar, deste – sollte man meinen. Aber im Vorfeld der Bundes- dass die Geflüchteten bei der Wahrnehmung ihrer Rechte re- tagswahl belehren das Innenministerium und die Abschie- gelrecht behindert werden: Mal werden sie von einer Aus- bebehörden der Republik Öffentlichkeit und Geflüchtete in länderbehörde monatelang hingehalten, bis die bevorstehen- wachsendem Maß eines Schlechteren. Das gilt insbesonde- de Abschiebung die Gewährung einer Ausbildungsduldung re für Abschiebungen zum Teil noch sehr junger Menschen hinfällig macht, dann wieder wird selbst Jugendlichen, die in den angeblich sicheren Herkunftsstaat Afghanistan, aber bereits als Azubis arbeiten, trotz Ausbildungsvertrag keine auch nach Nordafrika, ins Kosovo und anderswohin. Duldung gewährt und eine Abschiebung angeordnet. Engagierten Menschen unter anderem an der Philipp- Im Vordergrund solcher Maßnahmen der Abschiebebe- Holzmann-Schule (PHS), einer Beruflichen Schule in Frank- hörden stehen Menschen aus Afghanistan. Die politische furt, gelang es im Frühjahr 2017, durch eine breite Kampagne und militärische Lage veranlasste erst kürzlich die US- die drohende Abschiebung der afghanischen Familie Amiri Regierung, ihre spektakuläre MOAB-Bombe einzusetzen. zunächst und bis auf weiteres für alle Familienmitglieder zu Gleichzeitig kündigte die NATO-Führung an, ihre Bünd- verhindern. Menschen aus dem Netzwerk der Unterstützerin- nistruppen in Afghanistan zu verstärken. Es kann sich bei nen und Unterstützer um die Familie, Schülerinnen, Schüler Afghanistan also gar nicht um ein „sicheres Herkunftsland“ und Lehrkräfte sowie die Schülervertretung (SV) der PHS ar- handeln. Die öffentlich zelebrierten Abschiebungen in dieses tikulierten ihren Protest in Resolutionen, alarmierten die Me- Land sind Bestandteil eines populistischen Wahlkampfs im dien, malten Transparente und gingen schließlich gemeinsam Vorfeld der Bundestagswahl. Die Behauptung, bei den Ab- mit Familie Amiri und vielen anderen Bedrohten und Unter- zuschiebenden handele es sich um „Kriminelle“, ist in vie- stützerinnen und Unterstützern in Wiesbaden auf die Straße. len Fällen gelogen. In der Schule gründete sich eine AG, um sicherzustel- Wir sind uns in der Flüchtlings-AG der PHS einig: Durch len, dass auch weitere Ausreiseaufforderungen und dro- die Abschiebung einer Schülerin oder eines Schülers unse- hende Abschiebungen im selben Sinn beantwortet würden. rer Schule wird auch der Charakter unserer Schule unwi- An der PHS gibt es derzeit fünf InteA-Klassen. Die meisten derruflich verändert – von der Schule zum Vorfeld des Ab- Jugendlichen suchen einen Ausbildungsplatz, unter anderem schiebegefängnisses. Bildung und Integration verlangen nach weil die sogenannte Ausbildungsduldung für zunächst drei einer angstfreien und menschenwürdigen Umgebung. Dar- Jahre derzeit die beste Möglichkeit darstellt, vor einer Ab- um verteidigen wir mit den Geflüchteten an der PHS auch schiebung gesichert zu werden (HLZ S. 8). Die Flüchtlings-AG uns selbst, unsere Vorstellungen einer befreienden und men- hat (hoffentlich) zu allen potenziell von Abschiebung bedroh- schenfreundlichen Arbeit als Lehrkräfte und als Seelsorgerin- ten Schülerinnen und Schülern insbesondere in den InteA- nen und Seelsorger in der Gesellschaft dieses Landes. Klassen Kontakt aufgenommen, um sie zu beraten und nie- Pfarrer Dr. Hans Christoph Stoodt manden mit einem negativen Bescheid des BAMF allein zu Der Autor ist Schulseelsorger und SV-Verbindungslehrer der Philipp- lassen. Dazu haben wir enge Kontakte mit Flüchtlingsiniti- Holzmann-Schule und engagiert sich in der Flüchtlings-AG der PHS. ativen, Anwaltskanzleien und Betreuerinnen und Betreuern in den staatlichen Maßnahmen geknüpft. • In der Ausgabe 6/2017 der e&w, der diese HLZ beigelegt ist, Eine „Ausbildungsduldung“ sollte in jedem Fall möglichst findet man eine weitere Reportage zu den Aktivitäten der Philipp- frühzeitig beantragt werden. Allerdings sind die aufenthalts- Holzmann-Schule auf den Seiten 42 und 43 Protest gegen Abschiebung Die Protestpostkarte gegen Abschiebungen nach Afghanistan findet man auf der Homepage von PRO ASYL zum Bestellen oder Aus Sadaf Amiri macht eine Ausbildung als Bauzeichnerin und ist drucken (https://proasyl.de > Materialien). Schülerin der Philipp-Holzmann-Schule. Gegen ihre drohen de Abschiebung protestierten im Januar 2017 auch die Schü lerinnen und Schüler ihrer Klasse. „Wir, die Klasse 10BZ der Philipp-Holzmann-Schule Frankfurt, sind entsetzt darüber, wie menschenverachtend der Umgang mit der Familie unserer Klassenkameradin Sadaf ist. Wir möchten hiermit unseren Protest über die Entscheidung des BAMF ausdrü- cken und darauf hinweisen, wie grausam es ist, dass eine junge Frau mit großartiger Zukunftsperspektive aus ihrem Leben hier in Deutschland gerissen werden soll. (...) Wir können es als Menschen nicht verantworten, dass eine in unserem Land integrierte Familie sehenden Auges zurück in den Tod geschickt wird. Sadaf hat sich während der Zeit ihres Studiums an der Polytechnischen Univer- sität in Kabul für Frauenrechte eingesetzt. Ihr Bruder wurde als Soldat der afghanischen Armee von den Taliban entführt und der Familie gedroht. (…) Wir fordern die Rücknahme des Abschiebe- bescheids für Familie Amiri!“
Titelthema zum Inhaltsverzeichnis HLZ 6/2017 8 Asyl und Aufenthalt Die Rechtslage ist kaum noch zu durchschauen Als das Grundgesetz am 23. Mai 1949 in Kraft trat, bestand das Asylrecht in Artikel 16 Abs.2 aus einem einzigen kurzen Satz: Anhörung und Entscheidung durch das BAMF „Politisch Verfolgte genießen Asyl.“ Durch mehrere Grundge Bis zur Zuweisung eines Anhörungstermins sind bereits meh- setzänderungen und immer wieder geänderte Ausführungsgeset rere Monate, ein Jahr oder länger vergangen. Auch danach ze wurde daraus ein Konvolut von Regelungen, Auslegungen und müssen sich Betroffene und Helferinnen und Helfer auf eine Ausnahmen. Rechtsanwalt Victor Pfaff, einer der besten Kenner lange, zermürbende Wartezeit einstellen. Der Anteil der Men- der Materie, brachte es bei einer Veranstaltung in Rüsselsheim schen, die mit dem Bescheid des BAMF als Asylberechtigte auf den Punkt: „Was fehlt, ist eine vernünftige und unbürokrati nach § 16a GG oder als Flüchtlinge nach der Genfer Flücht sche Bleiberechtsregelung. Denn alle wissen, dass die ganz große Mehrheit der Flüchtlinge bleiben wird. Stattdessen jagt eine Ver lingskonvention anerkannt werden, wird immer geringer. änderung im Aufenthalts- und Asylrecht die nächste.“ Die fol Nach der Genfer Flüchtlingskonvention gelten Menschen als genden Ausführungen geben nur einen kurzen, oberflächlichen Flüchtlinge, die von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteu- Einblick in das aktuelle Asylrecht und die wichtigsten Kontro ren aufgrund ihrer „Rasse“, Nationalität, politischen Überzeu- versen. Die jüngste weitere Verschärfung, die der Bundestag im gung, religiösen Grundentscheidung oder Zugehörigkeit zu Mai 2017 beschloss, ist noch nicht berücksichtigt. einer bestimmten sozialen Gruppe (und damit auch aufgrund Alle Ratgeber für ehrenamtliche Helferinnen und Helfer einer bestimmten sexuellen Orientierung) verfolgt werden. empfehlen, bei der Beratung und Unterstützung von ge- Damit geht die Flüchtlingskonvention über die ausschließlich flüchteten Menschen der Anhörung durch das Bundesamt politische Verfolgung hinaus. Nach den jüngsten Zahlen des für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ganz besondere Auf- BAMF stieg der Anteil abgelehnter Asylanträge von 2016 bis merksamkeit zu widmen. Hier entscheidet sich, welche Blei- April 2017 von 25 % auf 37 %. Gleichzeitig sank der Anteil beperspektiven Flüchtlinge haben und welcher Status zuer- anerkannter Flüchtlinge von 37 % auf 22 %. Dazu kommen kannt wird. Eine auf der Grundlage der Anhörung getroffene die Fälle, die nach dem Dublin-Verfahren aufgrund der Zu- Entscheidung ist später gerichtlich nur noch schwer zu re- ständigkeit eines anderen EU-Staates oder wegen der Rück- vidieren. Deshalb sollten ehrenamtliche Betreuerinnen und nahme des Antrags nur „formell“ entschieden wurden. 2016 Betreuer viel Zeit in die Vorbereitung investieren und den waren dies 18 % der Fälle. geflüchteten Menschen helfen, sich an die oft schmerzhaf- Wird ein Antrag auf Anerkennung der Asylberechtigung ten Umstände der Flucht, an Details der Diskriminierung oder als Flüchtling abgelehnt, besteht die Möglichkeit, dass und Verfolgung zu erinnern, Dokumente und Belege zusam- ein subsidiärer Schutz nach Artikel 4 des Asylgesetzes zuer- menzustellen und ihre Gründe überzeugend darzulegen. Sie kannt wird. Er soll dann gewährt werden, wenn den Betrof- können eine Vertrauensperson oder einen Anwalt mitneh- fenen im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht. Dazu ge- men und sollten widersprechen, wenn sie den vom Amt be- hören die Gefahren durch die Verhängung der Todesstrafe, reitgestellten Übersetzer nicht verstehen, der die Aussagen durch Folter oder durch Krieg und Bürgerkrieg im Herkunfts- des Flüchtlings übersetzen und das angefertigte Protokoll land. Während Menschen aus Syrien zunächst in den meis- rückübersetzen soll. ten Fällen als Flüchtlinge anerkannt wurden, erhalten sie jetzt zumeist nur subsidiären Schutz. Dieser wird in dem Bescheid des BAMF zunächst für ein Jahr ausgesprochen und dann je- weils um zwei Jahre verlängert. Entzogen werden könnte er aber nur dann, wenn sich die Verhältnisse im Herkunftsland substanziell ändern und die Gefahr für Leib und Leben nicht mehr besteht. Nach fünf Jahren kann der subsidiäre Schutz in ein dauerhaftes Niederlassungsrecht umgewandelt werden, wenn weitere Voraussetzungen wie die Sicherung des Lebens- unterhalts sowie ausreichende Deutschkenntnisse erfüllt sind. Dabei wird die Dauer des Asylverfahrens nicht eingerechnet. Abschiebungen nach Afghanistan Wird der Asylantrag abgelehnt und auch kein subsidiärer Schutz gewährt, erfolgt eine Aufforderung zur Ausreise bzw. eine Abschiebung. 2017 hat bereit das BAMF in 6 Prozent al- ler Fälle nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes ein Abschiebungsverbot festgestellt und damit eine Duldung ausgesprochen. Ansonsten kann ein solches Abschiebever- bot nur noch gerichtlich durchgesetzt werden. Gegen die Bescheide des BAMF sind Rechtsmittel möglich. Die Fristen müssen im Bescheid genannt werden. Bei jedem
9 HLZ 6/2017 zum Inhaltsverzeichnis Gericht besteht eine Rechtsantragsstelle, die bei der Einle- gung von Rechtsmitteln durch die Betroffenen oder bevoll- mächtigte Personen behilflich sein muss, die Klagebegrün- dung kann nachgereicht werden. Afghanistan ist für Flüchtlingsorganisationen und Wohl- fahrtsverbände derzeit das „am stärksten asylpolitisch um- kämpfte Land“. Die Bundesregierung erhöht derzeit den Druck auf ausreisepflichtige Menschen aus Afghanistan durch me- dial inszenierte Abschiebungen und den Abschluss eines EU- Rückübernahmeabkommens mit der Regierung in Kabul. Mit der Behauptung, es würden nur alleinstehende, gesunde und vorbestrafte junge Männer abgeschoben, sollen Helferinnen und Helfer beruhigt und flüchtlingsfeindliche Stimmungen bedient werden. Rechtsanwalt Victor Pfaff berichtete aller- dings auch, dass gegenläufig sowohl das Bundesverfassungs- gericht in mehreren Eilentscheidungen als auch einzelne Verwaltungsgerichte Abschiebungen nach Afghanistan ge- stoppt haben und sich hier ein Wandel der Rechtsprechung andeutet. Die Gerichte beziehen sich dabei sowohl auf eine verschlechterte Sicherheitslage in Afghanistan als auch auf schlechte Chancen, ohne Bindungen zu Afghanistan und ohne familiären Rückhalt dort wenigstens „das Existenz- https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=37384420 minimum zu sichern“ (Urteil des Verwaltungsgerichts Ham- (Opihuck – CC BY-SA 3.0) burg vom 20. 2. 2017). Eine solches Abschiebeverbot gibt es nicht für Jugend- Auch Hessen erwägt Wohnsitzauflagen liche, die noch die Schule besuchen. § 25a des Aufenthalts- gesetzes regelt die Möglichkeit, bei „gut integrierten Ju- Inzwischen prüft auch die schwarz-grüne hessische Landes- gendlichen und Heranwachsenden“ die Duldung in einen regierung, Flüchtlinge nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes zu dauerhaften Aufenthalt umzuwandeln. Voraussetzungen für verpflichten, einen bestimmten Wohnort zu nehmen oder ge- einen solchen Antrag, der vor Vollendung des 21. Lebensjah- rade nicht zu nehmen. Unabhängig von der strittigen Frage, res gestellt werden muss, sind ein vierjähriger ununterbro- ob das Grundrecht der Freizügigkeit für anerkannte Flücht- chener legaler Aufenthalt in Deutschland, ein „erfolgreicher“ linge durch eine solche Wohnsitzauflage aufgehoben werden Schulbesuch seit mindestens vier Jahren oder ein anerkannter darf und ob die Zuweisung in ländliche Regionen tatsäch- Schul- oder Berufsabschluss. Außerdem muss „gewährleis- lich zu einer Verbesserung des Fortkommens und der Inte tet“ sein, dass sich der Jugendliche „auf Grund seiner bishe- gration führt, besteht für die Behörden eine Nachweispflicht, rigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensver- dass die Auflage überprüfbar die Wohnsituation verbessert hältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann“. und den Spracherwerb und die Aufnahme einer Ausbildung oder Erwerbstätigkeit erleichtert. Einschränkung des Familiennachzugs Ausbildung und Schulbesuch Zu den negativen Veränderungen des Asyl- und Aufent- haltsrechts gehört die Aussetzung des Rechts auf Familien- Zu den wenigen Verbesserungen im Asyl- und Aufent- nachzug für geflüchtete Menschen mit subsidiärem Schutz haltsrecht gehört die vorübergehende Aussetzung der Ab- für die Dauer von zwei Jahren. Durch die lange Zeit bis zum schiebung, wenn eine qualifizierte Berufsausbildung auf- Bescheid des BAMF können daraus auch vier Jahre werden. genommen wurde. Diese Änderung erfolgte vor allem auf Das Deutsche Institut für Menschenrechte hält diese Geset- Druck der Wirtschaft, die hofft, Nachwuchssorgen in Man- zesänderung in einer Stellungnahme vom 16. 12. 2016 für gelberufen auch auf diesem Weg zu minimieren. § 60a Ab- einen Verstoß gegen Grund- und Menschenrechte. Die deut- satz 2 des Aufenthaltsgesetzes ermöglicht es, „für die im schen Auslandsvertretungen müssten deshalb auch weiterhin Ausbildungsvertrag bestimmte Dauer der Berufsausbil- „Anträge auf Familiennachzug zu subsidiär Schutzberech- dung“ eine Duldung auszusprechen, „wenn der Auslän- tigten aus völkerrechtlichen Gründen bearbeiten und posi- der eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich tiv entscheiden“. Dies gelte insbesondere für den Nachzug anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsbe- von Kindern. Nach Artikel 25 GG sind die allgemeinen Re- ruf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat“ und geln des Völkerrechtes unmittelbarer „Bestandteil des Bun- noch keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen eingelei- desrechtes“. Dies gilt auch für die UN-Kinderrechtskonven- tet wurden. Im Hinblick auf eine weitere Bleibeperspekti- tion, die in Artikel 3 den Vorrang des Kindeswohls für alle ve nach dem Ende der Ausbildung kann auch die „Positiv- staatlichen Maßnahmen begründet und in Artikel 11 alle Ver- liste“ der Bundesagentur für Arbeit zur „Zuwanderung in tragsstaaten verpflichtet, „von einem Kind oder seinen Eltern Ausbildungsberufe“ herangezogen werden. Sie enthält die zwecks Familienzusammenführung gestellte Anträge“ auf Berufe, bei denen „die Besetzung offener Stellen mit aus- Einreise oder Ausreise „wohlwollend, human und beschleu- ländischen Bewerberinnen oder Bewerbern arbeitsmarkt- nigt“ zu bearbeiten, ohne dass der Antrag „nachteilige Fol- und integrationspolitisch (...) verantwortbar ist“ (https:// gen für die Antragsteller und deren Familienangehörige hat“. www.arbeitsagentur.de/positivliste). Harald Freiling
Titelthema zum Inhaltsverzeichnis HLZ 6/2017 10 Willkommenskultur am Ende? Im Gespräch mit der SPD-Landtagsabgeordneten Andrea Ypsilanti Andrea Ypsilanti (SPD) ist seit 1999 Mitglied des hessischen Fehlern von Behörden nachgehen soll. Dem BAMF und den Landtags und seit 2014 Vorsitzende des Petitionsausschus- Ausländerbehörden Fehlentscheidungen nachzuweisen, ist ses. Außerdem ist sie Mitglied der Härtefallkommission. HLZ- kaum möglich. Sie entscheiden nämlich in der Regel durch- Redakteur Harald Freiling sprach mit Andrea Ypsilanti über aus „rechtmäßig“, allerdings im Rahmen der immer wieder Fragen des Aufenthaltsrechts und die Nöte geflüchteter Men- verschärften Asylgesetze. Trotzdem kann ich als Abgeordne- schen und der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer. te, die sich eines bestimmten Falles annimmt, schon beraten und auch ohne eine formelle Entscheidung im Ausschuss im HLZ: Welche Bedeutung haben die Probleme und Nöte geflüch persönlichen Gespräch wichtige Hinweise geben. Wichtig ist teter Menschen für die Arbeit des Petitionsausschusses? auch, dass für die Dauer des Petitionsverfahrens in der Re- gel die Abschiebung ausgesetzt ist und dass die Petition Vo- Ypsilanti: Eine ganz große! Das Bundesamt für Migration raussetzung für die Anrufung der Härtefallkommission ist. und Flüchtlinge (BAMF) hat in den letzten Monaten die Ver- fahren enorm beschleunigt. Die vielen Neueinstellungen und Was macht diese Hilflosigkeit mit Ihnen? die Trennung von Anhörung und Entscheidung beeinträchti- Die sorgt auch schon mal für schlaflose Nächte. Ich führe gen allerdings die Sorgfalt der Recherche. In vielen Beschei- viele Gespräche mit den ehrenamtlichen Helfern, mit Sozi- den wird nur ein befristeter subsidiärer Schutz gewährt, vie- alpädagoginnen und Sozialpädagogen und Flüchtlingsor- le andere setzen eine Frist von 30 Tagen für die „freiwillige“ ganisationen. Die haben natürlich dann große Erwartungen Ausreise. Es reicht ja schon ein einziger solcher Bescheid, und die Petition erscheint als letzter Rettungsanker. Die Men- dass ein vernünftiges Weiterarbeiten in einer InteA-Klasse schen sitzen auf gepackten Koffern und sehen jede Hoffnung unmöglich ist. Was ist, wenn in einer solchen Klasse drei oder schwinden. Da gibt es zum Beispiel junge Menschen aus Eri- vier Jugendliche oder junge Erwachsene einen solchen Be- trea, die in Deutschland erst alphabetisiert wurden und jetzt scheid bekommen! Die Betroffenen sind in Panik, die Lehr- mit Hochdruck Deutsch lernen, Kinder aus Roma-Familien kräfte oder ehrenamtlichen Patinnen und Paten verzweifelt. aus Albanien, die in der Schule aufgeblüht sind, weil sie zum Sie fragen sich, was aus der „Willkommenskultur“ geworden ersten Mal Mitschülerinnen und Mitschülern und Lehrkräf- ist, und stehen vor den Scherben ihres Engagements. In dieser ten begegnen, die sie ohne Diskriminierung annehmen. Sol- Situation wenden sie sich dann an den Petitionsausschuss. che Schicksale gehen schon unter die Haut… Welche Möglichkeiten hat der Petitionsausschuss, in dieser Si tuation zu helfen? Sie haben die InteA-Klassen angesprochen. Leider gilt ja der Schutz vor Abschiebung nicht für die schulische Ausbildung, Leider sind sie begrenzt! Das hat vor allem etwas mit dem aber doch für die Berufsausbildung… gesetzlichen Auftrag des Petitionsausschusses zu tun, der …aber auch dieser Schutz gilt nur begrenzt. Die Ausländerbe- hörden haben bei Ausbildungsduldungen einen Ermessens- Der Petitionsausschuss spielraum, insbesondere wenn bereits „aufenthaltsbeendigen- de Maßnahmen“ ergriffen wurden. Auch eine vermeintliche Das Petitionsrecht nach Artikel 17 des Grundgesetzes und Verweigerung der Mitwirkung bei der Erfüllung der Aus- Artikel 16 der Hessischen Verfassung gilt ausdrücklich für weispflicht kann ausreichen, dass eine Ausbildungserlaub- „jedermann“, also auch für Minderjährige, Menschen an- nis verweigert wird. Oft melden sich bei uns auch Betriebe, derer Staatsangehörigkeit, Bürgerinitiativen oder Vereine. die gern einen Ausbildungsvertrag abschließen würden, aber Mit Einverständnis der Betroffenen kann es auch von Drit- die Ausbildungsduldung wurde verweigert. Dann erreiche ich ten wahrgenommen werden. Der Petitionsausschuss des schon in dem einen oder anderen Fall eine Lösung auch in Landtags kann sich mit allen Entscheidungen von Behör- Gesprächen mit den Behörden vor Ort, aber eben nicht das, den befassen, die der Aufsicht des Landes Hessen unterste- was die Menschen brauchen, eine sichere Bleibeperspektive. hen, oder das Anliegen der Petition an zuständige Stellen weiterleiten. Die Petition ist an keine Form gebunden und Kommen wir dann zur Härtekommission… kann auch online übermittelt werden. Nach den Beratun- Das ist oft die letzte Option, dass die abgelehnten Petitionen gen im Petitionsausschuss entscheidet der Landtag. In auf- in die Härtefallkommission eingebracht werden. Aber auch enthaltsrechtlichen Fragen hat der Petitionsausschuss kei- in der Härtefallkommission sind die Hürden hoch. Die ge- nen humanitären Ermessensspielraum, vielmehr prüft er nur flüchteten Menschen müssen aktive „Integrationsleistungen“ mögliche Verstöße gegen Gesetze und aufenthaltsrechtliche nachweisen, vor allem aber, dass sie sich und ihre Familie Verfahrensvorschriften. Allerdings ist die Wahrnehmung aus eigener Kraft finanziell unterhalten können. Und worin des Petitionsrechts eine zwingende Voraussetzung für eine liegt die „besondere Härte“ einer Abschiebung? Reicht die Prüfung des Einzelfalls durch die Härtefallkommission. Diskriminierung einer Roma-Familie im Kosovo aus, um die • Hinweise auf die nächsten Bürgersprechstunden des Petiti Mehrheit der Kommission und vor allem danach den Innen- onsausschusses und das Formular für eine Online-Petition findet minister zu überzeugen? Gut, alle Kolleginnen und Kollegen man unter https://hessischer-landtag.de > Service > Petition. in der Kommission sind sehr engagiert und nehmen ihren
11 HLZ 6/2017 zum Inhaltsverzeichnis Titelthema humanitären Auftrag ernst, aber alle Fälle, die in die Kom- mission eingebracht und positiv entschieden werden, unter- liegen dann am Ende immer noch der Entscheidung des In- nenministers. Die weicht dann schon hin und wieder vom positiven Votum der Kommission ab... …die wiederum Ausdruck einer veränderten Gesetzgebung ist… …aber nicht nur der Gesetzgebung. Bei Afghanistan spielt die Einschätzung durch die Bundesregierung die maßgebli- che Rolle. Da muss ich mir schon vorhalten lassen, dass auch das Außenministerium, das seit vielen Jahren von SPD-Mi- nistern geleitet wird, an der Einschätzung festhält, große Tei- le von Afghanistan seien „sicher“. Nach den Gesprächen, die ich führe, kann ich dies nicht teilen… ...und wohl auch einige Gerichte nicht (HLZ S.8–9). Aber gilt da nicht die Aussage des hessischen Innenministers, dass aus schließlich vorbestrafte ausreisepflichtige junge Männer abge schoben werden? Eine belastbare Aussage der Landesregierung gibt es dazu nicht. Bei den meisten Abschiebungen wird erst nachträg- lich bestätigt, dass auch Menschen aus Hessen im Flieger sa- ßen. So verhindert man Proteste und bleibt trotzdem „kon- sequent“. Die Abschiebungen nach Afghanistan haben sehr viel Unruhe in die Reihen der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer gebracht. Unmenschlich finde ich auch das Hin- ausschieben des Familiennachzugs bei subsidiärem Schutz. Es gibt tausende von Fällen in Europa, wo Eltern und Kin- der nicht zusammenkommen können. Wie beurteilen Sie auf diesem Hintergrund die aktuelle Flücht lingspolitik der deutschen Bundesregierung und der EU? Andrea Ypsilanti (SPD) ist seit 1999 Mitglied des hessischen Landtags und seit 2014 Vorsitzende des Petitionsausschusses. Die Willkommenskultur im Sommer 2015 wurde vor allem von der Bevölkerung getragen. Inzwischen werden die eh- renamtlichen Helferinnen und Helfer weitgehend im Stich Die Härtefallkommission gelassen und die Regierung setzt auf Abschottung und Ab- schiebung. Diese Politik – so hat es Gesine Schwan im SPIE- Die Härtefallkommission beim Hessischen Ministerium GEL formuliert – steht der Mauer Donald Trumps gegen Me- des Innern und für Sport ist ein behördenunabhängiges xiko in nichts nach. Das hat mit Willkommenskultur nichts Gremium, das sich im Rahmen des Härtefallgesetzes vom mehr zu tun! Es ist zwar viel davon die Rede, dass man die 14.12.2009 mit dem Schicksal der Menschen befasst, bei de- Fluchtursachen vor Ort bekämpfen müsse, doch davon ist nen das aufenthaltsrechtliche Verfahren abgeschlossen ist noch nichts zu sehen. Zäune, Repression und Ausgrenzung und offenkundig ein besonderer Härtefall vorliegt. Ziel ist es, führen nur zu Gewalt, zu Rassismus und Extremismus. Um Einzelfälle humanitär zu lösen, die bei Anwendung der Asyl- das Sterben auf dem Mittelmeer endlich zu stoppen, brau- und Aufenthaltsgesetze nicht hätten gelöst werden können. chen wir legale Möglichkeiten der Einreise für Asylsuchen- In der Kommission sind Kirchen, Wohlfahrtsverbände und de und für Kriegsflüchtlinge und eine Neuregelung des Fa- Menschenrechtsorganisationen vertreten, ebenso Landtags- miliennachzugs. abgeordnete, kommunale Spitzenverbände und Ausländerbe- hörden sowie das Innen- und das Sozialministerium. Anders Wo könnte man einen Hebel ansetzen, um Bewegung in die fest als im Petitionsrecht befasst sich die Härtefallkommission gefahrenen Positionen in Europa zu bringen? nur dann mit einem Fall, wenn ein Mitglied der Kommissi- Ich finde, dass Gesine Schwan einen bemerkenswerten Vor- on diesen aufgreift und in die Kommission einbringt. Eine schlag für eine neue Flüchtlingspolitik der EU vorgelegt hat, weitere zwingende Voraussetzung ist, dass zuvor eine Peti- um mit einem europäischen Investitionsfonds den Gemein- tion abgeschlossen wurde. Die Befassung der Härtefallkom- den, die die Hauptaufgabe der Integration schultern, neue mission ist ausgeschlossen, wenn bereits ein Abschiebeter- Handlungsspielräume zu eröffnen. Gemeinden, die freiwil- min festgesetzt wurde. Für die Dauer des Härtefallverfahrens lig Flüchtlinge aufnehmen und integrieren, sollen nicht nur besteht in der Regel für maximal drei Monate ein Abschiebe- die bei der Flüchtlingsaufnahme entstehenden Kosten erstat- schutz. Über das Votum der Härtefallkommission entscheidet tet bekommen, sondern darüber hinaus auch Mittel erhalten, das Innenministerium. Nach den letzten vorliegenden Zah- um die kommunale Infrastruktur zu verbessern. Sie erhofft len beriet die Kommission zwischen 2008 und 2015 über 330 sich dadurch einen „menschlichen und ökonomischen Vita- Fälle, von denen 261 zu einem Härtefallersuchen beim In- litätsschub“. Das ist eine Vorstellung, die ich teile. nenminister führten. 187 Anträgen gab das Innenministe- rium zum Teil unter Auflagen statt (Bericht über die Tätig- Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für die weite re Arbeit. keit der Härtefallkommission vom 1.1. bis 31.12.2015, S.17)
Sie können auch lesen