VoloWork Studie Unternehmen und ihr Engagement für die Freiwilligenarbeit in der Schweiz - Fachhochschule Graubünden
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Studie VoloWork Unternehmen und ihr Engagement für die Freiwilligenarbeit in der Schweiz Curdin Derungs, Andreas Müller und Dario Wellinger Fachhochschule Graubünden
Management Summary Die Freiwilligenarbeit ist für das Zusammenleben prägend und für das Gemeinwesen in der Schweiz sys- temrelevant. Ob in gemeinnützigen Organisationen, öffentlichen Ämtern, Kultur- und Sportvereinen oder bei der Nachbarschaftshilfe und Altenbetreuung – ohne sie würde das Fundament der Schweizer Gesell- schaft arg ins Bröckeln geraten. In erster Linie wird die Freiwilligenarbeit als etwas Privates betrachtet, das losgelöst von der beruflichen Tätigkeit stattzufinden hat. Die Erkenntnisse in der vorliegenden Studie zeigen jedoch, dass für viele die Vereinbarkeit von Freiwilligenarbeit mit der beruflichen Tätigkeit eine Her- ausforderung darstellt. Die Forschung und Praxis hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren vornehm- lich auf das Corporate Volunteering konzentriert – also freiwillige Einsätze in Namen der Unternehmung. Immer mehr wird deutlich, dass auch die individuelle Förderung der Arbeitnehmenden eine zentrale Rolle spielt, wenn sich Arbeitnehmende wieder vermehrt freiwillig in der Gesellschaft engagieren sollen. Die vorliegende wissenschaftliche Studie «VoloWork» untersucht die heutigen beruflichen Rahmenbedin- gungen für Mitarbeitende mit freiwilligem Engagement. Sie stützt sich auf Daten aus dem Freiwilligenmo- nitor 2020 mit über 5’000 befragten Personen und einer repräsentativen Unternehmensbefragung von über 500 Unternehmen des Projektes «PoliWork». Daraus lassen sich zentrale Erkenntnisse zum Zusam- menspiel von Wirtschaft und Freiwilligenarbeit in der Schweiz ableiten und wie folgt zusammenfassen: Viele Arbeitnehmende engagieren sich, aber Potenzial ungenutzt: Bereits heute engagieren sich gut 2 Mio. Erwerbstätige ab 15 Jahren freiwillig. Rund 18% aller Erwerbstätigen sind in der formellen Freiwilli- genarbeit tätig. Das Rekrutierungspotenzial i.e.S. wird damit zu 39.4 % ausgeschöpft. D.h. das unrealisierte Rekrutierungspotenzial beläuft sich auf 1.29 Mio. Erwerbstätige. Entsprechend ist unter den Arbeitneh- menden der Schweiz ein erhebliches Potenzial für mehr Freiwilligenarbeit festzustellen. Vereinbarkeit von Beruf und Freiwilligenarbeit fordert Arbeitnehmende heraus: Gemäss den befragten Arbeitnehmenden geben ihre Arbeitgebenden selten den entscheidenden Anstoss, freiwillige Tätigkeiten zu übernehmen. Gleichzeitig sind berufliche Gründe die häufigste Ursache für einen Rückzug aus der Frei- willigenarbeit. Und die zeitliche Belastung nennen die Arbeitnehmenden am meisten als Grund, wieso sie von einem freiwilligen Engagement absehen. Unternehmen unterstützen Freiwilligenarbeit häufig und vielfältig, aber wenig spezifisch: Ein Grossteil der Unternehmen unterstützt die Freiwilligenarbeit ihrer Mitarbeitenden. Rund 62 % der Unternehmen ha- ben konkrete Massnahmen für die Förderung der formellen und 33 % für die informelle Freiwilligenarbeit umgesetzt. 54% unterstützen zudem Personen mit familiären Betreuungsaufgaben. Am meisten ermög- lichen die Unternehmen in der Schweiz flexible Arbeitszeiten. Gleichzeitig sind Massnahmen, die mit hö- heren Kosten verbunden wären (z.B. bezahlte Absenzen, Netzwerk-Events und angepasste Leistungsziele für Freiwillige), wenig verbreitet. Insgesamt bleiben die Massnahmen allgemein, wenig auf das freiwillige Engagement ausgerichtet und aus Sicht der Arbeitnehmenden teilweise lückenhaft. Neues Handlungsfeld im Kampf um (junge) Talente, Wertschätzung erhöhen: Sinnstiftende Arbeit, vielfältige berufliche und gesellschaftliche Engagements sind im Trend. Daraus erheben sich neue Mög- lichkeiten für Unternehmen, sich im Kampf um (junge) Talente und andere Leistungsträger:innen zu posi- tionieren. Dies setzt voraus, dass Unternehmen die Freiwilligenarbeit wertschätzen. Hier besteht Verbes- serungspotenzial: Weniger als 50% der Unternehmen ermuntern ihre Mitarbeitenden zur Freiwilligenarbeit, während über 20% der Freiwilligen der Ansicht ist, dass bezüglich Wertschätzung ihres Engagements in ihrem Unternehmen Verbesserungen möglich wären. Gerade die Wertschätzung und Anerkennung der Freiwilligenarbeit wären kostengünstig, zugleich sehr motivierend und daher wirkungsvoll. 2
Inhalt 1 Einleitung ................................................................................................................................................ 5 1.1 Ausgangslage .......................................................................................................................................................5 1.2 Ziel und Fokus.......................................................................................................................................................6 1.3 Forschungsdesign ...............................................................................................................................................6 2 Freiwilligenarbeit zwischen Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Staat ................................................... 8 2.1 Grundlagen: Corporate Citizenship und Corporate Volunteering ................................................................8 2.2 Wirkungsmodell....................................................................................................................................................9 3 Arbeitnehmende und ihr freiwilliges Engagement ............................................................................. 10 3.1 Arbeitnehmende und ihr Rekrutierungspotenzial........................................................................................ 10 3.2 Arbeitnehmende zwischen Beruf und Freiwilligenarbeit ........................................................................... 11 3.3 Synthese ............................................................................................................................................................. 15 4 Unternehmen und die Förderung der Freiwilligenarbeit .................................................................... 16 4.1 Unternehmen: (K)ein Engagement für die Freiwilligenarbeit? .................................................................. 16 4.2 Gestaltungsbereiche in der Förderung der Freiwilligenarbeit ................................................................... 18 4.3 Synthese ............................................................................................................................................................. 19 5 Nachwort: Freiwilligenarbeit 2040 – ein persönlicher Ausblick ....................................................... 20 Literaturverzeichnis ................................................................................................................................................... 23 Abbildungsverzeichnis .............................................................................................................................................. 24 Autoren......................................................................................................................................................................... 25 Zentrum für Verwaltungsmanagement ................................................................................................................. 25 3
Impressum Autoren: Curdin Derungs, Andreas Müller und Dario Wellinger © FHGR Verlag, Chur 2021, ISBN 978-3-907247-10-5 Wir bedanken uns bei den beteiligten Projektpartner:innen herzlich für die Finanzierung sowie die aktive und bereichernde Mitarbeit an diesem Projekt. 4
1 Einleitung 1.1 Ausgangslage Die Freiwilligenarbeit hat in der Schweiz eine lange Tradition und ist fest verankert. Sie zeichnet sich durch selbstorganisiertes, unbezahltes Engagement in der Zivilgesellschaft aus. Aber auch der Staat, der sich in der Schweiz durch sein Milizsystem auszeichnet, profitiert von zahllosen Freiwilligen. Besonders «Vereine, gemeinnützige Organisationen und informelle Netzwerke übernehmen wichtige gesellschaftliche Aufga- ben und Verantwortungen. Die Zusammenarbeit der Bürger hat auch viel positive Nebeneffekte» (Sa- mochowiec et al., 2018). Dazu zählen u.a. ein höheres Vertrauen in den Staat und in die Wirtschaft, kos- tengünstigere öffentliche Leistungen in Gemeinden, ein attraktiveres Wohn- und Arbeitsumfeld, ein guter Nährboden für Innovationen und sozial tragfähige Strukturen oder eine höhere gesellschaftliche Teilhabe und politische Partizipation (Seidel et al., 2010). Trotz ihrer vielfältig vorteilhaften Wirkung ist die traditionelle Freiwilligenarbeit unter Druck. Die Zahl der Freiwilligen bleibt zwar seit mehreren Jahren erstaunlich stabil (BFS, 2021; Lamprecht et al., 2021: 9). Gemäss Freiwilligen-Monitor 2020 engagierten sich im Jahr 2019 gut 39 % der über 15-Jährigen formell in einem Verein oder einer Organisation, fast ebenso viele waren im engeren Sinne informell tätig (36 %), d.h. sie engagierten sich für nichtverwandte Personen ausserhalb des eigenen Haushalts. Allerdings ver- ändern sich die Rahmenbedingungen und Anforderungen an die Freiwilligenarbeit: In Zukunft stehen per- sönliche Gestaltungsmöglichkeiten stärker im Vordergrund als Pflichten. Freiwillige wollen mehr als nur Fronarbeit ausführen, sondern aktiv mitbestimmen und vor allem in Projektarbeit mit zeitlich vorab defi- nierten Zeiträumen mitwirken (vgl. Samochowiec et al., 2018). Der Spagat zwischen Individualismus und Gemeinschaftserlebnis fordert die Akteure der Freiwilligenarbeit zunehmend heraus. Neuere Untersuchungen lassen vermuten, dass die Rolle der Unternehmen in der Förderung der Freiwilli- genarbeit bislang unterschätzt wurde. Sie verdeutlichen einen direkten Zusammenhang zwischen freiwil- ligem Engagement und den Bedingungen am Arbeitsplatz. Dabei hängt die Beteiligung wesentlich mit Parametern der Erwerbsarbeit zusammen (vgl. Aregger, 2012; Freitag et. al., 2016; Lamprecht et al., 2021a). Anteil der Freiwilligen nach Berufsposition, in % 0 10 20 30 40 50 60 70 80 Angestellte, Arbeiter/innen Unteres/mittleres Kader Oberes Kader, Geschäftsinhaber/innnen Selbständig, ohne Angestellte Formelle Freiwilligenarbeit Informelle Freiwilligenarbeit Freiwilligenarbeit insgesamt Daten: Freiwilligen-Monitor 2020, Lamprecht et al., 2021a Abbildung 1: Erwerbsarbeit und freiwilliges Engagement 5
Zusammengefasst engagieren sich Teilzeiterwerbstätige, Pensionierte sowie Hausfrauen/-männer häu- figer freiwillig als Vollzeiterwerbstätige. Gleiches gilt für selbständig erwerbstätige Personen im Vergleich zu Angestellten (vgl. Abbildung 1). Dabei zeigt sich: Personen mit einem höheren Berufsstatus sowie Per- sonen im öffentlichen Sektor bringen sich generell stärker in der Freiwilligenarbeit ein als Mitarbeitende ohne berufliche Führungsfunktion oder Arbeitnehmende in der Privatwirtschaft. Dieses Muster zeigt sich für Frauen und Männer gleichermassen. 1.2 Ziel und Fokus Insgesamt kommt der Berufstätigkeit für das freiwillige Engagement von Arbeitnehmenden eine zentrale Rolle zu. Damit rücken die allgemeinen Voraussetzungen im Unternehmen und spezifisch die Vereinbar- keit von Beruf mit der Freiwilligenarbeit in den Fokus. Das Forschungsprojekt «VoloWork» setzt hier an und untersucht den Einfluss der Unternehmen auf ihre Mitarbeitenden als mögliche Freiwillige. Mitarbeitende als Volunteers (sprich: Freiwillige) sind aus Sicht des Unternehmens eine besondere Res- source. Zum einen bringen sie Erfahrungen und Wissen aus ihrem freiwilligen Engagement zugunsten ihres Arbeitgebers ein. Zum anderen benötigen sie dafür eine gewisse Flexibilität und Freiräume in der Ausgestaltung ihrer Erwerbsarbeit. Die vorliegende Studie untersucht die Anforderungen und Förderung der Freiwilligenarbeit aus Sicht der Arbeitnehmenden und stellt diese den aktuellen Rahmenbedingungen aus Sicht der Unternehmen in der Schweiz gegenüber. Thematisch ausgeklammert wird hier die betrieb- liche Freiwilligenarbeit i. e. S. («Corporate Volunteering»), wo sich in erster Linie das Unternehmen selbst freiwillig engagiert – und die Arbeitnehmenden sich während der Arbeitszeit (z. B. Arbeitseinsätze in der Natur) beteiligen. Ziel ist es, mögliche Ansätze zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Freiwil- ligenarbeit aufzuzeigen sowie Entwicklungspotenziale zu identifizieren. 1.3 Forschungsdesign Daten Zur Analyse der Arbeitnehmenden als Freiwillige werden die Daten aus dem Freiwilligen-Monitor Schweiz 2020 verwendet. Die Grundgesamtheit umfasst die ständige Schweizer Wohnbevölkerung ab 15 Jahren. Gemäss Untersuchungsportrait erhebt der Freiwilligen-Monitor Angaben über das Engagement in der Zi- vilgesellschaft. Der Monitor wurde von der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) initiiert, von über 30 Partnerorganisationen mitgetragen und vom Bundesamt für Statistik fachlich unterstützt. Lamprecht & Stamm Sozialforschung und Beratung hat den Freiwilligen-Monitor 2020 realisiert. Dafür wurden 5’002 Personen befragt. Davon waren 1’947 Personen freiwillig in Vereinen oder Organisationen engagiert (formelle Freiwilligenarbeit) und 2’294 Personen ausserhalb von Vereinen oder Organisationen (informelle Freiwilligenarbeit). Für die Analyse wurden folgende Aspekte in Hinblick auf mögliche beschäf- tigungs- und engagementbedingte Effekte ausgewertet (Gruppenvariablen «Berufliche Position» [SD16] und «Art des Engagements» [Q100/Q121]: Aufwand und Motive (Q240, Q290), Funktion des Arbeitgebers als Motivator (Q280), inhaltlicher Bezug der freiwilligen Tätigkeit zum Beruf (Q390), Interesse an zusätzli- chem Engagement (Q440), Vereinbarkeit (Q441, Q430) sowie die Unterstützung seitens Arbeitgeber (SD19, SD20) und mögliche Massnahmen (Q310, Q320). Ergänzend werden Daten aus der Schweizeri- schen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) des Bundesamtes für Statistik (BFS, 2020; BFS, 2021) hinzugezogen. Die Unternehmensbefragung zum Thema «Vereinbarkeit politisches Engagement und Beruf» fand zwi- schen dem 3. Februar und dem 11. Mai 2021 statt (vgl. Derungs et al., 2021). Die Online-Befragung stützt sich auf eine repräsentative Erhebung bei über 500 Unternehmen in der Schweiz. Dabei wurden zusätzli- che Fragen zur Förderung der allgemeinen Freiwilligenarbeit gestellt. Als Grundgesamtheit der Nettostich- probe gelten Unternehmen der Sektoren 2 (NOGA 05-43) und 3 (NOGA 45-96) mit mehr als fünf 6
Mitarbeitenden in der ganzen Schweiz. Der Fragebogen richtete sich an HR-Verantwortliche oder Ent- scheidungsträger:innen im Unternehmen und konnte in Deutsch, Französisch und Italienisch beantwortet werden. Von 3'800 eingeladenen Unternehmen haben N=509 Unternehmen den Fragebogen vollständig ausgefüllt. Daraus resultiert eine Brutto-Ausschöpfung von 13.4 %. Die durchschnittliche Beantwortungs- dauer (Median) lag effektiv bei 9.9 Minuten. Die Daten wurden in Zusammenarbeit mit dem Umfrageinsti- tut LINK erhoben. Der gesamte Fragebogen ist in der FORS-Datenbank unter www.forsbase.unil.ch zu- gänglich. Methodik Die Sicht der Arbeitnehmenden wird über die Daten des Freiwilligen-Monitors 2020 abgebildet. Wo zweck- mässig und möglich, werden die drei Gruppen an Freiwilligen «Politisches/öffentliches Amt» 1, «Freiwilli- genarbeit (allgemein/formell)» und «keine (formelle) Freiwilligenarbeit» miteinander verglichen (vgl. Abbil- dung 2). Die wichtigsten Ergebnisse sind in Kapitel 3 dokumentiert. Dabei orientiert sich die quantitative Auswertung an zwei Leitfragen: (1) Welche Rolle übernehmen Unternehmen in der Förderung des freiwil- ligen Engagements und (2) wo gibt es Verbesserungspotenziale? Diese lassen sich auch aus Sicht der Unternehmen als Arbeitgebende beantworten. Diese Analyse stützt sich auf die Daten von N=509 Unter- nehmen einer Befragung aus dem Forschungsprojekt «PoliWork» (vgl. Derungs et al., 2021). In Kapitel 4 sind die Ergebnisse dargestellt. Auf Basis der beiden Datenanalysen werden Schlussfolgerungen zur Frei- willigenarbeit der Zukunft gezogen und in Kapitel 5 kritisch gewürdigt. Freiwilligen-Monitor 2020 Politisches/ Freiwilligenarbeit Keine (formelle) Kapitel 3 öffentliches Amt vs. (allg./formell, vs. Freiwilligenarbeit (N=148) N=1’799) (N=3’055) Leitfragen Kapitel 5 Welche Rolle übernehmen Unternehmen in der Förderung des freiwilligen Engagements? Wo gibt es Verbesserungspotenziale? Unternehmensbefragung (PoliWork) Kapitel 4 Unternehmen und die Förderung des Milizsystems (N=509) Abbildung 2: Forschungsdesign und -methodik im Überblick 1 Diese Gruppe umfasst auf Basis von Frage Q121 resp. Rang 1 die Untergruppe 10 (politisches oder öffentliches Gremium/Amt) + Untergruppe 11 (öffentlicher Dienst) + Untergruppe 13 (= Politische Partei). Damit sind alle Personen erfasst, für die das jeweilige politische/öffentliche Amt das wichtigste formelle Engagement darstellt. Im Gegensatz dazu umfasst das Fact Sheet «Freiwilliges Engagement in politischen oder öffentlichen Gremien/Ämtern» (Lamprecht & Stamm, 2021b) alle Personen, die aktuell ein politisches oder öffentliches Gremium/Amt ausüben, ungeachtet der persönlichen Bedeutung für die Amtsträger:innen. Entsprechend sind leicht abweichende Ergebnisse möglich. 7
2 Freiwilligenarbeit zwischen Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Staat 2.1 Grundlagen: Corporate Citizenship und Corporate Volunteering Corporate Citizenship wird in der Literatur oft als Unterthema des übergeordneten Konzeptes der «Corpo- rate Social Responsibility» (CSR) betrachtet (u. v. Dreesbach-Bundy/Scheck, 2018). Unter Corporate Citi- zenship lässt sich das systematisch betriebene bürgerschaftliche Engagement von Unternehmen zusam- menfassen (u. v. Loew et al. 2004). Es beinhaltet neben Spenden-, Sponsoring- und Stiftungsaktivitäten auch die Förderung des freiwilligen gemeinnützigen Einsatzes von Mitarbeitenden. Letzteres wird auch als «Corporate Volunteering» bezeichnet. Dieses beschreibt das freiwillige, durch den Arbeitgeber organi- sierte bzw. unterstützte und während der Arbeitszeit erbrachte gesellschaftliche Engagement von Mitar- beitenden für gemeinnützige Zwecke (Lorenz et al., 2011; Dreesbach-Bundy, 2018: 353). In den letzten Jahren haben sich unterschiedlichste Einsatzmöglichkeiten in der Praxis entwickelt: vom eintägigen Frei- willigeneinsatz bis hin zu mehrwöchigen Projektarbeiten (Bartsch, 2010: 389). Nicht selten werden diese Einsätze auch offensiv kommuniziert (z. B. im CSR-Bericht des Unternehmens). Im Idealfall profitieren dadurch die Gesellschaft, das Unternehmen und die Mitarbeitenden zu gleichen Teilen. Allerdings wird der Einfluss von (multinationalen) Unternehmen auf politische und gesellschaftliche Prozesse mitunter kri- tisch diskutiert (vgl. Müller, 2017). Im Kern geht es um die Frage, inwieweit und mit welchen Mitteln resp. Formen sich ein Unternehmen beispielsweise für die Umwelt, die Einhaltung von Menschenrechten, die Mitarbeitenden und deren Gestaltung der Gesellschaft einsetzen soll. Aus Sicht des Unternehmens sprechen verschiedene Gründe dafür, das freiwillige Engagement ihrer Mit- arbeitenden aktiv zu fördern. In der Literatur diskutiert werden betriebliche Ursachen und Wirkungen auf der Organisationsebene – z. B. in Form von erhöhter Reputation, besserer finanzieller Performance, hö- herer Arbeitgeberattraktivität – sowie Veränderungen auf Mitarbeitendenebene. Dazu gehören u.a. deren Leistungsbereitschaft (Arbeitseinstellung und -verhalten), die Identifikation mit dem Unternehmen oder der Erwerb von neuen oder ergänzenden Kompetenzen (Übersicht in: Dreesbach-Bundy/Scheck, 2017). Gerade die Kompetenzentwicklung wird neben der öffentlichkeitswirksamen Vermarktung und dem damit verbundenen Effekt auf die Unternehmensreputation in der Literatur hervorgehoben: Die Persönlichkeits- entwicklung bei der Freiwilligenarbeit fördert aufgrund ihrer handlungs- und erfahrungsorientierten Cha- rakteristika insbesondere die emotionale Intelligenz und Sozialkompetenz (Bartsch, 2012) – gerade für die Unternehmenswelt eminent wichtige Eigenschaften. Auch steht die Freiwilligenarbeit (sei es in Form von Corporate Volunteering oder als Freistellung für privates Engagement) in positiver Beziehung zum in der Wirtschaftswelt propagierten «lebenslangen Lernen», da sie einmalige Lern- und Veränderungspoten- ziale sowie Chancen zur Selbsterkenntnis und persönlichen Entwicklung bietet (u. a. Bartsch & Bieder- mann, 2018). Umgekehrt führt die Freiwilligenarbeit (ähnlich der Milizarbeit) auch dazu, dass Ressourcen wie Zeit und Know-how oder Organisationskompetenz aus der Wirtschaf in die Zivilgesellschaft und gemeinnützigen Organisationen zurückfliessen (u. v. Habisch, 2011, Bartsch, 2010). Diese Win-Win-Situation wird zwar seit rund zwanzig Jahren in der Literatur thematisiert und diskutiert, die Auswirkungen auf die unternehmens- und wettbewerbsstrategischen Nutzenpotenziale hingegen sind noch nicht vollumfänglich empirisch auf- gearbeitet und unvollständig (Wildner, 2018). 8
2.2 Wirkungsmodell Das Wirkungsmodell, das sich aus der Literatur herleitet und dieser Studie als konzeptioneller Rahmen dient, stellt die Berufstätigen ins Zentrum der Betrachtung (vgl. Abbildung 3). Sie verfügen über eigene Motivationen, persönliche Ressourcen in Form von Zeit, Berufserfahrung, Kompetenzen und Fähigkeiten sowie Rechte und Pflichten, die ihr freiwilliges Engagement arbeitsrechtlich begründen und begrenzen. Der Staat als einer der wichtigen Akteure setzt Anreize und die Rahmenbedingungen, die motivierten Ar- beitnehmenden ein freiwilliges Engagement ermöglichen sollen – ganz ungeachtet, ob es sich um ein politisches-öffentliches Amt, um formelle Freiwilligenarbeit (innerhalb von Organisationen und Vereinen; z. B. Vorstand Musikverein, Trainer:in im Sportverein), ein informelles Engagement (ausserhalb von Verei- nen und Organisationen; z. B. Nachbarschaftshilfe oder Kinderbetreuung für Fremde) oder um familiäre Betreuungsaufgaben (z. B. Kinderbetreuung, Pflege der Eltern, Betreuung von Verwandten) handelt. Diese wiederum werden durch den der Freiwilligenarbeit beigemessenen Mehrwert, den lokalen Strukturen so- wie den Anforderungen an das Engagement («Funktionsdesign») geprägt. Das freiwillige Engagement der Mitarbeitenden ist zivilgesellschaftlich eingebettet und teilweise an (Non- Profit-)Organisationen geknüpft. Damit rücken weitere Faktoren ins Zentrum, die sich aus der externen Umwelt ergeben. Dazu zählen die normativen Grundlagen, die sich in gesellschaftlichen Normen und in der Wertschätzung von freiwilligem Engagement äussern, übergeordnete Trends, welche die Arbeits- und Lebenswelten formen, oder auch neue – mitunter digitale – Organisations- und Partizipationsformen in der Freiwilligenarbeit, die unter dem Begriff der sozialen Innovationen zusammengefasst werden. Nicht zuletzt und hier von besonderem Interesse ist die Rolle der Unternehmen, die das freiwillige Enga- gement ihrer Mitarbeitenden beeinflussen. Dies erfolgt zum einen über die Unternehmenskultur, die sich in der Sensibilität und Einstellung der Unternehmensführung zur Freiwilligenarbeit und im unternehmens- internen Stellenwert zeigt. Zum anderen bestimmt auch die strategische Verankerung und übergeordnete Bedeutung der Freiwilligenarbeit für das Unternehmen die Rahmenbedingungen für die Mitarbeitenden. Schliesslich sind die Möglichkeiten, das freiwillige Engagement der Mitarbeitenden zu fördern, unter an- derem auch von der Unternehmensgrösse, dem Geschäftsmodell, der Branche und den Anforderungen aus den betrieblichen Führungs- und Arbeitsprozessen abhängig. Kultur Motivation Funktionsdesign Strategie & Rolle Lokale Strukturen Unternehmen Staat/Gemeinde Freiwilliges Engagement von Berufs- Potenzial tätigen Mehrwert Ressourcen Rechte & Pflichten Soziale Innovation Normen & Zivilgesellschaft Wertschätzung (NPO) Neue Lebenswelten Abbildung 3: Wirkungsmodell des freiwilligen Engagements von Berufstätigen 9
3 Arbeitnehmende und ihr freiwilliges Engagement 3.1 Arbeitnehmende und ihr Rekrutierungspotenzial Die zeitliche Verfügbarkeit von Arbeitnehmenden ist eine zentrale Determinante in der Entscheidung, sich dauerhaft freiwillig zu engagieren. Immer mehr werden Tätigkeiten der Freiwilligenarbeit wie beispiels- weise Sitzungen in Vorständen, Vorbereitungen und Aufbauarbeiten von Anlässen, Hilfeleistungen zu- gunsten Bedürftiger etc. untertags erbracht. Zumindest wird auch von Arbeitnehmenden erwartet, dass sie sich möglichst offen und flexibel zeigen, d. h. freiwillige Einsätze auch während den Arbeits- und Rand- zeiten leisten. Dies setzt eine entsprechende Arbeitsflexibilität voraus. Gemäss Daten aus der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) sind in der Schweiz für die Jahre 2019/2020 gut 4.7 Mio. Personen als Arbeitnehmende erwerbstätig. Schätzungen zufolge unterscheidet sich der Anteil an Personen mit Arbeitsflexibilität je nach Wirtschaftsabschnitten resp. Branchen erheblich (vgl. BFS, 2020). Arbeitnehmende verfügen über flexible Arbeitszeiten, wenn sie die Möglichkeit haben, kurzfristig freie Stunden oder freie Tage zu nehmen und selbständig über Anfang und Ende ihres Arbeits- tages bestimmen können. Der Anteil reicht von 18 % im Gastgewerbe bis zu 77 % in der Finanzbranche (Kredit- und Versicherungsgewerbe). Auf dieser Grundlage lässt sich das Erwerbstätigenpotenzial für freiwilliges Engagement unter den Arbeit- nehmenden schätzen (vgl. Abbildung 4). Dieses beläuft sich auf insgesamt 2.14 Mio. Personen oder 45.3 % aller Arbeitnehmenden über 15 Jahren. Davon entfallen 1.59 Mio. auf Schweizer Erwerbstätige (33.8 %) und 0.54 Mio. auf ausländische (11.5 %). Letztere wären im Falle von politischen und öffentlichen Ämtern, die das passive Wahlrecht voraussetzen, nicht resp. nur teilweise zu berücksichtigen. Erwerbstätigenpotenzial für freiwilliges Engagement nach Wirtschaftsabschnitten 0 200 400 600 800 Land- und Forstwirtschaft Verarbeitendes Gewerbe/Energieversorgung Baugewerbe Wirtschaftsabschnitte (NOGA 2008) Handel, Reparaturgewerbe Verkehr und Lagerei CH-Erwerbstätige mit Gastgewerbe Arbeitsflexibilität Information und Kommunikation Ausländische Erwerbstätige mit Kredit- und Versicherungsgewerbe Arbeitsflexibilität Immobilien CH-Erwerbstätige ohne Freiberufliche, wiss. und techn. Dienstleistungen Arbeitsflexibilität Öffentliche Verwaltung/Körperschaften Ausländische Erwerbstätige ohne Erziehung und Unterricht Arbeitsflexibilität Gesundheits- und Sozialwesen Kunst, Unterhaltung, private Haushalte Keine Angabe/Weiss nicht Anzahl Erwerbstätige 2019 in 1'000 (Jahresdurchschnittswerte) Abbildung 4: Rekrutierungspotenzial nach Branchen Die neuesten Zahlen aus dem Freiwilligen-Monitor 2020 zeigen durchschnittlich einen Anteil von 38.9 % der Gesamtbevölkerung über 15 Jahren, die sich formell freiwillig engagieren. Unter den Angestellten 10
beträgt dieser Anteil 37.6 %. Wird dies als Referenzszenario verwendet, kann das Rekrutierungspotenzial heute zu 82.8 % ausgeschöpft werden (= 37.6 % / 45.3 %) und liegt umgerechnet bei zusätzlichen 306'000 Erwerbstätigen, die sich freiwillig engagieren könnten. Werden die SAKE-Daten 2020 als Grundlage hinzu- gezogen, steigt das Rekrutierungspotenzial erheblich (vgl. BFS, 2021). Demzufolge wird das Potenzial bei erwerbstätigen Personen ab 15 Jahren und einer Beteiligung in der formellen Freiwilligenarbeit von 17.9 % lediglich zu 39.4 % (= 17.9 % / 45.3 %) ausgeschöpft. Damit beläuft sich das unrealisierte Rekrutierungs- potenzial auf 1.29 Mio. Erwerbstätige. 3.2 Arbeitnehmende zwischen Beruf und Freiwilligenarbeit Die Teilnehmenden der Umfrage des aktuellen Freiwilligen-Monitors 2020 repräsentieren die ständige Wohnbevölkerung in der Schweiz. Allerdings ist davon auszugehen, dass «insbesondere formell freiwillig engagierte Personen eher am Monitor teilnehmen» (Lamprecht et al., 2021a: 131). In der Stichprobe von 5'002 Personen sind 2'811 oder 56 % der Befragten Arbeitnehmende, d. h. in einem Angestelltenverhältnis beschäftigt, wobei Frauen leicht übervertreten sind (Anteil von 52.1 % unter Arbeitnehmenden und 53.4 % in der Stichprobe). Die Arbeitnehmenden und ihr Verhalten interessieren in Hinblick auf die Rolle der Un- ternehmen und der Vereinbarkeit von Beruf und Freiwilligenarbeit speziell. Motive und Aufwand Formell Freiwillige engagieren sich primär, weil die Tätigkeit Spass macht. Danach bewegen vor allem die sozialen Aspekte der Freiwilligenarbeit wie z. B. mit anderen Menschen zusammenkommen, mit ihnen etwas bewegen und dabei auch helfen und etwas zurückgeben (Lamprecht et al., 2021a: 95). Für Perso- nen allerdings, die ein politisches-öffentliches Amt bekleiden, sind einige Motive deutlich wichtiger als für in der formellen Freiwilligenarbeit tätige Personen. Dies zeigt sich in folgenden Bereichen (vgl. Abbildung 5, gemessen an der Differenz der Ja-Anteile in Prozentpunkten): in der Erweiterung eigener Kenntnisse und Erfahrungen (+19 %), der persönlichen Weiterentwicklung (+17 %), in eigenen Verantwortungs- und Entscheidungsmöglichkeiten (+14 %) sowie in der Veränderung von Missständen (+13 %). Ja-Anteile Frage: Ich engagiere mich freiwillig, weil … 0% 20% 40% 60% 80% ... weil mir die Tätigkeit Spass macht. ... weil ich dadurch meine eigenen Kenntnisse und Erfahrungen erweitern kann. ... weil ich dabei mit anderen etwas bewegen kann. ... damit ich anderen Menschen helfen kann. ... weil ich mich dabei persönlich weiterentwickeln kann. ... weil ich dabei mit anderen Menschen zusammenkomme. ... damit ich mein persönliches Netzwerk pflegen kann. ... um Dinge zu verändern, die mir nicht gefallen. ... weil ich da eigene Verantwortungs- und Entscheidungsmöglichkeiten habe. ... weil ich anderen Personen etwas zurückgeben möchte. ... weil ich so meinen eigenen Interessen nachgehen kann. ... weil ich dafür Wertschätzung und Anerkennung erhalte. ... damit ich eine Abwechslung zum übrigen Alltag habe. … mir die Tätigkeit auch für die berufliche Laufbahn etwas nützt. ... weil ich dafür auch finanziell entschädigt werde. ... weil mein Umfeld dies von mir erwartet. ... damit ich eigene Probleme selbst in die Hand nehmen kann. ... weil ich dazu gedrängt oder verpflichtet wurde. Freiwilligenarbeit allg.-formell ... aus religiöser, spiritueller Überzeugung. Politisches-öffentliches Amt Nichts davon trifft zu Daten: Freiwilligen-Monitor 2020, Lamprecht et al., 2020, eigene Berechnungen Abbildung 5: Gründe für freiwilliges Engagement 11
Insgesamt sind die Motivationsstrukturen von Arbeitnehmenden und Nicht-Arbeitnehmenden sehr ähn- lich. Einzig sind für Arbeitnehmende die Pflege von persönlichen Netzwerken, gemeinsam mit anderen etwas bewegen und eigene Kompetenzen und Erfahrungen erweitern zu können als Motive wichtiger (Dif- ferenz der Ja-Anteile von 8.8 resp. 14.0 und 5.3 Prozentpunkten). Der Aufwand, den formell und auch informell Freiwillige für ihr Engagement betreiben, beläuft sich auf 2.5 Stunden pro Woche (Median; Lamprecht et al., 2021a: 2). Die Unterschiede zwischen Arbeitnehmenden und Nicht-Arbeitnehmenden sind marginal. Mandatsträger:innen mit einem politischen-öffentlichen Amt hingegen wenden deutlich mehr Zeit auf (4 Stunden pro Woche [Median]). Motivatoren und Auslöser Interessant ist zu beobachten, inwieweit Unternehmen in ihrer Funktion als Arbeitgeber auf die Mitarbei- tenden einwirken und ein freiwilliges Engagement anstossen. Im Ergebnis spielen die Arbeitgeber als Mo- tivatoren, (formelle) Freiwilligenarbeit zu leisten, eine untergeordnete Rolle (vgl. Abbildung 6). Allerdings wirkt der Arbeitgeber im Falle von politischen-öffentlichen Ämtern deutlich stärker motivierend als in der allgemeinen Freiwilligenarbeit (4.1% vs. 2.8% Ja-Anteile). Für Personen mit einem politischen-öffentlichen Amt sind dabei folgende Motivatoren am wichtigsten: Persönliches Bedürfnis, Anfrage von (leitender) Per- son aus Verein/Organisation von Freund:innen oder Bekannten und von der Gemeinde. Mit Ausnahme der Gemeinde sind die anderen Motivatoren auch für Personen in der allgemeinen Freiwilligenarbeit relevant. Frage: Woher kam für Sie der Anstoss, diese Tätigkeit Ja-Anteile zu übernehmen? 0% 10% 20% 30% 40% 50% es war mir ein Bedürfnis, mich zu engagieren Anfrage von (leitender) Person aus Verein/Organisation von Freund/innen oder Bekannten von der Gemeinde von Mitgliedern Ihrer Familie von eigenen Erlebnissen oder Erfahrungen kein besonderer Anstoss, bin so hineingewachsen habe mehr Zeit zur Verfügung (Pensionierung, weniger Erwerbstätigkeit etc.) von einer Informations- oder Kontaktstelle von meinem Arbeitgeber von Hinweisen aus der Presse, dem Radio oder dem Fernsehen eigene Kinder sind/waren in Verein/Organisation aktiv anderes von Hinweisen aus dem Internet oder in sozialen Netzwerken (Facebook etc.) Freiwilligenarbeit allg.-formell von einer speziellen Internet-Plattform für Freiwilligentätigkeit Politisches-öffentliches Amt Daten: Freiwilligen-Monitor 2020, Lamprecht et al., 2020, eigene Berechnungen Abbildung 6: Motivatoren und Auslöser Werden nur die angestellten Erwerbstätigen betrachtet, zeigen sich bezüglich der Arbeitgeber als Motiva- toren nur geringfügige Unterschiede zwischen den verschiedenen Untergruppen (Vollzeit/Teilzeit, priva- ter/öffentlicher Sektor, Geschlecht; vgl. Detailanalyse in Lamprecht et al., 2021a: 2). Den grössten Unter- schied gibt es zwischen Männern mit Teilzeitarbeit und Männern im öffentlichen Sektor mit einem Anteil von 1 % resp. 7 %, die von ihrem Arbeitgeber zur (formellen) Freiwilligenarbeit ermuntert werden. Insge- samt lassen sich Arbeitnehmende besonders häufig von (leitenden) Personen aus Vereinen/Organisatio- nen motivieren. Gleichzeitig sind für Arbeitnehmende mehr Zeitreserven als auslösende Faktoren unbe- deutend und das Bedürfnis, sich zu engagieren bei Arbeitnehmenden weniger wichtig (im Vergleich zu Nicht-Arbeitnehmenden: 38.2 % vs. 33.1 %). 12
Vereinbarkeit Die zeitliche Verfügbarkeit begrenzt die Möglichkeiten, sich freiwillig zu engagieren erheblich (vgl. Abbil- dung 7). Dies zeigt sich in zweifacher Hinsicht: Zum einen gibt es Personen, die keine formelle Freiwilli- genarbeit mehr leisten (N=1’539) und dafür berufliche Gründe angeben, warum sie auf ein freiwilliges En- gagement verzichten. Zum anderen hält die zu hohe zeitliche Belastung viele davon ab, sich überhaupt formell freiwillig zu engagieren. Aufgrund der zu geringen Fallzahlen lässt sich nicht belastbar nachwei- sen, ob dies auf Mandatsträger:innen mit einem politischen-öffentlichen Amt übermässig zutrifft oder nicht. Frage: Aus welchen Gründen haben Sie aufgehört? Frage: Aus welchen Gründen möchten Sie sich nicht freiwillig oder ehrenamtlich in einem Verein oder einer Ja-Anteile Organisation engagieren? 0% 25% 50% Ja-Anteile berufliche Gründe 0% 20% 40% familiäre Gründe zeitliche Belastung ist zu hoch, keine Zeit Umzug an anderen Ort möchte mich nicht für regelmässiges Engagement verpflichten Altergründe, hatte Altersgrenze erreicht kein Interesse, andere Interessen, zeitlicher Aufwand war zu gross andere Verpflichtungen Schule / Ausbildung / Weiterbildung bin zu alt kein Interesse mehr, andere Interessen andere Gründe gesundheitliche Gründe mangelnde Gesundheit, zu wenig Tätigkeit war von vornherein zeitlich Energie begrenzt andere Gründe zu wenig Anerkennung für die Arbeit Daten: Freiwilligen-Monitor 2020, Lamprecht et al., 2020, eigene Berechnungen Abbildung 7: Verzicht auf freiwilliges Engagement Unterstützung durch Arbeitgeber Arbeitnehmende profitieren von verschiedenen Unterstützungsangeboten ihrer Arbeitgeber (vgl. Abbil- dung 8). Gemäss Detailanalyse von Lamprecht et al. (2021a) werden von allen angestellten erwerbstäti- gen Personen, die Freiwilligenarbeit leisten, etwas mehr als ein Drittel durch die Arbeitgeber unterstützt (37 %). Darunter fallen besonders oft Personen, die sich in einem politisch-öffentlichen Amt engagieren (55 %), und deutlich weniger Mitarbeitende mit formeller und informeller Freiwilligenarbeit (40 % und 31 %). Auch gibt es zwischen verschiedenen Arten des freiwilligen Engagements Unterschiede, sofern die Arbeit- geber dieses fördern: Personen mit einem politischen-öffentlichen Amt erhalten eher Unterstützung in Form von flexiblen Arbeitszeiten und Freistellung für die Tätigkeit. Gemessen an der Differenz der Ja- Anteile liegen diese im Vergleich zu allgemeiner formeller Freiwilligenarbeit um +9.2 resp. 21.3 Prozent- punkte höher. Zudem fällt auf, dass die «Anerkennung» durch den Arbeitgeber insgesamt tief ist und Gruppe «Politisches-öffentliches Amt» deutlich abfällt. 13
Frage: Unterstützt Sie Ihr Arbeitgeber bei Frage: Wie unterstützt Sie Ihr Arbeitgeber Ihrem freiwilligen Engagement? genau? 0% 20% 40% 60% 80% 0% 20% 40% 60% flexible Arbeitszeiten Freistellung für meine Tätigkeit Ja Nutzungsmöglichkeit der Infrastruktur (z.B. Räume, Telefon, Kopierer) anderes Anerkennung des Engagements (z.B. durch Lob, Beförderung etc.) Freiwilligenarbeit allg.-formell Politisches-öffentliches Amt keine (formelle) Freiwilligenarbeit Daten: Freiwilligen-Monitor 2020, Lamprecht et al., 2020, eigene Berechnungen Abbildung 8: Unterstützung durch Arbeitgeber Optimierungspotenzial Aus einer breiten Palette von möglichen Massnahmen zur Förderung und Unterstützung des freiwilligen Engagements wird die Anerkennung und Unterstützung durch die Arbeitgeber von einem guten Viertel (26 %) aller Erwerbstätigen, die sich formell freiwillig engagieren, als wichtig erachtet. Vollzeiterwerbstä- tige Frauen und teilzeiterwerbstätige Männer, sowie Arbeitende im öffentlichen Sektor erachten diese Massnahmen etwas häufiger als wichtig (Lamprecht et al. 2021a: 3). Personen mit einem politischen-öffentlichen Amt sehen insgesamt mehr Verbesserungspotenzial als Per- sonen in der allgemeinen Freiwilligenarbeit. Gemessen an den Differenzen der Ja-Anteile (in Prozentpunk- ten) betrifft dies – neben den steuerlichen Abzügen von Spesen, Steuerbefreiung von Entschädigungen (+18 %) und der Anerkennung ehrenamtlicher Tätigkeit als berufliches Praktikum oder als Weiterbildung (+10 %) – auch die Anerkennung und Unterstützung durch den Arbeitgeber (+8 %; vgl. Abbildung 9). 14
Frage: Da wären Verbesserungen möglich Ja-Anteile 0% 20% 40% 60% steuerliche Abzüge von Spesen, Steuerbefreiung von Entschädigungen Anerkennung ehrenamtlicher Tätigkeit als berufliches Praktikum oder als Weiterbildung Anerkennung und Unterstützung durch den Arbeitgeber Bereitstellung von Räumen, Infrastrukturen und Geräten (Gemeinschaftsräume, Sportanlagen etc.) durch die öffentliche Hand. öffentliche Anerkennung durch Berichte in der Presse und den Medien bessere Information und Beratung über Gelegenheiten zu ehrenamtlichen und freiwilligen Tätigkeiten öffentliche Anerkennung durch Ehrungen, Würdigungen etc. bei keinem dieser Punkte Freiwilligenarbeit allg.-formell Politisches-öffentliches Amt Daten: Freiwilligen-Monitor 2020, Lamprecht et al., 2020, eigene Berechnungen Abbildung 9: Verbesserungspotenziale 3.3 Synthese − Motive und unrealisiertes Rekrutierungspotenzial: Freiwillige engagieren sich aus ähnlichen Motiven und wollen in erster Linie etwas bewegen – ungeachtet dessen, ob sie sich in Vereinen im Allgemeinen oder in politischen Milizämtern im Speziellen engagieren. Bei den Motiven dominieren intrinsische Faktoren – die Engagierten sind von sich aus an einem gesellschaftlichen Engagement interessiert. Trotzdem können mit zusätzlichen Anreizen – auch von Unternehmen – weitere Personen für die Freiwilligenarbeit gewonnen werden. Das unrealisierte Rekrutierungspotenzial beläuft sich je nach Berechnung auf 1.29 Mio. Erwerbstätige. − Unterschiedlicher Aufwand: Der Aufwand für ein freiwilliges Engagement unterscheidet sich im Ver- gleich zwischen Arbeitnehmenden und Nicht-Arbeitnehmenden oder zwischen informeller und for- meller Freiwilligenarbeit nur marginal. Ausnahmen betreffen die politischen-öffentlichen Ämter. Deren Aufwand ist im Vergleich zu den übrigen freiwilligen Tätigkeiten wesentlich höher. Hier zeigt sich, dass die Formalisierung und Professionalisierung des politischen Milizsystems in zeitlicher Hinsicht ihren Tribut fordern. − Zeitliche Belastung: Die zeitliche Belastung, unter anderem aufgrund des Berufs, ist der Hauptgrund, warum Personen ein Engagement beendet oder gar nicht erst angetreten haben. Daher ist die Ver- besserung der Vereinbarkeit von Beruf und Freiwilligenarbeit zentral, um das freiwillige Engagement in der Gesellschaft insgesamt zu erhöhen. − Unterschiedliche Förderung: In der Praxis der Freiwilligen unterstützen ihre Arbeitgeber das freiwillige Engagement der Mitarbeitenden mit unterschiedlichen Instrumenten und in verschiedenen Intensi- tätsgraden. Auffallend ist der Unterschied in der Förderung von allgemein-formeller/nicht-formeller Freiwilligentätigkeit und einem politisch öffentlichen Amt. Die politisch Engagierten erhalten vom Ar- beitgeber deutlich öfter eine Unterstützung in Form flexiblen Arbeitszeiten und Freistellung für die Tätigkeit. Erstaunlich ist die sehr tiefe Anerkennung des Engagements durch den Arbeitgeber, die in starkem Kontrast zu den in der Literatur diskutierten CSR-Massnahmen stehen. 15
− Verbesserungspotenzial: Aus Sicht der Freiwilligen besteht Potenzial, dass sich die Unternehmen als Arbeitgebende systematischer und spezifischer in der Förderung der Freiwilligenarbeit engagieren. Sowohl die Wertschätzung durch die Arbeitgebenden als auch die Anerkennung der Freiwilligenarbeit als Weiterbildung oder Praktikum sind mögliche Ansätze. Gerade die innerbetriebliche Anerkennung und Wertschätzung von Freiwilligen wäre eine kostenneutrale und effektive Methode, die Motivation zusätzlich zu fördern. 4 Unternehmen und die Förderung der Freiwilligenarbeit 4.1 Unternehmen: (K)ein Engagement für die Freiwilligenarbeit? Um die Sicht der Arbeitgeber zur Förderung der Freiwilligenarbeit abzubilden, werden die Daten aus der Unternehmensbefragung zum Thema «Vereinbarkeit politisches Engagement und Beruf» herangezogen (vgl. Kapitel 1.3 und Derungs et al., 2021). In den Daten sind N=509 Unternehmen berücksichtigt. Davon beschäftigen 56 % weniger als 50 Mitarbeitende, 33 % 50 bis 249 Mitarbeitende und 11 % mehr als 250 Mitarbeitende. Zudem sind 21 % der Unternehmen im Sektor 02 (NOGA 05-43) und 79 % im Sektor 03 (NOGA 45-96) tätig. In Bezug auf die Massnahmen für verschiedene Unterstützungsbereiche der Arbeitgeber lassen sich Un- terschiede feststellen (vgl. Abbildung 10). Mehr als 60 % der Unternehmen setzen konkrete Massnahmen für ein Engagement der Mitarbeitenden in der formellen Freiwilligenarbeit um (Ja-Anteil von 62 %). Die Ja- Anteile für familiäre Betreuungsaufgaben und für ein Engagement in der informellen Freiwilligenarbeit hingegen liegen tiefer (Ja-Anteil von 54 % resp. 33 %). Für die informelle Freiwilligenarbeit bedeutet dies, dass knapp zwei Drittel der Arbeitgeber keine konkreten Massnahmen umsetzen. Frage: Unterstützen Sie Ihre Mitarbeitenden bei folgenden Engagements mit konkreten Massnahmen? 0% 20% 40% 60% 80% 100% Engagement in der formellen Freiwilligenarbeit 62% 38% Engagement in der informellen Freiwilligenarbeit 33% 67% familiäre Betreuungsaufgaben 54% 46% Ja Nein Abbildung 10: Unterstützungsbereiche in der Freiwilligenarbeit von Mitarbeitenden Zur Unterstützung von Mitarbeitenden mit formellem Engagement wird der Flexibilität eine grosse Wich- tigkeit beigemessen (vgl. Abbildung 11). Die häufigsten Massnahmen sind die Möglichkeit flexibler Ar- beitszeiten (Ja-Anteil von 83 %) und die Nutzung der Infrastruktur des Arbeitgebers (Ja-Anteil von 66 %). 16
Ebenfalls weit verbreitet scheinen die Ermutigung und die Ermöglichung der Teilzeitarbeit zu sein (Ja- Anteil von 50 % resp. 49 %). Dies ist bemerkenswert, weil Unternehmen deutlich weniger ihre Mitarbeiten- den dazu anregen, ein politisches oder öffentliches Mandat anzustreben (vgl. Derungs et al., 2021). Des Weiteren passen lediglich 5 % der Arbeitgeber die Leistungsziele an und 4 % der Arbeitgeber setzen andere Massnahmen um. Frage: Wie werden Mitarbeitende mit Engagement in der formellen Freiwilligenarbeit in Ihrem Unternehmen unterstützt? 0% 20% 40% 60% 80% 100% flexible Arbeitszeiten möglich Nutzung der Infrastruktur des Arbeitgebers Ermutigung zur formellen Freiwilligentätigkeit Teilzeitarbeit möglich (teilweise) bezahlter Erlass der Arbeitszeit für die formelle Freiwilligentätigkeit Netzwerk-Event für formell-freiwillig Engagierte innerhalb des Unternehmens angepasste Leistungsziele aufgrund der formellen Freiwilligentätigkeit andere Massnahmen Ja Nein Abbildung 11: Unterstützungsformen in der formellen Freiwilligenarbeit von Mitarbeitenden In Abbildung 12 sind die Unterstützungsformen der Arbeitgeber für eine formelle und informelle Freiwilli- genarbeit ihrer Mitarbeitenden nach Unternehmensgrösse dargestellt. Es zeigt sich, dass die Werte der Unterstützungsformen für die formelle und informelle Freiwilligenarbeit ähnlich sind. Allerdings liegt der Ja-Anteil für die Ermöglichung von flexiblen Arbeitszeiten und Teilzeitarbeit bei Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden am höchsten (93.1 % resp. 69.0 % für formelle Freiwilligenarbeit und 93.3 % resp. 73.3 % für informelle Freiwilligenarbeit). Für die Nutzung der Infrastruktur des Arbeitgebers ist der Ja-An- teil wiederum bei den Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitenden sowie mit 50 bis 249 Mitarbeiten- den grösser. Bei der formellen wie auch bei der informellen Freiwilligenarbeit setzen die wenigsten Unter- nehmen angepasste Leistungsziele als Massnahme ein. 17
Frage: Wie werden MA mit Engagement in der formellen Frage: Wie werden MA mit Engagement in der informellen Freiwilligenarbeit in Ihrem Unternehmen unterstützt? Freiwilligenarbeit in Ihrem Unternehmen unterstützt? Ja-Anteile Ja-Anteile 0% 25% 50% 75% 100% 0% 25% 50% 75% 100% flexible Arbeitszeiten möglich flexible Arbeitszeiten möglich Teilzeitarbeit möglich Teilzeitarbeit möglich Ermutigung zur formellen Freiwilligentätigkeit Ermutigung zur informellen Freiwilligentätigkeit Nutzung der Infrastruktur des Arbeitgebers Nutzung der Infrastruktur des Arbeitgebers teilweise) bezahlter Erlass der Arbeitszeit für die formelle Freiwilligentätigkeit Netzwerk-Event für informell-freiwillig Netzwerk-Event für formell-freiwillig Engagierte innerhalb des Unternehmens Engagierte innerhalb des Unternehmens (teilweise) bezahlter Erlass der Arbeitszeit für die informelle Freiwilligentätigkeit andere Massnahmen angepasste Leistungsziele aufgrund der angepasste Leistungsziele aufgrund der informellen Freiwilligentätigkeit formellen Freiwilligentätigkeit >250 MA 50 bis 249 MA andere Massnahmen keine Angabe
Regularien & Unternehmens- Compliance kultur Commitment & Kommunikation Strategie & Rolle (extern) Betriebliche Förderung der Freiwilligen- arbeit Wertschätzung Attraktive (intern) Rahmenbedingungen Abbildung 13: Ausrichtung in der Förderung der Freiwilligenarbeit 4.3 Synthese − Förderung vielfältig: Neben der Förderung des politischen Engagements unterstützen zahlreiche Un- ternehmen auch Mitarbeitende mit familiären Betreuungsaufgaben (53%) und mit Engagement in der informellen und formellen Freiwilligenarbeit (33% resp. 58%). Es zeigen sich jedoch starke Unter- schiede, vor allem zwischen der informellen und den anderen Formen der Freiwilligenarbeit. Grund hierfür kann die wenig formalisierte Struktur der informellen Freiwilligenarbeit sein oder aber, dass diese aus Sicht der Unternehmen vornehmlich im Privaten und nicht während der Arbeitszeit zu erfol- gen hat. − Förderung sehr allgemein: Allerdings erfolgt diese Unterstützung wenig spezifisch, sondern allge- mein mit neuen Arbeitsmodellen und personalpolitischen Instrumenten. Dazu zählen u.a. flexible Ar- beitszeiten (86%) oder die Nutzung der Infrastruktur des Arbeitgebers zu ermöglichen (68%) und Mit- arbeitende zu einem freiwilligen Engagement zu ermuntern (48%). Das sind niederschwellige Instru- mente, die nicht nur den Freiwilligen, sondern allen Angestellten offen stehen. Massnahmen, die mit zusätzlichen Ressourcen und damit auch mit grösseren finanziellen Ausgaben verbunden wären (be- zahlter Erlass von Arbeitszeit, Netzwerk-Event und angepasste Leistungsziele), sind unter den Unter- nehmen weniger verbreitet. − Geringe Unterschiede: Die Fördermassnahmen der Unternehmen unterscheiden hinsichtlich der all- gemein-formellen oder informellen Freiwilligenarbeit kaum. Hingegen sind Differenzen bezüglich der Unternehmensgrösse zu erkennen: Die Grossunternehmen ermöglichen flexibles Arbeiten eher als die mittleren und kleinen Unternehmen. Dies ist wahrscheinlich den strukturellen Eigenschaften und ver- fügbaren Ressourcen dieser Unternehmen zuzuschreiben. − Zukünftiges Handlungsfeld: Eine positive Grundhaltung gegenüber der Freiwilligenarbeit und eine hohe Wertschätzung bieten Unternehmen zukünftig vermehrt die Möglichkeit, sich als attraktiven Ar- beitgebenden zu positionieren. Dies dürfte in Hinblick auf den drohenden Fach- und Führungskräfte- mangel wichtiger werden, im Kampf um die richtigen Talente und Leistungsträger:innen mitunter ent- scheidend. Dafür sprichen die wiedergewonnene Bedeutung sinnhafter Tätigkeiten und das Bedürfnis der Arbeitnehmenden nach multiplen Formen des beruflichen und gesellschaftlichen Engagements. 19
5 Nachwort: Freiwilligenarbeit 2040 – ein persönlicher Ausblick von Lukas Niederberger, Geschäftsleiter Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft Die GDI-Studie «Die neuen Freiwilligen - Die Zukunft zivilgesellschaftlicher Partizipation», die Jakub Sa- mochowiec, Leonie Thalmann und Andreas Müller im Jahr 2018 im Auftrag des Migros Kulturprozents durchführten und publizierten, nennt mehrere Aspekte der Freiwilligenarbeit, die in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden: zeitlich flexible und limitierte Einsätze, Online-Tätigkeiten sowie partizipativere und wir- kungsorientiertere Engagements. Diese Tendenzen im freiwilligen, unbezahlten Engagement sind in ähnlicher Weise auch in der Erwerbsar- beit und in der privaten Angehörigenbetreuung feststellbar. Daneben beeinflussen seit vielen Jahren so- zio-demografische Entwicklungen die Freiwilligenarbeit und werden dies in Zukunft noch verstärkt tun: − Die Geschlechter gleichen sich in der Aufteilung unbezahlter Arbeit an. Zwischen 1997 und 2020 stieg der männliche Anteil insgesamt von 33.2 % auf 39.5 %. In der Hausarbeit stieg der von Männern ge- leistete Anteil von 30.9 % auf 38.8 %. Bei der Angehörigen-Betreuung stieg der Anteil lediglich von 38.3 % auf 38.9 %. Bei der formellen Freiwilligenarbeit stieg der männliche Anteil von 54.6 % auf 61.4 %. Und in der informellen Freiwilligenarbeit erhöhte er sich von 25.4 % auf 38.2 %. Es ist anzunehmen, dass der männliche Anteil an unbezahlter Arbeit auf Grund von zunehmender Teilzeit-Erwerbsarbeit noch stärker steigen wird, während Frauen im Freiwilligenbereich künftig prozentual mehr gewählte Ehrenämter besetzen werden. − Die Abwanderung vom Dorf in Städte sowie in periphere Agglomerationen wird weiter zunehmen. Dies hat zur Folge, dass das Vereinswesen in ländlichen Gegenden weiter schrumpfen wird, während sich in den Städten und peripheren Wohngebieten neue Möglichkeiten für spontane nachbarschaftliche Hilfeleistungen ergeben werden. − Die Mobilität wird trotz oder gerade wegen zunehmender Erwerbsarbeit im Home-Office zunehmen. Die Trennung von Wohn-, Arbeits- und Freizeitort erschweren die Schaffung eines eindeutigen Le- bensmittelpunkts, an dem man sich freiwillig engagiert. − Freiwillige Engagements nehmen an Komplexität zu. Je mehr die Komplexität und die Professionalität in freiwilligen Engagements zunehmen und je stärker sich die ehrenamtliche Tätigkeit der Erwerbsar- beit angleicht, umso mehr stellt sich die Frage nach finanziellen Vergütungen. − Staatliche und verbandsinterne Regulierungen und die damit verbundene Bürokratie werden weiterhin zunehmen. Diese Tendenz wird Freiwillige immer stärker demotivieren und Noch-nicht-Freiwillige von einem unbezahlten Engagement abhalten. − Die ökonomische Perspektive wird die verschiedenen Lebensbereiche immer stärker prägen. Die Handlungslogik und die Maximen der Wirtschaft mit Effektivität, Effizienz und Return on Investment bestimmen immer mehr die Strategien und Strukturen, Ziele und Aufgaben von Vereinen, Hilfswerken und Stiftungen. Immer öfter wird auch nach dem ökonomischen Nutzen der Freiwilligenarbeit gefragt, obschon finanzielle Vergütungen bei den Freiwilligen einen irrelevanten und oft sogar kontraproduk- tiven Motivationsfaktor darstellen. Das Bundesamt für Statistik gibt für die Schweiz den jährlichen Wert von rund 40 Milliarden Franken an für die 700 Millionen Stunden Freiwilligenarbeit. − Obwohl oder gerade weil die finanzielle Vergütung für die Freiwilligen einen marginalen Motivations- faktor darstellt, ist ihnen umso wichtiger, dass sie mit ihren Wünschen, Interessen und Kompetenzen von den Freiwilligenorganisationen und den dort Festangestellten ernst genommen werden. 20
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