VoloWork Studie Unternehmen und ihr Engagement für die Freiwilligenarbeit in der Schweiz - Fachhochschule Graubünden

Die Seite wird erstellt Sören Jost
 
WEITER LESEN
VoloWork Studie Unternehmen und ihr Engagement für die Freiwilligenarbeit in der Schweiz - Fachhochschule Graubünden
Studie

                       VoloWork
Unternehmen und ihr Engagement für die Freiwilligenarbeit in der Schweiz

                Curdin Derungs, Andreas Müller und Dario Wellinger
                          Fachhochschule Graubünden
VoloWork Studie Unternehmen und ihr Engagement für die Freiwilligenarbeit in der Schweiz - Fachhochschule Graubünden
Management Summary
    Die Freiwilligenarbeit ist für das Zusammenleben prägend und für das Gemeinwesen in der Schweiz sys-
    temrelevant. Ob in gemeinnützigen Organisationen, öffentlichen Ämtern, Kultur- und Sportvereinen oder
    bei der Nachbarschaftshilfe und Altenbetreuung – ohne sie würde das Fundament der Schweizer Gesell-
    schaft arg ins Bröckeln geraten. In erster Linie wird die Freiwilligenarbeit als etwas Privates betrachtet,
    das losgelöst von der beruflichen Tätigkeit stattzufinden hat. Die Erkenntnisse in der vorliegenden Studie
    zeigen jedoch, dass für viele die Vereinbarkeit von Freiwilligenarbeit mit der beruflichen Tätigkeit eine Her-
    ausforderung darstellt. Die Forschung und Praxis hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren vornehm-
    lich auf das Corporate Volunteering konzentriert – also freiwillige Einsätze in Namen der Unternehmung.
    Immer mehr wird deutlich, dass auch die individuelle Förderung der Arbeitnehmenden eine zentrale Rolle
    spielt, wenn sich Arbeitnehmende wieder vermehrt freiwillig in der Gesellschaft engagieren sollen.

    Die vorliegende wissenschaftliche Studie «VoloWork» untersucht die heutigen beruflichen Rahmenbedin-
    gungen für Mitarbeitende mit freiwilligem Engagement. Sie stützt sich auf Daten aus dem Freiwilligenmo-
    nitor 2020 mit über 5’000 befragten Personen und einer repräsentativen Unternehmensbefragung von
    über 500 Unternehmen des Projektes «PoliWork». Daraus lassen sich zentrale Erkenntnisse zum Zusam-
    menspiel von Wirtschaft und Freiwilligenarbeit in der Schweiz ableiten und wie folgt zusammenfassen:

     Viele Arbeitnehmende engagieren sich, aber Potenzial ungenutzt: Bereits heute engagieren sich gut 2
    Mio. Erwerbstätige ab 15 Jahren freiwillig. Rund 18% aller Erwerbstätigen sind in der formellen Freiwilli-
    genarbeit tätig. Das Rekrutierungspotenzial i.e.S. wird damit zu 39.4 % ausgeschöpft. D.h. das unrealisierte
    Rekrutierungspotenzial beläuft sich auf 1.29 Mio. Erwerbstätige. Entsprechend ist unter den Arbeitneh-
    menden der Schweiz ein erhebliches Potenzial für mehr Freiwilligenarbeit festzustellen.
     Vereinbarkeit von Beruf und Freiwilligenarbeit fordert Arbeitnehmende heraus: Gemäss den befragten
    Arbeitnehmenden geben ihre Arbeitgebenden selten den entscheidenden Anstoss, freiwillige Tätigkeiten
    zu übernehmen. Gleichzeitig sind berufliche Gründe die häufigste Ursache für einen Rückzug aus der Frei-
    willigenarbeit. Und die zeitliche Belastung nennen die Arbeitnehmenden am meisten als Grund, wieso sie
    von einem freiwilligen Engagement absehen.
     Unternehmen unterstützen Freiwilligenarbeit häufig und vielfältig, aber wenig spezifisch: Ein Grossteil
    der Unternehmen unterstützt die Freiwilligenarbeit ihrer Mitarbeitenden. Rund 62 % der Unternehmen ha-
    ben konkrete Massnahmen für die Förderung der formellen und 33 % für die informelle Freiwilligenarbeit
    umgesetzt. 54% unterstützen zudem Personen mit familiären Betreuungsaufgaben. Am meisten ermög-
    lichen die Unternehmen in der Schweiz flexible Arbeitszeiten. Gleichzeitig sind Massnahmen, die mit hö-
    heren Kosten verbunden wären (z.B. bezahlte Absenzen, Netzwerk-Events und angepasste Leistungsziele
    für Freiwillige), wenig verbreitet. Insgesamt bleiben die Massnahmen allgemein, wenig auf das freiwillige
    Engagement ausgerichtet und aus Sicht der Arbeitnehmenden teilweise lückenhaft.
     Neues Handlungsfeld im Kampf um (junge) Talente, Wertschätzung erhöhen: Sinnstiftende Arbeit,
    vielfältige berufliche und gesellschaftliche Engagements sind im Trend. Daraus erheben sich neue Mög-
    lichkeiten für Unternehmen, sich im Kampf um (junge) Talente und andere Leistungsträger:innen zu posi-
    tionieren. Dies setzt voraus, dass Unternehmen die Freiwilligenarbeit wertschätzen. Hier besteht Verbes-
    serungspotenzial: Weniger als 50% der Unternehmen ermuntern ihre Mitarbeitenden zur Freiwilligenarbeit,
    während über 20% der Freiwilligen der Ansicht ist, dass bezüglich Wertschätzung ihres Engagements in
    ihrem Unternehmen Verbesserungen möglich wären. Gerade die Wertschätzung und Anerkennung der
    Freiwilligenarbeit wären kostengünstig, zugleich sehr motivierend und daher wirkungsvoll.

2
VoloWork Studie Unternehmen und ihr Engagement für die Freiwilligenarbeit in der Schweiz - Fachhochschule Graubünden
Inhalt

1       Einleitung ................................................................................................................................................ 5
1.1 Ausgangslage .......................................................................................................................................................5
1.2 Ziel und Fokus.......................................................................................................................................................6
1.3 Forschungsdesign ...............................................................................................................................................6

2       Freiwilligenarbeit zwischen Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Staat ................................................... 8
2.1 Grundlagen: Corporate Citizenship und Corporate Volunteering ................................................................8
2.2 Wirkungsmodell....................................................................................................................................................9

3       Arbeitnehmende und ihr freiwilliges Engagement ............................................................................. 10
3.1 Arbeitnehmende und ihr Rekrutierungspotenzial........................................................................................ 10
3.2 Arbeitnehmende zwischen Beruf und Freiwilligenarbeit ........................................................................... 11
3.3 Synthese ............................................................................................................................................................. 15

4       Unternehmen und die Förderung der Freiwilligenarbeit .................................................................... 16
4.1 Unternehmen: (K)ein Engagement für die Freiwilligenarbeit? .................................................................. 16
4.2 Gestaltungsbereiche in der Förderung der Freiwilligenarbeit ................................................................... 18
4.3 Synthese ............................................................................................................................................................. 19

5       Nachwort: Freiwilligenarbeit 2040 – ein persönlicher Ausblick ....................................................... 20

Literaturverzeichnis ................................................................................................................................................... 23

Abbildungsverzeichnis .............................................................................................................................................. 24

Autoren......................................................................................................................................................................... 25

Zentrum für Verwaltungsmanagement ................................................................................................................. 25

                                                                                                                                                                                      3
VoloWork Studie Unternehmen und ihr Engagement für die Freiwilligenarbeit in der Schweiz - Fachhochschule Graubünden
Impressum
    Autoren: Curdin Derungs, Andreas Müller und Dario Wellinger
    © FHGR Verlag, Chur 2021, ISBN 978-3-907247-10-5

    Wir bedanken uns bei den beteiligten Projektpartner:innen herzlich für die Finanzierung sowie die aktive
    und bereichernde Mitarbeit an diesem Projekt.

4
1        Einleitung

1.1        Ausgangslage

Die Freiwilligenarbeit hat in der Schweiz eine lange Tradition und ist fest verankert. Sie zeichnet sich durch
selbstorganisiertes, unbezahltes Engagement in der Zivilgesellschaft aus. Aber auch der Staat, der sich in
der Schweiz durch sein Milizsystem auszeichnet, profitiert von zahllosen Freiwilligen. Besonders «Vereine,
gemeinnützige Organisationen und informelle Netzwerke übernehmen wichtige gesellschaftliche Aufga-
ben und Verantwortungen. Die Zusammenarbeit der Bürger hat auch viel positive Nebeneffekte» (Sa-
mochowiec et al., 2018). Dazu zählen u.a. ein höheres Vertrauen in den Staat und in die Wirtschaft, kos-
tengünstigere öffentliche Leistungen in Gemeinden, ein attraktiveres Wohn- und Arbeitsumfeld, ein guter
Nährboden für Innovationen und sozial tragfähige Strukturen oder eine höhere gesellschaftliche Teilhabe
und politische Partizipation (Seidel et al., 2010).

Trotz ihrer vielfältig vorteilhaften Wirkung ist die traditionelle Freiwilligenarbeit unter Druck. Die Zahl der
Freiwilligen bleibt zwar seit mehreren Jahren erstaunlich stabil (BFS, 2021; Lamprecht et al., 2021: 9).
Gemäss Freiwilligen-Monitor 2020 engagierten sich im Jahr 2019 gut 39 % der über 15-Jährigen formell
in einem Verein oder einer Organisation, fast ebenso viele waren im engeren Sinne informell tätig (36 %),
d.h. sie engagierten sich für nichtverwandte Personen ausserhalb des eigenen Haushalts. Allerdings ver-
ändern sich die Rahmenbedingungen und Anforderungen an die Freiwilligenarbeit: In Zukunft stehen per-
sönliche Gestaltungsmöglichkeiten stärker im Vordergrund als Pflichten. Freiwillige wollen mehr als nur
Fronarbeit ausführen, sondern aktiv mitbestimmen und vor allem in Projektarbeit mit zeitlich vorab defi-
nierten Zeiträumen mitwirken (vgl. Samochowiec et al., 2018). Der Spagat zwischen Individualismus und
Gemeinschaftserlebnis fordert die Akteure der Freiwilligenarbeit zunehmend heraus.

Neuere Untersuchungen lassen vermuten, dass die Rolle der Unternehmen in der Förderung der Freiwilli-
genarbeit bislang unterschätzt wurde. Sie verdeutlichen einen direkten Zusammenhang zwischen freiwil-
ligem Engagement und den Bedingungen am Arbeitsplatz. Dabei hängt die Beteiligung wesentlich mit
Parametern der Erwerbsarbeit zusammen (vgl. Aregger, 2012; Freitag et. al., 2016; Lamprecht et al.,
2021a).

                                                Anteil der Freiwilligen nach Berufsposition, in %
                                                0          10          20          30          40           50     60           70   80

                  Angestellte, Arbeiter/innen

                    Unteres/mittleres Kader

      Oberes Kader, Geschäftsinhaber/innnen

               Selbständig, ohne Angestellte

                     Formelle Freiwilligenarbeit          Informelle Freiwilligenarbeit          Freiwilligenarbeit insgesamt

                                                Daten: Freiwilligen-Monitor 2020, Lamprecht et al., 2021a

Abbildung 1: Erwerbsarbeit und freiwilliges Engagement

                                                                                                                                          5
Zusammengefasst engagieren sich Teilzeiterwerbstätige, Pensionierte sowie Hausfrauen/-männer häu-
    figer freiwillig als Vollzeiterwerbstätige. Gleiches gilt für selbständig erwerbstätige Personen im Vergleich
    zu Angestellten (vgl. Abbildung 1). Dabei zeigt sich: Personen mit einem höheren Berufsstatus sowie Per-
    sonen im öffentlichen Sektor bringen sich generell stärker in der Freiwilligenarbeit ein als Mitarbeitende
    ohne berufliche Führungsfunktion oder Arbeitnehmende in der Privatwirtschaft. Dieses Muster zeigt sich
    für Frauen und Männer gleichermassen.

    1.2     Ziel und Fokus

    Insgesamt kommt der Berufstätigkeit für das freiwillige Engagement von Arbeitnehmenden eine zentrale
    Rolle zu. Damit rücken die allgemeinen Voraussetzungen im Unternehmen und spezifisch die Vereinbar-
    keit von Beruf mit der Freiwilligenarbeit in den Fokus. Das Forschungsprojekt «VoloWork» setzt hier an
    und untersucht den Einfluss der Unternehmen auf ihre Mitarbeitenden als mögliche Freiwillige.

    Mitarbeitende als Volunteers (sprich: Freiwillige) sind aus Sicht des Unternehmens eine besondere Res-
    source. Zum einen bringen sie Erfahrungen und Wissen aus ihrem freiwilligen Engagement zugunsten
    ihres Arbeitgebers ein. Zum anderen benötigen sie dafür eine gewisse Flexibilität und Freiräume in der
    Ausgestaltung ihrer Erwerbsarbeit. Die vorliegende Studie untersucht die Anforderungen und Förderung
    der Freiwilligenarbeit aus Sicht der Arbeitnehmenden und stellt diese den aktuellen Rahmenbedingungen
    aus Sicht der Unternehmen in der Schweiz gegenüber. Thematisch ausgeklammert wird hier die betrieb-
    liche Freiwilligenarbeit i. e. S. («Corporate Volunteering»), wo sich in erster Linie das Unternehmen selbst
    freiwillig engagiert – und die Arbeitnehmenden sich während der Arbeitszeit (z. B. Arbeitseinsätze in der
    Natur) beteiligen. Ziel ist es, mögliche Ansätze zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Freiwil-
    ligenarbeit aufzuzeigen sowie Entwicklungspotenziale zu identifizieren.

    1.3     Forschungsdesign

    Daten
    Zur Analyse der Arbeitnehmenden als Freiwillige werden die Daten aus dem Freiwilligen-Monitor Schweiz
    2020 verwendet. Die Grundgesamtheit umfasst die ständige Schweizer Wohnbevölkerung ab 15 Jahren.
    Gemäss Untersuchungsportrait erhebt der Freiwilligen-Monitor Angaben über das Engagement in der Zi-
    vilgesellschaft. Der Monitor wurde von der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) initiiert,
    von über 30 Partnerorganisationen mitgetragen und vom Bundesamt für Statistik fachlich unterstützt.
    Lamprecht & Stamm Sozialforschung und Beratung hat den Freiwilligen-Monitor 2020 realisiert. Dafür
    wurden 5’002 Personen befragt. Davon waren 1’947 Personen freiwillig in Vereinen oder Organisationen
    engagiert (formelle Freiwilligenarbeit) und 2’294 Personen ausserhalb von Vereinen oder Organisationen
    (informelle Freiwilligenarbeit). Für die Analyse wurden folgende Aspekte in Hinblick auf mögliche beschäf-
    tigungs- und engagementbedingte Effekte ausgewertet (Gruppenvariablen «Berufliche Position» [SD16]
    und «Art des Engagements» [Q100/Q121]: Aufwand und Motive (Q240, Q290), Funktion des Arbeitgebers
    als Motivator (Q280), inhaltlicher Bezug der freiwilligen Tätigkeit zum Beruf (Q390), Interesse an zusätzli-
    chem Engagement (Q440), Vereinbarkeit (Q441, Q430) sowie die Unterstützung seitens Arbeitgeber
    (SD19, SD20) und mögliche Massnahmen (Q310, Q320). Ergänzend werden Daten aus der Schweizeri-
    schen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) des Bundesamtes für Statistik (BFS, 2020; BFS, 2021) hinzugezogen.
    Die Unternehmensbefragung zum Thema «Vereinbarkeit politisches Engagement und Beruf» fand zwi-
    schen dem 3. Februar und dem 11. Mai 2021 statt (vgl. Derungs et al., 2021). Die Online-Befragung stützt
    sich auf eine repräsentative Erhebung bei über 500 Unternehmen in der Schweiz. Dabei wurden zusätzli-
    che Fragen zur Förderung der allgemeinen Freiwilligenarbeit gestellt. Als Grundgesamtheit der Nettostich-
    probe gelten Unternehmen der Sektoren 2 (NOGA 05-43) und 3 (NOGA 45-96) mit mehr als fünf

6
Mitarbeitenden in der ganzen Schweiz. Der Fragebogen richtete sich an HR-Verantwortliche oder Ent-
scheidungsträger:innen im Unternehmen und konnte in Deutsch, Französisch und Italienisch beantwortet
werden. Von 3'800 eingeladenen Unternehmen haben N=509 Unternehmen den Fragebogen vollständig
ausgefüllt. Daraus resultiert eine Brutto-Ausschöpfung von 13.4 %. Die durchschnittliche Beantwortungs-
dauer (Median) lag effektiv bei 9.9 Minuten. Die Daten wurden in Zusammenarbeit mit dem Umfrageinsti-
tut LINK erhoben. Der gesamte Fragebogen ist in der FORS-Datenbank unter www.forsbase.unil.ch zu-
gänglich.

Methodik

Die Sicht der Arbeitnehmenden wird über die Daten des Freiwilligen-Monitors 2020 abgebildet. Wo zweck-
mässig und möglich, werden die drei Gruppen an Freiwilligen «Politisches/öffentliches Amt» 1, «Freiwilli-
genarbeit (allgemein/formell)» und «keine (formelle) Freiwilligenarbeit» miteinander verglichen (vgl. Abbil-
dung 2). Die wichtigsten Ergebnisse sind in Kapitel 3 dokumentiert. Dabei orientiert sich die quantitative
Auswertung an zwei Leitfragen: (1) Welche Rolle übernehmen Unternehmen in der Förderung des freiwil-
ligen Engagements und (2) wo gibt es Verbesserungspotenziale? Diese lassen sich auch aus Sicht der
Unternehmen als Arbeitgebende beantworten. Diese Analyse stützt sich auf die Daten von N=509 Unter-
nehmen einer Befragung aus dem Forschungsprojekt «PoliWork» (vgl. Derungs et al., 2021). In Kapitel 4
sind die Ergebnisse dargestellt. Auf Basis der beiden Datenanalysen werden Schlussfolgerungen zur Frei-
willigenarbeit der Zukunft gezogen und in Kapitel 5 kritisch gewürdigt.

                                                     Freiwilligen-Monitor 2020

                         Politisches/                    Freiwilligenarbeit              Keine (formelle)
    Kapitel 3          öffentliches Amt        vs.         (allg./formell,       vs.     Freiwilligenarbeit
                           (N=148)                           N=1’799)                        (N=3’055)

                                                        Leitfragen
    Kapitel 5                          Welche Rolle übernehmen Unternehmen in der
                       Förderung des freiwilligen Engagements? Wo gibt es Verbesserungspotenziale?

                                            Unternehmensbefragung (PoliWork)
    Kapitel 4                         Unternehmen und die Förderung des Milizsystems
                                                         (N=509)

Abbildung 2: Forschungsdesign und -methodik im Überblick

1 Diese Gruppe umfasst auf Basis von Frage Q121 resp. Rang 1 die Untergruppe 10 (politisches oder öffentliches
Gremium/Amt) + Untergruppe 11 (öffentlicher Dienst) + Untergruppe 13 (= Politische Partei). Damit sind alle Personen
erfasst, für die das jeweilige politische/öffentliche Amt das wichtigste formelle Engagement darstellt. Im Gegensatz
dazu umfasst das Fact Sheet «Freiwilliges Engagement in politischen oder öffentlichen Gremien/Ämtern» (Lamprecht
& Stamm, 2021b) alle Personen, die aktuell ein politisches oder öffentliches Gremium/Amt ausüben, ungeachtet der
persönlichen Bedeutung für die Amtsträger:innen. Entsprechend sind leicht abweichende Ergebnisse möglich.

                                                                                                                       7
2     Freiwilligenarbeit zwischen Wirtschaft, Zivilgesellschaft und
          Staat

    2.1     Grundlagen: Corporate Citizenship und Corporate Volunteering

    Corporate Citizenship wird in der Literatur oft als Unterthema des übergeordneten Konzeptes der «Corpo-
    rate Social Responsibility» (CSR) betrachtet (u. v. Dreesbach-Bundy/Scheck, 2018). Unter Corporate Citi-
    zenship lässt sich das systematisch betriebene bürgerschaftliche Engagement von Unternehmen zusam-
    menfassen (u. v. Loew et al. 2004). Es beinhaltet neben Spenden-, Sponsoring- und Stiftungsaktivitäten
    auch die Förderung des freiwilligen gemeinnützigen Einsatzes von Mitarbeitenden. Letzteres wird auch
    als «Corporate Volunteering» bezeichnet. Dieses beschreibt das freiwillige, durch den Arbeitgeber organi-
    sierte bzw. unterstützte und während der Arbeitszeit erbrachte gesellschaftliche Engagement von Mitar-
    beitenden für gemeinnützige Zwecke (Lorenz et al., 2011; Dreesbach-Bundy, 2018: 353). In den letzten
    Jahren haben sich unterschiedlichste Einsatzmöglichkeiten in der Praxis entwickelt: vom eintägigen Frei-
    willigeneinsatz bis hin zu mehrwöchigen Projektarbeiten (Bartsch, 2010: 389). Nicht selten werden diese
    Einsätze auch offensiv kommuniziert (z. B. im CSR-Bericht des Unternehmens). Im Idealfall profitieren
    dadurch die Gesellschaft, das Unternehmen und die Mitarbeitenden zu gleichen Teilen. Allerdings wird der
    Einfluss von (multinationalen) Unternehmen auf politische und gesellschaftliche Prozesse mitunter kri-
    tisch diskutiert (vgl. Müller, 2017). Im Kern geht es um die Frage, inwieweit und mit welchen Mitteln resp.
    Formen sich ein Unternehmen beispielsweise für die Umwelt, die Einhaltung von Menschenrechten, die
    Mitarbeitenden und deren Gestaltung der Gesellschaft einsetzen soll.

    Aus Sicht des Unternehmens sprechen verschiedene Gründe dafür, das freiwillige Engagement ihrer Mit-
    arbeitenden aktiv zu fördern. In der Literatur diskutiert werden betriebliche Ursachen und Wirkungen auf
    der Organisationsebene – z. B. in Form von erhöhter Reputation, besserer finanzieller Performance, hö-
    herer Arbeitgeberattraktivität – sowie Veränderungen auf Mitarbeitendenebene. Dazu gehören u.a. deren
    Leistungsbereitschaft (Arbeitseinstellung und -verhalten), die Identifikation mit dem Unternehmen oder
    der Erwerb von neuen oder ergänzenden Kompetenzen (Übersicht in: Dreesbach-Bundy/Scheck, 2017).
    Gerade die Kompetenzentwicklung wird neben der öffentlichkeitswirksamen Vermarktung und dem damit
    verbundenen Effekt auf die Unternehmensreputation in der Literatur hervorgehoben: Die Persönlichkeits-
    entwicklung bei der Freiwilligenarbeit fördert aufgrund ihrer handlungs- und erfahrungsorientierten Cha-
    rakteristika insbesondere die emotionale Intelligenz und Sozialkompetenz (Bartsch, 2012) – gerade für
    die Unternehmenswelt eminent wichtige Eigenschaften. Auch steht die Freiwilligenarbeit (sei es in Form
    von Corporate Volunteering oder als Freistellung für privates Engagement) in positiver Beziehung zum in
    der Wirtschaftswelt propagierten «lebenslangen Lernen», da sie einmalige Lern- und Veränderungspoten-
    ziale sowie Chancen zur Selbsterkenntnis und persönlichen Entwicklung bietet (u. a. Bartsch & Bieder-
    mann, 2018).

    Umgekehrt führt die Freiwilligenarbeit (ähnlich der Milizarbeit) auch dazu, dass Ressourcen wie Zeit und
    Know-how oder Organisationskompetenz aus der Wirtschaf in die Zivilgesellschaft und gemeinnützigen
    Organisationen zurückfliessen (u. v. Habisch, 2011, Bartsch, 2010). Diese Win-Win-Situation wird zwar seit
    rund zwanzig Jahren in der Literatur thematisiert und diskutiert, die Auswirkungen auf die unternehmens-
    und wettbewerbsstrategischen Nutzenpotenziale hingegen sind noch nicht vollumfänglich empirisch auf-
    gearbeitet und unvollständig (Wildner, 2018).

8
2.2     Wirkungsmodell

Das Wirkungsmodell, das sich aus der Literatur herleitet und dieser Studie als konzeptioneller Rahmen
dient, stellt die Berufstätigen ins Zentrum der Betrachtung (vgl. Abbildung 3). Sie verfügen über eigene
Motivationen, persönliche Ressourcen in Form von Zeit, Berufserfahrung, Kompetenzen und Fähigkeiten
sowie Rechte und Pflichten, die ihr freiwilliges Engagement arbeitsrechtlich begründen und begrenzen.

Der Staat als einer der wichtigen Akteure setzt Anreize und die Rahmenbedingungen, die motivierten Ar-
beitnehmenden ein freiwilliges Engagement ermöglichen sollen – ganz ungeachtet, ob es sich um ein
politisches-öffentliches Amt, um formelle Freiwilligenarbeit (innerhalb von Organisationen und Vereinen;
z. B. Vorstand Musikverein, Trainer:in im Sportverein), ein informelles Engagement (ausserhalb von Verei-
nen und Organisationen; z. B. Nachbarschaftshilfe oder Kinderbetreuung für Fremde) oder um familiäre
Betreuungsaufgaben (z. B. Kinderbetreuung, Pflege der Eltern, Betreuung von Verwandten) handelt. Diese
wiederum werden durch den der Freiwilligenarbeit beigemessenen Mehrwert, den lokalen Strukturen so-
wie den Anforderungen an das Engagement («Funktionsdesign») geprägt.

Das freiwillige Engagement der Mitarbeitenden ist zivilgesellschaftlich eingebettet und teilweise an (Non-
Profit-)Organisationen geknüpft. Damit rücken weitere Faktoren ins Zentrum, die sich aus der externen
Umwelt ergeben. Dazu zählen die normativen Grundlagen, die sich in gesellschaftlichen Normen und in
der Wertschätzung von freiwilligem Engagement äussern, übergeordnete Trends, welche die Arbeits- und
Lebenswelten formen, oder auch neue – mitunter digitale – Organisations- und Partizipationsformen in
der Freiwilligenarbeit, die unter dem Begriff der sozialen Innovationen zusammengefasst werden.
Nicht zuletzt und hier von besonderem Interesse ist die Rolle der Unternehmen, die das freiwillige Enga-
gement ihrer Mitarbeitenden beeinflussen. Dies erfolgt zum einen über die Unternehmenskultur, die sich
in der Sensibilität und Einstellung der Unternehmensführung zur Freiwilligenarbeit und im unternehmens-
internen Stellenwert zeigt. Zum anderen bestimmt auch die strategische Verankerung und übergeordnete
Bedeutung der Freiwilligenarbeit für das Unternehmen die Rahmenbedingungen für die Mitarbeitenden.
Schliesslich sind die Möglichkeiten, das freiwillige Engagement der Mitarbeitenden zu fördern, unter an-
derem auch von der Unternehmensgrösse, dem Geschäftsmodell, der Branche und den Anforderungen
aus den betrieblichen Führungs- und Arbeitsprozessen abhängig.

                              Kultur                         Motivation                  Funktionsdesign

          Strategie & Rolle                                                                               Lokale Strukturen
                                            Unternehmen                       Staat/Gemeinde
                                                            Freiwilliges
                                                           Engagement
                                                            von Berufs-
                  Potenzial                                   tätigen                                     Mehrwert

                       Ressourcen                                                          Rechte & Pflichten

                              Soziale Innovation                                              Normen &
                                                          Zivilgesellschaft               Wertschätzung
                                                                (NPO)

                                                                              Neue Lebenswelten

Abbildung 3: Wirkungsmodell des freiwilligen Engagements von Berufstätigen

                                                                                                                              9
3                                         Arbeitnehmende und ihr freiwilliges Engagement

     3.1                                       Arbeitnehmende und ihr Rekrutierungspotenzial

     Die zeitliche Verfügbarkeit von Arbeitnehmenden ist eine zentrale Determinante in der Entscheidung, sich
     dauerhaft freiwillig zu engagieren. Immer mehr werden Tätigkeiten der Freiwilligenarbeit wie beispiels-
     weise Sitzungen in Vorständen, Vorbereitungen und Aufbauarbeiten von Anlässen, Hilfeleistungen zu-
     gunsten Bedürftiger etc. untertags erbracht. Zumindest wird auch von Arbeitnehmenden erwartet, dass
     sie sich möglichst offen und flexibel zeigen, d. h. freiwillige Einsätze auch während den Arbeits- und Rand-
     zeiten leisten. Dies setzt eine entsprechende Arbeitsflexibilität voraus.

     Gemäss Daten aus der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) sind in der Schweiz für die Jahre
     2019/2020 gut 4.7 Mio. Personen als Arbeitnehmende erwerbstätig. Schätzungen zufolge unterscheidet
     sich der Anteil an Personen mit Arbeitsflexibilität je nach Wirtschaftsabschnitten resp. Branchen erheblich
     (vgl. BFS, 2020). Arbeitnehmende verfügen über flexible Arbeitszeiten, wenn sie die Möglichkeit haben,
     kurzfristig freie Stunden oder freie Tage zu nehmen und selbständig über Anfang und Ende ihres Arbeits-
     tages bestimmen können. Der Anteil reicht von 18 % im Gastgewerbe bis zu 77 % in der Finanzbranche
     (Kredit- und Versicherungsgewerbe).

     Auf dieser Grundlage lässt sich das Erwerbstätigenpotenzial für freiwilliges Engagement unter den Arbeit-
     nehmenden schätzen (vgl. Abbildung 4). Dieses beläuft sich auf insgesamt 2.14 Mio. Personen oder
     45.3 % aller Arbeitnehmenden über 15 Jahren. Davon entfallen 1.59 Mio. auf Schweizer Erwerbstätige
     (33.8 %) und 0.54 Mio. auf ausländische (11.5 %). Letztere wären im Falle von politischen und öffentlichen
     Ämtern, die das passive Wahlrecht voraussetzen, nicht resp. nur teilweise zu berücksichtigen.

                                                                                             Erwerbstätigenpotenzial für freiwilliges Engagement
                                                                                                        nach Wirtschaftsabschnitten

                                                                                                   0         200             400               600                800
                                                                       Land- und Forstwirtschaft
                                                   Verarbeitendes Gewerbe/Energieversorgung
                                                                                    Baugewerbe
           Wirtschaftsabschnitte (NOGA 2008)

                                                                      Handel, Reparaturgewerbe
                                                                             Verkehr und Lagerei                                        CH-Erwerbstätige mit
                                                                                   Gastgewerbe                                          Arbeitsflexibilität
                                                               Information und Kommunikation                                            Ausländische Erwerbstätige mit
                                                             Kredit- und Versicherungsgewerbe                                           Arbeitsflexibilität
                                                                                     Immobilien                                         CH-Erwerbstätige ohne
                                               Freiberufliche, wiss. und techn. Dienstleistungen                                        Arbeitsflexibilität
                                                        Öffentliche Verwaltung/Körperschaften                                           Ausländische Erwerbstätige ohne
                                                                        Erziehung und Unterricht                                        Arbeitsflexibilität
                                                                 Gesundheits- und Sozialwesen
                                                         Kunst, Unterhaltung, private Haushalte
                                                                      Keine Angabe/Weiss nicht
                                                                                                                        Anzahl Erwerbstätige 2019
                                                                                                                   in 1'000 (Jahresdurchschnittswerte)

     Abbildung 4: Rekrutierungspotenzial nach Branchen

     Die neuesten Zahlen aus dem Freiwilligen-Monitor 2020 zeigen durchschnittlich einen Anteil von 38.9 %
     der Gesamtbevölkerung über 15 Jahren, die sich formell freiwillig engagieren. Unter den Angestellten

10
beträgt dieser Anteil 37.6 %. Wird dies als Referenzszenario verwendet, kann das Rekrutierungspotenzial
heute zu 82.8 % ausgeschöpft werden (= 37.6 % / 45.3 %) und liegt umgerechnet bei zusätzlichen 306'000
Erwerbstätigen, die sich freiwillig engagieren könnten. Werden die SAKE-Daten 2020 als Grundlage hinzu-
gezogen, steigt das Rekrutierungspotenzial erheblich (vgl. BFS, 2021). Demzufolge wird das Potenzial bei
erwerbstätigen Personen ab 15 Jahren und einer Beteiligung in der formellen Freiwilligenarbeit von 17.9 %
lediglich zu 39.4 % (= 17.9 % / 45.3 %) ausgeschöpft. Damit beläuft sich das unrealisierte Rekrutierungs-
potenzial auf 1.29 Mio. Erwerbstätige.

3.2        Arbeitnehmende zwischen Beruf und Freiwilligenarbeit

Die Teilnehmenden der Umfrage des aktuellen Freiwilligen-Monitors 2020 repräsentieren die ständige
Wohnbevölkerung in der Schweiz. Allerdings ist davon auszugehen, dass «insbesondere formell freiwillig
engagierte Personen eher am Monitor teilnehmen» (Lamprecht et al., 2021a: 131). In der Stichprobe von
5'002 Personen sind 2'811 oder 56 % der Befragten Arbeitnehmende, d. h. in einem Angestelltenverhältnis
beschäftigt, wobei Frauen leicht übervertreten sind (Anteil von 52.1 % unter Arbeitnehmenden und 53.4 %
in der Stichprobe). Die Arbeitnehmenden und ihr Verhalten interessieren in Hinblick auf die Rolle der Un-
ternehmen und der Vereinbarkeit von Beruf und Freiwilligenarbeit speziell.

Motive und Aufwand
Formell Freiwillige engagieren sich primär, weil die Tätigkeit Spass macht. Danach bewegen vor allem die
sozialen Aspekte der Freiwilligenarbeit wie z. B. mit anderen Menschen zusammenkommen, mit ihnen
etwas bewegen und dabei auch helfen und etwas zurückgeben (Lamprecht et al., 2021a: 95). Für Perso-
nen allerdings, die ein politisches-öffentliches Amt bekleiden, sind einige Motive deutlich wichtiger als für
in der formellen Freiwilligenarbeit tätige Personen. Dies zeigt sich in folgenden Bereichen (vgl. Abbildung
5, gemessen an der Differenz der Ja-Anteile in Prozentpunkten): in der Erweiterung eigener Kenntnisse
und Erfahrungen (+19 %), der persönlichen Weiterentwicklung (+17 %), in eigenen Verantwortungs- und
Entscheidungsmöglichkeiten (+14 %) sowie in der Veränderung von Missständen (+13 %).

                                                                                                                       Ja-Anteile
      Frage: Ich engagiere mich freiwillig, weil …                                                        0%   20%        40%          60%              80%
                                                              ... weil mir die Tätigkeit Spass macht.
  ... weil ich dadurch meine eigenen Kenntnisse und Erfahrungen erweitern kann.
                                         ... weil ich dabei mit anderen etwas bewegen kann.
                                                   ... damit ich anderen Menschen helfen kann.
                                  ... weil ich mich dabei persönlich weiterentwickeln kann.
                           ... weil ich dabei mit anderen Menschen zusammenkomme.
                                    ... damit ich mein persönliches Netzwerk pflegen kann.
                                              ... um Dinge zu verändern, die mir nicht gefallen.
     ... weil ich da eigene Verantwortungs- und Entscheidungsmöglichkeiten habe.
                               ... weil ich anderen Personen etwas zurückgeben möchte.
                              ... weil ich so meinen eigenen Interessen nachgehen kann.
                               ... weil ich dafür Wertschätzung und Anerkennung erhalte.
                                  ... damit ich eine Abwechslung zum übrigen Alltag habe.
                     … mir die Tätigkeit auch für die berufliche Laufbahn etwas nützt.
                                          ... weil ich dafür auch finanziell entschädigt werde.
                                                       ... weil mein Umfeld dies von mir erwartet.
                       ... damit ich eigene Probleme selbst in die Hand nehmen kann.
                                            ... weil ich dazu gedrängt oder verpflichtet wurde.                      Freiwilligenarbeit allg.-formell
                                                        ... aus religiöser, spiritueller Überzeugung.                Politisches-öffentliches Amt
                                                                                 Nichts davon trifft zu

                                              Daten: Freiwilligen-Monitor 2020, Lamprecht et al., 2020, eigene Berechnungen

Abbildung 5: Gründe für freiwilliges Engagement

                                                                                                                                                              11
Insgesamt sind die Motivationsstrukturen von Arbeitnehmenden und Nicht-Arbeitnehmenden sehr ähn-
     lich. Einzig sind für Arbeitnehmende die Pflege von persönlichen Netzwerken, gemeinsam mit anderen
     etwas bewegen und eigene Kompetenzen und Erfahrungen erweitern zu können als Motive wichtiger (Dif-
     ferenz der Ja-Anteile von 8.8 resp. 14.0 und 5.3 Prozentpunkten).

     Der Aufwand, den formell und auch informell Freiwillige für ihr Engagement betreiben, beläuft sich auf 2.5
     Stunden pro Woche (Median; Lamprecht et al., 2021a: 2). Die Unterschiede zwischen Arbeitnehmenden
     und Nicht-Arbeitnehmenden sind marginal. Mandatsträger:innen mit einem politischen-öffentlichen Amt
     hingegen wenden deutlich mehr Zeit auf (4 Stunden pro Woche [Median]).

     Motivatoren und Auslöser
     Interessant ist zu beobachten, inwieweit Unternehmen in ihrer Funktion als Arbeitgeber auf die Mitarbei-
     tenden einwirken und ein freiwilliges Engagement anstossen. Im Ergebnis spielen die Arbeitgeber als Mo-
     tivatoren, (formelle) Freiwilligenarbeit zu leisten, eine untergeordnete Rolle (vgl. Abbildung 6). Allerdings
     wirkt der Arbeitgeber im Falle von politischen-öffentlichen Ämtern deutlich stärker motivierend als in der
     allgemeinen Freiwilligenarbeit (4.1% vs. 2.8% Ja-Anteile). Für Personen mit einem politischen-öffentlichen
     Amt sind dabei folgende Motivatoren am wichtigsten: Persönliches Bedürfnis, Anfrage von (leitender) Per-
     son aus Verein/Organisation von Freund:innen oder Bekannten und von der Gemeinde. Mit Ausnahme der
     Gemeinde sind die anderen Motivatoren auch für Personen in der allgemeinen Freiwilligenarbeit relevant.

         Frage: Woher kam für Sie der Anstoss, diese Tätigkeit                                                       Ja-Anteile
         zu übernehmen?                                                                     0%        10%        20%           30%     40%        50%

                                         es war mir ein Bedürfnis, mich zu engagieren
                              Anfrage von (leitender) Person aus Verein/Organisation
                                                     von Freund/innen oder Bekannten
                                                                      von der Gemeinde
                                                           von Mitgliedern Ihrer Familie
                                            von eigenen Erlebnissen oder Erfahrungen
                                    kein besonderer Anstoss, bin so hineingewachsen
         habe mehr Zeit zur Verfügung (Pensionierung, weniger Erwerbstätigkeit etc.)
                                            von einer Informations- oder Kontaktstelle
                                                               von meinem Arbeitgeber
                      von Hinweisen aus der Presse, dem Radio oder dem Fernsehen
                                eigene Kinder sind/waren in Verein/Organisation aktiv
                                                                                  anderes
        von Hinweisen aus dem Internet oder in sozialen Netzwerken (Facebook etc.)                                  Freiwilligenarbeit allg.-formell

                        von einer speziellen Internet-Plattform für Freiwilligentätigkeit                           Politisches-öffentliches Amt

                                               Daten: Freiwilligen-Monitor 2020, Lamprecht et al., 2020, eigene Berechnungen

     Abbildung 6: Motivatoren und Auslöser

     Werden nur die angestellten Erwerbstätigen betrachtet, zeigen sich bezüglich der Arbeitgeber als Motiva-
     toren nur geringfügige Unterschiede zwischen den verschiedenen Untergruppen (Vollzeit/Teilzeit, priva-
     ter/öffentlicher Sektor, Geschlecht; vgl. Detailanalyse in Lamprecht et al., 2021a: 2). Den grössten Unter-
     schied gibt es zwischen Männern mit Teilzeitarbeit und Männern im öffentlichen Sektor mit einem Anteil
     von 1 % resp. 7 %, die von ihrem Arbeitgeber zur (formellen) Freiwilligenarbeit ermuntert werden. Insge-
     samt lassen sich Arbeitnehmende besonders häufig von (leitenden) Personen aus Vereinen/Organisatio-
     nen motivieren. Gleichzeitig sind für Arbeitnehmende mehr Zeitreserven als auslösende Faktoren unbe-
     deutend und das Bedürfnis, sich zu engagieren bei Arbeitnehmenden weniger wichtig (im Vergleich zu
     Nicht-Arbeitnehmenden: 38.2 % vs. 33.1 %).

12
Vereinbarkeit
Die zeitliche Verfügbarkeit begrenzt die Möglichkeiten, sich freiwillig zu engagieren erheblich (vgl. Abbil-
dung 7). Dies zeigt sich in zweifacher Hinsicht: Zum einen gibt es Personen, die keine formelle Freiwilli-
genarbeit mehr leisten (N=1’539) und dafür berufliche Gründe angeben, warum sie auf ein freiwilliges En-
gagement verzichten. Zum anderen hält die zu hohe zeitliche Belastung viele davon ab, sich überhaupt
formell freiwillig zu engagieren. Aufgrund der zu geringen Fallzahlen lässt sich nicht belastbar nachwei-
sen, ob dies auf Mandatsträger:innen mit einem politischen-öffentlichen Amt übermässig zutrifft oder
nicht.

   Frage: Aus welchen Gründen haben Sie aufgehört?                          Frage: Aus welchen Gründen möchten Sie sich nicht
                                                                           freiwillig oder ehrenamtlich in einem Verein oder einer
                                                    Ja-Anteile                             Organisation engagieren?
                                               0%      25%        50%
                                                                                                                          Ja-Anteile
                         berufliche Gründe                                                                           0%     20%        40%

                          familiäre Gründe                               zeitliche Belastung ist zu hoch, keine
                                                                                          Zeit
                    Umzug an anderen Ort
                                                                        möchte mich nicht für regelmässiges
                                                                             Engagement verpflichten
    Altergründe, hatte Altersgrenze erreicht
                                                                             kein Interesse, andere Interessen,
           zeitlicher Aufwand war zu gross                                         andere Verpflichtungen

       Schule / Ausbildung / Weiterbildung                                                              bin zu alt

    kein Interesse mehr, andere Interessen
                                                                                                  andere Gründe
                   gesundheitliche Gründe
                                                                             mangelnde Gesundheit, zu wenig
      Tätigkeit war von vornherein zeitlich
                                                                                        Energie
                    begrenzt
                            andere Gründe                                 zu wenig Anerkennung für die Arbeit

                                     Daten: Freiwilligen-Monitor 2020, Lamprecht et al., 2020, eigene Berechnungen

Abbildung 7: Verzicht auf freiwilliges Engagement

Unterstützung durch Arbeitgeber
Arbeitnehmende profitieren von verschiedenen Unterstützungsangeboten ihrer Arbeitgeber (vgl. Abbil-
dung 8). Gemäss Detailanalyse von Lamprecht et al. (2021a) werden von allen angestellten erwerbstäti-
gen Personen, die Freiwilligenarbeit leisten, etwas mehr als ein Drittel durch die Arbeitgeber unterstützt
(37 %). Darunter fallen besonders oft Personen, die sich in einem politisch-öffentlichen Amt engagieren
(55 %), und deutlich weniger Mitarbeitende mit formeller und informeller Freiwilligenarbeit (40 % und 31 %).

Auch gibt es zwischen verschiedenen Arten des freiwilligen Engagements Unterschiede, sofern die Arbeit-
geber dieses fördern: Personen mit einem politischen-öffentlichen Amt erhalten eher Unterstützung in
Form von flexiblen Arbeitszeiten und Freistellung für die Tätigkeit. Gemessen an der Differenz der Ja-
Anteile liegen diese im Vergleich zu allgemeiner formeller Freiwilligenarbeit um +9.2 resp. 21.3 Prozent-
punkte höher. Zudem fällt auf, dass die «Anerkennung» durch den Arbeitgeber insgesamt tief ist und
Gruppe «Politisches-öffentliches Amt» deutlich abfällt.

                                                                                                                                             13
Frage: Unterstützt Sie Ihr Arbeitgeber bei                           Frage: Wie unterstützt Sie Ihr Arbeitgeber
                     Ihrem freiwilligen Engagement?                                                    genau?

                                                                                                             0%     20%    40%     60%   80%
            0%            20%                 40%                  60%

                                                                                    flexible Arbeitszeiten

                                                                                  Freistellung für meine
                                                                                         Tätigkeit

       Ja
                                                                              Nutzungsmöglichkeit der
                                                                              Infrastruktur (z.B. Räume,
                                                                                  Telefon, Kopierer)

                                                                                                  anderes

                                                                                  Anerkennung des
                                                                               Engagements (z.B. durch
                                                                                Lob, Beförderung etc.)

                  Freiwilligenarbeit allg.-formell        Politisches-öffentliches Amt            keine (formelle) Freiwilligenarbeit
                                         Daten: Freiwilligen-Monitor 2020, Lamprecht et al., 2020, eigene Berechnungen

     Abbildung 8: Unterstützung durch Arbeitgeber

     Optimierungspotenzial
     Aus einer breiten Palette von möglichen Massnahmen zur Förderung und Unterstützung des freiwilligen
     Engagements wird die Anerkennung und Unterstützung durch die Arbeitgeber von einem guten Viertel
     (26 %) aller Erwerbstätigen, die sich formell freiwillig engagieren, als wichtig erachtet. Vollzeiterwerbstä-
     tige Frauen und teilzeiterwerbstätige Männer, sowie Arbeitende im öffentlichen Sektor erachten diese
     Massnahmen etwas häufiger als wichtig (Lamprecht et al. 2021a: 3).

     Personen mit einem politischen-öffentlichen Amt sehen insgesamt mehr Verbesserungspotenzial als Per-
     sonen in der allgemeinen Freiwilligenarbeit. Gemessen an den Differenzen der Ja-Anteile (in Prozentpunk-
     ten) betrifft dies – neben den steuerlichen Abzügen von Spesen, Steuerbefreiung von Entschädigungen
     (+18 %) und der Anerkennung ehrenamtlicher Tätigkeit als berufliches Praktikum oder als Weiterbildung
     (+10 %) – auch die Anerkennung und Unterstützung durch den Arbeitgeber (+8 %; vgl. Abbildung 9).

14
Frage: Da wären Verbesserungen möglich                                   Ja-Anteile
                                                                                       0%              20%               40%        60%

            steuerliche Abzüge von Spesen, Steuerbefreiung von Entschädigungen
          Anerkennung ehrenamtlicher Tätigkeit als berufliches Praktikum oder als
                                     Weiterbildung
                           Anerkennung und Unterstützung durch den Arbeitgeber
    Bereitstellung von Räumen, Infrastrukturen und Geräten (Gemeinschaftsräume,
                     Sportanlagen etc.) durch die öffentliche Hand.
             öffentliche Anerkennung durch Berichte in der Presse und den Medien
      bessere Information und Beratung über Gelegenheiten zu ehrenamtlichen und
                                freiwilligen Tätigkeiten
                      öffentliche Anerkennung durch Ehrungen, Würdigungen etc.

                                                          bei keinem dieser Punkte

                                         Freiwilligenarbeit allg.-formell        Politisches-öffentliches Amt

                                       Daten: Freiwilligen-Monitor 2020, Lamprecht et al., 2020, eigene Berechnungen

Abbildung 9: Verbesserungspotenziale

3.3        Synthese

−     Motive und unrealisiertes Rekrutierungspotenzial: Freiwillige engagieren sich aus ähnlichen Motiven
      und wollen in erster Linie etwas bewegen – ungeachtet dessen, ob sie sich in Vereinen im Allgemeinen
      oder in politischen Milizämtern im Speziellen engagieren. Bei den Motiven dominieren intrinsische
      Faktoren – die Engagierten sind von sich aus an einem gesellschaftlichen Engagement interessiert.
      Trotzdem können mit zusätzlichen Anreizen – auch von Unternehmen – weitere Personen für die
      Freiwilligenarbeit gewonnen werden. Das unrealisierte Rekrutierungspotenzial beläuft sich je nach
      Berechnung auf 1.29 Mio. Erwerbstätige.
−     Unterschiedlicher Aufwand: Der Aufwand für ein freiwilliges Engagement unterscheidet sich im Ver-
      gleich zwischen Arbeitnehmenden und Nicht-Arbeitnehmenden oder zwischen informeller und for-
      meller Freiwilligenarbeit nur marginal. Ausnahmen betreffen die politischen-öffentlichen Ämter. Deren
      Aufwand ist im Vergleich zu den übrigen freiwilligen Tätigkeiten wesentlich höher. Hier zeigt sich, dass
      die Formalisierung und Professionalisierung des politischen Milizsystems in zeitlicher Hinsicht ihren
      Tribut fordern.
−     Zeitliche Belastung: Die zeitliche Belastung, unter anderem aufgrund des Berufs, ist der Hauptgrund,
      warum Personen ein Engagement beendet oder gar nicht erst angetreten haben. Daher ist die Ver-
      besserung der Vereinbarkeit von Beruf und Freiwilligenarbeit zentral, um das freiwillige Engagement
      in der Gesellschaft insgesamt zu erhöhen.
−     Unterschiedliche Förderung: In der Praxis der Freiwilligen unterstützen ihre Arbeitgeber das freiwillige
      Engagement der Mitarbeitenden mit unterschiedlichen Instrumenten und in verschiedenen Intensi-
      tätsgraden. Auffallend ist der Unterschied in der Förderung von allgemein-formeller/nicht-formeller
      Freiwilligentätigkeit und einem politisch öffentlichen Amt. Die politisch Engagierten erhalten vom Ar-
      beitgeber deutlich öfter eine Unterstützung in Form flexiblen Arbeitszeiten und Freistellung für die
      Tätigkeit. Erstaunlich ist die sehr tiefe Anerkennung des Engagements durch den Arbeitgeber, die in
      starkem Kontrast zu den in der Literatur diskutierten CSR-Massnahmen stehen.

                                                                                                                                          15
−     Verbesserungspotenzial: Aus Sicht der Freiwilligen besteht Potenzial, dass sich die Unternehmen als
           Arbeitgebende systematischer und spezifischer in der Förderung der Freiwilligenarbeit engagieren.
           Sowohl die Wertschätzung durch die Arbeitgebenden als auch die Anerkennung der Freiwilligenarbeit
           als Weiterbildung oder Praktikum sind mögliche Ansätze. Gerade die innerbetriebliche Anerkennung
           und Wertschätzung von Freiwilligen wäre eine kostenneutrale und effektive Methode, die Motivation
           zusätzlich zu fördern.

     4       Unternehmen und die Förderung der Freiwilligenarbeit

     4.1      Unternehmen: (K)ein Engagement für die Freiwilligenarbeit?

     Um die Sicht der Arbeitgeber zur Förderung der Freiwilligenarbeit abzubilden, werden die Daten aus der
     Unternehmensbefragung zum Thema «Vereinbarkeit politisches Engagement und Beruf» herangezogen
     (vgl. Kapitel 1.3 und Derungs et al., 2021). In den Daten sind N=509 Unternehmen berücksichtigt. Davon
     beschäftigen 56 % weniger als 50 Mitarbeitende, 33 % 50 bis 249 Mitarbeitende und 11 % mehr als 250
     Mitarbeitende. Zudem sind 21 % der Unternehmen im Sektor 02 (NOGA 05-43) und 79 % im Sektor 03
     (NOGA 45-96) tätig.

     In Bezug auf die Massnahmen für verschiedene Unterstützungsbereiche der Arbeitgeber lassen sich Un-
     terschiede feststellen (vgl. Abbildung 10). Mehr als 60 % der Unternehmen setzen konkrete Massnahmen
     für ein Engagement der Mitarbeitenden in der formellen Freiwilligenarbeit um (Ja-Anteil von 62 %). Die Ja-
     Anteile für familiäre Betreuungsaufgaben und für ein Engagement in der informellen Freiwilligenarbeit
     hingegen liegen tiefer (Ja-Anteil von 54 % resp. 33 %). Für die informelle Freiwilligenarbeit bedeutet dies,
     dass knapp zwei Drittel der Arbeitgeber keine konkreten Massnahmen umsetzen.

                           Frage: Unterstützen Sie Ihre Mitarbeitenden bei folgenden Engagements
                                                mit konkreten Massnahmen?
                                                                 0%    20%             40%   60%          80%   100%

               Engagement in der formellen Freiwilligenarbeit                62%                          38%

              Engagement in der informellen Freiwilligenarbeit        33%                      67%

                               familiäre Betreuungsaufgaben                 54%                       46%

                                                                                  Ja               Nein

     Abbildung 10: Unterstützungsbereiche in der Freiwilligenarbeit von Mitarbeitenden

     Zur Unterstützung von Mitarbeitenden mit formellem Engagement wird der Flexibilität eine grosse Wich-
     tigkeit beigemessen (vgl. Abbildung 11). Die häufigsten Massnahmen sind die Möglichkeit flexibler Ar-
     beitszeiten (Ja-Anteil von 83 %) und die Nutzung der Infrastruktur des Arbeitgebers (Ja-Anteil von 66 %).

16
Ebenfalls weit verbreitet scheinen die Ermutigung und die Ermöglichung der Teilzeitarbeit zu sein (Ja-
Anteil von 50 % resp. 49 %). Dies ist bemerkenswert, weil Unternehmen deutlich weniger ihre Mitarbeiten-
den dazu anregen, ein politisches oder öffentliches Mandat anzustreben (vgl. Derungs et al., 2021). Des
Weiteren passen lediglich 5 % der Arbeitgeber die Leistungsziele an und 4 % der Arbeitgeber setzen andere
Massnahmen um.

       Frage: Wie werden Mitarbeitende mit Engagement in der formellen Freiwilligenarbeit in Ihrem Unternehmen
                                                  unterstützt?

                                                                                        0%   20%   40%   60%   80%   100%

                                                     flexible Arbeitszeiten möglich

                                      Nutzung der Infrastruktur des Arbeitgebers

                                    Ermutigung zur formellen Freiwilligentätigkeit

                                                             Teilzeitarbeit möglich

  (teilweise) bezahlter Erlass der Arbeitszeit für die formelle Freiwilligentätigkeit

   Netzwerk-Event für formell-freiwillig Engagierte innerhalb des Unternehmens

         angepasste Leistungsziele aufgrund der formellen Freiwilligentätigkeit

                                                              andere Massnahmen

                                                        Ja    Nein

Abbildung 11: Unterstützungsformen in der formellen Freiwilligenarbeit von Mitarbeitenden

In Abbildung 12 sind die Unterstützungsformen der Arbeitgeber für eine formelle und informelle Freiwilli-
genarbeit ihrer Mitarbeitenden nach Unternehmensgrösse dargestellt. Es zeigt sich, dass die Werte der
Unterstützungsformen für die formelle und informelle Freiwilligenarbeit ähnlich sind. Allerdings liegt der
Ja-Anteil für die Ermöglichung von flexiblen Arbeitszeiten und Teilzeitarbeit bei Unternehmen mit mehr
als 250 Mitarbeitenden am höchsten (93.1 % resp. 69.0 % für formelle Freiwilligenarbeit und 93.3 % resp.
73.3 % für informelle Freiwilligenarbeit). Für die Nutzung der Infrastruktur des Arbeitgebers ist der Ja-An-
teil wiederum bei den Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitenden sowie mit 50 bis 249 Mitarbeiten-
den grösser. Bei der formellen wie auch bei der informellen Freiwilligenarbeit setzen die wenigsten Unter-
nehmen angepasste Leistungsziele als Massnahme ein.

                                                                                                                            17
Frage: Wie werden MA mit Engagement in der formellen                     Frage: Wie werden MA mit Engagement in der informellen
               Freiwilligenarbeit in Ihrem Unternehmen unterstützt?                     Freiwilligenarbeit in Ihrem Unternehmen unterstützt?

                                                                Ja-Anteile                                                                    Ja-Anteile

                                                         0%   25% 50% 75% 100%                                                         0%   25% 50% 75% 100%

                        flexible Arbeitszeiten möglich                                              flexible Arbeitszeiten möglich

                                Teilzeitarbeit möglich
                                                                                                             Teilzeitarbeit möglich

      Ermutigung zur formellen Freiwilligentätigkeit
                                                                                  Ermutigung zur informellen Freiwilligentätigkeit

           Nutzung der Infrastruktur des Arbeitgebers
                                                                                      Nutzung der Infrastruktur des Arbeitgebers
       teilweise) bezahlter Erlass der Arbeitszeit für
              die formelle Freiwilligentätigkeit                                          Netzwerk-Event für informell-freiwillig
               Netzwerk-Event für formell-freiwillig                                     Engagierte innerhalb des Unternehmens
             Engagierte innerhalb des Unternehmens
                                                                                    (teilweise) bezahlter Erlass der Arbeitszeit für
                                                                                          die informelle Freiwilligentätigkeit
                                andere Massnahmen
                                                                                         angepasste Leistungsziele aufgrund der
             angepasste Leistungsziele aufgrund der                                          informellen Freiwilligentätigkeit
                 formellen Freiwilligentätigkeit                  >250 MA
                                                                  50 bis 249 MA
                                                                                                             andere Massnahmen
                                        keine Angabe
Regularien &           Unternehmens-
                                                          Compliance                 kultur

                            Commitment & Kommunikation

                                                                                                  Strategie & Rolle
                                     (extern)                         Betriebliche
                                                                     Förderung der
                                                                      Freiwilligen-
                                                                         arbeit

                                                         Wertschätzung            Attraktive
                                                            (intern)          Rahmenbedingungen

Abbildung 13: Ausrichtung in der Förderung der Freiwilligenarbeit

4.3       Synthese

−     Förderung vielfältig: Neben der Förderung des politischen Engagements unterstützen zahlreiche Un-
      ternehmen auch Mitarbeitende mit familiären Betreuungsaufgaben (53%) und mit Engagement in der
      informellen und formellen Freiwilligenarbeit (33% resp. 58%). Es zeigen sich jedoch starke Unter-
      schiede, vor allem zwischen der informellen und den anderen Formen der Freiwilligenarbeit. Grund
      hierfür kann die wenig formalisierte Struktur der informellen Freiwilligenarbeit sein oder aber, dass
      diese aus Sicht der Unternehmen vornehmlich im Privaten und nicht während der Arbeitszeit zu erfol-
      gen hat.

−     Förderung sehr allgemein: Allerdings erfolgt diese Unterstützung wenig spezifisch, sondern allge-
      mein mit neuen Arbeitsmodellen und personalpolitischen Instrumenten. Dazu zählen u.a. flexible Ar-
      beitszeiten (86%) oder die Nutzung der Infrastruktur des Arbeitgebers zu ermöglichen (68%) und Mit-
      arbeitende zu einem freiwilligen Engagement zu ermuntern (48%). Das sind niederschwellige Instru-
      mente, die nicht nur den Freiwilligen, sondern allen Angestellten offen stehen. Massnahmen, die mit
      zusätzlichen Ressourcen und damit auch mit grösseren finanziellen Ausgaben verbunden wären (be-
      zahlter Erlass von Arbeitszeit, Netzwerk-Event und angepasste Leistungsziele), sind unter den Unter-
      nehmen weniger verbreitet.

−     Geringe Unterschiede: Die Fördermassnahmen der Unternehmen unterscheiden hinsichtlich der all-
      gemein-formellen oder informellen Freiwilligenarbeit kaum. Hingegen sind Differenzen bezüglich der
      Unternehmensgrösse zu erkennen: Die Grossunternehmen ermöglichen flexibles Arbeiten eher als die
      mittleren und kleinen Unternehmen. Dies ist wahrscheinlich den strukturellen Eigenschaften und ver-
      fügbaren Ressourcen dieser Unternehmen zuzuschreiben.

−     Zukünftiges Handlungsfeld: Eine positive Grundhaltung gegenüber der Freiwilligenarbeit und eine
      hohe Wertschätzung bieten Unternehmen zukünftig vermehrt die Möglichkeit, sich als attraktiven Ar-
      beitgebenden zu positionieren. Dies dürfte in Hinblick auf den drohenden Fach- und Führungskräfte-
      mangel wichtiger werden, im Kampf um die richtigen Talente und Leistungsträger:innen mitunter ent-
      scheidend. Dafür sprichen die wiedergewonnene Bedeutung sinnhafter Tätigkeiten und das Bedürfnis
      der Arbeitnehmenden nach multiplen Formen des beruflichen und gesellschaftlichen Engagements.

                                                                                                                      19
5     Nachwort: Freiwilligenarbeit 2040 – ein persönlicher
           Ausblick

     von Lukas Niederberger, Geschäftsleiter Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft

     Die GDI-Studie «Die neuen Freiwilligen - Die Zukunft zivilgesellschaftlicher Partizipation», die Jakub Sa-
     mochowiec, Leonie Thalmann und Andreas Müller im Jahr 2018 im Auftrag des Migros Kulturprozents
     durchführten und publizierten, nennt mehrere Aspekte der Freiwilligenarbeit, die in Zukunft an Bedeutung
     gewinnen werden: zeitlich flexible und limitierte Einsätze, Online-Tätigkeiten sowie partizipativere und wir-
     kungsorientiertere Engagements.

     Diese Tendenzen im freiwilligen, unbezahlten Engagement sind in ähnlicher Weise auch in der Erwerbsar-
     beit und in der privaten Angehörigenbetreuung feststellbar. Daneben beeinflussen seit vielen Jahren so-
     zio-demografische Entwicklungen die Freiwilligenarbeit und werden dies in Zukunft noch verstärkt tun:
     −   Die Geschlechter gleichen sich in der Aufteilung unbezahlter Arbeit an. Zwischen 1997 und 2020 stieg
         der männliche Anteil insgesamt von 33.2 % auf 39.5 %. In der Hausarbeit stieg der von Männern ge-
         leistete Anteil von 30.9 % auf 38.8 %. Bei der Angehörigen-Betreuung stieg der Anteil lediglich von
         38.3 % auf 38.9 %. Bei der formellen Freiwilligenarbeit stieg der männliche Anteil von 54.6 % auf 61.4 %.
         Und in der informellen Freiwilligenarbeit erhöhte er sich von 25.4 % auf 38.2 %. Es ist anzunehmen,
         dass der männliche Anteil an unbezahlter Arbeit auf Grund von zunehmender Teilzeit-Erwerbsarbeit
         noch stärker steigen wird, während Frauen im Freiwilligenbereich künftig prozentual mehr gewählte
         Ehrenämter besetzen werden.
     −   Die Abwanderung vom Dorf in Städte sowie in periphere Agglomerationen wird weiter zunehmen. Dies
         hat zur Folge, dass das Vereinswesen in ländlichen Gegenden weiter schrumpfen wird, während sich
         in den Städten und peripheren Wohngebieten neue Möglichkeiten für spontane nachbarschaftliche
         Hilfeleistungen ergeben werden.
     −   Die Mobilität wird trotz oder gerade wegen zunehmender Erwerbsarbeit im Home-Office zunehmen.
         Die Trennung von Wohn-, Arbeits- und Freizeitort erschweren die Schaffung eines eindeutigen Le-
         bensmittelpunkts, an dem man sich freiwillig engagiert.
     −   Freiwillige Engagements nehmen an Komplexität zu. Je mehr die Komplexität und die Professionalität
         in freiwilligen Engagements zunehmen und je stärker sich die ehrenamtliche Tätigkeit der Erwerbsar-
         beit angleicht, umso mehr stellt sich die Frage nach finanziellen Vergütungen.
     −   Staatliche und verbandsinterne Regulierungen und die damit verbundene Bürokratie werden weiterhin
         zunehmen. Diese Tendenz wird Freiwillige immer stärker demotivieren und Noch-nicht-Freiwillige von
         einem unbezahlten Engagement abhalten.
     −   Die ökonomische Perspektive wird die verschiedenen Lebensbereiche immer stärker prägen. Die
         Handlungslogik und die Maximen der Wirtschaft mit Effektivität, Effizienz und Return on Investment
         bestimmen immer mehr die Strategien und Strukturen, Ziele und Aufgaben von Vereinen, Hilfswerken
         und Stiftungen. Immer öfter wird auch nach dem ökonomischen Nutzen der Freiwilligenarbeit gefragt,
         obschon finanzielle Vergütungen bei den Freiwilligen einen irrelevanten und oft sogar kontraproduk-
         tiven Motivationsfaktor darstellen. Das Bundesamt für Statistik gibt für die Schweiz den jährlichen
         Wert von rund 40 Milliarden Franken an für die 700 Millionen Stunden Freiwilligenarbeit.
     −   Obwohl oder gerade weil die finanzielle Vergütung für die Freiwilligen einen marginalen Motivations-
         faktor darstellt, ist ihnen umso wichtiger, dass sie mit ihren Wünschen, Interessen und Kompetenzen
         von den Freiwilligenorganisationen und den dort Festangestellten ernst genommen werden.

20
Sie können auch lesen