Von Dardo Balke (Komponist) und Ralf Lorenzen (Autor) - GEW Bremen
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Von Dardo Balke (Komponist) und Ralf Lorenzen (Autor). Dokumentarisches Musiktheater über die Deportation von etwa 300 Sinti und Roma vom Bremer Schlachthof im März 1943.
HISTORIE FRIEDRICH BAMBERGER D urch eine Initiative Bremens ist der 16. Dezember der bundes- weite Gedenktag für die Opfer Sinti und Roma tief verankert, während es in den Erzählungen der Mehrheitsgesellschaft, aus Es gibt beeindruckende Beispiele, wie diese neue Gene- ration in die kommunale des Völkermords an den Sinti deren Mitte die Täter kamen, Gedenkkultur einbezogen wird. und Roma. An diesem Tag bis heute kaum eine Rolle In Bremens altem Schlacht- im Jahr 1942 unterzeichnete spielt. hof kreuzen sich die Leidens- Heinrich Himmler den soge- Die Aufgaben des Erin- wege zahlreicher Familien aus nannten ›Auschwitz-Erlaß‹, der nerns und Aufklärens werden ganz Nordwestdeutschland. die Deportation von Sinti und nicht kleiner. Eine neue Gene- Hier gibt es die einmalige Roma aus ganz Europa in das ration von Nachkommen muss Gelegenheit, diesen Ort für die Vernichtungslager Auschwitz- ihren Weg zwischen Familien- Familien der Opfer, aber auch Birkenau anordnete – unter traumata, weitergehenden für die Mehrheitsgesellschaft, ihnen über 10.000 deutsche Diskriminierungen und zum Ausgangspunkt eines Sinti und Roma aus dem dama- eigenen Zukunftshoffnungen gemeinsamen Gedenkens und Die Bedeutung von Erinnerung und ligen Reichsgebiet. finden. der Arbeit an einer solidari- Aufklärung wird nicht kleiner. Das Projekt In Folge des Erlasses wur- schen Zukunft zu machen. den vom 8.– 10. März 1943 etwa Einer Solidarität, die die Nach- möchte einen Beitrag zum gemeinsamen 300 Sinti und Roma aus Nord- kommen der Opfer in ganz Gedenken und zu einer solidarischen westdeutschland im Bremer Europa einbeziehen muss. Zukunft leisten. Schlachthof zusammengetrie- ben und anschließend depor- tiert. Dieses Ereignis ist im kollektiven Gedächtnis der HERMANN BAMBERGER
FRIEDRICH UND MARGOT SCHWARZ GESCHICHTE ließen sich um 1960 in Häftlingskleidung fotografieren, um auf die Verfolgung durch die Nationalsozalisten aufmerksam zu machen. I nsgesamt fielen dem Völker- mord an den Roma und Sinti in Europa während der Zeit wissenschaftlichen Nachweis angeblich rassisch bedingter Asozialität sollte ab 1936 die die Sinti und Roma konzen- triert wurden. Im Mai 1940 wurden zusätz- des Nationalsozialismus etwa Rassenhygienische Forschungs- lich über 2500 Sinti und Roma 500.000 Menschen zum Opfer. stelle in Berlin liefern. Unter zunächst in Sammellager nach Doch die Ausgrenzung und der Leitung von Robert Ritter Hamburg, Köln und Ludwigs- Verfolgung begann so wenig erfasste und begutachtete sie burg gebracht. Allein vom 1933 wie sie 1945 endete. mit der Unterstützung der Fruchtschuppen C im Ham- Schon zu Weimarer Zeiten Polizei nahezu alle im Reichsge- burger Freihafen wurden etwa war von einer zu bekämpfen- biet lebenden Sinti und Roma. 1000 Sinti und Roma aus den ›Zigeunerplage‹ die Rede. Nach Kriegsbeginn gingen einem Gebiet von Bremen bis Mit Sonderausweisen und die Nazis zur bevölkerungs- Flensburg ins Lager Belcek der Abnahme von Fingerab- politischen Gesamtlösung der ins ›Generalgouvernement‹ drücken wurde eine lückenlose ›Zigeunerfrage‹ über; auf Be- deportiert. ›Meine Eltern (…) wurden am 8.3.1943 in Bremen, Findorffstraße 99, verhaftet. Erfassung durch die ›Zigeuner- rufsverbote, Zwangssterilisatio- (…) Ich habe die Volksschule und die Berufsschule in Bremen besucht. Ich hatte zentrale‹ angestrebt, die bereits nen, Verhaftungen, Verbote die Absicht, nach Ableistung des Pflichtjahres Friseurin zu werden. (…) Nach 1899 in der Polizeidirektion von ›Mischehen‹ und Wohn- München gegründet worden ortswechseln folgte die systema- meiner Verhaftung wurde ich nach einem Sammelplatz Bremen-Schlachthof war. tische Vernichtung. Einige gebracht. Dort traf ich mit meinen Eltern zusammen‹ Hieran konnten die Städte hatten bereits in den (Anna Schwarz, verhaftet in Bremen; Quelle: Staatsarchiv Bremen) Nationalsozialisten nahtlos 1930iger Jahren bewachte Sam- anknüpfen. Den pseudo- mellager eingerichtet, in denen
›Nach etwa zwei Tagen Transport landeten wir in Auschwitz. Mündrath übergab den gesamten Transport der SS und sagte zu uns: Endlich sind Sie gelandet. Hier können Sie sich die Radieschen von unten ansehen.‹ RAMIRO BAMBERGER (Rudolf Franz, verhaftet in Bremen; Quelle: Staatsarchiv Bremen) Mit dem ›Auschwitz- Erlass‹ etwa 300 Sinti und Roma aus Zurückgekehrte Sinti und und dessen rassistische Grund- von 1942 begann schließlich dem Kripoleitstellengebiet Roma wurden nach 1945 unter lage öffentlich an. Dies war ein die Deportation von Sinti und Bremen, das bis nach Vechta unwürdigen Bedingungen erster Erfolg für die damals Roma aus Deutschland und reichte, leitete. untergebracht, wie in Bremen noch junge Bürgerrechtsarbeit ganz Europa nach Auschwitz- ›Etwa gegen 7.00 Uhr mor- auf dem ehemaligen KZ-Au- der deutschen Sinti und Roma. Birkenau ins sogenannte gens wurden meine Mutter, ßenlager Riespott. Den Kampf Heute setzt sich der Zentralrat ›Zigeunerfamilienlager‹. Der eine meiner Schwestern mit um Entschädigung und Ren- Deutscher Sinti und Roma Historiker Michael Zimmer- ihren beiden Kindern und ich tenansprüche beschrieben die mit seinen Landesverbänden mann geht davon aus, dass selbst aus unserer Wohnung überlebenden Sinti und Roma für die Interessen der als natio- sundheitsversorgung bis hin wurden, ist 2017 mit Beteili- insgesamt 22.600 Häftlinge heraus von uniformierten und als eine ›zweite Verfolgung‹. nale Minderheit anerkannte zur offenen Gewaltanwendung. gung aller Opfergruppen ein dorthin deportiert wurden, von mit Karabinern bewaffneten In vielen Fällen bestritten Volksgruppe ein. An die Opfer des Völker- würdiger Gedenkort mit denen 19.300 nicht überlebten. Polizeibeamten verhaftet und Wiedergutmachungsbehörden, Dennoch sind die Sinti und mordes in Nordwestdeutsch- geplantem Dokumentations- Verhaftet und nach zu der Polizeiwache in der dass die Antragsteller aus Roma in Deutschland laut land erinnern heute Gedenk- zentrum entstanden. Auschwitz transportiert wurden Westerstraße gebracht‹, berich- rassistischen Gründen verfolgt Studien auch heute noch die tafeln in Zetel/Friesland, sie von ganz normalem Beam- tet Rudolf Franz von den worden waren. Zur Prüfung am meisten diskriminierte Oldenburg, Bremerhaven sowie ten der dezentralen ›Zigeuner- Ereignissen am 8. März 1943. der Ansprüche leiteten sie An- Bevölkerungsgruppe. Noch in Bremen am Schützenhof dezernate‹, die nach dem Krieg Von dort ging es weiter zum träge an die Kripo weiter, wo schwieriger ist die Lebenssitua- in Gröpelingen und am Kultur- in der Regel ungeschoren Schlachthof auf der Bürger- teilweise frühere Beamte aus tion der Roma in den angeb- zentrum Schlachthof. Am davonkamen. Wie der Krimi- weide. Die Polizisten erzählten den ›Dienststellen für Zigeu- lich ›sicheren Herkunftsstaaten‹ Hannoverschen Bahnhof in nalsekretär des Bremer ›Zigeu- ihnen, man werde sie mit ihren nerfragen‹ als Gutachter saßen. auf dem Balkan und anderen Hamburg, von wo 1940 auch nerdezernats‹ Wilhelm Mün- Familien in Polen neu ansie- Erst 1982 erkannte die Bun- Regionen – vom Vorenthalten Sinti und Roma aus Bremen drath, der die Deportation von deln. desregierung den Völkermord von Bildung, Arbeit und Ge- und Bremerhaven deportiert
DAS STÜCK ROLF BECKER E igentlich soll in der Kesselhalle ein Hip Hop-Konzert statt- finden. Doch Romeo Gitano Gothaer Straße. Die Schule gehört heute zur Oberschule Findorff, dessen Schulchor diese Geschichte, aber auch Gegenwart und Zukunft des Zusammenlebens verbunden. hat ständig die Stimmen seiner sich an dem Projekt beteiligt. Die Musik als gleichberech- Vorfahren im Kopf, die ihm Die Erzählungen der tigtes drittes Element der als Kind erzählt haben, was an Vorfahren, die langsam aus den Inszenierung verkörpert die diesem Ort vor 76 Jahren Erinnerungen auf die Bühne emotionale Seite der Erinne- passiert ist, als die Sinti und drängen, basieren auf histori- rung – sie ist eine eigenständige Roma aus Nordwestdeutsch- schen Dokumenten und Inter- ›Stimme‹, die die Akteure mit land im Bremer Schlachthof views mit Zeitzeugen. der Vergangenheit konfrontiert für die Deportationen in das Über die in der Jetztzeit und die diese im Laufe des Vernichtungslager Auschwitz- angesiedelte Rahmenhandlung Stückes immer mehr in sich Birkenau gesammelt wurden. des Musikers und seiner hineinlassen. Die Musik des Wie die Geschichte der Managerin wird die historische Stückes wurde zum großen Teil In der Konfrontation mit diesen 11-köpfigen Familie des Kraft- Perspektive mit den Fragestel- neu komponiert. Sie greift Erinnerungen versuchen der Musiker fahrers und Musikers Wilhelm lungen der Enkelgeneration an verschiedene Musik-Traditio- Schwarz, die zum Zeitpunkt nen der Sinti und Roma auf, und seine Managerin sich der der Deportation direkt neben enthält aber auch klassische Vergangenheit und deren Auswirkungen dem Schlachthof wohnte, und Momente. zu stellen. von der nur eine Tochter das Vernichtungslager überlebte. Mehrere Kinder der Familie besuchten zum Zeitpunkt der Deportation die Schule an der
QUELLEN der Sprechtexte und Original-Töne MITWIRKENDE Fast alles, was bislang über die ›Als wir das Puppentheater …‹ (Johannes Bamberger; StA Bremen) Darsteller*in: im Stück behandelten Ereignisse (Robert Winter; StA Bremen) ›Ich selbst verblieb zwei Nächte ›Die Verfolgungsmaßnahmen im Schlachthof …,‹ (Rudolf Franz; im März 1943 in Bremen und gegen …‹ (Rudolf Franz; StA Bremen) StA Bremen) Umgebung bekannt ist, stammt ›Auf Befehl des Reichsführers SS …‹ ›Mein Verlobter ist schon im Jahre aus dem 1999 erschienen (Rundbrief zum ›Auschwitz-Erlass‹ 1942 …‹ (Lotte Hallmann; Buch ›Vom Schlachthof nach des Reichsführers SS Heinrich Himmler Hesse/Schreiber) Auschwitz‹ von Hans Hesse und vom 16.12.1942) ›Am nächsten Tag wurden wir …‹ Eines Tages, es kann Ende 1942 …‹ (Ewald Hanstein; aus: Meine hundert Jens Schreiber. (Maria Ayris; StA Bremen) Leben – Erinnerungen eines deutschen Musik: ie dort veröffentlichten Aussagen D ›Der 8. März 1943, ein Tag,‹ Sinto) Sprecher: DARDO BALKE von Überlebenden finden sich (Rudolf Franz; Hesse/Schreiber) ›Auf telefonische Anfrage …‹ ROLF BECKER ENSEMBLE vor allem in Verfahrensakten ›Am 8.3.1934 erschienen gegen …‹ (Meldekarte; StA Bremen) (Julius Dickel; Hesse/Schreiber) ›Ich habe es immer wieder erlebt …‹ v.l.: Maurice Maatz (b), Armando zur ›Wiedergutmachung‹ oder ›Sie standen mit Gewehren vor uns …‹ (Robert Mechau; RL) Balke (p), Dardo Balke (ld, acc, kl), zur Ermittlung gegen den ver- (Originalton von Margot Franz; ›Mein Vater und meine Mutter Jeremy Maatz (git), Rico Franz (v), antwortlichen Kriminalsekretär Quelle: Gröschlerhaus – Jever) waren …‹ (Robert Mechau; RL) Rigo Weiß (v), Richie Balke (v). Wilhelm Mündrath, die im ›Ich bin am 23.9.1926 in Metz …‹ ›Ich spüre, wie sehr …‹ (Ewald Dramaturgie: Bremer Staatsarchiv (StA Bre- (Anna Schwarz; StA Bremen) Hanstein, aus: Meine hundert Leben – CHOR DER OBER- DANY HANDSCHUH men) verwahrt werden. Weitere ›Ich habe im Jahr 1943 in der …‹ Erinnerungen eines deutschen Sinto) SCHULE FINDORFF (Maria Freikowski; StA Bremen) Aussagen hat der Autor des *In ihren Aussagen, die größtenteils aus den Leitung: Daniel Akkermann ›Ich kann bestätigen, dass Stückes (RL) selbst im Staats- Herr Schwarz …‹ (Ruth Thoben; 1950er und 1960er Jahren stammen, (Komposition: archiv recherchiert oder eigenen StA Bremen) bezeichnen sich die Überlebenden häufig als Romeo Gitano: Als ich ein Kind war ...) Interviews mit Nachfahren von ›Die Betten wurden seinerzeit …‹ ›Zigeuner‹. Heute wird diese Bezeichnung von ROMANO HANSTEIN (Maria Freikowski; StA Bremen) den meisten Angehörigen der Minderheit als Überlebenden entnommen. * ›In einem gesonderten Raum wur- diskriminierend abgelehnt, da es sich um eine Jule: ›Als ich ein Kind war …‹ (Philomena den …‹ (Rudolf Franz; Hesse/Schreiber) von Klischees überlagerte Fremdbezeichnung SISSI ZÄNGERLE Franz; aus: Tragen wir einen Blütenzweig ›Die Zustände auf dem Bremer der Mehrheitsgesellschaft handelt. Die Te x t u n d G e s a m t l e i t u n g : im Herzen, so wird sich immer wieder Schlachthof …‹ (Robert Petermann; Durchsetzung der Eigenbezeichnung Sinti und RALF LORENZEN ein Singvogel darauf niederlassen) Hesse/ Schreiber) Roma war ein zentrales Anliegen der ›Abends, wenn wir …‹ (aus: Racke ›Selbstverständlich fragten wir Bürgerrechtsbewegung. ›Sinti‹ bezeichnet die in Malprahl – sprich drüber / Landesverein Mündrath …‹ (Julius Dickel; Mitteleuropa seit dem ausgehenden Mittelalter Komposition und der Sinti Hamburg) Hesse/Schreiber) beheimateten Angehörigen der Minderheit, musikalische Leitung: ›Die Ermordeten sind irgendwo …‹ ›Nach meiner Erinnerung ›Roma‹ jene ost- bzw. süd-osteuropäischer DARDO BALKE (Arnold Weiß; RL) wurden wir …‹ Herkunft.
Veranstalter: Netzwerk Zukunftsgestaltung und seelische Gesundheit e.V. in Kooperation mit Schlachthof Wir bedanken uns für Unterstützung bei: MaroKher – Freundeskreis Freundeskreis der Sinti und Roma in Oldenburg, Geschichtskontor im Kulturhaus Walle, Gröschlerhaus – Zentrum für Jüdische Geschichte und Zeitgeschichte der Region Friesland / Wilhelmshaven, Landesverein der Sinti in Hamburg, Oberschule Findorff, Radio Bremen, Staatsarchiv Bremen, Theater Bremen,Theater im Volkshaus, Hermann Ernst, Philomena Franz, Helmut Hafner, Alexander Hauer, Hans Hesse, Cornelia Kerth, Uwe Lütjen, Robert Mechau, Tobias Pflug, Angela Piplak, Christiane Richers, Menni Christel Schwarz, Arnold Weiß, Jens Werner, allen Mitarbeiterer*innen des Kulturzentrum Schlachthof sowie der Sinti- Vereine in Bremen und Bremerhaven und dem Designbüro Möhlenkamp & Schuldt. Impressum: Texte und Redaktion: Ralf Lorenzen Gestaltung: Designbüro Möhlenkamp & Schuldt Fotos der Mitwirkenden: Margrit Weidenkeller Fotos von Rolf Becker: Joscha Jenneßen Bildquellen Geschichte: Sammlung Menni Christel Schwarz, Hans Hesse Gefördert von: Beirat Findorff Der Senator für Kultur
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