Von der IIZ zu einem umfassenden Arbeitsintegrationsprojekt

Die Seite wird erstellt Dana Albrecht
 
WEITER LESEN
Soziale Sicherheit ⁄ CHSS ⁄ 3 | 2017

Von der IIZ zu einem umfassenden
Arbeitsintegrationsprojekt

Silvia Locatelli,
Laurent Duding; Kanton Neuenburg

Der Kanton Neuenburg weist im schweizerischen Vergleich eine hohe Arbeitslosen- und
­Sozialhilfequote auf. Deshalb hat er eine neue Strategie zur Arbeitsmarktintegration erarbei­
tet, bei der mehrere Institutionen zusammenarbeiten. Die Umsetzung läuft auf Hochtouren.

Der Bund, insbesondere das Seco, und die Empfehlungen                               –– Erfassung und Analyse aller bestehenden Integrations­
verschiedener bereichsrelevanter Konferenzen (SODK und                                 massnahmen
VDK)1 aus dem Jahr 2001 gaben den Anstoss dazu, dass der                            –– Zusammenarbeit mit Unternehmen und Gemeinden. In
Kanton Neuenburg die interinstitutionelle Zusammenarbeit                               Neuenburg wird die kantonale Gesetzgebung im Bereich
(IIZ) bereits vor 15 Jahren zur Priorität erklärte. Seit 2002                          Sozialhilfe von acht regionalen Sozialdiensten umgesetzt,
besteht eine strategische Steuerungsgruppe, die von den                                die auf Gemeindeebene zuständig sind.
Vorstehern der zuständigen Departemente (gemäss damali­
ger Organisation: Volkswirtschafts- und Sozialdepartement)                          Im Verlaufe der Zeit kamen die folgenden Handlungsschwer­
eingerichtet wurde und folgende Aufgaben wahrnimmt:                                 punkte hinzu:
–– Koordination der Programme zur sozialen und berufli­                             –– Konkretisierung des Case-Managements Berufsbildung
   chen Integration                                                                    (Berufsbildungscoaching, seit 2011 mit zuständiger Fach­
                                                                                       stelle, Amt für die Integration von Jugendlichen in die Be­
                                                                                       rufsbildung)
1
    Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK)
    und Konferenz Kantonaler Volkswirtschaftsdirektoren (VDK).

                                                                               19
Soziale Sicherheit ⁄ CHSS ⁄ 3 | 2017

IIZ-Struktur Neuenburg                                                                                                                     G1

                                                                       Staatsrat
                                                                 Politische Steuerung

                                                          Interinstitutionelle Zusammenarbeit
                              Wirtschafts- und                                                         Departemente für Bildung
                        ­S ozialdepartement (DEAS)                                                     und ­F amilienfragen (DEF)

                                                             Steuergruppe IIZ (GP CII)
                                                               Strategische Steuerung

                  Sozialdienst (SASO)                               Gemeinden                            Koordinationsgruppe
                  Kantonales Sozialamt                         Regionale Sozialdienste                   Mandat Steuergruppe IIZ
   IIZ-Netzwerk

                  Arbeitsvermittlung (SEMP)
                                                                                                      Externe Leistungserbringer
                                                                                                      –– Unternehmen (Arbeitsvermittlung)
                  IV-Stelle (OAI)                                                                     –– Integrationsprogramme
                                                                                                      –– Öffentliche Einrichtungen
                  Dienst für nachobligatorische Bildung         Case Management BB                    –– Parastaatliche Einrichtungen
                  und Berufsberatung (OFIJ)                            OFIJ

                  Migrationsdienst (SMIG)

                   Dienst für den multikulturellen                                              IIZ-Partner
                  ­Z usammenhalt (COSM)

   Quelle: Sozialdienst, Neuenburg.

–– Umsetzung des Prozesses für eine systematische und                          Sozialdepartement (Département de l’écononmie et de l’ac­
   ­koordinierte Betreuung von Betroffenen                                     tion sociale, DEAS) und vom Departement für Bildung und
–– Schaffung von Sozialfirmen                                                  Familienfragen (Département de l’éducation et de la famille,
                                                                               DEF) wahrgenommen.
Von Beginn weg bestand das Ziel in einer intensiveren                             Vor dem Hintergrund einer intensiveren Zusammen­
Zusammenarbeit zwischen den Bereichen Beschäftigung                            arbeit zwischen den einzelnen IIZ-Bereichen wurden ver­
(AVIG), Invalidenversicherung (IVG), Sozialhilfe und Migra­                    schiedene Projekte durchgeführt und evaluiert. Dieser Pro­
tion. 2006 stiess die Berufsbildung zur IIZ-Steuergruppe                       zess für mehr Durchlässigkeit zwischen den Institutionen
hinzu – ganz im Sinne der angestrebten Ziele und Möglich­                      erfolgte im Auftrag des Kantonsrats (Regierung) anhand
keiten auf nationaler Ebene.                                                   der zu Beginn jeder Legislaturperiode festgelegten Priori­
   Die derzeitige IIZ-Struktur in Neuenburg ist flexibel                       täten. Bis vor Kurzem hatte diese Entwicklung keine grös­
und schlank. Sie ist in Grafik G1 als Übersicht dargestellt.                   seren Auswirkungen auf die Organisation der betroffenen
Die politische Leitung wird seit 2013 vom Wirtschafts- und                     Bereiche. 2013 dann wurde die Neuausrichtung der Strate­

                                                                          20
SCHWERPUNKT ⁄ Interinstitutionelle Zusammenarbeit (IIZ)

gie zur Unterstützung der Stellensuchenden zur Priorität               chenden und das Gemeinwesen. Dieses neue Phänomen wird
der Neuenburger Regierung.                                             als «Neuenburger Paradox»2 bezeichnet.
                                                                           Der im Frühling 2013 gewählte Staatsrat hat ange­
HINTERGRUND UND NEUE POLITISCHE UND INSTITU­                           sichts dieses Paradoxes entschieden, die Themen Wohl­
TIONELLE DYNAMIK Um die Logik hinter dem schritt­                      stand (Schaffung und Verteilung) und Wirtschaftsentwick­
weisen Wandel der IIZ hin zu einer Neuausrichtung der                  lung in den Fokus seiner Regierungstätigkeit zu rücken.3
Arbeitsintegration besser zu verstehen, ist die berufliche             Noch bevor der Kantonsrat seine Funktion antrat, wurde
Integration im spezifischen Kontext des Kantons Neuen­                 beschlossen, die Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozial­
burg zu betrachten: Die Region bekommt die Konjunktur­                 politik neu innerhalb ein und desselben Departements anzu­
schwankungen aufgrund ihrer starken Ausrichtung auf die                siedeln, dem DEAS.
Exportindustrie immer besonders schnell und deutlich zu                    Im Zuge dessen hat der Kantonsrat im Rahmen der Legis­
spüren.                                                                laturplanung seine Absicht verankert, auf die problema­
   Bereits seit den 1990er-Jahren weist der Kanton Neu­                tischen Tendenzen, die den Kanton belasten, zu reagieren
enburg im schweizweiten Vergleich eine hohe Arbeitslo­                 und das Problem an der Wurzel zu packen. Nicht eine Reduk­
senquote auf. Durch die Wirtschaftskrise 2008 hat sich                 tion der Unterstützungsinstrumente stand im Vordergrund,
die Situation noch verschärft. Die Differenz zwischen der              sondern eine Senkung des Unterstützungsbedarfs der Neu­
schweizerischen und der Neuenburger Arbeitslosenquote                  enburger Bevölkerung. Dazu wurde ein fünfachsiger Hand­
hat sich deutlich erhöht: von + 1 Prozent auf zwischen + 2 Pro­        lungsplan erstellt:
zent und + 2,5 Prozent.                                                –– Anerkennung der Arbeit
   Seither hat sich die Wirtschaft erholt und die Arbeitslo­           –– Prävention von Armut und beruflicher Ausgrenzung
senquote ist zurückgegangen; ausserdem hat sich der Kan­               –– Neuausrichtung der Strategie zur beruflichen Integration
ton Neuenburg bei der Schaffung neuer Stellen als beson­               –– Eindämmung der Sozialkosten
ders innovativ gezeigt. Dennoch konnte die Differenz nicht             –– Missbrauchsbekämpfung
vollständig behoben werden.
   Parallel dazu haben die Berufspendlerinnen und -pend­               Bei der Neuausrichtung der beruflichen Integration geht es
ler im Kanton stark zugenommen. Während die Zahl der                   darum, eine umfassende, kohärente, effiziente und mit der
«Zupendler» (Personen, die ausserhalb des Kantons wohnen               Arbeitswelt vernetzte Begleitung von Stellensuchenden ein­
und zum Arbeiten nach Neuenburg kommen) innerhalb von                  zurichten. Diese Achse steht in direktem Zusammenhang
zwölf Jahren um 115 Prozent gestiegen ist und 2012 bei 20 500          mit einer vorgängig durchgeführten Analyse, anhand derer
Personen lag, hat jene der «Wegpendler» (Neuenburgerin­                bestimmte Auslöser für das Neuenburger Paradox identifi­
nen und Neuenburger, die ausserhalb des Kantons arbeiten)              ziert wurden. Einer der Faktoren ist das Fehlen einer echten,
lediglich um 62 Prozent zugenommen; 2012 lag ihre Zahl bei             integrierten und kohärenten Politik zur beruflichen Integra­
9500 Personen. Die Entwicklung dieser Zahlen – unter dem               tion. Es hat sich gezeigt, dass die kantonalen Einrichtungen
Strich wies der Kanton im Beobachtungsjahr ein Defizit von             und Strukturen zur Betreuung von Stellensuchenden kom­
rund 11 000 Pendlerinnen und Pendlern auf – zeigt klar, dass           plett überarbeitet werden müssen, um die vorherrschenden
Neuenburg in bestimmten Tätigkeitsbereichen an Attrakti­               Tendenzen umzukehren und dem Neuenburger Paradox
vität gewinnt; dazu gehören auch jene, die eine besonders
hohe Arbeitslosenquote verzeichnen.                                    2
                                                                           Vgl. Bericht 15.047_CE des Regierungsrats an den Grossen Rat vom
                                                                           21. Oktober 2015, S. 7 ff. für eine genauere Beschreibung des «Neuen­b urger
   So steht eine starke Beschäftigungs- und Attraktivitäts­
                                                                           Paradox» (Französisch): www.ne.ch > Autorités > Objets > Rapports >
dynamik einer steigenden Zahl an Stellensuchenden gegen­                   15.047_CE.
über, was erhebliche Auswirkungen auf den Kanton hat. Und              3
                                                                           Bei den kantonalen Wahlen im Mai 2017 wurde der bisherige Kantons­
                                                                           rat wiedergewählt. Die 2013 eingeleiteten Neuausrichtungen und
dies sowohl in sozialer Hinsicht für die Betroffenen als auch              die ­R eorganisation der Departemente wird für die Legislaturperiode
aus wirtschaftlicher und finanzieller Sicht für die Stellensu­             2017–2021 beibehalten.

                                                                  21
Soziale Sicherheit ⁄ CHSS ⁄ 3 | 2017

IIZ-Abläufe im Kanton Neuenburg                                                                                                                                                                                                                                                                              G2

     IV-Bezüger/innen; seit über 6 Monaten wieder arbeitsfähig

                                                                                            SFPO
                                                                                            Unterstützung/Betreuung

                                                                                                                            SSR/SASO/SPAJ
                                                                                                                            Unterstützung/Betreuung

                                                                                                                                                            SEMP
                                                                                                                                                            Unterstützung/Betreuung

                                                                                                                                                                                            OFIJ
                                                                                                                                                                                            Unterstützung/Betreuung

                                                                                                                                                                                                                            SPNE
                                                                                                                                                                                                                            Unterstützung/Betreuung

                                                                                                                                                                                                                                                            SMIG
                                                                                                                                                                                                                                                            Unterstützung/Betreuung
         Vorübergehende
        ­I ntegrationsunfähigkeit

     OAI                                                                                                              OAI
                                                                                                                                                                                                                                                                                            Wiederaufnahme
     SSR/SASO/SPAJ
                                                                                                                                                                                                                                                                                             einer
                                                                                                                                                                                                                                                                                              Beschäftigung
     OMAT (ORP)                                                       Abklärung der
                                Prognose 1

                                                Prognose 2

                                                                       ­A rbeitsmarkt-           OMAT (ORP)
                                                                                                                                                                                                                                                                                              Weiter­-
     SMIG                                                             fähigkeit
                                                                                                                                                                                                                                                                                             betreuung
     SPNE
                                                                                                  Unterstützung/Betreuung

                                                                                                                                  Unterstützung/Betreuung

                                                                                                                                                                  Unterstützung/Betreuung

                                                                                                                                                                                                  Unterstützung/Betreuung

                                                                                                                                                                                                                                  Unterstützung/Betreuung

                                                                                                                                                                                                                                                                  Unterstützung/Betreuung
                                                             ­A rbeitsmarktfähigkeit nach
                                                              Ereignis ­b eeinträchtigt
     Vorübergehende
    ­I ntegrationsunfähigkeit
                                                                                                                                                                  SSR/SASO/SPAJ

                                                     Personen, die keine Abklärung der
                                                     Arbeitsmarktfähigkeit benötigen

                                                                                                                                                                                                                                  SPNE
                                                                                                                                                                                                  SMIG
                                                                                                  SFPO

                                                                                                                                                                                                                                                                  OFIJ
                                                                                                                                  OAI

   OAI = Office cantonal de l’assurance-invalidité; Kantonale IV-Stelle                                   SFPO =	Service des formations post-obligatoires et de l’orientation;
   OFIJ =	O ffice de l’insertion des jeunes en formation professionnelle;                                        Dienst für nachobligatorische Bildung und Berufsberatung
           Amt für die Integration Jugendlicher in die Berufsbildung                                      SMIG = Service des migrations; Migrationsdienst
   OMAT = Office du marché de travail; Arbeitsmarktbehörde                                                SPAJ = Service de protection de l’adulte et de la jeunesse; KESB
   ORP = Office régional de placement; Regionale Arbeitsvermittlung (RAV)                                 SPNE = Service pénitentiaire; Strafvollzugsbehörde
   SASO = Service de l’action sociale; Sozialdienst                                                       SSR = Services sociaux régionaux; Regionale Sozialdienste

   Quelle: Wirtschafts- und Sozialdepartement, Neuenburg.

Einhalt zu gebieten. Konkret geht es darum, sich von der                                                  -politik institutionell noch zu stark abgegrenzt sind, was Syn­
fachübergreifenden Logik zahlreicher vielversprechender                                                   ergien, Interaktionen und vor allem die Betreuung von Stellen­
IIZ-Projekte zu lösen und eine Neuausrichtung des gesamten                                                suchenden besonders kompliziert gestaltet. Viel zu oft werden
Unterstützungssystems für Stellensuchende umzusetzen.                                                     Dossiers ohne richtige Koordination von einer Stelle zur ande­
                                                                                                          ren weitergereicht.
FEHLENDE ZUSAMMENARBEIT UND KOORDINATION BEI                                                                 Bereits nach der Wirtschaftskrise 2008 mussten die ganze
DER BERUFLICHEN INTEGRATION Die Analysen aus dem                                                          Energie und sämtliche Kompetenzen des Systems mobilisiert
Jahr 2013 haben gezeigt, dass die Integrationsstrategien und                                              werden, um den Herausforderungen des starken Wettbewerbs

                                                                                             22
SCHWERPUNKT ⁄ Interinstitutionelle Zusammenarbeit (IIZ)

unter Stellensuchenden und der raschen Entwicklung des                   BEREICHSLOGIK ÜBERWINDEN Die in Zusammenarbeit
Arbeitsmarkts zu begegnen. Die damaligen Gegebenheiten                   mit sämtlichen Partnern aus dem Beschäftigungs- und Integ­
(defizitärer Finanzhaushalt, personelle Wechsel in der poli­             rationsbereich erarbeitete neue Strategie vereint alle für die
tischen und operativen Führung, insbesondere im Amt für                  Beratung und Unterstützung von Stellensuchenden zustän­
Arbeit) machten es allerdings schwierig, die erwünschte Stra­            digen Dienste und steht unter der Leitung des DEAS. Die
tegie umzusetzen.                                                        Strategie basiert auf den folgenden drei Schlüsselprinzipien:
    So musste das Amt für Arbeit seine Tätigkeit angesichts              –– Einheitlicher Ansatz, ausgerichtet auf die Fähigkeiten und
der Anforderungen des Seco neu organisieren; das Seco hatte                 Bedürfnisse der Stellensuchenden (Arbeitsmarktfähig­
die Betreuung der von der Arbeitslosenversicherung entschä­                 keit) und nicht auf ihren Status oder auf die Stelle, über
digten Stellensuchenden zuvor als unzureichend erachtet. Die                die sie ins System eingetreten sind
Umstrukturierung war allerdings einzig auf das Zielpublikum              –– Verstärkte Mobilisierung der Arbeitgeber dank einfache­
des Amtes für Arbeit ausgerichtet. Die Koordination mit ande­               rer Abläufe und klarerer Rollen der einzelnen Dienste
ren Diensten des Systems (Sozialhilfe, Migration, Invalidenversi­        –– Fokussierung der Dienste auf ihr Kerngeschäft und Aufwer­
cherung, Berufsbildung) wurde nicht wie gewünscht verbessert.               tung ihrer Kompetenzen in einem koordinierten Rahmen
    Diese fehlende Koordination wirkte sich auf die Wiederein­
gliederungsquote zahlreicher Personen aus, die in diesem Zeit­           Basierend auf zwei gleich wichtigen Säulen – der Stärkung
raum arbeitslos wurden, was einen Dominoeffekt zur Folge                 der Partnerschaft mit den Arbeitgebern («New Deal pour
hatte und die Zahl der Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger in           l’emploi») und der Neuausrichtung des Unterstützungssys­
die Höhe schnellen liess. Verschärft hat sich die Situation zudem        tems – zeichnet sich die neue Strategie durch eine instituti­
durch die im Rahmen der Bundesgesetzgebung (4. AVIG-Revi­                onelle und fachübergreifende Logik aus. Schematisch lässt
sion und IVG-Revisionen) beschlossenen Einschränkungen.                  sie sich wie folgt darstellen (vgl. Grafik G2):
    Während dieser Phase äusserten die Integrationsakteure                   Der Pfeil in der Mitte zeigt den Verlauf des oder der Stel­
den Wunsch nach Lösungen über die interinstitutionelle                   lensuchenden vom Eintritt ins System bis zur Rückkehr in
Zusammenarbeit. Sie waren sich der grossen Hindernisse                   den Arbeitsmarkt. Die dunkelroten Stellen entsprechen den
bewusst, die die fehlende Koordination für die Arbeitsintegra­           Abläufen, die alle Einheiten vereinheitlicht haben. Die seitli­
tion darstellte. In Anbetracht der Neuenburger Ausgangslage              chen Pfeile stehen für die Zusammenarbeit mit den zuständi­
kann die Arbeit in diesem Rahmen durchaus als beispielhaft               gen Stellen, wenn dies erforderlich ist – auch wenn die Fach­
bezeichnet werden: Der IIZ gelang es, zwischen den verschie­             stelle Arbeitsmarkt (OMAT) bzw. das RAV oder die IV-Stelle
denen Stellen einen Dialog herzustellen und nachhaltig zu                für das Dossier zuständig ist.
verankern, einen Teil der Massnahmen zu koordinieren (jene,
die den Bedürfnissen mehrerer Bereiche entsprachen) und ein              DIE VORTEILE DES NEUEN ANSATZES IM ÜBERBLICK:
Projekt zur koordinierten Begleitung sogenannt «komplexer»               –– Einheitliche Abläufe: Die Rolle jedes Dienstes ist klar, die
Fälle durchzuführen (Dossiers mit Mehrfachproblematik, die                  Arbeitsvermittlung (Service de l’emploi, SEMP) und die IV
mehrere Partner betreffen). Es handelt sich um das Pilotpro­                (für IV-Fälle) sind die einzigen Kompetenzzentren für die
jekt IIZ-Netzwerk (vgl. Grafik G1).                                         berufliche Integration.
    Im Rahmen der Arbeiten zur neuen Arbeitsintegrations­                –– Klare Leitung: Jede Etappe erfolgt unter der Leitung ei­
strategie kamen indes grosse Probleme bei der Fallbetreu­                   nes einzigen Dienstes, auch wenn ein zweiter Dienst her­
ung von Stellensuchenden zum Vorschein. Es zeigte sich, dass                angezogen wird.
man von der bisherigen institutionellen Logik völlig loskom­             –– Strukturierte Abläufe: Die Stellensuchenden sind über
men musste. Die angestrebte Reform setzt somit auf eine Neu­                ­ihre Situation auf dem Laufenden, die Ziele sind realistisch
ausrichtung der Fallbetreuung für Stellensuchende in ihrer                   gesetzt, um den nächsten Schritt zu erreichen.
Gesamtheit. Pilotprojekte zu einzelnen, isolierten Bereichen             –– Transparente Abläufe: Alle Dienste, welche die Stellensu­
gehören der Vergangenheit an.                                                chenden schon durchlaufen haben (Verlauf), werden in ei­

                                                                    23
SCHWERPUNKT ⁄ Interinstitutionelle Zusammenarbeit (IIZ)

   nem persönlichen Integrationsdossier ausführlich doku­             zu verankern. Dazu muss ihr Auftrag im Hinblick auf die
   mentiert.                                                          getroffenen Entscheide und den kantonalen Kontext über­
–– Strategische Führung: Dank eines umfassenden Monitorings           dacht werden.
   kann der Einsatz von Mitteln optimiert werden, vor allem               Konkret soll die IIZ-Steuergruppe, die seit 15 Jahren
   im Hinblick auf die kontinuierliche Verbesserung und die           besteht, für die Politik der sozialen und beruflichen Inte­
   Anpassung (hauptsächlich) an das wirtschaftliche Umfeld.           gration zu einer Plattform für Vorschläge im weiteren Sinn
                                                                      werden. Die Zielgruppe der «jungen» Stellensuchenden
Der Neuenburger Grosse Rat (Kantonsparlament) hat der                 könnte ein Kernthema dieser Struktur werden. Dazu gehö­
neuen Strategie im Frühling 2016 mit grosser Mehrheit zuge­           ren auch spät zugewanderte Jugendliche. Die neue IIZ-Struk­
stimmt. Die Umsetzungsarbeiten sind angelaufen und haben              tur soll nicht mehr für die Projektlancierung und -steuerung
erhebliche Auswirkungen auf das Amt für Arbeit, das den Eck­          zuständig sein, sondern über die federführenden Departe­
pfeiler des neuen Systems bildet. Die institutionellen Folgen         mente (DEF und DEAS) konkrete Anliegen sowie Verbesse­
sind weitreichend. Sie beinhalten eine grundlegende Umstruk­          rungs- und Umgestaltungsvorschläge für den Kantonsrat
turierung des Amts für Arbeit, die per 1. Mai 2017 vollzogen          vorbringen. In die Überlegungen zur IIZ-Plattform fällt auch
wurde. Das Amt für Arbeit ist neu in zwei Dienste geglie­             die Problematik von Personen, die dem Arbeitsmarkt vor­
dert: die Arbeitsmarktbehörde (Office du marché du travail,           übergehend oder dauerhaft fernbleiben. Mit der IIZ-Platt­
OMAT) und das Amt für Arbeitsbeziehungen und -bedingun­               form wird es möglich sein, die Zusammenarbeit mit den nati­
gen (Office des relations et des conditions de travail, ORCT).        onalen IIZ-Organen aufrechtzuerhalten und auszubauen.
Die Integrationspolitik fällt vor allem in die Zuständigkeit              Ausserdem wird die IIZ aufgrund eines 2017 erstmals
der Arbeitsmarktbehörde OMAT, die sich aus zwei Bereichen             durchgeführten Ausbildungsmoduls Hilfe für die Fachmit­
zusammensetzt: «ProEmployeurs» und «ProEmployés-ORP».                 arbeitenden anbieten können, um die fachübergreifende
   Im Verlauf des Jahres 2017 wird die Reform «SEMP 2020»             Arbeitslogik schrittweise in eine interinstitutionelle Zusam­
umgesetzt. Sobald dieser Prozess abgeschlossen ist, wer­              menarbeit umzuwandeln. Die neue Strategie zur beruflichen
den Anpassungen bei den anderen Partnern vorgenommen.                 Integration bringt eine Weiterentwicklung der Arbeitskul­
Hiervon betroffen sind insbesondere die Sozialhilfe (kanto­           tur mit sich. Es werden fachübergreifende Abläufe geschaf­
nales Sozialamt und regionale Sozialdienste) und die Inva­            fen, um die einzelnen Bereiche des Systems nicht mehr von­
lidenversicherung (IV-Stelle). Dem oben stehenden Schema              einander abzugrenzen. Das konkrete Tätigkeitsfeld der IIZ
zufolge werden auch die Bereiche Migration und Strafvoll­             wird demnächst von der Neuenburger Regierung festgelegt.
zug sowie die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde ihre               Mit Sicherheit wird die IIZ ihren Teil zum Aufbau des neuen
Abläufe überarbeiten und gemäss dem Willen des Gesetz­                Systems zur Eingliederung von Stellensuchenden beitragen,
gebers anpassen müssen. Die Teams dazu zu bringen, bei                sei es auch nur durch das Einbringen ihrer fundierten Kennt­
bestimmten Dossiers über noch auszubauende oder noch zu               nisse oder ihre Kontakte zu den betroffenen Akteuren.
schaffende Schnittstellen fachübergreifend zusammenzuar­
beiten, wird viel Begleitarbeit erfordern.
                                                                                           Silvia Locatelli
EINBINDUNG DER IIZ IN DIE NEUE INTEGRATIONS­                                               Projektleiterin im Generalsekretariat des Wirt-
                                                                                           schafts- und Sozialdepartements (Département de
STRATEGIE Nach den 2013 eingeleiteten Neuausrichtun­                                       l’économie et de l’action sociale, DEAS), Kanton
gen steht die IIZ im Kanton Neuenburg an einem Scheide­                                    Neuenburg.
                                                                                           silvia.locatelli@ne.ch
weg. Die Umsetzung der neuen Integrationsstrategie unter
                                                                                           Laurent Duding
der Leitung des DEAS erfolgt über Ad-hoc-Organe und nicht                                  Wissenschaftlicher Mitarbeiter und kantonaler
im Rahmen der IIZ. Parallel dazu laufen Anstrengungen, um                                  IIZ-Koordinator, Sozialdienst Kanton Neuenburg.
                                                                                           laurent.duding@ne.ch
die Rollen und Aufgaben der bestehenden Arbeitsgruppen
zu klären. Das Ziel ist es, die IIZ-Steuergruppe langfristig

                                                                 24
Sie können auch lesen