Von der scheinbaren Trivialität psychologischen Wissens

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Von der scheinbaren Trivialität psychologischen Wissens

Eszter Monigl* & Hartmut Neuf**
* Johannes Gutenberg-Universiät Mainz, Psychologisches Institut
** Justus-Liebig-Universität Gießen, Kognitionsforschung

Zusammenfassung
Im Zusammenhang mit psychologischen Themen bemerken Laien oft, dass viele Erkenntnisse ihnen eigentlich trivi-
al vorkommen. Die vorliegende experimentelle Untersuchung geht der Grundfrage systematisch nach, ob eine gewis-
se „Trivialität psychologischen Wissens“ tatsächlich feststellbar ist und von welchen Faktoren es abhängt, wann der
Psychologe gegenüber dem Laien einen deutlichen Wissensvorsprung hat. Mittels eines objektiven Leistungstests, der
zentrale Experimente aus verschiedenen Bereichen der wissenschaftlichen Psychologie als Multiple-Choice-Aufgaben
anbot, konnte unter der Teilnahme von 42 Laien und 35 Psychologen gezeigt werden, dass Laien zwar bemerkenswert
viele Aufgaben richtig lösen, jedoch Psychologen generell bessere Leistungen erzielen. Psychologen sind Laien immer
dann deutlich überlegen, wenn die psychologischen Erkenntnisse dem Alltagsempfinden widersprechen und wenn die
Antwortalternativen mit scheinbar plausiblen Erklärungen versehen sind. Insgesamt sprechen diese Ergebnisse für die
Leistungsüberlegenheit der Psychologen und gegen eine angebliche durchgehende Trivialität psychologischer Erkennt-
nisse.

Schlüsselwörter
Trivialität – psychologische Erkenntnisse – Laien – Experten

Abstract
When it comes to issues in psychology, laypersons often consider scientific findings as obvious or rather trivial. This
experimental study systematically investigates the basic question if a kind of „triviality of psychological knowledge“ is in-
deed notable and what factors determine if a trained psychologist has a substantial or a small advantage in psychological
knowledge over a layperson. In a sample of n = 42 laypersons and n = 35 trained psychologist, an objective knowledge test
which contained multiple-choice-items on core experiments from different areas of psychology was administered; it could
be shown that laypeople arrive at a remarkably high number of correct answers, but that, in general, trained psychologists
outperformed them by a large margin. Trained psychologists have a clear advantage in particular in those cases when the
scientific findings contradict everyday intuition and when multiple-choice options are presented together with plausible
explanations. Overall, results indicate an advantage for trained psychologists and fail to support the presumption that
psychological findings are supposedly mainly trivial.

Keywords
Triviality – psychological knowledge – laypersons – experts

 2013 – innsbruck university press, Innsbruck
 Journal Psychologie des Alltagshandelns / Psychology of Everyday Activity, Vol. 6 / No. 2, ISSN 1998-9970
Trivialität psychologischen Wissens                                                                                             5

1    Einleitung                                                    nach Holz-Ebeling, 1989b). Wenn Laien psychologi-
                                                                   sche Erkenntnisse als bereits bekannt wahrnehmen,
Wenn psychologische Forschungsergebnisse berichtet                 liegt es nach Ansicht der Autorin auch daran, dass psy-
werden, reagieren Nicht-Psychologen (im Folgenden                  chologische Fragestellungen ihren Ursprung häufiger
„Laien“ genannt) oftmals mit der eher abschätzigen                 als bei vielen anderen Wissensgebieten im Alltagswis-
Bemerkung, dass sie dies ohnehin schon vorher ge-                  sen haben (Holz-Ebeling, 1989a).
wusst hätten. Beispielhaft ist dazu ein Leserkommen-
tar mit dem Titel „Erhellend“ in einer Onlinezeitung in            Alltagspsychologie
Bezug auf einen psychologischen Artikel1 über die Re-
aktion von Menschen auf Umfragezahlen: „Wow, was                   Psychologisches Alltagswissen wird meist in informel-
für eine erhellende Erkenntnis! Dafür braucht man                  len, sozialen Prozessen erworben (z. B. in Erziehungs-
(…) nur ein bisschen gesunden Menschenverstand“.                   situationen) und seine Qualität und Menge ist interin-
     Um unseren Alltag erfolgreich bewältigen zu                   dividuell sehr unterschiedlich verteilt. Unabdingbare
können, sind wir darauf angewiesen, uns selbst zu                  Elemente alltagspsychologischer Interpretationen
kennen und zugleich die Reaktionen anderer mög-                    sind die Theory of Mind und das Konzept der Überzeu-
lichst genau wahrzunehmen, zu interpretieren und                   gung (Sodian, 1995). Die Theory of Mind bezeichnet
vorherzusagen (Forgas, 1994). Dies hat zur Folge, dass             die Fähigkeit, sich selbst und anderen Personen men-
Laien hinsichtlich psychologischer Themen über ein                 tale Zustände zuzuschreiben und somit beispielsweise
recht ausgeprägtes Vorwissen verfügen. Erreicht aber               Absichten oder Gefühlen anderer zu vermuten. Da-
dieses Wissen die Zuverlässigkeit und Vollständigkeit              durch wird ein Mensch auch befähigt das Verhalten
des psychologischen Wissens von Experten? Mit dieser               anderer interpretieren bzw. vorhersagen zu können
Frage beschäftigt sich die vorliegende experimentel-               (Sodian, 1995). Das Konzept der Überzeugung bezieht
le Studie, indem sie die Vorhersageleistung von Laien              sich auf die Annahme, dass sich jemand in einem fal-
und Psychologen systematisch an prototypischen psy-                schen Glauben über einen Sachverhalt befinden kann
chologischen Erkenntnissen verschiedenster Bereiche                und ermöglicht, Handlungsvorhersagen abhängig von
untersucht.                                                        der Überzeugung einer Person und nicht nur aufgrund
                                                                   der Umstände zu treffen.
Die Einstellung der Laien gegenüber der Psychologie                    Wichtige Quellen alltagspsychologischen Wissens
ist häufig zwiespältig. In bestimmten Bereichen, wie               bilden die unmittelbar verfügbaren wie auch im Nach-
beispielsweise der diagnostischen Urteilsbildung oder              denken reflektierten Erfahrungen. Der Erwerb dieses
Intelligenzmessung wird der Psychologie weitgehen-                 Wissens hat weniger mit Wissenslust als vielmehr mit
de Autorität zugeschrieben, dagegen werden ihre For-               lebenspraktischen Zwecken zu tun und sein Inhalt ist
schungserkenntnisse oft als trivial bewertet. Häufig               überwiegend mit Bedingungen assoziiert (Schneewind,
wird der Psychologie auch vorgeworfen, dass sie tri-               1992). Dieses Bedingungswissen umfasst Annahmen
viale Weisheiten nur kompliziert ausdrücke (Forgas,                über Ursache-Wirkungs-Beziehungen und ist deshalb
1994; Holz-Ebeling, 1989a). Trivial bedeutet in Bezug              eine essentielle Voraussetzung für Verhaltenserklä-
auf psychologische Erkenntnisse so viel, dass diese                rungen und -antizipationen, garantiert allerdings noch
schon bekannte bzw. nicht außergewöhnliche Inhalte                 nicht deren Richtigkeit (vgl. Wenn-Dann-Relationen
vermitteln.                                                        bei Knauff, 2006). Folglich ist eine alltagsperspektivi-
     Nach Bischof (2008) kann das Nicht-Erkennen                   sche Anschauung und Meinungsbildung zu zahlreichen
des Neuigkeitswerts von psychologischen Erkennt-                   Themenbereichen (z. B. zu den Ursachen von Prü­
nissen teilweise darin begründet sein, dass diese für              fungsangst) meistens entweder schon von vornherein
den Alltagsmenschen häufig sehr spezifisch und des-                gegeben oder wird erleichtert (Holz-Ebeling, 1989a).
halb von geringer Relevanz sind. Als weitere Erklä-                Dadurch ist zwar die Alltagspsychologie des Laien häu-
rung kann auch die geringe Transparenz und unzu-                   fig sehr leistungsfähig, jedoch ist dieses Wissen unsys-
reichende Kommunikation wissenschaftlicher Effi-                   tematisch und überwiegend implizit (Forgas, 1994).
zienz in Betracht gezogen werden. Für Holz-Ebeling                     Die wissenschaftliche Psychologie unterscheidet
(1989b) ist der Vorwurf der Trivialität aus der angeb-             sich von der Alltagspsychologie in der Vorgehenswei-
lichen oder tatsächlich guten Prognostizierbarkeit                 se, d. h. in der Art und Weise ihrer Beobachtungen, Be-
von Forschungsergebnissen herzuleiten. In diesem                   schreibungen, Erklärungen und Vorhersagen (Perrig
Zusammenhang verweist sie auf Tendenzen zur Über-                  & Groner, 1992). Über das Wissensverhältnis zwischen
schätzung der eigenen prognostischen Fähigkeit wie                 Laien und Psychologen liegen bislang keine Erkennt-
beispielsweise des hindsight bias (Fischhoff, 1975; zit.           nisse vor.

1
    Leserkommentar – Erhellend zum Artikel „Umfragen beeinflussen die Wähler“. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.interview-
    mit-hans-peter-erb-umfragen-beeinflussen-die-waehler.a2c41538-65f8-43d2-b5cf-82fd829e21d3.html?page=1 (26.3.11)
6                                                                                            E. Monigl & H. Neuf

Expertenwissen und Alltagswissen                            Studierenden durch. Zur Operationalisierung des
                                                            Konstrukts Psychologisches Wissen wurden Aufgaben
Die eigentliche Unterscheidung zwischen Exper-              entwickelt, in der die Teilnehmer zu geschilderten
ten und Laien ist immer gegenstandsbezogen, d.h.            sozialpsychologischen Untersuchungssituationen ihre
jeder Mensch kann auf wenigen Gebieten Experte              Prognose abgeben und dazu jeweils ihre Überlegun-
und gleichzeitig auf vielen Gebieten Laie sein (Flick,      gen protokollieren mussten. Der Anteil richtiger Pro-
1995). In der Definition „Personen, die in einem ein-       gnosen lag bei fast allen Situationen unter oder um
zelnen Sachgebiet längerfristig mehr Aufgaben auf hö-       50 %. Insgesamt zeigen die Ergebnisse eine geringe
herem Niveau mit geringerem Aufwand erledigen als           Übereinstimmung zwischen den Prognosen und ver-
der Durchschnitt, gelten üblicherweise als Experten“        deutlichen, dass die den Vorhersagen zugrundeliegen-
(Krems, 1994, S. 9) werden zwei Bestimmungsgrößen           den subjektiven Theorien sehr unterschiedlich sind.
berücksichtigt: Überdurchschnittliche Aufgabenerle-              Obgleich die Ergebnisse Holz-Ebelings Untersu-
digung mit einem unterdurchschnittlichen Aufwand            chung (1989b) für die Psychologie als „beruhigend“
(Zeit, Kosten, Fehlerquote). Experten gehen mit ih-         erscheinen, bleibt es weiterhin unklar, ob Psycholo-
ren Ressourcen ökonomischer um, so dass sie deshalb         gen – als ausgewiesene Experten der Psychologie – tat-
auch über mehr freie Kapazitäten verfügen (Büssing,         sächlich deutlich mehr wissen als Laien. Aus diesem
Herbig & Ewert, 2001). Sie sind fähig Regeln so zu be-      Grund werden in der vorliegenden Untersuchung fol-
herrschen, dass sie Situationen identifizieren können,      gende Fragestellungen verfolgt: a) Ist psychologisches
in denen ihre Anwendung nicht angemessen (Dreyfus           Wissen tatsächlich trivial, d. h. können Laien psycho-
& Dreyfus, 1986 zit. n. Büssing, Herbig & Ewert, 2001)      logische Erkenntnisse ähnlich gut prognostizieren wie
ist und die richtige Lösung – aus der Sicht der Laien –     Psychologen? b) Von welchen Faktoren ist es abhän-
eher kontraintuitiv erscheint.                              gig, wann der Psychologe gegenüber dem Laien einen
     Im Unterschied zum Alltagswissen der Laien bil-        deutlichen oder einen nur geringen Wissensvorsprung
det sich das Expertenwissen durch ein spezifisches,         hat?
informations- und feedbackreiches Zusammenspiel                  Unter Berücksichtigung, dass Alltagswissen mit
von Praxis und Theorie (Deliberate Practice; Erics-         Bedingungen assoziiert (Schneewind, 1992), weniger
son, Krampe & Tesch-Römer, 1993) sowie durch eine           explizit und meistens nur in der Anwendung erkenn-
sich dann ergebende differenziertere Wissensstruktur        bar ist (Holz-Ebeling, 1989a), wollen wir in unserem
(Büssing, Herbig & Ewert, 2001).                            Experiment das implizite psychologische Wissen –
     Für die zutreffende Erklärung oder Vorhersage          ohne Fachbegriffe – bei konkreten Verhaltensvorher-
menschlichen Verhaltens sind korrekte Schlüsse aus          sagen für bestimmte Situationen testen.
der Relation zwischen Voraussetzung und Konsequenz
wesentlich (vgl. konditionales Schließen; Knauff, 2006).    Hypothesen
Laien machen hier erheblich mehr Fehler als Exper-
ten. Dies liegt vermutlich daran, dass eine „unerlaub-      1. Insgesamt erreichen Psychologen bessere Leistungen
te“ Umkehrung der Relation eine erhebliche Verein-          in der Vorhersage experimenteller Ergebnisse als Laien.
fachung der Schlussfolgerung ermöglicht und in den          Diese ihrerseits zunächst trivial anmutende Annahme,
meisten Alltagssituationen nicht widerlegt wird. Die        dass Psychologen die Resultate von Experimenten bes-
Tendenz zur Verifikation und zur bikonditionalen In-        ser prognostizieren können, ist vor dem Hintergrund
terpretation konditionaler Aussagen nimmt allerdings        des Psychologiestudiums wahrscheinlich, aber nicht
ab, wenn diese nicht abstrakt, sondern inhaltlich kon-      zwingend, zumal Laien genau dies ja häufig in Zweifel
kret abgefasst sind (Hussy, 1986).                          ziehen.
     Eine weitere Form der Informationsverarbeitung,
die psychologische Experten effizient nutzen können,        Die zweite Forschungsfrage bezieht sich auf die Aufga-
ist der Perspektivenwechsel, d. h. die Rekonstruktion       benmerkmale, die eine leichte oder schwere Prognos-
einer Situation oder eines Gefühlszustands anderer          tizierbarkeit psychologischer Erkenntnisse bewirken
Personen mit der eigenen Person als Protagonist, wie        können. In Bezug auf die vorangegangen dargestellten
sie insbesondere der klinische Psychologe trainieren        Charakteristiken des Laien- und Expertenwissen wur-
kann (Neuf, 1997).                                          den drei mögliche Einflussfaktoren definiert und dazu
                                                            folgende Annahmen formuliert.
Wie ist die Trivialität psychologischen Wissens überprüf-
bar?                                                        2. Der Leistungsvorteil der Psychologen ist größer bei
                                                            kontraintuitiven als bei intuitiven psychologischen Er-
Eine besonders anschauliche Studie zu der tatsächli-        kenntnissen. Da Alltagspsychologie weniger explizit
chen Vorhersagbarkeit von Forschungsergebnissen             und stärker an situative Bedingungen gekoppelt ist
führte Holz-Ebeling (1989a, 1989b) mit Schülern und         (Schneewind, 1992) als die wissenschaftliche Psycho-
Trivialität psychologischen Wissens                                                                                 7

logie, werden Vorhersagen aus Mangel an Strategien          den vorgegebenen Alternativen auswählen. Die Dis-
und / oder Informationen häufig intuitiv getroffen.         traktoren wurden anhand der Kombinationsmöglich-
Intuitivität bezieht sich in dem vorliegenden Kontext       keiten zwischen den in den Experimenten untersuch-
darauf, ob eine korrekte Vorhersage, ohne spezifische       ten Variablen entwickelt. Mit diesem Aufgabenformat
Wissensvoraussetzungen, also durch Laien, meistens          war es zudem möglich, die zu untersuchenden Ein-
möglich ist oder nicht.                                     flussbedingungen in einem bearbeitungs- und aus-
                                                            wertungsökonomischen Modus zu operationalisieren.
3. Der Leistungsvorteil der Psychologen ist größer bei      Für jeden Einflussfaktor wurden zwei Ausprägungs-
psychologischen Erkenntnissen auf Basis komplexer           stufen definiert:
Situationen (d. h. das experimentelle Design umfasst
mehr als eine unabhängige Variable). Hinsichtlich die-      1. Intuitivität der Prognosen: Der empirisch gesicherte
ser Bedingung sind für die Vorhersageleistung neben         Befund ist alltagspsychologisch nahe liegend (intuiti-
Fachkenntnissen der flexible Einsatz von verschie-          ves Item) oder nicht (kontraintuitives Item). Um bei
denen Lösungsstrategien (Büssing, Herbig & Ewert,           der Itemselektion auf eine ausreichende Besetzung
2001), schlussfolgerndes Denken (Knauff, 2006) und          der Faktorstufe intuitiv achten zu können, wurde jedes
Perspektivenwechsel-Fähigkeit (Neuf, 2007) von Be-          Item von zwei unbeteiligten Experten auf einer zehn-
deutung.                                                    stufigen Ratingskala hinsichtlich seiner Intuitivität be-
                                                            wertet. Eine empirisch fundierte Einstufung der Items
4. Der Leistungsvorteil der Psychologen ist größer, wenn    erfolgte später anhand der Itemschwierigkeit.
die Ergebnisalternativen eines Experiments scheinbar
plausibel erklärt werden und somit mehrere Stand-           2. Komplexität der Situationen: Dieser Faktor bezieht
punkte gleichzeitig als möglich erscheinen. Überzeu-        sich auf die Vielschichtigkeit der geschilderten Situ-
gende Erklärungen zu einer Situation können die pro-        ationen und wurde im PSIT durch die Beschreibung
gnostischen Urteile in ihrer Tendenz verstärken, wenn       von Experimenten mit einer unabhängigen Variablen
das Wissen (explizit oder implizit) stabil ist, aber auch   (einfaches Item) und mit zwei unabhängigen Variab-
verunsichern, wenn die benötigten Kenntnisse fehlen         len (komplexes Item) operationalisiert. Infolgedessen
oder labil sind. Die Kompetenz, zu erkennen, ob eine        wurden die einfachen Items mit drei und die komple-
Erklärung Regeln beschreibt, die für die zu beurteilen-     xen Items mit fünf Antwortalternativen dargeboten.
de Situation gültig ist oder nicht (Dreyfus & Dreyfus,
1986 zit. n. Büssing, Herbig & Ewert, 2001), kann die       3. Erklärung: Die Antwortalternativen eines Items
Prognose positiv oder negativ beeinflussen.                 wurden mit einem scheinbar plausiblen Satz begrün-
                                                            det (mit Erklärung) oder nicht begründet (ohne Er-
                                                            klärung) vorgelegt. Ein einfaches, intuitives Item mit
2    Methode                                                Erklärung zeigt Abbildung 1.

Entwicklung des Untersuchungsmaterials                      Patienten, denen eine Operation bevorsteht, werden be-
                                                            fragt und beobachtet, mit wem sie den Abend vor dem
Zur Operationalisierung des psychologischen Wissens         Eingriff lieber verbringen würden bzw. tatsächlich ver-
von Erwachsenen als abhängige Variable wurde der            bringen.
standardisierte Psychologische Situationstest (PSIT;
Monigl, 2002) entwickelt. Um die Testfairness und           Was werden die meisten Patienten antworten bzw. mit
die Validität des Tests zu gewährleisten, wurde bei         wem verbringen sie den Abend vor der Operation?
der Konstruktion auf Fachtermini verzichtet. Als Test-
grundlage wurden, in Anlehnung an Holz-Ebelings             a)   Mit einer Person, die die Operation noch vor sich
Untersuchungsmethode (1989b), wissenschaftlich                   hat.
anerkannte experimentelle Untersuchungen aus ver-                Erklärung: Sie suchen Verständnis für ihre Ängste.
schiedenen psychologischen Bereichen (z. B. Sozial-         b)   Mit einer Person, die die Operation bereits hinter
psychologie-, Allgemeine Psychologie) berücksichtigt.            sich hat.
Dazu wurden zunächst 47 Experimente aus verschie-                Erklärung: Sie suchen zuverlässige Informationen
denen psychologischen Bereichen ausgewählt, die für              über die „Bedrohung“.
den Laien thematisch nachvollziehbar waren und kei-         c)   Überwiegend alleine.
ne Erklärung, sondern einen Effektnachweis verlang-              Erklärung: Sie wollen zusätzliche Ängste vermei-
ten. Jedes Experiment wurde als alltagsnahe Situation            den.
beschrieben und in Form einer Multiple-Choice-Auf-
gabe dargestellt. Die Teilnehmer sollten die richtige       Abbildung 1: Einfaches intuitives Item mit Erklärung.
Prognose – also das Ergebnis des Experiments – aus
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Die Einflussfaktoren Intuitivität und Komplexität wur-        die Itemselektion waren der Inhalt des Experiments,
den als Within-Faktor variiert. Alle Items sind jeweils       die Komplexität und die Intuitivität der Items sowie
einer Ausprägungsform der beiden Within-Faktoren              ein Probetest mit je zwei, an der Untersuchung nicht
und somit zwei Bedingungen zugeordnet.                        beteiligten Laien und Experten ausschlaggebend. Un-
     Angesichts der Anzahl der zu manipulierenden             ter Berücksichtigung der erforderlichen Variabilität
unabhängigen Variablen und der erhöhten Ratewahr-             innerhalb der intraindividuellen Faktorstufen und der
scheinlichkeit waren zur Überprüfung der Hypothesen           Bearbeitungszeit wurden insgesamt 27 Aufgaben in
etwa 30 Items erforderlich (Lienert & Raatz, 1998). Für       die Endversion des PSIT übernommen.

Tabelle 1: Überblick der für den PSIT ausgewählten experimentellen Untersuchungen.

    Themenbereich des Experiments                 Literatur

      intuitiv – einfach
    Soziale Vergleiche – Informationssuche        Kulik & Mahler, 1989; Stroebe, Hewstone & Stephenson, 1996
    Ankereffekte                                  Kahneman & Tversky, 1974; Hussy, 1998
    Erklärung der Mondtäuschung                   Rock & Kaufmann, 1962; Guski, 1996
    Reaktionen von Hilfeempfängern                Gergen, Ellsworth, Maslach, & Seipel, 1975; Herkner, 1991
    Erwartungsbedingte Verzerrungen               Rosenthal & Jacobson, 1968; Forgas, 1994
    Erwartete Ereignisfolgen                      Owens, Bower & Black, 1970; Forgas, 1994
    Interpretation erhöhter Aktivierung           Dutton & Aron, 1974; Herkner, 1991
    Objektive Selbstaufmerksamkeit                Diener & Wallbom, 1976; Herkner, 1991

      intuitiv – komplex
    Soziale Wahrnehmung und Stimmung              Forgas, Bower & Krantz, 1984; Forgas, 1994
    Einfluss des Kodierungskontextes              Eich, Weingartner, Stillman & Gillin, 1975; Anderson, 1989
    Kompetenz und Anziehung                       Aronson, Willermann & Floyd, 1966; Forgas, 1994

      kontraintuitiv – einfach
    Reaktanz                                      Brehm, 1966; Kroeber-Riel & Weinberg, 1996
    Expertenwissen                                Charness, 1976; Anderson, 1989
    Ereignishäufigkeit und Stimmung               Stone, 1987; Schmidt-Atzert, 1996
    Angstauslösende Mitteilungen                  Janis & Fesbach, 1954; Herkner, 1991
    Emotionale Wirkung von Ereignissen            Wortman & Silver, 1987; Schmidt-Atzert, 1996
    Zwischenmenschliches Vertrauen                Rotter, 1967; Schneewind, 1992
    Kognitive Landkarte                           Kosslyn, Ball & Reiser, 1978; Anderson, 1989
    Brainstorming                                 Harkins & Jackson, 1985; Stroebe et al., 1996
    Problemlösen und Emotion                      Schmitz, 1993; Schmidt-Atzert, 1996
    Entscheidungstheorie                          Irwin, 1953; Heckhausen, 1989
    Primacy-Effekt                                Jones et al., 1968; Forgas, 1994
    Intergruppendifferenzierung                   Brown, R. J., 1978; Stroebe et al., 1996
    Fremdbeurteilung der Mimik                    Wagner, MacDonald & Manstead, 1986; Schmidt-Atzert, 1996

      kontraintuitiv – komplex

    Wirkung der Fähigkeit auf Rezeption und       Eagly & Warren, 1976; Stroebe et al., 1996
    Akzeptierung
    Spannungsmindernde Wirkung des Alkohols       Steele & Josephs, 1988; Davison & Neale, 1998
    Erschöpfende serielle Durchmusterung          Sternberg, 1966; Baddeley, 1979

Anmerkung: Die jeweils ersten Angaben zur Literatur verweisen auf eine exemplarische Untersuchung, die zweiten Angaben
jeweils auf die Literaturquelle.
Trivialität psychologischen Wissens                                                                              9

Abbildung 2: Das experimentelle Design mit zwei Between-Faktoren (Expertise und Erklärung) und zwei Within-Faktoren
(Intuitivität und Komplexität).

      Für die genaue Einordnung der Items hinsicht-         die Psychologen waren jedoch mit 85.7 % mehrheit-
lich ihrer Intuitivität wurden die Leistungen der Laien     lich weiblich. Insgesamt 61.9 % der Laien hatten einen
in der Testversion ohne Erklärungen einbezogen. Weil        Hochschulabschluss, 33.3 % mittlere Reife oder einen
einfache und komplexe Items unterschiedlich viele           Berufsabschluss und 4.8 % den Hauptschulabschluss.
Distraktoren haben, wurde als Kriterium der Intuiti-        Zur Bearbeitung des PSIT wurden aufgrund von Pro-
vität derjenige korrigierte Schwierigkeitsindex fest-       bedurchläufen sowie des Verhältnisses der Wörteran-
gelegt, der bei einem einfachen Item (drei Antwort­         zahlen zwischen den beiden Testversionen (mit oder
alternativen) einer 50 % Lösungswahrscheinlichkeit          ohne Erklärung) je nach experimenteller Bedingung
entspricht. Alle Items mit PZK ≥ .25 wurden als intuitiv    exakt 60 bzw. 45 Minuten zur Verfügung gestellt.
eingestuft. Folglich ist der Intuitivitätsfaktor durch 11
intuitive und 16 kontraintuitive Items, der Komplexi-
tätsfaktor durch 21 einfache und 6 komplexe Items           3   Ergebnisse
vertreten (vgl. Tabelle 1).
                                                             Als abhängige Variable wurden die prognostischen
Die beiden Between-Faktoren (Expertise und Erklä-            Leistungen (aufgrund der richtigen Lösungen gemäß
rung) wurden quasiexperimentell bzw. experimentell           der psychologischen Forschung) der Teilnehmer er-
realisiert. Die Teilnehmer waren entweder Laien oder         hoben. Wegen der ungleichen Itemverteilung auf den
Experten, und sie bekamen den PSIT entweder mit              Within-Faktoren und für eine bessere Vergleichbar-
oder ohne Erklärung der Antwortalternativen darge-           keit wurden diese durch Mittelwerte abgebildet (Wer-
boten (vgl. Abbildung 2).                                    tebereich zwischen 0 und 1). In die Berechnung der
                                                             Leistungswerte gingen unter den Between-Faktoren
Stichprobe und Durchführung                                  (Expertise und Erklärung) alle 27 Items ein. In Bezug
                                                             auf die Within-Faktoren (Intuitivität und Komplexität)
Als Außenkriterium für Expertise kann die Qualität           wurden für die Prognoseleistungen Items der jeweili-
und Intensität der Ausbildung, Berufserfahrung und           gen Faktorstufen berücksichtigt (vgl. Tabelle 1).
-erfolg eingesetzt werden (Krems, 1994). Ein Psycho-              Zur Überprüfung der ersten Hypothese wurde
loge in der vorliegenden Untersuchung ist mindestens         die Gesamtleistung der Laien und der Psychologen
schon in der Phase seiner Abschlussprüfungen oder            miteinander verglichen. Erwartungskonform zeigt
hat sie absolviert. Ein Laie ist ohne psychologische         sich, dass Laien bei der Vorhersage von experimen-
Bildung und auch beruflich nicht mit psychologischen         tellen Ergebnissen anhand des PSIT insgesamt den
Themen befasst. Darüber hinaus waren sehr gute               Psychologen deutlich unterliegen (ML= .33; SD = .09
Deutschkenntnisse Teilnahmebedingung. Bei der Lai-           und MP= .47; SD = .14; t(54.4) = -5.20; p < .001), die
enstichprobe wurde zudem ein möglichst heterogener          ­Zwischengruppen-Effektstärke (Hedges g) beträgt da-
Bildungs- und Berufsstand angestrebt. Die Teilneh-           bei g = 1.21. Die Ergebnisse in den einzelnen Faktor-
merakquise erfolgte über private Bekannte der Auto-          stufen sind aus Tabelle 2 zu entnehmen.
ren, Zeitungsannoncen und telefonische Anfragen.
     An der Untersuchung nahmen insgesamt 35 Psy-           Die Annahme, dass die Intuitivität der psychologi-
chologen und 42 Laien im Alter von 18 bis 63 Jahren         schen Erkenntnis die Vorhersageleistung beeinflusst
(M = 35.52, SD = 10.53) teil. Die Geschlechtervertei-       und sich folglich auf den Leistungsunterschied zwi-
lung ist bei den Laien ausgeglichen (54.8 % weiblich),      schen Laien und Psychologen auswirkt (Hypothese 2),
10                                                                                                    E. Monigl & H. Neuf

Tabelle 2: Vergleich der Leistungsmittelwerte zwischen Laien und Psychologen in der jeweiligen Experimentalbedingung.

                                             Laie                          Psychologe                       t-Test
                                       N            M (SD)            N            M (SD)            t                df
Intuitivität
(max. 1 Pkt.)a

  Intuitiv                             42           .52 (.18)         35           .65 (.17)      -3.06**            75.00

  Kontraintuitiv                       42           .20 (.08)         35           .35 (.15)      -5.38**            50.99

Komplexitäta

  Einfach                              42           .34 (.10)         35           .47 (.15)      -4.22**            55.73

  Komplex                              42           .30 (.16)         35           .48 (.18)      -4.76**            75.00

Erklärung

  ohne Erklärung                       22           .35 (.10)         17           .42 (.12)      -2.24*             37.00

  mit Erklärung                        20           .32 (.07)         18           .52 (.14)      -5.39**            23.31

Anmerkungen: p (einseitig); *p < .05; **p < .01. a Die Leistungswerte sind im Punktebereich 0 bis 1 angeben.

wurde unter Berücksichtigung der Leistungen aus der              te Differenzen innerhalb der einzelnen Stichproben, d.
Testversion ohne Erklärung getestet.                             h. bei den Laien (Mdiff = .03; SD = .18; t(21) = 0.70; p
      Bedingt durch die Vorgehensweise bei der Ein-              = .25, einseitig) und bei den Psychologen (Mdiff = -.02;
teilung der Items fielen die Leistungen der Laien in             SD = .16; t(16) = -0.53; p = .30, einseitig) festgestellt
der intuitiven Bedingung signifikant höher aus als in            werden. Somit hatte die Komplexität der Items, also
der kontraintuitiven Bedingung (Mdiff = .38; SD = .21;           ob im ursprünglichen Experiment ein oder mehrere
t(21) = 8.38; p < .01, einseitig). Große Unterschiede zei-       Faktoren manipuliert wurden, keine Auswirkung auf
gen sich jedoch auch bei den Psychologen (Mdiff = .18;           die Richtigkeit der Prognosen (Haupteffekt Komplexi-
SD = .17; t(16) = 6.78; p < .01, einseitig). Nachdem die         tät: (F(1, 37) = 0.01; p = .92; η2 = .00). In diesem Zu-
Prognosen bei den intuitiven Items insgesamt deutlich            sammenhang wurden die Leistungsdifferenzen allein
besser als bei den kontraintuitiven Items ausfielen              durch die Expertise der Teilnehmer bedingt (Haupt­
(Mdiff = .34; SD = .20; t(38) = 10.60; p < .01, einseitig)       effekt Expertise: F(1, 37) = 6.36; p < .05; η2 = .15; Inter-
kann die Manipulation des Faktors Intuitivität als ge-           aktion: F(1, 37) = 0.73; p = .40; η2 = .02).
lungen bewertet werden (Haupteffekt Intuitivität: F(1,
37) = 109.83; p < .01; η2 = .75). Die Expertise der Teil-        Aufschluss darüber, ob die zusätzlichen Erklärungen
nehmer hatte dabei einen schwachen Einfluss auf die              zu den Antwortalternativen den Leistungsvorteil der
Prognoseleistung (Haupteffekt Expertise: F(1, 37) =              Psychologen tatsächlich vergrößern (Hypothese 4),
3.58; p= .07; η2 = .09). Obwohl keine signifikante Inter-        liefert der Vergleich der Prognoseleistungen zwischen
aktion nachgewiesen werden konnte (F(1, 37) = 2.14;              den Testversionen mit und ohne Erklärung.
p = .15; η2 = .06), weist die der ordinalen Interaktion                Nach den vorliegenden Ergebnissen bewirkten
entsprechende Anordnung der Mittelwerte in Bezug                 die zusätzlichen Erklärungen bei den Laien tenden-
auf die beiden Haupteffekte (Bühner & Ziegler, 2009),            ziell schlechtere (Mohne = .35; SD = .10 und Mmit = .32;
in die erwartete Richtung.                                       SD = .07; t(36.83) = 1.09; p = .14, einseitig), dagegen
                                                                 bei den Psychologen signifikant bessere Prognoseleis-
Auch die Überprüfung von Hypothese 3, die bei komple-            tungen (Mohne = .42; SD = .12 und Mmit = .52; SD = .14;
xen Situationen im Vergleich zu einfachen S ­ ituationen         t(33) = -2.10; p
Trivialität psychologischen Wissens                                                                                   11

Leistungsveränderung ist eine signifikante Wechsel-            prognostizierenden Erkenntnisse kontraintuitiv sind,
wirkung zwischen den Faktoren Erklärung und Ex-                können auch Laien aus den Erklärungsmöglichkeiten
pertise (F(1, 73) = 5.97; p < .05; η2 = .08) verantwortlich.   minimal profitieren, allerdings nützen Psychologen
Die Rangreihen der Leistungsmittelwerte in den un-             diese Informationsquelle in diesem Fall erfolgreicher.
terschiedlichen Bedingungen lassen auf eine hybride            Die Analyse mit dem Within-Faktor Komplexität er-
Wechselwirkung schließen (Bühner & Ziegler, 2009),             brachte keine neuen Erkenntnisse.
die auf einen einseitigen, nur in der Prognoseleistung         In Anbetracht der unterschiedlichen Geschlechter-
der Psychologen zur Geltung kommenden Effekt des               verteilung zwischen Laien und Psychologen sowie
Faktors Erklärung hinweist (vgl. Abbildung 3).                 des signifikant höheren Durchschnittsalters der Laien
                                                               (M = 39.83; SD = 11.93) gegenüber den Psychologen
                                                               (M = 30.34; SD = 5.07; t(57.45) = 4.68; p < .01) wurde
                                                               ergänzend die Auswirkung von Geschlecht und Alter
                                                               überprüft. Betreffend des gesamten PSIT und der Ge-
                                                               samtstichprobe zeigten sich keine Geschlechts- oder
                                                               Alterseffekte.
                                                                     Weil Laien über verschiedene Bildungsgrade ver-
                                                               fügen können, wurde in Verbindung mit den Ergeb-
                                                               nissen zusätzlich überprüft, ob die Leistung der Lai-
                                                               en möglicherweise durch ihre akademische Bildung
                                                               beeinflusst wird. Zwischen nicht-Akademiker Laien
                                                               ­
                                                               (M = .29; SD = .09) und Akademiker Laien (M = .36;
                                                               SD = .07) zeigte sich ein signifikanter Unterschied hin-
Abbildung 3: Die Prognoseleistung der Laien und Psycho-        sichtlich der gesamten PSIT-Ergebnis (t(40) = -2.66;
logen in Abhängigkeit der Verfügbarkeit von Erklärungen.       p < .05, zweiseitig) zugunsten der Akademiker. Die
                                                               Varianzanalyse bestätigt einen signifikanten Ein-
                                                               ­
Wie aus den bisherigen Ergebnissen hervorgeht und              fluss des Bildungsgrades (Haupteffekt: F(1, 38) = 7.33;
durch die Varianzanalysen gestützt wird, vergrößert            p = .01; η2 = .16) auf die Testleistungen, der unabhän-
sich der Leistungsvorteil der Psychologen nicht in al-         gig von den anderen Bedingungen wirkt. Bei dem
len potentiell schwierigeren Bedingungen. Zur Über-            Vergleich zwischen Akademiker-Laien und Psycho-
prüfung, ob sich die Prognosebedingungen gegenseitig           logen anhand ihrer Vorhersageleistungen insgesamt,
beeinflussen, wurden 2x2x2-faktorielle Varianzanaly-           zeigt sich allerdings weiterhin ein deutlicher Vor-
sen jeweils unter Einbeziehung eines Within-Faktors            teil der Psychologen (ML = .36; SD = .07 und MP = .47;
durchgeführt. Die Berechnung mit dem Messwieder-               SD = .14; t(53.7) = -4.16; p < .000, einseitig). Lediglich
holungsfaktor Intuitivität zeigt neben den signifikan-         in der Faktorstufe ohne Erklärung wird der Vorteil
ten Haupteffekten Intuitivität und Expertise sowie der         nicht mehr eindeutig (ML= .38; SD = .09 und MP = .42;
Interaktion Expertise x Erklärung auch eine starke             SD = .12; t(28) = -1.25; p = .11, einseitig).
Tendenz einer Dreifachinteraktion zwischen den ein-
bezogenen Variablen Intuitivität x Expertise x Erklä-
rung: (F(1, 73) = 2.87; p = .09; η2 = .38).Wenn also die       4    Diskussion

                                                               Inwieweit und unter welchen Bedingungen können
                                                               Laien mit ihrer Alltagspsychologie mit den psycho-
                                                               logischen Experten mithalten? Diese Frage verfolgte
                                                               die vorliegende experimentelle Untersuchung indem
                                                               sie einerseits das psychologische Wissen von Laien
                                                               und Psychologen miteinander verglich, andererseits
                                                               Bedingungen untersuchte, die die Größe der Leis-
                                                               tungsunterschiede beeinflussten. Dazu wurde der
                                                               standardisierte PSIT mit Multiple Choice Antwortfor-
                                                               mat entwickelt, der die konkrete Vorhersageleistung
                                                               vor dem Hintergrund prototypischer Experimente aus
                                                               dem gesamten Spektrum der experimentellen Psy-
                                                               chologie erfasste. In Anlehnung an Erkenntnisse zur
Abbildung 4: Die Prognoseleistung der Laien und Psycho-        Alltagspsychologie (Forgas, 1994; Holz-Ebeling, 1989a;
logen in Abhängigkeit der Verfügbarkeit von Erklärungen        Schneewind, 1992; Sodian, 1995) und der Expertisefor-
und der Intuitivität der Prognose.                             schung (Büssing, Herbig & Ewert, 2001; Hussy, 1986;
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Flick, 1995; Knauff, 2006; Krems, 1994) wurden die In-           In Bezug auf die dritte Hypothese konnten die
tuitivität der zu prognostizierenden experimentellen       Ergebnisse die erwartete Interaktion zwischen Ex-
Ergebnisse, die Komplexität der zugrundeliegenden          pertise und Komplexität der Aufgaben (bzw. der ur-
Experimente sowie die Verfügbarkeit von das Ergeb-         sprünglichen Experimente) nicht bestätigen. Folglich
nis erklärenden Informationen als unabhängige Vari-        scheint für eine Unterscheidung zwischen Laien- und
ablen manipuliert.                                         Psychologenwissen weniger relevant zu sein, als es
      Korrespondierend mit der ersten Hypothese            vermutet wurde, ob der Ausgang einer einfachen oder
zeichnete sich ein deutlicher Leistungsvorteil der         durch mehrere Faktoren bedingten Situation vorher-
Psychologen gegenüber den Laien in allen geprüften         gesagt werden soll. Der massive Effekt der Expertise
Einflussbedingungen ab. Welche Bedeutung psycho-           belegt allerdings eindrucksvoll den Wissensvorsprung
logische Expertise für die Treffsicherheit von Prog-       der Psychologen gegenüber den Laien. Dieses Ergeb-
nosen hat, bestätigt auch die große Effektstärke der       nis ist möglicherweise in dem insgesamt schwierigen
Leistungsdifferenz zwischen Laien und Psychologen.         Gesamttest und der ungleichen Verteilung von einfa-
Somit kann in Bezug auf die erste Forschungsfrage auf      chen und komplexen Items begründet. Die geringe
einen niedrigen Trivialitätsgrad für psychologische        Anzahl der komplexen Aufgaben schränken also die-
Erkenntnisse geschlussfolgert werden. Gleichzeitig ist     se Schlussfolgerungen insofern ein, als der fehlende
anzumerken, dass die Laien unter allen untersuchten        Effekt der Komplexität nicht eindeutig interpretierbar
Bedingungen in der Lage waren, mehr als 50 % der           ist.
Leistung der Psychologen zu erreichen (vgl. Tabelle 2).          Mit einer signifikanten Interaktion zwischen
Dieses Ergebnis kann einerseits als Nachweis für die       den Faktoren Erklärung und Expertise unterstützen
gelungene „Übersetzung“ der Experimente in Alltags-        die Ergebnisse die vierte Hypothese. Wie erwartet
situationen betrachtet werden. Andererseits bedeutet       beeinflusst das gleichzeitige Zusammenwirken von
dies auch, dass das alltagspsychologische Wissen der       Expertise und Verfügbarkeit von Erklärungen zu den
Menschen den Zusammenhang zwischen Bedingung               möglichen Prognosen die Vorhersageleistung. Dabei
und Verhalten ziemlich zuverlässig abbildet (Schnee-       zeigt sich, dass Laien deutlich schlechter, Psycholo-
wind, 1992) und dadurch der Ausgang einiger psycho-        gen dagegen deutlich besser prognostizieren, wenn
logischer Experimente auch ohne Psychologiestudium         die vorgeschlagenen Antwortalternativen mit teilwei-
relativ gut vorhergesagt werden kann.                      se pseudo-plausiblen Erklärungen begründet werden.
      Zur Beantwortung der Forschungsfrage hin-            Dieser Befund erlaubt in Bezug auf die Expertisefor-
sichtlich der die Prognoseleistung beeinflussenden         schung zwei mögliche Interpretationen. Erstens kann
Faktoren, wurden die Leistungswerte mittels Varianz­       vermutet werden, dass Psychologen während ihres
analysen untersucht. Die Abhängigkeit der Vorher-          Studiums die Fertigkeit erwerben, aus einer Vielzahl
sageleistung von der Intuitivität des experimentellen      von Informationen, wie bei einem Puzzle, die Zusam-
Befunds offenbart sich in dem beobachteten signifi-        mengehörigen zu erkennen. Ihr Wissen ist stabiler
kanten Haupteffekt, der zugleich die Wirksamkeit der       und differenzierter und sie sind auch über die Vor-
experimentellen Manipulation des untersuchten Fak-         aussetzungen von besonderen Verhaltensreaktionen
tors bestätigt. Der starke Effekt der Intuitivität kann    besser informiert als die Laien. Zwar ist dieses Wis-
als möglicher Beleg für die Bedeutung von Alltagser-       sen häufig nur implizit verfügbar (Büssing, Herbig &
fahrungen auch für die wissenschaftliche Psycholo-         Ewert, 2001), dennoch ermöglicht es den Psychologen,
gie (Forgas, 1994; Holz-Ebeling, 1989a) interpretiert      Hinweisinformationen für die Lösung in der Aufgabe,
werden. Bestätigend dazu unterscheiden sich die            den Antwortalternativen und den Erklärungen zu er-
Leistungen der Laien und Psychologen in der intuiti-       kennen.
ven Bedingung kaum, in der kontraintuitiven Bedin-               Zweitens ist gut möglich, dass der Vorteil der
gung jedoch deutlich und zugunsten der Psychologen         Psychologen auch mit ihrem expliziten Wissen be-
voneinander. Diese Leistungsveränderungen weisen           gründet ist. Während Laien wegen der Informations-
auf einen tendenziellen Einfluss der Expertise hin.        menge beim Umgang mit Konditionalaussagen eher
Psychologen erwerben während ihres Studiums und            verunsichert oder sogar überfordert werden, können
durch berufliche Erfahrungen Kenntnisse um psychi-         Psychologen aus der größeren Informationsmenge
sche Vorgänge und daraus resultierende Verhaltens-         vermutlich effektiver schlussfolgern (Knauff, 2006).
reaktionen in verschiedenen Situationen erschließen        Eine zusätzliche Berücksichtigung des Intuitivitätsfak-
zu können, selbst wenn diese den Alltagsregeln wider-      tors verstärkt diese Vermutung. Psychologen sind in
sprechen (vgl. Dreyfus & Dreyfus, 1986, zit. n. Büssing,   der Lage sowohl in der intuitiven als auch in der kon-
Herbig & Ewert, 2001). Da die postulierte Interaktion      traintuitiven Bedingung von den dargebotenen Erklä-
lediglich tendenziell ausfiel, kann die zweite Hypothe-    rungsalternativen zu profitieren. Offensichtlich bilden
se nicht beibehalten werden.                               relationale Informationen ein wichtiges Fundament
                                                           der psychologischen Expertise, korrespondierend mit
Trivialität psychologischen Wissens                                                                               13

dem alltagspsychologischen Wissen, das ebenfalls mit        ßen von psychischen Prozessen und Handlungsfolgen
Bedingungen assoziiert ist (Schneewind, 1992).              wesentlich durch das Psychologiestudium beeinflusst
      Diese Erkenntnis scheint auch die zusätzliche         wird, oder wählen vielleicht Menschen dieses Studi-
Berücksichtigung des akademischen Bildungsgrades            enfach, weil sie in diesem Bereich bereits über gute
der Laien zu unterstreichen. Nach den vorliegenden          Kompetenzen oder ein großzügig verteiltes alltags-
Ergebnissen ist die akademische Bildung bedeutend           psychologisches Wissen verfügen? Ebenso zu klären
für die „Entschlüsselung“ von komplexen Situationen,        wäre, wie sich die prognostische Leistung in verschie-
reicht aber scheinbar nicht aus, um die zutreffenden        denen Berufsfeldern (z. B. bei klinische Psychologen,
Erklärungen für psychologische Phänomene zu er-             bei Lehrkräften oder Polizeikräften) unterscheidet
kennen. In diesem Zusammenhang wäre wichtig zu              und in wie weit diese durch kognitive, emotionale und
klären, ob tatsächlich die akademische Bildung oder         soziale Fähigkeiten beeinflusst wird.
andere Faktoren, wie beispielsweise kognitive Fähig-
keiten oder allgemeine Kenntnisse, den gefundenen
Effekt verursachen.                                         Literatur
      Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass
mit naiver Psychologie durchaus gute Vorhersagen er-        Anderson, J. R. (1989). Kognitive Psychologie: Eine Ein-
zielt werden können, allerdings ist ihre Effektivität im         führung. Heidelberg: Spektrum der Wissenschaft.
Vergleich zur wissenschaftlichen Psychologie relativ        Baddeley, A. D. (1979). Die Psychologie des Gedächtnis-
begrenzt. Die Leistungen zwischen Psychologen und                ses. Stuttgart: Klett-Cotta.
Laien nähern sich am meisten in Bezug auf Erkennt-          Bischof, N. (2008). Psychologie – Ein Grundkurs für An-
nisse, die intuitiv, also der Alltagserfahrung entspre-          spruchsvolle. Stuttgart: Kohlhammer.
chend sind. Sobald es jedoch um Erkenntnisse geht,          Bühner, M. & Ziegler, M. (2009). Statistik für Psycholo-
die zum Alltagswissen kontraintuitiv sind oder Ver-              gen und Sozialwissenschaftler. München: Pearson.
haltensvorhersagen anhand einer Vielzahl von plausi-        Büssing, A, Herbig, B. & Ewert, T. (2001). Implizites
blen und begründeten Alternativen getroffen werden               und explizites Wissen – Einflüsse auf Handeln in
sollen (und genau dies ist der Fall bei den Items mit            kritischen Situationen. Zeitschrift für Psychologie,
Erklärungen), sind die Psychologen den Laien deut-               209, 174-200.
lich überlegen. Somit ist die Trivialität des psychologi-   Davison, G. C. & Neale, J. M. (1998). Klinische Psycho-
schen Wissens viel geringer und bedingungsabhängi-               logie. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
ger als von vielen Laien behauptet wird.                    Ericsson, K. A., Krampe, R. T. & Tesch-Römer, C.
      Aus methodischer Sich ist von Bedeutung, dass              (1993). The Role of Deliberate Practice in the
der PSIT weitgehend grundlegende psychologische                  Aquisition of Expert Performance. Psychological
Themen aus den Bereichen der Sozialpsychologie                   Review, 100, 363-406.
und Allgemeinen Psychologie umfasst, die für Laien          Flick, U. (1995). Alltagswissen in der Sozialpsycholo-
als relevant eingeschätzt wurden. Zudem sind die be-             gie. In U. Flick (Hrsg.), Psychologie des Sozialen.
rücksichtigten Experimente bzw. Erkenntnisse bereits             Repräsentation in Wissen und Sprache (S. 54-77).
seit mehreren Jahrzehnten bekannt und haben sich                 Hamburg: Rowohlt.
möglicherweise auch schon ins Alltagswissen einge-          Forgas, J. P. (1994). Soziale Interaktion und Kommuni-
fügt. Deshalb ist es durchaus denkbar, dass die Un-              kation. Eine Einführung in die Sozialpsychologie.
terschiede zwischen Laien und Psychologen deutlich               Weinheim: Beltz.
größer ausfallen würden, wenn sich die Aufgaben auf         Guski, R. (1996). Wahrnehmen – ein Lehrbuch. Stutt-
aktuellere Erkenntnisse und auch auf Befunde aus an-             gart: Kohlhammer.
deren Bereichen der Psychologie (z. B. Klinische Psy-       Heckhausen, H. (1989). Motivation und Handeln. Ber-
chologie, Pädagogische Psychologie oder Arbeits- und             lin: Springer.
Wirtschaftspsychologie) beziehen würden.                    Herkner, W. (1991). Lehrbuch Sozialpsychologie. Bern:
      Vor diesem Hintergrund wäre es sinnvoll, mit               Huber.
einem erweiterten und optimierten Verfahren sowie           Holz-Ebeling, F. (1989a). Alltagspsychologisches Den-
mit größeren Stichproben die gefundenen Erkennt-                 ken. Psychologische Forschungsergebnisse im Ur-
nisse abzusichern. Aus wissenschaftlicher Sicht wäre             teil von Laien. Heidelberg: Asanger.
es zudem fruchtbar, durch weiterführende Untersu-           Holz-Ebeling, F. (1989b). Zur Frage der Trivialität von
chungen, weitere für die prognostische Leistung aus-             Forschungsergebnissen. Zeitschrift für Sozialpsy-
schlaggebende Faktoren zu identifizieren, um daraus              chologie, 20, 141-156.
resultierende Erkenntnisse für die Ausbildung (von          Hussy, W. (1986). Denkpsychologie: Ein Lehrbuch.
Psychologen, Lehrern oder Medizinern) als auch für               Stuttgart: Kohlhammer.
Forschungszwecke nutzen zu können. Denn offen ist           Hussy, W. (1998). Denken und Problemlösen. Stuttgart:
beispielsweise die Frage, ob ein effektiveres Erschlie-          Kohlhammer.
14                                                                                          E. Monigl & H. Neuf

Knauff, M. (2006). Deduktion und logisches Denken.         Schmidt-Atzert, L. (1996). Lehrbuch der Emotionspsy-
     In J. Funke (Hrsg.), Enzyklopädie der Psychologie,         chologie. Stuttgart: Kohlhammer.
     Themenbereich C, Band 8, Denken und Problemlö-        Schneewind, K. A. (1992). Persönlichkeitstheorien. Or-
     sen (S. 167-264). Göttingen: Hogrefe.                      ganismische und dialektische Ansätze. Darmstadt:
Krems, J. F. (1994). Wissensbasierte Urteilsbildung. Di-        Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
     agnostisches Problemlösen durch Experten und          Sodian, B. (1995). Entwicklung bereichsspezifischen
     Expertensysteme. Bern: Huber.                              Wissens. In R. Oerter & L. Montada (Hrsg.), Ent-
Kroeber-Riel, W. & Weinberg, P. (1996). Konsumenten-            wicklungspsychologie (S. 622-653). Weinheim:
     verhalten. München: Vahlen.                                Psychologie Verlags Union.
Lienert, G. A. & Raatz, U. (1998). Testaufbau und Test-    Stroebe, W., Hewstone, M. & Stephenson, G. M. (1996).
     analyse. Weinheim: Beltz.                                  Sozialpsychologie: Eine Einführung. Berlin:
Monigl, E. (2002). Trivialität psychologischer Erkennt-         ­Springer.
     nisse. Eine vergleichende Untersuchung der naiven
     Psychologie im Verhältnis zur wissenschaftlichen
     Psychologie. Unveröffentlichte Diplomarbeit,
     Eberhard-Karls-Universität Tübingen.                  Korrespondenz-Adresse:
Neuf, H. (1997). Determinanten des Eindenkens in an-       Dr. Eszter Monigl
     dere Personen. Der Perspektivenwechsel im Reakti-     Johannes Gutenberg-Universität Mainz
     onszeitexperiment. Münster: Waxmann.                  Psychologisches Institut
Perrig, W. & Groner, R. (1992). Psychologie als Wissen-    Binger Straße 14-16
     schaft. Schweizerische Zeitschrift für Psychologie,   D-55122 Mainz
     51, 224-228.                                          monigl@uni-mainz.de
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