Von der Symptomanalyse zur sinnstiftenden Care-Navigation
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Ud tatue velit aliscillam dionsenis „Von der Symptomanalyse sinnstiftenden Care-Naviga „Das Symptom, das einen Nutzer dazu veranlasst hat, zu einem Arzt zu gehen oder die Ada-App zu nutzen, bestimmt alleine noch nicht, wie drin- gend medizinische Hilfe benötigt wird.“ Dieser Satz aus dem Interview mit Dr. Andreas Gilsdorf ist gerade in Zeiten von Corona hochaktuell: Meist werden Husten und Schnupfen auf einen grippalen Infekt hindeuten, aber eben nur meist. Genaueres kann nach einer weiterführenden Anamnese ein guter Arzt sagen, aber – falls dieser wie in einigen Ländern dieser Welt Dr. Andreas Gils- nicht so einfach verfügbar ist – eben auch eine App wie Ada Health, mit dorf, Director of Epidemiology und der – so Gilsdorf – „eine Art Care-Triage eingeführt wird, auf Basis eines Public Health bei Wahrscheinlichkeitsgrades sowie der Art und Stärke der Ausprägung der Ada Health berichteten Symptome“. 26 Monitor Versorgungsforschung 01/2021
Interview >> Herr Dr. Gilsdorf, anlässlich eines Vortrags beim DKVF 2019 führte eigentlich jeder Patient intuitiv und auch ohne lange Anleitung sehr Ada-Gründer Dr. Martin Hirsch aus, die Diagnose-App Ada zwar nicht gut hinbekommt. Wenn er damit fertig wird, drückt er auf Senden und besser als ein guter Arzt sei, aber besser als ein schlechter. Wann wird das Ergebnis liegt dann als Anamnese-Grundlage nicht nur dem be- denn Ada besser als ein guter Arzt? handelnden Arzt vor, sondern ist – wenn er beidem zustimmt – auch Das kann man so nicht sagen. Fest steht jedoch, dass Ada ganz in seiner elektronischen Patientenakte gesichert. zwangsläufig immer besser wird. Der- artigen KI-gestützten Instrumenten Sie sagten eben: ursprünglich. ist es immanent, dass sie mit jeder Davon hat sich Ada entfernt? Anwendung und mit jedem Input „Adas Symptomanalysen können darum auch Das ist sicher ein guter An- neues Wissen generieren, das relativ für gute Ärzte eine wertvolle Unterstützung satz, nur hat sich Ada von der gut mit dem bereits vorhandenen ärztlichen Diagnoseunterstüt- sein, weil sich Arzt und Künstliche Intelligenz ergänzt werden kann. Dazu kommt, zung wegentwickelt und richtet dass Systeme wie unseres – egal, wie sehr gut ergänzen können.“ sich seit 2016 als App direkt an viel neues Wissen neu verfügbar sein Patienten. Doch gibt es am Ende mag – das bereits Gelernte nicht eines Assessments auch die Mög- vergisst, während jeder Mensch – lichkeit für die Patienten das Er- und so eben auch jeder Arzt – schlichtweg altes Wissen verdrängt, gebnis ihren Ärzten als PDF zukommen zu lassen. vergisst oder – wenn es denn einmal gebraucht wird – nicht mehr aufrufen kann. Statt eines Arzt- nun ein Patientenbrief? Das ist eine vom Patienten über Ada erfasste, sehr strukturierte und Was schlichtweg an den Begrenzungen des humanen Gehirns liegt. mit Wahrscheinlichkeitsaussagen versehene Anamnese-Erfassung. Zu- Was etwas ganz Normales ist. Daher sollten Menschen und so auch sätzlich soll dem Nutzer jedoch nicht nur die reine Anamnese-Infor- Ärzte derartige unterstützende Systeme aktiv nutzen, wenn es sie mation an die Hand gegeben werden, sondern auch die Beschreibung denn schon gibt. Es liegt auf der Hand, dass gerade bei seltenen oder seiner ganz individuellen Care-Journey oder auch Patienten-Reise – gar sehr seltenen Erkrankungen, die Ärzten gar nicht oder vielleicht mit all dem, welche nächsten Schritte für ihn notwendig sind, wohin einmal in ihrem Arbeitsleben begegnen, KI-gestützte Systeme wie er sich wenden kann –, aber auch, wie schnell er aktiv werden sollte. unseres besser sein können. Das ist jedoch eine bislang wenig durch Es wäre gut, das dann noch mit der Information verbinden zu kön- Evidenz gestützte Annahme, weil – ähnlich wie bei einem praktisch nen, wo welcher Arzt Termine frei hat. Wenn dann noch dem Arzt tätigen Arzt – auch unser System bisher mit solchen Fällen zu selten über die ihm schon vorliegende Anamnese-Information Zeit gespart konfrontiert worden ist. wird und dieser vielleicht sogar für die richtige Diagnosestellung auf wichtige Ideen kommen könnte, die er vielleicht ansonsten nicht ge- Womit naturgemäß ein Bias habt hätte, dann würden wir tatsächlich die beiden Bereiche noch zur besteht. besser zusammenbringen – zum Nutzen aller: in erster Linie natürlich Nicht nur ein Bias, sondern des Patienten, aber auch des Arztes. auch ein grundlegender Un- terschied. Ein erfahrener Arzt 2019 waren es laut des Vortrags von Dr. Martin Hirsch auf dem DKVF wird mit einer guten Blickdia- 15 Millionen Vordiagnosen und 8 Millionen Nutzer weltweit. Wie sieht ation“ gnose und vielleicht auch mit es heutzutage aus? einem richtigen Bauchgefühl Aktuell haben wir schon über 10 Millionen User weltweit mit sehr schnell auf ein Ergebnis über 20 Millionen Assessments. In den USA arbeiten wir mit einem kommen, das zumindest in die großen Anbieter für Gesundheitsleistung vor allem in Kalifornien zu- richtige Richtung deutet. Bei sammen. Hier wird neben der Symptomanalyse die Care-Navigation der Art von Anamnese über unterstützt, auch um – wenn es sinnvoll ist – niederschwellige Ange- sehr gut strukturierte Fragen bote wie Telefonie oder auch Video-Consultation zu fördern. Natürlich hat jedoch wiederum Ada Vorteile, weil hier nicht nur das Wissen kann die Empfehlung auch lauten: Sofort einen Arzt aufsuchen oder Tausender Experten hinterlegt ist, sondern dieses auch ganz spezi- am besten gleich ins nächste Krankenhaus. Im Grunde genommen ell aufgearbeitet wird. Adas Symptomanalysen können darum auch wird damit eine Art Care-Triage eingeführt, auf Basis eines Wahr- für gute Ärzte eine wertvolle Unterstützung sein, weil sich Arzt und scheinlichkeitsgrades sowie der Art und Stärke der Ausprägung der Künstliche Intelligenz sehr gut ergänzen können. berichteten Symptome. Dennoch gibt es letztendlich den grundlegenden Unterschied zwi- Wobei Symptome bekanntlich oft nicht eindeutig sind. schen der – sagen wir eminenzbasierten – Anamnese über die Erfah- Das ist die große Herausforderung, vor der jeder Arzt und vor der rungswerte und das Wissen eines guten Arztes und dem evidenzbasierten auch wir stehen. Das Symptom, das einen Nutzer dazu veranlasst Standard über Ada. Wie kommt man zu einer Synthese beider Welten? hat, zu einem Arzt zu gehen oder die Ada-App zu nutzen, bestimmt Ursprünglich war Ada als reines Diagnoseunterstützungstool ange- alleine noch nicht, wie dringend medizinische Hilfe benötigt wird. dacht, um die ärztliche Diagnose zu bereichern. Zum Beispiel, in dem So können Schmerzen im Arm auf eine Zerrung oder Muskelkater im ein Patient nach der Anmeldung von der Praxismanagerin ein – natür- Arm hindeuten, aber eben auch auf einen Herzinfarkt, was natürlich lich desinfiziertes – Smart-Pad bekommt, auf dem Ada installiert ist. dringend geklärt werden muss. Es kommt also auf die Umstände an, Dann kann er bereits im Wartezimmer die Fragen beantworten, was die durch Folgefragen abgeklärt werden müssen. Monitor Versorgungsforschung 01/2021 27
Interview Welche Auswertungen für Public Health sind mit Ada möglich? schnell flächendeckend umgesetzt werden. Das würde bei der Symp- Ich war, bevor ich bei Ada als Director of Epidemiology and Public tomanalyse helfen, aber auch bei einer zeitnahen Kommunikation Health begonnen habe, beim RKI als Leiter der Surveillance für In- der am besten – für Patient wie Gesellschaft – zu beschreitenden fektionskrankheiten zuständig. Unter anderen für SurvStat, das seit Behandlungspfade. über 20 Jahren jedem Nutzer die Möglichkeit bietet, die nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheitsfälle und Erreger- Was indes nicht nur bei Covid-19 sinnvoll wäre. nachweise individuell abzurufen Das deutsche Infektionsschutz- und daraus eigene Grafiken zu er- gesetz umfasst 60 Erkrankungen, wir stellen. Das ist eine wunderbare aber haben Daten zu über 1.000 in zeitnahe Datenbank die nach „Wir haben einen sowohl schnelleren unserer Datenbank, die aktuell wie circa 3 Wochen die Meldefälle für retrospektiv ausgewertet werden jeden abfragbar zur Verfügung als auch tieferen Zugriff zu Daten einer sich können. So könnten wir zum Bei- stellt, übrigens lange Zeit ein- entwickelnden Krankheitslast.“ spiel analysieren, wann und wo auf zigartig in ganz Europa. Meine der Welt zum ersten Mal häufiger der Aufgabe bei Ada ist es nun, zum eigenberichtete Befund Geruchs- einen zu erarbeiten, wie man mit und/oder Geschmacksverlust ein- Public-Health-Informationen die gegeben wurde, der inzwischen als individuelle Care-Journey verbessern kann. Zum anderen arbeiten wir recht deutliches Zeichen von Corona gilt. an Analysen zu Bevölkerungsgesundheit, die wir aus den in Ada ein- gegebenen pseudonymisierten Daten aggregieren können. Warum tun Sie es dann nicht? Wir tun es doch. Eben haben wir im Journal of Medical Internet Doch welche Aussagen sind denn nun möglich? Research (JMIR) eine Arbeit veröffentlicht. Wir konnten analysieren, Wir haben den großen Vorteil, dass wir anders als alle anderen wie sich die Covid-19-Maßnahmen in Deutschland im Vergleich zu verfügbaren Datenquellen – ob nun die der Ärzte, Apotheker oder Großbritannien auf die Gesundheit ausgewirkt haben. Dafür haben auch der Kassen – einen datengestützten Blick in die Zeit werfen wir die Ada-Eingaben im Monat vor den ersten Maßnahmen mit de- können, bevor ein Patient in der ein oder anderen Weise in Kontakt nen des ersten Monats des kompletten Lockdowns verglichen und mit dem Gesundheitssystem kommt. Das klassische Datensystem ist gesehen, wie sich das Nutzungsverhalten der User verändert hat. naturbedingt eher behäbig: Ein Mensch oder auch mehrere fühlen Dabei ging es nicht einmal so sehr darum zu sehen, ob sie mehr Re- sich unwohl, gehen dann zur Apotheke und holen sich ein OTC-Prä- spirationsprobleme als vorher hatten, nicht mehr so gut riechen oder parat. Wenn das nichts hilft, wenden sie sich an einen Arzt, fühlen schmecken, sondern darum, wie sich die Maßnahmen eines harten sich dann aber schon nicht mehr unwohl, sondern bereits krank. Der Lockdowns tatsächlich auf die Gesundheit ausgewirkt haben. Arzt führt dann eine Diagnostik durch. Fällt diese positiv aus, wird der Arzt eine Ersttherapie einleiten oder den Patienten, falls nötig, Erst einmal drängt sich die Frage auf: Stimmt das, was Ihre Daten in ein Krankenhaus überführen. Zeitgleich geht – falls es sich um hergeben? eine Infektionskrankheit handelt – bei den Gesundheitsämtern eine Diese Frage sollte sich jeder stellen, der Daten auswertet und ver- Meldung ein, die dann ein paar Wochen später beim RKI im SurvStat öffentlicht. Darum tun wir das auch. Uns ging es bei dieser Auswer- aufploppt. Und erst viel später taucht der Fall in den Datenstämmen tung daher auch nicht so sehr um die Ergebnisse an sich, sondern vom Arzt und Apotheker und noch viel, viel später oft mit Zeitver- darum, ob die auf Basis unserer Daten produzierten Erkenntnisse zügen von mehreren Monaten oder einem Jahr, in den auswertbaren mit den Ergebnissen anderer, etablierter Daten-Systeme vergleichbar Routinedaten der Kassen auf. sind. Demnach könnte Ada eine Art Frühwarnsystem sein? Waren die Ergebnisse annähernd kongruent? Sicher. Denn in den klassisch verfügbaren Daten aller normalen Wir sind nicht ganz unglücklich darüber sagen zu können, dass Meldesysteme sieht man nur die Spitze des Eisbergs – und die lei- unsere Daten nichts Überraschendes ergeben haben, sondern genau der auch erst dann, wenn es für eine schnelle Präventionsstrategie das, was wir erwartet haben. eigentlich viel zu spät ist. Wir hingegen haben einen sowohl schnel- leren als auch tieferen Zugriff zu Daten einer sich entwickelnden Was sich vielleicht etwas komisch anhört. Krankheitslast. Wir können Daten viel schneller als andere zur Verfü- Gar nicht, weil das nichts anderes heißt, als dass die Ergebnisse gung stellen, weil wir sie Real-Time an dem Tag auswerten können, unserer Daten annähernd die Ergebnisse anderer Daten replizieren an dem sie eingegeben worden sind. können, nur eben viel, viel schneller. So haben wir in der Zeit des Lockdowns deutlich weniger gastrointestinale Beschwerden feststel- Könnte Ada helfen, die Corona-Pandemie besser in den Griff zu be- len können, was vielfach bereits berichtet wurde. Wir haben auch kommen, zumindest in der Zeitachse Symptomanalyse? Ich sitze da, gesehen, dass gerade im ersten Monat des Lockdowns deutlich weni- huste vor mich hin und der Kuchen schmeckt auch nicht mehr, aber ger Stress in unserer Population berichtet wurde. Wir vermuten, dass warte 25 Stunden bei der Hotline des nächsten Gesundheitsamts und das daran liegt, dass sich hier weniger Arbeitsstress im Home-Office sitze dann doch im Wartezimmer des Hausarztes und stecke womöglich ausgewirkt hat, dessen Arbeitsatmosphäre allgemein relativ weniger alle anderen an. arbeitsbedingte Stressfaktoren bietet als die Büro-Umgebung. Zudem Digitale Gesundheitsassessment-Tools wie Ada könnten in einer berichteten die App-User im betrachteten Zeitraum, dass sie besser Zeit wie dieser zentral gesteuert angepasst werden und dann relativ schlafen, sie verspürten auch weniger Heiserkeit und hatten weniger 28 Monitor Versorgungsforschung 01/2021
Interview Ohrprobleme, weil sie womöglich nicht mehr so viel präsentieren oder hoch, dass am Ende die Diagnose Covid-19 recht wahrscheinlich ist. das Flugzeug nutzen mussten. Dafür wurden aber mehr Beschwerden Wenn jemand nur Husten eingibt, wird die Diagnose natürlich unsi- wie trockene Haut berichtet, womöglich weil sich die Menschen mehr cherer. Dennoch könnte die App dann empfehlen, wie sich ein Nutzer die Hände gewaschen und diese zusätzlich desinfiziert haben – was am besten zu verhalten hat. natürlich alles nur Annahmen und Interpretationen sind. Um hier genauere Aussagen treffen zu können, müsste man auf der Basis der Beim Arzt anrufen, eventuell eine Krankschreibung veranlassen und gewonnenen Erkenntnisse weiterführende Studien durchführen. daheim bleiben, statt ins Krankenhaus oder im Zweifel weiter in die Arbeit zu gehen und womöglich viele andere anzustecken. Doch sind all das zumindest feststellbare Kollateraleffekte. Exakt, eine Care-Journey eben. Dazu wäre es durchaus möglich, Das sind Nebeneffekte der von der Regierung angeordneten Maß- sich entwickelnde Hotspots sehr frühzeitig zu identifizieren. nahmen, um Covid-19 in den Griff zu bekommen. Uns geht es über- haupt nicht darum, irgendeine Sachlage aufzudecken, oder gar zu Kann man sich das ähnlich wie bei einem Navigationssystem vorstel- erforschen, was niemand vorher gewusst hat. Wir sind vielmehr daran len, das die Bewegungsdaten tausender Autofahrer akkumuliert, um so interessiert zu erforschen, ob die über uns zu produzierende Daten- Staus zu prognostizieren? Wenn ein Auto langsamer fährt, meldet das qualität wirklich nutzbar ist für Public-Health-Zwecke. Wir sind, wie System nichts, auch nicht, wenn das 2, 3 oder 4 tun. Wenn jedoch 10 ich glaube, auf einem ganz guten Weg, diese These verifizieren zu Autos viel langsamer als erlaubt fahren oder sich gar nicht mehr bewe- können. Immerhin war das unser erstes Mal, dass wir versucht haben, gen, wird es sich wohl um zähfließenden Verkehr oder Stau handeln. mit unseren Daten in einer aggregierten Analyse Informationen über Das System ist ähnlich: Einzeldaten werden akkumuliert, um an- die Bevölkerungsgesundheit und sich entwickelnde Krankheitslasten hand von vorher definierten Grenzwerten bestimmte Wahrscheinlich- zu geben. keitsaussagen zu treffen. Gibt es weitere Daten, die diese These bestätigen könnten? Man sollte indes auch wissen, dass man damit auch ganz falsch Wir betrachten zur Zeit gerade Daten zur Influenza-like Illness, liegen kann, wie es ein Fall gezeigt hat, als im Februar letzten Jahres kurz ILI. ein Berliner 99 Smartphones in einer Spielzeugkarre durch eine Straße gezogen und Google dann auch gleich einen Fake-Stau angezeigt hat. Eine Art Fake-Grippe oder auch grippeähnliche Erkrankung. Das Beispiel zeigt doch, dass das System an sich funktioniert, Genau. Die ILI ist an sich sehr gut beforscht und wird über viele auch wenn es natürlich ausgetrickst werden kann. Darum muss man, verschiedene Surveillance-Systeme gemonitort, wie beispielsweise wenn man solche Systeme aufsetzt, wissen, was man tut und vor durch das RKI mit einem webbasierten Populationstool namens Grip- allem, welche Biases und Limitationen man hat. Wenn wir bei Co- peWeb. Nun haben wir die Daten der letzten drei Jahre aus dem Grip- vid-19 bleiben, heißt das, dass man zumindest sehr schnell lokalen peWeb mit unseren Daten verglichen. Das Schöne ist: auch hier keine Gesundheitsbehörden einen Hinweis geben könnte, eine bestimmte Überraschung. Wir sehen fast exakte Übereinstimmungen mit den Region genauer unter die Lupe zu nehmen. Das darf man dann jedoch Wellen, die das RKI erhoben hat; sowohl zeitlich über die verschie- nicht erst Tage oder Wochen später machen, sondern ad-hoc. denen Jahre als auch über die verschiedenen Altersgruppen hinweg. Auf alle Fälle wäre das ein Tool, das bislang noch nicht existiert. Was machen Sie nun damit? Schon gar nicht in Real-Time. Wir können uns vorstellen, dass die über Ada generierbaren Infor- Ähnliches gibt es bereits, wenn auch noch nicht bei Covid-19. mationen in Echtzeit für Standardsurveillance-Zwecke unterstützend So hat das RKI mit der Datenspende-App, über die Nutzer von Fit- genutzt werden könnten. Das könnte man für Covid-19 machen, für nessarmbändern freiwillig ihre Bewegungsdaten spenden können, die ILI, aber auch für viele andere Krankheitsentitäten, die noch gar Heatmaps über Temperatur und Herzschläge für Deutschland erstellt. keine eigene Surveillance-Systeme haben. Interessant wären solche Ob das sinnvoll ist oder nicht, sei einmal dahingestellt, doch zeigt Systeme gerade aber auch für Länder, die noch gar keine eigenen Sur- das Beispiel, dass Digitalisierung und KI enorme Potenziale haben. veillance haben. In großen Teilen der Welt wäre es schon von Vorteil, Wichtig ist es natürlich immer, sich vorher detailliert zu überlegen, wenn die dortige Gesundheitspolitik einen zeitnahen Einblick hätte, welche Informationen wie akkumuliert werden können, aus denen wie sich Krankheitslasten in der Bevölkerung entwickeln. Für solche dann möglichst nutzwertige Maßnahmen erwachsen können. Frühwarnsysteme könnte Ada sehr gute Daten liefern. Diese Aussage scheint zentral Es klingt spannend, was über zu sein: Das Wissen darum, wie praktisch angewandte Digitalisierung Krankheits- und Wahrscheinlich- und KI auf uns zukommen könnte. „Im Grunde genommen modellieren wir keitsmodelle moduliert werden, Denken wir an Covid-19: Könnte man Krankheiten, um so mögliche Erklärungs- auf denen dann Algorithmen auf- damit auch Hotspots frühzeitig er- Wahrscheinlichkeiten für Symptome zu setzen können. kennen? erhalten, die ein Nutzer eingibt.“ Im Grunde genommen mo- Das könnte man durchaus ver- dellieren wir Krankheiten, um so suchen. Bei Covid-19 gibt es einige mögliche Erklärungs-Wahrschein- typische Symptome wie den Ge- lichkeiten für Symptome zu erhal- ruchs- und Geschmacksverlust, der ten, die ein Nutzer eingibt. doch relativ typisch ist. Wenn dann noch ergänzend respiratorische Symptome berichtet werden, wäre wohl der prädiktive Wert relativ Wie sind Sie zum Beispiel bei der Krankheitsentität Covid-19 vorge- Monitor Versorgungsforschung 01/2021 29
Interview gangen, die es bis Anfang 2020 gar nicht Symptom auftritt, quantifiziert. Natürlich gegeben hat? kann es auch so sein, dass bestimmte Sym- Der Vorteil von Ada Health ist, dass wir ptome einzeln oder auch gemeinsam und wie- ein großes Team von knapp 60 Medizinern der andere Symptome gar nicht auftreten. Da- haben, die das zu einer Krankheitsenti- rauf wiederum resultiert eine Reihenfolge von tät verfügbare medizinische Wissen aus möglichen Erklärungswahrscheinlichkeiten, Fachbüchern und veröffentlichten Studien mit denen die von Nutzern berichteten Sym- extrahieren und verdichten können. Das ptome zustandekommen können. ist bei lange bekannten und erforschten Krankheiten einfacher, weil dazu relativ Wobei es immer darauf ankommen wird, viel Evidenz vorhanden ist. Das war bei Co- wie gut der Input der Experten ist und wie die- vid-19 anders, weil sich bei dieser Krank- ser verarbeitet wird. In der Wissenschaft nennt heit das verfügbare Wissen erst entwickeln man denjenigen, der so etwas tut, Data Scien- musste. Zudem liegt das Wissen teilweise Dr. Andreas tist. Wie nennt man das bei Ihnen? erst im Pre-Print-Stadium vor, wächst zu- Medical Knowledge Engineer. dem fast tagtäglich und verändert sich Gilsdorf auch mit dem Hinzukommen neuer Er- Sehr nett: Eine Art Wissensmanager für Me- kenntnisse. ist Director of Epidemiology dizin. Nicht Manager, sondern Ingenieur. Der und Public Health bei Ada Seit wann kann man Covid-19 in Ada englische Begriff des Engineers ist weit mehr detektieren? Health. Er ist Arzt mit als der eines medinizisch-wissenschaftlichen Wir haben uns schon relativ früh – be- Spezialisierung auf Arbeits- Texters oder der eines Wissensmanagers. Der reits Ende Januar 2020 – entschieden, Co- medizin und Infektionse- eine schreibt einen wissenschaftlichen Text, vid-19 in unser Modell aufzunehmen und pidemiologie. Vor Ada war den der zweite irgendwo ein- oder zuordnet. als Teil unseres großen Modells einzuspei- er Leiter des Fachgebiets Unsere Medical Knowledge Engineers hinge- sen. Die ersten Abfragen waren dann im gen sind in der Lage, das zu einer Krankheit Surveillance und stellver- Februar möglich. Natürlich war und ist es verfügbare Wissen zu codieren und dann in von enormer Wichtigkeit, dieses Krank- tretender Leiter der Infek- unser Modell zu transferieren. Dazu braucht heitsmodell sehr regelmäßig upzudaten. tionsepidemiologie am man ein Team aus vielen guten Medizinern, Robert Koch-Institut. Dort die dann intensiv trainiert werden müssen, Wie viele Assessments wurden seitdem war er für das nationale um zu verstehen, wie das Modellieren funk- zu Covid-19 durchgeführt? Infektionskrankheiten- tioniert. Das Wissen darum ist eine unserer Das kann man nicht genau sagen, weil großen Stärken, für die wir von vielen unserer Überwachungssystem ja niemand Covid-19 als Symptom eingibt, Partner sehr geschätzt werden. sondern Husten, Fieber oder den Verlust verantwortlich und ent- des Geschmackssinns. Viele Menschen, die wickelte und leitete die Insgesamt arbeiten um die 200 Mitarbeiter eine Covid-19-Erkrankung befürchten, füh- Notfallzentrale. Er verfügt bei Ada. Wie finanzieren Sie all diese Leute? ren also Assessments durch, ohne dass Co- auch über Berufserfahrung Die Motivation hinter Ada ist die, medi- vid-19 als mögliche Ursache für die Sym- beim WHO-Regional- zinisches Wissen in der Welt unter möglichst ptome im Ergebnis erscheint. Doch ging es vielen Nutzern zu verbreiten, um so nach und büro für Europa. uns bisher auch gar nicht darum, explizit nach die Gesundheit zu verbessern. Unser Covid-19 zu identifizieren und zu diagnos- Ansatz erlaubt es deshalb nicht, von einem tizieren. Unser Ziel ist es vielmehr, eine Individuum pro Assessment Geld zu nehmen. sinnvolle Liste an möglichen Erklärungen zu schaffen, um darauf- Von daher kooperieren wir zunehmend mit Gesundheitssystempart- hin das Verhalten und die nächsten Schritte des Users so steuern zu nern aus aller Welt, die eine Symptomanalyse, gepaart mit einer Care- können, dass der größtmögliche Gesundheitsnutzen entstehen kann. Triage und sinnstiftender Care-Navigation zu schätzen wissen. Dazu müssen Sie eine immer gleiche Matrix erarbeiten, deren Modu- Doch nicht mit deutschen Partnern. le indikationsspezifisch gefüllt werden können. Unsere Care-Navigation-Lösungen verwenden aktuell hauptsäch- Die Informationsmatrix ist eine Datenstruktur, die für jede Krank- lich ausländische Partner, etwa aus den USA oder auch Tansania. heit gleich ist, die aber im Detail inhaltlich variiert. Unsere Matrix – als Gesamtheit aller Einzelmodelle – beinhaltet alle Erkrankungen, Mit wem arbeitet Ihr Unternehmen in Deutschland zusammen? die wir bereits erfasst und strukturiert haben. Ist diese Arbeit ge- In Deutschland arbeiten wir aktuell mit unterschiedlichen Part- tan, folgen viele Tests, mit denen – ausgehend von in Fallbeispielen nern aus dem Life-Sciences-Bereich wie zum Beispiel Pfizer oder Ta- berichteten Symptomen - festgestellt wird, ob das erstellte Modell keda daran, weitere seltene Erkrankungen in Ada abzubilden. geeignet ist, eine Krankheit zu erfassen und wie sie im Verhältnis zu anderen, ähnlichen Erkrankungen performt. Denn davon hängen Bis Mitte 2019 hatten Sie eine Partnerschaft mit der Techniker Kran- die Aussagen des Wahrscheinlichkeitsmodells ab, das die verschie- kenkasse. Diese hat jedoch die Kooperation mit Ihrem Unternehmen denen Wahrscheinlichkeiten, mit der innerhalb einer Erkrankung ein beendet. Es hieß damals, Ada Health hätte personenbezogene Gesund- 30 Monitor Versorgungsforschung 01/2021
Interview / News heitsdaten sowohl an Facebook als auch an den US-Dienstleister Ampli- Symptomanalyse-Apps unterscheiden sich deutlich tude übertragen. Das hatten zumindest der IT-Sicherheitsexperte Mike Kuketz und das Computermagazin „c‘t“ behauptet. >> Eine neue im Peer-Review-Verfahren begutachtete und im BMJ Gesundheitsdaten sind die sensibelsten Daten überhaupt. Wir sind Open veröffentlichte Studie* – konzipiert von einem Team aus Medi- uns bei Ada der besonderen Verantwortung sehr deutlich bewusst, zin- und Digital-Health-Experten (darunter auch Mitglieder der medi- die der Umgang mit Gesundheitsdaten mit sich bringt. Datenschutz zinischen und wissenschaftlichen Teams von Ada Health) – verglich ist aber auch ein komplexes Thema und aus unserer Sicht sind in die Abbildung von Krankheitsbildern, Genauigkeit und Sicherheit der der Berichterstattung einige Punkte zu kurz gekommen. Anbieter von acht beliebtesten Online-Apps zur Symptomanalyse. Um einen fairen Gesundheits-Apps verwenden die Dienste von Drittanbietern zum Bei- Vergleich zu gewährleisten, verwendete die Studie 200 „klinische Vig- spiel um die Funktionalität der eigenen Anwendung sicherzustellen netten“ – fiktive Patienten, die aus einem Mix realer Patientenerfah- oder die für Medizinprodukte vorgeschriebene Post-Market-Surveil- rungen aus anonymisierten Abschriften von Anrufen beim britischen lance gewährleisten zu können. Im Einklang mit der DSGVO haben wir NHS 111-Triage-Telefondienst und aus der langjährigen gemeinsamen verbindliche Verträge mit diesen Anbietern, um sicherzustellen, dass Erfahrung des Forschungsteams generiert wurden. Die Vignetten wur- die Daten unserer Nutzer geschützt und sicher sind. Wir bieten auch den extern von einem Gremium dreier erfahrener Allgemeinmediziner weiterhin einen freiwilligen Facebook-Login an, weil viele Menschen überprüft, um Qualität und Klarheit zu gewährleisten und die Liste der in Entwicklungs- und Schwellenländern keine Mailadresse haben und korrekten „Goldstandard“-Krankheitsbilder und die Dringlichkeit der der Facebook-Login somit die einzige Möglichkeit ist, Ada zu nut- Empfehlungen für jeden Fall festzulegen. Die Vignetten wurden dann zen – allerdings übermitteln wir keine persönlichen Gesundheitsdaten von acht externen Allgemeinmedizinern, die die Rolle des „Patienten“ an Facebook, wie manchmal behauptet wird. Das eigentliche Problem spielten, in die acht Apps eingegeben. Jede App wurde einmal gegen jede Vignette getestet. Sieben externe Allgemeinmediziner wurden ebenfalls mit den Vignetten getestet und lieferten nach telefonischen Beratungen Empfehlungen zu einem Krankheitsbild (vorläufige Diag- „Die sich mit den aktuellen Gesetzen nosen) für die klinischen Vignetten. eröffnenden Möglichkeiten – auch in Sachen Die Studie ergab, dass sich die Leistung der Apps deutlich unter- Reimbursement – werden Unternehmen wie scheidet und nur eine Handvoll Apps annähernd das Niveau von Allge- unseres auch innerhalb von Deutschland in meinmedizinern erreicht. Die wichtigsten Ergebnisse: Zukunft deutlich nach vorne bringen.“ 1. Abbildung von Krankheitsbildern: Die Abbildung ist ein wichtiges Maß für digitale Gesundheitstools, die großflächig in der Versorgung eingesetzt werden können. Sie zeigt an, zu welchem Ausmaß Sympto- manalyse-Apps die große Anzahl unterschiedlicher Fälle erfassen kön- war, dass unsere Datenschutz- und Einverständniserklärungen nicht nen, die in realen Versorgungssituationen auftreten können. Ein Tool explizit und detailliert genug für die Erhebung von Gesundheitsdaten mit geringer Abbildung kann z.B. Benutzer ausschließen, die zu jung, ausgestaltet waren. Ada hat hier schnell nachgebessert, sodass die zu alt oder schwanger sind oder die mit einer bereits bestehenden Probleme behoben sind. psychischen Erkrankung leben. Die Studie untersuchte, wie umfassend die getesteten Apps mögliche Krankheitsbilder und Anwendertypen Wie sieht denn die Zukunft für Ada in Deutschland aus? abbilden. Die Studie stellte fest, dass nur wenige in der Lage waren, Wir sind auf jeden Fall daran interessiert, auch wieder verstärkt alle Patienten zu erfassen. Die umfassendste App war Ada, die in 99% mit deutschen Partnern zusammenzuarbeiten. Das wird uns ganz si- der Fälle eine Empfehlung für ein Krankheitsbild lieferte. Die anderen cher auch gelingen, da gerade durch das Digitale-Versorgungs-Ge- getesteten Apps lieferten durchschnittlich in 69,5% aller Fälle eine setz und auch das Krankenhauszukunftsgesetz vieles in Bewegung Empfehlung, wobei der niedrigste Wert bei 51,5% lag. gekommen ist. Die mit diesen aktuellen Gesetzen sich eröffnenden 2. Genauigkeit: Die Studie untersuchte auch die Genauigkeit der Möglichkeiten – auch in Sachen Reimbursement – werden Unterneh- Symptomanalyse-Apps, indem sie die von den Apps vorgeschlagenen men wie unseres auch innerhalb von Deutschland in Zukunft deutlich Krankheitsbilder mit der Erkrankung verglich, die von einem Gremium nach vorne bringen. Noch aber, auch das muss man deutlich sagen, von Ärzten für jeden Fall vorher als „Goldstandard“ festgelegt wurde. sind andere Länder bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens Die Studie ergab, dass die klinische Genauigkeit der Apps ebenfalls zum Teil sehr viel weiter und damit die natürlichere Wahl für größere sehr unterschiedlich war. Ada wurde als die genaueste App eingestuft. Partnerschaften. In 71% der Fälle war bei Ada das richtige Krankheitsbild unter den drei wahrscheinlichsten Empfehlungen. Der Durchschnitt aller ande- Herr Dr. Gilsdorf, vielen Dank für das Gespräch.
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