Von Hamburgern, Ameisen und dem Dollar-Wechselkurs

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Von Hamburgern, Ameisen und dem Dollar-Wechselkurs
Gießener
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                                                                                        42 | 2009
Peter Winker

Von Hamburgern, Ameisen
und dem Dollar-Wechselkurs*

Einige Beobachtungen zur Einführung                        den meisten gängigen theoretischen Modellen
                                                           erklärbar sind.
„Finanzkrise“ lautete das Wort des Jahres                  Der Fokus dieses Beitrags liegt auf der Entwick-
2008. Für eine abschließende Analyse der Ur-               lung von Wechselkursen, wobei der Wechsel-
sachen oder gar der Folgen dieser Finanzkrise              kurs zwischen US-Dollar und Euro als Beispiel
ist es zwar noch zu früh. Mit Sicherheit lässt             dient. Daher sollen einige der typischen, auch
sich aber schon jetzt festhalten, dass ein we-             für die Veränderungen dieses „Preises“ beob-
sentlicher Aspekt der Finanzkrise in sich schnell          achtbaren Phänomene kurz erläutert werden.
ändernden Werten von Finanzanlagen bestand                 Abb. 1 stellt zunächst die Entwicklung des
und in der damit verbundenen Schwierigkeit,                Wechselkurses von US-Dollar zu DM bezie-
deren „echte“ Werte zu bestimmen. Insbe-                   hungsweise Euro von 1953 bis Ende 2008 dar.
sondere wird in diesem Zusammenhang auf                    Für die Zeit vor der Einführung des Euro wur-
die – zumindest aus heutiger Sicht – zu hohe               den dabei die Wechselkurse auf DM-Basis mit
Bewertung von amerikanischen Immobilien                    dem unwiderruflichen Euro-Umrechnungskurs
hingewiesen. Allerdings galten diese Bewer-                von 1,95583 DM/Euro in hypothetische Wech-
tungen als durchaus angemessen, solange                    selkurse auf Euro-Basis umgerechnet.
die Preise der Immobilien von Jahr zu Jahr in              Als erstes fällt die im Vergleich sehr ruhige
schwindelerregende Höhen stiegen. Welcher                  Periode bis zu Beginn der 1970er Jahre auf.
Preis für Finanzanlagen ist also der „richtige“?           Diese war durch das auf einer Konferenz im
Woran können, woran sollten sich die Akteure               amerikanischen Bretton Woods im Jahr 1944
auf den Finanzmärkten orientieren?                         vereinbarte Wechselkursregime bedingt. In
Mit der Suche nach Antworten auf diese Frage               der Vereinbarung von Bretton Woods wurden
haben sich nicht zuletzt auch viele Forscher aus           die Wechselkurse zwischen den beteiligten
dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften                  Ländern mehr oder weniger festgeschrie-
beschäftigt. Dabei ist über die Jahre eine recht           ben. Als Anker fungierte der US-Dollar, für
umfangreiche wissenschaftliche Literatur ent-              den selbst wiederum eine Golddeckung ge-
standen, die durchaus interessante Einblicke               geben war. Nach dem Auseinanderbrechen
erlaubt. Allerdings liegen damit noch keine                dieser zwischenstaatlichen Vereinbarung zeigt
umfassenden oder gar abschließenden Ant-                   der Wechselkurs eine deutlich ansteigende
worten auf die Frage vor, wie Finanzanlagen                kurz- und mittelfristige Schwankungsbreite
tatsächlich bewertet werden. Gleichzeitig kön-             (Volatilität). Neben sehr starken kurzfristigen
nen nicht nur in der aktuellen Finanzkrise Preis-          Schwankungen fallen auch die ausgeprägten
änderungen auf Finanzmärkten beobachtet                    Bewegungen im mittelfristigen Bereich ins
werden, die nicht mit streng rationalem Ver-               Auge. Auf die deutliche Abwertung des Dol-
halten der Akteure und damit auch nicht mit                lar relativ zur DM bis Anfang der 1980er Jahre
                                                           folgte eine massive Aufwertung bis 1985. Da-
* Vortrag bei der Mitgliederversammlung der GHG am         nach dauerte es lediglich zwei Jahre, bis das
1. Juli 2008. Für hilfreiche Kommentare zu einer ersten    Niveau von 1980 wieder erreicht war. Auch
Fassung dieses Beitrags bin ich Elke Dünnhoff, Henning
                                                           die Veränderungen am aktuellen Rand, der
Fischer und Manfred Gilli zu Dank verpflichtet. Alle ver-
bliebenen Unklarheiten der Darstellung gehen natürlich     Rückgang des Wechselkurses von über 1,50
alleine zu meinen Lasten.                                  auf unter 1,30 Dollar pro Euro binnen weni-

                                                                                                        63
Von Hamburgern, Ameisen und dem Dollar-Wechselkurs
folgen, während umge-
                                                                       kehrt auf ruhige Phasen
                                                                       meist ebenso ruhige Pha-
                                                                       sen folgen. Wenn man
                                                                       nicht die Reihen selbst,
                                                                       sondern die daraus für
                                                                       eine tägliche Anlage re-
                                                                       sultierenden        Renditen
                                                                       betrachtet (also: wieviel
                                                                       Prozent Gewinn oder Ver-
                                                                       lust würde man machen,
                                                                       wenn man heute Euro in
                                                                       Dollar tauschte und mor-
                                                                       gen wieder zurück?), zeigt
                                                                       sich diese Abhängigkeit in
                                                                       so genannten „Klumpen“.
                                                                       Abb. 2 zeigt die täglichen
                                                                       Wechselkursrenditen für
                                                                       den US-Dollar relativ zum
                                                                       Euro seit 1999. Deutlich er-
Abb. 1: Wechselkurs US-Dollar zu Euro 1953–2008                        kennbar sind die Klumpen
                                                                       hoher Volatilität (großer
ger Monate waren im historischen Vergleich        Schwankungsbreiten) z. B. im Jahr 2000, aber
enorm. Ein ähnlich starkes Ansteigen der          auch Phasen sehr geringer Ausschläge wie zu
Preise für Finanzmarktanlagen mit anschlie-       Beginn des Jahres 2002 oder Ende 2006 bis
ßendem mindestens ebenso rapiden Verfall          Mitte 2007. Zuletzt ist seit Mitte 2008 wieder
lässt sich immer wieder auch für Aktien (Neu-     eine hoch volatile Periode festzustellen.
er Markt 2001), Rohstoffe (Öl und Gold) und       Fasst man die täglichen Renditen der Wechsel-
andere Anlagekategorien finden. Als Bezeich-       kurse als mehr oder weniger zufällige Ereignisse
nung für dieses Phänomen hat sich der Be-         auf, kann man die zufälligen Realisierungen
griff der „Blase“ eingebürgert, die schließlich   durch ihre Verteilungsfunktion beschreiben. Die-
„platzt“. Eine der ältesten bekannten Blasen      se gibt an, wie wahrscheinlich bestimmte Aus-
ist die für holländische Tulpenzwiebeln in der    prägungen sind, d.h. wie oft man beispielswei-
Mitte des 17. Jahrhunderts. Auch die jüngere      se Renditen unter –2% oder über 2% erwarten
Entwicklung auf dem amerikanischen Immobi-        muss. Derartige Zufallsverteilungen lassen sich
lienmarkt lässt sich wohl als Blase bezeichnen,   für viele Phänomene – auch in den Wirtschafts-
wobei neben den Immobilienpreisen selbst          wissenschaften – gut durch die so genannte
auch die daran gekoppelten Hypotheken und         Normalverteilung abbilden, die dem einen oder
wiederum daraus konstruierte Kreditderivate       anderen Leser noch von der Vorderseite des
betroffen sind.                                   10-Mark-Scheins als „Gaußsche Glockenkur-
Nicht unmittelbar aus Abb. 1 abzulesen sind       ve“ bekannt sein mag. Im Vergleich mit dieser
weitere Eigenschaften von Finanzmarktzeitrei-     „normalen“ Verteilung weisen die Renditen
hen. Insbesondere zwei Charakteristika gelten     von Finanzmarktzeitreihen zu oft extreme Aus-
dabei als empirisch gut belegte so genannte       schläge auf, während gleichzeitig auch zu oft
stilisierte Fakten: Klumpenbildung und dicke      ganz geringe Ausschläge auftreten. Mit ande-
Enden. Unter Klumpenbildung fasst man die         ren Worten, bei im Durchschnitt gleichen Ren-
Beobachtung zusammen, dass auf Perioden           diten und gleicher Volatilität sind extreme Ereig-
mit starken kurzfristigen Schwankungen meist      nisse häufiger. Die Bezeichnung „dicke Enden“
wieder Perioden mit starken Preisänderungen       ist dabei allerdings weniger den ökonomischen

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Implikationen geschuldet,
die das „dicke Ende“ einer
Finanzkrise darstellen kann,
sondern der graphischen
Darstellung der Verteilung.
Wir halten also fest, dass
Finanzmarktzeitreihen ge-
legentlich Blasen werfen,
Klumpen bilden und dicke
Enden aufweisen. Dies
gilt insbesondere auch für
Wechselkursdaten        und
stellt die Ökonomen vor
das Problem, diese Eigen-
schaften modelltheoretisch
zu begründen.

Das Problem
der Ökonomen
Das Problem der Öko- Abb. 2: Tägliche Wechselkursrenditen 1999–2008
nomen besteht gerade in
den zuletzt beschriebenen Eigenschaften von In Abb. 3 wird diese Idee am Beispiel eines Big
Wechselkursdaten. Es gibt zwar eine Reihe Mac skizziert. Natürlich ist dieses Beispiel nicht
von theoretischen Modellen, die zumindest auf unbedingt besonders realistisch. Auf einige
längere Sicht hin eine plausible Erklärung für Einwände wird in der Folge noch eingegangen
die mögliche Entwicklung von Wechselkursen werden. Allerdings dient es häufig als Illus-
liefern. Allerdings erweisen sich diese Modelle tration, weil das Produkt den meisten Lesern
kurz- bis mittelfristig als weitgehend ungeeig- geläufig sein dürfte, nahezu überall auf der
net, um die empirische Entwicklung nachzuzei- Welt in identischer Form angeboten wird und
chnen, geschweige denn, um sie zu prognosti- außerdem die Preise vergleichsweise einfach zu
zieren. Hinzu kommt, dass die Modelle die eben erheben sind. Dem Beispiel in Abb. 3 liegen die
aufgeführten spezifischen Charakteristika realer Informationen für August 2007 zugrunde.
Wechselkursdaten, also das Entstehen und Plat- Demnach kostete ein Big Mac im August 2007
zen von Blasen, die Bildung von Klumpen und im Durchschnitt in den USA 3,41 $, während
die Existenz dicker Enden, nicht darstellen kön- er in der Eurozone für durchschnittlich 3,09 €
nen.                                             zu haben war. Nach der Kaufkraftparitäten-
Bevor wir uns diesen Problemen zuwenden, soll theorie müssten alle Europäer ihre Big Macs in
zunächst erst einmal eines der grundlegenden den USA kaufen, wenn sie dort nach Wechsel-
theoretischen Modelle kurz vorgestellt werden, kursumrechnung günstiger sind, oder es kä-
das zumindest auf den ersten Blick recht plausi- men umgekehrt alle Amerikaner nach Europa,
bel wirkt. Es handelt sich um das Modell der so wenn dort die Preise nach Umrechnung güns-
genannten Kaufkraftparität. Dabei wird unter- tiger wären.
stellt, dass potenzielle Konsumenten die Wahl Dieses Verhalten der Konsumenten würde zu
haben, ob sie im Inland oder Ausland einkaufen Preisanpassungen in den betroffenen Ländern
wollen. Wenn sie im Ausland kaufen, müssen sie führen, bis sich in einer gleichgewichtigen
den dortigen Preis mit dem aktuellen Wechsel- Situation die Preise nach Umrechnung gerade
kurs in die heimische Währung umrechnen, um einander entsprechen. Dann wären 3,41 $ in
einen sinnvollen Vergleich anstellen zu können.  ihrer Kaufkraft vergleichbar mit 3,09 €. Als

                                                                                            65
Abb. 3: Big-Mac-Preise und Kaufkraftparität (August 2007)

gleichgewichtigen Wechselkurs berechnet                     gen kann, die tatsächliche Wechselkursent-
man daraus unmittelbar 1 € ~ 3,41 / 3,09 $                  wicklung zu erklären. Insbesondere gibt es
~ 1,10 $. Dieser Wechselkurs, der sich aus der              sicher nicht nur ein Produkt wie den Big Mac,
Kaufkraftparitätentheorie zumindest langfristig             sondern derer viele. Davon sind einige eher
ergeben sollte, lag allerdings erheblich unter              zum Handel über den Atlantik hinweg geeig-
dem tatsächlichen Wechselkurs, der im August                net als andere – wer würde beispielsweise für
2007 1,45 $ pro Euro betrug und sich auch bis               einen Big Mac den weiten Weg antreten? Und
Sommer 2008 nicht in die „richtige“ Richtung                dann gibt es noch Steuern, Zoll und andere
bewegt hat.                                                 Handelsschranken (der Import eines Big Mac
Allerdings könnte man auf der Basis dieser Be-              dürfte beispielsweise schon daran scheitern,
obachtungen eine naive Prognose abgeben:                    dass die private Einfuhr von Fleischprodukten
Wenn der aktuelle Wechselkurs über dem                      aus nicht zur EU gehörenden Ländern grund-
der Big-Mac-Parität liegt, erwartet man einen               sätzlich nicht erlaubt ist). Anstelle von realen
Rückgang, liegt er darunter, einen Anstieg des              Gütern bietet sich daher vielleicht eher die Be-
Wechselkurses. Eine derartig schlichte Pro-                 trachtung von Geldströmen an. Geld lässt sich
gnose hätte in den vergangenen Jahren mit-                  deutlich leichter transferieren als ein Big Mac.
telfristig immerhin einen Teil der tatsächlichen            Statt in Deutschland eine Bundesanleihe im
Wechselkursentwicklung vorhersagen können.                  Wert von 1000 € zu kaufen, kann der Betrag in
Auch im aktuellen Fall wäre diese Prognose                  Dollar getauscht, in den USA in eine Staatsan-
zutreffend gewesen, wie die Entwicklung des                 leihe angelegt und nach deren Fälligkeit wieder
Wechselkurses zwischen Dollar und Euro in der               in Euro zurückgetauscht werden. Man würde
zweiten Jahreshälfte 2008 gezeigt hat.                      erwarten, dass die daraus resultierende Ver-
Wie bereits angesprochen, lässt sich ohne wei-              zinsung in beiden Fällen ungefähr die gleiche
teres eine ganze Reihe von Gründen aufzählen,               ist. Das auf dieser Annahme basierende Modell
warum es mit der Kaufkraftparitätentheorie in               der Wechselkursentwicklung heißt daher auch
der präsentierten schlichten Form nicht gelin-              die Zinsparitätentheorie. Diese ist in ihrem Er-

66
klärungsgehalt der Kaufkraftparitätentheorie         ßen. In einer noch einfacheren Variante, die
jedoch auch nicht unbedingt überlegen.               nicht mehr ganz der Analogie der Ameisen
Beide Modelle schaffen es jedenfalls nicht, die      entspricht, wird unterstellt, dass man sich der
drei typischen Charakteristika hervorzubrin-         Meinung des Erstbesten, der einem über den
gen, die oben beschrieben wurden: Blasen,            Weg läuft, mit einer gewissen Wahrscheinlich-
Klumpen und dicke Enden. Offenbar bedarf es          keit anschließt. Eines der ersten Modelle, die
dafür einer anderen Idee.                            auf individuellem Verhalten derartiger Agenten
                                                     basieren, wurde Anfang der 1990er Jahre von
Die Ameisen als Modell                               Alan Kirman (1991, 1993) vorgestellt. Inzwi-
                                                     schen gibt es eine Vielzahl von Erweiterungen
Damit kommen wir zur dritten Komponente              des Ansatzes. Hier soll nur die einfachste Va-
des Titels dieses Beitrags, den Ameisen. Anstatt     riante vorgestellt werden, um die Idee zu er-
zu versuchen, die Preise auf Finanzmärkten           läutern.
direkt auf fundamentale Gesetzmäßigkeiten            In der Grundvariante des Modells von Kirman
zurückzuführen, könnte man versuchen, das            gibt es zwei Regeln, denen Anleger folgen
Verhalten der Akteure (Agenten) selbst zu mo-        können. Entweder sie folgen einem fundamen-
dellieren. Der Modelltyp, der direkt auf diesem      talen Modell, gehen also beispielsweise davon
individuellen Verhalten basiert, wird daher          aus, dass sich der Wechselkurs an das durch
auch als Klasse der agenten-basierten Model-         die Kaufkraftparität definierte Niveau anpas-
le bezeichnet. Dabei ist zu berücksichtigen,         sen wird. Oder aber sie gehören zur Gruppe
dass sich die Agenten nicht völlig unabhängig        der so genannten Chartisten, die unterstellen,
voneinander verhalten. Zumindest wirken sie          dass sich der Trend der Vergangenheit auch in
durch ihr Verhalten auf die Marktpreise ein und      Zukunft fortsetzen wird. Es liegt auf der Hand,
reagieren auch wieder auf diese. Es findet also       dass es gerade diese Gruppe der Anleger ist,
eine Kommunikation über den Markt statt.             welche die Blasen wachsen lässt.
Außerdem bleibt es den Anlegern überlassen,          Die wesentliche Innovation des Ansatzes von
ihre Strategie zu wählen und anzupassen, wie         Kirman bestand jedoch nicht in der Modellie-
es ihnen sinnvoll erscheint. Und hier setzt die      rung von zwei unterschiedlichen Typen von
Analogie zu den Ameisen ein.                         Anlegern, sondern in der Annahme, dass sich
Die Beobachtung von Ameisenstaaten hat ge-           dieses Verhalten auch ändern kann. Dafür sieht
zeigt, dass diese durch eine relativ schlichte, im   das Modell zwei Mechanismen vor. Erstens
Ergebnis aber sehr effiziente Form der Kom-           treffen immer wieder Anleger zufällig aufei-
munikation zu ihren Futterquellen finden. Zu-         nander, wobei der eine der beiden mit einer
nächst ziehen die Ameisen nahezu ziellos von         festgelegten Wahrscheinlichkeit das Verhalten
ihrem Nest los, wobei sie eine feine Duftspur        des anderen imitieren wird. Intuitiv wird da-
hinterlassen. Stoßen sie bei ihrer Suche auf         durch die Situation abgebildet, dass Sie vom
eine Futterquelle, kehren sie zum Nest zurück.       Nachbarn erfahren, wie sich sein Vermögen am
Dabei verstärkt sich die ausgelegte Duftspur.        Neuen Markt von Tag zu Tag erhöht, und des-
Weitere Ameisen, die das Nest verlassen, wer-        halb seine Anlagestrategie übernehmen. Bleibt
den nun bevorzugt dieser Spur folgen, so dass        zu hoffen, dass Sie diese Strategie dann recht-
sich eine gegenseitige Verstärkung von immer         zeitig wieder aufgegeben haben. Eine Chan-
mehr Duftspuren und erfolgreicher Futter-            ce dazu bietet der zweite Mechanismus, die
suche ergibt, bis die Futterquelle irgendwann        Mutation, die mit einer ebenfalls festgelegten
erschöpft ist.                                       kleinen Wahrscheinlichkeit jedem Anleger die
Zwei Aspekte dieses Verhaltens lassen sich auch      „Erleuchtung“ bescheren kann, dass es besser
in ein Modell für Finanzmärkte übertragen. Ers-      wäre, eine andere Strategie zu wählen. Natür-
tens verhalten sich nicht alle Ameisen immer         lich gibt es auch hier keine Garantie, dass die
gleich. Zweitens gibt es eine Tendenz, sich den      „Erleuchtung“ zum richtigen Zeitpunkt in die
scheinbar erfolgreichen Individuen anzuschlie-       richtige Richtung führt.

                                                                                                 67
Offensichtlich kann das skizzierte, extrem ver-     mindest eine Anpassung in die richtige Richtung
einfachte Modell nicht in der Lage sein, den        erwarten dürfen. Ob diese in der Vergangenheit
exakten Verlauf der Wechselkursentwicklung          stattfand, lässt sich mit statistischen Verfahren
nachzuzeichnen. Gegenüber den oben vorge-           prüfen. Als Ergebnis würde man feststellen,
stellten theoretischen Ansätzen hat es jedoch       dass es von der Tendenz her in der Regel mittel-
den großen Vorteil, dass damit alle wesent-         fristig eine Anpassung in die richtige Richtung
lichen Charakteristika von Finanzmarktzeit-         gab, dass diese allerdings relativ langsam und
reihen nachgebildet werden können. Mit an-          unvollständig erfolgte. Damit ist der Erklärungs-
deren Worten, dieses einfache Modell kann           gehalt des Modells zwar nicht gleich null, aber
Blasen erzeugen, Klumpen bilden und dicke           eben durchaus noch steigerungsfähig.
Enden aufweisen und damit insbesondere im           Eine vergleichbare Überprüfung eines agenten-
Hinblick auf kurzfristige Phänomene erheblich       basierten Modells ist nicht so einfach. Tatsäch-
mehr leisten als die klassischen Ansätze wie die    lich fehlt bislang eine einheitliche Methode
Kaufkraft- oder Zinsparitätentheorie.               zu diesem Zweck. Da diese Modelle nicht pri-
Diese knappe Skizze der Idee agenten-basierter      mär das Ziel haben, die tatsächliche Wechsel-
Modelle ist sicher nicht geeignet, ein tiefer ge-   kursentwicklung zu beschreiben, sondern eher
hendes Verständnis der Methode zu vermitteln.       deren typische Charakteristika, liefern sie keine
Außerdem soll an dieser Stelle auch nicht auf       Resultate, die für einen direkten Vergleich mit
die ganze Breite möglicher Anwendungen der          den realen Daten geeignet wären. Daher be-
agenten-basierten Modelle eingegangen wer-          dient man sich in diesem Fall eines indirekten
den. Der interessierte Leser kann aber einige       Ansatzes. Dieser konzentriert sich auf die Frage,
interessante Anwendungen auf gesamtwirt-            mit welcher Genauigkeit das Modell bestimmte
schaftliche Zusammenhänge, Innovationsver-          Eigenschaften der realen Daten reproduzieren
halten, Verkehr und Stromnetze und natürlich        kann. Vereinfacht ausgedrückt: Erzeugt das
auch auf Finanzmärkte in einem kürzlich er-         Modell genauso oft und genauso große Blasen
schienenen Themenheft der Jahrbücher für            wie der reale Markt? Fällt die Klumpenbildung
Nationalökonomie und Statistik (LeBaron/Win-        vergleichbar aus? Und sind auch die Enden ge-
ker, 2008) finden.                                   nauso dick wie in der Realität? All diese statis-
                                                    tischen Eigenschaften können sowohl für die
Modell und Realität                                 realen Daten als auch für die simulierten Da-
                                                    ten durch statistische Maßzahlen ausgedrückt
Vor den Schlussfolgerungen möchte ich diese         werden, deren Vergleich dann die gewünschte
Ausführungen abrunden mit einigen Anmer-            Auskunft liefert. Im Idealfall wären dabei alle
kungen zum Zusammenhang von Modell und              Werte für simulierte und reale Daten gleich.
Realität. Bevor man ein Modell einsetzen kann,      Das Ergebnis des Vergleichs der Eigenschaften
um die aktuelle Situation zu analysieren, eine      realer und durch das Modell simulierter Daten
Prognose über die wahrscheinliche zukünf-           hängt nicht allein vom gewählten Modell ab.
tige Entwicklung abzugeben oder spezifische          Vielmehr wird auch die Festsetzung der Werte
politische Maßnahmen zu empfehlen, sollte           bestimmter Parameter des Modells eine Rolle
das Modell zunächst einer Überprüfung un-           spielen. Zwei der zentralen Parameter des skiz-
terzogen werden. Insbesondere ist zu testen,        zierten Modells von Alan Kirman sind beispiels-
inwieweit es die relevanten Eigenschaften des       weise die Wahrscheinlichkeit, mit der man sich
betrachteten Phänomens darstellen kann.             bei einem zufälligen Treffen von der Strategie
Für das Beispiel der Wechselkursentwicklung er-     des anderen überzeugen lässt, und die Wahr-
scheint es nahe liegend, wie die klassischen The-   scheinlichkeit einer Mutation (der plötzlichen
orien einer solchen Prüfung unterzogen werden       Erleuchtung). Es ist durchaus vorstellbar, dass
können. Wenn, wie im Beispiel aus Abb. 3, der       unterschiedliche Werte für diese Parameter
aktuelle Wechselkurs von dem durch das Mo-          andere Eigenschaften des Modells erzeugen.
dell prognostizierten abweicht, sollte man zu-      Wenn beispielsweise gar keine Mutationen

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auftreten würden, könnte
es sein, dass die Agenten
im Modell irgendwann
alle vom gleichen Typ sind.
Wenn dies der fundamen-
talistische Typ ist, würden
sehr ruhige Wechselkurs-
reihen resultieren. Wenn
es der chartistische Typ
wäre, könnten Blasen für
immer wachsen. Beides
entspricht nicht den realen
Beobachtungen, was für
eine von null verschiedene Abb. 4: Validierung agenten-basierter Modelle
Mutationsrate spricht. Das
Ziel besteht also darin, genau die Werte für die lich eine bessere Modellierung von Wechsel-
Parameter des Modells zu wählen, die zu einer kurszeitreihen oder anderen Finanzmarktzeit-
möglichst guten Übereinstimmung von Modell reihen möglich sein wird. Zumindest hilft die
und realen Daten führen. Diese Rückkoppe- Klasse der agenten-basierten Modelle jedoch,
lung ist in Abb. 4 durch den Pfeil dargestellt, unser Verständnis über die Ursachen und Aus-
der von der Box „Vergleich“ zurück zur Box wirkungen großer Veränderungen auf den Fi-
„agenten-basiertes Modell“ führt. Man spricht nanzmärkten zu verbessern.
dann auch von einer „Schätzung“ der Parame-
ter. Der vorgestellte Ansatz wird als indirekte Schlussfolgerungen
simulierte Momentenmethode bezeichnet.
Erschwert wird dieses Unterfangen in der Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der
praktischen Umsetzung dadurch, dass zwar Nutzen der klassischen ökonomischen Ansätze
die Werte der gewählten Maße für die realen zum Verständnis kurzfristiger Entwicklungen
Wechselkursdaten in einem bestimmten histo- auf Finanzmärkten häufig sehr begrenzt ist. Au-
rischen Zeitraum eindeutig bestimmbar sind, ßerdem eignen sich diese Theorien auch nicht,
dieselben Maße für die simulierten Zeitreihen die Wirkungen möglicher institutioneller Ein-
des Modells bei jeder Wiederholung jedoch et- griffe in das Geschehen auf Finanzmärkten zu
was anders ausfallen können. Dies liegt an den analysieren. So wird beispielsweise eine so ge-
zufälligen Komponenten des Modells (Über- nannte Tobin-Steuer auf Devisentransaktionen
zeugungswahrscheinlichkeit, Mutationswahr- vorgeschlagen, um die kurzfristige Spekulation
scheinlichkeit). Daher muss das Modell öfter und die daraus resultierenden Schwankungen
simuliert werden, um dann mit den durch- auf dem Devisenmarkt zu reduzieren. Offenbar
schnittlichen Werten für die statistischen Maße macht eine solche Steuer im klassischen Modell
weiter zu verfahren.                              wenig Sinn, in dem Devisentransaktionen aus-
Mit den rechentechnischen Komplikationen schließlich durchgeführt werden, um den Han-
und Ansätzen zu deren Lösung möchte ich del zwischen Ländern zu realisieren. In diesem
die Leser an dieser Stelle nicht aufhalten, sie Fall würde eine solche Steuer nur den Kauf des
werden beispielsweise in Winker/Gilli/Jelesko- Big Mac jenseits des Atlantiks verteuern, was
vic (2007) ausführlicher diskutiert. Wichtig zumindest bei anderen Gütern nicht unbedingt
erscheint mir jedoch der Hinweis, dass die Me- im Interesse der Konsumenten sein dürfte.
thode noch in ihren Kinderschuhen steckt. Von Gegenüber den klassischen Theorien erlauben
daher ist es wenig überraschend, dass derzeit die agenten-basierten Modelle realistischere
noch keine Aussage darüber möglich ist, ob Annahmen über das Verhalten der Akteure.
mit den vorgestellten Modellansätzen tatsäch- Insbesondere muss nicht davon ausgegangen

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werden, dass sich alle Marktteilnehmer immer       nieren. Das Entstehen einer Blase könnte damit
gleich verhalten. Stattdessen können unter-        nicht erst im Nachhinein diagnostiziert werden,
schiedliche Verhaltensregeln unterstellt wer-      sondern schon, während diese noch im Wach-
den, die entweder recht einfach konzipiert sind    sen ist. Wichtiger vielleicht noch als derartige
wie im hier vorgestellten Beispiel oder aber das   Aussagen ist aber die Option, empirisch valide
Ergebnis komplexerer Lernvorgänge sind, die        Modelle dieses Typus zu nutzen, um die Effekte
dann ebenfalls Teil des Modells werden. Na-        institutioneller Eingriffe zu analysieren. Bei-
türlich entsteht hierdurch eine deutlich höhere    spielsweise kann man in einem solchen Modell
Komplexität der Modellierung, da man im Prin-      sinnvoll die Frage stellen, ob eine Tobin-Steuer
zip nahezu beliebig viele, mehr oder weniger       grundsätzlich geeignet wäre, die Häufigkeit des
sinnvolle Verhaltensmuster unterstellen kann.      Entstehens und das Ausmaß von Blasen zu re-
Dazu kommt noch, dass es ebenfalls realistisch     duzieren. Beispiele für solche Analysen finden
ist, wie im hier vorgestellten Modell anzuneh-     sich bei Westerhoff (2008).
men, dass sich das Verhalten im Zeitablauf än-     Wie nicht unüblich am Schluss einer Abhand-
dern kann. Wiederum kann diese Änderung            lung über einen relativ jungen Forschungs-
eher einem schlichten Zufallsmuster folgen         zweig, kann es kein abschließendes Urteil
oder ebenfalls das Ergebnis eines komplexen        darüber geben, ob der Ansatz anderen Metho-
Lernprozesses sein, indem man beispielswei-        den überlegen ist oder nicht. Es lässt sich aber
se unterstellt, dass Strategien, die sich in der   sicher festhalten, dass agenten-basierte Modelle
Vergangenheit als erfolgreich herausgestellt       neue Einsichten über die Funktionsweise (nicht
haben, eine höhere Wahrscheinlichkeit aufwei-      nur) von Finanzmärkten liefern können. Damit
sen, auch in Zukunft angewandt zu werden.          steckt auf jeden Fall Potential in den vorgestell-
Man erkauft sich die höhere Realitätsnähe der      ten Ideen. Dieses Potential zu realisieren wird
Modelle somit mit einem erheblich höheren          die Aufgabe zukünftiger Forschungsarbeiten
Komplexitätsgrad, was sich insbesondere für        sein. Vielleicht wird es dann auch möglich sein,
die Quantifizierung der Modellparameter und         in Zukunft die ersten Anzeichen von drohenden
den Vergleich der Modellgüte mehrerer Model-       Finanzmarktkrisen früher zu erkennen und ge-
le als zumindest nicht unproblematisch heraus-     eignete institutionelle Maßnahmen zu deren
stellt. Im vorliegenden Beitrag konnte lediglich   Verhinderung zu finden.
eine grobe Idee vermittelt werden, wie mit die-
sem Problem methodisch umgegangen werden
                                                   Literatur:
kann. Die Forschung dazu steht aber eher noch
                                                   Kirman, A. (1991): Epidemics of opinion and speculative
am Anfang. Wenn diese Probleme jedoch zu-            bubbles in financial markets. In: M. Taylor (Hrsg.): Mo-
mindest teilweise in den Griff zu bekommen           ney and Financial Markets. Macmillan, S. 354–368.
sind, erhält man eine neue Modellklasse, die       Kirman, A. (1993): Ants, rationality, and recruitment. In:
neue Analysen erlaubt. Wahrscheinlich wird es        Quarterly Journal of Economics 108, S. 137–156.
                                                   LeBaron, B.; Winker, P. (2008): Introduction to Special
zwar auch mit diesen Modellen nicht gelingen,        Issues on Agent Based Models in Economic Policy Ad-
perfekte Prognosen über die Entwicklung der          vice. In: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik
Wechselkurse abzuliefern. Würde dies gelin-          228, S. 141–147.
                                                   Westerhoff, F. (2008): Regulation of financial markets:
gen, wäre der Autor ein gemachter Mann und           Some First Insights from Agent-Based Models. In:
würde sich hüten, sein Wissen mit anderen zu         Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 228,
teilen. Allerdings könnte die Schätzung der Mo-      S. 195–227.
delle eines Tages Aussagen darüber erlauben, in    Winker, P.; Gilli, M.; Jeleskovic, V. (2007): An Objective
                                                     Function for Simulation Based Inference on Exchange
welchem Zustand sich ein Markt aktuell befin-         Rate Data. In: Journal of Economic Interaction and Co-
det, das heißt, welche Art von Strategien domi-      ordination 2, S. 125–145.

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