Vortrag "Familienfreundlichkeit als Standortvorteil der Zukunft" - Veranstaltung Kölner Bündnis für Familien Köln, 06. November 2009 - Stadt Köln
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Vortrag „Familienfreundlichkeit als Standortvorteil der Zukunft“ Veranstaltung Kölner Bündnis für Familien Köln, 06. November 2009 Dr. Harald Seehausen Frankfurter Agentur für Innovation und Forschung 1
„Familienfreundlichkeit als Standortvorteil der Zukunft“ Ausgangsüberlegung, Innovation und Forschung 2
Ohne junge Familien gibt es keinen Fachkräftenachwuchs, keine neuen Unternehmen und keine Innovation. Praxisbeispiel: • Die IHK Frankfurt am Main legt seit 2006 alle zwei Jahre einen Familienatlas über die Familienfreundlichkeit einer Region vor. Ziel ist es, Stärken und Schwächen aufzudecken und Impulse zu geben, damit sich die Kommunen den Herausforderungen von morgen stellen können. Ein inhaltlicher Schwerpunkt: passgenaue und flexible Öffnungszeiten von Kindertageseinrichtungen. In dem Vorwort schreibt die ehemalige Vizepräsidentin und Diplom-Ing. Dagmar Bollin-Flade: “Die Familienfreundlichkeit im weitesten Sinne wird einer der entscheidenden Standortfaktoren der Zukunft sein. In absehbarer Zeit werden Unternehmen qualifizierte Fachkräfte fehlen. Auf der anderen Seite werden Kunden ausbleiben, die Dienstleistungen in Anspruch nehmen und Produkte kaufen können. Auch um die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung zu gewährleisten, sind wir alle auf nachfolgende Generationen angewiesen. Unsere Wirtschaft braucht junge, qualifizierte Menschen und junge Menschen brauchen eine Perspektive, um mit Kindern leben zu können. Familienfreundlichkeit wird daher eine immer größere Rolle spielen, wenn es darum geht, qualifizierte Arbeitskräfte anzuziehen und die Region wirtschaftlich zu stärken. Der steigende regionale Wettbewerb wird die Kommunen dazu zwingen, ihre Aktivitäten auf dem Gebiet der Familienfreundlichkeit zu verstärken. „Lokale Bündnisse für Familie“ bringen Standortvorteile • Ich orientiere mich an einer Innovationsberatung von Lokalen Bündnisse für Familien, habe 8 Kommunen beraten, werde mich aber vorrangig auf Frankfurt am Main beziehen. Hier sind seit der Gründung im September 2005 vielfältige neue Partnerschaften zwischen Kommunen, Trägern, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft entstanden, die eine nachhaltige Familienpolitik und den Zusammenhalt des örtlichen Gemeinwesens anstreben. • Also: Wo liegt der Nutzen, die Standortvorteile von Familienfreundlichkeit für die Bündnisakteure, insbesondere die Nutzeneffekte für Unternehmen? 3
Innovationsberatung und Praxisforschung vor Ort Welche quantitative und qualitative Forschung steht hinter den folgenden Thesen? • Untersuchung auf Grundlage von Netzwerkanalysen, Fallstudien, quantitativen Erhebungen, ausführlichen Interviews (im Rahmen einer Begleitforschung) Im Rahmen der „Allianz für die Familie“ hat die Prognos AG den Nutzen besonders für Wirtschaft und Politik genauer untersucht. So bildete der Schwerpunkt „Betriebswirtschaftliche Effekte familienfreundlicher Maßnahmen – Kosten-Nutzen-Analyse“, und vom Handwerksbetrieb bis zum Weltkonzern. Modellrechnungen und Fallstudien – Investitionen in Familienfreundliche Arbeits- und Rahmenbedingungen rechnen sich. • Leitung des bundesweiten Modellprojekts „ Betriebliche Förderung von Kinderbetreuung“ • Eigene Evaluationsforschung (2001, 2004, 2009) im Auftrag der Commerzbank. Praxisbeispiel Erweiterung von Kids & Co. auf 50 Plätze für Coba-ehemalige Mitarbeiter der Dresdner Bank 1. These Familienfreundliche Rahmenbedingungen werden zu einem wesentlichen Teil vor Ort geschaffen. Lokale Bündnisse für Familie stehen für eine nachhaltige Familienpolitik und den Zusammenhalt des örtlichen Gemeinwesens. Praxisbeispiel: • Der jedes Jahr stattfindende Frankfurter Familienkongress ist ein Baustein des Lokalen Bündnisses für Familien. Diese übergreifende Bündnisaktivität stellt ein wissenschaftliches Forum einer zukunftsorientierten Familienpolitik zur Verfügung und knüpft an aktuellen internationalen, nationalen und regionalen Forschungsergebnissen an. Hier werden gleichzeitig innovative familienfreundliche Reformprojekte der Stadt präsentiert und entsprechende Rahmenbedingungen im Dialog zwischen Kommune, Wirtschaft, Kirchen, Familienbildung, Elternvertreter u.a. thematisiert (u.a. 7. Familienbericht und 12. Kinder- und Jugendbericht). Die Entwicklung von sozialen Netzwerken für und mit Familien unterschiedlicher Milieus bildet u.a. einen inhaltlichen Schwerpunkt der Frankfurter Reformbeispiele. 4
Welche Zielrichtung steht hinter diesem innovativen Beispiel von Reformpraxis, kommunaler Familienpolitik und Forschung? • In der Kommunalpolitik muss Familienfreundlichkeit aufgrund der Vielschichtigkeit als Querschnittthema über zahlreiche Ressorts hin angelegt sein. Den lokalen Akteuren und damit den „Lokalen Bündnissen für Familie“ kommt eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung einer familiengerechten Großstadt zu. Sicherlich beeinflusst der Bund und das Land die Verbesserung der Existenzbedingungen für Familien. Ob die konkreten Lebensbedingungen familiengerecht sind, wird jedoch vor Ort bestimmt. • Hier liegt eine komplexe Querschnittsaufgabe in der Kooperation zwischen Kommune, Institutionen, Politik, Kirchen und Wirtschaft sowie Bürgerinitiativen vor uns: Familienfreundlichkeit betrifft vielfältige Handlungsfelder - von Wirtschaft, Wohnungsbau, Kultur und Sport, Bildung und Betreuung, Generationen, Chancengleichheit von Frauen und Männern. Dies bedeutet aber auch: Das Zusammenwirken und nicht die Summe der Einzelangebote entscheidet darüber, ob Familien attraktive Lebensbedingungen vorfinden. • Effekte, wie etwa ein verstärkter Zuzug von Familien oder ein familienfreundliches Image einer Region sind nicht auf Einzelmaßnahmen oder einzelne Akteure rückführbar, sonder nur durch die Gesamtheit der Angebote erklärbar. 2. These Eine familienbewusste Personalpolitik wird zu einem festen Bestandteil für die Unternehmenskultur der Zukunft. Sie bringt wirtschaftliche und gesellschaftliche Vorteile für das Unternehmen. Praxisbeispiel: Die Veritas AG, ein mittelständisches Unternehmen in Nordhessen, organisiert gemeinsam mit der Kommune Gelnhausen, Sportvereinen, Fachschule für Erzieherinnen für die erwerbstätigen Eltern eine betriebsnahe Ferienbetreuung. Das in der Region hoch anerkannte Projekt ist Teil eines Leitbildes des Unternehmens und steht in enger Verbindung mit einer mitarbeiterorientierten Unternehmenskultur. Vorstandsmitglieder und Mitarbeiter des Unternehmens beteiligen sich aktiv an der Ferienbetreuung. 5
Welche Strategie von moderner familienfreundlicher Unternehmenskultur steht dahinter? • Das Stichwort lautet „Erfolgsfaktor Mitarbeiterqualität – Mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur“ • Fassen wir wichtige Veröffentlichungen des Instituts für Mittelstandforschung zusammen, dann wird hier der Erfolgsfaktor Mitarbeiterqualität in den Mittelpunkt der Zukunftssicherung gerückt. • Eine herausragende Strategie für die Zukunftssicherung der mittelständischen Unternehmen ist es, gute Mitarbeiter zu finden, sie zu halten und für eine funktionierende, leistungsorientierte und innovationsfreundliche Unternehmenskultur zu sorgen. Dies bedeutet Investitionen in die Personalentwicklung. • Wissen und Können ist aber kein Kapitalwert, der irgendwie gelagert und bilanziert werden kann. Das gesamte Know - how eines Unternehmens steckt in den Köpfen der Mitarbeiter. Nichts bedroht die Existenz eines Unternehmens langfristig mehr, als wenn dieses Potential nicht gepflegt wird, seinen Wert verliert oder schlicht abwandert. • In diesem Kontext heißt unternehmerische Familienorientierung: Flexibel und bedarfsgerechter auf familiäre Mitarbeiterbelange zu reagieren (u.a. Arbeitszeit, Arbeitsort, Service für Kinderbetreuung). 3. These Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bietet einen wichtigen regionalen Standortvorteil. Die Balance von privaten und öffentlichen Interessen und Pflichten erfordert eine Bündelung von Angeboten, Koordination und Kooperation unterschiedlicher Bündnisakteure. Praxisbeispiel: Die Projektgruppe „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ des Frankfurter Bündnisses für Familie, bestehend aus Betriebsräten, Personalverantwortlichen, Gewerkschaftsvertretern, Frauenbeauftragten, Trägern und Leitungskräften von Kindertageseinrichtungen, der Wirtschaftsförderung, Agentur für Arbeit haben sich u.a. intensiv mit de Fragekreis „Standortvorteil auf der Ebene betriebswirtschaftlicher Effekte“ 6
auseinandergesetzt. Neben den quantitativen Effekten standen insbesondere „weiche“ Motivations- und Leistungseffekte im Mittelpunkt der Analyse. • In verschiedenen Studien sind in den letzten fünf Jahren die betrieblichen Wirkungen einer familienorientierten Personalpolitik untersucht worden, so dass mittlerweile von einem breiten Konsens in Bezug auf den betriebswirtschaftlichen Nutzen und damit die Wirkungen von Maßnahmen, insbesondere von betrieblich geförderter Kinderbetreuung, gesprochen werden kann. • Die Verringerung familienbedingter Fluktuation, die Beschäftigung mit höheren Pensen, die frühzeitige Rückkehr aus der Elternzeit, der frühzeitige Wiedereinstieg Teilzeit in Elternzeit, Senkung von Fehlzeiten und Krankenstand und Wettbewerbsvorteile beim Personalrecruiting sind wichtige Wirkungen. • Ein besonderes Ergebnis der Projektgruppe: „Beruf und Pflege in Einklang bringen“. Entwicklung eines „Pflegekompetenz-Trainings für Beschäftigte aus sieben Unternehmen. Dieses Projekt dokumentiert einen Kulturwandel in der Wirtschaft. Dazu der Betriebsratsvorsitzende Dr. Rüdiger Koch bei Merz Pharma: „Ich beobachte einen allmählichen Kulturwandel in der Wirtschaft, die das Thema Pflege bislang größtenteils ausgeklammert hat. Dabei handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, denn die ambulante Pflege wird immer mehr zur Normalität werden. Unternehmen wie Mitarbeiter müssen dieser Entwicklung gewachsen sein“. • Die Betriebe profitieren durch Kostenreduzierungen im Personalbereich, höhere Mitarbeiterbindung oder Wettbewerbsvorteile im Markt, Arbeitsnehmer und Arbeitnehmerinnen durch größere Arbeitszufriedenheit und eine besser gelingende Work-Life-Balance. 4. These Lokale Bündnisse beziehen an Hochschulstandorten die Interessen von jungen Eltern bei der Vereinbarkeit von Familie, Studium und Forschung mit ein. Familienfreundlichkeit wird zu einem wichtigen Argument, das Absolventinnen und Absolventen in der Region hält. Praxisbeispiel: 7
Vertreterinnen der Frankfurter Fachschulen und der Goethe – Universität beteiligen sich an dem Frankfurter Bündnis für Familien; sie kooperieren mit dem Träger „Gesellschaft zur Förderung betrieblicher und betriebsnaher Kindereinrichtungen e.V. Eine Campus-Kita wurde 2006 neu errichtet. Darüber hinaus gibt es Betreute Kinderzimmer, Eltern-Kind-Räume, Beratung für studierende Eltern, Berücksichtigung von Mutterschutz, Elternzeit und Pflegesituationen in Prüfungsordnungen, Teilzeitstudium, alternierende Telearbeit. Ein weiteres Praxisbeispiel: Das Frankfurter Kinderbüro hat mit einer Beschäftigungsgesellschaft und einem Weiterbildungszentrum (GFFB) eine Notfallbetreuung für Hartz IV-Eltern, aber auch für ExistenzgründerInnen (und in der Umgebung tätige Unternehmen) installiert. Ein familienfreundliches Umfeld verbessert vor allem die Bedingungen für Existenzgründungen; Gründerinnen und Gründer brauchen eine gut ausgebaute Betreuungsinfrastruktur, besonders in der belastenden Anfangsphase. Gegenwärtig wird eine Krippe aufgebaut. 5.These Neue Wege zur flexiblen Gestaltung von Kinder- und Familienzeit, Öffnungszeiten in Tageseinrichtungen und Arbeitszeit bilden eine wichtige Grundlage in der Verknüpfung von persönlichen und betrieblichen Zeitbelangen. Praxisbeispiel: Das Frankfurter Bündnis für Familie hat in der Projektgruppe „ Chancen und Risiken flexibler Betreuungsangebote für Kleinstkinder“ wichtige psychologische und pädagogische Fragen von langen und differenzierten Öffnungs- und Betreuungszeiten geklärt und diese gemeinsam mit Vertreterinnen aus der Wirtschaft unter die Lupe genommen. Der 3. Frankfurter Familienkongress hat in diesem Jahr unter dem Titel“ Mehr Zeit für Kinder und Familien“ neue Zeit-Brücken zwischen Familie, Kindertageseinrichtungen und Unternehmen entwickelt und entworfen. Fassen wir wichtige Merkmale der Beiträge und Workshops zusammen: 8
• Kinder brauchen Elternzeit • Angebotsflexibilität unterstützt die Stabilität der Familie • Familiengerechte Arbeitszeit fördert Lebenszufriedenheit • Familienbewusste Personalpolitik bietet Stressentlastung • Zeit-Brücken verringern die Zeithektik in den Familien • Mehr Väterzeit führt zu einer besseren Balance im Alltag • Familienorientierte Öffnungszeiten verringern Zeithektik • Gemeinsame Zeit mit Kindern und Familien ist zu erlernen. Ich werde in dem folgenden Workshop „Chancen und Risiken der Flexibilisierung von Arbeitszeiten und Öffnungszeiten für Kinder, Eltern und Unternehmen“ näher darauf eingehen. 6. These Die Vielfalt betrieblich geförderter Kinderbetreuung unterstützt u.a. die Anwerbung und Bindung qualifizierter Arbeitskräfte. Familienfreundlichkeit wird hier zum Wettbewerbsfaktor. Weiche, qualitative Effekte beeinflussen Arbeitszufriedenheit und Lebenszufriedenheit. Praxisbeispiel Die Projektgruppe des Frankfurter Bündnisses für Familie „Betriebliche Förderung von Kinderbetreuung“ hat sich mit einer Vielfalt betrieblich geförderter Kinderbetreuung auseinandergesetzt. Es existieren in Frankfurt inzwischen 29 Projekte, die z. T. unterschiedliche Organisationsmodelle von betrieblich unterstützter Kinderbetreuung verfolgen: • Betriebseigene Kindertageseinrichtung • Betriebliche Beteiligung an einer Stadtteil-Kita • Förderung einer Elterninitiative • Überbetriebliche Kooperation mehrerer Unternehmen • Finanzierung von Belegplätzen in bestehenden Einrichtungen • Betreuung in besonderen Situationen • Information/Beratung/Vermittlung • Angebotserweiternde Maßnahmen. Die Projektgruppe ist ein Fundus kreativer Ideen praktischer Firmenbeispiele und gelebter Zusammenarbeit mit Akteuren aus unterschiedlichen Handlungsfeldern kommunaler Familienpolitik 9
Das Frankfurter Bündnis für Familien organisiert Fachforen, wo die Ergebnisse von Projektgruppen der breiten Fachöffentlichkeit vorgestellt werden, vor allem mit dem Ziel, mit den Entscheidungsträgern aus Politik und Verwaltung Förderkriterien mit entsprechenden Finanzmitteln zu diskutieren und zu realisieren. In einer engen Kooperation zwischen FAIF und Prognos sind auf dem Hintergrund von pädagogischen und betriebswirtschaftlichen die Wechselbeziehungen und Wechselwirkungen von quantitativen Effekten sowie den weichen Motivations- und Leistungseffekte untersucht worden. Die qualitativen Effekte sind weniger greifbar als die quantitativen Effekte und werden darum häufig als „weiche“ Effekte bezeichnet. Zufriedenheit am Arbeitsplatz, ein positives Betriebsklima und die Identifikation mit dem Unternehmen sind von großer Bedeutung für die Leistungsfähigkeit und den Leistungswillen der Beschäftigten. Mit den folgenden Überschriften aus der Evaluationsstudie möchte ich Sie neugierig auf die Ergebnisse machen: • Motivation und Zufriedenheit: Erfolgreich in Beruf und Familie • Betriebsklima: Teamfähige Eltern in familienfreundlicher Umgebung • Weniger Stress: Dank Flexibilität konzentrierter arbeiten • Effizienz und Produktivität: Leistungsfähig wie alle anderen • Potenzial von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern voll genutzt. 7. These Unternehmen profitieren von frühkindlicher Förderung und Unterstützung von Familien. Moderne Konzepte der Bildung, Erziehung und Betreuung fördern auf lange Sicht Auszubildende und Beschäftigte mit höheren fachlichen und sozialen Kompetenzen. Praxisbeispiel: Die Arbeitsgruppe „Familienbildung und Unternehmen“ untersucht den Fragekreis „Familienkompetenzen – Potential einer innovativen Personalpolitik“. Akteure wie Familienbildnerinnen, Betriebsräte, Gleichstellungsbeauftragte, Beauftragte für Chancengleichheit am 10
Arbeitsmarkt der Agentur für Arbeit haben zwei Fragen in den Mittelpunkt ihrer Fachdiskussion gestellt: • Welche in der Familie erworbenen Kompetenzen sind anzuerkennen, aufzugreifen und bringen welchen Nutzen für das Unternehmen, die Gesellschaft und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? • Welche Schlüsselkompetenzen werden durch Familienbildungsangebote speziell gestärkt und was bieten Familienbildungsstätten als Kooperationspartner von Unternehmen? (Diskussionen mit Betriebs- und Personalräten, Personalmanagement von Union Investment und der Stadt Frankfurt als Arbeitgeber) Welcher Grundgedanke steht hinter diesem Ansatz? Neue Strukturen in der Arbeitswelt führen zu immer schnellerem Veralten technisch-fachlicher Qualifikationen. Diese Veränderungen und die damit verbundene höhere Komplexität der Arbeitsaufgaben stellen hohe Anforderungen an die Lern- und Innovationspotentiale der Beschäftigten. In diesem Zusammenhang gewinnen überfachliche Schlüsselkompetenzen stetig an Gewicht: Persönliche und soziale Kompetenz, unternehmerische Kompetenz und Führungskompetenz. Auf allen Ebenen des Wirtschaftsprozesses sind Innovationsfähigkeit, phantasievolle Kreativität und vor allem ein enorm hohes Ausbildungsniveau gefragt. Diese Potentiale des Humanvermögens bedürfen langjähriger Investitionen im außerökonomischen Bereich. Auf internationalen Finanzmärkten wird der Faktor „Humanvermögen“ zu einem immer zentraleren Wettbewerbsfaktor eines Wirtschafts- und Lebensstandortes (Soziales Kapital). 8. These Kommunen erhalten mit der Mitarbeit in lokalen Bündnissen trotz angespannter Haushaltslage neue Möglichkeiten der Gestaltung. Sie können dank besserer Informationen ihre Angebote zielgerichteter entwickeln. Kooperationen zwischen Kommunen, Trägern und Wirtschaft führen zu neuen Ressourcen. Praxisbeispiel 11
In der Kommune Maintal (im Einzugsgebiet von Frankfurt) entwickeln die verantwortlichen Mitarbeiterinnen aus dem Personalmanagement von Unternehmen und der Abteilung für Kinder- und Familienförderung der Kommune das Instrument der Elternbefragung im Unternehmen, um genauer Bedarfe von Familien zu recherchieren. Hieraus entstehen nicht selten auch neue Formen der Mix-Finanzierung von Betreuungsangeboten. Träger und Einrichtungen der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe profitieren von neuen Impulsen der Wirtschaft zur Entwicklung ihres Angebotes. Sie können es passgenau und bedarfsgerecht gestalten und Ressourcen gezielt einsetzen. Kooperationen mit der Wirtschaft können zu kreativen Innovationen führen und zusätzliche Finanzmittel erschließen. 9. These Positive Auswirkungen eines familienfreundlichen Umfeldes zeigen sich durch Einkommenseffekte auf die Regionalwirtschaft und die öffentlichen Haushalte. Eine höhere Erwerbstätigkeit von Eltern mit kleinen Kindern führt zu Steuermehreinnahmen. Fallstudien für die Praxis Die Prognos AG hat in einer Reihe von Kommunen von lokalen Bündnissen für Familie positive Einkommens- und Steuereffekte berechnet. So wurden u.a.in Jena regionalwirtschaftliche Beschäftigungseffekte einer Kinderbetreuungseinrichtung untersucht, die durch flexible Angebote vielen Frauen die Wiederaufnahme ihrer Arbeit oder überhaupt erst die Aufnahme einer Tätigkeit ermöglichte. Weitere Beispiele aus Ostfriesland, wo es sich um die Vermittlung von Arbeits- und Betreuungsplätzen handelte, oder aus Mittelhessen, wo die Gemeinde Wettenberg von dem Zuzug junger Familien profitiert. • Die positiven Auswirkungen eines familienfreundlichen Umfeldes auf die kommunalen Haushalte entstehen durch eine höhere Erwerbsbeteiligung von Eltern mit kleinen Kindern und durch die Vermeidung von familienbedingter Arbeitslosigkeit. • Oder: Der Mangel an Kinderbetreuungsmöglichkeiten führt zu Mindereinnahmen bei der Einkommenssteuer und bei den Sozialversicherungsbeiträgen. Familienbedingte Arbeitslosigkeit führt zu Mehrausgaben der öffentlichen Haushalte. • Ein weiterer(Brutto-)Einnahmeeffekt für die öffentlichen Haushalte entsteht bei der Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen im Bereich der Kinderbetreuung 12
und anderer familiennaher Dienstleistungen. Durch bessere Betreuungsangebote – vor allem für alleinerziehende Mütter und Väter – können Kommunen hier Einsparungen erzielen. • Durch die Bindung und den Zuzug von Familien – in langfristiger Perspektive auch durch die häufigere Entscheidung für Kinder – kann die Kaufkraft einer Region durch Familienfreundlichkeit nachhaltig gesichert werden. 10.These Durch den Zusammenschluss von Akteuren aus unterschiedlichen Bereichen zu einem Lokalen Bündnis und der damit verbundenen Öffentlichkeitswirksamkeit erhöht sich die Legitimation des Themas Familienfreundlichkeit entscheidend. Praxisbeispiel Einmal im Jahr organisiert das Frankfurter Bündnis für Familie im Zoo die Frankfurter Familienmesse statt, ein Informationsangebot für Familien. Über 60 Organisationen und Institutionen aus zahlreichen Handlungsfeldern von Bildung, Betreuung, Erziehung, Unternehmen, Sport, Kultur, Agentur für Arbeit u.a. nehmen teil. Familien erhalten hier fundierte und umfassende Auskünfte über passende Angebote und Betreuung. Die Resonanz ist sehr hoch. Ca. 6.000 Familien besuchen am Sonntag die Familienmesse und verbinden dies mit einem Zoobesuch. Umfangreiche Unterstützungsleistungen auf Sponsoringbasis werden von Unternehmensverantwortlichen geleistet. Wenn wir die personale Zusammensetzung der Projektgruppen untersuchen, dann arbeiten hier Akteure aus der IHK, Agentur für Arbeit, engagierte Unternehmen (u.a.Commerzbank, Merz Pharma, BHF), aber auch IG-Metall-Vorstandsverwaltung, DGB wie freie und kommunale Träger und Einrichtungen, Kirchen, AWO, zivilgesellschaftliche Bürgergruppen und Sportvereine mit. Hier findet ein umfangreicher Informationstransfer statt. Welche Erfahrungen können wir hier zusammenfassen? Eine breite Wahrnehmung des Bündnisses begünstigt, dass die Bedeutung des Themas für Wirtschaft und Kommune eher erkannt wird und Betriebe sensibilisiert werden. Beispiel des 1. Frankfurter Familienkongress bei der Commerzbank, wo die Ergebnisse des 7. Familienberichts und des 12. Kinder- und Jugendberichts referiert und herangezogen wurden, um auf dieser Grundlage Recherchen und Reformprojekte der IHK, der Kinder-, Jugendhilfe und Familienbildung zu diskutieren. 13
Die öffentlichkeitswirksame Präsentation der familienfreundlichen Maßnahmen stärkt das Profil der Unternehmen als familienfreundliche, attraktive Arbeitgeber in der Kommune. Die Nutzung des öffentlichen Images ist ein entscheidender Schlüssel für interne Kommunikation und einer nachhaltigen Familienpolitik. • Kompetenzen aus der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zusammenbringen mit entsprechenden Synergieeffekten. Erläuterung zur Medienpartnerschaft mit der FR und Kooperation mit dem HR. Das Lokale Bündnis trägt wesentlich zur Verbesserung des Informationsflusses bei. Durch den informellen oder organisierten Austausch und die Bündelung von Wissen werden relevante Informationen zwischen den Akteuren, aber auch gegenüber den Familien schneller, genauer, vollständiger und günstiger vermittelt. 11.These Lokale Bündnisse aktivieren bürgerschaftliches Engagement. Das Unternehmen übernimmt lokale Verantwortung. Es engagiert sich wie ein guter Bürger für die Gemeinschaft. Soziale Ressourcen werden in Verbindung mit Betrieben und Akteuren aus der Nachbarschaft mobilisiert. Praxisbeispiel Eine besondere Art der Kooperation zwischen den Generationen gibt es seit 2001 in der Kinderbetreuung des Hessischen Rundfunks in Frankfurt. Ehemalige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Senders betreuen die Kinder erwerbstätiger Eltern in den gesamten hessischen Schulferien. Dieses nachahmenswerte Projekt wird von allen Beteiligten als hervorragende Ergänzung der eher spärlichen Regelbetreuungsangebote und vor allem als persönliche Bereicherung wahrgenommen. Wir beobachten seit ca. 5 Jahren einen Prozess des Umdenkens und der Neubestimmung des eigenen Selbstverständnisses von Unternehmen. Unter Schlagworten wie Corporate Citizenship wird über die lokale Verantwortung auch der global agierenden Unternehmen nachgedacht und zahlreiche Projekte im Dritten Sektor gefördert („Social Day“ – Maltheser). 14
Corporate Citizenship ist das gesamte über die eigentliche Geschäftstätigkeit hinausgehende Engagement des Unternehmens zur Lösung gesellschaftlicher Probleme. Es ist der Versuch, ein Unternehmen auf möglichst vielfältige Weise positiv mit dem Gemeinwesen zu verknüpfen, in dem es tätig ist. Für dieses Engagement sollen alle Arten von Ressourcen des Unternehmens unter besonderer Berücksichtigung seiner spezifischen Kompetenzen genutzt werden. Es geht um ein freiwilliges Engagement der Mitarbeiter, das gegenüber möglichst vielen Zielgruppen bewusst und gezielt kommuniziert werden soll. Corporate Citizenship geht damit deutlich über bisherige Sponsoringaktivitäten von Unternehmen hinaus. Es ist vielmehr eine langfristige Investitionsstrategie zur Bildung und Sicherung von sozialem Kapital am Standort. Um es auf den Punkt zu bringen: Soziale Kompetenz und soziale Verantwortung werden zukünftig zu Faktoren des Wettbewerbs. Tief greifende technologische und ökonomische Veränderungsprozesse führen dazu, dass immaterielle Phänomene wie Information, Wissen, Kreativität und soziale Kompetenz mehr und mehr in den Produktwert eingehen. Immaterielle Werte und Bindungen bestimmen damit verstärkt die materielle Wertschöpfung. 12.These Lokale Bündnisse fördern die Beteiligung von Familien und treffen damit genauer deren Bedürfnisse. In besonderer Weise gilt dies für Projekte der Stadtentwicklung in den Innenstädten. Der wirtschaftliche Erfolg des Einzelhandels verbessert sich; es wird mehr Raum für Familien geschaffen. Praxisbeispiel: Aus Meschede, wo der Arbeitskreis „LebensraumStadt“ Konzepte und Aktionen entwickelt, um die Innenstadt für Kinder und Familien attraktiver und sicherer zu gestalten. Familienfreundliche Einzelhandelsgeschäfte werden mit dem „ Prädikat: Familienfreundlich!“ ausgezeichnet. Diese Initiative ist im Mescheder Einzelhandel in Form von Aufklebern stets gegenwärtig. Den Aufkleber erhalten Händler, die in ihren Geschäften bestimmte familienfreundliche Voraussetzungen erfüllen, z.B. durch Spielecke, Wickeltisch oder barrierefreien Zugang, Spielzonen. Das Plus dieser Bündnisarbeit: In Kooperation mit den Beteiligten des Lokalen Bündnisses konnten Ideen, die bereits vor der Gründung im Stadtmarketingprozess entwickelt wurden, mit neuem Elan realisiert werden. Der Handel in der Innenstadt erhält so mehr Attraktivität und wird besser angemessen. Die Sensibilisierung des 15
Einzelhandels für das Thema Familienfreundlichkeit hat zudem auch zu einem verstärkten Interesse der Händler geführt, auf die Wünsche von Familien als Kundengruppe einzugehen. Damit wird durch das Bündnis sowohl die Basis für den wirtschaftlichen Erfolg des Einzelhandels der Stadt verbreitert als auch mehr Raum für Familien in der Stadt geschaffen. Resümee Auf den Punkt gebracht 1. Vereinbarkeit ist über weite Strecken des Erwerbslebens erforderlich. 2. Familienbewusste Personalpolitik lohnt sich betriebswirtschaftlich. 3. Kompetenzen von Eltern für Arbeitsprozess und Wertschöpfung nutzen. 4. Die „Zeit-Frage“ als Schnittpunkt verschiedener Lebensfelder berücksichtigen. 5. Betrieblich unterstützte Kinderbetreuung steigert die Wettbewerbsfähigkeit. 6. Ökonomische Notwendigkeit besteht wegen Fachkräftemangel und Qualifikationen. 7. Kooperation und Netzwerke bringen ökonomische Vorteile. Zum Abschluss: Im Rahmen einer globalen Gesellschaft und Ökonomie gewinnt die lokale Gesellschaft und lokale Ökonomie an Bedeutung. Denn die lokale Gesellschaft und Ökonomie umspannt alle jene Güter und Dienstleistungen, die in lokalen und regionalen Zusammenhängen erbracht werden, die sich nicht rationalisieren lassen; bei denen die Nachfrager auf Unikate oder wenigstens auf persönliche Beziehungen zwischen Produzent und Konsument Wert legen; wo es nicht nur um Waren, sondern auch um menschliche Beziehungen geht. Die strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber Familien wird angesichts abnehmender Geburtenraten zunehmend in Frage gestellt werden. Eine wachsende Gruppe von Ökonomen äußert die Überzeugung, dass im familienfreundlichen Umbau unserer Industriegesellschaft eine der ganz großen gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts liegt – in seinem Stellenwert durchaus vergleichbar mit der Ökologieproblematik. 16
Dies begünstigt eine vorausschauende betriebliche Personalplanung und eine kommunale Familienpolitik, die das Thema „Familienfreundlichkeit als Standortvorteil der Zukunft“ ins Zentrum künftiger Entwicklungsprozesse rückt. Literatur: BMFSFJ/Zentralverband des Deutschen Handwerks (Hrsg.): Familienfreundliche Maßnahmen im Handwerk. Berlin 2004 BMFSFJ/Europäische Union-Europäischer Sozialfonds (Hrsg.): Betriebswirtschaftliche Effekte familienfreundlicher Maßnahmen. Berlin 2006. BMFSFJ (Hrsg.): Erfolgreich für mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Berlin 2009 BMFSFJ: Betrieblich unterstützte Kinderbetreuung. Berlin 2002 Frankfurter Agentur für Innovation und Forschung/Prognos AG in Kooperation mit Commerzbank AG, Group Human Resources: Evaluationsstudie Modellprojekt Kids & Co. – Kindertagesstätte. Frankfurt am Main 2009 Gemeinnützige Hertie-Stiftung/Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Hrsg.): Wettbewerbsvorteil Familienbewusste Personalpolitik. Frankfurt 2001 Seehausen, H./ Uhrig, K.: Zugang zu Unternehmen und deren Einbindung als Bündnispartner. Eine Arbeitshilfe für die Lokalen Bündnisse für Familie. Deutsches Jugendinstitut. München 2004. Seehausen, H.: Zwischen Pädagogik und Ökonomie: Flexible Modelle in der Kinderbetreuung. In: Esch/Mezger/Stöbe-Blossey (Hrsg.): Kinderbetreuung – Dienstleistung für Kinder. Wiesbaden 2005, S. 173-199. Dr. Harald Seehausen 17
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