VW und Co.: Probleme sind nur dornige Chancen! Welche fatalen Fehler die deutschen Autohersteller machen und wie sie die Zukunft als Chance sehen ...

Die Seite wird erstellt Jörn Hanke
 
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VW und Co.: Probleme sind nur dornige Chancen!
Welche fatalen Fehler die deutschen Autohersteller machen
und wie sie die Zukunft als Chance sehen könnten.
Daniel Heim, 11.06.2020

Nach dem Corona-Lockdown ist vor der Wirtschaftskrise. So oder anders lauten derzeit einige
Stimmen aus Politik, Gesellschaft und natürlich der Industrie. Auch, wenn es vor allem den
Mittelstand hart getroffen hat, so scheint gerade die Schlüsselindustrie Deutschlands, die der
Automobilindustrie, in einem desolaten, desillusionierten Zustand zu sein. Es wirkt so, als hätte sich
die deutsche Autoindustrie mit den Folgen des Dieselskandals, der Software-Probleme, der Kritik
von Umweltschützern, dem dramatischen Umsatzabsturz und dem Davonfahren von Tesla und Co.
schon längst selbst aufgegeben. Wie eine reiche Gesellschaft, die im Hotel Adlon in den Goldenen
20ern die um sich verändernde Welt nicht wahrhaben wollte.

Die Fakten

Weg vom Bauchgefühl, hin zu den knallharten Fakten und Zahlen. Im Jahr 2019 erzielte die
deutsche Automobilindustrie einen Umsatz von etwa 436 Mrd. €. Davon erwirtschaftete sie
etwa 153 Mrd.€ im Inland und 282 Mrd.€ im Ausland. Corona hat 2020 das Bild allerdings
deutlich in Schieflage gerückt, da bereits in den ersten 3 Monaten rießige Löcher in die Kassen
gerissen. „Zusammengenommen verbuchten die (…) Hersteller (…) nur noch 7,5 Mrd. € Gewinn.
Zum Vergleich: 2019 war er im selben Zeitraum etwa doppelt so hoch.

Klar ist, dass Corona alle Unternehmen, und zwar weltweit, mehr oder weniger hart getroffen
hat. Die exportorientierte Autoindustrie spürt das sehr deutlich und es bleibt abzuwarten, wie
es in ein paar Jahren aussieht. Volkswagen hat bereits massive Kürzungen bei Entwicklung und
Forschung angekündigt, und das ist ausgerechnet der Bereich, den man für die Zukunft der
Automobilindustrie am dringendsten benötigt. Denn bei der Entwicklung von Elektromobilität
kommt es vor allem auf die besten Batterietechnologien an, die Einfluss auf Ladezeiten,
Lebenszeit und Reichweite des Fahrzeuges hat. Um im Wettlauf mit dem amerikanischen
Unternehmen Tesla und Start-Ups aus China und dem Rest der Welt mithalten zu können, ist es
absolut notwendig, in diesem Bereich kräftig zu investieren anstatt zu kürzen. Das betrifft auch
das Thema autonomes Fahren, welches die Mobilität in einigen Jahren auf den Kopf stellen
wird, weil Autos nicht mehr als individuelles Fahrobjekt betrachtet wird, das einen von A nach B
transportiert und 23,5 h am Tag auf dem Parkplatz steht, sondern als Ridesharingobjekt, in dem
man das Auto nicht mehr selber besitzt, sondern sich wie einen eScooter o.A. mietet, um dann
das Fahrzeug zu verlassen, welches bereits auf dem Weg zum nächsten Fahrgast ist.
Auch, wenn das für viele noch als weit weg erscheint, es ist in der Entwicklung und es wird
früher oder später kommen.

Wird diese Entwicklung weiterhin nicht ernstgenommen, so stehen in Deutschland über 1,8 Mio.
Arbeitsplätze direkt oder indirekt auf dem Spiel.

Was falsch läuft

Hierbei möchte ich einige Punkte auflisten, die die deutschen Autohersteller falsch machen:

Die fehlende Kommunikation:

Das zeigt sich gerade im Beispiel VW, wo es offensichtlich im Konzern selbst und bei der
Kommunikation zu Kunden massive Probleme gibt. Als Beispiel lässt sich hier natürlich das in
den vergangenen Wochen diskutierte „Rassisumus-Video“ von VW aufführen, das in einem gut
funktionierenden Konzern so nie hätte veröffentlich werden dürfen. So hat der Vertriebschef
von VW das Video zuerst auf Twitter veröffentlicht und nach Rassismusvorwürfen wieder
gelöscht. So weit, so gut. Zwei Wochen später aber lädt der VW-Konzern das exakt gleiche
rassistische Video auf Instagram los, um dann eine rießige Welle der Empörung und Kritik
spüren zu müssen. Es gibt in dem international erfolgreichen Konzern offenbar keinen
„Newsroom“, in dem jeden Tag alle Neuigkeiten bei VW intern ausgewertet und ausdiskutiert
werden. In diesem hätte die klare Kommunikation aller Beteiligten auch den Rassismusskandal
verhindern können. So aber kam die Rückmeldung von VWs Betriebschef nicht zu den
entsprechenden Positionen durch, was erklärt, weshalb das Video nochmals hochgeladen
würde. Ein Unternehmen muss wissen, was ein Unternehmen tut und sich intern klar
miteinander absprechen, sonst kommt es immer wieder zu neuen Skandalen oder zu
Peinlichkeiten. Es kann beispielsweise nicht angehen, dass man zu einem VW-Händler geht umd
nach dem Elektroauto „ID.3“ zu fragen, um dann die Antwort zu erhalten: „Wir haben uns
überall umgehört, aber wir wissen leider nicht, von welchem Modell Sie sprechen“. Ein VW-
Händler muss wissen, was der VW-Konzern verkauft.

Die passive Kommunikation:

Der nächste Punkt beschäftigt sich mit der Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden.
Und auch wenn alle großen Hersteller mittlerweile über Social Media verfügen, so nutzen sie
ihre Kanäle falsch. Man postet ein Bild hier, eine Sonderrabattaktion dort. Das war es dann auch
schon. Als Kunde möchte ich aber gehört und wahrgenommen werden, denn das Feedback von
Ihnen ermöglicht es, Produkte noch besser auf die Kundschaft abzustimmen. Schließlich ist sie
es, die das Fahrzeug dann jahrelang nutzt. Dabei reicht es auch nicht, nur einen allgemeinen
Account für ein Unternehmen zu erstellen, sondern es braucht direkte Kommunikation zwischen
Mitarbeitern und Kunden, um diese Kunden zu Fans zu machen. Möchte ich heute an Elon Musk
eine Nachricht schreiben, so ist das kein Problem, denn er verfügt über einen Twitter Account.
Möchte ich an den CEO von VW schreiben, so ist er nirgends aufzufinden. Diese Trennung wird
den deutschen Herstellern langfristig schaden, weil sie in einer Welt der Anonymität und
Entfremdung den Kunden die Verbindung nach Wolfburg, Ingolstadt oder München nimmt. Bei
Tesla kann jeder Verbesserungen vorschlagen, die oftmals auch weitergegeben, umgesetzt und
per Softwareupdate auf das Fahrzeug gespielt werden, bei den Deutschen muss ich nach wie vor
in eine Werkstatt, um mir die Software auslesen zu lassen. Dabei sagen doch auch deutsche
CEOs immer wieder, dass das Auto der Zukunft ein Computer auf vier Rädern sein wird, und ich
frage mich, wann denn dieses Auto endlich kommt. Ich verstehe ja, dass in Deutschland das
Thema Software für viele fremd ist, aber von Milliardenschweren Unternehmen muss man doch
erwarten können, dass sie entsprechende Fachkräfte herbekommen. So hat die Lufthansa
beispielsweise vor Jahren schon Software in Indien schreiben lassen. Wenn Tesla und Co. iPads
in Ihre Fahrzeuge verbauen, dürfen die deutschen Hersteller nicht mit Nokia antworten.

Fehlende Weitsichtigkeit

Was viele nicht wissen, ist, dass die Daimler-AG und Tesla vor vielen Jahren eine Kooperation
miteinander vereinbarten. Der Daimler Konzern war zu etwa 10 % an den Tesla-Aktien beteiligt,
und bekam im Gegenzug Batterien für eines seiner Modelle. Aus mir unerschließlichen Gründen
legt man sich in Stuttgart allerdings darauf fest, dass die Elektromobilität erst 2025 marktreif sei
und verkaufte damals zu einem Schleuderpreis all seine Anteile an Tesla. Heute gehört das
Unternehmen von Elon Musk zu den wertvollsten Unternehmen der Welt mit einem Wert von
ca. 145 Mrd US-Dollar. Hätte man die Beteiligung nicht aufgegeben, so könnte man heute die
kostspielige Transformation von Verbrennungs-auf Elektromotoren finanzieren können.
Arrogante Bemerkungen ehemaliger Konzernmanager runden das Bild der arroganten und
kurzsichtigen Hersteller leider ab. Auch, wenn die deutsche Autoindustrie immer noch an der
Spitze steht, muss sie an folgendes erinnert werden:

Kodak hat über den digitalen Wandel in der Welt der Fotografie gelacht und gemeint, dass
niemand digitale Bilder machen möchte.

Nokia hat über das iPhone von Apple gelacht und gemeint, dass Apple untergehen würde.

Konkret heißt das: Weniger Arroganz, mehr Bodenständigkeit und wie es im Marktwettbewerb
eben ist, seine Mitbewerber ernst zu nehmen. Denn ein Markt ist dynamisch und nicht starr,
auch wenn man das bei der Dominanz der deutschen Autos von über 100 Jahren meinen
könnte, ist es nicht so. Und in den Management-Etagen darf nicht nur auf aktuelle Zahlen
geschaut werden, sondern es müssen endlich auch andere Faktoren wie die Stadtentwicklung
der Zukunft, Digitalisierung und das gesellschaftliche Klima miteinbezogen werden. Im
asiatischen Raum werden viele Konzepte erarbeitet, wie man PKW-Verkehr aus den Städten
möglichst entfernen kann. Also gerade dort, wo viele Fahrzeuge aus Deutschland abgesetzt
werden.
Starre Fixierung auf alte Geschäftsmodelle und den Gewinn

Bei der Diskussion der letzten Wochen um Autokaufprämien fiel mir auf, dass der einzige Weg
für deutsche Autobauer Umsätze zu erzielen wohl der reine Verkauf von Fahrzeugen ist. Heißt
konkret: Je mehr Autos gebaut und verkauft werden, desto besser. Fakt ist aber, dass die
Märkte in Europa aber auch in anderen Teilen der Welt zunehmend gesättigt sind, die Nachfrage
also stark zurückgehen wird. Der CEO von Apple hat das vor einigen Jahren beim Verkauf von
iPhones wahrgenommen und dann zunehmend auf Service-Dienste wie Apple Music, Apple
Arcade, Apple TV usw. gesetzt, um die wegfallenden iPhone Verkäufe auszugleichen. Heute zeigt
sich, dass dieser Weg erfolgreich ist, denn die Gewinne sind weiterhin gestiegen und Apple ist
nach wie vor das wertvollste börsennotierte Unternehmen der Welt. Die deutsche
Automobilindustrie muss sich also überlegen, wie ihre Transformation vom bloßen
Autohersteller zum Mobilitätsdienstleister aussehen soll, damit sie den kommenden Rückgang
an Autoverkäufen kompensieren kann. Gelingt ihr dies nicht, so ist mit massiven Jobverlusten
und Gewinnrückgängen zu rechnen.

Zudem fehlt es an der Risikobereitschaft, die beispielsweise in den USA deutlich stärker
ausgeprägt ist. Konnte man bei Tesla anfangs noch kostenlos laden, so muss man bei der
Nutzung des Joint-Venture Projekts „IONITY“ 0,79€/kwH (Stand: 11.06.2020) bezahlen, was
mehr als das Doppelte des heutigen Tesla-Supercharger-Preises von etwa 0,33 €/kwH
entspricht. Wenn ich bereits mit horrenden Preisen potenzielle Elektroautokunden verschrecke,
brauche ich mich nicht über eine geringe Nachfrage wundern.

Fehlende Transparenz

Jedes Jahr grüßen uns die internationalen Automobilausstellungen, auf denen uns neue
Fahrzeuge vorgestellt werden. Wie aber der wirkliche aktuelle technische Entwicklungsstand
aussieht, weiß ich nicht. Steht Tesla etwa für den „Autopilot“, so muss ich bei der Konfiguration
eines VW optional den „Travel Assist“ kaufen. Würde man diesem einen anderen Namen und
mehr Aufmerksamkeit geben, ihn serienmäßig ausliefern, würde vielleicht heute Deutschland
als Vorreiter im autonomen Fahren gelten. So aber sehe ich hier niemals ein autonom fahrendes
Testfahrzeug, noch weiß man irgendetwas über den konkreten Stand. Dies ist fatal für das Image
eines Unternehmens, da es seine Innovationskraft nicht zeigt. Der Kunde aber möchte aber ein
Produkt, das auf dem aktuellsten Stand der Technik ist und das Gefühl von Innovation erleben.
Vielleicht gibt es hierzulande ja große Erfolge beim autonomen Fahren, aber die Menschen
hören hiervon kein Wort und sehen auch nichts.
Fazit

Das waren jetzt nur einige meiner Meinung nach fatale Fehler, die die deutschen Autokonzerne
derzeit begehen. Um aber eine Zukunft zu haben, müssen sie genau hier die Drehschrauben für
die Zukunft stellen, denn ansonsten kommt das Auto der Zukunft aus den USA und China.

Mir wurde einst gesagt, dass Probleme nur dornige Chancen seien. Von daher müssten VW,
BMW und Daimler angesichts von Kommunikationsproblemen, Umweltproblemen,
Marketingproblemen und Softwareproblemen genug Chancen haben, um die Zukunft zu
gestalten anstatt sich ihrer zu verweigern.

Quellenverzeichnis:

        Seiwert, M. und Reccius, S. (27.07.2017). So abhängig ist Deutschland von der Autoindustrie. Abgerufen am 12.06.2020, von
        https://www.wiwo.de/unternehmen/auto/diesel-skandal-und-kartellverdacht-so-abhaengig-ist-deutschland-von-der-
        autoindustrie/20114646.html
        Brien, J. (12.06.2020). Mehr wert als BMW, Daimler und VW zusammen: Tesla-Aktie knackt 1.000 Dollar. Angerufen am
        12.06.2020 von https://t3n.de/news/mehr-wert-bmw-daimler-vw-knackt-1289676/
        Dpa (11.06.2020). Experten erwarten tiefrote Zahlen in der Autoindustrie. Abgerufen am 12.06.2020 von https://www.t-
        online.de/region/id_88036424/experten-erwarten-tiefrote-zahlen-in-der-autoindustrie.html
        Hage, S. und Naber, N. (02.06.2020). VW-Skandalvideo erschien früh auf Twitteraccount eines Topmanagers. Abgerufen am
        12.06.2020, von https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/volkswagen-skandalvideo-erschien-auf-twitter-account-
        eines-topmanagers-a-37a2ce24-d87c-4b4c-ae2c-3ebe03819ffe
        Weddeling, B. (12.04.2019). Warum Tim Cook der bessere Apple-Chef ist. Abgerufen am 12.06.2020, von
        https://www.handelsblatt.com/arts_und_style/literatur/buchtipp-tim-cook-warum-tim-cook-der-bessere-apple-chef-
        ist/24203246.html
        Fromm, T. (22.10.2014). Daimler macht Kasse mit Tesla. Abgerufen am 12.06.2020, von
        https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/millionenschwere-anteile-verkauft-daimler-macht-kasse-mit-tesla-1.2185454
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