Wandel des medialen Diskurses zu Jugendsprache im Tages-Anzeiger - Universität Zürich Deutsches Seminar - Arbeit zum Seminar "Jugendsprache" HS ...

Die Seite wird erstellt Jens Eichler
 
WEITER LESEN
Universität Zürich
                              Deutsches Seminar

Wandel des medialen Diskurses zu Jugendsprache im
                           Tages-Anzeiger

                 Arbeit zum Seminar „Jugendsprache“ HS 2010/11
                            Prof. Dr. Christa Dürscheid

Kathiana Meyer                          Abgabedatum: 15. Mai 2011
Inhaltsverzeichnis

  Einleitung.........................................................................................................................................1
  1. Das Korpus..................................................................................................................................2
  2. Vertreter verschiedener Positionen, welche im TA zu Wort kommen..........................................3
     2.1 Wissenschaftler.....................................................................................................................3
     2.2 Sprachkritiker........................................................................................................................5
     2.3 Jugendliche............................................................................................................................6
     2.4 Lehrer, Eltern und Senioren .................................................................................................7
     2.5 Leser des Tages-Anzeigers....................................................................................................8
  3. Positionen, welche intern vertreten werden.................................................................................8
     3.1 Als solche gekennzeichnete interne Meinungen...................................................................8
     3.2 Meinungen in objektiven Artikeln......................................................................................10
  4. Fazit...........................................................................................................................................13
Einleitung

Die Auseinandersetzung in den Medien mit dem Thema Jugendsprache hat insbesondere in den
80er Jahren stark zugenommen (vgl. Spitzmüller 2006, 33). Die Sprechweise Jugendlicher wurde
gemäss Spitzmüller damals hauptsächlich als restringiert und undifferenziert dargestellt (vgl.
Spitzmüller 2006, 34). Diese diachrone Arbeit soll der Frage nachgehen, welcher Wandel zwischen
1995 und heute im Bild festzustellen ist, welches die Zürcher Tageszeitung „Tages-Anzeiger“ von
Jugendsprache vermittelt; das heisst, ob Jugendsprache im Tages-Anzeiger positiv oder negativ
dargestellt wird und wie sich dies wandelt. Das Jahr 1995 wurde als Beginn der Studie gewählt, da
ab diesem Jahr die Artikel des Tages-Anzeigers digital zur Verfügung stehen, was es erlaubt, den
seit dahin bestehenden Korpus auf bestimmte Wörter zu durchsuchen. 1 Im ersten Kapitel dieser
Arbeit wird geklärt, welche Begriffe alternativ zu „Jugendsprache“ im Tages-Anzeiger verwendet
werden. Das zweite Kapitel befasst sich mit den verschiedenen Perspektiven auf Jugendsprache,
welche im Tages-Anzeiger anhand von Wissenschaftlern, Sprachkritikern, Jugendlichen, Lehrern,
Eltern, Senioren und Tages-Anzeiger-Lesern vorgestellt werden. Im dritten Kapitel wird der Frage
nachgegangen, welche Position der Tages-Anzeiger intern gegenüber Jugendsprache einnimmt. Im
vierten Kapitel werden die Erkenntnisse schliesslich zusammengetragen.
Fachliteratur, die sich konkret mit der Rezeption des Themas Jugendsprache in Zeitungen befasst,
ist leider noch kaum vorhanden. So bemerkt auch Spitzmüller, auf dessen Artikel über den medialen
Diskurs zu Jugendsprache aus dem Jahr 2006 ich mich hauptsächlich beziehen werde, dass keine
neueren Arbeiten vorliegen, welche die Einstellung gegenüber Jugendsprache in den Medien
systematisch analysieren (vgl. Spitzmüller 2006, 36). Natürlich bestätigt die Forschung viele
Erkenntnisse, welche auch in Artikeln des Tages-Anzeigers genannt werden, allerdings kann dies
angesichts der Tatsache, dass im Tages-Anzeiger oft die Meinung von Linguisten herbeigezogen
wird, nicht erstaunen. Diese Übereinstimmungen zu zeigen macht im Rahmen meines
Forschungsinteresses keinen Sinn.
Da gemäss Neuland die Vorstellung von Jugendsprache „als Sprachkarikatur, Verstoss gegen
Sprachnormen sowie als Verfall Verfall der Sprachkultur“ lange vorherrschte, erwarte ich, dass die
Einstellung des Tages-Anzeigers über die untersuchte Zeit hinweg von Misstrauen hin zu breiter
Akzeptanz wechseln wird (vgl. Neuland 2003, 9).
1 vgl. Tages-Anzeiger 1995-2011. Online unter: http://www.lexisnexis.de/e-solutions/KSH/de/index.html
  (30.04.2011). Angaben des Erscheinungsdatums des zitierten TA-Artikels im Folgenden im fortlaufenden Text in
  Klammern.
                                                      1
1. Das Korpus

Das Korpus wurde auf Artikel beschränkt, in welchen die Sprache Jugendlicher konkret thematisiert
wird. Artikel, die beispielsweise Balkan-Slang in einer Randbemerkung als Merkmal eines
flüchtigen Schlägers nennen, interessieren in dieser Arbeit nicht, da die Sprache Jugendlicher in
solchen Artikeln nicht im Fokus der Aufmerksamkeit liegt. Insgesamt wurden 32 Artikel untersucht,
von welchen 11 Jugendsprache als Hauptthema behandeln, während in den restlichen 18
Jugendsprache im Kontext eines anderen Themas – beispielsweise des Dialekts, von Anglizismen,
der Computersprache oder der Diskriminierung von Schwulen – aufgegriffen wird (darunter
befinden sich 9 Dokumente, die Sprache nicht als Hauptthema haben). Die drei verbleibenden
Artikel sind Leserbriefe. Der erste zum Thema gefundene Artikel stammt aus dem Jahr 1998, der
letzte aus diesem Jahr (2011). Eine Liste aller Artikel mit Erscheinungsdatum und Titel findet sich
in der Literaturangabe dieser Arbeit. Wie auch Spitzmüller in seiner Untersuchung zum medialen
Diskurs zu „Jugendsprache“ festgestellt hat, deutet die geringe Anzahl gefundener Dokumente
darauf hin, dass das Thema „Jugendsprache“ im medialen Diskurs momentan eine geringere Rolle
spielt, als in der Forschung angenommen (vgl Spitzmüller 2006, 37). Ihm zufolge dominiert das
Thema „Anglizismen“ den metasprachlichen Diskurs (vgl. ebd.).

Rund die Hälfe der Artikel, welche dieser Arbeit als Forschungsgrundlage dienen, enthalten den
Begriff „Jugendsprache“. Alternativ ist jedoch sehr oft die Rede von „Jugend-Slang“ und „Balkan-
Slang“, weshalb ich die Suche im Archiv des Tages-Anzeigers auf diese Begriffe ausweitete. Nebst
diesen drei Ausdrücken, die am häufigsten verwendet werden, ist im Tages-Anzeiger im Kontext
der Sprechweise von Jugendlichen auch die Rede von Jugendjargon, Fäkalsprache oder -slang,
Szenesprache, Sexsprache oder -slang, Gassensprache, Gossensprache, Internetjargon oder -slang,
Cybersprache, Proloslang und einfach nur Slang. Diese Begriffe treten über die untersuchte Zeit
hinweg verstreut auf; es lässt sich keine Konzentration eines Begriffs auf einen bestimmten
Zeitraum zeigen. Schliesslich wurden auch Artikel über das im Jahr 2008 eingeführte „Jugendwort
des Jahres“ und über Sprachzerfall im Kontext der Sprechweise Jugendlicher miteinbezogen.

Da Jugendsprache zwar kein neues Phänomen ist, der Begriff jedoch erst seit dem 20. Jahrhundert
verwendet wird und zwischen dem 17. und Anfang des 20. Jahrhunderts stattdessen von
„Studentensprache“ die Rede war (vgl. David 1987, 5), versuchte ich es auch mit diesem
Suchbegriff . „Studentensprache“ wird nur einmal im Kontext einer Herleitung eines heute
gebräuchlichen Wortes aus der Studentensprache erwähnt (vgl. TA 30. Januar 2009). Eine Aussage
                                              2
über die Studentensprache an sich lässt sich aus diesem Beitrag nicht machen, weshalb er für diese
Arbeit irrelevant ist. Der nach Heinemann ebenfalls früher gebräuchliche Begriff „Schülersprache“
wurde in den letzten 15 Jahren im Tages-Anzeiger nie verwendet (vgl. Heinemann 2003, 24).

2. Vertreter verschiedener Positionen, welche im TA zu Wort kommen

Wie im Redaktionsstatut I.6 des Tages-Anzeigers festgelegt, greift der Tages-Anzeiger kontroverse
Themen „immer in ihrer ganzen Breite auf und stellt die relevanten Standpunkte mit ihren besten
Argumenten dar. Damit fördert er lösungsorientierte Diskussionen.“ (vgl. Redaktionsstatut des
Tages-Anzeigers von 1998). Dies verhält sich auch in der Debatte um die Jugendsprache so: Im
Tages-Anzeiger kommen sowohl die Gegner als auch die Befürworter der Jugendsprache
gleichermassen zu Wort. In diesem Kapitel werden kurz die verschiedenen Positionen anhand ihrer
verschiedenen Vertreter erläutert. Da, wie sich zeigen wird, die Ansichten der Vertreter über den
untersuchten Zeitabschnitt nicht ändern, macht es nur in Einzelfällen Sinn, auf diachrone
Unterschiede einzugehen. Die Artikel werden der Übersichtlichkeit wegen jeweils in Reihenfolge
ihres Erscheinungsdatums beleuchtet.

Obwohl der Tages-Anzeiger gemäss Redaktionsstatut I.6. bloss in als „Meinung“ gekennzeichneten
Artikeln Stellung zu einem Thema bezieht, deutet bereits die Art, wie die sich konkurrierenden
Meinungen dargestellt werden, an, welche Position der Autor des Artikels favorisiert. Auf
Auffälligkeiten in der Darstellung wird daher im Folgenden besonders geachtet.

2.1 Wissenschaftler
Die Wissenschaftler äussern sich im Tages-Anzeiger differenziert zum Thema Jugendsprache.
Zuerst zu den in Artikeln genannten negativen Aspekten: Angelika Linke sieht in der Jugendsprache
einerseits „harmlose Sprachspieler“, andererseits aber auch ein Problem, wenn sich Jugendliche
über das Sprachdefizit anderer lustig machen (vgl. TA 11. Januar 2000). Peter Schlobinski sieht
ebenfalls das Risiko stigmatisierter Minderheiten, bemerkt allerdings dass verulkte Minderheiten ihr
„Kanakendeutsch“ oft selbstbewusst verwenden (vgl. ebd.). Während in der Frage der
Diskriminierung von Minderheiten aufgrund ihres Sprachgebrauchs Schlobinskis Meinung in
späteren Artikeln bestätigt wird, bestehen jedoch andere Vorbehalte gegen die Jugendsprache auch
in späteren Artikeln fort: So sieht Sprachforscher Peter Sieber ein Manko bei der mündlichen
Inszenierung von Texten; die Texte bleiben konzeptionell unfertig (vgl. TA 16. November 2005). In

                                                 3
einem Artikel vom Mai 2009 schliesslich wird die Diskriminierung von Schwulen angesprochen:
Im Kampf gegen den Gebrauch von „schwul“ als Schimpfwort seien die Eltern gefragt (vgl. TA 29.
Mai 2009).

Abgesehen vom Risiko der Diskriminierung von Minderheiten, sehen Wissenschaftler in sämtlichen
Artikeln im untersuchten Zeitrahmen Jugendsprache positiv:

    [P]rogressive Sprachforscher und Internetenthusiasten sind in der Mehrheit - ehrfürchtig reden
    sie von einer "neuen Schreibkultur", die sich an der Populärkultur und an der Umgangssprache
    orientiert. Peter Schlobinski vom Seminar für deutsche Literatur und Sprache an der Universität
    Hannover hält das, was in den Chat-Groups passiert, für zukunftsweisend und bereichernd. (TA
    26. Juni 1999)

Eva Wyss vom Deutschen Seminar an der Universität Zürich sprich gar von einer „Poetisierung des
Alltags“: „Die Texte in privaten E-Mails strotzen geradezu von einer Lust am Schreiben.“ (TA 26.
Juni 1999). Diese zuversichtliche Sichtweise zieht sich auch in den folgenden Jahren durch:

  „Kein Grund [...], sich Sorgen zu machen“, beschwichtigt Christa Dürscheid, Professorin für
  Sprachwissenschaft an der Universität Zürich. „Unsere Sprache läuft nicht Gefahr, zu Grunde zu
  gehen, sie ist lediglich normalen Transformationen unterworfen.“ (TA 24. Februar 2005)

Gemäss dem Soziologen François Höpflinger haben die Jugendlichen die ältere Generation an
sprachlicher Gewandtheit bereits überholt: „Seit dem 19. Jahrhundert haben sie mittels Sprache an
Macht gewonnen, weil sie die immer vielfältiger werdenden Fachsprachen (Computer, Technik,
Fremdsprachen) besser beherrschen und den neuen sprachlichen Anforderungen eher gewachsen
sind.“ (TA 24. Februar 2005). Vorurteile, gemäss welchen die Ausdruckswiese der Jugend vulgärer
geworden sei, wehrt Dürscheid ab: „Normen oder Tabus zu brechen, sei bereits vor zwanzig Jahren
ein Merkmal der Jugend gewesen und werde es auch in zwanzig Jahren noch sein.“ (TA 24. Februar
2005). Jugendpsychologin Eva Zeltner sieht vorlaute Jugendliche gar in der Opferrolle: „Immer
früher sei der Nachwuchs heute Opfer einer Umwelt, die alles andere als kinderverträglich sei.“ (TA
20. Oktober 2005). Sprachliche Ausdrücke darf man zwar ihr zufolge nicht bagatellisieren, es läge
aber an den Erwachsenen, Jugendliche zurechtzuweisen und nicht wegzuschauen (vgl. ebd.).
Zeltner gibt weiter an, dass die meisten Jugendlichen durchaus fähig seien, ihren Sprachgebrauch
anzupassen: Ihr zufolge sprechen Jugendliche mit Erwachsenen „anständiger als untereinander“
und verzichten auf „brutale Wortwahl“. Wenn Jugendliche untereinander einen brutalen Wortschatz

                                                 4
verwenden, so sei dies nicht unbedingt abwertend gemeint, sondern diene der Identitätsfindung und
Loslösung (vgl. ebd.). In einem Artikel aus demselben Jahr gibt Dürscheid an, Anglizismen seien
nichts Schlimmes: „Für sie bedeuten die permanenten Normenverletzungen und der sprachliche
Erneuerungswille auch ein 'kreativer Zugriff auf die Sprache'“ (TA 16. November 2005). Ebenso
leide auch die Ausdrucksfähigkeit der Jugend nicht, wie befürchtet, unter dem Schreiben von Texten
in Mundart; dank neuer Medien schreibe die Jugend gar mehr als früher (vgl. ebd.). In einem zwei
Jahre später erschienen Artikel betont auch Spitzmüller, Anglizismen hätten keine negativen Folgen
für die deutsche Sprache; wie im Falle von „Handy“ käme es gar zu eigenständigen Kreationen,
welche die Innovativität der deutschen Sprache zeigten (vgl. TA 26. März 2007). Gängige Vorurteile
gegen Jugendsprache werden somit in den Artikeln des Tages-Anzeigers durch das häufige Zitieren
von Experten aus der Wissenschaft entkräftet.

2.2 Sprachkritiker

Auch die Position der Sprachkritiker lässt der Tages-Anzeiger nicht beiseite. Im Zusammenhang mit
Jugendsprache sehen Sprachkritiker „das Ende der deutschen Schriftsprache“ nahen (vgl. TA 26.
Juni 1999). Der amerikanischer Literaturkritiker Birkerts

     befürchtet eine Erosion des Wortschatzes und letztlich einen grossen Mangel an sprachlicher
     Ausdrucksfähigkeit allgemein. Das ewige Vagabundieren durchs Internet führe dazu, dass
     junge Menschen ihre eigene Subjektivität nicht mehr sprachlich benennen könnten. (TA 26.
     Juni 1999)

Auch beim Gebrauch der SMS-Funktion der Handys heben Sprachkritiker, wie auch Eltern und
Pädagogen den Finger: „Sprachverfall und geistiger Zerfall orten Kulturpessimisten in der 'SMS-
Unkultur'.“ (TA 16. November 2005). Eine aktuelle britische Studie an der Universität London
unterstützt diese Ansicht: „Die 'Informania' rund um SMS und Mail beeinträchtigt den IQ zweimal
stärker als der Konsum von Cannabis.“ (TA 16. November 2005).

Einem Artikel über ein neu erschienenes Werk vom Genitiv-Verfechter Bastian Sick aus dem Jahre
2006 steht der Autor des Artikels dem Thema Sprachpflege grundsätzlich vorsichtig gegenüber: 2
„'Sprachpflege' galt bis vor kurzem als aussterbendes Handwerk“ (TA 25. November 2006). Weiter
heisst es, sprachkritische Werke hätten „Staub angesetzt“ und ihr autoritäre Ton „stosse heute
2 Obwohl in diesem Artikel die Sprechweise Jugendlicher nicht zentral ist, wurde dieser Beitrag in die Untersuchung
  einbezogen, da die von den Sprachkritikern gebrachten Argumente unter anderem auch auf die Jugendsprache
  abzielen.
                                                        5
unangenehm auf“ (ebd.). Hier tritt Bastian Sick, „selbst ernannter Sprachpfleger“ und „Popstar
unter den Sprachhütern“ auf den Plan, der sich gegen den „grassierenden Sprachverfall“ wendet
(ebd.). Die humoristische, vielleicht gar ironische Weise, in welcher Sick eingeführt wird, deutet
darauf hin, dass der TA-Journalist eher auf der Seite der Linguisten steht.

Im Vergleich zu den Wissenschaftlern kommen die Sprachkritiker selten zu Wort. Dies lässt
vermuten, dass dem Tages-Anzeiger zufolge die Sichtweise der Sprachkritiker zwar ebenfalls
aufgezeigt   werden    muss,    allerdings   der   vom     Tages-Anzeiger     angestrebten   „Lösung
gesellschaftlicher [...] Probleme“ eher hinderlich ist (vgl. Redaktionsstatut I.2 des Tages-Anzeigers
von 1998).

2.3 Jugendliche

Nebst Wissenschaftlern und Sprachkritikern übergibt der Tages-Anzeiger auch Vertretern aus dem
Volk das Wort. Insbesondere kommt – passend zum Thema – die Meinung der Jugendlichen zur
Geltung. Jugendliche, selbst Verwender der Jugendsprache, äussern sich nicht nur enthusiastisch,
sondern auch kritisch gegenüber diesem Thema. Weil Jugendsprache einen Grossteil ihres Reizes
durch seltene Verwendung und Neuheit bezieht, schwimmen gewisse Jugendliche bei
massentauglichen Begriffen absichtlich gegen den Strom: „'Weil die ganze Schweiz "Arschloch“
sagt, haben wir uns was anderes überlegt', sagt die Zürcher Gymnasiastin. Wahlweise geht auch
"Bluemechool".“ (TA 24. Februar 2005). Im Umgang mit Erwachsenen wird die Sprechweise
geändert: „Eltern und Lehrer hingegen können mit dem schnoddrigen Tonfall nichts anfangen, sind
am Ende vielleicht gar verletzt. 'Da passt man seine Sprache lieber an', sagt Marion.“ (ebd.). Dieser
Artikel vermittelt ein Bild von Jugendlichen, die ihren Sprachgebrauch reflektieren, keineswegs
jede Mode mitmachen und sich sprachlich in ihr Umfeld adäquat einbringen können. Der Tages-
Anzeiger wirkt somit Vorurteilen entgegen, welche Jugendsprache mit schlechten Manieren
verbinden. Ein weiterer Beitrag aus dem Jahr 2007 ist sogar von einer Jugendlichen selbst verfasst,
welche die Übernahme jugendsprachlicher Ausdrücke in ihren Wortschatz ebenfalls reflektiert: Den
Ausdruck „anderscht“ benutzt sie, wie ihr zufolge auch viele andere, absichtlich nicht; trotz des
Risikos dadurch „anderscht uncool“ zu sein (vgl. TA 4. Juli 2007). Coolness wird denn auch von
anderen Jugendlichen als Grund für die Verwendung dieser Sprechweise genannt: „Warum? 'Weil es
cooler klingt', sagt der 17-jaehrige Luca.“ (TA 24. Februar 2005).

Auch die Perspektive Jugendlicher mit ausländischen Wurzeln ist durch zwei Artikel vertreten:
                                                   6
Armin gibt zu Protokoll, dass rassistische Äusserungen unter Kollegen oft scherzhaft gemeint seien.
So nennt man sich untereinander ohne böse Absicht „Scheiss-Jugo“ (vgl. TA 28. Juni 2000). Auch
das verbreitete Nachahmen des Balkan-Slangs sei kein Problem:

    „Wir können auch über uns selber lachen[.] Rassistisch wird es nur, wenn man nur noch über
    eine bestimmte Ausländergruppe lacht. Aber wir machen ja auch Witze über Schweizer, Türken
    oder auch über unsere Sprache." (TA 28. Juni 2000)

Ein Bericht über Jugendliche mit ausländischen Wurzeln, die auf Lehrstellensuche sind, zeigt, dass
bei gewissen Jugendlichen Unklarheiten darüber bestehen, wann der Gebrauch von Jugendsprache
adäquat ist. Eine Lehrstellensuchende gibt an, sie habe erst lernen müssen, dass bei
Bewerbungsgesprächen besser keine Jugendsprache verwendet werden solle (vgl. TA 21. Januar
2009).

Der Tages-Anzeiger bietet „vernünftigen“ Jugendlichen also die Möglichkeit, ihre Sichtweise zu
präsentieren. Dadurch wird vermutlich Vermittlungshilfe zwischen den Generationen angestrebt,
welche zur Lösung gesellschaftlicher Konflikte beiträgt.

2.4 Lehrer, Eltern und Senioren

Als Personen, die selbst zwar keine Jugendsprache sprechen, allerdings engen Kontakt zu
Jugendlichen haben, wird die Sichtweise von Lehrern und Eltern im Tages-Anzeiger aufgezeigt.
Ebenso werden auch die Bewohner eines Altersheims befragt.
Dem befragten Lehrer ist kein Sprachzerfall aufgefallen, obgleich gewisse seiner Kollegen einen
solchen beklagen (vgl. TA 16. August 2004). Er spricht sich aus für einen lebhaften Wandel der
Sprache. Die Kompetenzen haben sich allerdings verlagert: „Vielleicht sind die Jugendlichen formal
nicht mehr so sattelfest, dafür brauchen sie die Sprache mit mehr Fantasie.“ (ebd.).

Eltern werden erstaunlicherweise im Tages-Anzeiger nie persönlich zu Wort gebeten, allerdings
wird wiederholt von Eltern behauptet, sie verstünden die Sprechweise ihres jugendlichen
Nachwuchses nicht (TA 24. Februar 2005). Ebenso wird als Problem genannt, dass Eltern von ihren
Kindern auf unverschämte Weise angesprochen würden (vgl. TA 20. Oktober 2005).

Eine ganz andere Perspektive vermittelt ein Besuch im Altersheim: „'Nei, so oeppis würdet mer nöd
säge', entrüstet sich eine Seniorin.“ (TA 25. Februar 1998). Die Pensionäre des Altersheims sind der
Ansicht, man sei früher höflicher miteinander umgegangen. So fehlt es den Kraftäusdrücken der

                                                  7
Senioren „an der heute üblichen Vulgarität und Boshaftigkeit“. Dies impliziert, dass heute in den
Augen der Alten von einem vulgären und boshaften Fluchwortschatz ausgegangen werden kann.
Auch die Journalistin beobachtet: „Die Sprache der Senioren erscheint liebevoller, auch etwas
naiver als die heute verbreitete Sprache.“ (ebd.).

2.5 Leser des Tages-Anzeigers

Die im Tages-Anzeiger abgedruckten Leserbriefe zeugen alle von Misstrauen gegenüber der
Jugendsprache. Gemäss Spitzmüller handelt es sich beim Leserbrief um eine der traditionellen
Textsorten, die sich mit Sprachkritik beschäftigen (vgl. Spitzmüller 2006, 39).
Sprachzerfall wird in einem Leserbrief einer Zürcherin im Jahr 1999 nebst Sprayereien,
Nichtbeachten von Fahrverboten und Anstandsschwund als weiteres Merkmal der herrschenden
Unordnung genannt (vgl. TA 21. Juni 1999). Schlimme Folgen befürchtet die TA-Leserin auch für
die Zukunft: „Wir sind also alle schuld an dem, was spätere Generationen zu bewältigen haben
werden.“ (ebd.). In einem weiteren Leserbrief aus demselben Jahr werden die „amerikanischen
Sprachfetzen“ als Merkmal der als „ekelhaft“ bezeichneten Jugendsprache genannt (vgl. TA 7. Juli
1999). Der TA-Leser behauptet, die Schweizer Jugend sei „vom US-Kolonialimperialismus
vereinnahmt“, was bei ihm ein Bedürfnis nach „Kotzen“ auslöse (vgl. TA 7. Juli 1999). Im Jahr
2005 ärgert sich ein Leser nicht mehr über die Sprechweise Jugendlicher, sondern über die
Tatsache, dass Erwachsene diese Sprechweise nachahmen, was der Leser als „spätpubertäres
Gockelgehabe“ bezeichnet (vgl. TA 26. Februar 2005). Die Sprechweise der Jugendlichen steht hier
also nicht mehr im Fokus der Kritik; stattdessen gibt Jugendsprache, sofern von Erwachsenen
nachgeahmt, Anlass zur Klage. Auch Spitzmüller beobachtet die zunehmende Kritik am
„juvenalisierenden“ Sprachgebrauch (vgl. Spitzmüller 2006, 43).

3. Positionen, welche intern vertreten werden

Nachdem nun die Sichtweisen aufgezeigt wurden, welche der Tages-Anzeiger in seinen Artikeln
vorstellt, wird der Blick auf die Position gelenkt, welche intern vom Tages-Anzeiger vertreten wird.
Durch die zwei Kapitel wird zwischen Meinungen der Journalisten, die als solche gekennzeichnet
sind, und solchen, die in den Artikeln durchschimmern, unterschieden.

3.1 Als solche gekennzeichnete interne Meinungen

In der Rubrik „Hintergrund“ äussert TA-Journalist Philipp Löpfe unter dem Titel „Megageile
                                            8
Sprache“ seine Meinung zur Jugendsprache. Seiner Ansicht nach hatte die 68er Generation noch das
Privileg, Sexual- oder Fäkalslang als Provokation einzusetzen und sich als Freiheitskämpfer zu
fühlen, während dies heute im besten Fall vulgär sei (vgl. TA 27. Juni 1998 ). Weiter gibt er an:

    Der emanzipatorische Gehalt von Obszoenitaeten ist gegen Null gesunken[.] Sex- und
    Fäkalsprache ist im Begriff, eine ganz andere Funktion zu erlangen. Sie wird zunehmend dazu
    verwendet, "Kundennähe" zu signalisieren, vermeintliche oder reale. (ebd.)

Dieser Wandel von Protest- zur Kommerzsprache führe im Extremfall dazu, dass aus ehemaligen
Rebellen, welche sich des Protest-Slangs bedienen, hyper-korrekte Sprachmoralisten würden (vgl.
TA 27. Juni 1998). Seiner Meinung nach irren sich sowohl Sprachrebellen als auch Sprachpuritaner,
denn der Gebrauch vulgärer Sprache sei weder gefährlich noch revolutionär (vgl. ebd.). Er verweist
stattdessen auf Wittgenstein, demzufolge die Bedeutung eines Wortes sein Gebrauch ist (vgl. ebd.).
Simone Meier, Kolumnistin des Tages Anzeigers, beklagt sich im Jahr 2004 über die
Rücksichtslosigkeit, mit welcher Jugendliche Fluchwörter verwenden. Sie ist der Meinung, dass
zwar Jugendliche schon immer „ähnlich drastisch“ dahergeredet haben, dass jedoch die „politische
Ausrichtung ihrer Verachtung“ sich auf problematische Weise geändert habe:

   Ist das jetzt der Blocher-Effekt? Ein neokonservativer Rechtsdrall im Fluchvokabular? Bereits
   letzte Woche hatte ich zwei kerngesunde Jungmenschen beiderlei Geschlechts gesehen, die einen
   bettelnden Junkie aus dem Tram jagten und ihm befahlen, sich aufzuhängen. Kein Mitleid, nur
   eiskalt darwinistische Brutalität. (TA 7. April 2004)

Diese Beobachtung führt Meier zu folgendem Urteil:

   Was soll ich sagen? Ich weiss, Jugendsprache ist ein beliebter Gegenstand von Kolumnen, und
   auch ich müsste sie originell und radikal finden, aber wenn sie so ungefiltert menschenfeindlich
   daherkommt, versiegt meine Bereitschaft zur ironischen Lesart. Was soll ich also sagen? Ich mag
   Manieren. (TA 7. April 2004)

Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass Meier zufolge das Thema Jugendsprache in Kolumnen
gerne als „originell und radikal“ aufgegriffen wird, sie sich also in ihrem kritischen Artikel gegen
den Trend in den Medien wendet. Dies zeigt, dass im Jahr 2004 der Begriff Jugendsprache in den
Medien eindeutig positiv konnotiert ist.

In einem Artikel über die Prämierung von „S bescht wos je hets gits“ als Jugendwort des Jahres
übernimmt Kolumnist Bänz Friedli gar selbst die Sprechweise Jugendlicher: „Wie kommt eine
                                             9
Sprachjury dazu, solch einen Missgriff zu prämieren? Easy, Monn! Die Jugend spricht halt so.“ (TA
8. Dezember 2009). Kritiker der Jugendsprache nennt er „griesgrämige Bildungsbürger“ und wirft
ihnen vor, sie verstünden nicht, dass „nur eine Jugendsprache, die Erwachsene nicht verstehen,
wirklich eine Jugendsprache ist“ (vgl. ebd.). Gerade das Gegenteil von Sprachlosigkeit sei der Fall:

    Die heutige Jugend geht flinker und origineller mit Sprache um als jede Generation vor ihr. Die
    Teenager SMSeln, chatten, twittern und mailen rasant, und weils so pressiert, erfinden sie
    kreative Abkürzungen. (ebd.)

Die rasante Entwicklung der Wörter, die in der Jugendsprache gerade aktuell sind, kommentiert
Friedli erneut, indem er selbst die Sprechweise Jugendlicher nachahmt: „Krass, fett und geil sind
mega out, Monn. Heute heisst es 'sbeschtwosjehetsgits!'. Okee?“ (ebd.). Jugendsprache hält er für
„schlau und lustig“. Balkanslang werde spielerisch verwendet und die meisten Jugendlichen
könnten sehr wohl auf Standardsprache umstellen (vgl. ebd.). An seine eigene Jugendzeit denkend
bemerkt Friedli abschliessend, dass auch damals die Sprechweise Jugendlicher mit ausländischen
Wurzeln nachgeahmt wurde – bloss damals diejenige der Italiener (vgl. ebd.).

Während bereits Löpfe 1998 von der Kommerzialisierung der Jugendsprache spricht, wird auch in
Meiers Artikel von 2004 klar, dass Jugendsprache zum Trend geworden ist. Friedlis Text von 2009
zelebriert diesen Coolness-Faktor geradezu, indem jugendsprachliche Elemente in den Text
aufgenommen werden.

3.2 Meinungen in objektiven Artikeln

Wie bereits erwähnt, wird auch innerhalb der Artikel, die möglichst objektiv informieren sollen, die
Meinung der Journalisten deutlich. Allerdings ist dies die Ausnahme: Die Artikel des Tages-
Anzeigers präsentieren grösstenteils Meinungen aus verschiedenen Perspektiven oder informieren
neutral über Fakten aus der Forschung.

Die Stellen, die nahelegen, das Phänomen Jugendsprache sei negativ aufzufassen, sind rar und
zudem nicht unbedingt wörtlich zu nehmen. In einem Artikel von 1999 heisst es:

    Nirgendwo wird derzeit mehr gestammelt als in Internettexten. Wer durch die virtuellen
    Waschküchen surft, kommt bald zu der Einsicht, dass ein so hoch entwickeltes elektronisches
    Gerät wie der Computer Formen infantilen Gebarens geradezu anzieht. Die spielerische Art zu
    kommunizieren setzt offenbar eine Sprache frei, die nicht am Gehalt der Texte interessiert ist,

                                                 10
sondern daran, sich laufend zu reproduzieren: Kommunikation um ihrer selbst willen - ähnlich
    wie beim Handy. Was in den Chat-Groups besprochen wird, ist oftmals ein bizarres Gaga voller
    Belanglosigkeiten - man staunt und gähnt. (TA 26. Juni 1999)

Obschon diese Passage sehr kritisch aussieht, deutet die darauf folgende Darstellung der
wissenschaftlichen Ansicht zur Jugendsprache, angesichts derer kulturkonservative Denker „alt und
grau“ wirkten, darauf hin, dass diese Stelle nicht mit vollstem Ernst zu lesen ist (vgl. TA 26. Juni
1999). Die Meinung eines Sprachkritikers wird weiter als „vollmundiges Klagelied“ betitelt, was
ebenfalls dafür spricht, dass dem Tages-Anzeiger zufolge im Streit zwischen Wissenschaftlern und
Sprachkritikern eher ersteren Recht gegeben werden soll (TA 26. Juni 1999). Im Schlusssatz wird
der Wandel als Fakt dargestellt – ob dies die Autorin negativ oder positiv beurteilt, bleibt offen.

Wenn in diesem Artikels noch ein Restmisstrauen gegenüber Jugendsprache feststellbar ist, so fehlt
dieses in sämtlichen vorherigen und nachfolgenden informierenden Artikeln des untersuchten
Zeitfensters. In einem Artikel von 1998 versucht der Autor dem Leser die Jugendsprache auf
spielerische Weise näherzubringen: Aussenstehenden schwer verständliche Ausdrücke werden
erklärt und so das Verständnis für gewisse Ausdrucksweisen gefördert (vgl. TA 25. Februar 1998).
Jugendsprache wird hierbei originell und kreativ ausgewiesen: Jugendliche passen Anglizismen den
deutschen Flektionsformen an, verwenden Wörter in bisher nicht gebräuchlichem Sinn, versehen
Verben mit Präfixen und bilden Neuschöpfungen (vgl. ebd). Der Artikel endet mit einem
jugendsprachlichen Satz, welcher nach obiger Lektion nun auch „der älteren Generation keine
Probleme mehr bereiten“ dürfte (vgl. ebd.). Jugendsprache wird somit als ein für ältere
Generationen neu zu entdeckendes, spannendes Gebiet präsentiert. In einem späteren Artikel wird
wiederholt betont, dass der Slang als „cool“ gelte und daher auch nachgeahmt werde: Gar in
Radioprogrammen finde Jugendsprache Eingang (vgl. TA 11. Januar 2000). Jugendsprache wird
hier zwar nicht explizit gelobt, dennoch aber als nachahmenswert dargestellt. In einem Artikel, in
welchem es um neu in den Duden aufgenommene Wörter aus der „Szenesprache“ geht, wird
Szenesprache unterdessen als „trendig“ bezeichnet (vgl. TA 21. August 2000). Ebenfalls positiv
konnotiert ist Jugendsprache in einer Rezension zu einer neu erschienen Hip-Hop-CD, in welcher
Jugendsprache zur Verdeutlichung der Genialität dieser CD verwendet wird: Der Inhalt der Lieder
sei nicht didaktisch oder linear erzählt, sondern „als derbes Feuerwerk von Jugendsprache und
Strassenslang, gekoppelt mit Hunderten guter Sprachspiele, freihändigen Metaphern und Reimerei
mitten in der Zeile und an deren Ende.“ (vgl. TA 29. August 2003). Weiter wird im Text begeistert

                                                  11
von gegenseitiger Befruchtung von Musik und Sprachspielerei gesprochen (ebd.). Die Akzeptanz
der Jugendsprache verwurzelt sich in den folgenden Jahren weiter, wie sich in einem Artikel vom
Februar 2005 zeigt: „Die Sprache der Jugend ist salonfähig geworden.“ (TA 24. Februar 2005).
Bereits ahmen erwachsene Sänger, die ihre CDs bei Jugendlichen verkaufen wollen, deren
Sprechweise nach: „Denn die auf jung getrimmte Sprache signalisiert: Ich gehöre dazu, zu euch
Jungen, auch wenn ich älter aussehe.“ (ebd.). Doch nicht nur zu Werbezwecken ahmen Erwachsene
Jugendsprache nach: Auch in die Alltagssprache vieler Erwachsener haben sich gemäss des Artikels
Ausdrücke eingeschlichen, die vormals Jugendlichen vorbehalten waren (vgl. ebd.). Gemäss
Sprachwissenschaftlern ist eine rasche Stilausbreitung zu beobachten (ebd.). Jugendsprache scheint
kein Thema mehr zu sein, das bei der Leserschaft als unproblematisch etabliert werden muss oder
erklärungsbedürftig ist. Ganz im Gegenteil:

    [V]on Sprachpessimismus ist heute nichts mehr zu spüren. Das Hin- und Herswitchen zwischen
    verschiedenem, situationsabhängigem Sprachgebrauch gehört zum Alltag. [...] Vor allem
    Jugendliche sind Meister, wenn es darum geht, von einer Sprachebene zur anderen zu springen.
    (TA 24. Februar 2005)

Weiter heisst es, die Jungen seien nun sprachlich am Zug und hätten die Nase vorn (vgl. ebd.).
Während in diesem Artikel die Rede davon ist, dass Jugendliche es lieben, „spielerisch Mundart,
Hochdeutsch und englische Quellen mit Zitaten aus Liedern oder der Werbung zu mixen“ (ebd.), ist
in einem Artikel aus dem Jahr 2005 die Rede von Jugendlichen, die „virtuos“ auf ihrer
Handytastatur hacken (vgl. TA 16. November 2005). Der Autor dieses Artikels ist offensichtlich
persönlich überzeugt vom Nachahmungswert dieser jugendlichen Sprechweise, denn in seinem Text
ist vom „Megatrend“ die Rede, der sich im Moment abzeichne (vgl. ebd.). Die journalistische
Distanz zum Thema wird hier aufgeweicht: Offenbar haben die Journalisten des Tages-Anzeigers
Position bezogen. Jugendsprache als trendiges, ungefährliches Phänomen hat sich durchgesetzt.

In ein gutes Licht gerückt wird Jugendsprache auch in den letzten Jahren: Der in einer
Buchrezension erwähnte Einzug der Jugendsprache in die Literatur wird im Tages-Anzeiger positiv
bewertet – dies weil die Jugendsprache im Buch „weder aufdringlich noch pseudonaturalistisch“
daherkomme (vgl. TA 28. März 2006). Auffällig ist, dass Jugendsprache somit als eine Sprechweise
klassifiziert wird, die schwer authentisch nachahmbar und somit alles andere als banal ist. Auch die
Übersetzung eines Theaterstücks von Shakespeare in die Jugendsprache wird vom Tages-Anzeiger
nicht mit einem vielleicht erwarteten erhobenen Finger kommentiert:
                                                12
Fünf Jahrhunderte nach Entstehung der Werke des englischen Theaterautors William
    Shakespeare wurden die Texte nun einer Verjüngungskur unterzogen. Der Satiriker Martin
    Baum übersetzte die 15 Theaterstücke in Jugendslang. [...] Auf seiner Internetseite erklärt
    Baum, dass er die Werke gekürzt habe, ohne aber den Kern der Originale zu verfälschen. Die
    wichtigen Sex- und Gewaltszenen habe er stets beibehalten. (TA 26. April 2008)

Durch die humoristische Endung der Meldung, rückt die Kritik an dieser Übersetzung zugunsten
der Unterhaltung in weite Ferne. Ebenso zeigt auch das im Jahre 2008 vom Verlag Langenscheidt
eingeführte „Jugendwort des Jahres“, welches vom Tages-Anzeiger jeweils als amüsante Neuigkeit
aufgegriffen wird, dass der Tages-Anzeiger den Unterhaltungswert der Jugendsprache erkannt hat.
Jugendsprache wird zudem im Kontext des Jugendworts des Jahres als „kreative“ Sprechweise sehr
positiv dargestellt (vgl. TA 11. Dezember 2008).

Über den ganzen untersuchten Zeitraum hinweg wird Jugendsprache also in objektiv
informierenden Artikeln positiv dargestellt. Spitzmüller hat im Gegensatz zu dieser Erkenntnis in
den vom ihm untersuchten Zeitungen festgestellt, dass jugendsprachfreundliche Stimmen nur leicht
überwiegen (vgl. Spitzmüller 2006, 39). Dass der Tages-Anzeiger in diesem Punkt von anderen
Zeitungen abweicht, hängt vermutlich mit den Redaktionsstatuten des Tages-Anzeigers zusammen,
die eine aufgeschlossene, lösungsorientierte Berichterstattung verlangen. Was den diachronen
Wandel anbelangt kann auch Spitzmüller im medialen Diskurs zu „Jugendsprache“ keine
signifikante Verschiebung von kritischen zu freundlichen Stimmen im von ihm untersuchten
Zeitraum feststellen (vgl. Spitzmüller 2006, 39). Ihm zufolge hat sich das Bild der Jugend in der
Öffentlichkeit bereits in den 90er Jahren deutlich verändert: Jugendliche galten vermehrt als
originell und kreativ, was dazu führte, dass auch die linguistische Sicht auf Jugendsprache auf
Akzeptanz stiess (vgl. Spitzmüller 2006, 45).

4. Fazit

Die Erwartung, das Bild, welches der Tages-Anzeiger über Jugendsprache vermittelt, vollziehe
während der untersuchten Zeit zwischen 1995 und 2011 einen positiven Wandel, konnte in dieser
Arbeit nicht bestätigt werden. Die jugendsprachfreundlichen, am wissenschaftlichen Stand
orientierten Stimmen überwiegen während der ganzen untersuchten Zeit.
Als Zeitung, die in Diskussionen über verschiedene Ansichten informiert, präsentieren die Artikel
des Tages-Anzeigers zum Thema Jugendsprache Meinungen von Wissenschaftlern, Sprachkritikern,
                                                   13
Jugendlichen, Senioren, Eltern und von einem Lehrer. Dies entspricht den Statuten des Tages-
Anzeigers: Gemäss dem Redaktionsstatut I.6. greift der Tages-Anzeiger Debatten in ihrer ganzen
Breite auf, stellt Standpunkte mit ihren besten Argumenten dar und fördert so eine
lösungsorientierte Diskussion. Weitaus am meisten zitiert werden während der ganzen untersuchten
Zeit Wissenschaftler, welche über die Normalität eines solchen Phänomens aufklären und Vorurteile
beseitigen. Da der wissenschaftlichen Perspektive am meisten Platz in den Artikeln eingeräumt
wird, scheint der Tages-Anzeiger dem Leser diese Sichtweise nahezulegen.
Leserbriefe aus dem Jahr 1999 zeigen, dass die Meinung der Leserschaft bezüglich Jugendsprache
eindeutig kritisch ist. Demgegenüber stellt der Tages-Anzeiger Artikel, die das Thema
Jugendsprache verständlich machen sollen und somit zur Lösung gesellschaftlicher Spannungen
beitragen können. Auch dies entspricht den Statuten:

     Der TA versucht, komplexe Sachverhalte verständlich zu machen, und leistet einen
     konstruktiven Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher, kultureller, politischer, wirtschaftlicher
     und ökologischer Probleme. (vgl. Redaktionsstatut I.2 des Tages-Anzeigers von 1998)

In der Vermittlungsarbeit nimmt der Tages-Anzeiger zwar nicht explizit Stellung, legt allerdings
durch neutrale, wissenschaftliche Informationen nahe, Jugendsprache als ungefährliches
Sprachwandelphänomen zu betrachten. Ein Leserbrief aus dem Jahr 2005 kann ein Indiz dafür sein,
dass tatsächlich auch die Leserschaft ihre Meinung bezüglich Jugendsprache geändert hat: Statt sich
über die Sprechweise Jugendlicher zu beklagen, wird mokiert, dass Erwachsene diese Sprechweise
übernehmen, was völlig unpassend sei (vgl. TA 26. Februar 2005).
In den Jahren 1998 bis 20003 und erneut im Jahr 20054 wurden auffällig viele Artikel zum Thema
veröffentlicht. Weshalb gerade in diesen Jahren aus Sicht des Tages-Anzeigers der Bedarf bestand,
über Jugendsprache zu informieren, kann nicht restlos geklärt werden. Ebenso erstaunlich ist, dass
Jugendsprache zwischen 1995 und 1997 gar kein Thema war. Möglich ist, dass ein ähnlicher Fall
besteht wie Ende der 70er Jahre, als Neuland zufolge mit den Jugendrevolten auch das
Sprachverhalten Jugendlicher zu einem gesellschaftlichen Problem wurde, dessen „Lösung“ eine
wissenschaftliche Analyse erforderlich machte (vgl. Neuland 2008, 1): Auch in den Jahren, da im
Tages-Anzeiger gehäuft Artikel zur Jugendsprache erschienen sind, könnten besonders starke

3 Februar 1998:, „Die Säschn isch voll haane geil gsi“, Februar 1998:„Wo der Super-Gei noch ein flotter Mann ist“,
 Juni 1998: „Megageile Sprache“, Juni 1999: Internetslang „Kauder-Websch – die neue Sprache“, Januar 2000:
 „Balkan-Slang erobert Jugendsprache“.
4 Februar 2005: „'Mega uhueregeil' ist 'voll cool'“, Oktober 2005: „Halt die Schnauze, Mama!“, November 2005:
 „Simsen, wie der Schnabel wächst“.
                                                       14
gesellschaftliche Spannungen bestanden haben. Wie Neuland sagt, erfordert die „Lösung“ solcher
Probleme eine wissenschaftliche Analyse – um jedoch die breite Masse zu erreichen, ist die
Vermittlung der wissenschaftlichen Erkenntnisse durch die Massenmedien nötig. Als zweite
mögliche Erklärung für die erstaunliche Häufung der Artikel über Jugendsprache in den Jahren
1998 und 2005 kann man die damals stattgefundenen Fachkonferenzen anbringen: Von Schlobinski
wurde 1998 die Osnabrücker Fachkonferenz „Jugendsprache(n) – Jugendkulturen – Wertesysteme“
abgehalten und Dürscheid veranstaltete 2005 in Zürich die fünfte internationale Fachtagung
„Perspektiven der Jugendsprachforschung“ (vgl. Neuland 2008, 46). Diese Fachkonferenzen
könnten dem Tages-Anzeiger Anlass gegeben haben, dieses Thema verstärkt aufzugreifen.
Auch noch in den Jahren nach 2005 erscheinen Artikel über aktuelle gesellschaftlicher Probleme
und Ängste, doch Jugendsprache tritt hier nur als Nebenthema auf: So wird Jugendsprache im
Kontext der „Bedrohung“ des Deutschen durch Anglizismen (März 2007), der problematischen
Integration Jugendlicher mit ausländischen Wurzeln in die Berufswelt (Januar 2009), der
Diskriminierung von Schwulen (Mai 2009) und des verschriftlichten Dialekts (November 2009) am
Rande erwähnt. Jugendsprache und der damit verbundene Sprachwandel selbst scheinen kein
Thema mehr, welches an sich in der Öffentlichkeit erklärt werden muss. Diese These wird auch
durch Neulands Erkenntnisse unterstützt: Mit der „globalen Juvenilisierung der Gesellschaft“ sind
ihr zufolge die Einstellungen gegenüber Jugendsprache zunehmend positiv geworden und die
Akzeptanz gewachsen (vgl. Neuland 2008, 15f.). Die Kritik an Jugendsprache ist der
Verunsicherung gegenüber dem Einfluss der Neuen Medien und dem sich ändernden schriftlichen
Sprachgebrauch gewichen (vgl. Neuland 2008, 17). Auch Spitzmüller bemerkt, dass, während die
Haltung gegenüber Jugendsprache überwiegend sprachoptimistisch ausfällt, die Gesamtbewertung
des Sprachwandels sehr viel pessimistischer aussieht (vgl. Spitzmüller 2006, 41). Jugendsprache
steht somit nicht mehr im Fokus der öffentlichen Kritik (vgl. ebd.).
Ein Wandel von Misstrauen zur Euphorie kann im Bild, welches der Tages-Anzeiger von
Jugendsprache vermittelt, also nicht festgestellt werden. Dennoch ist ein Wandel bemerkbar:
Jugendsprache    scheint   in   den   letzten   Jahren   vom    Tages-Anzeiger   nicht   mehr   als
erklärungsbedürftiges Thema, welches zu Generationskonflikten führen kann, sondern wird
vielmehr im Kontext anderer problematischer Themen aufgegriffen. Der Coolness-Faktor von
Jugendsprache scheint sich zudem über die Jahre hinweg immer mehr zu etablieren: Während ein
Artikel vom Februar 1998 eher gekünstelt und verkrampft jugendsprachliche Ausdrücke und deren
Raffinesse dem Leser näherzubringen versucht, wird in späteren Artikeln Jugendsprache auf
                                           15
selbstverständliche Weise als „cooles“ Phänomen eingestuft. In jüngster Zeit wurde zudem der
Unterhaltungsfaktor des Themas entdeckt. Dies zeigen humoristische Artikel über das Jugendwort
des Jahres (ab 2008), über die Übersetzung eines Theaterstücks von Shakespeare in die
Jugendsprache (April 2008), wie auch die Meldung über einen Comic über Chopin (Februar 2011)
und der Text von Kolumnist Bänz Friedli (Dezember 2009).

                                             16
Literaturangaben

Primärliteratur5

Tages-Anzeiger 1995-2011. Online unter: http://www.lexisnexis.de/e-solutions/KSH/de/index.html
.

Merki, Otto: Die Säschn isch voll haane geil gsi. 25. Februar 1998.

Hosp, Janine: Wo der Super-Gei noch ein flotter Mann ist. 25. Februar 1998.
Löpfe, Philipp: Megageile Sprache. 27. Juni 1998.
Hark, Ulrike: Kauder-Websch – die neue Sprache. 26. Juni 1999.
Huber, Martin: Balkan-Slang erobert Jugendsprache. 11. Januar 2000.
Meier, Peter Johannes: Als Armin war alles noch in Ordnung. 28. Juni 2000.
(AP/TA): "Downgeloadet" ist jetzt ganz korrektes Deutsch. 21. August 2000.
Kramer, Thomas: Gegen die Generation Milchkaffee. 29. August 2003.
Meier, Simone: Kurt Cobain und der Blocher-Effekt. 07. April 2004.
Schneebeli, Daniel: Kein Gralshüter der deutschen Sprache. 16. August 2004.
Reiss, Kristina: "Mega uhueregeil" ist "voll cool". 24. Februar 2005.
Gertsch-Schoch, Marianne: "Halt die Schnauze, Mama!". 20. Oktober 2005.
Bucher, Delf: Simsen, wie der Schnabel wächst. 16. November 2005.
Ebel, Martin: Robinson als Seelentröster im Internatsalltag. 28. März 2006.
Halter, Martin: Der Retter des sterbenden Genitivs“. 25. November 2006.
Scheu, Nina: Hey Moan – wir sind wer! 13. Januar 2007.
Baer, Matthias: Deutsch ist plötzlich cooler als Englisch. 26. März 2007.
Zumsteg, Patricia: Aaaaanderscht. 15. August 2007.
(Ohne Verfasser): Shakespeare in Jugendsprache übersetzt.26. April 2008
(hbr): Lob für 'Gammelfleischparty'. 11. Dezember 2008
Müller, Monica: Jugendliche helfen Schülern bei Stellensuche. 21. Januar 2009.
Hurst, Simon/ Huber, Marius: Die Goldküste wird zum Ghetto umgedeutet. 17. April 2009
Schafroth, Andrea: „Feminines Gebaren schreckt ab, es passt nicht ins Männlichkeitsbild“. 29. Mai
2009.
Reuss, Marcel: (Ohne Titel). 16. November 2009.
Friedli, Bänz: (Ohne Titel). 08. Dezember 2009.

5 Artikel, die Jugendsprache als Hauptthematik aufnehmen, sind fett geschrieben.
                                                        17
Schweizerische Depeschenagentur: Publikum will „Speckbarbie“ - Jury entscheidet. 02. November
2010
Schweizerische Depeschenagentur: Jugendwort des Jahres gekürt. 30. November 2010.
Schweizerische Depeschenagentur: Grosse Aufregung über Chopin-Comic. 25. Februar 2011.
(Schweizerische Depeschenagentur/TA): Dramatikerpreis für Christoph Fellmann. 23. März 2011.

Leserbriefe:
Giovanoli, Rudolf: Ekelhafte Jugendsprache. 07. Juli 1999.
Hiestand, Karin: Wuchernde Unordnung. 21. Juni 1999.
Marti, Peter: Spätpubertaeres Gockelgehabe. 26. Februar 2005.

Sekundärliteratur

Coninx, Hans Heinrich (Unterz.): Redaktionsstatut des Tages-Anzeigers. Zürich: 1998.

David, Barbara: Jugendsprache zwischen Tradition und Fortschritt. Schriftenreihe IMPULSE, Band
5. Alsbach: 1987.

Heinemann, Margot: Vier internationale Fachkonferenzen zur Jugendsprachforschung – Rückblick
und Ausblick. In: Neuland, Eva (Hg.): Jugendsprachen – Spiegel der Zeit. Internationale
Fachkonferenz 2001 an der Bergischen Universität Wuppertal. Frankfurt a.M.: 2003, S. 19-24.

Neuland, Eva: Entwicklungen und Perspektiven der Jugendsprachforschung. Zur Einführung. In:
Neuland, Eva (Hg.): Jugendsprachen – Spiegel der Zeit. Internationale Fachkonferenz 2001 an der
Bergischen Universität Wuppertal. Frankfurt a.M.: 2003, S. 9-18.

Neuland, Eva: Jugendsprache. Eine Einführung. Tübingen: 2008.

Spitzmüller, Jürgen: Der mediale Diskurs zu „Jugendsprache“: Kontinuität und Wandel. In:
Spitzmüller, Jürgen / Dürscheid, Christa (Hgg.): Perspektiven der Jugendsprachforschung. Trends
and Developements in Youth Language Research. Frankfurt a. M. u.a.: 2006, S. 33-50.

                                               18
Sie können auch lesen