Wandel im Weinbau Die neue Generation der Jungwinzer krempelt so einiges um - Urlaubsregion Freinsheim
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Alleine im Weinberg: Ältere Winzer haben meist im Familienbetrieb gelernt und sich wenig mit Kollegen ausgetauscht. Wandel im Weinbau Die neue Generation der Jungwinzer krempelt so einiges um Die Weinprobierstube heißt nun Vinothek, vorbei. Heute steuert man immer wieder die Rhetorik und die Kommunikation zu statt rustikaler Gemütlichkeit liegt dezen- andere Weingüter und Winzergenossen- schulen und neue Medien zu nutzen.“ ter Schick im Trend. Die Ausbildungsmög- schaften an, denn die Auswahl ist ebenso Eine Vielfalt von Ausbildungswegen ermög- lichkeiten im Bereich Weinbau sind viel- groß, wie die Neugier auf besonders ausge- licht es, sich diese Kenntnisse und Fertig- fältig wie noch nie. Neue Medien ermög- baute Sorten oder noch unentdeckte Talen- keiten anzueignen. „90 Prozent der heutigen lichen, sich mit Kollegen aus aller Welt te. Wo die Atmosphäre dann stimmt, pro- Jungwinzer haben eine abgeschlossene auszutauschen und Produkte online zu ver- biert und kauft man gerne. Doch der beste Ausbildung und die meisten davon machen markten. Die heutigen Jungwinzer gehen Wein wird links liegen gelassen, wenn man anschließend eine Fortbildung zum Meister völlig neue Wege. Müssen sie aber auch, sich beim Winzer nicht wohl fühlt. oder Weinbautechniker“, sagt Alfred Fi- denn zugleich sind die Konkurrenz härter Für die heutige Winzergeneration bedeutet scher, stellvertretender Schulleiter am und die Aufgabengebiete umfangreicher ge- dies, dass sie bei ihren Kunden nicht auf Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum worden. Es reicht längst nicht mehr, nur Loyalität zählen kann, sondern mit Fluktu- Rheinpfalz. Zwar sei die Weinbauschule guten Wein zu machen. Keine leichte Aus- ation rechnen muss. Der Fokus rückt weg laut Fischer seit über 100 Jahren ein Wis- gangslage – vor allem, wenn Jung und Alt vom Produkt – das muss stimmen, keine senspool für die Weinwirtschaft der Pfalz. im Weingut zusammenarbeiten. Frage – zum jeweiligen Unternehmer. Aus Aber: „Eine reguläre Ausbildung im Wein- bau ist erst seit den 70er/80er Jahren der Schon das schicke Etikett weckt die Erin- Die Leute verlangen Fall. Vorher wurde die Berufserfahrung in nerung an jenen sonnigen Spätnachmittag heute mehr und die der Regel im Elternhaus weitergegeben.“ im Juni. Der alte Hof lag im Halbschatten Und war es bei den Eltern der Jungwinzer rosa blühender Kastanienbäume. Es Konkurrenz ist größer. oft nicht einmal üblich, während der Aus- herrschte wenig Betrieb und der Kellermeis- dem reinen Weinbauern wird ein Fachmann bildung zur Fremdlehre in ein anderes ter nahm sich Zeit, seine Kunden auf dem für Weinbau und Oenologie, ein Experte für Weingut in der Pfalz zu gehen, so zählen Weingut umherzuführen. Seitdem verbindet Internationale Weinwirtschaft, der sein Wis- Fremdsprachen und Auslandserfahrung man den Riesling dieses Weinguts mit ei- sen und den Wein den Kunden auf angeneh- inzwischen zum Standard. Auch Themen nem bestimmten Gesicht. Nämlich mit dem me Weise näherbringt. Seit wann sich das wie Marketing und Betriebswirtschaftslehre, dieses jungen, sympathischen, unterhaltsa- Berufsbild des Winzers derart ändert, lässt veränderte Klimabedingungen und rechtli- men und redegewandten Mannes, der sie sich nicht genau festlegen. „Das sind Prozes- che Rahmenbedingungen, Qualitätsmanage- allerhand Weine probieren ließ und mit se, da gibt es immer Vorreiter und Winzer, ment und Nachhaltigkeit kamen in den ausreichend Fachwissen und vergnüglichen die folgen“, sagt Prof. Dr. Marc Dreßler, vergangenen rund 20 Jahren entweder als Anekdoten versorgte. Und weil der Wein Studiengangsleiter am Weincampus Neustadt. neue Ausbildungsinhalte dazu oder wurden schmeckte, kauften sie einige Flaschen – Worin sich der Wandel allerdings zeigt, dafür komplett neu ausgerichtet. Und ohne Me- und kommen vielleicht sogar wieder. nennt der Professor für Betriebswirtschafts- dien-, Führungs- und Sozialkompetenz geht Die Zeiten, in denen Kunden dreimal im lehre konkrete Beispiele: „Der heutige Jung- sowieso nichts mehr. Das gilt für die duale Jahr auf den Hof fahren und sich bei einem winzer braucht ein tieferes Verständnis für praxisorientierte Winzerausbildung ebenso einzigen Winzer ungesehen kistenweise den Vertrieb, er muss betriebswirtschaftliches wie das Weinbaustudium. Wein in den Kofferraum laden, sind längst Wissen anwenden können, es geht darum, Der Weincampus Neustadt wurde 2009 4
Gemeinsam im Geschäft: Die Generation Riesling steht stellvertretend für die aufstrebenden und gut vernetzten Jungwinzer. gegründet, um den aktuellen Bedürfnissen hervorragend ausgebildet und aufstrebend Gesprächspartner. Mit letzterem besucht der Wirtschaft entgegenzukommen. Man präsentieren. Das Deutsche Weininstitut die Jungwinzerin gemeinsam Veranstaltun- kann dort den – in Deutschland bisher (DWI) hat im Jahr 2005 die „Generation gen wie zum Beispiel Weinmessen. „Wir einzigartigen – dualen Bachelor-Studiengang Riesling“-Initiative ins Leben gerufen, um suchen nach Wegen, die jeweils eigenen Weinbau und Oenologie absolvieren. Der der jungen Weinszene eine nationale und Produkte gemeinsam zu vermarkten, ohne Weincampus ist eine Kooperation der Hoch- internationale Plattform zu bieten – losgelöst uns in die Quere zu kommen.“ schulen Ludwigshafen, Bingen und Kaisers- von bestehenden Gruppierungen. Die Mit- Dieser intensive und oft sehr offene Aus- lautern sowie der DLR Rheinpfalz und ar- glieder treten bei jährlichen Präsentationen tausch ist eine relativ neue Entwicklung. beitet mit Kooperationsbetrieben in ganz in Berlin und Hamburg auf, sind bei Wein- Nicht zuletzt, weil sich Jungwinzer über die Deutschland zusammen. In Geisenheim messen und Vorstellungen vor Fachpubli- neuen Medien einfacher und schneller ver- kum vertreten. Sie sind bereit, gemeinsam netzen können. „Ich beobachte, dass die Die Technik wird immer als Botschafter einer modernen und hoch- Zusammenarbeit der jungen Winzer zu- teurer, der Papierkram wertigen Weinerzeugung aufzutreten. Die nimmt, dass sie sich bewusst gemeinsam auf Initiative stellt den Riesling als derzeit tren- Messen positionieren oder dass sich Jung- aufwändiger. digste Rebsorte in den Vordergrund, um winzer aus einer Region oder mit ähnlichen wurde 2011 der Grundstein für die Hoch- damit national wie international Aufmerk- Ansätzen zusammenschließen und über die schule Geisenheim University gelegt und samkeit zu erreichen. Es ist eine offene und neuen Medien vernetzen“, sagt Prof. Marc zwei Jahre später umgesetzt. Geisenheim wachsende Gruppierung, die die gesamte Dreßler, der gemeinsam mit den Kollegen hatte schon immer eine Vorreiterrolle bei Weinbranche inspiriert. Auch in den sozialen des DLR forscht. Und damit beziehe er sich der Winzerausbildung und sich durch die Netzwerken ist die Gruppe aktiv. nicht nur auf die „Generation Riesling“ – Kooperation der Forschungsanstalt Geisen- Jeannette Eger gehört zur „Generation auch wenn es sicherlich eine der bekanntesten heim mit dem Fachbereich Geisenheim der Riesling“. Die 30-Jährige hat vor rund fünf Jungwinzer-Kooperationen sei. Gemeinsam Hochschule RheinMain früh einen inter- Jahren ihren eigenen Biobetrieb in Herx- machen viele Dinge einfach mehr Spaß, man nationalen Ruf erarbeitet. Die Hochschule heim am Berg gegründet. Ihr Bruder führt ist kreativer und kann sich Arbeiten aufteilen. Geisenheim University vereinigt nun For- den Betrieb der Eltern im selben Ort weiter Und schließlich spiele auch bei jungen Win- schung und Lehre in einer Institution. Ba- und setzt somit die mehr als 350-jährige zern der Aspekt „Work-Life-Balance“ hinein. chelor, Master, Promotion – alles unter ei- Familientradition fort. Die Jungwinzerin „Wer alles alleine macht, dreht sich bald im nem Dach und stets mit dem Fokus auf geht lieber ihren eigenen Weg, den sie über Hamsterrad. Auf Messen präsent zu sein, ist einer weltweiten Kooperation mit Betrieben, das Fachhochschulstudium in Geisenheim wesentlich. Doch wer dort alleine am Stand wo die Studierende mehrere Monate wäh- und Stationen in Kalifornien, Neuseeland, steht, hat nicht einmal Zeit, sich selbst die rend ihres Studiums arbeiten können. „Das Südafrika zurück in die Urlaubsregion ge- Messe anzuschauen. Bei einer gemeinsamen internationale Netzwerk von Geisenheim funden hat. „Wenn schon weg, dann weit fördert das internationale Denken der Stu- weg“, sagte sich Eger, als das erste Studien- Die älteren Winzer sind dierenden. Wer heute auf dem Markt beste- praktikum anstand. „Wenn schon viel ar- heute sehr viel hen will, muss weit über den Kirchturm beiten, dann für sich selbst“, entschied Eger aufgeschlossener. hinaus blicken und mit den Kollegen zu- einige Jahre später. In Herxheim am Berg sammenarbeiten anstatt dagegen“, sagt Prof. bewirtschaftet Eger seit 2008 viereinhalb Präsentation kann man sich auch mal vertre- Dr. Randolf Kauer, Leiter des Studiengangs Hektar im biologischen Anbau. Und auch ten“, nennt Dreßler wesentliche Vorteile. Weinbau und Oenologie an der Hochschu- wenn sie dort ihr eigener Chef ist – auf Wo neue Ansätze und die „alte Schule“ im le Geisenheim University. familiäre Unterstützung kann sie zählen. selben Weingut zusammentreffen, da entste- Stellvertretend für die jungen, innovativen Bei fachlichen Fragen sind ihre Eltern erste hen oft ganz neue – gemeinsame oder par- und weltoffenen Winzer steht die „Genera- Anlaufstelle. Daneben seien, wie Eger sagt, allele – Wege, wie zum Beispiel bei Familie tion Riesling“. Ihre Mitglieder – alle unter ihre Clique aus dem Studium oder ein Eger. Dort ist eine klare Rollenverteilung die 35 – sind alles Jungwinzer, die sich ehrgeizeig, Winzer aus dem Nachbarort wichtige Basis für die Zusammenarbeit der zwei Ge- 5
nerationen. In ihrem Biobetrieb kann Jean- und Etiketten, eine entsprechende Internet- Kristina I. nette Eger eigene Ideen umsetzen, muss sich seite und Probierstube. Dem Thema Mar- aber auch selbst darum kümmern. Im Wein- keting räumt der Jungwinzer einen großen Kristina Weber, 20 gut der Eltern ist der Bruder für den Anbau Stellenwert ein. Weinprinzessin Stadt Freinsheim, und Keller zuständig, sie hilft, wann immer Zweimal jährlich ein Infoschreiben mit der Studentin sie gebraucht wird, und kümmert sich um neuen Weinpreisliste, zweimal im Jahr den die Vermarktung. Unterschiedliche Ansichten Hinweis auf eine Aktion, dazu monatliche „Winzer ist ein abwechslungsreicher werden im Familienkreis offen diskutiert. Newsletter, Präsentationen auf Verbraucher- und inzwischen angesehener Beruf Manchmal bringen die Jungen so viel fri- messen – „Wir müssen in allen relevanten mit Zukunft. Dominierten lange schen Wind hinein, dass eine völlig neue Absatzmärkten präsent sein, um die gute Männer das Berufsfeld, so lassen Ordnung entsteht. Jürgen Krebs kommt aus Qualität unserer Weine zu kommunizieren“, sich nun immer mehr Frauen zu einem Weingut, dessen Stärke ganz klar im sagt Steven Kärgel, Geschäftsführer der Win- Winzerinnen ausbilden. Insgesamt Bereich Rotwein liegt. Spätburgunder ist das zergenossenschaft Kallstadt. Es sei zuneh- sind die Fort- und Ausbildungsmög- Steckenpferd des Freinsheimer Betriebes, der mend wichtig geworden, sagt der 45-Jährige, lichkeiten vielfältiger als früher. von Vater und Sohn gleichermaßen geführt dass man in den Köpfen der Kunden bleibe, Und der Vermarktung kommt heute wird. Die jeweiligen Verantwortungsbereiche denn diese würden sich nur noch selten mit ein viel höherer Stellenwert zu.“ im Arbeitsalltag sind unter den beiden klar der Jahresmenge Wein auf einmal eindecken. verteilt: Vater Harald (52) kümmert sich um „Die Kunden kaufen dafür öfter bei uns ihren den Außenbetrieb und die innerbetriebliche Kallstadter Saumagen“, so Kärgels Erfahrung. Organisation, Sohn Jürgen um den Keller Bei der Vermarktung geht es also darum, größere Betriebe geben und das Unterneh- und die Vermarktung. Doch der 28-jährige immer wieder Themen und Aktionen rund merprofil wird über die Verkaufsfähigkeit Techniker für Weinbau und Oenologie will um den Wein zu finden, die Kunden interes- entscheiden.“ Wer lerne, den Wein nicht auch beim Thema Riesling am Ball bleiben, sieren und ihnen einen Anlass bieten, nach nur als Produkt zu sehen, der werde sich um in der „Riesling-Welt“ wahrgenommen Kallstadt zu kommen. Eine Krimilesung mit unternehmerisch durchsetzen, ist der Wein- zu werden und mitspielen zu können. Also begleitenden Weinen, ein Gänseessen mit den bauforscher sicher. Messen, Tourismus, setzt er auf auf die Stärken seiner Heimatre- passenden Weinen, Hoffeste oder der neu Export seien beispielsweise Themen, die gion und fördert gezielt den Ausbau cha- umgebaute Holzfasskeller sind Beispiele, wie schon heute eine große Rolle spielten. raktervoller Weine aus verschiedenen Lagen. Kärgel versucht, die Winzergenossenschaft im Die heutigen Voraussetzungen für Jungwinzer Besondere Freude hat er an einem Weinberg, Gespräch zu halten. Über bestimmte Produk- sind dabei nicht schlecht, nicht zuletzt, weil den er vor gut drei Jahren in Herxheim am te, wie zum Beispiel Seccos oder die neue sie heute mehr und individuellere Ausbil- Berg erwarb. „Herxheim hat eben die eher Terroir-Linie, ist es laut Kärgel der Winzerge- dungsmöglichkeiten haben. „Wenn sie sich klassischen Mittelhaardter Lagen, die Böden nossenschaft gelungen, neue jüngere Kunden mit den Medien auskennen, können sie eige- sind mineralhaltiger“, erklärt Jürgen Krebs. wirksam anzusprechen. Einen ähnlichen ne Ideen leichter umsetzen und damit Fuß „Vor acht Jahren haben wir noch bis 70 modernen Ansatz verfolgen die meisten fassen. Sie haben dann mehr Instrumentarien Prozent halbtrocken ausgebaut, jetzt bieten Winzergenossenschaften in der Region. zu Verfügung, die Reaktion der Kunden wir 90 Prozent als trocken an“, nennt er ein Der Weinbau ist eine dynamische Branche, mitzubekommen, so dass sie gezielter auf die weiteres Beispiel dafür, welche Richtung er daher sei es laut Dreßler vom Weincampus Kunden eingehen können“, sagt Dreßler. Am als Jungwinzer eingeschlagen hat. Natürlich Neustadt schwierig zu sagen, wie der Wein- Ende entscheide die Kommunikationskom- würden damit die Kunden wechseln. Doch bau in der Zukunft aussehen wird. „Es gibt petenz. Und wer es schafft, seinem Wein das klar ist: „Für zwei Linien ist der Betrieb zu Indizien, bei denen sich die Experten einig Gesicht zu geben, an das man sich später klein.“ Zur neuen Linie gehören neue Logos sind: Es wird eher weniger Betriebe, dafür beim Öffnen der Flasche gerne erinnert. Info Am Ende muss der Wein Ihnen schmecken! Ab Seite 27 bieten ausgesuchte Weinbaubetriebe mit Kellermeistern aller Generationen an, ihren Wein kennen zu lernen. Nutzen Sie die Probenmöglichkeiten bei unseren Winzern zu den angegebenen Öffnungszeiten. Für größere Gruppen können Weinproben – auch open Air Präsent auf Messen und Veranstaltungen: Jungwinzer müssen ihren Wein vermark- – organisiert werden. Info: ten und auf immer individuellere und anspruchsvollere Kunden eingehen. touristik@vg-freinsheim.de 6
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