POTENZIELLE AUSWIRKUNGEN DER CORONAVIRUS (SARS-COV-2)-PANDEMIE AUF DEN IMMOBILIEN-INVESTMENTMARKT UND DIE VERMIETUNGSMÄRKTE - IV. SPECIAL REPORT ...

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© Chloe Evans

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                                                             IV.
                E | N | A | RESEARCH — Stand: 04.06.2020

                Potenzielle Auswirkungen der Coronavirus
                (Sars-CoV-2)-Pandemie auf den Immobilien­
                investmentmarkt und die Vermietungsmärkte
Potenzielle Auswirkungen der Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie
auf den Immobilien­investmentmarkt und die Vermietungsmärkte

Allgemeine wirtschaftliche Auswirkungen

Zunehmende Geschwindigkeit von globalen Risiken
In der zentralchinesischen Provinz Hubei rund um die Stadt Wuhan hatte die Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie Anfang
des Jahres 2020 ihren Ausgang genommen und sich von dort rasant weltweit ausgebreitet. Am Beispiel der aktuellen Situ­
ation zeigt sich, wie sich in der heutigen Zeit neuartige Risiken wie die Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie mit zunehmen-
der Geschwindigkeit mit bereits bestehenden weltweiten Entwicklungstrends wie der Globalisierung und der damit einher­
gehenden Mobilität und Vernetzung überlagern und somit zu globalen Krisenszenarien führen können. Im Gegensatz zu
geopolitischen Risiken in Form des schwelenden Handelskonfliktes zwischen den USA und China oder dem EU-Austritt
des Vereinigten Königreichs, welche sich über einen längeren Zeitraum entwickeln, handelt es sich in der jetzigen Situation
um ein unvorhergesehenes Ereignis, das nur geringe Handlungsspielräume offen lässt.

Die Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie hat dabei einen unmittelbaren Einfluss auf die Wirtschaft der betroffenen Regionen
und Länder. In den großen Industriestaaten der EU, in den USA, in China, in Japan usw. sind, trotz einer gelockerten Geld-
politik, Rezessionsentwicklungen bereits in vollem Gange. Das Frühjahrsgutachten der fünf führenden Wirtschaftsforschungs­
institute in Deutschland prognostiziert für die Bundesrepublik eine Schrumpfung der Wirtschaftsleistung von 4,2 Prozent
für das Jahr 2020 und damit die schwerste Rezession seit der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2009. Für das Jahr 2021
wird jedoch eine Erholung der Wirtschaft und ein Wachstum von 5,8 Prozent vorausgesagt.

Im Falle einer zeitlich langen Ausweitung der gesundheitspolitischen Maßnahmen der jeweiligen Länder infolge einer mög­
lichen zweiten Infektionswelle, die zu weiteren massiven Einschränkungen der Wirtschaft führen würden, ist in einem
langfristiges Worst-Case-Szenario vermutlich von einer kommenden Weltwirtschaftskrise auszugehen.

Unterschiedliche Vulnerabilitäten
Die Auswirkungen einer solchen Krise können räumlich variieren und somit einzelne Regionen und Länder unterschiedlich
stark treffen. Die Unterschiede in den Vorbereitungen zur Eindämmung der Pandemie in Europa, in den USA und in vielen
asiatischen Staaten sind die Ursache dafür, dass es in den zuletzt genannten Regionen wie Singapur oder Taiwan gelungen
ist, die Zunahme der Neuinfektionen zeitnah effektiv zu begrenzen, während in anderen Regionen der Welt die Fallzahlen
stark ansteigen. Dies wiederum hängt damit zusammen, dass wie im Fall der derzeitigen Pandemie, Risiken zum einen aus
der Natur und aus menschlichem Handeln heraus entstehen, jedoch ebenso von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ak­
teuren wahrgenommen und als Gefahr bewertet werden müssen. Die subjektive Risikowahrnehmung ist dabei von viel-
fältigen Faktoren wie Informationszugang, -verarbeitung und -bewertung abhängig und führt zu individuell sehr differen­-
zierten Beurteilungen der Bedrohungssituation. Diese Unterschiede führen im Zusammenspiel mit den bestehenden Wirtschafts-
und Gesellschaftsstrukturen der jeweiligen Länder zu unterschiedlichen ökonomischen Vulnerabilitäten in den einzelnen
Volkswirtschaften.

Tabelle 1: COVID-19-Fallzahlen weltweit (Stand: 03.06.2020)
Land                                                               Covid-19-Fälle                       Covid-19-Todesfälle
USA                                                                     1.831.821                                  106.181
Brasilien                                                                 555.383                                   31.199
Russland                                                                  423.741                                     5.037
Vereinigtes Königreich                                                    277.985                                   39.369
Spanien                                                                   239.932                                   27.940
Italien                                                                   233.515                                   33.530
Indien                                                                    207.615                                     5.815
Deutschland                                                               182.370                                     8.551
Peru                                                                      170.039                                     4.634
Türkei                                                                    165.555                                     4.585
Quelle: European Centre for Disease Prevention and Control

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Potenzielle Auswirkungen der Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie
auf den Immobilien­investmentmarkt und die Vermietungsmärkte

Betroffene Branchen
Ein Blick auf die verschiedenen Wirtschaftsbranchen lässt die vielfältigen Auswirkungen der Coronavirus (Sars-CoV-2)-
Pandemie sichtbar werden und offenbart oftmals geringe organisationale und systemische Resilienzen. So hat in der
Luftfahrtbranche der Lufthansa-Konzern aufgrund des weitgehend eingestellten Luftverkehrs weltweit im März und April
2020 für rund 87.000 Beschäftigte Kurzarbeit beantragt.

Auch die ohnehin angeschlagene Automobilindustrie ist aufgrund unterbrochener Lieferketten und in Folge dessen fehlen-
der Produktionsteile in der Automobilherstellung eingeschränkt. Gleichzeitig bildet China den wichtigsten Absatzmarkt
der Branche, welcher jedoch im Monat Februar nahezu völlig eingebrochen war, weshalb in Deutschland ein massiver Arbeits-
platzabbau zur Diskussion steht. So muss beispielsweise das Automobilunternehmen Daimler infolge der Corona-Pandemie
seine Prognosen für das Geschäftsjahr stark nach unten korrigieren.

Darüber hinaus sind Ölkonzerne, Textilwirtschaft, Banken, Gastronomie, Kulturwirtschaft, Sportwirtschaft, Tourismusbranche,
Veranstaltungsbranche u.v.m. direkt oder indirekt von den Folgen der Pandemie betroffen.

Inwiefern die Immobilienwirtschaft von den sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite der Volkswirtschaft treffen-
den Auswirkungen der Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie tangiert ist, wird im Folgenden erörtert.

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Potenzielle Auswirkungen der Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie
auf den Immobilien­investmentmarkt und die Vermietungsmärkte

Auswirkungen auf den Immobilieninvestmentmarkt

Investitionen in Immobilien sind per se in besonderem Maße risikobehaftet. Kaum ein anderer Wirtschaftsbereich ist glei-
chermaßen von einer breiten Vielfalt von Einflussfaktoren wirtschaftlicher, politischer, gesellschaftlicher, technischer und
ökologischer Art geprägt. Mit der epidemiologischen Bedrohung durch die Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie entsteht für
die Immobilienwirtschaft eine neuartige Krisensituation, deren potenzielle Auswirkungen in den folgenden Ausführungen
differenziert in kurz-, mittel- und langfristige Szenarien analysiert werden.

Kurz- bis mittelfristiges Szenario:

Zeitpunkt der Betroffenheit der Immobilienmärkte
Im Unterschied zu Finanzmärkten (Einbruch am Aktienmarkt, Ölpreissenkung, Goldpreissenkung) und der Realwirtschaft
läuft der Immobilienmarkt generell zunächst konjunkturellen Entwicklungen hinterher. In der jetzigen Krisensituation trifft
dieser Marktmechanismus jedoch nur noch auf bestimmte Segmente zu. Von der Krise direkt betroffen zeigen sich die Hotel-,
Einzelhandels- und Büromärkte, in denen die Flächennachfrage einbricht und Mietzahlungen bereits ausgesetzt werden.

Einige Immobilienanlageklassen weisen dagegen aufgrund von geringen Ausfallwahrscheinlichkeiten der Mieteinnahmen
eine geringere Vulnerabilität gegenüber der Krise auf als andere Immobilien-Segmente. Ein möglicher Zeitgewinn im An-
gesicht der Krise ist aufgrund der genannten Charaktereigenschaft des Immobilienmarktes, zeitverzögert auf die Konjunk-
turentwicklung zu reagieren, in solchen Immobiliensegmenten zu sehen, die von gesundheitspolitischen Maßnahmen wie
Kontakteinschränkung nicht direkt tangiert sind und staatliche Fördermaßnahmen im Notfall die Aufrechterhaltung von
Mietzahlungen ermöglichen (z. B. der Wohnimmobilienmarkt). In diesen Segmenten könnte ein Zeitgewinn die Folgen
der Krise für die Immobilienwirtschaft abmildern oder verzögern. Generell sind im Bereich der offenen Immobilienfonds
aufgrund von zeitlich langen Kündigungsfristen und einer Mindesthaltedauer keine kurzfristigen Effekte aufgrund mög-
licher Rückzüge der Anleger zu befürchten.

Mögliche Umschichtung von Kapitalanlagen
Die geringe Resilienz einiger Anlageklassen (z. B. Rohstoffe) gegenüber solch externer Krisen könnte den Fokus von Investoren
stärker auf Immobilieninvestments in bestimmten Immobiliensegmenten richten. In Zeiten fortlaufender Zinssenkungen
der Notenbanken und der damit einhergehenden fehlenden Attraktivität von Sparanlagen könnte die Flucht in S­ achwerte
eine sinnvolle Strategie zur Erzielung höherer Renditen darstellen. Die Nullzinspolitik der Notenbanken sowie eine gelo-
ckerte Geldpolitik waren bereits die Basis für den Immobilienboom der vergangenen Jahre und könnten auch in der jetzigen
Krisensituation die Nachfrage stabilisieren. Immobiliensegmente, die Kontinuität versprechen sind in Wohnimmobilien, in
Food-Handelsgeschäften und deren Logistikimmobilien sowie in Immobilien des Gesundheitssektors zu sehen. Allerdings
könnten Liquiditätsverluste von Investoren aufgrund von Kurseinbrüchen an den Aktienmärkten auch einen Rückgang der
Immobilieninvestitionen zur Folge haben.

Transaktionsgeschäft
Ab Mitte des Monats März waren erste Auswirkungen auf dem Investmentmarkt in Form verschobener Transaktionen
aufgrund der Investoren-Unsicherheit, Reisebeschränkungen der Akteure und dem Ausfall von Dienstleistern bereits fest-
stellbar. Da größere Immobilientransaktionen für die Marktanalyse, für die wirtschaftliche, juristische und technische Due
Diligence sowie für die Beschaffung von Fremdkapital eine gewisse Vorbereitungszeit benötigen, müssten Transaktionen die
im Jahr 2020 noch zum Tragen kommen sollen, bereits jetzt vorbereitet werden, was aufgrund des Attentismus der Akteure
in Bezug auf einzelne Assetklassen im Moment nicht der Fall zu sein scheint.

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Potenzielle Auswirkungen der Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie
auf den Immobilien­investmentmarkt und die Vermietungsmärkte

Somit muss für das Jahr 2020 mit geringeren Transaktionsvolumina auf dem Investmentmarkt gerechnet werden. Im Falle
eines weiterhin schnellen Abflachens der Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie würde das erste Quartal 2021 durch die
zeitliche Verzögerung der Geschäftsabschlüsse in Verbindung mit Nachholeffekten jedoch höhere Transaktionsvolumina
verzeichnen.

Bei Betrachtung der Angebotsseite ist zu beobachten, dass es geplant ist, laufende Projektentwicklungen größtenteils fertig
zu stellen. Allerdings treten aufgrund von Reisebeschränkungen ausländischer Arbeiter sowie Unterbrechungen von Material­
lieferketten teilweise Störungen des Baubetriebs auf Großbaustellen auf. Vereinzelt kann es auch zu einem Baustopp k­ ommen,
da eine Vermietung oder der spätere Verkauf an Investoren nicht zum Tragen kommt. Dann stellt ein fertiges Gebäude ohne
Exit-Strategie eine hohe Kapitalbindung dar, wobei zusätzlich noch höhere Fremdkapitalzinsen anfallen. Auf der Angebots­
seite dürften somit die Projektpipelines nicht vollumfänglich umzusetzen sein und die in einigen Immobiliensegmente
in jüngster Vergangenheit zunehmende Neubautätigkeit, wie beispielweise auf dem Hotel- und Büromarkt, würde aus-
gebremst.

Insgesamt betrachtet wäre in einem kurzfristigen Szenario mit der Annahme der Rückkehr zur „Normalität“ bis Ende Juni 2020
davon auszugehen, dass bei einem Wiederhochfahren der Wirtschaft die konjunkturellen Einbrüche schnell kompensiert
werden könnten, zumal die die Immobilienwirtschaft beeinflussenden Strukturen noch weitestgehend unbeschädigt sein
dürften. Ein struktureller Preisverfall durch panische Verkäufe des Immobilienbestandes ist kurzfristig eher unwahrscheinlich,
ein vorübergehender Kaufpreisrückgang erscheint in einigen Segmenten jedoch möglich. Neben der materiellen Substanz
der Kapitalmärkte trägt der ebenfalls marktdeterminierende Faktor des Vertrauens der Marktakteure gleichsam eine ent-
scheidende Rolle in dem Immobilieninvestmentmarkt, dessen Schädigung noch nicht exakt vorhersehbar ist. Momentan
liegt der ifo Geschäftsklimaindex, welcher die Stimmungslage in den deutschen Unternehmen abbildet, bei 79,5 Punkten
(Stand 25.05.2020) nach 74,2 Punkten im April. Da der Index im Februar 2020 noch bei 96,0 Punkten lag, stellt dies den
stärksten jemals gemessenen Rückgang in Deutschland dar.

In einem mittelfristigen Szenario mit der Annahme des Anhaltens der Krise bis Ende Oktober 2020 in Verbindung mit einer
zweiten Infektionswelle dürfte in einigen Segmenten mit ersten Insolvenzen und somit mit umfangreichen Auswirkungen
auf die Flächennachfrage zu rechnen sein, soweit die staatliche Unterstützungsmaßnahmen nicht drastisch erhöht werden.

Langfristiges Szenario:

In welchem Maße und in welcher genauen Form sich die Auswirkungen der Pandemie auf die Immobilienwirtschaft
lang­fristig gestalten werden, ist sehr stark von der Dauer der Krise abhängig, so dass in einer langfristigeren Perspektive
unterschiedliche Szenarien denkbar sind. Dabei ist jedoch eine exakte Prognose des Einbruchs der Wirtschaft, insbesondere
der Immobilienwirtschaft, durch die Einschränkungen des öffentlichen Lebens, Grenzschließungen, Produktionsausfällen
etc. nicht möglich, da die genauen weitreichenden Implikationen der Maßnahmen für verschiedene Branchen erst stark
zeitversetzt sichtbar werden.

Im Folgenden sollen dennoch potenzielle wirtschaftliche Langzeit-Folgewirkungen sowie mögliche, aus der Coronavirus
(Sars-CoV-2)-Pandemie hervorgehende, soziodemographische Entwicklungen aufgezeigt werden.

Weltwirtschaftskrise
Im Falle einer Weltwirtschaftskrise aufgrund einer zeitlich langen Dauer der Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie würden die
Transaktionsvolumina absinken, da steigende Risiken an den Immobilienmärkten eine Zurückhaltung der Investoren zur
Folge hätte. Ein mögliches Ende des derzeitigen Immobilienzyklus wäre denkbar.

Dieses Zyklusende wäre gleichermaßen auf die Entwicklungen der Angebotsseite zurückzuführen. Aufgrund nicht durch-
führbarer Neubau-Projekte könnten lediglich wenige neue Objekte auf dem Immobilienmärkten angeboten werden. In
einzelnen Segmenten wie dem Wohnungsmarkt der Großstädte dürfte jedoch weiterhin eine gewisse Nachfrage v­ orhanden
sein (Wohnen als Grundbedürfnis), was partiell auch zu Neubauten wie auch zur Fertigstellung begonnener Projekte führen
würde.

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Potenzielle Auswirkungen der Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie
auf den Immobilien­investmentmarkt und die Vermietungsmärkte

Das Angebot von Bestandsimmobilien an den Märkten würde je nach Segment aufgrund von Notverkäufen sowie einer
generell steigenden Verkaufsbereitschaft der Eigentümer zunehmen. Allerdings würden eher notleidende Bestandsimmo-
bilien mit hohen Leerstandzahlen auf dem Markt angeboten werden, während gesunde Bestandsimmobilien (z.B. voll-
vermietete Mietshäuser) nicht auf den Markt kämen, da in diesem Fall noch gute Renditen erzielt würden und lukrative
Anlagealternativen fehlen.

De-Metropolisierung
Aktuell schlägt sich die Krise hauptsächlich in wirtschaftlich starken Regionen mit einer hohen Dichte an Wohn- und
Arbeitsplätzen und hoher internationaler Mobilität wie beispielsweise die West- und Ostküste der USA, die Region Hubei
in China, die Lombardei in Norditalien, in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern und insbesondere in
den Metropolen wie New York, Wuhan, Mailand etc. nieder. Ländlichere Gebiete mit geringer Bevölkerungsdichte sind
vergleichsweise weniger stark betroffen. Die Prognose der Vereinten Nationen, welche besagt, dass im Jahr 2050 etwa
60 – 70 Prozent der Weltbevölkerung von dann rd. 10 Mrd. Menschen in Groß- und Megacities leben werden, in denen die
Ausbreitung von Virus-Pandemien in hoher Geschwindigkeit katastrophale Auswirkungen hätte, lässt eine Gegenbewegung
in Form einer De-Metropolisierung als potenzielles Zukunftsszenario als durchaus möglich erscheinen. Auch aufgrund der
zunehmenden Schlagzahl von bisher weitestgehend regional begrenzten Epidemien wie SARS, MERS, Ebola, Schweine-
grippe, Vogelgrippe etc. kann dieses Zukunftsbild als ein nicht völlig unrealistischer Trend gesehen werden.

Welche wirtschaftlichen und speziell immobilienwirtschaftlichen Auswirkungen, insbesondere im Hinblick auf die verschie­
denen Asset- und Risikoklassen, diese differenten räumlich-soziodemographischen Entwicklungen langfristig verursachen
werden, ist noch nicht absehbar.

De-Globalisierung
Die wirtschaftliche Krise infolge der Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie offenbart auch die möglichen negativen Effekte
der zunehmenden internationalen Verflechtungen. Denn nicht nur Waren, Güter, Kapital und Menschen, sondern auch
Viren und Krankheitserreger legen in zunehmender Geschwindigkeit große Distanzen zurück. Das System der globalen
Arbeitsteilung benötigt weltumspannende Handelsrouten und Lieferketten, deren nun vollends offenbarte Vulnerabilität
bzw. Anfälligkeit zu industriellen Produktionsproblemen führt. Langfristig könnten die Folgewirkungen der Pandemie zu
einem Aufbrechen der bisherigen Wirtschaftsstrukturen und somit zu De-Globalisierungstendenzen bzw. Regionalisierungs­
tendenzen führen und eine Zunahme der industriellen Produktion in Europa zur Folge haben. Hierdurch wäre eine verstärkte
Nachfrage nach Produktions- und Logistikflächen denkbar.

Digitalisierung
Ein weiterer potenzieller Langzeit-Effekte, welcher aus den Auswirkungen der Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie hervor-
gehen könnte, ist der verstärkte Einsatz von digitaler Infrastruktur. Dies könnte zu einer Zunahme der Geschwindigkeit des
Digitalisierungstrends führen. IT-Technologie und digitale Geschäftsmodelle wie Online-Shops erweisen sich derzeit als
krisenfest. Mit dem Ziel, für zukünftige Krisen eine gewisse Resilienz zu schaffen, werden viele Unternehmen digital „auf-
rüsten“ und Digitalstrategien verfolgen. Im Zuge des beschleunigten Strukturwandels hin zum Online-Handel wird die
Nachfrage nach Logistikflächen zunehmen.

In der Immobilienwirtschaft wird die so genannte Proptech-Entwicklung schneller voranschreiten als bisher prognostiziert.

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Potenzielle Auswirkungen der Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie
auf den Immobilien­investmentmarkt und die Vermietungsmärkte

Auswirkungen auf die Vermietungsmärkte

Hotel
Der Hotelmarkt ist ein von der Krise besonders betroffenes Segment. Aufgrund erlassener Veranstaltungsverbote sowie
durch das Reiseverbot und die Schließung von Grenzen sind die Auslastungen im Hotelgewerbe stark rückläufig. Hotel­
betreiber an Messestandorten belastet die Krise in besonderem Maße. Insbesondere kleine und mittelgroße inhabergeführte
Hotelbetriebe und Franchisenehmer sind in ihrer Existenz bedroht. Eine Folge der Krise könnte sich in einer Beschleunigung
der Dominanz der Kettenhotellerie, insbesondere in städtischen Lagen, ausdrücken.

Mittlerweile bereiten Hotels die Wiedereröffnungen vor, da die Reisebeschränkungen sukzessive aufgehoben werden. Höhere
Kosten aufgrund der Umsetzung von Hygienevorschriften und zusätzlichem Personal in Verbindung mit einer noch geringen
Auslastung lässt jedoch vielfach ein ökonomisches Wirtschaften nicht zu, so dass weiterhin ohne staatliche Maßnahmen
zur Liquiditätssicherung, wie dem am 03.06.2020 beschlossenen Konjunkturpaket der Bundesregierung, mittelfristig Insol-
venzen möglich sind. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) geht in einer Schätzung von ca. 70.000
bedrohten Betrieben im Gastgewerbe aus.

Auch im Falle des Ausbleibens einer zweiten Infektionswelle dürfte, zumindest in diesem Jahr, das Reise- und Urlaubsver-
halten der Menschen noch nachhaltig von der Krise beeinflusst sein und große Nachholeffekte auf dem Hotelmarkt eher
ausbleiben. Es ist ebenfalls davon auszugehen, dass die Zahl inländischer Touristen schneller wiederansteigen wird als die
der internationalen Gäste.

Einzelhandel
Ebenfalls in erheblichem Ausmaß von den Maßnahmen gegen die Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie in Form eines
enormen Nachfragerückgangs betroffen, zeigt sich der ohnehin bereits angeschlagene innerstädtische stationäre Handel
im Non-Food-Segment. Während das Food-Segment momentan stabil bleibt, ist das Non-Food-Segment mit der nun
stattfindenden Beschleunigung des Strukturwandels im Handel, die sich in einer Zunahme der Umsatzverschiebung vom
stationären zum Online-Handel zeigt, konfrontiert. Vermehrte Mietreduzierungsforderungen gegenüber Immobilienei-
gentümern oder ausgesetzte Mietzahlungen sind bereits aufgetreten. Der Bedarf stationärer Händler an Mietflächen nimmt
schneller ab als erwartet, so dass ein flächendeckender Rückgang der Marktmieten zu erwarten ist. Die Schließung von
Läden hat darüber hinaus geringere Einnahmen der Eigentümer aus Umsatzmieten zur Folge.

Mittlerweile dürfen Geschäfte unter strengen Auflagen hinsichtlich Kundenzahl, Abstände etc. wieder öffnen, so dass
sich die Passantenfrequenzen in den Innenstädten langsam erholen. Dennoch bleibt die Lage für weite Teile des Handels
angespannt. Denn im Falle einer zeitlichen Fortsetzung der Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie in Form einer zweiten In-
fektionswelle und der damit verbundenen Öffnungsbeschränkungen werden Insolvenzen von Händlern sehr wahrscheinlich
sein, wodurch weitere Mietausfälle für die Eigentümerseite zu erwarten sind. Der Handelsverband Deutschland (HDE)
befürchtet bis zu 50.000 Insolvenzen in der Handelsbranche. Shopping-Center-Betreiber sind hierbei ebenfalls, insbesondere
aufgrund ihrer Abhängigkeit von besonders betroffenen Branchen wie dem Modehandel, durch Mietausfälle und -reduk-
tionen unmittelbar von der Krise betroffen.

Unternehmen, die bereits jetzt eine digitale Infrastruktur aufgebaut haben und Omnichannel-Strategien verfolgen, haben
die Chance die negativen Marktentwicklungen in einem gewissen Maße aufzufangen. Auch ist davon auszugehen, dass
selbst im Falle eines zeitnahen Endes der Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie, ein Teil der bereits stattgefundenen Umsatz-
verschiebungen vom stationären zum Online-Handel irreversibel sind.

In einem langfristigen Krisenszenario könnte sich der wachsende Marktanteil des Online-Handels auch auf das Food-Segment
ausweiten, wenn Kunden die Supermärkte und Discounter aufgrund gesundheitlicher Risiken meiden und einen Liefer-
service der Lebensmitteleinzelhändler in Anspruch nehmen.

Büro
Der Büromarkt ist im Moment nicht in gleicher Intensität wie der Hotel- und Einzelhandelsmarkt von den Auswirkungen
der Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie betroffen. Vorteilig für den Büromarkt ist die Tatsache, dass vor der Krise die

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Potenzielle Auswirkungen der Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie
auf den Immobilien­investmentmarkt und die Vermietungsmärkte

Leerstandsraten der TOP-Standorte auf einem sehr niedrigen Niveau lagen und viele Flächen bereits vorvermietet waren,
so dass das Flächenangebot dementsprechend gering war. Allerdings muss auch hier infolge des Konjunkturrückgangs zu-
mindest mittelfristig mit Mietausfällen, Leerständen und sinkenden Mieten im kleinteiligen Bürosegment aufgrund einer
starken Abhängigkeit der Nachfrage vom Arbeitsmarkt gerechnet werden. Die Arbeitsagentur meldete branchen- und
betriebsgrößenübergreifend insgesamt 500.000 Anträge auf Kurzarbeitergeld, die wahrscheinlich 2,6 bis 6,0 Mio. Arbeitneh­
mer betreffen. Gleichzeitig befindet sich Schätzungen zur Folge ca. jeder vierte Arbeitnehmer im Homeoffice. Insbesondere
Coworking Spaces sind aktuell mit geringer Auslastung konfrontiert. Jedoch könnte das „Home-Office Experiment“ und
der verstärkte Einsatz digitaler Infrastruktur Coworking Spaces einen Aufschwung verleihen, wenn Arbeitnehmer eine
Zwischenlösung zwischen „von zu Hause arbeiten“ und „Büroarbeit“ präferieren. Die wahrnehmbaren positiven Erfahrungen
mit der Heimarbeit könnte mittelfristig zu einer Veränderung der Nachfrage in diesem Marktsegment führen, da Unter-
nehmen Einsparpotenziale nutzen könnten und somit dem Büromarkt nachhaltig Büroarbeitsplätze entziehen würden.

Wohnen
Da das Wohnen, wie zuvor erwähnt, ein Grundbedürfnis des Menschen ist und sich dementsprechend die Nachfrageseite
vergleichsweise stabil zeigt, ist dieses Segment als resilienter gegenüber externen Risiken einzustufen als andere Segmente.
In dieser Assetklasse werden zunächst eher geringe Auswirkungen der Krise zu verzeichnen sein. Allerdings ist ein Rück-
gang der Neuvermietungen aufgrund ungewisser Einkommenssituationen durch Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit möglich.
Kurz­fristig wird der fehlende Zuzug von Bevölkerung aus dem Ausland zu einem gewissen Nachfragerückgang beitragen.
Eine zeitliche Verschiebung von Mietzahlungen und das Aussetzen von Mieterhöhungen erscheinen möglich. Ein massen-
hafter Mietausfall ist aufgrund von umfangreichen Wirtschaftshilfen, Hilfsfonds für Mieter etc. jedoch eher unwahrschein-
lich. Aufgrund von fehlendem Wohnungsangebot, insbesondere in Ballungsräumen, werden Mietpreise voraussichtlich
mittelfristig stabil bleiben oder ggf. lediglich für eine kurze Dauer nachgeben. Allerdings könnten Standorte in mono-
strukturellen Wirtschaftsräumen, die von einer Branche wie dem Tourismus oder der Automobilindustrie abhängig sind,
tendenziell von den Auswirkungen der Krise auf den Arbeitsmarkt und den daraus resultierenden Einkommenseinbußen
der ansässigen Bevölkerung betroffen sein.

Logistik/Industrie
Einige Segmente des Immobilienmarktes sind kurzfristig nicht direkt von der Krise tangiert oder sogar mit einer erhöhten
Nachfrage konfrontiert. Zu Anfang der Krise kam es bereits aufgrund von so genannten „Hamsterkäufen“ zu einer zusätz-
lichen Nachfrage nach Lagerflächen durch große Lebensmittelhändler. Dies wird jedoch nur von kurzfristiger Dauer sein,
da der Lebensmittelbedarf der Bevölkerung ein Segment ist, das sich im Großen und Ganzen nicht bzw. sehr langsam z. B.
im Zuge eines Bevölkerungswachstums, erweitert. In einer mittelfristigen Betrachtung könnten es allerdings durch Schlies­
sungen von Betrieben im Non-Food-Segment und der nach sich ziehenden Nicht-Befüllung von Logistikhallen, auch im
Logistikbereich zu Mietreduzierungen kommen. Langfristig wird, unabhängig von der Coronavirus (Sars-CoV-2)-Pandemie,
im Zuge des beschleunigten Strukturwandels im Einzelhandel vom stationären hin zum Online-Handel, die Nachfrage nach
Logistikflächen nachhaltig zunehmen. Die Assetklasse Logistik ist jedoch in sich heterogen und bedarf einer individuellen
Prüfung von Standort und Objektfunktionalität, insbesondere in Hinblick auf die Drittverwendungsfähigkeit.

Die Pandemie offenbart derzeit auch die Nachteile der Globalisierung hinsichtlich der arbeitsteiligen industriellen Produktion
mit Just-In-Time-Konzepten. Die Anfälligkeit von globalen Warenlieferketten, wie die derzeitigen Produktionsprobleme in
China zeigen, könnte zu De-Globalisierungstendenzen führen und eine Zunahme der industriellen Produktion in Europa und
somit eine Steigerung der Flächennachfrage im Industrieimmobiliensegment zur Folge haben.

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    E | N | A | RESEARCH                                  E | N | A | EXPERTS GmbH & Co. KG
    Dr. Marcel-Alexander Gärtner                          Real Estate Valuation
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E | N | A | RESEARCH — Stand: 04.06.2020                                                                                     7
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