Wenn die Sinne kurzzeitig schwinden - Deutsches Ärzteblatt
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Foto: Rainer Fuhrmann stock.adobe.com SYNKOPEN Wenn die Sinne kurzzeitig schwinden Die neue S1-Leitlinie möchte einen einheitlichen Standard zur Abklärung und Therapie von Synkopen bei allen an der Behandlung dieses Krankheitsbildes beteiligten Fachdisziplinen – wie Neurologen, Internisten und Allgemeinmedizinern – etablieren. ie aktualisierte S1-Leitlinie über Synkopen Ist Näheres über die Ursache noch nicht bekannt, D wurde im März 2020 von der Deutschen Ge- sellschaft für Neurologie (DGN) vorgestellt (1). ist die Bezeichnung „kurzer Bewusstseinsverlust“ oder „TLOC“ („transient loss of consciousness“) zu Beibehalten wurde die Empfehlung eines streng hy- bevorzugen. Insofern ist Synkopenabklärung zu- pothesenorientierten diagnostischen Vorgehens, nächst einmal TLOC-Abklärung. das sich zunächst nur auf die Ergebnisse einer Entsprechend der hypothesenorientierten Logik schlanken Basisdiagnostik stützt und mögliche der Leitlinie soll die Basisdiagnostik Informationen Zusatzdiagnostik nur bei entsprechender Verdachts- zur Beantwortung von 3 Fragen liefern: diagnose in Betracht zieht. ● Handelt es sich bei dem Ereignis um eine Synkope Der therapieleitende Stellenwert des Ereignis- oder liegt eine andere Ursache für einen Bewusst- rekorders hat in der neuen Leitlinie bei Patienten seinsverlust vor? mit rezidivierenden vasovagalen Synkopen erheblich ● Kann schon eine sichere ätiologische Diagnose an Bedeutung gewonnen. Eine große Studie aus Ita- oder zumindest eine Verdachtsdiagnose gestellt lien (2) zeigte, dass bei diesen Patienten aufgezeich- werden? nete Asystolien während einer Synkope eine erfolg- ● Liegen Hinweise für ein hohes Risiko schwerwie- reiche Schrittmachertherapie vorhersagen ließen. gender kardiovaskulärer Ereignisse vor? Die 4 Säulen der Basisdiagnostik umfassen eine Basisdiagnostik detaillierte Anamnese und Fremdanamnese, eine Der Begriff „Synkope“ sollte nicht vorschnell verwen- körperliche Untersuchung, ein 12-Kanal-EKG det werden. Wenn der Arzt mit einem Patienten kon- und einen aktiven Stehtest mit wiederholten Blut- frontiert wird, der eine kurze Ohnmacht erlitten hat, druck- und Pulsmessungen über mindestens 3 Mi- weiß er ja zunächst noch gar nichts über die Pathogene- nuten (verkürzter Schellong-Test). Wird die Anam- se des Anfalls. Gemeinsam ist allen Synkopenursachen nese sorgfältig durchgeführt und beleuchtet die Me- eine kurzzeitige globale zerebrale Minderperfusion. dikamenteneinnahme, Vorerkrankungen, frühere Erst wenn eine solche unterstellt werden darf, sollte Ohnmachten, Begleitumstände, Prodromi und Dau- man den Ohnmachtsanfall als Synkope bezeichnen. er der Ohnmacht, motorische Auffälligkeiten in der 18 Perspektiven der Neurologie 2020 | Deutsches Ärzteblatt
Attacke und den Verlauf des Aufwachens und der eine recht zeitaufwendige Untersuchung, erfreute Reorientierung, so kann sie wegweisend für die Di- sich vor allem aus diesem Grunde bei Ärzten keiner agnose sein. Berichtet der Patient zum Beispiel über großen Beliebtheit und fiel in der TLOC-Abklärung einen Schweißausbruch oder ein inneres Hitzeemp- auch gern ganz unter den Tisch. Deshalb fordert die finden im Vorfeld des TLOC, so kann daraus bereits neue Leitlinie, nun auch in Übereinstimmung mit in- sicher auf die vasovagale Genese geschlossen wer- ternationalen Leitlinien, statt eines Schellong-Tests den. In Verbindung mit den anderen basisdiagnosti- einen „aktiven Stehtest“, bei dem (passend zum Zeit- schen Untersuchungen kann im Sinne der ersten kriterium für den Blutdruckabfall bei einer orthosta- Frage aber auch eine Weichenstellung in Richtung tischen Hypotension, s. u.) nur noch eine Stehzeit nichtsynkopaler TLOC-Ursachen erfolgen. von 3 Minuten erforderlich ist. Gemessen und pro- So lassen sich etwa Schilderungen von Prodromi tokolliert werden Blutdruck und Puls im Liegen kurz mit bestimmten Geruchswahrnehmungen nur durch vor dem Aufstehen und dann 3-mal im Minutenab- epileptische Aktivität erklären. Komplett unauffälli- stand nach dem Hinstellen. ge organische Befunde in Verbindung mit besonders Fällt der Blutdruck nach 3 Minuten um weniger lang andauernden Ohnmachten (> 3 min), merkwür- als 20 mmHg systolisch, um weniger als 10 mmHg digen Verrenkungen oder zusammengepressten Au- diastolisch ab und steigt der Puls um weniger als 30 genlidern lassen eine Psychogenese der Anfälle ver- Schläge/min an (bei Jugendlichen ist die Grenze muten –– insbesondere, wenn in der Anamneseerhe- bei 40 Schlägen/min), liegt ein Normalbefund vor. bung psychosoziale Belastungen exploriert wurden. Eine orthostatische Hypotension (OH) besteht, Das 12-Kanal-EKG ermöglicht die sichere Diag- wenn der Blutdruckabfall nach 3 Minuten die nor- nose zahlreicher rhythmogener Synkopenursachen, malen Grenzen überschreitet und der Patient dabei wobei hier als einschlägige Befunde nur der AV- von orthostatischen Beschwerden berichtet oder ei- Block dritten Grades, die persistierende Sinusbrady- ne Synkope erleidet. Steigt trotz deutlichen Blut- kardie und die ventrikulären Tachykardien genannt druckabfalls der Puls nur wenig an, so kann dies als werden sollen. Solche Befunde zeigen zugleich eine Hinweis für eine neurogene OH gewertet werden, Hochrisikokonstellation an, die zu einer unverzügli- bei der nicht nur die sympathische Gefäßinnervati- chen Überwachung des Patienten führen sollte. Wei- on beeinträchtigt ist, sondern auch die sympathi- tere Hochrisikomerkmale kann die Anamnese liefern. sche und vagale kardiale Innervation. Beispiele: neu einsetzender thorakaler Schmerz, Pal- Bei jungen Menschen, die unter einer ausge- pitationen vor der Ohnmacht, bekannte Herzinsuffi- prägten orthostatischen Intoleranz leiden, zeigt der zienz, Synkope während körperlicher Belastung. aktive Stehtest oft bei Replikation der Beschwer- Die konsequente Anwendung der Basisdiagnostik den einen Normalbefund in der Blutdruckkurve, ermöglicht bereits bei 50 % der Patienten, die sich we- während der Puls teilweise massiv die obere nor- gen TLOC vorstellen, eine sichere Diagnose (3). Weite- male Grenze von 30 Schlägen/min überschreitet. re Zusatzdiagnostik ist nur bei den dann noch unklaren Dies ist der typische Befund des posturalen Ta- Fällen oder aber zur Therapieplanung erforderlich. chykardiesyndroms (POTS) (5). Bei klinischem Trotz der Evidenzbasierung dieses Vorgehens zeigt Verdacht auf POTS sollte die Stehzeit auf 10 Minu- leider die Praxis, dass zumindest der aktive Stehtest bei ten ausgedehnt werden, wenn die Symptome und TLOC-Patienten nicht konsequent durchgeführt wird der geforderte Pulsanstieg um mindesten 30 Schlä- (4). Die praktische Durchführung und die diagnosti- ge/min (bei Jugendlichen 40 Schläge/min) nicht sche Wertigkeit dieser Untersuchungsmethode sollen schon nach 3 Minuten des Stehens auftreten soll- deshalb im folgenden Abschnitt dargestellt werden. ten. Bei längeren Stehzeiten mündet die posturale Tachykardie oft in einer vasovagalen Synkope Der aktive Stehtest (VVS). Tabelle 1 zeigt aktive Stehtestprotokolle ei- Der „klassische“ Schellong-Test ist bei einer gefor- nes Normalprobanden und je eines Patienten mit derten Liege- und Stehzeit von jeweils 10 Minuten OH und mit POTS. TABELLE 1 Aktiver Stehtest bei gesunder Kontrolle (Normalbefund), orthostatischer Hypotension (OH) und posturalem Tachykardiesyndrom (POTS) Normalbefund OH POTS Position Blutdruck Puls Blutdruck Puls Blutdruck Puls Liegen 130/75 72 145/87 83 115/68 64 Stehen (1 min) 125/72 82 121/81 88 121 /78 89 Stehen (2 min) 131/77 84 112/79 87 119/77 99 Stehen (3 min) 126/81 87 99/71 88 116/83 111 Perspektiven der Neurologie 2020 | Deutsches Ärzteblatt 19
Provokationstests bei Verdacht auf macht nach sich ziehen kann (6). Der Kipptisch- vasovagale Synkopen test, bei dem Probanden bei einem Kippwinkel von Der aktive Stehtest ist in der Regel ungeeignet für die 70 Grad bis zu 45 Minuten stehen müssen, ist geeig- Provokation einer vasovagalen Synkope (VVS). Bei net, bei vielen Patienten mit vermuteter VVS eine der orthostatischen Variante der VVS kommt es näm- solche vasovagale Reaktion auszulösen. Die Grafik lich erst nach längerer Stehzeit zu der typischen (unterer Teil) zeigt den typischen Verlauf in der kon- Kreislaufreaktion mit massivem Blutdruckabfall und tinuierlich aufgezeichneten Blutdruck- und Pulskur- zumeist auch mehr oder weniger ausgeprägtem Puls- ve kurz vor und während einer VVS. abfall mit konsekutiver Synkope oder Präsynkope. Im Gegensatz dazu fällt der Blutdruck bei der Langes Stehen führt auch bei Personen ohne Synko- neurogenen OH bereits rasch nach dem Hinstellen penneigung zu einer langsamen, aber kontinuierlichen ab und die Pulsverlangsamung bleibt aus (Grafik, Verlagerung des zentralen Blutvolumens in den unte- oberer Teil). Aufgrund einer zentralen Störung wie ren Bauchraum und in die Beine. Der Baroreflex er- bei der Multisystematrophie oder peripheren Ner- möglicht aber durch eine Konstriktion der Wider- venschädigung wie bei der diabetischen autonomen standsgefäße und einen beschleunigten Herzschlag Neuropathie verweigert hier der Sympathikusnerv auch in dieser Situation stabile Blutdruckverhältnisse. schon zu Beginn des Stehvorgangs seine Mitwir- Bei Patienten mit orthostatischer VVS funktio- kung bei der Blutdruckregulation. niert dies zunächst ebenso. Das sinkende zentrale Bei der klinischen Bewertung eines Kipptischbe- Blutvolumen, über Niederdruckrezeptoren im Lun- fundes ist zu berücksichtigen, dass eine Synkope nicht genkreislauf gemessen und via Vagusnerv zum bei jedem VVS-Patienten auf dem Kipptisch ausgelöst Hirnstamm gemeldet, führt bei diesen Patienten werden kann (unzureichende Sensitivität) und dass aber nach längerem Stehen zu einer Notfallreaktion mitunter vasovagale Reaktionen auch bei gesunden in den kreislaufregulierenden Hirnstammzentren: Personen provoziert werden (unzureichende Spezifi- Der Sympathikusnerv wird aktiv gehemmt und der tät). Der Kipptischtest ist immer im Gesamtkontext Herzvagus aktiviert, was zu den oben genannten der Anamnese, der übrigen Basisdiagnostik und gege- Auswirkungen im Kreislauf führt und eine Ohn- benenfalls weiterer Zusatzdiagnostik einzuordnen. GRAFIK Kontinuierliche Aufzeichnung von Puls und Blutdruck auf dem Kipptisch. Bei der orthostatischen Hypotonie fällt der Blutdruck sofort nach dem Hinstellen ab, während bei der vasovagalen Synkope die Hypotonie erst nach längerem Stehen einsetzt 20 Perspektiven der Neurologie 2020 | Deutsches Ärzteblatt
TABELLE 2 Subtypen von VVS mit typischen Auslösern Subtyp Auslöser Orthostatische VVS Langes ruhiges Stehen Blut- und verletzungsassoziierte VVS Blutsehen, Verletzungen, plötzlicher Schmerz Karotissinussyndrom Druck auf den Karotissinus VVS bei bestimmten Reizungen Zum Beispiel Schlucken, Miktion Ein Kipptischtest ist nicht erforderlich, wenn typi- meinsam ist, dass Verhaltensaspekte bei der Synko- sche vasovagale Provokationsfaktoren in der Anam- penauslösung eine wichtige Rolle spielen, besteht die nese eruiert werden können (Tabelle 2) und wenn die Therapie zunächst in einer sorgfältigen Aufklärung Patienten pathognomonische Begleitsymptome einer des Patienten über die Natur seiner Ohnmachten und VVS kurz vor der Synkope schildern (Schwitzen, die Möglichkeiten ihrer günstigen Beeinflussung. Wärme- oder Hitzegefühl im Bauch- oder Brust- Bei der VVS und beim POTS liegen ja keine ge- raum). Auch in Fällen mit seltenen und verletzungs- fährlichen Grunderkrankungen vor, was für viele Pa- frei verlaufenden Ohnmachten ohne Hinweis für kar- tienten als Information bereits entlastend wirkt. Ist dialen Ursprung ist der Kipptischtest entbehrlich. das Stehen wichtigster Auslösefaktor, sollte längeres Empfohlen wird der Kipptisch dagegen bei häufi- Stehen nach Möglichkeit gemieden werden und spä- gen Ohnmachten und solchen mit Verletzungsfolgen. testens nach ersten Synkopenprodromi (flaues Ge- Ist bei Patienten mit motorischen Entäußerungen die fühl im Kopf, Schwitzen, Wärmegefühl) beendet Differenzierung zwischen epileptischem Anfall und werden. Weiterhin kann eine sich anbahnende Syn- konvulsiver Synkope schwierig, kann der Kipptisch kope durch physikalische Gegenmanöver (das gilt durch den Nachweis einer konvulsiv verlaufenden auch für die OH) wie Hocken, Kreuzen der Beine Ohnmacht, bei der es zu irregulären und asymmetri- und Anspannung der Bein-, Gesäß-, Bauch- und schen Zuckungen einzelner Muskelgruppen oder so- Armmuskeln wirksam verhindert werden (7). gar ganzer Extremitäten kommt, weiterhelfen. Der Bei VVS-Patienten mit anderen Auslösern wie dabei dokumentierte Blutdruckabfall beweist die Blutsehen oder Miktion (Tabelle 2) ist es naturgemäß synkopale Genese der Konvulsionen. schwierig, diese zu vermeiden. Umso wichtiger ist es Bei Patienten mit TLOCs in Zusammenhang mit für diese Patienten, bei Prodromi einer Synkope so- Manipulationen am Hals oder bei Personen von über fort mit Hinlegen oder physikalischen Gegenmanö- 60 Jahren mit ätiologisch unklaren Ohnmachten wird vern zu reagieren. als Provokationstest die Karotissinusmassage emp- Eine zweite Therapiesäule bei den neurogenen fohlen. Zur Vermeidung von Hirnembolien sollten da- Synkopen besteht in der Durchführung präventiver für höhergradige Karotisstenosen ausgeschlossen Maßnahmen. Bei der orthostatischen VVS hilft täg- werden. Der Test sieht nacheinander eine 10-sekündi- liches Stehtraining (angelehntes ruhiges Stehen für ge Massage beider Karotisglomera vor, zunächst im 30 Minuten) die symptomfreie Stehdauer zu verlän- Liegen, bei negativem Ergebnis auch in stehender Po- gern (8). Bei POTS-Patienten kommt es oft früh im sition (nach Möglichkeit auf einem Kipptisch). Verlauf der Erkrankung zu einer allgemeinen Schon- Abgeleitet werden dabei das EKG und nach Mög- haltung und zur Vermeidung körperlicher Anstren- lichkeit auch kontinuierlich der Blutdruck. Eine Asys- gungen. Diese Patienten können ihre orthostatische tolie von ≥ 3 Sekunden oder ein systolischer Druck- Toleranz durch regelmäßiges Ausdauertraining deut- abfall um mehr als 50 mmHg zeigen einen hypersen- lich steigern (5). sitiven Karotissinus an. Kommt es zeitgleich zu einer Bei Patienten mit neurogener OH kann das Aus- Replikation der beklagten Symptomatik, kann ein maß des orthostatischen Blutdruckabfalls durch eine Karotissinussyndrom diagnostiziert werden. Reihe von präventiven physikalischen Maßnahmen reduziert werden. Dazu gehören die Steigerung der Therapie der Synkopen täglichen Salzzufuhr auf 5–10 g und der täglichen Die Leitlinie beschreibt auch die aktuellen Therapien Trinkmenge auf 2–2,5 l Wasser. Eine abdominelle bei den rhythmogenen und mechanisch bedingten Bauchbinde verhindert das venöse Pooling im Stehen kardialen Synkopen. Dieser Beitrag fokussiert auf besser als Stützstrümpfe (9). Das Schlafen in Kopf- die Therapie der neurogenen Synkopen, also der hochlage vermindert die nächtliche Diurese und da- neurogenen OH, der VVS und des POTS. mit eine Blutvolumenabnahme. Das Ziel der Therapie besteht vor allem darin, die Physikalische präventive Maßnahmen sind aller- Synkopenhäufigkeit zu reduzieren und den Ablauf dings bei schwereren Formen einer neurogenen OH oft einer Synkope oder Präsynkope günstig zu beeinflus- nicht ausreichend für eine Symptomkontrolle, sodass sen. Da allen Formen der neurogenen Synkopen ge- auch eine medikamentöse Therapie erforderlich ist. Perspektiven der Neurologie 2020 | Deutsches Ärzteblatt 21
Zugelassene und wirksame Medikamente bei der OH tanen Synkope (der Kipptischtest ist hier nicht aussa- zur Reduktion der orthostatischen Hypotonie sind das gekräftig!) mittels Ereignisrekorder aufgezeichnet Alphasympathomimetikum Midodrin (3-mal werden. Patienten, die dabei längere Asystolien ha- 2,5–10 mg) zur Verbesserung der Vasokonstriktion ben, profitieren nach neueren Studienergebnissen und das Mineralocorticoid Fludrocortison (1- bis deutlich vom Zweikammerschrittmacher (2). 2-mal 0,5 mg) für eine Volumenvermehrung (Letzteres Fest etabliert ist der Schrittmacher auch beim hy- nur für die Kurzzeittherapie zugelassen). Vor dem Ein- persensitiven Karotissinus mit nachgewiesener satz solcher Medikamente sollte bei Hypertonikern ei- Asystolie während der Karotismassage. Unselektier- ne Reduktion der Antihypertensiva erwogen werden. te Patienten mit VVS haben dagegen vom Schrittma- Bei VVS und POTS spielt die medikamentöse cher keinen signifikanten Vorteil gegenüber einer Therapie bei unzureichender Studienlage eine nach- Placebobehandlung. ▄ rangige Bedeutung. In Fällen, bei denen die Aufklä- DOI: 10.3238/PersNeuro.2020.07.08.04 rung über Gegenmanöver und die präventiven Maß- nahmen erfolglos bleiben, kann bei beiden Diagno- Prof. Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Rolf R. Diehl sen Midodrin erwogen werden. Beim POTS hilft in Klinik für Neurologie Einzelfällen eine pulssenkende Therapie mit Beta- Alfried Krupp Krankenhaus Essen-Rüttenscheid blockern (z. B. Propranolol 10–40 mg) oder mit Iva- bradin (2,5–7,5 mg) (10). Interessenskonflikt: Der Autor erklärt, dass kein Interessenskonflikt be- Eine besondere Herausforderung für die Therapie steht. sind Patienten mit VVS, die ohne Prodromi mitun- ter auch in gefährlichen Situationen synkopieren. Bei Literatur im Internet: diesen Patienten sollte das EKG während einer spon- www.aerzteblatt.de/lit2720 ÜBERMÄSSIGER AZNEIMITTELKONSUM Dem Teufelskreis von Kopfschmerzen und Medikation entgehen ach Schätzungen sind 70 % aller Patienten mit ge Beratung kann zwar bei Übergebrauch von Tripta- N chronischen Kopfschmerzen und 80 % der Menschen, die an chronischer Migräne leiden, von nen oder einfachen Analgetika zielführend sein, wenn keine größeren psychiatrischen Komorbiditä- dem sogenannten Medikamentenübergebrauchskopf- ten vorliegen. Bei Übergebrauch von Opioiden, Bar- schmerz betroffen. Dieser „MOH“ kann nicht nur bituraten oder Tranquilizern rät die Leitlinie aber zur durch NSAID, sondern auch durch Triptane, Opioide Überweisung an einen Kopfschmerzexperten oder in und Ergotamine ausgelöst werden. MOH ist definiert ein spezialisiertes Schmerzzentrum. Denn grundsätz- als Kopfschmerzen an mehr als 15 Tagen pro Monat lich muss immer ein Entzug oder zumindest eine länger als 3 Monate, die mit einem oder mehreren sanfte Reduzierung der Übergebrauchsmedikamente Medikamenten behandelt werden. Für Triptane ist erfolgen, um den MOH langfristig zu therapieren. die Einnahme an mehr als 10 Tagen im Monat zur Offen bleibt die Frage, zu welchem Zeitpunkt bei Diagnosestellung Voraussetzung. Patienten mit MOH und chronischer Migräne eine Grundlegende und wichtigste Präventionsmaß- gezielte Migränetherapie (Onabotulinumtoxin Typ A nahmen sind nach Ansicht der Autoren einer neuen oder CGRP-Antikörper) erfolgen sollte. „Im Prinzip Leitlinie der „European Academy of Neurology“ In- ist es ratsam, die Patienten zunächst vom Schmerz- formation und Patientenedukation. „Studien belegen, mittelübergebrauch zu entwöhnen. Auf der anderen dass ein Beratungsgespräch plus Print-Informations- Seite sind Patienten mit chronischer Migräne stark material um einiges effektiver ist als das Informati- leidgeprüft, sodass man ihnen eine wirksame Medi- onsmaterial allein. Es liegt auf der Hand, dass regel- kation nicht über eine längere Zeit vorenthalten soll- mäßige Gespräche die Sensibilität für die Thematik te. Die Entscheidung für den Start der Migränethera- erhöhen und die Bereitschaft, trotz Schmerzen gele- pie ist also immer nur individuell zu treffen“, so gentlich auf Medikamente zu verzichten oder die Do- Diener. Dustin Grunert sis zu reduzieren, weiter stärken“, so Erstautor Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener. Quelle: Diener HC, Antonaci F, Braschinsky M, et al.: European Academy of Neurology guideline on the management of medication overuse headache. Die intensive Beratung gelangt aber an Grenzen, Eur J Neurol 2020. https://doi.org/10.1111/ene.14268. wenn es um die MOH-Behandlung geht: Die alleini- 22 Perspektiven der Neurologie 2020 | Deutsches Ärzteblatt
SYNKOPEN Wenn die Sinne kurzzeitig schwinden Die neue S1-Leitlinie möchte einen einheitlichen Standard zur Abklärung und Therapie von Synkopen bei allen an der Behandlung dieses Krankheitsbildes beteiligten Fachdisziplinen – Neurologen, Internisten und Allgemeinmedizinern – etablieren. LITERATUR 1. Diehl RR, Haubrich C, Steinhoff B, et al.: Synkopen. S1-Leitlinie, 2020. AWMF-Registernummer: 030/072. In: Deutsche Gesell- schaft für Neurologie (Hrsg.): Leitlinien für Diagnostik und Thera- pie in der Neurologie. https://www.dgn.org/leitlinien/ 3903-ll-030–072-synkopen-2020 (last accessed on 9 June 2020). 2. Sutton R, Ungar A, Sgobino P, et al.: Cardiac pacing in patients with neurally mediated syncope and documented asystole: ef- fectiveness analysis from the Third International Study on Synco- pe of Uncertain Etiology (ISSUE-3) Registry. Europace 2014; 16: 595–9. 3. Brignole M, Menozzi C, Bartoletti A, et al.: A new management of syncope: prospective systematic guideline-based evaluation of patients referred urgently to general hospitals. Eur Heart J 2006; 27: 76–82. 4. Güldner S, Langada V, Popp S, et al.: Patients with syncope in a German emergency department: description of patients and pro- cesses. Dtsch Ärztebl Int 2012; 109: 58–65. 5. Fedorowski A: Postural orthostatic tachycardia syndrome: clinical presentation, aetiology and management. J Intern Med 2019; 285: 352–66. 6. Diehl RR: Vasovagale Synkopen: Ohnmachtsanfälle – gute Anamnese erspart oft aufwändige Diagnostik. Neurotransmitter 2011; 2011–6: 46–50. 7. Dockx K, Avau B, De Buck E, et al.: Physical manoeuvers as a preventive intervention to manage vasovagal syncope: A syste- matic review. PLoS One 2019; 14: 1–14. 8. Reybrouck T, Ector H: Tilt training: a new challenge in the treat- ment of neurally mediated synyope. Acta Cardiol 2006; 6: 183–9. 9. Eschlböck S, Wenning G, Fanciulli A: Evidence-based treatment of neurogenic orthostatic hypotension and related symptoms. J Neural Transm (Vienna) 2017; 124: 1567–605. 10. Ruzieh M, Sirianni N, Ammari Z, et al.: Ivabradine in the treat- ment of postural tachycardia syndrome (POTS), a single center experience. Pacing Clin Electrophysiol 2017; 40: 1242–5. Perspektiven der Neurologie/2020 | Deutsches Ärzteblatt 6
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