Werkzeuge der Evolution - Alles, was im Weltall existiert, ist die Frucht von Zufall und Notwendigkeit (Demokrit) - WissenschaftsScheune
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Eine Publikationsreihe der Wissenschaftsscheune (WiS) : : : Heft 4, April 2012 Alles, was im Weltall existiert, ist die Frucht von Zufall und Notwendigkeit (Demokrit) Werkzeuge der Evolution
Werkzeuge der Evolution: Mutation und Selektion 2 WiS Begierig :::April 2012 :::Werkzeuge der Evolution
Inhalt 1 3 2 4 Budo, Gene und Mutationen sind Transposons Selektion Merkmale zufällig und selten E Seite 8 E Seite 11 E Seite 4 E Seite 6 Werkzeuge der Evolution ::: April 2012 ::: WiS Begierig 3
Da bin bin wieder, du kennst mich tion von Lebewesen von Generation zu häufiger werden. Dies geschieht jetzt ja schon, Budo. Generation. Diese Merkmale sind in entweder durch natürliche Selektion Heute will ich mit dir ein wenig über Form von Genen kodiert, die bei der (unterschiedliche Überlebens- und Wissenschaft, genauer gesagt, über Fortpflanzung kopiert und an den Reproduktionsrate aufgrund dieser die Werkzeuge der Evolution plau- Nachwuchs weitergegeben werden. Merkmale) oder zufällig durch Gen- dern. Durch Mutationen entstehen unter- drift. Halt! Halt! Lauf nicht weg, so schlimm schiedliche Varianten (Allele) dieser wird es nun ja auch wieder nicht. Gene, die veränderte oder neue Aber an dieser Stelle sollte ich eine Merkmale verursachen können. Definition von Evolution geben, damit Diese Varianten sowie Rekombinatio- wir den gleichen Kenntnisstand nen führen zu erblich bedingten haben. Unterschieden (Genetische Variabilität) zwischen Individuen. Evolution findet Au weia, das sieht nicht nach Plaude- Wikipedia meint: statt, wenn sich die Häufigkeit rei aus. dieser Allele in einer Population (die Aber ich denke, das wirst du noch Evolution ist die Veränderung der Allelfrequenz) ändert, diese Merkmale packen, so dass du am Ende sagen vererbbaren Merkmale einer Popula- in einer Population also seltener oder kannst: das hab ich verstanden. Budo, Gene und Merkmale 1 I nzwischen kennst du ja auch Ausgehend von rot blühenden meine Tricks, wenn ich mir ein Löwenmäulchen wurde bereits im neues Wissensgebiet erschlie- frühen 20. Jahrhundert eine weiße ße: ich gehe in die Uni-Biblio- Mutante isoliert, die, wie genetische thek und recherchiere, so wie Untersuchungen zeigen, auf dem du das ja aus den Krimis kennst. Defekt eines einzigen Gens beruht. Also, auf nach Lindenthal (für alle Die genetische Beweisführung Nicht-Kölner, hier befindet sich die verlangt einen kurzen Exkurs in die Bibliothek der Universität zu Köln), Mendelgenetik. heute stehen Gene und Merkmale auf dem „Menu“. Herr Ober, ich hätte gern ein Gen, das ein einfaches Merkmal (Eigen- schaft) kodiert, z.B. die rote Blütenfar- be des Löwenmauls (Antirrhinum majus) (1). (1) Rotes und weißes Löwenmäulchen 4 WiS Begierig :::April 2012 :::Werkzeuge der Evolution
Ebenso wie wir Menschen sind auch Selbstungen dieser mischerbigen Also fangen wir ganz von vorne an. Löwenmäulchen diploid, besitzen (heterozygoten) Form spalten dann Ein Gen kodiert ein Protein, das also einen doppelten Chromosomen- in der F2 wie im Schema angegeben. wiederum ein Merkmal festlegt. Ein satz. Wie du dich erinnerst sind Gene Eine 3:1 Spaltung ist daher ein Beispiel soll das verdeutlichen. Das auf den Chromosomen lokalisiert. Nachweis, dass nur 1 Faktor für das Gen Nivea aus Antirrhinum majus, du Gehen wir also von homozygoten veränderte Merkmal verantwortlich ist. erinnerst dich, dem Löwenmäulchen, Linien aus, also Linien in denen ent- kodiert das Enzym Chalconsynthase Im Schaugarten der WiS kannst du weder das Wildtyp Gen für die rote (3). das am lebenden Material nach- Blütenfarbe oder das defekte Gen je- vollziehen. weils zweimal vorhanden sind. Nach- Dieses Enzym bildet, wie der Name kommen einer Kreuzung zwischen sagt, ein Chalcon, eine Vorstufe in Naturgemäß gibt es nicht nur Merk- diesen beiden Linien haben dann der Biosynthese eines Anthocyans male, die nur von einem Gen be- jeweils ein „rotes“ und ein „weißes“ (Blütenfarbstoff). Löwenmäulchen, in stimmt werden, oft sind viele Gene Gen. Alle Nachkommen sind somit denen alle Gene des Biosynthesewe- an der Ausprägung eines Merkmals genetisch gleich und da das Wildtyp ges funktionieren, sind rot blühend. beteiligt. Aber das ist nur etwas für Gen den Farbstoff Rot bilden kann, Eine erbliche Veränderung (Muta- Feinschmecker. wohingegen das mutierte (veränder- tion) im Nivea Gen führt in vielen te) Gen keine Farbe mehr bewirken Mich bewegen allerdings Fragen wie: Fällen dann zum Verlust dieser kann, sind alle Nachkommen dieser Was sind Mutationen und was ist ihre Funktion und daher wird kein Chal- 1. Filialgeneration (F1) uniform rot molekulare Natur? con und somit letztendlich auch kein bzw. rosa. (2) Anthocyan mehr gebildet. Die Blüte Gibt es nur einen Typ oder viele ver- schiedene Formen von Mutationen? ist dann weiß (siehe Abb.1). Promoter E1 E2 E3 Spaltungsregel A a A AA Aa a aA aa F1 x F1 F2 (2) Vererbungsregeln (3) Verkürzter Biosyntheseweg von Anthocyan Werkzeuge der Evolution ::: April 2012 ::: WiS Begierig 5
Mutationen sind zufällig und selten. 2 N achdem du jetzt weißt Kann man etwas tun, um die wie Gene wirken, kön- Häufigkeit der Mutationen zu erhö- nen wir uns veränder- hen? ten Organismen (Mutan- Nicht hier vor Ort, aber in Labora- ten) mit Veränderungen torien ist das durchaus möglich. (Mutationen) in Genen zuwenden. Strahlen, wie z.B. UV-, Röntgen- und Komm, lass uns wandern gehen, in Radioaktive Strahlung können eben- die Eifel oder meinetwegen auch in so wie bestimmte Chemikalien (z.B. die Alpen. Aber die Eifel liegt näher Bromuracil, Aminopurin, Akridin- bei Köln und ist daher für uns leich- farbstoffe, Ethyl-Methansulfonat und ter zu erreichen. Im Perlenbachtal einige andere) die Häufigkeit von blühen im April die Narzissen (4). Mutationen erheblich erhöhen. Kennst du diese Pflanze? Du fragst dich sicher: wenn Sie ist gelb blühend und tritt in spontane Mutationen auch selten Massen auf. Von daher ist sie vorzüg- sind, wie häufig (selten) sind sie lich geeignet, um veränderte Individu- dann? en zu suchen. Wenn wir jetzt keine Dazu müssen wir wieder in die Bib- Mutanten finden sollten, dann kannst liothek gehen oder du recherchierst du ja später wieder kommen und im Internet. unter den purpurroten Flockenblu- Nachdem du das alles gelesen men oder den gelben Arnika noch- hast, denkst du sicherlich: entsetz- mals suchen. lich, das ist ja schrecklich kompli- Wonach suchen wir eigentlich? ziert. Viel zu viel Mathematik. Gibt es Nach weißen Blüten oder nach keine Faustregel? veränderten Blütenformen, egal: nach Veränderungen. Nach Stunden haben Nicht so richtig. Für unterschiedli- wir noch nichts gefunden, obwohl wir chen Organismen ist die spontane mehrere Tausend Narzissen inspiziert Mutationshäufigkeit recht unter- haben. Ein mühsames Geschäft. Wie schiedlich. Sie wird auf ca. 10 -5 bis 10 -6 fühlst du dich? Abgeschlafft, kaputt. pro Gen geschätzt, d.h. unter 1 Million Gameten (Geschlechtszellen) trägt Ja, es sieht wirklich so aus als (tragen) nur 1 bis 10 Gamet(en) am wären Mutanten selten. betreffenden Genort eine Mutation. Bei deinem Besuch in der WiS kannst du das in einem Dart-Spiel Selbst wenn ihre Häufigkeit selber erfahren. künstlich durch Mutagene erhöht wurde, z. B. auf 1 in 100 Nachkom- (4) Narzissenblüten men, dann sind die ausgelösten 6 WiS Begierig :::April 2012 :::Werkzeuge der Evolution
Veränderungen nicht vorhersagbar, Rastermutationen: Gene oder sogar Chromosomenab- z.B. welche der ca. 30 000 Gene des schnitte umfassen. In aller Regel Organismus verändert wurden. Hier fehlt in der Sequenz entweder führen sie zum Verlust einer Funkti- eine Base oder es ist eine Base on. Große Deletionen sind meist in Mutationen sind also nicht nur hinzugefügt. selten, sondern auch zufällig. ATG GTG ACT GTT GAG GAG GTT CGT Im Weiteren möchte ich dir die Met Val Thr Val Glu Glu Val Arg Vielfalt der Veränderungen im Erbma- terial vorstellen, denn das ist eine Aus der Wildtyp Sequenz: homozygoter Form letal, d.h. der Voraussetzung, um den Prozess der Organismus ist nicht überlebensfä- Evolution besser zu verstehen. wird hig. ATG GTG ACT GT()G AGG AGG TTC GT Met Val Thr Val Arg Arg Phe Inversionen: Natur der Mutationen oder Es werden DNA-Abschnitte z. B. eines Mutationen können überall im Gen ATG GTG ACT GTT CGA GGA GGT TCG T Gens ausgeschnitten und an gleicher stattfinden und in ihrer Struktur sehr Met Val Thr Val Arg Gly Gly Ser Stelle in umgekehrter Orientierung unterschiedlich sein. wieder eingesetzt, was in aller Regel Durch die Rasterverschiebung zum Ausfall der Funktion führt. Hier eine kurze Liste von entsteht also ein stark verändertes Promoter E1 E2 E3 Mutationstypen: Protein, das natürlich funktionslos ist. Wildtyp - Basensubstitutionen Insertionen: Promoter E1 E3 Mutante - Rastermutationen - Deletionen Werden mehrere Basen oder sogar - Insertionen größere DNA-Stücke in ein Gen Transpositionen: - Inversionen eingefügt, dann sprechen die Geneti- - Transpositionen ker von Insertionen. Wenn ganze Gene oder Teile davon kopiert oder ausgeschnitten und Wildtyp Insertion an anderer Stelle wieder integriert Mutante Basensubstitutionen: werden, dann sprechen die Genetiker Insertionen in einem Gen schalten von Transposition. Sie betreffen nur eine Base. Nehmen dessen Funktion häufig aus. Dieser Prozess wird oft von einer wir die DNA-Sequenz des codie- Mutation begleitet ( siehe nächstes renden Beginns des Nivea Gens. Aber: Insertionsmutationen Kapitel). Zur Erinnerung, 3 Basen codieren können auch positive Veränderungen eine Aminosäure. Um den Triplett bewirken. Code zu verdeutlichen, lassen wir nach jedem Triplett eine Lücke und Wenn du die im Beiblatt gegebenen schreiben darunter die dazugehörige DNA-Sequenzen dekodierst, dann wird Aminosäure: diese Behauptung klar. Viel Spaß dabei! ATG GTG ACT GTT GAG GAG GTT CGT Met Val Thr Val Glu Glu Val Arg Jetzt hast du ehrlich eine Pause ver- dient, bevor es springend mit Trans- Tritt nun z.B. im vorletzten GAG Co- Deletionen: posons weitergeht. don, eine Mutation auf, wird z.B. das Guanin in der 3. Position durch ein Wenn 2 und mehr Basen in der Cytosin ausgetauscht, dann entsteht Sequenz fehlen, dann sprechen wir ein mutantes Protein, das an Stelle von Deletionen. Falls die Zahl der einer Glutaminsäure eine Asparagin- deletierten Basen kein Vielfaches säure aufweist und damit nicht mehr von 3 ist, dann resultiert die Deleti- funktionstüchtig ist. on, so sie in einem Gen aufgetreten ist, auch in einer Verschiebung des Leserasters. Deletionen können, wie ATG GTG ACT GTT GAC GAG GTT CGT Met Val Thr Val Asp Glu Val Arg gesagt sehr klein sein, oder ganze Werkzeuge der Evolution ::: April 2012 ::: WiS Begierig 7
Transposons 3 D iese merkwürdigen In der Literatur fand ich den Mecha- Es drängen sich natürlich wieder Gesellen machen den nismus, nach dem Retrotransposons einmal einige W-Fragen auf: neue, zusätzliche Plätze im Genom größten Teil aller bisher Welche Struktur haben Transpo- einnehmen können. bekannten Genome sons? Retrotransposons werden in RNA vielzelliger Lebewesen Wie springen sie? überschrieben, diese RNA wird in aus. Bei Mais besteht etwa 85% der Was bewirken sie? und/oder DNA rückübersetzt und an einem Erbinformation aus Transposons, die Wozu sind sie gut? anderen Ort im Chromosom wieder für ca. 80% der spontanen Mutatio- integriert. Bei Retrotransposons nen verantwortlich sind.Das macht springt also immer eine Kopie. Struktur und Funktion neugierig. Was sind das für Gesellen? Derart häuft sich ihre Zahl im Laufe von Retrotransposons: Wie der Name Transposon schon der Zeit gewaltig an. Und die Wahr- sagt, springen sie im Genom herum. scheinlichkeit nimmt zu, dass sie in Der Name Retrotransposon ist im Im Deutschen werden sie daher oft einem Gen landen und derart das Zusammenhang mit Retroviren und auch als „Springende Gene“ bezeich- Gen zerstören können oder es in ihren Provirus-Stadien zu sehen. Re- seiner Ausprägung verändern. Es net. troviren sind bislang allerdings nur gibt viele Dutzende verschiedener in tierischen Systemen bekannt. In Retrotransposons. Abildung 5 zeigt 3 Du erinnerst dich: Gene liegen auf Pflanzen kennt man nur verschiede- Beispiele aus Mais. den Chromosomen wie Perlen auf ne Formen von Retrotransposons. einer Schnur. Sie haben also feste Positionen und nur daher können wir durch Rekombination (Bruch und Neuverknüpfung der Chromosomen- stücke) ihre Positionen auch bestim- men. Transposons dagegen sind wanderlustig, d.h sie können ihre Position verändern. Es existieren 2 grundsätzlich unterschiedliche Typen von Transposons: Bei Retrotransposons wird eine Kopie an die neue Stelle übertragen, wohingegen die klassischen Transpo- sons durch Ausschnitt und Wieder- einsetzung wandern. Das hat Konse- quenzen. (5) Mais Retrotransposons 8 WiS Begierig :::April 2012 :::Werkzeuge der Evolution
Struktur klassischer Transposons Basenpaaren (rot). Ebenso erfolgt die Meine Recherchen haben folgen- Exzision, dabei kann entweder die den interessanten Fall zu Tage geför- Es gibt viele sehr unterschiedliche Ursprungssequenz der Integrations- dert: Es handelt sich um das Retro- Transposons, die jedoch eines stelle wieder hergestellt werden, was transposon G, das im Intron zwischen gemeinsam haben, sie weisen komple- einer echten Reversion entspricht, Exon8 und Exon9 des Waxy Gens aus mentäre Enden auf, so genannte oder es können, basierend auf dem Zea mays integriert ist (6). „Terminal Inverted Repeats“ (TIR, 7). Mechanismus der Transposition, Man muss wissen, dass Waxy so- Diese Enden werden von der Transpo- neue Sequenzen (Deletionen und wohl im Endosperm des Korns, als sase als ein Substrat erkannt. Bei der Insertionen) entstehen. Letztere auch in den Pollen, den männlichen Integration entstehen für das betref- stellen Mutationen dar und sind für Geschlechtszellen, ausgeprägt wird. fende Transposon charakteristische die Evolution von Neuheiten eine Das Waxy-Genprodukt, die GBSS, ist Sequenzduplikationen von wenigen Grundvoraussetzung. wichtig für die Synthese von Amylo- se, der unverzweigten Stärkekette, die sich mit I2.KI blau anfärben lässt. Das verzweigtkettige Amylopektin färbt sich braun. Im Wildtyp ist die Wx-Aktivität im Endosperm und im Pollen ähnlich. In der wx-G Mutante aber ist nur noch wenig Wx-Aktivität im Endosperm vorhanden. Die Gegenwart des Retrotransposons hat offensichtlich zu diesem Ungleichgewicht geführt. Man kann sich gut vorstellen, dass Retrotransposons die Ausprägung von Genen sowohl zeitlich als auch räumlich beeinflussen und somit in der Steuerung der Entwicklung eines Organismus eine erhebliche Rolle spielen. Waxy Gen: wx-G G LTR LTR (7) Integration und Exzision eines klassischen Transposons (6) Aktivität der wx-G Mutante am Mais Damit du dir das besser vorstellen kannst, habe ich dir die TIR-Sequen- Nun möchte ich dir die klassischen zen des Tam1 Transposons aus Transposons vorstellen. Antirrhinum majus, dem Löwenmäul- chen mitgebracht (8). Die Abbildung Sie springen durch Exzision und Re- zeigt auch die kleine Sequenzduplika- Integration oder „cut and paste“ wie tion (ATA), die während der Integrati- die angelsächsische Welt es nennt. on des Transposons gebildet wird. Diese Transposons erreichen nicht die hohen Kopienzahlen wie die Ret- rotransposons im Genom ihrer Wirte. Aber sie haben auch noch weitere Unterscheidungsmerkmale, zunächst in ihrer Struktur, aber auch in ihrer Funktionsweise. Wir wollen an diesem Fall ein paar Exzisionsprodukte, z.B. Deletionen, (8) Terminal Inverted Repeats von Tam1 kennen lernen. Werkzeuge der Evolution ::: April 2012 ::: WiS Begierig 9
Transposons generieren Vielfalt: (9) Erscheinungsbild der Tam1 induzierten nlv-53 Antirrhnum majus Mutante Deletionen: Die Integration von Tam1 im Promoterbereich des Nivea Gens führt zu weißen Blüten mit vielen roten Flecken, in denen die Pigment- synthese durch Ausschnitt des integrierten Transposons wiederher- gestellt ist (9). Unter den Nachkommen findet sich eine ganze Reihe von Pflanzen mit homogen gefärbten Blüten unterschiedlicher Rottönungen (10). Dies beruht auf Deletionen unter- schiedlicher Größe im Promoterbe- reich des Nivea Gens. Die Pfeile zeigen den Beginn der Transkription des Gens. (10) Produkte des Anschnitts von Tam1 In diesen Beispielen wurde also die Ausprägung des Gens durch den Protein führt. Das Transposon Spm8 eingefärbten Aminosäuren erkennst Besuch des Transposons verändert. ist in Exon11 des Waxy Gens von du die Diversität der Proteine. Selbst Zea mays integriert (11). Proteine mit einer zusätzlichen Die Instabilität der wx-m8 Mutati- Aminosäure an der Integrationsstelle Punktmutationen: on erkennst du an dem I2.KI Färbe- scheinen enzymatisch aktiv zu sein. muster der Stärken im Endosperm Im nächsten Beispiel geht es um des Maiskorns. Verschiedene Farbtö- die Sequenzvielfalt, die der Auschnitt nung deuten unterschiedliche Prote- Was fehlt denn noch? eines Transposons im codierenden insequenzen an. Bereich eines Gens kreieren kann und Einige Produkte wurden isoliert Vererbbare Veränderungen auf dadurch zu einem veränderten und sequenziert (11). An den rot chromosomalem und genomischem Niveau, aber auch maternale Verer- bung und epigenetische Effekte. Waxy Gen: wx-m8 Doch davon an anderer Stelle mehr. Spm8 Was du bis hierhin gelernt haben könntest: 1. Mutationen sind selten und zu- fällig, 2. Mutationen haben recht unter- schiedliche Strukturen, 3. Die Mehrheit der Mutationen wird durch Transposons ausgelöst. Nachdem du jetzt weißt, wie genetische Diversität zustande kommt, kannst du dich nunmehr mit der Auswahl von Neuheiten beschäf- tigen. (11) Exzisionsprodukte von Spm am Wx-Locus von Mais 10 WiS Begierig :::April 2012 :::Werkzeuge der Evolution
Selektion 4 A m besten kannst du das am Beispiel einer Kul- turpflanze, dem Kohl, im Schaugarten der WissenschaftsScheune des MPIPZ erleben. Brassica oleracea ssp. oleracea, der Wildkohl (12), ist in Kleinasien, aber auch an den europäischen Küsten von Mittelmeer und Atlantik sowie auf Helgoland verbreitet. Wie alle Vertre- ter aus der Familie der Kreuzblütler werden aus befruchteten Blüten Früchte, die werden als Schoten (13) Vegetative Grundeinheiten einer zweikeimblättrigen Pflanze bezeichnet und enthalten die Samen. Zunächst noch eine Zwischenbe- dann zu nutzen. merkung: Ich habe dir unten (14) einmal die Pflanzen bestehen aus vegetativen Organe der Pflanze aufgezeichnet, in Grundeinheiten (13), die sich entlang denen Veränderungen relativ leicht zu des Stammes wiederholen. Diese erkennen sind und die dann auch Grundeinheit umfasst das Nodium, tatsächlich im Laufe der Geschichte aus dem der Blattstiel und das Blatt des Kohls genutzt wurden. Die entstehen, sowie zwischen Blatt und Domestikation der Kohlvarianten ist Stamm eine vegetative axilläre nicht sonderlich weit zurückliegend. Knospe, die zu Seitenzweigen aus- Vor etwas mehr als 2000 Jahren hat wachsen kann. Am oberen Ende des sie wahrscheinlich in Kleinasien Stammes befindet sich das Spross- begonnen und vor ca. 1000 Jahren Meristem (grün eingezeichnet). war die Majorität der meisten Kohl- Meristeme sind die wichtigsten sorten bereits selektioniert (ausge- Gewebe einer Pflanze. In ihnen finden wählt). Umschaltprozesse statt. (12) Wildkohl (Brassica oleracea ssp. oleracae) Wie bei allen Organismen finden auch im Genom von Kohl Mutationen Wildkohl ist essbar und gesund- statt, die zur Biodiversität in dieser heitlich besonders wertvoll und, wie Spezies (Art) führen. Es liegt also wir heute wissen, wirken seine nahe, dass der Mensch ihm geeignet Inhaltsstoffe vorbeugend gegen Krebs erscheinende Formen auswählt und und Osteoporose. diese dann weiter vermehrt, um sie (14) Organe der Pflanzen Werkzeuge der Evolution ::: April 2012 ::: WiS Begierig 11
Während des Wachstums bildet die Pflanze eine Endknospe, die dann zum Blütenstand auswächst. Variatio- nen in der Größe der Endknospe, selbst ohne weitere Differenzierung, sind attraktiv. Drei unterschiedliche Varianten wurden im Laufe der Zeit ausgelesen und zu Sorten weiter gezüchtet: Rot- , Weißkohl und Wirsing (15). Gelegentlich werden auch Ver- dickungen der Hauptachse beobach- tet: Kohlrabi und Markstammkohl waren die Endergebnisse dieser (15) Rotkohl, Weißkohl und Wirsing Auslese. Veränderungen an den Blättern wurden ebenfalls bemerkt: Grünkohl und andere Blattvarianten resultier- ten daraus (16). Beim Zierkohl waren sowohl die Endknospe als auch die Blätter betrof- fen, eine sehr rezente Sorte. Varianten der spät in der Entwick- lung auftretenden Seitenknospen wurden 1587 erstmalig in Belgien angebaut. Der Rosenkohl oder nach seinem Entstehungsort auch Choux de Bruxelles genannt, begann seinen (16) Kohlrabi, Grünkohl und Rosenkohl Siegeszug rund um die Welt. Allerdings, die weltweit bedeut- samsten Kohlsorten sind Blumenkohl und Broccoli (17) mit einer Produkti- on von etwa 20 Millionen Tonnen im Jahr 2009. In der Literatur fand ich die molekularen Veränderungen, die ihrer Auslese zugrunde liegen. Der Hauptunterschied zwischen Wildkohl und Broccoli bzw. Blumen- kohl liegt im wann und wo der Übergang vom vegetativen zum reproduktiven Wachstum beginnt bzw. angehalten wird. (17) Blumenkohl und Broccoli Das ist es. Was aber geschieht da molekular? Am besten kann ich das an der Modellpflanze Arabidopsis thaliana, der Ackerschmalwand, die auch zu den Brassicaceae gehört, also mit dem Kohl eng verwandt ist, erläutern. 12 WiS Begierig :::April 2012 :::Werkzeuge der Evolution
Doch zunächst wieder eine Vorbemerkung: Vorhin hast du bereits das Spross- Meristem kennen gelernt. Es be- stimmt das vegetative Wachstum der Pflanze. Sind der Entwicklungszu- stand der Pflanze und die Umweltfak- toren richtig, dann wird aus dem Spross- ein Blütenstand-Meristem (rot eingezeichnet). Dieser Umschaltpro- zess ist sehr komplex, ist aber die Voraussetzung, dass aus entsprechen- den Blüten-Meristemen (türkis) überhaupt Blüten gebildet werden können (dunkelblau). Wichtig ist noch, dass auch Blütenstände sich verzweigen können (18). Wenn das Spross-Meristem erst einmal in ein Blütenstand- Meristem umgeschaltet ist, dann ist auch die (18) Blütenstand-Meristeme (rot) und Blüten-Meristem (türkis) Fähigkeit Blüten zu bilden eingeschal- tet. Die Identität von Meristemen wird durch entsprechende Gene festgelegt. Bei Antirrhinum majus z.B. wird der Übergang vom Blütenstands- zum Blütenmeristem durch Floricaula (Flo) und Squamosa (Squa) bestimmt. Wenn z.B. Squamosa mutiert (squa) und damit inaktiv ist, dann werden keine Blüten mehr angelegt, sondern anstelle dessen weitere neue Blüten- stände gebildet. Bei Arabidopsis ist das nicht ganz so extrem. Apetala-1 ist mit Squamosa sehr nahe ver- wandt. Ap1 Mutanten bilden Blüten in veränderten Blüten. Diese Blüten haben keine Blütenblätter mehr, und in den Achsen der Kelchblätter werden immer neue Blüten gebildet. In Arabidopsis existiert allerdings noch ein weiteres sehr eng mit Ap1 verwandtes Gen Cauliflower (Cal). Mutationen in diesem Gen zeigen kein vom Wildtyp abweichendes Erschei- nungsbild (Phänotyp). Die Doppelmu- tante ap1 cal allerdings sieht aus wie ein Blumenkohl „en miniature“. Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch im nahe verwandten (19) Zusammenfassung Blumenkohl das Cal Gen eine Mutati- on trägt, die kein funktionsfähiges sind defekt in den beiden MADS-Box Abbildung 19 gibt eine Zusammen- Protein mehr ermöglicht. Proteinen (Transkriptionsfaktoren) fassung. Blumenkohl und auch Broccoli AP1 und CAL. Werkzeuge der Evolution ::: April 2012 ::: WiS Begierig 13
Was Bauern über Jahre hinweg ausgewählt haben, sind spontan gebildete Mutanten, die allerdings in der Natur keine Überlebens- chancen hätten und nur von den Menschen erhalten und vermehrt werden können. Nebenstehend sind diese Vorgänge zusammenge- fasst. Unsere Nutzpflanzen müssen na- türlich fortlaufend optimiert wer- den, um unsere Bedürfnisse auch weiterhin zu befriedigen. Doch davon später mehr, z. B. bei deinem Besuch in der WiS des MPI für Pflanzenzüchtungsfor- schung. (20 Selektion verschiedener Kohlsorten Referenzen Glossar Textnachweise: Bildnachweise: Seite Abkürzung Erklärung 08: LTR Long Terminal Repeats Arbeiten aus dem MPIPZ: Eigene Bilder: 08: Gag Gruppenspezifisches Ref.2: Bonas, Sommer and Saedler (1984), 1, 2, 3, 5, 6 (nach Ref.1), 7, 8 (nach Ref.2), 9, 10 Antigen EMBO J. 3, 1015-1019 (nach Ref. 3), 11 (nach Ref.4 und 5), 13, 15, 16, 17, 08: Pol Protease, reverse Trans- Ref.3: Sommer, Bonas and Saedler (1988), 18, 19 (nach Ref.6 und Ref.7), 20. kriptase, Integrase Mol. Gen. Genetics 211, 49-55 08: Env Proteine der Hülle Ref.4: Pereira et al. (1985) EMBO J. 4 17-23 (4): http://de.wikipedia.org/wiki/Perlenbach- 08: Cin 1 Cinteotl 1 (zu Ehren des Ref.5: Schwarz-Sommer et al. (1985), tal jungen Maisgottes) EMBO J. 4, 591-597 (12): prgdb.cbm.fvg.it/private/organisms/ 08: Cin 4 Cinteotl 4 (dto) Ref.6: Huijser et al. (1992), EMBO J. 11, 1239-1249 images/Brassica oleracea ssp. oleracea 08: ORF1, ORF2 Open Reading Frame 1, Wildkohl 3.jpg Open Reading Frame 2 Andere: (14): www.biozac.de/biozac/schule/Kohl.htm 09: GBSS Granule Bound Starch Ref.1: Marillonnet and Wessler (1997), Synthase Plant Cell. 9(6): 967–978. 09: Tnp Transposon Ref.7: Purugganan et al. (2000), Genetics 155, 09: Tam1 Transposon antirrhinum 855-862 majus 10: wx-m8 eine durch Insertion des Spm (Suppressor-Mutator) Transposons verursachte Mutation 14 WiS Begierig :::April 2012 :::Werkzeuge der Evolution
Besuch in der WiS Solltest du die Thematik an lebenden Pflanzen vertiefen wollen, dann empfehlen wir die Aus- wahl der Station auf unserer Homepage (www.wissenschaftsscheune.de) für die Zielgruppe und die entsprechende Anmeldung. Sekundarstufe I/II : Station „Werkzeuge der Evolution “, Erwachsene: Station „Werkzeuge der Evolution“ Lass uns deine Meinung wissen, denn auch wir sind Lernende und wollen die WiS weiter ver- bessern. Wie für alle Stationen sind ca. 45 Minuten einzuplanen. Mutationen sind selten! Überzeuge dich selbst bei einem Besuch in der WiS anhand eines Dartspiels. Chromosomen von Zea mays Werkzeuge der Evolution ::: April 2012 ::: WiS Begierig 15
WissenschaftsScheune Über die WissenschaftsScheune Die WissenschaftsScheune (WiS) ist eine Ein- Anwendung können Besucher in Erlebniswelten richtung des Max-Planck-Instituts für Pflanzenzüch- sowohl in der Scheune des Gutshofs als auch tungsforschung (MPIPZ), in der Besucher Wissen- im Schaugarten spielerisch entdecken. schaft hautnah erleben können. Weitere Details finden Sie auf unserer Die Bandbreite der Forschung reicht vom DNA Homepage: Molekül bis zum Anbau neuer Kultursorten. Themen der Grundlagenforschung und ihre www. wissenschaftsscheune.de Der „Verein der Freunde und Förderer des Impressum Max-Planck-Instituts für Pflanzenzüchtungs- forschung e.V.“ betreut die WiS und ist Text: Herausgeber der Broschüre „WiS Begierig“. Heinz Saedler Alle Personen, die das Projekt Redaktion: WissenschaftsScheune unterstützen wollen, sind Hiltrud Kupczyk herzlich eingeladen, Mitglied im „Verein der Freunde und Förderer des MPIPZ e.V.“ zu werden. Bilder und Zeichnungen: Heinz Saedler, Britta Grosardt, Anna Johann Kontakt: info@wissenschaftsscheune.de Layout: Tel. 0221 5062-672 (Vormittag) Britta Grosardt, Anna Johann, CGN Corporate Anfahrt zum Max-‐Planck-‐Ins?tut für Pflanzenzüchtungsforschung WissenschaBsScheune Autobahn A1 Autobahn A1 Carl-‐von-‐Linné-‐Weg MPIPZ Venloer Aachener Belvedere WiS Militärring Navi: Carl-‐von-‐Linné-‐Weg 1, Köln Achtung! Vor dem Ziel LINKS (rot) sta? rechts einbiegen.
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