WAS DEMOKRATIE MIT VIELFALT UND SCHUTZ VOR DISKRIMINIE- RUNG ZU TUN HAT
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wiSSeN waS demOkRaTie miT VieLFaLT UNd SCHUTZ VOR diSkRimiNie- RUNG ZU TUN HaT Standpunkte auf der Grundlage des Ansatzes der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung © Demokratie kommt wieder ins Gespräch, weil antidemokratische Äußerungen zunehmend Verbreitung finden. Manche sagen, sie seien von der Meinungsfreiheit gedeckt, einer zweifellos demokratischen Errungenschaft. Andere sagen, wer sich antidemokratisch äußert, muss mit Widerspruch rechnen, auch mit strafrechtlichen Konsequenzen. Im Alltag kann die Orientierung an gesetzlichen Grundlagen helfen, demokratische Werte zu verteidigen. Petra Wagner zeigt dies an den Werten „Respekt für Unterschiede“ und „Schutz vor Diskriminierung“, die in den Kern dessen führen, was ein demokratisches Gemeinwesen ausmacht, und als Merkmale einer demokratischen Kultur in Kitas und Schulen erkennbar sein müssen. Antidemokratische Äußerungen treten zusammen mit Werte in den Gesetzen und rechtlichen Rahmenvorgaben. Bedrohungen auf, mit Herabwürdigungen, mit Verfol- Nicht immer werden sie als unterstützend und orientie- gungen von Menschen, die als nicht zugehörig definiert rend gewertet. werden. Auch mit tödlichem Ausgang, wie rassistische Morde in den letzten Jahren und in diesen Tagen zeigen. Aus einer Kita-Fortbildung: Manche sagen, das seien eben Verbrechen, und sehen „Laut Paragraf 22a des KJHG sind die Erziehungs- keine Verbindung zu antidemokratischer Meinungsmache. berechtigten an den Entscheidungen in wesent- Andere sagen, vor diesem Hintergrund müsse Demokra- lichen Angelegenheiten der Erziehung, Bildung tie aktiv verteidigt werden. Demokratie sei nicht einfach und Betreuung in der Kita zu beteiligen.“ da, sondern müsse immer wieder unter Beweis und aktiv „Eltern etwa an der Konzeption beteiligen? So hergestellt werden. ein Quatsch, das geht doch nicht! Da haben sich Das spricht auch Bildungseinrichtungen an. Sie stehen die von oben ja wieder was ausgedacht!“ in öffentlicher Verantwortung und sollen natürlich von den demokratischen Werten geleitet sein, die das politi- Gegen staatliche Autoritäten zu sein kann sich darin sche System Deutschland prägen. Auffindbar sind diese äußern, Gesetze abzulehnen, weil sie „von oben“ kommen. wamiki.de 28
Te x t : P e t r a Wa g n e r Illustration: Zanko Loreck in: L e r n p r o z e s s e z u r Vo r u r t e i l s b e - Bist du schon mal in eine wussten Bildung und Erziehung Schublade gesteckt worden? begleiten. Ein Methodenhand- Zum Beispiel in deiner Kindheit? b u c h . w w w.w a m i k i . d e / s h o p Erinnerst du dich an eine Situation? Wie hast du dich dabei gefühlt? Wer oder was hat bzw. hätte geholfen? Das ist allerdings zu statisch gedacht und berücksich- druck einer Demokratisierung der Erziehungsverhältnisse, tigt nicht die Wechselwirkung zwischen Gesetzen und und sie beförderte wiederum ein Erziehungsverständnis, gesellschaftlichen Entwicklungen: Gesetze nehmen einer- das nicht mehr auf Gehorsam, sondern auf Aushandlun- seits den Zeitgeist und gängige Normvorstellungen auf gen setzte. Gewalt als Erziehungsmittel war kein Konsens und beeinflussen wiederum, wie über soziale und andere mehr. In Umfragen äußerten immer mehr Menschen, dass Fragen gedacht wird. Dies geschieht nicht automatisch, Gewalt kein adäquates Erziehungsmittel sei. Das Gesetz sondern ist häufig ein Ergebnis von jahrelangen Kämpfen, drückt dieses neue Normverständnis aus und gibt damit in denen insbesondere zivilgesellschaftliche Gruppen und gleichzeitig eine wertebezogene Orientierung, die verbind- Organisationen Kritik an bestimmten gesellschaftlichen lichen Charakter hat. Zwar schafft das Gesetz Gewalt in Zuständen äußern und Veränderungen einfordern. der Erziehung nicht ab, trägt aber zu deren Ächtung bei, Das „Recht auf gewaltfreie Erziehung“ ist ein Beispiel die sich in größerer Wachsamkeit zeigt und in der Bereit- dafür: Jahrelang kämpften zivilgesellschaftliche Gruppen schaft, Gewalt in der Erziehung nicht mehr als „Privat- darum, Gewalt in der Erziehung von Kindern auch gesetz- sache“ von Familien abzutun, sondern zu intervenieren lich zu ächten. Erst im Jahr 2000 war das möglich, nach und sich für das Recht der Kinder auf gewaltfreie Erzie- vielen Jahren der CDU-Regierungen unter Kohl. Der Para- hung stark zu machen. graf 1631 Abs. 2 wurde ins Bürgerliche Gesetzbuch aufge- Die Orientierung an gesetzlichen Grundlagen kann also nommen: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erzie- helfen, demokratische Werte zu verteidigen. Im Folgenden hung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen sei dies an den Werten „Respekt für Unterschiede“ und und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ „Schutz vor Diskriminierung“ ausgeführt, die in den Kern Zur Vorgeschichte gehört die UN-Kinderrechts-Kon- dessen führen, was ein demokratisches Gemeinwesen aus- vention von 1989, die erstmals Kinder als Rechtssubjekte macht. Sie müssten als Merkmale einer demokratischen adressierte. Die Kinderrechts-Konvention war bereits Aus- Kultur in Kitas und Schulen erkennbar sein. wamiki.de 29
wiSSeN UNTeRSCHiede UNd diSkRimiNieRUNGSRiSikeN Dass Kinder sich unterscheiden ist eine Tatsache. Auch Gruppe Abwertung entgegengebracht wird, beschreibt dass ihre Familien unterschiedlich sind. Sie unterschei- Angelika Nguyen2 in ihren Erinnerungen an ihre Schul- den sich nicht nur im Hinblick auf persönliche Eigenhei- zeit: „Beim Klassentreffen 2003 plauderte ich freundlich ten wie Temperament, Tempo, Zugang zu Menschen und mit Bernd K. und Karin T., als wäre nie etwas gewesen. Sachen, sondern auch in ihren Lebensverhältnissen und War ja auch nicht. Jedenfalls nicht für sie. Nur ich erin- Familienkulturen. nerte mich noch einmal daran: als Karin mitten im Ver- K inder wie F amilien tragen ein unterschiedliches steckspiel sagt, sie würde mit solchen wie mir nicht spielen Risiko, von Ausgrenzung, Abwertung, Benachteiligung, wollen, und als Bernd sich unvermittelt im Erdkundeun- Diskriminierung betroffen zu sein. Darin zeigt sich ihre terricht über Asien zu mir umdreht, mich angrinst und „Vulnerabilität“, ihre Verletzlichkeit gegenüber ungerech- seine Augen zu Schlitzen verzieht. (…) ten Prozeduren. Ein Kind will vor allem so sein wie alle anderen. Es Von Diskriminierung betroffen sind Menschen mit sucht seinen Schutz in der Gruppe. Den habe ich nicht bestimmten sichtbaren und unsichtbaren Merkmalen: bekommen. Täglich wurde ich daran erinnert, dass ich Hautton, Geschlecht, Behinderung, Körperform, Alter, anders war. Ich konnte nicht mal so tun, als ob. In meine sexuelle Identität. Und Angehörige bestimmter Familien, Klasse ging ein Mädchen, das hatte Grübchen in den die eine Abwertung ihrer Familienkulturen, Familienkon- Wangen, eine fein ziselierte Nase, mittelblondes Haar und stellationen, Familiensprachen, Religionen, ihrer Her- blau-graue Augen. Sie hieß Beate Lehmann und war sehr kunft/Migrationsgeschichte, ihres sozialen Status erleben. nett. So wollte ich auch sein. Ich wollte helle Haare und Vulnerabel sind darüber hinaus Kinder: Die Machtun- helle Augen haben, eine schmale Nase und Beate Lehmann gleichheit gegenüber Erwachsenen birgt immer auch das heißen. Niemand stockte bei der Verlesung ihres Namens, Risiko von Machtmissbrauch, dem gerade junge Kinder niemand fragte sie, woher sie kam, niemand schubste kaum etwas Wirksames entgegensetzen können. sie auf dem Schulhof oder starrte sie an, niemand feixte Am Leben gehalten wird Diskriminierung von diskri- ihr ins Gesicht. Beate Lehmann war der reinste Himmel. minierenden Ideologien, die jeweils die Höherbewertung Sie wusste nichts von meinen Qualen und noch weniger einer Gruppe behaupten: Sexismus behauptet in einer pat- von meinem innigen Wunsch, mich in sie verwandeln zu riarchalen Gesellschaft die Höherbewertung des Männ- können.“ lichen, Rassismus die Höherbewertung Weißer, Adultis- mus die Höherbewertung der Erwachseneninteressen und -sichtweisen. Die jeweils andere Gruppe wird abge- Die Schilderung von Angelika Nguyen zeigt einiges auf, wertet. Abwertung und Benachteiligung werden ihnen was für Diskriminierungsprozesse typisch ist: selbst mit Verweis auf ihre Merkmale angelastet und damit gerechtfertigt. • Die Diskriminierung im Sinne einer „abwertenden Diskriminierende Ideologien sind verbreitet und wirk- Ungleichbehandlung mit Verweis auf ein Gruppen- mächtig, auch weil sie von den Individuen verinnerlicht merkmal“ 3 wird von der jeweils vulnerablen Gruppe werden. Mit ihnen wird verinnerlicht, was Birgit Rom- sehr schmerzlich wahrgenommen, während die domi- melspacher „Dominanzkultur“ nennt. Sie meint damit, nante G ruppe sie nicht mitzubekommen scheint. „dass unsere ganze Lebensweise, unsere Selbstinterpreta- Während sich Angelika Nguyen genau an die herab- tionen sowie die Bilder, die wir von anderen entwerfen, in würdigenden Szenen erinnert, ist es für die damals Kategorien der Über- und Unterordnung gefasst sind“.1 nicht betroffenen Mitschüler*innen, als sei niemals Dieser Prozess der Verinnerlichung von Kategorien der etwas gewesen. Das Privileg der Nicht-Diskriminierten Über- und Unterordnung beginnt im Kindesalter. In Bil- besteht darin, die Diskriminierung zu leugnen. Dies dungseinrichtungen wie Kita und Schule ziehen Kinder verstärkt das Leiden der Diskriminierten. ihre Schlüsse aus der Art und Weise, wie mit den vorhan- denen Unterschieden umgegangen wird. Dabei macht • B estimmte M erkmale werden hervorgehoben, um es einen großen Unterschied, wie sie und ihre Familie eine Person „anders“ zu machen: „Täglich wurde oder die soziale Gruppe, der sie zugehörig sind, bewertet ich daran erinnert, dass ich anders war.“ Menschen werden. Wie es sich auswirkt, wenn der eigenen sozialen „anders“ zu machen wird im Englischen „Othering“ wamiki.de 30
GLeiCHe ReCHTe UNd diSkRimiNieRUNGSSCHUTZ genannt. Damit sind Konstruktionsprozesse gemeint, Die Grundidee steht in der Allgemeinen Erklärung der die Gruppen durch die Entgegensetzung von „wir“ Menschenrechte von 1948. Hier heißt es in Artikel 1: „Alle und „sie“ trennen und unterstellen, die Gruppen Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten seien jeweils homogen. Im zweiten Schritt wird eine geboren.“ Unterscheidung vorgenommen: „Sie“ sind „anders“ als „wir“. Sind „wir“ der Bezugspunkt, von dem aus das Mit diesem einfachen Satz wird postuliert, dass die Erklä- Anderssein definiert wird, heißt das, dass „wir“ über rung für ALLE Menschen gilt. Qua ihrer Geburt als Men- die dominante und „normale“ Perspektive verfügen. schen sind sie frei und gleich an Rechten und Würde. Insofern ist „Othering“ auch eine Machtstrategie zur Die Würde wird allen Menschen zuerkannt, die Rechte Behauptung von Überlegenheit. gelten ausnahmslos für alle. Dieser Anspruch ist ein Pau- kenschlag nach den Verfolgungen und Ermordungen der • Mit dem „ Othering“ wird Zugehörigkeit entzogen. vielen Menschen in zwei Weltkriegen. In Artikel 2 wird er Angelika Nguyen wollte „so sein wie alle anderen“ und konkretisiert: „Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklä- Schutz in der Gruppe der Kinder finden, den sie nicht rung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendei- bekam. Nicht dazuzugehören mit dem Verweis auf ein nen Unterschied, etwa nach Rasse 4, Hautfarbe, Geschlecht, unveränderbares Merkmal ist ein starker Angriff auf Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, die Integrität und das Selbstwertgefühl von Menschen. nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder Die vermittelte Botschaft, nicht „richtig“, „anders“, sonstigem Stand.“ „nicht wichtig“, „unsichtbar“, „minderwertig“ zu sein, Seither bedurfte es weiterer UN-Konventionen, mit stellt die Würde der Person in Frage. Die negativen denen die gleichen Rechte und der Diskriminierungs- B otschaften können ins S elbstbild aufgenommen schutz bestimmter G ruppen hervorgehoben werden: werden und sich in Selbstzweifeln, Scham, Schuld, die Anti-Rassismus-Konvention 1965/1969, die Frauen- Ohnmacht, Minderwertigkeitsgefühlen äußern. „ So rechtskonvention 1979/1981, die Kinderrechtskonvention sein wie alle anderen“ bedeutet in einer Umgebung, die 1989/1990, die Konvention für die Rechte von Menschen Unterschiedlichkeit nicht wertschätzt, dass Kinder mit mit Behinderungen 2006/2009 5. Wieder waren es jeweils ihrem Aussehen, ihrem Namen, ihrer Familie hadern die Selbstbestimmungskämpfe aus der Zivilgesellschaft, und sich die Merkmale der dominanten Gruppe wün- die diese Konventionen mit einer Skandalisierung von schen: „Ich wollte helle Haare und helle Augen haben, Benachteiligung und Unterdrückung anschoben. eine schmale Nase und Beate Lehmann heißen.“ I n A rtikel 2 der K inderrechtskonvention heißt es unmissverständlich, dass die Kinderrechte „ohne jede Dis- kriminierung“ für alle Kinder gelten, „unabhängig von der Diskriminierung ist eine Form psychischer Gewalt. Mög- Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der liche Folgen sind Mut- und Hoffnungslosigkeit, Rückzug, Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Verstummen, die eigene Stimme unbedeutend finden, sich nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermö- nicht einbringen. Demokratie braucht aber die Teilhabe gens, einer Behinderung, der Geburt oder des sonstigen und Beteiligung aller Menschen. Es liegt auf der Hand, Status des Kindes, seiner Eltern oder seines Vormunds“. dass Diskriminierung mit Demokratie unvereinbar ist. Die Vertragsstaaten müssen „alle geeigneten Maßnah- men“ treffen, um sicherzustellen, dass das Kind „vor allen Formen der Diskriminierung oder Bestrafung wegen des Status, der Tätigkeiten, der Meinungsäußerungen oder der Weltanschauung seiner Eltern, seines Vormunds oder seiner Familienangehörigen“ geschützt wird. Die Kinder- rechtskonvention benennt also explizit Merkmale, auf die bei Diskriminierungsvorgängen verwiesen wird. Damit anerkennt sie die Diskriminierungsrisiken von Kindern: Kinder mit bestimmten körperlichen oder äußeren Merk- malen und Kinder als Mitglieder von bestimmten Familien wamiki.de 31
wiSSeN wie sieht dein Vielfaltsfächer aus? Thematisiere Unterschiede ausgehend von Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel: Alle Menschen essen – ganz verschieden! Fülle deinen eigenen Fächer aus: Finde eine Gemeinsamkeit der Kinder (oder Eltern oder Teammitglieder) heraus. Trage ein, wie dies bei den Einzelnen aussieht, wie sie es handhaben. Entnommen aus: So entsteht dein Fächer der Unterschiede. +++ Bei welcher Erscheinungsform der Vielfalt fällt es dir schwer, sie als gleichwürdig zu respektieren? Aus welchem Grund? Inwiefern berücksichtigst du in der Kita die im Fächer dargestellten Besonderheiten der Kinder (oder Familien ...)? In deinen Routinen, der Ausstattung, der Sprache, die du verwendest? Welche nicht und aus welchem Grund? Band 6: Inklusion in der Fortbildungspraxis, Welche Schritte könntest du unternehmen, zu beziehen bei wamiki: um mehr Vielfalt in der Kita zu ermöglichen? www.wamiki.de/shop wamiki.de 32
iNkLUSiON: Ja ZU UNTeRSCHiedeN, NeiN ZUR aUSGReNZUNG sind vulnerabel in dem Sinne, dass sie ein höheres Risiko Artikel 2 der Kinderrechtskonvention zu realisieren erfor- tragen, diskriminiert zu werden. dert einen diversitätsbewussten und gleichzeitig diskri- Die Vulnerabilitäten von Kindern gilt es zu berücksich- minierungssensiblen pädagogischen Ansatz in Bildungs- tigen. Dabei ist der Verweis auf ein Merkmal, das mehr einrichtungen: oder weniger willkürlich, aber konstitutiv für Diskrimi- nierung ist, vom Merkmal selbst zu trennen. Nicht das • diversitätsbewusst im Sinne der Anerkennung und des Geschlecht, der Hautton, die Sprache, die Religion eines kompetenten Umgangs mit den vorhandenen Unter- Kindes sind per se ein Problem. Sondern die damit vor- schieden zwischen Kindern, genommen Zuschreibungen, die als Begründungen dafür herhalten, Ungleichbehandlungen und Ausschlüsse zu • diskriminierungssensibel im Sinne der Berücksichti- rechtfertigen. gung von Diskriminierungsrisiken und einer klaren Toni Morrison, Schwarze Literaturwissenschaftlerin Positionierung gegen Diskriminierung. und Schriftstellerin, führt dies am Beispiel rassistischer Diskriminierung aus. Sie betont, dass „erst Rassismus In den Bildungsansprüchen der Inklusion sind beide Hand- das Konstrukt Rasse hervorbringt“ 6, und bestätigt, dass lungslinien benannt: Die Wertschätzung der vorhandenen „Rasse ein Konzept sei, kein Fakt“ 7. Sie spricht von der Heterogenität von Kindern und Familien kommt zusam- Schwierigkeit, in rassistischen gesellschaftlichen Ver- men mit dem Erkennen und Abbauen von Barrieren, die hältnissen körperliche oder kulturelle Unterschiede zu Kinder am Zugang zu Bildung behindern. Der Ansatz der beschreiben, „ohne dabei auf wertende und hierarchisie- Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung© ist hierfür rende Kategorien zurückzugreifen“ 8. Damit spricht sie ein erprobtes Praxiskonzept. 9 ein Dilemma an, das sich auch in der Handhabung der in der Kinderrechtskonvention aufgeführten Merkmale von Ja ZU UNTeRSCHiedeN Kindern zeigt: Um die Diskriminierung anzuprangern, die mit Verweis auf ein zugeschriebenes Gruppenmerk- Die Bejahung von Unterschieden zeigt sich in den Einrich- mal eines Kindes erfolgt, müssen die Gruppenmerkmale tungen daran, dass sie überhaupt sicht- und wahrnehm- benannt werden – womit man Gefahr läuft, die Zuschrei- bar sind. Louise Derman-Sparks, die Mitbegründerin des bungen zu reproduzieren, indem man die wertenden und Anti-Bias-Approach, begründet dies so: „Weil Kinder von hierarchisierenden Kategorien verwendet, von denen Toni ihrem ersten Lebensjahr an aufmerksam beobachten, was Morrison spricht. Verwendet man sie, so bestätigt man sie um sie herum geschieht, wird das, was sie nicht sehen als vermeintliche „Eigenschaften“ der Kinder, wodurch oder hören, genauso bedeutsam wie das, was sie sehen und unweigerlich die Stigmatisierung und diskriminierende hören. Unsichtbarkeit löscht Identität und Erfahrung aus, Kategorisierung wiederholt und gefestigt wird. Es ist eine Sichtbarkeit bestärkt Wirklichkeit. Darüber, wie sichtbar bewusste Anstrengung, dies nicht zu tun, sondern „in sie selbst und ihre Familien in der Umgebung sind, lernen Anführungszeichen“ Bezug auf die Merkmale zu nehmen, Kinder, welchen Wert sie und ihre Familie haben.“10 um deutlich zu machen, dass daran Diskriminierung fest- Die Dominanzkultur zeigt sich darin, wer „da“ ist und gemacht wird. wer nicht. Das zeigt die Herausforderung, vor der Pädagog*innen Wie kann man dafür sorgen, dass alle sichtbar sind? Es stehen, die gemäß Artikel 2 der Kinderrechtskonvention braucht eine bewusste Strategie des Hereinholens der Per- agieren wollen: Sie müssen erkennen, welche Kinder ein spektiven derer, die üblicherweise an den Rand gedrängt höheres Risiko tragen, von Diskriminierung betroffen zu werden. Hierfür ist eine Analyse des Vorhandenen nötig. sein. Dafür brauchen sie einen geklärten Begriff von Dis- E s wird kritisch gefragt: Wer oder was ist sichtbar? kriminierung und Einblick in Vulnerabilitäten und Dis- Welche Perspektiven überwiegen? Wer oder was fehlt? kriminierungsmuster in Deutschland. Sie brauchen ein Sind zum Beispiel in den Kinderbüchern nur bestimmte Handlungskonzept, das die Wertschätzung der Unter- Familien und Familienkonstellationen abgebildet? schiede, Antidiskriminierung und damit Demokratisie- Sichtbarkeit wird im Einverständnis mit dem jeweili- rung konsequent verfolgt. gen Kind und seiner Familie hergestellt. Gegenstand sind sie und ihre Erfahrungen aus erster Hand. wamiki.de 33
wiSSeN NeiN ZU aUSGReNZUNG In unreflektierten Praxen interkultureller Pädagogik gibt Das Nein zu Ausgrenzung zeigt sich im Zurückweisen es häufig Darstellungen von Menschen aus einer „touris- diskriminierender Äußerungen und Handlungsweisen. tischen“ Perspektive: Dies ist der Fall, wenn Kinder und Überprüft wird zum Beispiel: Wie wird bei uns über Fami- Familien sich nicht in ihrer jeweiligen Einzigartigkeit lien gesprochen? Die Sammlung umfasst Bezeichnungen selbst präsentieren, sondern entlang von Klischees, Ste- wie: „intakte“ Familien, „Bilderbuchfamilien“, „vollstän- reotypen, kulturalisierenden Zuschreibungen dargestellt dige“ Familien, „bildungsnahe“/“bildungsferne“ Fami- werden. Stereotype Darstellungen tragen zum Prozess des lien, Flüchtlingsfamilien und die Aussage: A. hat „nur“ „Othering“ bei, der entgegen der ursprünglichen Absicht eine Mama. Gräben zwischen den Gruppen eher aufmacht als schließt Diese Bezeichnungen enthalten Bewertungen, die nor- und Dominanzverhältnisse festigt. mierend sind, insofern sie Auskunft darüber geben, was Gelingt es hingegen, Kinder und Familien respektvoll als „normal“ und/oder „wünschenswert“ gilt. Gerade die zu repräsentieren, so ist dies immer mit einem Mehr an abwertenden Bezeichnungen sind selten Selbstbezeichnun- Verständigung und Gemeinschaft verbunden: In einer Kita gen der Menschen, sondern Zuschreibungen von außen. will das Team gerne den Kontakt zu den Familien verbes- So bezeichnet zu werden ist mit der Erfahrung verbunden, sern. Es kommt die Idee auf, Eltern zu bitten, Rezepte als Person oder Gruppe abgewertet zu werden, weil man ihrer „landesüblichen Speisen“ mitzubringen. Diese Idee die erwünschte Norm vermeintlich nicht erfüllt. Um damit wird kritisch hinterfragt und verworfen: Alle Familien verbundene Herabwürdigungen zu vermeiden, gehört das sind hier, in diesem Land. Wenn wir von „landesübli- Bemühen um eine inkludierende und respektvolle Sprache chen Speisen“ sprechen, fühlen sich manche Familien zum Schutz vor Diskriminierung. nicht angesprochen. Wir wollen aber etwas machen, zu Das Nein zur Ausgrenzung muss sich in der institu- dem alle beitragen können. Uns interessieren die Fami- tionellen Kultur der Einrichtung zeigen. Die instituti- lien, alle Familien, und ihr Alltag heute. Weniger inter- onelle Kultur einer pädagogischen Einrichtung besteht essiert uns, was in den Herkunftsländern mancher Fami- aus dem Set an Glaubenssätzen, Werten, Grundannah- lien üblich war. men, Traditionen, Erziehungsvorstellungen, Verständ- Das Team beherzigt ein Prinzip im Ansatz Vorurteilsbe- nis von Macht und Verantwortung, das handlungsleitend wusster Bildung und Erziehung zur Thematisierung von wirkt, ohne den Beteiligten unbedingt bewusst zu sein. Unterschieden: Ausgangspunkt ist eine Gemeinsamkeit, Es ist etwas anderes als die Summe der Familienkultu- die alle Menschen teilen. Von hier aus werden die unter- ren der Beteiligten. schiedlichen Varianten beschrieben, in denen die Gemein- Häufig spiegeln institutionelle Kulturen dominanzkul- samkeit realisiert wird. Das Gemeinsame: Sicherlich hat turelle Kategorisierungen wider. Dies ist erkennbar an den jede Familie eine Speise, die besonders gerne gegessen in einer Einrichtung vorherrschenden Diskursen über die wird. Die pädagogischen Fachkräfte bitten die Familien unterschiedlichen Gruppen. um das Rezept dieser Speise. Alle sind angesprochen, Im Konzept einer Kita heißt es: „In unserer Einrich- alle können beitragen. So entsteht ein Rezeptebuch, das tung sind auch die anderen Kulturen willkommen.“ Eine hoch in der Gunst der Kinder steht, denn: Hier ist etwas Kollegin ist mit dieser Formulierung nicht einverstanden von ihren Familien sichtbar, Familienmitglieder oder sie und fragt: „Wie ist das gemeint, wer ist WIR, wer sind die selbst haben das Rezept illustriert oder ein Foto einge- ANDEREN? Und wohin gehöre ich? Gehöre ich zu den klebt. Sie vergleichen ihr Rezept mit dem der Freund*in- ANDEREN?“ Die Kollegin hat türkische Wurzeln und ist nen, finden Gemeinsamkeiten – vier Spaghettirezepte! – es leid, immer wieder auf die „andere Kultur“ festgelegt zu und Unterschiede: Fleisch, kein Fleisch. Sie haben über werden. Sie pocht darauf, dass eine Formulierung gefun- das Rezeptebuch eine Verbindung zwischen sich, ihrer den wird, die sie voll und ganz einbezieht: „Ich möchte Familie und der Kita. zu dem WIR gehören!“ Inklusive Praxen sind solche, in denen darauf geach- E ine solche inkludierende B ezeichnung zu finden tet wird, dass alle beitragen können. Der Fokus auf etwas ist nicht schwer. Das größere Problem ist: Den meisten Gemeinsames als Ausgangspunkt ändert den Auftrag und Kolleg*innen war nicht aufgefallen, dass sie mit ihrer lässt eine Bitte formulieren, die wirklich alle einbezieht. ursprünglichen Formulierung Kolleg*innen und Familien Wird das zur Regel, fallen exkludierende Routinen eher ausgeschlossen hatten. Das zum Thema zu machen und auf und können bewusst unterlassen werden. den Anspruch zu verfolgen und zu unterstützen, dass alle wamiki.de 34
Die Diplom-Pädagogin Petra wagner ist seit 2011 Direktorin des ISTA und leitet die Fachstelle Kinderwelten für Vorurteilsbe- wusste Bildung und Erziehung. Literatur: Derman-Sparks, Louise (2014): Soziale Bezugsgruppen in ins Team-WIR einbezogen sein müssen, ist Aspekt einer der kindlichen Identitätsentwick- diskriminierungssensiblen pädagogischen Praxis. lung und ihre Bedeutung für eine Teams, die vielfältig zusammengesetzt sind, haben Pädagogik der Inklusion. Vortrag 4. Baustelle Inklusion. https:// mehr Chancen, Ausgrenzung aufzudecken. Sie können baustelle2014.kinderwelten.net/ froh sein, wenn Teamkolleg*innen wie im Beispiel darauf content/vortraege/pdf/1-Louise_ aufmerksam machen. Die Stimmen der Kolleg*innen, die Derman-Sparks.pdf (Zugriff 3. 1. 2019) den Ausschluss benennen, müssen gehört werden. Relati- vierungen, Abschwächungen oder Rechtfertigungen sind Fachstelle Kinderwelten (2019): unangemessen und müssen unterbleiben. Glossar https://www.situationsan- satz.de/files/texte%20ista/ So wird das Team selbst zum Übungsfeld für das Aktiv- fachstelle_kinderwelten/kiwe_ werden gegen Diskriminierung: Die Überzeugung, dass pdf/Glossar%20Fachstelle%20 alle Stimmen wichtig sind und auf keine verzichtet werden Kinderwelten,%20Stand%20 Mai%202019.pdf kann, um die Einrichtung im besten Interesse der Kinder als einen demokratischen Lernort zu gestalten, schärft Morrison, Toni (2018): Die auch die Wahrnehmung für antidemokratische Stimmen. Herkunft der Anderen. Über Rasse, Rassismus und Literatur. Hamburg: Nur wer erkennt, welche Positionen sich gegen die Demo- Rowohlt kratie richten, wird in der der Lage sein, sich ihnen zu widersetzen. Das Aktivwerden gegen Diskriminierung ist Nguyen, Angelika (2014): Mutter, wie weit ist Vietnam? https:// daher ein wichtiger Aspekt bei der Etablierung und Ver- heimatkunde.boell.de/2014/01/ teidigung einer demokratischen Kultur in Bildungsein- 29/mutter-wie-weit-ist-vietnam richtungen.11 Rommelspacher, Birgit (1995): Dominanzkultur: Texte zu ______________________ Fremdheit und Macht. Berlin: Orlanda 1 Rommelspacher 1995 7 Ebd. 13 2 Nguyen 2014 8 Ebd. 20 3 Vgl. Glossar Fachstelle Kinderwelten 2019 9 Seit einigen Jahren werden die Angebote der Fachstelle Kinderwel- ten zur Entwicklung einer vorurteilsbewussten pädagogischen Praxis 4 In der Erklärung heißt es so. Seit einiger Zeit wird rassismuskri- von dem Arbeitsbereich „KiDs – Kinder vor Diskriminierung schützen“ tisch eingewendet, dass „Rasse“ ein Konstrukt ist, dem Rassis- ergänzt, der auf Diskriminierung junger Kinder aufmerksam macht mus zugrundliegt, die Aufzählung aber den Anschein erweckt, als und eine Antidiskriminierungsberatung bei Diskriminierung anbietet, gebe es sie wirklich. Daher gibt es Initiativen, den Begriff „Rasse“ die junge Kinder betriff t. https://kids.kinderwelten.net/de/ in Rechtstexten zu streichen. https://heimatkunde.boell.de/ de/2008/11/18/zur-problematik-des-begriff s-rasse-der-gesetz- 10 Derman-Sparks 2014, 5; Hervorhebung PW gebung; https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremis- mus/213673/rassen-gibt-s-doch-gar-nicht 11 Siehe das Thema der diesjährigen Baustelle Inklusion der Fachstelle Kinderwelten am 22. 9. 2020: „Aktivwerden gegen Diskriminierung 5 Die zweite Jahreszahl verweist auf das Inkrafttreten in Deutschland. – für eine demokratische Kultur in Kita und Schule“. Anmeldungen unter: www.kinderwelten.net 6 Morrison 2018, 10 wamiki.de 35
Das pädagogische Fachmagazin # 2/ 2020 D EU T S C H L A N D 8 € EU 10 € | C H 16. 5 0 C H F Thema: Nachbarschaft Ich, wir und die Anderen! 1
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