Wie funktioniert heutzutage Wettervorhersage?

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Wie funktioniert heutzutage Wettervorhersage?
Herbstschule "System Erde" - Potsdam, September 2002
DMG und GFZ

Dipl.-Meteorologe Konrad Balzer
e-mail: konradbalzer@gmx.net

     Wie funktioniert heutzutage Wettervorhersage?
         Eine kritische und vergleichende Bestandsaufnahme

1. Grundlagen der Wettervorhersage

Rückblick

Vor 126 Jahren, am 16. Februar 1876, erschien an der Deutschen
Seewarte in Hamburg die erste deutsche Wetterkarte. Das gesamte
mittels Wettertelegraphie übermittelte Depeschenmaterial bestand 3mal
täglich aus Beobachtungen von Luftdruck, Wind, Bewölkung, Temperatur
und Niederschlag von ursprünglich 36 Inlands- und ebensoviel
Auslandsstationen. 10 Jahre später waren es 100 Depeschen zwischen
Westirland und Archangelsk/Charkow und von Bodö im arktischen
Norwegen bis zur Südspitze Italiens -keinerlei 'real-time-Informationen'
vom Brocken, den Azoren, Island oder gar vom Atlantik und Amerika!
Die wenig detaillierten und vergleichsweise informationsarmen
Vorhersagen erreichten den Kunden nicht selten als 'Nachsagen', jedoch
wurde die wichtigste Klientel in den Häfen und an verschiedenen
Küstenpunkten Deutschlands mit Sturmwarnungen, so schnell es nur
irgend möglich war, versorgt.
Ansonsten wurde die verehrte Kundschaft vertraut gemacht mit
"Anleitungen zur (eigenen) Aufstellung von Wetterprognosen auf Grund
der Wetterkarten" - eine Idee übrigens, die noch in den 1930er Jahren von
renommierten Meteorologen für den Fall extrem schwieriger und
'aussichtsloser' Wettersituationen verfolgt wurde ...

Erst 36 Jahre sind vergangen, seit im Oktober 1966 in Deutschland, im
Deutschen Wetterdienst, mit der täglichen Berechnung von Wetterkarten
begonnen werden konnte. Anfangs bestand das mit mathematisch-
physikalischen Modellen per Computer simulierte 'Wetter' nur aus
Druckfeldern und Isobaren, Hochs und Tiefs, Höhenrücken und -trögen -
kein Schneefall, Bodenfrost oder SW-Sturm, nicht einmal Warm- oder
Kaltfronten.

                                                                       1
Aber die Druckfelder, die eine Wetterlage charakterisieren, wurden von
dem Duo "Modell+Computer" sehr bald genauer und detaillierter
vorhergesagt als durch die herkömmliche Kombination aus
"Meteorologe+Erfahrung".        Infolgedessen     konnte      sich    der
Vorhersagemeteorologe ("Synoptiker") in der 2. Hälfte der 60er Jahre ganz
auf die (subjektive) Interpretation der Vorhersagekarten, also die
Transformation der großräumigen Wetterlage in lokales Wetter
konzentrieren.
Jedoch, im Laufe der Zeit bemerkte man, dass zwischen dem Fortschritt
der 'numerischen Vorhersage' von Druckfeldern einerseits und dem ihrer
Transformation in tatsächliches, örtliches Wetter andererseits eine immer
größer werdende 'Schere' entstand.
Daher begann man in den U.S.A., Schweden und (Ost-)Deutschland
damit, auch diese Interpretationsarbeit zu objektivieren, d.h. mittels
statistisch gewonnener Algorithmen die Vorhersage realen Wetters
letztendlich zu automatisieren.
Das stieß, wie man sich vorstellen kann, nicht überall und bei jedem
Vorhersagemeteorologen auf ungeteilte Gegenliebe, obwohl auch immer
wieder der gegenteilige Ruf nach mehr und besserer Unterstützung durch
'den Computer' zu vernehmen war, vor allem dann, wenn es um die
Routinevorhersage neuer meteorologischer Elemente und Ereignisse ging,
wie z.B. Verdunstung, Globalstrahlung, Windböen, Starkniederschlag und
alle Aussagen in Wahrscheinlichkeitsform, wie z.B. Wahrscheinlichkeit
(=Risiko) von Nebel, Gewitter, Frost, Neuschnee > 5 cm Höhe u.s.w.

Nicht zuletzt die anhaltenden Bemühungen und Ergebnisse einer
systematischen, vergleichenden Prognosenprüfung (Verifikation) ließen es
vernünftig erscheinen, "Mensch" und "Maschine" nicht gegeneinander
auszuspielen, sondern sie zusammenzuführen. Dieser Ansatz einer
'Mensch-Maschine-Kombination' erwies sich -übrigens nicht nur in der
Meteorologie! – lange Zeit als sehr fruchtbar, da in der Regel das
gemeinsame Vorhersage-Produkt besser war als seine Einzelteile.

Parallel zur statistischen Interpretation von Vorhersagekarten, die
konkurrenzlos und immer genauer von thermo-hydrodynamischen
Vorhersagemodellen erzeugt wurden, gelang es zunehmend auch in
direkter Weise, aus dem dynamischen Modell (direct model output = DMO)
heraus, reales Wetter vorherzusagen. Es begann mit dem Niederschlag;
Lufttemperatur, Wind und Bedeckungsgrad mit Wolken in verschiedenen
Höhenniveaus folgten.

                                                                       2
Ausblick

Durch den jahrzehntelangen, internationalen Einsatz milliardenschwerer
Investitionen in Wissenschaft und Technik - in der Meteorologie hieß und heißt
das vor allem:
   • mehr Beobachtungsdaten rund um die Welt und rund um die Uhr
   • bessere Modelle und
   • schnellere Computer (s. folgende Abbildung)
hat nunmehr die Numerische (automatische) Wettervorhersage in ihrer Einheit
von Diagnose - Prognose – statistischer Interpretation einen Stand erreicht, der
es selbst dem erfahrenen Meteorologen immer schwerer macht, die Qualität
der automatischen Wettervorhersagen noch weiter zu 'veredeln', und längst gilt
dieser Fazit nicht nur für die Bereiche der mittelfristigen Wettervorhersage (3
bis 10 Tage im voraus).

                                                   Meteorologische
                                                   Computerpower

                                             12
                    FLOPS (Zehnerpotenzen)

                                             9

                                             6

                                             3

                                             0
                                             1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010

3= kilo, 6= Mega (Million), 9= Giga (Milliarde), 12= Tera (Billion), 15= Peta (Billiarde)

                   log(FLOPS) = 0.1863 JAHR – 361                            r=0.99
Ł Verzehnfachung der Rechnerleistung alle 5                                   Jahre
Grundlage obiger Abbildung bilden die wichtigsten Computer der staatlichen
Wetterdienste, die eine numerische Wettervorhersage-Routine betreiben. Der Punkt rechts
oben 'gehört' dem Deutschen Wetterdienst (DWD).

                                                                                            3
Im Ergebnis der rasanten Entwicklung von Wissenschaft und Technik
trat etwa zum Jahrhundertwechsel ein dramatischer Wandel in der Art
und Weise ein, wie und mit welchen Mitteln eine bestmögliche
Wettervorhersage erzeugt und dem interessierten Kunden angeboten
werden kann.

Überblick

Übrigens unterteilt die Meteorologie die 'Zukunft' in verschiedene Abschnitte:
    • Kürzestfristvorhersage, 0 - 12 Stunden im voraus
      (darin eingebettet der 'Nowcasting'-Bereich bis +2 Std.)
    • Kurzfristvorhersage, +12 ... +72 Stunden
    • Mittelfristvorhersage, +72 Stunden ... +10 Tage
    • Langfristvorhersagen, mehr als +10 Tage im voraus, von
      Jahreszeitenvorhersagen ist die Rede bei Vorhersagezeiträume von
      mindestens 3 Monaten.
    • Von Klimavorhersage spricht man bei Projektionen von Jahrzehnten
      (und länger).

Das folgende Schema versucht, das komplizierte Mit- und Nacheinander von
Mensch und Maschine, Beobachtung und Modell, Diagnose und Vorhersage
darzustellen, dessen erklärtes Ziel letztlich darin besteht, immer genauere,
räumlich und zeitlich detailliertere Vorhersagen für die Öffentlichkeit und die
Wirtschaft zu erzeugen, und zwar rechtzeitig und möglichst weit in die Zukunft.
                                                        Diese Grafik gibt einen
                                                        Eindruck von dem
                                                        weltumspannenden
                                                        System des
                                                        World Weather Watch
                                                        (WWW) der
                                                        meteorologischen
                                                        Weltorganisation WMO:
                                                        Zahl der Beobachtungen die
                                                        dem Europäischen Zentrum
                                                        für mittelfristige
                                                        Wettervorhersagen
                                                        (EZMW) am 1.Mai 1993 für
                                                        seine globale Wetteranalyse
                                                        zur Verfügung standen.

                                                                                  4
Geophysikalische Umwelt zu Lande, Luft und Wasser
                    ↓         ↓        ↓          ↓
         Globale Messdaten         und         Beobachtungen
                   Innerhalb eines
                   6Stundenzeitraums fallen an:
4000 - 5000 SYNOPs (automatische/bemannte Boden-
            Wetterstationen)
 600 -      700 SHIPs (Wettermeldungen vom Schiff aus)
            800 Driftbojen (unbemannte, in den Weltmeeren driftende
                         Mini-Plattformen, die Luft-/Wassertemperatur und
                         Luftdruck messen)
       42000       Bodenwindangaben von den Weltmeeren, von Satelliten
                   aus Seegangsmessungen geschätzt
                   (Scatterometer-Winde)
 600 -      700 Radiosonden-Aufstiege (Wind, Temperatur und
                                Feuchteprofile aus der Troposphäre
                                und (unteren) Stratosphäre)
3000 - 4000 automatische oder manuell übermittelte Wind- und
            Temperaturangaben von Flugzeugen aus
                   (AIREPs und AMDARs)
10000 -            vom Wettersatelliten aus bestimmte vertikale
11000              Temperaturprofile (SATEMs)
1000 - 2000 satelliten-gestützte Winddaten, geschätzt aus dem
            Wolkenzug in verschiedenen Höhen (SATOBs)
 Quelle: Ewen Mc Callum, Meteorologischer Dienst, Bracknell, U.K. (1996)
                                  ↓
                    Daten sammeln und bearbeiten
                                  ↓
                       Analyse und Assimilation
                                  ↓
         Mathematisch-physikalische Modelle der numerischen
                          Wettervorhersage
            ↓                                        ↓
          DMO                             Statistische Interpretation,
 direkte Modell-Produkte

                                                                            5
↓
       statistische
    Nachbearbeitung
  z.B. mittels KALMAN-
           Filter
                                 ↓
                            Subjektive
                 →        Interpretation      ←
                   durch den Meteorologen vom
                              Dienst
                                 ↓
                   → Wettervorhersagen      ←
                                für
                              Nutzer

2. Zur Verifikation von Wettervorhersagen

    Natur                    Daten                  Wissen

                            Verifikation

Gesellschaft               Aussagen                Modelle

Verifikation, also die Überprüfung prognostischer Aussagen an der Realität
der Beobachtungs- und Messdaten, stellt einen wichtigen Feedback-
Mechanismus zur Höherentwicklung des Systems "Meteorologie" dar.
Außerdem erlaubt sie die Beantwortung einer Reihe praktisch wichtiger
Fragen, wie zum Beispiel:

                                                                             6
Wie gut sind heutzutage Wettervorhersagen?

Eine einfache und notwendige Frage - aber sie ist nicht ganz leicht zu
beantworten.
Das liegt nicht etwa daran, dass der Wetterdienst – egal ob staatlich oder privat
betrieben - hinsichtlich der Qualität seiner Wettervorhersage-Angebote in
"Beweisnot" käme, sondern an der Notwendigkeit, dass wir uns verständigen
müssen, was wir unter "gut" verstehen wollen.

Abb.1 Fehlerhäufigkeiten (=Differenz "beobachtet" – "vorhergesagt") bei der Vorher-sage
der morgigen höchsten Lufttemperatur für 14 Orte in Deutschland, Jahr 2000
                                              empirisch       theoretisch

                           1400

                           1200
   absolute Häufigkeiten

                           1000

                            800

                            600

                            400

                            200

                              0
                                  -9   -6       -3        0       3         6        9
                                            Prognosefehler EIN-VOR (K)

Die Säulen stellen die bei der Verifikation ermittelten (absoluten) Häufigkeiten
aller 4985 Einzelfehler dar. Sie können ziemlich befriedigend durch die
Gauß'sche Normalverteilung angenähert werden, die alle vom ehemaligen 10-
DM-Schein kennen:
                                          Zwei Parameter bestimmen sie
                                          eindeutig: der Erwartungswert des
                                          Fehlers (ideal=0) und seine Streuung
                                          um diesen Mittelwert, die hier 1.85K
                                          beträgt – je kleiner, um so besser,
                                          und umgekehrt!
                                                              Im folgenden verwenden wir das geeignetere
                                                              Fehlermaß rmse. Es gilt: rmse=0 nur bei einer
                                                              perfekten , d.h. völlig fehlerfreien Vorhersage.

                                                                                                            7
Ein Maß für die Vorhersageleistung

Mag sein, dass ein rmse-Wert von, sagen wir, 4 K, mit dem heutzutage erst
am 8. Folgetag zu rechnen ist, für den einen oder anderen Nutzer zu groß ist.
Natürlich wäre uns allen ein sehr viel kleineres rmse und damit eine sehr viel
genauere Vorhersage lieber.
Andererseits ist es völlig illusorisch, jemals zu erwarten, dass Vorhersagen für
den 8. Folgetag so genau sein könnten wie für den 4. oder 2., dass also die
Länge      des     Vorhersagezeitraumes         keinen     Einfluss   auf   die
Vorhersagegenauigkeit hätte.
Wir können uns dies gut am Beispiel einer Schützenscheibe verdeutlichen: Je
geringer die Distanz, von wo aus gezielt und geschossen wird, um so genauer
wird ins Schwarze getroffen - und umgekehrt!

Trotzdem, es bleibt die Frage, bei welchen Prüfmaßen - egal, ob rmse oder
Treffer -eine Vorhersage nicht mehr lohnt, ihren Sinn verliert. Offenbar doch
dann, wenn andere Informationen, die mit der eigentlichen Wettervorhersage
nichts zu tun haben, bessere Ergebnisse erzielen. Welche könnten das sein?

Unser Wetter kann zwar rasch wechseln, aber keine beliebig großen Sprünge
machen, d.h. es neigt dazu, sich von Tag zu Tag nur innerhalb gewisser
Schranken zu ändern; wir Meteorologen sprechen von einer Erhaltungsneigung
des Wetters.
Ebenso bemerken wir mehr oder weniger große Abweichungen vom
normalerweise zu erwartende Wetter: aber auch diese Abweichungen vom
sogenannten Klima-Normalwert können nicht beliebig groß sein.

Mit anderen Worten: Erhaltungsneigung und lokales Klima besitzen eine
gewisse Information auch über das morgige Wetter oder das in 3 Tagen usw..
Mithin ergibt sich ein sehr anschauliches und objektives Maß der
Vorhersagegüte, indem wir die 'echte' Vorhersage mit der kostenlosen
'Persistenzvorhersage' ("Morgen so wie heute") oder der (im Prinzip ebenfalls
bekannten) 'Klimavorhersage' ("Das Wetter entspricht genau den vieljährigen
Durchschnittswerten") vergleichen, etwa so:
                               1 - (rmse/rmseref)²
'ref' ist die jeweils genauere der beiden Referenzvorhersagen.
Die so berechnete Güte nennen wir RV (Reduktion der Fehlervarianz).
RV ist sehr leicht zu interpretieren:
    RV = 1 oder 100% nur bei völlig fehlerfreier, idealer Vorhersage
    RV < 0, wenn die echte Vorhersage ungenauer ist als die (kostenlose)
                Referenzstrategie.
Beispiel: Fehlervergleich von 5 verschiedenen Strategien zur Vorhersage der
täglichen Maximumtemperatur, Jahr 2001, 6 deutsche Orte

                                                                              8
6,5

            6
                                     Persistenz
  5,5

            5
  Fehler rmse [K]

  4,5                   Klima

            4

  3,5

            3

  2,5
                                    Endvorhersage
            2

  1,5
                    0      1    2   3      4
                                        Tage im 5voraus
                                                     6    7    8      9       10

Kurven in pink, rot: 2 verschiedene vollautomatische Mittelfristvorhersagen

Diese Abbildung ist - das zeigen Vergleiche mit anderen Wetterelementen – so
typisch, dass wir folgendes allgemeine Fazit ziehen können:
• Im Mittelfristzeitraum sind Klimavorhersagen genauer, (d.h. rmse kleiner) als
   Persistenzvorhersagen, was übrigens nichts anderes bedeutet, als dass
   unser Wetter zwar eine gewisse Erhaltungsneigung besitzt, aber nach 2 bis
   3 Tagen drängt es stärker zum Normalwert als zur Beibehaltung des jetzigen
   Zustands.
• Zur Gütebeurteilung RV von Mittelfristvorhersagen muss deshalb der
   Vergleich mit der Klimastrategie gezogen werden.
• rmse nimmt zu und RV nimmt ab bei größer werdender Zeitdistanz mit
   ziemlich einfacher Gesetzmäßigkeit, so dass wir den wichtigen Zeitpunkt t
   bestimmen können, wo die gegenwärtige, praktische Grenze der
   Vorhersagbarkeit mit rmse = rmseKlima bzw. RV = 0 liegt, hier zwischen 8.
   und 9. Folgetag .

                                                                                   9
3. Ergebnisse
• Eine echte Leistung in der Vorhersage wichtiger Wetterelemente ist
  heutzutage in der Regel 1 Woche im voraus nachweisbar - und das unter
  schärfsten Prüfbedingungen, nämlich ortsbezogen und bei tageweiser
  Detaillierung. Mit anderen Worten: Die Fehler verringern sich, wenn statt
  eines Ortes ein Gebiet und statt Einzeltag die Summe oder der Durchschnitt
  mehrerer Tage (für den Kunden) relevant ist.

• Durch (lineare) Ausgleichung und Extrapolation lässt sich der Zeitpunkt t
  bestimmen, bis zu dem Vorhersagen Sinn machen, d.h. genauer sind als
  (kostenlose) Alternativen (siehe folgende Abbildung).

• Prognosefehler wachsen monoton mit zunehmender Vorhersagedistanz.
  Leider wird aber daraus nicht immer die richtige Konsequenz gezogen.
  Wenn zum Beispiel jemand wissen will, welches Wetter in 4 Tagen zu
  erwarten ist, dann sollte er nicht auf eine 7tägige Prognose, die vor 3 Tagen
  ausgesprochen wurde, zurückgreifen, sondern sich an der heutigen
  Prognose für den 4. Folgetag orientieren. Nur so lässt sich das Fehlerrisiko
  minimieren.

Mit anderen Worten: So, wie eine Kurzfristvorhersage (z.B. für das morgige
   Wetter) auch mehrmals am Tage auf den neuesten Erkenntnisstand
   gebracht wird, so erfordert eine Mittelfristvorhersage (mindestens) eine
   tägliche Aktualisierung auch um den Preis einer 'subjektiven
   Verunsicherung', die dann sichtbar wird, wenn die Prognose für einen festen
   Zieltag mit kürzer werdender Distanz nicht immer dieselbe bleiben kann,
   sondern - scheinbar willkürlich - in gewissen Grenzen schwankt.
Diese Differenzen sind unvermeidlich, spiegeln sie doch überwiegend die
   objektiven Schwierigkeiten jeder Prognose wider.

Und ihnen kann auch der beste Meteorologe nicht dadurch entgehen, dass er
  'mutig' an seiner gestern oder vorgestern ausgegebenen Vorhersage
  festhält, um den Kunden nicht 'unnötig' zu irritieren. In Wahrheit verhindert
  dieser 'Mut', dass der Kunde stets das Beste zu seiner heutigen(!)
  Entscheidungsfindung erhält.

  Wenn er nicht heute entscheiden muss, kann er ohnehin warten ...

                                                                            10
Wie weit im voraus lässt sich heute vorhersagen?

                            Zeitspanne der Vorhersagbarkeit
                                             DWD 2001

            dd

        RR j/n

          PET

      fx>12 j/n

          MAX

          MIN

           SD

          NW0

             ff

                  0          2        4           6     8   10   12
                      Tage im voraus (effektiv)

dd, ff = Bodenwindrichtung und –geschwindigkeit
MIN, MAX = tägliches Temperaturminimum, -maximum
SD = tägliche Sonnenscheindauer, NW0 = Niederschlagswahrscheinlichkeit
RR j/n = einfache, alternative Aussage: Niederschlag ja/nein
fx>12 j/n = maximale Windspitze > 12 m/s ja/nein

Es mag verwundern, dass die Vorhersagbarkeit der Windgeschwindigkeit so
gering ausfällt, wo doch die Transformation des vergleichsweise gut
vorherzusagenden Druckfeldes in eine Bodenwindgeschwindigkeit eher zu
den leichtesten Übungen der Wettervorhersage gehört. Auch nicht, wie man
denken könnte, die besondere Schwierigkeit, eine meteorologische Größe
genau für einen Zeitpunkt vorherzusagen (hier: 12 UTC), ist schuld daran,
sondern die geringe klimatologische Variabilität der täglichen Einzelwerte um
den monatlichen Mittel- oder Erwartungswert.

                                                                           11
Kürzestfristige Wettervorhersagen für Flughäfen

Sie gehören zu den schwierigsten Herausforderungen der Wettervorhersage,
auch wenn es in der Regel nur um Stunden und nicht um Tage geht; aber
gefragt sind 'präzise' Punktvorhersagen z.B. für Berlin-Tegel – und nicht für
das Land Brandenburg.
Außerdem entscheiden, auch in Zeiten hervorragender AUTOPILOTEN, vor
allem zwei schwierig vorherzusagende Wetterelemente über Start und
Landung ... oder Schließen des Airports : die horizontale Sichtweite und die
Höhe der flugentscheidenden Wolkenuntergrenze (Ceiling).
Dabei spielt das Unter- bzw. Überschreiten bestimmter, international klar
definierter Schwellenwerte die entscheidende Rolle.

                                   Sicht                       Prognosengüte HSS1 im
                                   Ceiling                     Winterhalbjahr 2000/01 für 17
                                                               deutsche Flughäfen in Abhängigkeit
                                   gefrierender Niederschlag
                                                               vom Vorhersagezeitraum (Abszisse)
                                   Windböen                    und von vier verschiedenen
                                                               meteorologischen Elementen.
                  70
                                                               Bei vorsichtiger Extrapolation der
                  60                                           erhaltenen Verifikationsergebnisse
                                                               darf man das gegenwärtige Ende
                  50                                           der praktischen Vorhersagbarkeit
Gütemaß HSS (%)

                                                               dieser Größen bei 13 bis 18
                  40
                                                               Stunden im voraus vermuten,
                                                               lediglich die Windböen, genauer:
                                                               das Unter- oder Überschreiten der
                  30                                           stündlichen(!) Windspitzen von 12
                                                               bzw. 20 m/s, scheinen über 24
                  20                                           Stunden hinaus vorhersehbar zu
                                                               sein.
                  10

                  0
                          1         4,5           8
                       Stunden im voraus

1
            HSS = 0: keine Prognoseleistung, HSS = 100: perfekte Prognose
                                                                                               12
Zum Jahresgang von Vorhersagefehler und -güte

Ein anderes interessantes Ergebnis der Verifikation meteorologischer
Vorhersagen ist die Tatsache, dass die Vorhersagegenauigkeit, selbst im
Durchschnitt, d.h. bei Ausgleich unterschiedlicher täglicher Wetterlagen, nicht
immer dieselbe ist, sondern im Verlauf eines Kalenderjahres klar erkennbare
Höhen und Tiefen aufweist.

                                 2,1

                                                                     DWD, SYN(14)
                                 2,0                                     1/98 - 12/00

                                 1,9
     Vorhersagefehler rmse [K]

                                 1,8                                      MAX

                                 1,7

                                 1,6

                                 1,5
                                                               MIN
                                 1,4

                                 1,3
                                       J   F   M   A   M   J   J     A     S    O       N   D   J

Jahresgang des Fehlers rmse bei der kurzfristigen Vorhersage der morgigen Tiefst- und
Höchsttemperatur (MIN, MAX).
14 bis 17 deutsche Orte, 1/98 – 12/00 = 3 Jahre
Besonders prägnant fallen die besonderen Vorhersageprobleme von MAX im Frühjahr und
von MIN im Hochwinter ins Auge.

                                                                                                    13
66
                                                                                                   Jahresgang der Güte RV
                                  64
                                                                                                   (im Vergleich mit der
                                                                                                   Erhaltungsneigung)
                                                                                                   kurzfristiger Vorhersagen
mittl. RV(%) relativ Persistenz

                                  62                                                               der Temperatur, der
                                                       1997 - 2000                                 Wolkenbedeckung, des
                                  60                                                               Niederschlags und des
                                                                                                   Windes für 17 bis 14 Orte
                                                                                                   und 2 verschiedenen
                                  58                                                               Zeiträumen. Zunächst ist
                                                                                                   unschwer ein
                                  56                                                               Leistungsfortschritt für
                                                                                                   jeden Monat
                                                                                                   festzustellen.
                                  54
                                                                                 1994 - 1996
                                  52

                                  50
                                       1   2   3   4     5    6      7   8   9   10 11 12      1

        Diese Abbildung zeigt aber außerdem, dass es in der Tat im Laufe eines Jahres ziemlich
        klare Zeitabschnitte gibt, wo bestimmte, vorherrschende Wetterlagen oder der 'schwierige'
        Übergang von der Winter- in die Sommerzirkulation (sogar kurzfristige!) Prognoseprobleme
        bereitet.

        Trends der Vorhersagequalität

        Der Deutsche Wetterdienst (DWD) verfügt über Qualitätskontrollen seiner
        Vorhersagen, die - je nach Wetterelement und Ort - 15 bis 30 Jahre
        zurückreichen.    Da   beim    größten    Teil  dieser   Ergebnisse     die
        Verifikationsmethode nicht geändert wurde, ist er in der glücklichen Lage,
        verlässliche Aussagen über den Trend der Vorhersagequalität zu treffen.

                                                                                                                         14
Kurzfristvorhersage

Die folgenden Abbildungen zeigen den Trend des Vorhersagefehlers rmse für
5 verschiedene Wetterelemente seit April 1984:
dicke Kurve = Vorhersagemeteorologe (15UTC),
dünne Kurve = automatische Vorhersage, die dem Meteorologen ca. 8 Stunden
früher vorliegt.
Jeder Kurvenpunkt repräsentiert ein übergreifendes 3-Quartalsmittel!

              3,1
                            MIN
              2,8

              2,5
 rmse (K)

              2,2

              1,9

              1,6

              1,3
                    I84
                             I85
                                         I86
                                                I87
                                                         I88
                                                                     I89
                                                                             I90
                                                                                     I91
                                                                                                  I92
                                                                                                          I93
                                                                                                                  I94
                                                                                                                                I95
                                                                                                                                        I96
                                                                                                                                                I97
                                                                                                                                                              I98
                                                                                                                                                                      I99
                                                                                                                                                                             I00
                                                                                                                                                                                           I01

              2,8
                            MAX

              2,5
   rmse (K)

              2,2

              1,9

              1,6
                    I84

                                                I87

                                                                             I90

                                                                                                          I93

                                                                                                                                        I96

                                                                                                                                                                      I99

                                                                                                                                                                                                   I02
                          IV84

                                         II86

                                                      IV97

                                                                      II89

                                                                                   IV90

                                                                                                   II92

                                                                                                                IV93

                                                                                                                                 II95

                                                                                                                                              IV96

                                                                                                                                                               II98

                                                                                                                                                                            IV99

                                                                                                                                                                                            II01
                                 III85

                                                             III88

                                                                                          III91

                                                                                                                        III94

                                                                                                                                                      III97

                                                                                                                                                                                   III00

                                                                                                                                                                                                         15
3,1

                       Termintemperatur
              2,8

              2,5
   rmse (K)

              2,2

              1,9

              1,6

              1,3
                    I84 I85 I86 I87 I88 I89 I90 I91 I92 I93 I94 I95 I96 I97 I98 I99 I00 I01

      42
      40
      38
                             Bedeckung
      36
rmse (%)

      34
      32
      30
      28
      26
      24
      22
              I84 I85 I86 I87 I88 I89 I90 I91 I92 I93 I94 I95 I96 I97 I98 I99 I00 I01

                                                                                              16
2,4

                                                                                                              Windgeschwindigkeit
              2,2

              2,0
 rmse (m/s)

              1,8

              1,6

              1,4
                    I84

                          IV84

                                                I87

                                                      IV87

                                                                            I90

                                                                                  IV90

                                                                                                        I93

                                                                                                              IV93

                                                                                                                                    I96

                                                                                                                                          IV96

                                                                                                                                                                I99

                                                                                                                                                                      IV99
                                 III85

                                         II86

                                                             III88

                                                                     II89

                                                                                         III91
                                                                                                 II92

                                                                                                                     III94

                                                                                                                             II95

                                                                                                                                                 III97

                                                                                                                                                         II98

                                                                                                                                                                             III00

                                                                                                                                                                                     II01
Der Fehler rmse bei der DWD-Vorhersage täglicher Tiefst- und Höchsttemperaturen,
Termintemperaturen, –Bedeckungsgrade mit Wolken und -Windgeschwindigkeiten für
morgen.
Stichprobe: April 1984 bis März 2002

Fazit:
  Selbst zeitlich ausgeglichene Mittelwerte des Vorhersagefehlers mehrerer
  Orte schwanken innerhalb gewisser Grenzen, nicht nur von Quartal zu
  Quartal, sondern auch von Jahr zu Jahr. Trotzdem erkennt man, auch ohne
  eine statistische Analyse, insgesamt einen positiven Trend des Fehlers
  rmse, d.h. er nimmt ab.
  Auch Perioden mit einer unerklärlichen Fehlerzunahme (Wit-
  terungsanomalien?) vermögen nicht, den allgemeinen Trend umzukehren,
  höchstens, ihn zu verlangsamen.

                                                                                                                                                                                            17
Von Potsdam liegt sogar eine über 30jährige Verifikationsreihe für mehrere
meteorologische Elemente vor, von denen wir hier nur die für MIN und MAX,
also die Vorhersage der täglichen Temperaturextreme, zeigen wollen.

Mittlerer Fehler rmse(K) Potsdamer Vorhersagen der täglichen MIN- und MAX-Temperatur

       3,0

                                              RV in 30 Jahren:

       2,5
                                    MAX [K]

                                                        54%
       2,0

             MIN [K]

       1,5                                    51%

       1,0
         1970      1975      1980      1985      1990      1995      2000

                                       Jahr

seit 1971

Der typische Fehler bei MAX um 1970 betrug 2.67K, 30 Jahre später 1.82K.
Dies entspricht einer Reduktion der Fehlervarianz um 54%.

Oder anders interpretiert:

     Betrug das Risiko eines >5K großen Fehlers vor 30 Jahren 6.1%, so sank es
  inzwischen auf 0.6%, d.h. statt 22 mal im Jahr, ist jetzt nur 2 mal im Jahr mit solch
                        einem extremen Fehler zu rechnen!

                                                                                      18
60

                                                                                                extrapoliert
                                              50
                        RV in 16 Jahren [%]

                                              40

                                              30

                                              20

                                              10

                                               0
                                                     MIN        dd      ff     T     MAX        B         fx    N.0

Reduktion der Fehlervarianz (%) im Zeitraum 1984 bis 2000 bei der kurzfristigen Vorhersage
von Standard-Wetterelementen im DWD.
Während die Genauigkeit in der Wind- und Temperaturvorhersage kräftig zulegen konnte, ist
dies bei "Windspitzen" und "Niederschlag: JA/NEIN" noch nicht der Fall.

                                                                                                               Im DWD erreichter Stand der
                                                   Güte der numerischen RR-Vorhersage                          voll-automatischen
                                                           als Funktion von Vorhersagezeit                     Vorhersage 12stündiger
                                                             und Intensität (mm/12 Std.)                       Niederschlagsmengen.
      70                                                        DWD(14), Jahr 2001                             Ordinate: ein Gütemaß mit
                                                                                                               0=keine, 100=perfekte
                                                                                                               Vorhersageleistung.
      60
                                                                                                               Intensität:grün>0,
                                                                                                               braun>0,5,blau>3,
      50
 Heidke Skill Score %

                                                                                                               pink>10mm/12 Stunden.

      40                                                                                                       dicke Kurve= Globales
                                                                                                               Modell GME,
                                                                                                               dünne Kurve =
      30                                                                                                       engermaschiges lokales
                                                                                                               Modell LM.
      20                                                                                                       Wichtigstes Ergebnis:
                                                                                                               Selbst seltene
      10                                                                                                       Starkniederschläge sind
                                                                                                               heutzutage im gesamten
                                                                                                               Kurzfristzeitraum (bis 3 Tage
                    0                                                                                          im voraus) vorhersagbar!
                                              0            24          48 im voraus
                                                                     Stunden 72            96         120

                                                                                                                                         19
Mittelfristvorhersage

                                                                             Die Entwicklung der
                                                                             wissenschaftlichen
                        80
                                                                             Vorhersageleistung RV
                                                                             bei der Vorhersage der
                        70                                                   täglichen
                                                                             Maximumtemperatur für
                        60                                                   Potsdam für den 2. bis
                                                                             4.Folgetag
  RV% rel.Klimanormal

                                                                             (der 0.Tag ist der
                        50                                                   Ausgabetag der
                                                                             Prognose).
                        40
                                                                             Vor 30 Jahren war es
                                                                             z.B. noch nicht möglich,
                        30
                                                                             über 72 Stunden hinaus
                                                                             zu sehen!
                        20                                                   Spannend bleibt die noch
                                                                             ungeklärte Frage nach
                        10                                                   der maximal möglichen
                                                                             Vorhersageleistung RV:
                                                                             liegt sie bei 90 oder doch
                         0                                                   eher schon bei 70 bis
                             1971 1975   1980   1985    1990   1995   2000   80% ?
                                                 Jahr

Ein beeindruckender Fortschritt in einer historisch kurzen Zeitspanne!

Fragt man nach den Gründen, so kommt nicht nur eine einzige Ursache in Frage. Auf
mehreren, verschiedenen Gebieten von Wissenschaft und Technik wurden in jenen
Jahrzehnten große Fortschritte erzielt:
   • Vor allem dank der meteorologischen Satellitentechnik gelingt eine immer vollständigere
       und genauere Kenntnis des "Anfangszustandes" (Ł numerische Analyse als
       Voraussetzung einer numerischen Prognose) der globalen meteorologischen
       Prozesse.
   • Die physikalische und mathematische Ausstattung der hydro-thermodynamischen
       Vorhersagemodelle wurde immer besser und effizienter.
   • Die Computerpower wächst nach wie vor exponentiell!
   • Als unverzichtbar in der täglichen Prognose realer, lokaler Wetterelemente und –
       ereignisse haben sich die ebenfalls computerisierten, statistischen Methoden und
       Verfahren des "post-processing" herausgestellt.

                                                                                                    20
36

                                                            AFREG-MIX
                                      33
     Prognoseleistung RV% rel.Klima

                                      30
                                                                              Finalvorhersage
                                      27

                                      24
                                                                                              AFREG-

                                      21

                                      18
                                           1993

                                                  1994

                                                         1995

                                                                1996

                                                                       1997

                                                                                1998

                                                                                       1999

                                                                                                2000

                                                                                                       2001
Leistungstrend in der mittelfristigen Wettervorhersage von Temperatur, Wind,
Sonnenschein und Niederschlag für 2 bis 7 Tage im voraus.
(DWD, 4-6 Orte in Deutschland)
Die "Jahreszahl" bezeichnet das jeweilige "Sommerhalbjahr", dazwischen das
"Winterhalbjahr".

Die mittlere, grüne Kurve und Trendgerade identifiziert die offizielle Final-Vorhersage, die
untere, blaue eine automatische Vorhersage auf der Grundlage von Druckfeldvorhersagen
allein des EZMW (Europäisches Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage in Reading bei
London).

Die obersten, roten Kurven weisen auf Verbesserungspotentiale hin, die künftig (nur) bei
konsequenter Nutzung der DWD- und EZMW-Vorhersagekarten (und einem geeigneten
statistischen Interpretationsansatz) erzielt werden können!
Mit anderen Worten: Das bisher notwendige Zusammenspiel von "Mensch"
(=Vorhersagemeteorologe) und "Maschine" (=Ergebnisse der numerischen und statistischen
Wettervorhersage) ist unter Druck geraten. Dem Experten fällt es immer schwerer,
wesentliche "Veredlungsleistungen" gegenüber dem reinen "Maschinenprodukt" zu
erbringen.
Diese Tatsache offenbart sich aber nur dem Wetterdienst, der über zeitgemäße Verfahren
eines nationalen "post-processings" und über eine leistungsfähige Routine-Verifikation
verfügt!

                                                                                                              21
10 Jahre praktischer Umgang mit dem Deterministischen Chaos

Noch einmal zurück zur obigen roten Erfolgskurve von AFREG-MIX. Was verbirgt sich
dahinter?

Zunächst einmal eine 'einfache' Lösung eines 'ärgerlichen' praktischen Problems im
meteorologischen Alltag – die mit zunehmendem Vorhersagezeitraum ebenfalls wachsenden
Unterschiede in den Modellergebnissen verschiedener Zentren, wie DWD-Offenbach,
MetOffice-Bracknell, EZMW-Reading, MeteoFrance-Toulouse, US-amerikanischer
Wetterdienst,...).

Die meisten 'Experten' waren über Jahrzehnte der Ansicht, es gehöre zur täglichen Aufgabe
eines erfahrenen Meteorologen, das jeweils beste/bessere Modell auszuwählen und darauf
seine Wettervorhersage zu gründen. Ein fataler Irrtum!

Der zunächst 'abwegige' Gedanke, auch hier einfach den 'goldenen Mittelweg' zu wählen,
also zu mitteln, erwies sich –dank starker Verifikationsargumente- nämlich als die Methode
der Wahl! Nichts anderes stellt obiges AFREG-MIX im Falle zweier Prognosezentren,
Offenbach und Reading, dar.
Es konnte sogar nachgewiesen werden, dass sich dieser MIX-Effekt bei Verwendung zweier
weiterer Angebote (Bracknell und Washington) verdoppelt. Leider standen im wesentlichen
technische Probleme einer praktischen, zeitkritischen(!) Umsetzung bisher im Wege.

Diese, im Meteorologischen Dienst der damaligen DDR bereits Ende der 1980er Jahre
gewonnenen Erfahrungen erwiesen sich in der Folgezeit als eine erfolgreiche Reaktion auf
die Herausforderung des sog. Deterministischen Chaos.

Leider ist hier nicht der Platz, auf dieses interessante Stichwort von grundsätzlicher
Bedeutung näher einzugehen (Ł Chaostheorie, dissipative Strukturen, komplexe
Systeme,...), aber mit einer Erscheinungsform bzw. Konsequenz hat die Meteorologie täglich
mehrfach zu tun – dem Divergieren prognostischer Lösungen wegen unmessbar kleiner
Unterschiede (Fehler) in den Beobachtungsdaten bzw. dem daraus abgeleiteten
Anfangsfeld.

Seit 10 Jahren wurde (in Reading und Washington) aus dieser Not eine Tugend gemacht:
Das globale Diagnose- und Prognosemodell läuft nicht nur einmal, sondern bis zu 50(!) mal
mit jeweils bewusst veränderten Anfangsfeldern, deren Unterschiede 'unmerklich' und
kleiner als die Messfehler sind.
Statt einer, 'deterministischen' Lösung erhält man ein ganzes Ensemble von
Lösungsmöglichkeiten. Mittlerweile wird mehr als die Hälfte der stetig wachsenden
Computerpower für dieses Ensemble Prediction System (EPS) aufgewendet.

                                                                                        22
Aus der Vielzahl prognostizierter
                                                         Wetterelemente im
                                                         4dimensionalen Raum wählen
                                                         wir Europa und Umgebung, die
                                                         Lufttemperatur im Niveau 850
                                                         hPa (in ca. 1,5km Höhe), die
                                                         2tägige Vorhersage vom 1.7. für
                                                         den 3.7.2002 und das US-
                                                         amerikanische EPS-Modell mit
                                                         10 Ensemblemitgliedern.
                                                         Um nicht im 'Datenchaos' zu
                                                         versinken, werden für diese
                                                         Grafiken immer nur die 3
                                                         Isothermen –15, 0 und 15 °C
                                                         dargestellt.

                                                      Das nun sichtbar gemachte
Möglichkeitsfeld nimmt dabei die Form von "Spaghettis" an (Ł "Spaghetti-Plot").

                                                         Versucht man, weitere 4 Tage in
                                                         die Zukunft zu schauen,
                                                         verschwimmen manche
                                                         Strukturen im 'Chaos' (Ł 0°C-
                                                         Isotherme im isländisch-
                                                         grönländischen Raum), während
                                                         die erwartete Lage der 15 °C-
                                                         Isotherme über Süd- und
                                                         Osteuropa vergleichsweise
                                                         genau angegeben werden kann.

                                                          Nun sind solche Prognosekarten,
                                                          so schön sie auch anzuschauen
                                                          sind, kein Selbstzweck, sondern
                                                          in der Regel wird ein
                                                          'deterministischer' Input für
                                                          Nachfolgemodelle benötigt, z.B.
die wahrscheinlichste Temperatur in 850 hPa zur Ableitung der erwarteten Höchsttemperatur
in Bodennähe.

Diesem Erfordernis kommt nun zum Beispiel eine arithmetische Mittelung obigen
'probabilistischen' Feldes nahe, siehe folgende Abbildung:

                                                                                        23
Eine andere interessante Darstellungsform ergibt sich bei der Beschränkung auf nur einen
Ort, z.B. Berlin; jetzt kann man dafür die gesamte Zeitreihe darstellen. Es ergibt sich dabei
die typische Form einer Rauchfahne (plume), auch hier stellt das einfache arithmetische
Mittel aus allen Möglichkeiten (dicke Kurve) den besten Schätzwert dar.

                                                                                                24
4. Nachwort
 • Zum Thema Langfristvorhersage, also Witterungsvorhersagen über 10
    Tage hinaus, ist zu sagen, dass die Schwierigkeiten dieses
    Vorhersageproblems in der Vergangenheit , selbst von der WMO, eher
    unterschätzt wurden. Gegenwärtig arbeiten weltweit ein paar große
    Zentren an der Entwicklung und Verbesserung der Grundlagen.
    Testweise gibt es auch Monats- und Quartalsvorhersagen bezüglich
    erwarteter Temperatur- und           Niederschlagsabweichungen       vom
    Klimanormalwert. Jedoch ist die stabil, d.h. in einer hinreichend großen
    Stichprobe, nachweisbare Prognoseleistung für außertropische Gebiete
    eher noch dürftig zu nennen, und für ein Quartal im voraus fehlt sie fast
    völlig.
 • Das hängt damit zusammen, dass zwar mit dem El Nino-Phänomen ein
    sehr wichtiger Oszillator des Weltklimas aufgedeckt werden konnte, der
    zudem noch recht gut vorhersagbar zu sein scheint – allein: sein
    erkennbarer Einfluss auf die Witterung der gemäßigten Breiten ist eher
    marginal zu nennen.
 • Außerdem verschärft sich in der Langfristvorhersage ein auch in der
    Mittelfrist prinzipiell bekanntes Phänomen, dass nämlich die
    Prognosegüte sehr wahrscheinlich vom Zeitpunkt ihrer Erstellung
    abhängt, d.h. nicht jeder Augenblickszustand der globalen
    atmosphärischen Zirkulation erlaubt es dem Meteorologen, gleich weit
    und gleich sicher in die Zukunft zu schauen. An diesem ernsten Problem
    der 'Vorhersage der Vorhersagegüte' wird international seit etwa 10
    Jahren im Rahmen des oben kurz erwähnten EPS angestrengt
    gearbeitet.

  Eines aber wird immer deutlicher: eine vergleichende Verifikationsarbeit ist
 notwendiger denn je, um zum Beispiel

       o zu wissen (und nicht nur, es zu behaupten!), ob das noch
         weitgehend ungelöste Problem der Langfristvorhersage mithilfe der
         international entwickelten und betriebenen Prognosemodelle
         schrittweise, aber mit Erfolg attackiert wird,
       o herauszubekommen, welche Prognoseaufgaben nunmehr doch
         besser vom "Automaten" erledigt werden können (oder auch
         nicht), um sicherzustellen, dass die Kunden wirklich das beste
         Produkt erhalten,
       o besonders interessierten oder sensiblen Anwendern das Restrisiko
         "falscher Vorhersagen" quantitativ mitzuteilen,

                                                                           25
o gesicherte Aussagen über Fortschritt oder Stagnation, kurz: über
            den Leistungstrend in der praktischen Wettervorhersage zu treffen;
            denn die Gesamtheit aller wissenschaftlich-technischen
            Bemühungen in Forschung, Lehre und Dienst (und ihrer
            Finanzierung!) macht nur Sinn und lässt sich am Ende nur
            dann rechtfertigen, wenn die Qualität der Vorhersehbarkeit
            von lokalem Wetter, regionaler Witterung und des globalen
            Klimas weiter erhöht werden konnte.

Wer mehr über den aktuellen Stand in der Wetter- und Klimavorhersage wissen
möchte, dem sei die folgende Publikation empfohlen, bei der die Autoren vor allem an die
interessierten Nicht-Fachleute gedacht haben, was aber nicht bedeutet, dass selbst
gestandene Meteorologen nicht ebenfalls Gewinn ziehen könnten:

    "Wettervorhersage: Mensch und Computer – Daten und Modelle"

von Konrad Balzer(Potsdam), Wolfgang Enke und Werner Wehry(Berlin)

ISBN 3-540-64186-6 Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York , 1998

                                                                                      26
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