"The Da Vinci Code"- Dichtung oder Wahrheit?

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„The Da Vinci Code“–
                      Dichtung oder Wahrheit?
                  Basiert Sakrileg (The Da Vinci Code) auf
                  Fakten, oder ist diese Behauptung des Autors die
                  größte Fiktion des Romans?

                  Im März erschien in den USA die Taschenbuchausgabe, im
                  Mai lief weltweit der Film an – und weder Dan Browns
                  Mega-Bestseller noch die Kontroverse, die ihn umgibt,
                  lassen irgendwelche Anzeichen des Nachlassens erken-
                  nen. Für diejenigen, die sich noch immer fragen, worüber
                  sich alle aufregen, hier ein Überblick.

                  ____Dan Brown, der Autor des Mega-Bestsellers Sakrileg
                  (im englischen Original: The Da Vinci Code), hat ein neues
                  literarisches Genre geschaffen: den quasi-religiösen Ver-
                  schwörungstheorie-Thriller mit entschiedenem Reiz für Sym-
                  pathisanten der New-Age-Religion. Der Roman von Brown
                  steht seit über drei Jahren ohne Unterbrechung auf diver-
                  sen Bestsellerlisten inklusive der New York Times; sein inter-
                  nationaler Erfolg wurde noch verstärkt durch eine Verfil-
                  mung mit Tom Hanks in der Hauptrolle, aber auch durch
                  Browns erfolgreiche Verteidigung in einem Aufsehen erre-
                  genden Gerichtsverfahren wegen Verletzung des Urheber-
                  rechts, angestrengt von den Autoren eines Buches, das er
                  als eine seiner Quellen anerkennt.
                  ____In der Story von Sakrileg ist die römisch-katholische
                  Kirche in einen verzweifelten Versuch verwickelt, historische
                  Beweise dafür zu vernichten, dass der Heilige Gral gar kein
                  Kelch ist, sondern etwas so Verheerendes, dass es, wenn es
                  offenbar würde, die Grundfesten des Christentums selbst
                  untergraben würde: die wahre Rolle der Maria Magdalena.
                  Der labyrinthisch gewundene Handlungsverlauf führt den
                  Helden und die Heldin – verfolgt sowohl von der Polizei als
                  auch von einem im Schatten agierenden, aber mächtigen
                  Kirchenmann – auf einer Spur kryptischer Zeichen zur Ent-
                  deckung mysteriöser Indizien, die zwar sichtbar, aber unbe-
                  merkt sind. Im Inneren berühmter Bauten und in den Pin-
                  selstrichen unschätzbarer Gemälde wurde die geheimnis-
                  volle Spur über einen Zeitraum von Jahrhunderten ge-
                  schickt verborgen.
 SONDERDRUCK      ____Das größte Rätsel des Romans liegt jedoch nicht im
 aus Vol.8/Nr.2   Verlauf der Handlung, so fesselnd er auch ist. Es sind die Er-
 ––––––           klärungen direkt vor dem Prolog, unter der Überschrift
 Originaltitel:   „Fakten und Tatsachen“. Was Brown als Fakten bezeichnet,
„Facing Facts“    würde, wenn es denn zuträfe, eine der größten historischen
Tatsache?
„Die Personalprälatur des Vatikans, bekannt als Opus Dei,
ist eine ultrakonservative katholische Sekte …“
DAN BROWN, THE DA VINCI CODE (SAKRILEG)

Täuschungen und Vertuschungen darstellen; es              wissen, dass der Anspruch des Autors auf histori-
geht um nichts weniger als um die Grundlagen              sche Wahrheit, die seiner Fiktion zugrunde liege,
der christlichen Hauptströmung – und beträfe              einer näheren Untersuchung nicht standhält.
insbesondere den römischen Katholizismus.
____Bei dem Versuch, sich die oft verwischten             DICHTUNG ODER WAHRHEIT?
Grenzen zwischen Dichtung und Wahrheit in die-            Seine erste „Tatsache“ formuliert Brown wie
sem Bestseller klarzumachen, sollten die Leser            folgt: „Die Prieurè de Sion, der Orden der Bru-

WIE VIELE EVANGELIEN GAB ES?
Der älteste Hinweis auf die Evangelien nach Mat-          noch vor der Entstehung einer zentralen Autorität
thäus, Markus, Lukas und Johannes stammt aus              der Orthodoxie.
den ersten 80 Jahren nach dem Tod Jesu Christi.           __Auch der Kirchenhistoriker Eusebius aus dem
Bischof Papias von Hierapolis in Kleinasien (der          vierten Jahrhundert (siehe das Porträt unter „Kurz-
heutigen Türkei), der behauptete, Wissen aus er-          biografien einflussreicher Persönlichkeiten“ im Ar-
ster Hand von dem Apostel Johannes und ande-              chiv von www.visionjournal.de) zitiert Papias und
ren Augenzeugen zu haben, verwies in einem Do-            sein Hintergrundwissen über die Entstehung des
kument, das am Ende des ersten oder Anfang des            Johannesevangeliums (Kirchengeschichte 3). Heu-
zweiten Jahrhunderts geschrieben wurde, auf die           te glauben Bibelwissenschaftler, dass Eusebius vie-
vier Evangelien. Papias’ Werke sind verschollen,          le von Papias’ Aussagen über die Evangelien wört-
doch mehrere Autoren des zweiten Jahrhunderts             lich zitiert hat. Papias hatte berichtet, dass Johan-
zitierten oder paraphrasierten sie. Bischof Irenäus       nes sein Evangelium schrieb, um zusätzliche Ein-
von Lyon (140-200) stammte aus der gleichen Re-           zelheiten über das Wirken Jesu vor der Gefangen-
gion in Kleinasien wie Papias. Er bezeichnete sich        nahme Johannes des Täufers beizusteuern, und
als Schüler des Johannesjüngers Polykarp, der             auch um den Lehren des kleinasiatischen Gnosti-
auch Papias kannte. Irenäus berichtet von vier            kers Cerinthus etwas entgegenzusetzen. In diesem
Evangelien, die den „Grundpfeiler unseres Glau-           Zusammenhang hatte Papias berichtet, dass Jo-
bens“ bildeten (Gegen die Häresien 3.1) – densel-         hannes die Echtheit der anderen drei Evangelien
ben vier Evangelien, die bis heute im Neuen Tes-          anerkannte. Tatsächlich verdanken die vier Evan-
tament enthalten sind.                                    gelien, die die Christenheit heute verwendet, ihre
__Kurz vor der Zeit des Irenäus verfasste Tatian, der     Autorität und ihren Platz im biblischen Kanon den
damals in Rom lebte, das Diatessaron – eine Schrift,      Aussagen des Apostels Johannes.
die alle vier Evangelien harmonisierte. Um 172            __Geschichtlich nachweisbar ist, dass diese vier
kehrte er in seine Heimat im Osten des Reiches zu-        Evangelien am Ende des ersten Jahrhunderts als
rück, und dort übersetzte er sein Werk ins Syrische.      einzig inspirierte Berichte über das Leben und die
__Lukas merkt an, dass viele andere Berichte ge-          Lehre Jesu Christi anerkannt waren. Diese Entschei-
schrieben wurden (Lukas 1, 1-4), doch am Ende             dung war nicht dem Belieben Konstantins oder ei-
des zweiten Jahrhunderts nannten zahlreiche Au-           ner späteren Autorität überlassen, sondern sie kam
toren nur vier Evangelien als Bestandteile der Hei-       von einem Apostel, der das Leben und die Lehre
ligen Schrift. Das Muratorianische Fragment (eine         Jesu Christi als Augenzeuge miterlebt hatte.
Liste kanonischer Bücher), aber auch Clemens von
Alexandria und Origenes, die in Ägypten schrie-           PETER
                                                          __    NATHAN
ben, bezeugen die allgemeine Anerkennung der
vier Evangelien in der gesamten bekannten Welt            peter.nathan@visionjournal.org

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derschaft von Sion, wurde im Jahr 1099 gegrün-           ____Tatsache ist, dass diese Pergamente zwar in
det und ist eine Geheimgesellschaft, die bis heu-        einer Legende um ein französisches Dorf vor-
te existiert. Im Jahr 1975 wurden in der Pariser         kommen, die im 20. Jahrhundert starkes Medien-
Nationalbibliothek Dokumente entdeckt, die un-           interesse weckte, aber dass diese Geschichte
ter der Bezeichnung Les Dossiers Secrets be-             nichtsdestoweniger auf breiter Front als Schwin-
kannt geworden sind und aus denen hervorgeht,            del entlarvt wurde. In seinem Buch The Truth Be-
dass eine Reihe berühmter Männer der Prieuré             hind The Da Vinci Code zeigt Richard Abanes
angehörten, darunter Sir Isaac Newton, Sandro            z.B. auf, dass Les Dossiers Secrets tatsächlich Les
Botticelli, Victor Hugo und Leonardo da Vinci.“          Dossiers Secrets d’Henri Lobineau sind – 1967
____Die Handlung des Romans schreibt dieser              von dem Fälscher Pierre Plantard angefertigt,
Geheimgesellschaft die Aufgabe zu, über fast             der sich den Künstlernamen Lobineau gab. Da
2000 Jahre den wahren Gral zu hüten, und ein             kommen Erinnerungen an die berühmten Fäl-
Großteil der Story dreht sich um das Auffinden           schungen angeblicher Hitlertagebücher auf, die
von Anhaltspunkten, die ihr ermordeter Oberer            1983 in Deutschland und in der Welt für großes
hinterlassen hat. Diese letzten Handlungsele-            Aufsehen sorgten.
mente sind natürlich erfunden, doch eine Unter-          ____Plantards Behauptungen hatten mit einem
suchung der Echtheit der Pergamente ist ein gu-          Geschäftsmann zu tun, der das Anwesen eines
tes Indiz dafür, wie ernst wir diesen Wahrheitsan-       kompromittierten Priesters kaufte. Als PR-Gag
spruch zu nehmen haben.                                  brachte der neue Besitzer eine bizarre Geschich-

NUR EIN STERBLICHER MENSCH ODER SOHN GOTTES?
Ab wann wurde Jesus Christus als Sohn Gottes             schen Texte als Teil von Konstantins Komplott,
gesehen? Dan Brown behauptet durch eine der              die Wahrheit über Jesus zu vertuschen. Seine Be-
Figuren in seinem Buch, dies sei erst zur Zeit Kon-      hauptung, bis zum vierten Jahrhundert seien an-
stantins geschehen. Er lässt seine Figur, den His-       dere (richtigere) Evangelien akzeptiert gewesen,
toriker Leigh Teabing, sagen, der Kaiser habe Je-        ist allerdings historisch nicht belegbar (siehe Kas-
sus beim Konzil von Nizäa im Jahr 325 vom blo-           tenartikel „Wie viele Evangelien gab es?“). Was
ßen Sterblichen zu einem göttlichen Wesen erho-          die Qumran-Rollen betrifft – sie stammen aus der
ben, und zwar aus politischem Kalkül. Teabing zu-        Zeit vor Jesus und sind daher keine christlichen
folge hätten zahllose historische Dokumente (ein-        Schriften.
schließlich gnostischer Texte und der Qumran-            __Es ist interessant, wie die moderne Forschung
Rollen), die auf Konstantins Geheiß vernichtet           die Rolle Jesu versteht, die ihm das Neue Testa-
wurden, die Sterblichkeit Jesu bezeugt.                  ment beimisst. Die Ausgabe des Bible Review
__Doch in dem Brief des Paulus an die römische           vom Dezember 1992 bezeichnet es als „ein wenig
Urkirche, der in den 50er Jahren des ersten Jahr-        schwer zu erklären, wie eine Gruppe von Juden –
hunderts entstand, erkennt der Apostel Jesus als         in der Antike vor allem bekannt für ihr absolutes
Sohn Gottes an (Römer 1, 3), ebenso wie die Au-          Beharren auf die Einheit Gottes und ihre Weige-
toren der Evangelien (Markus 1:1; Johannes 1,            rung, einen anderen anzubeten – in der Mitte des
1-18). Hatten die Apostel das wahre Wesen                ersten Jahrhunderts dazu kommt, den Menschen
Christi nicht begriffen?                                 Jesus von Nazareth anzubeten, ihn Messias, Herr
__Bei seinem Verhör vor dem Hohenpriester be-            und Sohn Gottes zu nennen. Noch rätselhafter
zeichnete sich Jesus selbst anhand von zwei Zita-        wird es, wenn man bedenkt, dass diese Juden,
ten aus der Schrift als Messias und Sohn Gottes.         die an Jesus glaubten, ihm Titel gaben, durch die
Dafür wurde er der Gotteslästerung angeklagt             ihm bis dahin für Gott allein reservierte Eigen-
und zum Tod verurteilt (Markus 14, 61-64; Daniel         schaften und Taten zugeschrieben wurden.“ Hier-
7, 13-14; Psalm 110, 1). Das späteste der vier           mit wird praktisch anerkannt, dass die apostoli-
Evangelien, das Evangelium nach Johannes, stellt         schen Autoren und die Urkirche die Gottheit Jesu
eindeutig fest, dass die Urkirche an die Gottnatur       Christi klar verstanden.
Jesu Christi (vor seiner Geburt als Mensch) glaub-       __Und was hat es mit dem Konzil von Nizäa auf
te (Johannes 1, 1-18).                                   sich (das fast drei Jahrhunderte nach dem Tod
__Browns Figur Teabing klassifiziert die bibli-          Christi stattfand – nicht vier, wie Teabing be-

                                         VISION Vol. 8/Nr. 2 I Seite 3
hauptet)? Ein Hauptzweck des Konzils war die            sicht. Die hebräische Auffassung von Mono-
Ablehnung der Lehre des Arius von Alexandria            theismus beruhte bis zum späten ersten Jahrhun-
einschließlich seiner Ansicht, Christus sei ein         dert auf dem Supremat (Vorrangstellung/Oberho-
geschaffenes Wesen statt göttlich. Seine Sicht          heit) statt auf der Ontologie. Der Versuch, hebrä-
über Jesus war nicht die akzeptierte Lehrmei-           isches Denken in die Begriffe der griechischen
nung. Die Diskussion war das Ergebnis der Be-           Philosophie zu fassen, führte zum Chaos, für das
mühungen von Apologeten des zweiten und                 der Arianerstreit ein Beispiel war. Ironischerweise
dritten Jahrhunderts, die Beziehung zwischen            war das Konzil von Nizäa ein Versuch, der griechi-
Vater und Sohn mit philosophischen Begriffen            schen Sicht von Christus als notwendigerweise
zu vereinbaren. Der Bible Review mag sich wun-          sterblichem Menschen ein Ende zu setzen – und
dern, dass die hebräische Urkirche des ersten           dennoch begründete es seine Beschlüsse nicht
Jahrhunderts Jesus als Sohn Gottes anerkennen           aus der Schrift, sondern mit Gedanken, die eben-
konnte; doch auch spätere Kirchenväter muss-            falls in der griechischen Philosophie wurzelten.
ten Argumente entwickeln, um Gott innerhalb             __Weder die Vorstellungen von der Natur Christi,
ihrer philosophischen Bildung zu verstehen. Die         die das Konzil von Nizäa und seine Nachfolger
griechische Sicht verband den Monotheismus              festlegten und die zur orthodoxen Lehrmeinung
mit dem Begriff des „Seins“ (Ontologie – Seins-         wurden, noch die Vorstellungen des Arius oder
lehre): Wie konnten diese beiden ontologisch            der Gnostiker haben irgendeine Basis in der Hei-
ein einziges „Seiendes Wesen“ bilden? Dieser            ligen Schrift. Konstantin förderte tatsächlich die
griechischen Analyse des Wesens Gottes erlag            Neuerschaffung Jesu Christi und des Vaters durch
Arius nicht nur – er verbreitete sie aktiv.             ein philosophisches Konstrukt, sodass sie letzten
__Die Bibel wurde von Autoren geschrieben, de-          Endes nicht viel mehr waren als die „erste Ursa-
ren Denkweise ganz anders war als die im Römi-          che“ Platons.
schen Reich vorherrschende hellenistische Welt-         PN

te über den Priester und den angeblichen Schatz         TYPISCH ROMAN
in Umlauf. Darüber hinaus hat es zwar mehrere           Am interessantesten ist Dan Browns dritte „Tat-
Organisationen mit dem Namen „Sion“ gege-               sache“: „Sämtliche in diesem Roman erwähnten
ben, doch dass es eine Geheimgesellschaft die-          Werke der Kunst und Architektur und alle Doku-
ses Namens gebe, die auf das Jahr 1099 zurück-          mente sind wirklichkeits- bzw. wahrheitsgetreu
gehe, ist reine Fiktion. Plantard gründete die          wiedergegeben.“ Besonders die Behauptung,
moderne Prieuré de Sion im Jahr 1956.                   seine Wiedergabe von Dokumenten sei wahr-
____So viel zu Browns erster „Tatsache“.                heitsgetreu, hält der Prüfung nicht stand. (Und
____Auch die zweite seiner drei „Tatsachen“, die        auch in den anderen Kategorien ließe sich eini-
Opus Dei betrifft, entspricht nicht ganz der            ges beanstanden.)
Wahrheit. Brown bezeichnet Opus Dei als „ultra-         ____Zwar erhebt Brown seinen Wahrheitsan-
konservative katholische Sekte“. Doch Opus Dei          spruch tatsächlich nie im Sinne historischer
ist eine so genannte Personalprälatur, bestehend        Wahrheit, doch seine kühne Behauptung über
aus Laien und Priestern, die unter der Leitung ei-      „Wiedergabe“ und „Dokumente“ könnten weni-
nes Prälaten zusammenwirken; und zwar inner-            ger wachsame Leser irreführen. Es gibt zahlrei-
halb der katholischen Hauptrichtung. Opus Dei           che Beispiele für dichterische Freiheit bei Din-
kann insofern nicht als Sekte bezeichnet werden.        gen, die angeblich historisch sind, aber wir dür-
Mitglieder von Opus Dei gehören gewöhnlich ih-          fen nicht vergessen, dass Sakrileg schließlich nur
rer jeweiligen katholischen Diözese an [siehe           ein Roman ist. Brown hat darin Wahrheit, Schein-
auch www.opusdei.org].                                  wahrheit und reine Erfindung geschickt zu einem
____Auch wird eine der Hauptfiguren des Ro-             fesselnden „Garn“ gesponnen, das zweifellos
mans als „Mönch von Opus Dei“ bezeichnet.               ein Gefühl von historischer Echtheit erzeugt.
Opus Dei ist aber kein religiöser Orden im her-         Selbst aufmerksamen Lesern muss man nachse-
kömmlichen Sinn, es sieht sich als pastorale            hen, wenn sie nicht immer erkennen, wo in die-
Mission innerhalb der katholischen Kirche.              ser Geschichte die Wahrheit aufhört und die
Priester können zwar Mitglieder sein, aber die          Dichtung beginnt.
Mitglieder gelten und leben im Allgemeinen              ____Ein Beispiel: Um seine Handlung überzeu-
nicht als Mönche.                                       gender zu machen, muss Brown den Leser da-

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von überzeugen, dass Christus erst Jahrhunderte           ge nicht kanonische Evangelium, dem Fachkrei-
nach seinem Tod als „Gott im Fleisch“ angese-             se gewisse Bedeutung zubilligen, das Thomas-
hen wurde, und dass andere Evangelien die Gül-            evangelium – das Brown für seine Story nicht
tigkeit der kanonischen Evangelien mit Recht be-          einmal heranzieht.
streiten. Dem Roman zufolge heiratete ein sehr
menschlicher Christus Maria Magdalena (siehe              BIBLISCHE WAHRHEIT
Kastenartikel „War Jesus verheiratet?“), die ihm          Behauptung: „Zum Sohn Gottes wurde Jesus
angeblich ein Kind gebar und dadurch die euro-            erst nach einer entsprechenden Abstimmung auf
päische Dynastie der Merowinger hervorbrachte.            dem Konzil von Nizäa erklärt. . . . Der Haken an
Tatsächlich gibt es nicht das geringste histori-          der Sache sei, dass Konstantin Jesus erst vier
sche Indiz für diese zweifelhaften Annahmen. In           Jahrhunderte nach der Kreuzigung zum Gottes-
einem Roman mag das kein Problem sein, doch               sohn erhoben habe. Deshalb, so die Behaup-
ob beabsichtigt oder nicht – eine Folge der Ein-          tung, existierten bereits tausende von Nieder-
flechtung solcher echt klingender Erfindungen in          schriften, in denen Jesus als normaler Sterblicher
seinen Roman ist, dass viele von Browns Lesern            geschildert wird. . . . Konstantin habe eine neue
nun an der Inspiration und Wahrhaftigkeit der             Bibel in Auftrag gegeben, die er obendrein fi-
kanonischen Schriften zweifeln.                           nanzierte. In diese Evangeliensammlung ließ er
____Im Folgenden nur einige der fragwürdigen              angeblich keine jener Darstellungen aufnehmen,
Behauptungen über Dokumente im Roman.                     in denen Jesus als Mensch gesehen wurde, wäh-
Behauptung: „Es gab mehr als achtzig Evange-              rend alles, was ihn göttlich erscheinen ließ, be-
lien, die für das Neue Testament zur Auswahl              sonders hervorzuheben war.“
standen.“                                                 Wahrheit: Die erste Aussage ist eine unrichtige,
Wahrheit: In seiner Besprechung von Sakrileg              verdrehte Darstellung eines Beschlusses des
schreibt Craig L. Blomberg, Professor für Neues           Konzils von Nizäa. Zudem kann man die nichtbi-
Testament am Denver Seminary: „Wenn man al-               blischen Zitate, die uns bekannt sind und die
les zusammenzählt, was im ersten halben Jahr-             sich auf Christus beziehen, an einer Hand ab-
tausend des Christentums je als Evangelium be-            zählen. Eines ist eine kurze Erwähnung durch Jo-
zeichnet wurde, . . . kommt man auf rund zwei             sephus, den jüdischen Geschichtsschreiber des
Dutzend Dokumente. Etwa die Hälfte von ihnen              ersten. Jahrhunderts. Tatsächlich trifft das
sind nur aus Zitaten der frühen Kirchenväter be-          Gegenteil von Browns Behauptung zu: Die Indi-
kannt, oder aus kleinen Stücken oder Fragmen-             zien zeigen, dass die Gläubigen die Gottheit
ten, die gefunden wurden, und an ihnen ist we-            Christi erstaunlich früh akzeptierten (siehe Kas-
nig Unorthodoxes. Andere sind eindeutig gnos-             tenartikel „Nur ein sterblicher Mensch oder
tische und ebenso eindeutig ,christliche‘ Muta-           Sohn Gottes?“). So wurden die vier als kanonisch
tionen der früheren apostolischen Tradition“              geltenden Evangelien nach Matthäus, Markus,
(Denver Journal, Bd. 7, 2004).                            Lukas und Johannes schon lange vor Konstantin
____Wie Blomberg weiter feststellt, ist das einzi-        als solche akzeptiert, wie Dokumente aus dem

Tatsache?
„Die Prieurè de Sion, der Orden der Bruderschaft von Sion,
wurde im Jahr 1099 gegründet und ist eine Geheimgesell-
schaft, die bis heute existiert. Im Jahr 1975 wurden in der
Pariser Nationalbibliothek Dokumente entdeckt, die unter
der Bezeichnung Les Dossiers Secrets bekannt geworden sind
und aus denen hervorgeht, dass eine Reihe berühmter Män-
ner der Prieurè angehörten, darunter Sir Isaac Newton, San-
dro Botticelli, Victor Hugo und Leonardo da Vinci.“
DAN BROWN, THE DA VINCI CODE (SAKRILEG)

                                          VISION Vol. 8/Nr. 2 I Seite 5
zweiten Jahrhundert bezeugen (siehe Kastenarti-          Vorvätern der orthodoxen Kirchen und der rö-
kel „Wie viele Evangelien gab es?“).                     misch-katholischen Kirche Einigkeit darüber
____Auch lässt sich argumentieren, dass weltli-          herrschte, welche Evangelien in das Neue Tes-
che Berichte über das Leben Christi überflüssig          tament aufzunehmen waren. Konstantin hätte
und bedeutungslos waren, weil es die kanoni-             unmöglich alle Exemplare des Neuen Testa-
schen Evangelien schon so früh gab, und weil             ments vernichten können, vor allem außerhalb
die Gläubigen sie akzeptierten. Die Zahl früher          seines Hoheitsgebietes, und es gibt keine An-

WAR JESUS VERHEIRATET?
Einer der zentralen Punkte in Sakrileg ist, dass         __Zweitens sind die Qumran-Rollen ebenfalls kei-
Jesus als frommer Jude verheiratet gewesen               ne christlichen Dokumente, sondern wurden
sein muss. Leigh Teabing, die Figur, die Dan             wahrscheinlich ein bis zwei Jahrhunderte vor der
Brown in seinem Buch als den Geschichtsexper-            Zeit Jesu von anderen Rollen kopiert. Es sind an-
ten geschaffen hat, stellt die Behauptung auf,           tike jüdische Texte, wahrscheinlich von einer Sek-
dies sei „historisch verbürgt“. Eine andere Figur        te namens Essener. Ironischerweise befürworten
fügt hinzu: „Nach den Anstandsregeln der da-             einige der Rollen der Sekte das Zölibat für ihre
maligen Zeit war es einem jüdischen Mann prak-           Mitglieder als gottgewollt. Diese Tatsache berich-
tisch verboten [sic], unverheiratet zu bleiben. Ein      tet auch Philo von Alexandria, ein jüdischer Ge-
zölibatäres Leben war nach jüdischem Brauch              schichtsschreiber des frühen ersten Jahrhunderts
undenkbar.“                                              (Hypothetica 11.14-17).
__Doch zwei Absätze danach zeigt Brown seinen            __So sind nicht nur diese Dokumente nicht christ-
schwer wiegenden Mangel an Verständnis der his-          lich, sondern viele Gnostiker hatten Probleme mit
torischen Dokumente, auf die er seine Story stützt.      der Ehe, und Ehelosigkeit war den Juden zur Zeit
Dort präsentiert Teabing die Schriften von Nag           Jesu und der Urkirche durchaus bekannt. So viel
Hammadi und die Qumran-Rollen als „die frühes-           zu Teabings historischem Wissen.
ten Dokumente des Christentums“. Hätte einer             __Dann zitiert Brown eine Passage aus der engli-
der beiden Männer im Roman irgendwelche                  schen Übersetzung des gnostischen Evangeliums
Kenntnis dieser Texte gehabt, so hätte er nicht be-      nach Philippus, wo von einem „Gefährten des Er-
haupten können, dass Ehelosigkeit undenkbar war.         lösers“ die Rede ist. Teabing erklärt, das mit Ge-
__Erstens sind die Dokumente von Nag Hamma-              fährten übersetzte aramäische Wort bedeute ei-
di in Ägypten als gnostische, nicht christliche          gentlich Ehefrau. Das Evangelium des Philippus
Schriften klassifiziert und dürften mindestens ein       ist allerdings in koptischer Sprache geschrieben,
Jahrhundert nach Jesus entstanden sein. Die Do-          die mit dem Altägyptischen und Altgriechischen
kumente, die wir heute haben, wurden wahr-               verwandt ist. Zum Aramäischen hat sie keine di-
scheinlich rund 300 Jahre nach Jesus kopiert. Ihre       rekte Beziehung. Wie ein aramäisches Wort zu
Beurteilung der Ehe ist uneinheitlich. In einigen        übersetzen wäre, hat daher mit dem Evangelium
Texten wird das Weibliche mit dem Materiellen            des Philippus nichts zu tun.
verbunden und ist daher die Quelle alles Bösen           __Sorry, Teabing!
auf Erden – eine Sicht, die tatsächlich die Praxis
des Zölibats förderte.                                   PN

Zitate aus den Evangelien ist massiv. Schon zu           haltspunkte dafür, dass er es je versuchte.
Beginn des zweiten Jahrhunderts flochten Kir-            ____Dann ist da noch Browns Behauptung, die
chenväter wie Ignatius von Antiochia, Polykarp,          vier kanonischen Evangelien seien geschönte
Justin der Märtyrer, Clemens von Alexandria              Darstellungen des Lebens Jesu, die ihn „in ein
und Irenäus ausgiebig Zitate und/oder Para-              göttliches Licht rückten“, statt „Jesus als
phrasen der Evangelien und der Epistel in ihre           Mensch“ zu zeigen. Tatsächlich erzählen diese
eigenen Schriften ein. Sogar im Neuen Testa-             vier Bücher, dass er weinte, Mitgefühl und Ein-
ment selbst wird darauf hingewiesen, dass eini-          fühlungsvermögen zeigte, zornig wurde, Schmer-
ge der apostolischen Schriften noch zu Lebzei-           zen und Hunger litt, angesichts seiner bevorste-
ten der Apostel als heilig galten.                       henden Kreuzigung betrübt war und andere
____Es ist historisch belegt, dass zwischen den          menschliche Gefühle zum Ausdruck brachte. An-

                                         VISION Vol. 8/Nr. 2 I Seite 6
Tatsache?
„Sämtliche in diesem Roman erwähnten Werke der Kunst
und Architektur und alle Dokumente sind wirklichkeits- bzw.
wahrheitsgetreu wiedergegeben.“
DAN BROWN, THE DA VINCI CODE (SAKRILEG)

dererseits ist von den gnostischen Evangelien               chen dichterischen Freiheiten dieses Romans
nach Maria und Philippus, die von Browns Figu-              bieten viele Bücher zum Thema. Für fünf von ih-
ren zitiert werden, um ihre Argumentation zu                nen finden sich Besprechungen unter dem Titel
untermauern, wenig mehr erhalten als eine                   „The Da Vinci Con“ auf der Website www.vi-
Spruchsammlung. Sie enthalten kaum Einzelhei-               sion.org.
ten irgendwelcher Art über das Leben Jesu.                  ___Dan Brown ist ein begabter Erfinder überzeu-
Auch hier ist die Wahrheit das Gegenteil von                gender Geschichten. Doch Sakrileg verdankt ei-
dem, was Brown schreibt.                                    nen Großteil seiner Beliebtheit seiner Nähe zum
                                                            religiös oberflächlichen und kapriziösen New
DAS QUMRAN-EVANGELIUM?                                      Age, wo sich jeder die Zutaten für sein persönli-
Behauptung: „Zum Glück für uns Historiker blie-             ches religiöses Karma selbst zusammensuchen
ben einige Evangelien, die von der Ausrottung               und mischen kann. Wir leben in einer Kultur von
durch Konstantin bedroht waren, dennoch der                 „Spiritualität Light“ – wir sind fasziniert von „spi-
Nachwelt erhalten. In einer Höhle bei Qumran in             rituellen“ Themen, die wir prickelnd finden, aber
der Wüste von Judäa wurden im Jahr 1950 die                 fühlen uns abgestoßen von solchen, die eine tie-
Schriftrollen vom Toten Meer entdeckt.“                     fe Bindung an einen hohen moralischen Stan-
Wahrheit: Die Qumran-Rollen sind jüdische Do-               dard verlangen. So werden Religion, Geschichte,
kumente, die in den 1940er- und frühen 50er-                Gott und alles andere so umgemodelt, dass sie
Jahren gefunden wurden. Sie enthalten einige                in unser selbst gemachtes Wellness-Weltbild
sehr wertvolle alttestamentliche Texte auf Hebrä-           passen.
isch, Aramäisch und Griechisch, die eine bemer-             ____Geben wir also nicht Dan Brown oder sei-
kenswerte Übereinstimmung mit anderen Hand-                 nem Roman die ganze Schuld für die Verbrei-
schriften aufweisen; dagegen enthalten sie                  tung religiös und historisch zweifelhafter „Tatsa-
nichts, das sich spezifisch auf die späteren neu-           chen“. Der Markt war mehr als bereit dafür.
testamentlichen Evangelien oder das Leben
Christi bezieht. (siehe „Die Qumran-Rollen neu              DAVID
                                                            _____ F. LLOYD
aufgedeckt“ in der Ausgabe Herbst 2004.)
____Dies ließe sich fortsetzen, doch es sollte ge-          david.lloyd@visionjournal.org
nügen, um die Leser auf die Vermischung von
Dichtung und Wahrheit in Sakrileg aufmerksam
zu machen. Vollständigere Analysen der zahlrei-

                                               Kostenloser Sonderdruck
                  Vision-Sonderdrucke sind Übersetzungen aus der Zeitschrift VISION und werden als
      gemeinnütziger Beitrag zur Förderung einer zeitgemäßen christlichen Lebensweise kostenlos herausgegeben.
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                                            VISION Vol. 8/Nr. 2 I Seite 7
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