Wie hängt das alles zusammen? Expertenstandards, NBA und Strukturmodell
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Qualität gemeinsam entwickeln – Herausforderungen für die Pflege Forum Pflege Gesellschaft/LAGPSH Kiel, 24.11.2016 Wie hängt das alles zusammen? Expertenstandards, NBA und Strukturmodell Prof. Dr. Andreas Büscher Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Übersicht • Expertenstandards und Bürokratisierung? • Der neue Begriff der Pflegebedürftigkeit und das neue Begutachtungsinstrument • Strukturmodell zur Pflegedokumentation • Schlussfolgerungen Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Expertenstandards und Bürokratisierung? Einschätzungen: „Wegen der Expertenstandards müssen wir viele Bögen ausfüllen“ „Assessmentinstrumente wegen der Expertenstandards“ „Expertenstandards zu kompliziert und abgehoben“ „Wir haben auch ohne Expertenstandards genug zu tun“ Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Was sind eigentlich Expertenstandards? Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Expertenstandards • sind ein professionell abgestimmtes Leistungsniveau, das dem Bedarf und den Bedürfnissen der damit angesprochenen Bevölkerung angepasst ist und Kriterien zur Erfolgskontrolle mit einschließt. Instrument der Professionalisierung durch die explizite Verständigung auf Ziele und Begründungen beruflichen Handelns • beziehen sich auf komplexe und interaktionsreiche Pflegehandlungen erfordern daher eigenständiges Urteilsvermögen der Pflegenden Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Expertenstandards • zeigen den spezifischen Beitrag der Pflege für die gesundheitliche Versorgung zu zentralen Qualitätsfragen auf • sind Grundlage für eine kontinuierliche Verbesserung der Versorgungsqualität in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen Zielformulierungen und Evaluationskriterien als Basis von Qualitätsentwicklung Instrumente der internen Qualitätsentwicklung • evidenzbasierte, monodisziplinäre Instrumente Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Themen der DNQP - Expertenstandards Dekubitusprophylaxe 1998 – 2000 / 2010 Entlassungsmanagement 2001 – 2003 / 2009 Schmerzmanagement bei akutem (und tumorbedingt-chronischem) Schmerz 2002 – 2004 / 2011 Sturzprophylaxe 2003 – 2005 / 2013 Förderung der Harnkontinenz 2004 – 2006 / 2014 Pflege von Menschen mit chronischen Wunden 2006 – 2008 / 2015 Ernährungsmanagement zur Förderung und Sicherstellung der oralen Ernährung 2007 – 2009 / i. A. Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Themen der DNQP - Expertenstandards Schmerzmanagement bei chronischen Schmerzen 2011 – 2013 Expertinnenstandard für das Hebammenwesen: Förderung der physiologischen Geburt 2011 – 2013 Expertenstandard nach § 113 a SGB XI: Erhaltung und Förderung der Mobilität 2013 – 2014 Entwicklung eines Expertenstandards zur Pflege von Menschen mit Demenz in 2015 begonnen Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Arbeit mit Expertenstandards in der Praxis Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Der Pflegeprozess in der Praxis Einschätzung/Infor mationssamm- lung/Assessment Planung und Evaluation/Üb Vereinbarung von erprüfung Maßnahmen Durchführung der Maßnahmen Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Aufbau eines Expertenstandards Zielsetzung und Begründung: Zielgruppe und zentrale Inhalte des Standards Struktur Prozess Ergebnis S1 P1 E1 Einschätzung S2 P2 E2 Koordination/Planung S3 P3 E3 Durchführung S4 P4 E4 Information/Anleitung S5 P5 E5 Evaluation Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Der Pflegeprozess in der Praxis Einschätzung/Assessment/Informationssammlung Umfassendes Bild eines Patienten/Bewohners/pflegebedürftigen Menschen erhalten Selbst- und/oder Fremdbeurteilung Screening bestimmter Risiken Vertiefende Informationen zu einem oder mehreren pflegerelevanten Aspekten Grundlage für die Ableitung, Planung und Vereinbarung von Maßnahmen/Aktivitäten/Interventionen Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Der Pflegeprozess in der Praxis In gängigen Dokumentationssystemen oftmals an Pflegetheorien, z.B. von Krohwinkel, orientiert Andere Ansätze wären Pflegediagnosen im Sinne funktioneller Verhaltensmuster, Selbstpflegedefizittheorie oder andere Denkbar auch komplexe Einschätzungsinstrumente wie RAI, FACE o.ä. Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Der Pflegeprozess in der Praxis Mögliche Ergebnisse der Einschätzung Inhaltliche Beschreibung einer Gesamtsituation oder eines Sachverhalts (z.B. „der Patient ist in einem reduzierten Allgemeinzustand und weist verschiedene Rötungen an unterschiedlichen Körperstellen auf“) Quantifizierbarer Wert (z.B. bei Vitalzeichen) Score/Punktwert, für den es einer Interpretationsbasis bedarf (z.B. Schmerzeinschätzung auf der Numerischen Rangskala von 6/10 oder Beeinträchtigung der Selbständigkeit von 65 Punkten nach dem Neuen Begutachtungsassessment NBA) Hinweise in den Expertenstandards, welche Sachverhalte in jedem Fall dokumentiert werden sollten Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Was läuft schief? • Vielfach additive, nacheinander erfolgende Einschätzungen • Z.B. Sammlung anhand von 13 ABEDL • anschließend Einschätzung des Dekubitusrisikos • anschließend Einschätzung des Sturzrisikos • anschließend Einschätzung der Ernährungssituation • usw. Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Der neue Begriff der Pflegebedürftigkeit und das neue Begutachtungsinstrument
Pflegebedürftigkeit und Pflegebedarf Gesundheitliches Problem Fähigkeitseinbußen, Belastungen, Pflegebedürftigkeit Überforderung Pflegebedarf Notwendige Unterstützung
Pflegebedürftigkeit aus pflegewissenschaftlicher Perspektive • Bedürfnisorientierte Pflegetheorien – Beeinträchtigungen in Aktivitäten und Lebensbereichen rufen einen Bedarf an pflegerischer Unterstützung hervor • Theorien zur Krankheitsbewältigung – Trajektkonzept (krankheitsbezogene und alltagsbezogene Arbeit sowie Biografiearbeit) • Definitionen von Organisationen und Verbänden – Reaktion auf potentielle und tatsächliche gesundheitliche Probleme – Berücksichtigung physischer, psychischer und sozialer Aspekte
ICN-Definition von Pflege Die einzigartige Aufgabe einer Pflegekraft ist es, einem Individuum, krank oder gesund, bei der Durchführung der Aktivitäten zu helfen, die der Gesundheit oder ihrer Wiederherstellung (...) dienen, und die er/sie ohne Unterstützung durchführen würde, wenn er/sie die notwendige Kraft, den Willen oder das Wissen dazu hätte. Die Unterstützung geschieht in einer Weise, die dem Individuum dabei hilft, die eigene Unabhängigkeit schnellstmöglich zurückzugewinnen. Virginia Henderson, 1961
Empfehlungen (aus IPW-Studie 2007) A. Pflegebedürftigkeit als Beeinträchtigung der Selbständigkeit ... bei der Kompensation bzw. Bewältigung von Schädigungen, funktionalen Einbußen, Belastungen und Anforderungen = angewiesen sein auf personelle Hilfe (pflegerische Hilfe) ... aufgrund eines Mangels personaler Ressourcen B. Entwicklung eines neuen Instruments, da die Recherche kein für den Kontext der deutschen Pflegeversicherung geeignetes Verfahren hervorgebracht hat
Neufassung des § 14 SGB XI Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen.
Neuer Begriff der Pflegebedürftigkeit Pflegebedürftigkeit ist Beeinträchtigung der Selbständigkeit und Angewiesensein auf personelle Hilfe in den Bereichen: Mobilität (Gewichtung: 10%), Kognitive und kommunikative Fähigkeiten (ggf. 15%), Verhaltensweisen und psychische Problemlagen (ggf. 15%), Selbstversorgung (40%), krankheitsbedingte Anforderungen und Belastungen (20%), Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte (15%) und wird in seinen Ausprägungen auf einer Skala zwischen 0 und 100 ausgedrückt.
Fünf Stufen der Pflegebedürftigkeit („Pflegegrade“) P1: geringe ... P2: erhebliche ... P3: schwere ... P4: schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit P5: schwerste Beeinträchtigung mit besonderen Anforderungen B1 B2 B3 B4 B5 0 12,5 27 47,5 70 90 100
Strukturmodell zur Pflegedokumentation Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Zielsetzung des Strukturmodells • Kritische Auseinandersetzung mit fachlichen und juristischen Aussagen zur Pflegedokumentation • Berücksichtigung von Kritikpunkten zur Pflegedokumentation • Herausstellung der Bedeutung fachlicher Kompetenz und beruflicher Erfahrung • Minimierung des zeitlichen Aufwands für die Pflegedokumentation und Schaffung einer gemeinsamen Grundlage für die interne und externe Qualitätssicherung Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Grundprinzipien des Strukturmodells • Stärkung der konsequenten Beachtung von Individualität und Selbstbestimmung pflegebedürftiger Menschen • Begrenzung der Verschriftlichung des Pflegeprozesses auf vier Schritte • Strukturierte Informationssammlung auf Basis wissenschaftsbasierter Themenfelder • Rationaler und fachlich begründeter Umgang mit der Risikoeinschätzung • Beschränkung der Aufzeichnungen im Pflegebericht auf Abweichungen von der Pflegeplanung Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Pflegewissenschaftliches Fundament • Ausgewählte Themenbereiche für die strukturierte Informationssammlung: • Kognition und Kommunikation • Mobilität und Bewegung • Krankheitsbezogene Anforderungen und Belastungen • Selbstversorgung • Leben in sozialen Beziehungen • Haushaltsführung (ambulant) • Hilfestellung durch einige Leitfragen Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Pflegewissenschaftliches Fundament • Anlehnung an die Vorschläge zum neuen Begriff der Pflegebedürftigkeit und das Neue Begutachtungsassessment • Grundlage des NBA: • Pflegewissenschaftliche Theorien • Einschätzungsbereiche anderer komplexer Instrumente zur Bestimmung von Pflegebedarf oder Pflegebedürftigkeit • Synthese bestehender theoretischer Ansätze Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Pflegewissenschaftliches Fundament • Erfahrungen aus der Anwendung der Expertenstandards • Oftmals additive Verwendung (neben der umfassenden Einschätzung werden nacheinander die einzelnen Expertenstandards abgearbeitet) • Qualitätsrisiken in der pflegerischen Versorgung sollten jedoch bereits in der umfassenden Ersteinschätzung erfasst und ggf. durch ein vertieftes Assessment konkretisiert werden können Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Bestandteile des Strukturmodells • Strukturierte Informationssammlung zu • Gewohnheiten, Fähigkeiten, Pflege- und Hilfebeschreibung aus Sicht des pflegebedürftigen Menschen (bzw. der Angehörigen) • Professioneller Filter: Beratung zum Pflege- /Hilfebedarf/Risikoeinschätzung aus fachlicher Sicht • anhand der genannten Themenfelder Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Bestandteile des Strukturmodells • Feststellung vorliegender Risiken • Verschränkung von pflegerelevanten Risiken und Aspekten der Pflegebedürftigkeit • Differenzierung in initiales und differenziertes Assessment • Frage nach Notwendigkeit von Beratung Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Bestandteile des Strukturmodells • Aushandlungsprozess zu ggf. unterschiedlichen Sichtweisen • Berücksichtigung ärztlicher An-/Verordnungen • Maßnahmenplanung unter Berücksichtigung individueller Besonderheiten/Bedürfnisse auf der Grundlage des Aushandlungsprozesses (ambulant bekräftigt durch Vertrag) • Pflegebericht (nur Abweichungen von den Regelmaßnahmen und Dokumentation tagesaktueller Ereignisse) • Evaluation (Überprüfung der Maßnahmenplanung, im Rahmen des internen QM, z.B. als Pflegevisite oder Fallbesprechung) Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Integration der Perspektiven - Beispiel Mobilität Hinweise in der SIS: Mobilität und Bewegung umfasst die Fähigkeit zur Fortbewegung über kurze Strecken sowie zur Lageveränderung der Körpers. Dazu gehören u.a. Positionswechsel im Bett, stabile Sitzposition halten, selbständiges Aufstehen aus sitzender Position(Umsetzen, Fortbewegung innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen) Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Integration der Perspektiven - Beispiel Mobilität Hinweise zur Risikoeinschätzung in den Expertenstandards Dekubitusprophylaxe, Sturzprophylaxe und Erhaltung und Förderung der Mobilität: Beeinträchtigungen der Mobilität können als Risikofaktoren für Dekubitus oder Sturzgefährdung angesehen werden Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Strukturmodell, Ergebnisqualität, NBA und Expertenstandards • NBA zur Einschätzung des Grads der Beeinträchtigung der Selbständigkeit und Abhängigkeit von personeller Hilfe • Strukturmodell zur Pflegeplanung, aufbauend auf Ergebnissen aus dem NBA, vertiefend für Pflegeplanung, Einbezug zentraler, aufgrund der Pflegebedürftigkeit bestehender Risiken • Integration von Expertenstandards in Informationssammlung und Pflegeplanung zur Entwicklung von Qualität (auch Ergebnisqualität) – Hilfestellung im Rahmen des Pflegeprozesses Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Schlussfolgerungen • Der Bürokratisierungseffekt der Expertenstandards ist eher Mythos als Realität • Rückbesinnung auf fachlichen anstelle eines imaginären oder vermeintlich juristisch geprägten Diskurses • Rückbesinnung auf die Dokumentation als Instrument professioneller Verständigung • Fokus auf Durchführung statt auf Dokumentation des Pflegeprozesses • Verknüpfung fachlicher und pflegepolitischer Entwicklungen Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Schlussfolgerungen • Strukturmodell ist ein, aber nicht das einzig mögliche Modell zur Pflegedokumentation • Forderung nach Einheitsdokumentation ist nicht hilfreich und auch fachlich nicht zu rechtfertigen • Fachliche Defizite lassen sich durch ein Strukturmodell nicht beheben • Fehlende Ressourcen lassen sich durch ein Strukturmodell nicht beheben • Grundlage für die Pflegedokumentation muss dennoch fachlich begründet sein und ist durch Strukturmodell gewährleistet Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
Nächste Veranstaltungen des DNQP 19. Netzwerk-Workshop / 24.02.2017 an der Hochschule Osnabrück Ergebnisse der Aktualisierung des Expertenstandards „Ernährungsmanagement zur Sicherung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege“ 9. Konsensus-Konferenz / 06.10.2017 in Osnabrück Konsentierung des Expertenstandards „Pflege von Menschen mit Demenz“ Sie sind herzlich eingeladen! Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
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