"Wir brauchen das Vertrauen des Handels" - BuchMarkt
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Das aktuelle Interview „Wir brauchen das Vertrauen des Handels“ Klett-Cotta-Verleger Tom Kraushaar wehrt sich gegen um sich greifenden Branchenpessimismus. Im Gespräch erläutert er, wo er die Potenziale für die Branche und sein Verlagshaus sieht. Dabei geht es Kraushaar vor allem um Qualität und „gute Leute“ Wir führen dieses Gespräch u.a. des- halb, weil Sie es einmal mehr verpasst haben, an unserer alljährlichen Jahres- endumfrage „Wie war Ihr Jahr?“ teil- zunehmen. Insofern nutze ich jetzt die Chance: Wie war Ihr Jahr? Tom Kraushaar: Es war ein gutes Jahr. Wir haben viele Veränderungen im Verlag abschließen können und viele neue Kol- legen dazu bekommen, was ja eigentlich immer schön ist. Außerdem freut es mich, dass so viele Menschen Klett-Cotta-Bü- cher gekauft haben. Viele Teilnehmer beim Fragebogen haben angegeben, eines der Themen, über das sie in diesem Jahr nichts mehr lesen wollen, sei der „Leser- schwund“ – der Begriff bezieht sich auf die „Quo Vadis“-Studie des Bör- Seit 2007 ist Tom Kraushaar verlegerischer Geschäftsführer bei senvereins, aus der hervorging, dass Klett-Cotta. 2005 gründete er in Berlin gemeinsam mit Michael die Branche Millionen Leser verloren Zöllner den Tropen Verlag. Als die beiden 2007 die Nachfolge habe. Können/sollen wir das Thema Michael Kletts bei Klett-Cotta antraten, zog Tropen mit nach Stuttgart. Nachdem Zöllner 2018 Klett-Cotta verlassen hat. führt also „sein lassen“? Kraushaar den Verlag gemeinsam mit dem kaufmännischen Ge- Ich würde das so verstehen, dass es den schäftsführer Andreas Falkinger. meisten Menschen irgendwann auf die 20 BuchMarkt Februar 2020 022_akt interview_02_20.indd 2 29.01.20 11:36
Dieses Buch wird Ihren Glauben „Die beste Imagekampagne für die Branche sind gute Bücher und gute Buchhändlerinnen und Buch- an die Menschheit händler. Werbekampagnen für den Betrieb sind aus wiederherstellen. meiner Sicht rausgeschmissenes Geld“ Sunday Post Nerven geht, wenn alle immer nur rum- möglich und hängt auch davon ab, ob jammern. Ich hielte es aber für falsch, wir ihnen passende Bücher anbieten. deswegen aufzuhören darüber nachzu- denken, was wir als Verleger und Buch- Kann/muss es denn das (zukünftige) händler noch besser machen können. Geschäftsmodell der Branche sein, mehr Bücher an weniger Kunden zu Ü BE R Sie haben früh dafür plädiert, die Les- verkaufen? 13 0 .0 0 0 art der Studienergebnisse umzudrehen: Mehr Bücher zu höheren Preisen an we- V ER K AU F TE Statt über die verschwundenen Wenig- niger Leser zu verkaufen, war in den E XE M PL A RE IN EN G L A Käufer zu klagen, sich lieber über vergangenen Jahren eine erfolgreiche ND diejenigen zu freuen, die jetzt teilweise Strategie, ausreichende Bedingungen für sogar mehr kaufen … die Existenz von Verlagen, für die Vielfalt Vor allem scheint es mir wichtig zu sein, und Qualität von Büchern zu schaffen. die Leistung anzuerkennen, mit der sich Aber das kann kein Geschäftsmodell für die Buchbranche und auch das Medium die Branche sein. Es muss darum gehen, Buch in einem radikalen Medienwandel an mehr Leser noch mehr Bücher – und bewähren. Dafür lohnt ein Blick über vor allem gute Bücher – zu verkaufen. den Tellerrand hin zu den Strukturver- änderungen etwa bei Zeitungen und Zeit- Ist Preispolitik ein Mittel, um ein We- schriften, Kino- und Filmwirtschaft oder niger an Verkäufen auszugleichen? der Musikbranche. Müssen Bücher teurer werden, um die Branchenumsätze stabil zu halten? Haben Sie eine Erklärung, warum die Die Zahlen belegen ja, dass die Stei- Branche auf der einen Seite Kunden gerung der Durchschnittspreise kleine verliert, andererseits an andere mehr Absatzrückgänge ausgeglichen haben. verkaufen kann – der Umsatz also mehr Wenn man sich die Preisentwicklung oder weniger stabil bleibt? bei vergleichbaren Produkten anschaut, Man kann diese Veränderung auch als eine Art Konsolidierung verstehen: Die dann ist auch nicht zu übersehen, dass da noch Luft nach oben wäre. So ist etwa Ausgezeichnet mit dem Gemeinschaft der Leser wird quasi an seinen Rändern angegriffen, eben da, der Preis für eine Kinokarte in den letz- ten 15 Jahren um 43 Prozent gestiegen. wichtigsten Preis des wo die Buchkäufer sind, die eigentlich Aber ich habe vor allem auch den Ein- kaum zum Buch greifen. Diese eher druck, dass der Effekt gar nicht daher britischen Buchhandels schwach gebundenen Kunden konn- kommt, dass Verlage einfach bei allen ten wir in den vergangenen Jahren of- Büchern einen Euro auf den Laden- fenbar nicht halten. Ich stelle mir den preis drauflegen. Vielmehr hat sich die klassischen Nicht-Leser vor, der sich Absatzstruktur zugunsten höherpreisi- durchschnittlich einmal im Jahr ein ger Bücher verändert. Das könnte etwa Buch gekauft hatte, zum Beispiel um am Rückgang der Novitätenproduktion ein Problem zu lösen. Irgendwann ist niedrigpreisiger Taschenbücher liegen. er auf die Idee gekommen, die Lösung Und uns bei Klett-Cotta ist auch aufge- des Problems einfach zu googeln. Von fallen, dass gerade im Sachbuch, das ja diesen Buchkäufern gibt es also weniger. in den letzten Jahren auch branchenweit Dafür haben wir im Kern unserer Ziel- viel zur Stabilität der Umsätze beigetra- gruppe die Bindung zum Buch gestärkt. gen hat, hochpreisige Bücher einfach bes- Unter diesen Bedingungen auch verlo- ser gehen. Bücher die nicht einfach teuer Erscheint am rene Buchkäufer zurückzugewinnen, ist sind, sondern die durch ihre Zielgruppe 21.02.2020 Kinderbuch BuchMarkt Februar 2020 21 ISBN 978-3-85535-630-0 | 288 Seiten € 15,– (D) | € 15,50 (A) | ab 8 022_akt interview_02_20.indd 3 29.01.20 11:36
Das aktuelle Interview und ihre Qualität – auch die herstelleri- Ich bilde mir natürlich ein, dass mein und innovativ zu sein. Denn nichts scha- sche – einen hohen Ladenpreis rechtfer- Blick auf die Zahlen nicht von Zweck- det dem Handel mehr, als wenn alle nur tigen. dienlichkeit getrübt ist. Aber vor allem noch dasselbe machen. lehne ich es ab, einen durchaus verbrei- Haben Sie diesbezüglich in Ihrem teten Zweckpessimismus zum Einsatz zu Lässt sich das am Programm darstellen? Hause Pläne bzw. bereits Anpassungen bringen. Ich bin davon überzeugt, dass Wir streben in unseren Belletristik-Pro- vorgenommen? Untergangs- und Drohszenarien langfris- grammen an, einzigartige und unver- Auch wir heben behutsam unsere Laden- tig der Branche schaden und sie vor allem wechselbare Bücher zu machen. Nehmen preise an. Aber vor allem habe ich das Ge- für junge Leute unattraktiv macht. Neue Sie z.B. Anna Burns Roman Milchmann fühl, dass sich der Markt uns angepasst Technologien und innovative Konditio- der bald bei Tropen erscheint. Sie schla- hat. Die sehr positive und kontinuierli- nenmodelle sind ja ganz nett, aber über- gen das Buch auf und wissen, dass Sie che Umsatzentwicklung bei Klett-Cot- lebenswichtig für die Branche sind gute so etwas noch nie gelesen haben. ta in den vergangenen Jahren hat sicher Leute. Und die kommen nur nach, wenn auch damit zu tun, wie sich im Markt wir an uns glauben. Wer steigt schon auf Wie sollte der Börsenverein, z.B. mit der Mix aus höher- und niedrigpreisi- ein sinkendes Schiff. Imagekampagnen, tätig werden? gen Büchern verändert hat. Bei Klett- Die beste Imagekampagne für die Bran- Cotta erscheinen überwiegend Hardcover, Welchen Anteil können Verlage daran che sind gute Bücher und gute Buch- die Hobbit Presse ist im Grunde der ein- haben, Buchkäufer zurückzugewinnen? händlerinnen und Buchhändler. Der zige richtige Hardcover-Fantasy-Verlag, Ich denke, uns sollte klar sein, dass die Börsenverein kann die Arbeit in den gute hochpreisige Sachbücher bilden seit Schlachten um neue Leserinnen und Le- Verlagen und den Buchhandlungen un- jeher einen Markenkern von Klett-Cotta. ser nicht in den Verlagen, sondern in den terstützen, durch Beratung, Aus- und Das zahlt sich im Moment eher aus. Ende Buchhandlungen geschlagen werden. Die Fortbildung, dadurch dass er die Inter- Februar wird bei uns das Buch Die un- Heldinnen und Helden in diesem Kampf essen der Branche wirksam gegenüber glaubliche Reise der Pflanzen des italieni- sind die Buchhändlerinnen und Buch- der Politik vertritt. Werbekampagnen für schen Pflanzenkundlers Stefano Mancuso händler. (Bitte verzeihen Sie die martiali- den Betrieb sind aus meiner Sicht raus- erscheinen. So ein Buch kann man heute sche Metaphorik, aber ich bin eben auch geschmissenes Geld. in Halbleinen binden lassen, vielfarbig der Verleger von Ernst Jünger.) Auf jeden illustrieren und dennoch auf die Bestsel- Fall bin ich der Überzeugung, dass die Welche Bedeutung hat das unabhän- lerlisten kommen – hoffe ich zumindest. Verlage gut daran tun, die Buchhandlun- gige Sortiment für einen Verlag wie gen wirksam zu unterstützen, mit gutem Klett-Cotta? Man könnte Ihren Blick auch als Marketing und guter Vertriebsarbeit und Die Bedeutung nimmt immer mehr zu. „Zweckoptimismus“ interpretieren … fairen Umgangsformen. Und program- Ja, die Konzentration im Handel schrei- Sind das die Scheuklappen, die man als matisch wird es nicht nur darauf ankom- tet voran und ja, viele Käufer sind in den Verleger aufsetzen muss, um die eigene men gute und gut verkäufliche Bücher zu Online-Buchhandel abgewandert. Aber Arbeit machen zu können? machen, sondern vor allem auch mutig diese Entwicklungen haben auch dazu geführt, dass den verbliebenen unabhän- gigen Buchhändlern und Buchhändlerin- nen immer mehr Bedeutung zukommt. Online werden zwar Bücher verkauft, aber eben keine Bestseller gemacht, das findet nach wie vor in den Läden statt. Insofern brauchen wir gute und wohlge- sonnene Buchhändler, um die Ziele von Klett-Cotta zu erreichen. Und wir brau- chen das Vertrauen des Handels. Haben Sie einen Eindruck davon, wofür Klett-Cotta nach außen steht? Deckt sich das mit dem, wie Sie wahrgenom- men werden wollen? Wir können uns nicht über Liebesentzug beschweren. Im Gegenteil: Ich höre im- mer nur freundliches aus dem Handel, von Journalistinnen und Journalisten und ande- Verlegertage 2018 im Kloster Haydau: „Wie können wir unsere Zusammenarbeit ren. Klar, gerade bei Buchhändlern steht so gestalten, dass sich BuchhändlerInnen auf das wesentlich konzentrieren können?“ Klett-Cotta manchmal nach wie vor erst- 22 BuchMarkt Februar 2020 022_akt interview_02_20.indd 4 29.01.20 11:36
Eine klangvolle Gratulation zum „Online werden zwar Bücher verkauft, aber eben 250. Geburtstag von keine Bestseller gemacht, das findet nach wie vor in Ludwig van Beethoven den Läden statt“ mal für Tolkien und dann vielleicht noch ich erstmal die Daumen, dass es bei uns für unser sehr erfolgreiches Sachbuch- gut ankommt. M e i n e r st e s M u s ikbil derbuc Programm. Aber ich habe in den letzten h Jahren sehr viele Gespräche mit Buch- Sie haben gemeinsam mit den Kolle- händlerInnen geführt. Gerade wenn es um gen von Hanser, Suhrkamp, DuMont, unser belletristisches Programm bei Klett- Aufbau, C.H. Beck und Hoffmann und Cotta oder Tropen ging, kam eigentlich Campe die Verlegertage ins Leben ge- immer entweder der Satz „Also, bei Klett- rufen, bei denen Sie BuchhändlerInnen Cotta bin ich ja immer mal wieder positiv zum Austausch einladen. Was sind de- überrascht“ oder „ein Tropen-Buch hat ren drängendste Themen? mich eigentlich noch nie enttäuscht“. Das Die Verlegertage beruhen auf dem Ein- ist natürlich nett gemeint, aber es bildet verständnis der Verlegerinnen und Ver- auch die – vielleicht zu niedrigen – Erwar- legern, den BuchhändlerInnen zuhören tungen ab, die manche an unser Programm zu wollen, um herauszufinden, welche haben. In den vergangenen 15 Jahren hat Probleme sie haben. Ich habe den Ein- sich der Verlag stark verändert, aber es druck, dass Buchhändlerinnen und Buch- dauert eben, bis diese Veränderungen bei händler bereit sind, neue Wege zu gehen. allen ankommen. Das lässt sich sogar ganz Sie machen sich viele Gedanken darüber, profan an den Zahlen ablesen. Der Klett- wie man die Menschen in die Läden be- Marko Simsa / Birgit Antoni / Anna-Lena Kühler Herr Beethoven macht Musik Cotta-Absatz- und Umsatz hat sich in fast kommt. Es mangelt nicht an Kreativität Hardcover, 24 Seiten, mit Begleit-CD allen Buchhandlungen vervielfacht, in Re- und Engagement. Aber sie wollen dabei ISBN 978-3-219-11859-9 lation dazu haben sich die Vormerkerzah- nicht von den Verlagen alleine gelassen Ab 3 Jahren len nur geringfügig verändert. Dazu passt werden. Dabei geht es um diese Fragen: auch die durchschnittlich sehr niedrige Wie können wir unsere Zusammenarbeit Remi-Quote. Ich wünsche mir, dass unser so gestalten, dass sich Buchhändler auf Programm sehr genau beobachtet wird, das wesentlich konzentrieren können? dass man es an hohen Ansprüchen – auch Wie können wir helfen, neue Kunden in an seiner Verkäuflichkeit – misst. So, dass den Laden zu locken, etwa indem wir die am Ende die beglückenden Leseerlebnis- Schwellen für Lesungsveranstaltungen se nicht mehr unbedingt immer positive und ähnliches senken. Und vieles mehr. Überraschungen sind, und wir vielleicht sogar mal mit einem enttäuschten Leser Ist eine Neuauflage geplant? leben müssen. Ja. Wir treffen uns im Mai im Kloster Haydau. Dort wird unter anderem Flori- Welche (neuen) Titel stehen charakte- an Valerius von seinen Erlebnissen in den ristisch für den Verlag? USA berichten. Die Verlegertage haben Sehr stolz bin ich auf den Roman Der in Kooperation mit der internationalen Empfänger von Ulla Lenze. Das ist groß- Initiative Bookselling Without Borders artiger, verblüffender, historischer Stoff, und der Frankfurter Buchmesse Stipendi- fantastisch erzählt. Ein packender Ro- en für eine Buchhändlerreise in die USA man, der vieles miteinander verbindet, zum International Bookseller Summit in wofür Klett-Cotta hoffentlich steht: die New York und zum Branchentreffen The Auseinandersetzung mit der Geschichte, Winter Institute in Baltimore organisiert. Illustration: © Anna-Lena Kühler große Literatur und eine unverwechselba- Außerdem wird eine Buchhändlerin von re Stimme. Das Buch hat bereits Verleger uns im Mai zur Buchmesse nach Turin Rudolf Herfurtner / Maren Briswalter und Lektoren in der ganzen Welt begeis- geschickt. Am meisten freue ich mich Beethovens 9. Sinfonie tert. Es wird in den kommenden Jahren aber auf die Gespräch mit Buchhändle- Eine Sinfonie in d-Moll von Ludwig van Beethoven bei den besten Verlagen in zahlreichen rinnen und Buchhändlern an der Bar. Hardcover, 32 Seiten, mit Begleit-CD Ländern erscheinen. Aber jetzt drücke Die Fragen stellte Jörn Meyer ISBN 978-3-219-11804-9 Ab 6 Jahren BuchMarkt Februar 2020 23 www.annettebetz.de Folgt uns auf Facebook & Instagram 022_akt interview_02_20.indd 5 29.01.20 11:36
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