Wirtschafts- und Währungsunion und der Euro

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Wirtschafts- und Währungsunion und der Euro
DIE EUROPÄISCHE
  UNION ERKLÄRT

                    Wirtschafts- und
                    Währungsunion
                    und der Euro
  Für Stabilität,
 Wachstum und
   Wohlstand in
   ganz Europa
                    Eine gut f unkt io nier en d e Wir t s c haf ts-
                    und Währ ungs un io n und ein s t ar ker
                    und s t ab il er Eur o b il d en d ie Gr und l age
                    f ür Wac hs t um und Bes c häf t igun g in
                    Eur o p a.
INHALT
                                                                             Abschnitt 1: Warum brauchen wir eine
                                                                             Wirtschafts- und Währungsunion und
                                                                             den Euro?
                                                                             Eine gemeinsame Politik für eine
                                                                             gemeinsame Währung  . . . . . . . . . . . . . . . . 3
    DIE EUROPÄISCHE UNION                                                    Abschnitt 2: Die Wirtschafts- und
                  ERKLÄRT                                                    Währungsunion in der Praxis
                                                                             Gemeinsame Grundsätze für Stabilität
                                                                             und Wachstum  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
           Diese Veröffentlichung ist Teil einer Schriftenreihe, in
     deren Rahmen die Aktivitäten der EU in unterschiedlichen                Abschnitt 3: Wie fördert die EU das
    Politikfeldern, die Gründe und die Ergebnisse ihrer Tätigkeit            Wachstum?
                                                erläutert werden.
                                                                             Gemeinsam gestärkt aus der Krise
Sie können die Veröffentlichungen der Reihe hier herunterladen:              hervorgehen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  11
                        http://europa.eu/pol/index_de.htm
                                  http://europa.eu/!qf86pN                   Ausblick
                                                                             Zukunftsweisend: eine vertiefte und
                                                                             gerechtere WWU  . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  17
                         So funktioniert die Europäische Union
                                        Europa in 12 Lektionen               Kleines Glossar der gängigsten
                    Europa 2020: Europas Wachstumsstrategie                  Fachbegriffe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  18
                                      Die Gründerväter der EU
                                                                             Weitere Informationen  . . . . . . . . . . .  20
          Allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport
                                   Außen- und Sicherheitspolitik
                                          Banken und Finanzen
                                                                      Mit einem (*) versehene Fachbegriffe sind in einem kleinen Glossar
                                    Beschäftigung und Soziales        am Ende dieses Dokuments erläutert.
                                           Betrugsbekämpfung
                                                   Binnenmarkt
                                                Digitale Agenda       Die Europäische Union erklärt:
                                                         Energie      Wirtschafts- und Währungsunion und der Euro
                                                    Erweiterung
                                      Forschung und Innovation        Europäische Kommission
                                             Gesundheitswesen         Generaldirektion Kommunikation
                                         Grenzen und Sicherheit       Bürgerinformation
                                                          Handel      1049 Brüssel
                                                       Haushalt       BELGIEN
                     Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz
              Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung           Letzte Aktualisierung: November 2014
                         Justiz, Grundrechte und Gleichstellung
                                                    Klimaschutz       Deckblatt und Bild auf Seite 2:
                                Kultur und audiovisuelle Medien       © ccvision.de
                                                 Landwirtschaft
                                         Lebensmittelsicherheit       20 S. – 21 × 29,7 cm
                                     Meerespolitik und Fischerei      ISBN 978-92-79-41631-6
                                     Migrations- und Asylpolitik      doi:10.2775/18881
                                                 Regionalpolitik
                                                         Steuern      Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der
                                                         Umwelt       Europäischen Union, 2015
                                                  Unternehmen
                                                    Verbraucher       © Europäische Union, 2015
                                                         Verkehr      Nachdruck gestattet. Für die Verwendung oder
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           Wirtschafts- und Währungsunion und der Euro                direkt beim Urheberrechtsinhaber eingeholt werden.
                                                             Zoll
W I R T S C H A F T S -      U N D     W Ä H R U N G S U N I O N        U N D          D E R   E U R O
                                                                                                                                          3

    Abschnitt 1: Warum brauchen wir eine
    Wirtschafts- und Währungsunion und den Euro?

    Eine gemeinsame Politik für eine gemeinsame Währung

                                                                                      Der lange Weg zum Euro

                                                                     © Reuters/BSIP
                                                                                      Auch wenn uns der Euro heute als ein so selbstver-
                                                                                      ständlicher Teil unseres Alltags erscheint – seine
                                                                                      Einführung geschah nicht über Nacht. Der Euro ist eines
                                                                                      der bedeutendsten Ereignisse in der jüngeren Geschich-
                                                                                      te der europäischen Integration seit dem Ende des
                                                                                      Zweiten Weltkriegs – eine Geschichte, in der wirtschaft-
                                                                                      liche und politische Ziele schon immer eng miteinander
                                                                                      verknüpft waren. Alles begann in der Nachkriegszeit, als
                                                                                      es galt, dauerhaft Frieden zu schaffen und die europäi-
                                                                                      sche Wirtschaft wieder aufzubauen. Dazu wurde die
Mehr als 340 Millionen EU-Bürger verwenden den Euro im                                länderübergreifende Zusammenarbeit gestärkt, insbe-
Alltag.                                                                               sondere durch die Förderung des Freihandels.

                                                                                      Über seine wirtschaftliche Dimension hinaus ist der
Der Euro: ein Meilenstein                                                             Euro ein markantes, greifbares Symbol für die Einheit,
der europäischen Integration                                                          Identität und Zusammenarbeit in Europa. Mit dem
                                                                                      Vertrag von Maastricht wurde die Wirtschafts- und
Für die Bürger in 19 (1) Mitgliedstaaten der Europäischen                             Währungsunion (WWU) eingeführt. Gleichzeitig nahm
Union (EU) gehört der Euro zum Alltag. Er ist seit 2002                               die Europäische Union damit die Verpflichtung auf sich,
im Umlauf, und über 337 Millionen Menschen verwen-                                    „den Prozess der Schaffung einer immer engeren Union
den ihn für ihre täglichen Besorgungen, ihre Ersparnisse                              der Völker Europas weiterzuführen“. Die WWU erforderte
und ihre Investitionen in die Zukunft. Der Euro ist                                   eine engere Vernetzung auf politischer Ebene und damit
inzwischen nach dem US‑Dollar die wichtigste Währung                                  eine umfassendere politische Integration. Während die
der Welt. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es eine                                   Wirtschafts- und Währungsunion alle EU‑Mitgliedstaa-
Währungskooperation vergleichbaren Ausmaßes                                           ten umfasst, gelten für die Länder des Euroraums, da
zwischen souveränen Staaten.                                                          sie über eine gemeinsame Währung verfügen, einige
                                                                                      Sonderregelungen.
Der Euro stellt eine große Errungenschaft für die
europäische Integration dar. Er ist ein Meilenstein für
Länder, die in der Vergangenheit nicht selten gegenein-
ander Krieg führten: Eine wirtschaftliche Integration und
Solidarität dieser Art war in früheren Zeiten undenkbar.
Bis 2020 wächst eine ganze Generation junger Erwach-
sener heran, die in ihren Heimatländern nie eine andere
Landeswährung als den Euro kennengelernt haben.

(1) Jüngstes Mitglied im Euroraum (Beitritt 1.1.2015) ist Litauen.
4                                                                                               D I E         E U R O P Ä I S C H E             U N I O N               E R K L Ä R T

  Die Geschichte des Euro: ein kurzer Abriss
  —— Das Fundament: In den Römischen Verträgen von                                            wurde die Währungspolitik in einem radikalen Schritt
     1957 wurde die Grundlage für den Wiederaufbau                                            zu einem europäischen Thema.
     Europas gelegt: die schrittweise Einführung eines
     Binnenmarkts ohne Grenzen mit freiem Warenver-                                     —— Wirtschafts- und Währungsunion (WWU): Mit der
     kehr, Dienstleistungsfreiheit, Personenfreizügigkeit                                  Annahme des Vertrags über die Europäische Union
     und einem freien Kapitalverkehr zwischen den                                          im Jahr 1992 (besser bekannt als der Vertrag von
     teilnehmenden Staaten.                                                                Maastricht) erklärten sich die Regierungen der
                                                                                           EU‑Mitgliedstaaten mit der Einführung der WWU
  —— Langfristige Ziele: Ab den 1960er- und 1970er-                                        einverstanden. Erklärtes Ziel dieser Union war die
     Jahren nahm die Idee einer Wirtschafts- und                                           Vollendung des Binnenmarkts, die Gründung der
     Währungsunion (WWU) – mit anderen Worten, eines                                       Europäischen Zentralbank und die Entstehung einer
     im hohen Maße integrierten Binnenmarkts (*) mit                                       stabilen einheitlichen Währung bis zum Ende des
     einer einheitlichen Währungspolitik (*) und einer                                     Jahrhunderts.
     gemeinsamen Währung – vor dem Hintergrund eines
     schwachen US‑Dollars, der Ölkrisen und Währungs-                                   —— Euro im Portemonnaie: 2002 wurden Euro‑Bank­
     instabilität Gestalt an.                                                              noten und Euro‑Münzen als neue einheitliche
                                                                                           Währung eingeführt, die in 12 EU‑Ländern die
  —— Harmonisierung: 1979 wurde das Europäische                                            nationalen Währungen ersetzte – unter anderem die
     Währungssystem gegründet, ein Vorläufer der                                           deutsche Mark, den französischen Franken und die
     Wirtschafts- und Währungsunion. Damit war das                                         spanische Peseta. Die Zahl der am Euro teilnehmen-
     Anliegen verbunden, die Wechselkurse zu stabilisie-                                   den Mitgliedstaaten (die Länder des „Euroraums“ –
     ren, eine Begrenzung der Währungsschwankungen                                         oder „Euro‑Währungsgebiets“) ist inzwischen von 12
     zwischen den Ländern zu erreichen und Preissteige-                                    auf 19 gestiegen. Siehe auch die Karte weiter unten.
     rungen (Inflation) zu dämpfen. An dieser Stelle

 WELCHE LÄNDER GEHÖREN DEM EURORAUM AN?

      Zeitpunkt des Beitritts zum Euroraum:
                                                                                                                                                 Azoren (PT)                             (FR)
                                                                                                                                                                               Guadeloupe
      1. Januar 1999: Belgien (BE), Deutschland (DE), Finnland (FI),                                                                         Madeira (PT)
                                                                                                                                                                               (FR)

      Frankreich (FR), Irland (IE), Italien (IT), Luxemburg (LU),
      Niederlande (NL), Österreich (AT), Portugal (PT), Spanien (ES)                                                         FI
      1. Januar 2001: Griechenland (EL)                                                                                                           Kanarische Inseln (ES)
      1. Januar 2007: Slowenien (SI)                                                                                                                                           Martinique (FR)

      1. Januar 2008: Malta (MT), Zypern (CY)                                                                                                                                  Mayotte (FR)

      1. Januar 2009: Slowakei (SK)                                                                   SE                          EE
      1. Januar 2011: Estland (EE)                                                                                                                          Französisch
                                                                                                                                  LV                                           Réunion (FR)
      1. Januar 2014: Lettland (LV)                                                          DK                                                              Guayana
      1. Januar 2015: Litauen (LT)                                 IE                                                                                           (FR)
                                                                                                                         LT
                                                                        UK

                                                                                   NL                              PL
      EU-Länder, deren Landeswährung nicht der Euro ist:
                                                                                  BE         DE
      Bulgarien (BG), Dänemark (DK), Kroatien (HR),                                     LU
                                                                                                          CZ
      Polen (PL), Rumänien (RO), Schweden (SE),                                                                   SK
                                                                             FR
      Tschechische Republik (CZ), Ungarn (HU),                                                      AT
      Vereinigtes Königreich (UK)                                                                                 HU
                                                                                                     SI                                RO
                                                                                             IT            HR

                                                      PT
                                                                                                                                        BG
                                                               ES

                                                                                                                        EL

                                                                                                                                                            CY
Alle EU‑Länder sind bis zu einem gewissen Grad Teil der                                              MT
Wirtschafts- und Währungsunion, aber nicht alle verwenden den
Euro. Zwei Länder (Dänemark und Großbritannien) entschieden sich
im Rahmen des Vertrags von Maastricht gegen den Euro. Andere
erfüllen bisher noch nicht alle im Maastrichter Vertrag geforderten
ökonomischen Kriterien zur Teilnahme am Euro, zum Beispiel
im Hinblick auf Preisstabilität und Wechselkurse.
W I R T S C H A F T S -    U N D   W Ä H R U N G S U N I O N               U N D    D E R     E U R O
                                                                                                                                                             5

Welche Vorteile bieten die Wirtschafts-                                              Jahren wiesen viele europäische Länder sehr hohe
und Währungsunion und der Euro?                                                      Inflationsraten auf, in einigen Fällen bis zu 20 % oder
                                                                                     mehr. In Vorbereitung auf den Euro ging die Inflation
• Die Wirtschafts- und Währungsunion ist der                                         zurück. Seit seiner Einführung hält sie sich im Euro­
  tragende Unterbau des Euro: Sie umfasst die                                        raum konstant bei etwa 2 %.)
  Währungspolitik (*) (Preisstabilität und Zinssätze), die
  Wirtschaftspolitik (*) und bestimmte Aspekte der
  Fiskalpolitik (*) (um die jährlichen Defizite und die                            • Die Wirtschafts- und Währungsunion fördert das
  Verschuldung der Mitgliedstaaten in Grenzen zu                                     Wirtschaftswachstum: Der Zusammenschluss von
  halten – siehe Abschnitt 2). Durch die WWU sollen                                  Volkswirtschaften und Märkten auf europäischer
  stabile und wachstumsfreundliche wirtschaftliche                                   Ebene bringt Größenvorteile mit sich und geht mit der
  Rahmenbedingungen für den Euroraum und den                                         Schaffung eines gemeinsamen Rahmens zur Verbes-
  Binnenmarkt geschaffen werden. Der vorrangige                                      serung der internen Effizienz, Wettbewerbsfähigkeit
  Zweck der WWU besteht darin, einen starken und                                     und Robustheit sowohl für die EU-Wirtschaft insge-
  stabilen Euro zu garantieren.                                                      samt als auch in den einzelnen Mitgliedstaaten einher.
                                                                                     Diese Entwicklung wirkt sich positiv auf die wirt-
                                                                                     schaftliche Stabilität, das Wirtschaftswachstum und
• Die Wirtschafts- und Währungsunion sorgt für                                       die Beschäftigungssituation aus.
  Preisstabilität: Die unabhängige Europäische Zentral-
  bank (EZB) ist für die Währungspolitik im Euroraum
  zuständig, unter anderem auch für das Gelddrucken.                               • Der Euro ist von praktischem Nutzen für die Bürger:
  Hauptaufgabe der EZB ist es, die Verbraucherpreise                                 Die Vorteile einer gemeinsamen Währung werden
  stabil zu halten und den Euro vor einem Wertverlust                                unmittelbar ersichtlich, wenn man sich in den 19 Län-
  zu schützen, indem sie die Leitzinssätze festlegt und                              dern des Euroraums aufhält. So fallen, seit es den
  anpasst. Mit diesem Ziel vor Augen arbeitet die EZB                                Euro gibt, die Kosten und der Aufwand des Währungs-
  daran, die Inflationsrate mittelfristig knapp unter 2 %                            umtauschs an den Grenzen weg. Auch grenzüber-
  zu halten: Diese Rate wird als ausreichend niedrig                                 schreitendes Einkaufen und Preisvergleiche sind nun
  erachtet, damit die Verbraucher in den vollen Genuss                               viel unkomplizierter und transparenter möglich, auch
  stabiler Preise kommen. (In den 1970er- und 1980er-                                im Online‑Handel. Das regt den Wettbewerb an und

                                                                                   Die Europäische Zentralbank (EZB) sorgt dafür, dass sich die
                                                                                   Inflationsrate im Euroraum dauerhaft um 2 % bewegt.

 DIE INFLATION BLIEB IM EURORAUM LIEGT BEI ETWA 2 %

%
                                              Einführung des Euro                                       Planung

5

4

3

2                                                                                                                              Harmonisierter Verbraucher-
                                                                                                                               preisindex (HVPI; jährliche
                                                                                                                               Rate)
                                                                                                                               Durchschnittliche Inflation
1                                                                                                                              (1999 bis heute; jährliche Rate)

0                                                                                                                        Quelle: Europäische Kommission.

                                                                                                                         Daten von vor 1996 sind Schätzwerte
                                                                                                                         auf Basis der nicht harmonisierten
-1                                                                                                                       nationalen Verbraucherpreisindizes.
     1996           2000               2004                         2008                    2012                  2016
6                                                                                   D I E   E U R O P Ä I S C H E   U N I O N   E R K L Ä R T

  bremst die Preisentwicklung – zum Vorteil der
  500 Millionen Verbraucher in Europa. Nicht zuletzt
  sorgt die Europäische Zentralbank für eine konse-
  quente Preisstabilität im Euroraum und schützt auf
  diesem Weg die Kaufkraft der Bürger.

                                                             © Shutterstock/Gena96
• Der Euro ist gut für Unternehmen: Der Euro bringt
  zudem beachtliche Vorteile für europäische Unterneh-
  men mit sich. Zum Beispiel sind Unternehmen dank
  stabiler, durch die Wirtschafts- und Währungsunion
  begünstigter Zinssätze in der Lage, in größerem
                                                             Alle Euro‑Münzen haben eine einheitliche Seite und eine von
  Umfang in Beschäftigung und die Schaffung von              Land zu Land unterschiedlich gestaltete Seite. Die Münzen und
  Wohlstand zu investieren. Die Einführung des Euro          Banknoten, die ein Land des Euroraums ausgibt, können auch
  beendete zudem nationale Rivalitäten auf währungs-         in jedem anderen Euroland verwendet werden.
  politischem Gebiet. Der Wegfall der Transaktionskos-
  ten beim Währungsumtausch mindert Risiken und
  setzt mehr Kapital für produktive Investitionen frei.
  Die Preisstabilität gibt Unternehmen zudem die nötige
  Sicherheit für eine längerfristige Planung und Investi-
                                                                          Über die Finanzkrise hinweg (siehe Abschnitt 2) hat der
  tionen zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähig-
                                                                          Euro – mit etwa 1,3 USD für 1 € – seinen Wert im
  keit (*). Das ist insbesondere in unserer globalisierten
                                                                          Vergleich zu anderen Währungen wie dem US‑Dollar
  Welt von Bedeutung, in der sich europäische Unter-
                                                                          im Wesentlichen halten können.
  nehmen mit Mitbewerbern auf allen Kontinenten
  messen müssen.

• Der Euro ist eine globale Einflussgröße: Der Euro
  nützt Europa insgesamt. Er verschafft Europa mehr
  Gewicht und eine höhere wirtschaftliche Durchset-
  zungskraft im Welthandel. Er bietet eine stabile
  Währung, die von einem bedeutenden Wirtschafts-
  block – dem Euroraum – gestützt wird, der globale
  Erschütterungen besser abfedern kann. Und eine
  derart kraftvolle und stabile Währung stärkt die
  Position Europas in der Weltwirtschaft. Der Euro ist
  neben dem US‑Dollar die beliebteste Währung für
  weltweite Transaktionen: Er wird auf Devisenmärkten
  am zweithäufigsten gehandelt. An 40 % der täglichen
  weltweiten Transaktionen ist der Euro beteiligt. Es
  sind über 980 Milliarden € im Umlauf, und über
  100 Millionen Menschen in Drittstaaten verwenden
  Währungen, die an den Euro gekoppelt sind. Seit
  seiner Schaffung im Jahr 1999 zieht der Euroraum
  kontinuierlich ausländische Direktinvestitionen aus
  Ländern der ganzen Welt an.
W I R T S C H A F T S -   U N D   W Ä H R U N G S U N I O N   U N D   D E R   E U R O
                                                                                                                              7

   Abschnitt 2: Die Wirtschafts- und
   Währungsunion in der Praxis
   Gemeinsame Grundsätze für Stabilität und Wachstum

Grundlegendes Wissen über die                                         Der Stabilitäts- und Wachstumspakt für
Wirtschafts- und Währungsunion                                        ausgeglichene öffentliche Finanzen

Wirtschafts- und Währungsunion ist im Grunde ein                      Die Wirtschafts- und Währungsunion kann ihre Wirkung
                                                                      nur entfalten, wenn sich alle EU‑Mitgliedstaaten,
Oberbegriff für verschiedene, ganz unterschiedliche
                                                                      insbesondere die Länder des Euroraums, an die gemein-
politische Maßnahmen, die zum Ziel haben, das Wachs-                  sam vereinbarten Regeln halten. Insbesondere geht es
tum in der EU zu fördern und die Stärke und Stabilität                darum, dass die Länder ihre öffentlichen Finanzen in
des Euro zu wahren. Die Wirtschafts- und Währungs­                    Ordnung halten müssen – das heißt, die nationalen
union deckt die Bereiche Währungspolitik („Währungs-                  Haushalte müssen hinsichtlich der Ausgaben und
union“), Fiskalpolitik und Wirtschaftspolitik („Wirt­                 Einnahmen ausgeglichen sein.
schaftsunion“) ab. Siehe die Tabelle „Die Wirtschafts-
                                                                      Das Haushaltsdefizit ist der Betrag, um den die Staats-
und Währungsunion im Überblick“ weiter unten.
                                                                      ausgaben die Staatseinnahmen in einem bestimmten Jahr
                                                                      übersteigen. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt
Diese Politikbereiche liegen entweder in der Zuständig-               verpflichtet die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass ihr
keit nationaler oder europäischer Behörden, oder beide                jährliches Haushaltsdefizit nicht mehr als 3 % ihrer
teilen sich die Zuständigkeit. Die Geldpolitik liegt allein           Gesamtjahresproduktion bzw. ihres Bruttoinlandsprodukts
in der Hand der unabhängigen Europäischen Zentral-                    (BIP) beträgt. Die EU‑Mitgliedstaaten legen der Kommis­
bank (siehe Abschnitt 1). Die Fiskalpolitik (Steuern und              sion ihre Haushaltsplanung vor. Diese wird anschließend
öffentliche Finanzen) ist Sache der nationalen Regierun-              jährlich im Rahmen des „Europäischen Semesters“
gen. Entscheidungen, die die öffentlichen Finanzen                    bewertet (siehe Abschnitt 3).
einzelner EU‑Länder betreffen, können sich jedoch                     Die Staatsverschuldung ist die Gesamtsumme der
EU‑weit auswirken. Zur Wirtschafts- und Währungsunion                 aufgelaufenen öffentlichen Defizite. Wenn die Staatsaus-
gehören daher einige wesentliche Regeln bezüglich der                 gaben die Einnahmen eines Staates übersteigen (und
öffentlichen Finanzen, die von allen EU‑Ländern                       somit ein Jahresdefizit entsteht), muss das entsprechen-
gemeinsam erarbeitet und angenommen wurden und                        de Land Geld leihen oder die Steuern erhöhen, um das
zwecks Erhaltung der wirtschaftlichen Stabilität von der              Loch zu stopfen. Die Staatsverschuldung eines Landes ist
Kommission durchgesetzt werden. Das wichtigste                        daher die Gesamtsumme des Geldes, das ein Staat über
Instrument für die Lenkung und Koordinierung wirt-                    mehrere Jahre schuldet. Der Stabilitäts- und Wachs-
                                                                      tumspakt verpflichtet die Mitgliedstaaten zu gewähr-
schaftspolitischer Entscheidungsprozesse in den
                                                                      leisten, dass ihr Schuldenstand 60 % ihres BIP nicht
EU‑Ländern ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt.                    übersteigt (oder dass sie sich diesem Ziel ausreichend
Der Pakt wurde 1999 erstmals eingeführt und seit                      schnell annähern).
2011 immer weiter gestärkt (siehe Abschnitt 3).
                                                                      Jahresdefizite und Gesamtverschuldung, durch die ein
                                                                      Land sich gezwungen sehen kann, zusätzliche
                                                                      Einnahmen zu generieren, sind kein Problem an sich.
                                                                      Es kann ein Mittel sein, in zukünftiges Wirtschafts-
                                                                      wachstum zu investieren. Der Zweck des Stabilitäts-
                                                                      und Wachstumspakts besteht darin, eine übermäßige
                                                                      Kreditaufnahme und eine untragbare Staatsver­
                                                                      schuldung zu verhindern, die der Wirtschafts­ent­
                                                                      wicklung nicht zuträglich sind.
8                                                                          D I E   E U R O P Ä I S C H E     U N I O N   E R K L Ä R T

 DIE WIRTSCHAFTS- UND WÄHRUNGSUNION (WWU) IM ÜBERBLICK

                          Währungsunion                                             Wirtschaftsunion

                        Währungspolitik                             Fiskalpolitik                           Wirtschaftspolitische
                                                                                                            Entscheidungsfindung
 Inhalte und        Preisstabilität: Festlegung   Öffentliche Finanzen         Steuern                      Entscheidungen bezüglich
 Aufgaben           der Zinssätze für den         (Höhe der Ausgaben           (Einkommen des               Bildungssysteme,
                    Euroraum, um die Inflation    und Kreditaufnahme           Staates)                     Arbeitsmarkt, Renten
                    bei knapp unter 2 % zu        der Nationalstaaten)                                      usw.
                    halten
                    –––
                    Inumlaufbringen von
                    Euro‑Münzen und
                    -Banknoten

 Wer verwaltet      Die Europäische               Zuständig sind die           Zuständig sind die           Zuständig sind die
 was?               Zentralbank (EZB) legt        Mitgliedstaaten selbst.      Mitgliedstaaten              Mitgliedstaaten selbst.
                    Zinssätze fest und druckt     –––                          selbst.                      –––
                    Euro‑Banknoten.               Die EU setzt                                              Die EU koordiniert und
                    –––                           gemeinsame Defizit‑/                                      spricht Empfehlungen im
                    Die nationalen Regierungen    Verschuldungsregeln                                       Rahmen des Europäi-
                    geben Euro‑Münzen in von      durch.                                                    schen Semesters aus.
                    der EZB genehmigten
                    Mengen aus.

 Weitere                 Siehe Abschnitt 1                        Siehe Abschnitt 2                            Siehe Abschnitt 2
 Informationen?

Was passiert bei einem Verstoß gegen                             Diese von allen EU‑Mitgliedstaaten und EU‑Institutionen
die Regeln?                                                      angenommenen Regeln zeigen, dass die wirtschaftspoli-
                                                                 tischen Entscheidungsprozesse eine Angelegenheit sind,
Stellt die Kommission fest, dass ein Mitgliedstaat gegen         die alle betrifft und für die alle gemeinsam Verantwor-
die Defizit‑/Verschuldungsregeln des Stabilitäts- und            tung tragen – insbesondere im Euroraum. Während die
Wachstumspakts verstoßen hat, kann sie Verfahren in die          Überwachungskomponente des Stabilitäts- und Wachs-
Wege leiten, um die Situation zurechtzurücken. Handelt           tumspakts für alle EU‑Mitgliedstaaten gilt, können
es sich nicht um vorübergehende oder einmalige Verstö-           Sanktionen bei Verstößen gegen die Regeln nur gegen
ße, empfiehlt die Kommission den EU‑Finanzministern,             die Länder des Euroraums verhängt werden. Generell
Verfahren gegen den betreffenden Mitgliedstaat einzulei-         müssen alle EU‑Länder, und insbesondere die Länder
ten. Dazu steht das Verfahren bei einem übermäßigen              des Euroraums, darauf vertrauen, dass umsichtiges
Defizit (*) zur Verfügung. Falls die EU‑Finanz­minister          politisches Handeln die Regel ist, dass Mechanismen
diese Empfehlung nicht mehrheitlich ablehnen, muss das           existieren, um Abweichungen zu erkennen und zu
betreffende Land einen detaillierten Plan vorlegen, wie          korrigieren und dass eine solide Haushaltsführung in
es sein Defizit oder seine Verschuldung in einer vorgege-        einem Land nicht durch ausgabefreudigeres Verhalten
benen Frist unter die vom Pakt festgelegten Grenzen              anderswo zunichte gemacht wird.
senken will (siehe Abschnitt 3).
W I R T S C H A F T S -   U N D   W Ä H R U N G S U N I O N   U N D    D E R    E U R O
                                                                                                                                 9

Wie wird die Wirtschafts- und
Währungsunion verwaltet? –
gemeinsam getragene Verantwortung

Die Wirtschafts- und Währungsunion wird von mehreren
nationalen und EU‑Institutionen verwaltet, die jeweils
unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen. Dieser Prozess
wird als „wirtschaftspolitische Steuerung“ bezeichnet.
Folgende Akteure sind daran beteiligt:

DIE KOMMISSION – Sie erstellt Wirtschaftsprognosen
                                                                               Die Europäische Zentralbank (EZB) und das Eurosystem
und überwacht eine Reihe von Wirtschaftsindikatoren                                                                     in 3 Minuten
für sämtliche EU‑Länder, um sicherzustellen, dass sich
alle an die gemeinsam vereinbarten Regeln des Stabili-                                                     Das Video finden Sie hier:
täts- und Wachstumspakts halten. Die Kommission                                      https://www.youtube.com/watch?v=TAlcFwGIQBg
bewertet die wirtschaftliche Lage und spricht regel­
mäßig Empfehlungen an den Ministerrat aus, der die
Regierungen aller Mitgliedstaaten vertritt (Entschei-
dungsgremium der Finanzminister ist der Ecofin‑Rat (*)).

DER EUROPÄISCHE RAT – Die Staats- und Regierungs-                     EUROPÄISCHES PARLAMENT – Es teilt die Aufgabe
chefs aller EU‑Länder legen die wichtigsten politischen               der Erarbeitung von Rechtsvorschriften mit den Finanz-
Richtungsvorgaben fest.                                               ministern (im Ecofin‑Rat) und übt die Funktion einer
                                                                      demokratischen Kontrollinstanz im Hinblick auf die
DER EURO‑GIPFEL – Mindestens zwei Mal im Jahr                         Verwaltung der Wirtschafts- und Währungsunion aus.
kommen die Staats- oder Regierungschefs der Länder
des Euroraums zusammen, um die Steuerung des Euro                     NATIONALE REGIERUNGEN – Sie legen ihre nationalen
zu koordinieren.                                                      Haushalte innerhalb der Defizit-/Verschuldungsgrenzen
                                                                      fest und setzen die Entscheidungen des Ministerrats der
MINISTERRAT DER EU („ECOFIN‑RAT“) – Dem                               EU um. Sie bestimmen über ihre Wirtschaftspolitik und
Ministerrat gehören die jeweiligen Fachminister jedes                 die Bereiche Bildung, Arbeit, Soziales und Rentensyste-
Mitgliedstaats an. Abhängig vom jeweiligen Politikbe-                 me, um nur einige zu nennen.
reich tagt der Rat in unterschiedlicher Zusammenset-
zung. Der „Ecofin‑Rat“ setzt sich aus den Finanz­                     EUROPÄISCHE ZENTRALBANK – Dieses unabhängige
ministern sämtlicher Mitgliedstaaten zusammen. Sie                    Organ zur Verwaltung der Geldpolitik im Euroraum
sind für die Koordinierung und Rechtsetzung auf dem                   stabilisiert die Preisentwicklung durch Festlegung der
Gebiet der europäischen Wirtschafts- und Finanz­                      Leitzinssätze im Sinne einer mittelfristigen Inflations-
politik in einer ganzen Reihe von Bereichen zuständig.                kontrolle.
Dazu zählen unter anderem: Koordinierung der Wirt-
schaftspolitik, Überwachung der Haushaltspolitik und
öffentlichen Finanzen der EU‑Länder, der Euro (recht­
liche, praktische und internationale Aspekte), Finanz-
märkte, Kapitalverkehr und Wirtschaftsbeziehungen mit
Nicht‑EU‑Staaten. Auf Grundlage der Vorschläge der
Kommission treffen sie Entscheidungen, die für die
EU‑Länder rechtsverbindlich sind.

EUROGRUPPE – Die Finanzminister aller Länder des
Euroraums kommen zusammen, um Themen rund um
den Euro zu erörtern. Dies geschieht in der Regel im
Vorfeld der Sitzungen des Ecofin‑Rats, der für die
formelle Annahme von Entscheidungen zuständig ist
(siehe oben).
10                                                                   D I E   E U R O P Ä I S C H E   U N I O N   E R K L Ä R T

Wie kam es zur Wirtschafts- und Finanzkrise?

Die Krise, von denen viele Länder inner- und außerhalb        2010-2012: Staatsschuldenkrise
des Euroraums seit 2009 schwer in Mitleidenschaft
gezogen wurden, ist im Grunde das Ergebnis verschiede-        Ende 2009 konnten einige der schwächsten Volkswirt-
ner Krisen und Faktoren, unter anderem einer Finanzkrise      schaften des Euroraums (unter anderem Griechenland,
(bzw. Bankenkrise), einer Wirtschaftskrise und einer          Irland und Portugal) nicht mehr gleichzeitig ihre rasant
Staatsschuldenkrise (*), die in einigen EU‑Ländern harte      ansteigende Verschuldung und die Finanzkrise bewälti-
Zeiten über die Menschen gebracht haben.                      gen. Dieser Umstand führte direkt in die Staatsschulden-
                                                              krise. Die Finanzinvestoren verloren das Vertrauen in die
Ab 2000: Schulden und Wirtschaftsgefälle ...                  Fähigkeit dieser Länder, ihre Schulden zurückzuzahlen,
                                                              und in deren Wettbewerbsfähigkeit insgesamt. Die
In vielen EU‑Mitgliedstaaten hatten sich über etliche         Zinsen, die diese Investoren für Staatsanleihen (*)
Jahre erhebliche Schulden und Defizite aufgetürmt. Der        forderten, stiegen enorm, so dass die Länder nicht mehr
Stabilitäts- und Wachstumspakt geriet an seine Grenzen:       in der Lage waren, durch den Verkauf neuer Anleihen
Im Jahr 2004 hatten bereits mehrere Länder gegen seine        Geld auf den Finanzmärkten aufzunehmen. Und da ein
Regeln verstoßen. Die Durchsetzung stellte sich als           Teil dieser Anleihen in der Hand von Investoren aus
schwierig heraus. Eine gemeinsame Währung setzt               anderen Ländern des Euroraums lag, zum Beispiel bei
voraus, dass die Wirtschaftsakteure der teilnehmenden         den Banken, wurde die Krise zu einem Problem, das
Länder flexibel genug sind, um auf wirtschaftliche            immer größere Kreise zog. Die Banken verloren das
Wechselfälle reagieren zu können. Die wirtschaftlichen        Vertrauen in das Kreditgeschäft mit Unternehmen und
Unterschiede zwischen den Ländern hinsichtlich der            privaten Haushalten, so dass es zur „Kreditklemme“ kam.
Produktivität der Arbeitskräfte und der Löhne nahmen
stetig zu. Auch waren einige Länder wirtschaftlich nicht      Zur Bekämpfung der Krise mussten die öffentlichen
mehr wettbewerbsfähig. Diese Ungleichgewichte bauten          Finanzen in Ordnung gebracht und die Wettbewerbs­
sich über viele Jahre auf, und einige Länder steuerten        fähigkeit durch strukturelle Reformen wiederhergestellt
nicht angemessen gegen. Gleichzeitig verfügte die EU          werden. Die Länder des Euroraums führten den Euro­
nicht über die erforderlichen Instrumente, um einschrei-      päischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ein, der für die
ten zu können. Eine vollständige Währungsunion war            bedürftigsten Länder Darlehen in erheblichem Umfang
also vorhanden – aber keine Wirtschaftsunion, um diese        bereitstellte (siehe Abschnitt 3). 2011 zeichnete sich eine
zu tragen.                                                    leichte wirtschaftliche Erholung ab, allerdings machte die
                                                              europäische Wirtschaft 2012 erneut eine leichte
2007-2008: eine globale Finanzkrise                           Rezession durch.

In den Jahren 2007 und 2008 gingen einige große               2013-2014: wirtschaftliche Erholung
US‑Banken, darunter Lehman Brothers, die viertgrößte
Investmentbank der USA, aufgrund risikoreicher Kredit-        2013 begann die EU‑Wirtschaft, sich langsam von der
vergabepraktiken auf dem Immobilienmarkt in Konkurs           lang anhaltenden Rezession zu erholen. Die Wirtschafts-
(und in der Folge platzte die „Subprime“-Blase in den         politik der EU konzentrierte sich auf nachhaltiges
USA). Da die Weltwirtschaft in hohem Maße vernetzt ist,       Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen.
wurden Banken in der ganzen Welt davon in Mitleiden-          Gleichzeitig sollte den Ländern ermöglicht werden, ihre
schaft gezogen. Die Banken liehen sich gegenseitig kein       öffentlichen Finanzen in einem langsameren und indi­vi­
Geld mehr, und das Kreditgeschäft kam zum Erliegen.           duell angepassten Tempo, den jeweiligen Umständen
Um den Zusammenbruch des gesamten Bankensystems               entsprechend, weiter zu konsolidieren. Seither ist den
zu verhindern, unterstützten die EU‑Länder inner- und         EU‑Ländern die Notwendigkeit umfassender Strukturre-
außerhalb des Euroraums ihre Banken zwischen 2008             formen bewusst, um das Wachstum in Europa zu fördern.
und 2011 über Bürgschaften und Direktkapital mit etwa         Die größte Herausforderung bleibt die Schaffung von
1,6 Billionen € (circa 13 % des BIP der EU). Dies trieb die   Arbeitsplätzen. Insbesondere in Griechenland und
bestehenden Defizite und Schulden weiter in die Höhe.         Spanien liegt die Arbeitslosenquote bei über 25 %. Die
                                                              Kommission und die EU‑Mitgliedstaaten haben ein
2009: Wirtschaftskrise                                        breites Spektrum von Maßnahmen auf den Weg gebracht,
Im Jahr 2009 geriet die europäische Wirtschaft in eine        um die Arbeitslosen zurück in die allgemeine oder
tiefe Rezession. Die EU‑Länder legten Konjunkturpro-          berufliche Bildung und in Beschäftigungsverhältnisse zu
gramme auf, um den Wirtschaftsabschwung abzu-                 bringen und ein starkes und nachhaltiges Wirtschafts-
mildern.                                                      wachstum zu fördern.

                                                              Weitere Informationen zur Wachstumsstrategie der EU,
                                                              der „Strategie Europa 2020“, finden Sie in Abschnitt 3
                                                              über das „Europäische Semester“ oder auf
                                                              http://ec.europa.eu/europe2020/index_en.htm.
W I R T S C H A F T S -   U N D   W Ä H R U N G S U N I O N   U N D    D E R   E U R O
                                                                                                                          11

    Abschnitt 3: Wie fördert die EU das
    Wachstum?

   Gemeinsam gestärkt aus der Krise hervorgehen

Die Erfahrung zeigt: Zusammenarbeit                                   Es gilt der Grundsatz, dass eine intensivere gegenseitige
intensivieren!                                                        Solidarität nur funktioniert, wenn damit andererseits
                                                                      eine größere individuelle Verantwortung einhergeht. Das
Eine wichtige Erfahrung aus der Krise ist die Erkenntnis,             setzt einen zutiefst demokratischen Prozess voraus.
in welchem Ausmaß die EU und insbesondere die
Länder des Euroraums aufeinander angewiesen sind,                     Eine weitere wichtige Lektion ist die Erfahrung, dass die
um zu wachsen und zu gedeihen: Geht es einem Land                     Länder in einem verflochtenen Wirtschaftssystem wie
gut, so kommt dies anderen zugute. Gerät ein Land in                  dem Euroraum nicht zulassen können, dass Haushalts-
eine Schieflage, sind auch andere davon beeinträchtigt.               defizite und Verschuldung ins Uferlose steigen. Genauso
Nach dem Prinzip der Solidarität als Gegenleistung für                können wirtschaftliche Unterschiede zwischen EU‑­
Solidität standen Länder des Euroraums Griechenland,                  Ländern im Hinblick auf Wachstum und Wettbewerbs­
Irland, Portugal und Zypern mit an Bedingungen                        fähigkeit nicht einfach hingenommen werden: Die
geknüpften Finanzhilfen bei, um deren übermäßige                      Währungsunion ist ohne eine vertiefte Wirtschaftsunion
Verschuldung zu verhindern und ihnen wieder auf den                   unzulänglich. Dazu braucht es eine engere politische
Pfad des wirtschaftlichen Wohlstands und der Beschäf-                 Integration. Darum haben die nationalen Regierungen
tigung zu verhelfen (siehe nachstehende Abbildung).                   seit 2010 beschlossen, ihre Zusammenarbeit auf
Spanien erhielt unterdessen an Auflagen gebundene                     EU‑Ebene durch Einführung einer Reihe neuer Maßnah-
finanzielle Unterstützung zur Sanierung seines Banken-                men zu verstärken, die unten beschrieben sind. Der
sektors.                                                              Zweck dieser Maßnahmen liegt darin, der EU Mittel an
                                                                      die Hand zu geben, damit sie wirksam handeln kann,
                                                                      sowohl um ähnliche Krisen zu verhindern als auch zur
                                                                      Konjunkturbelebung und Schaffung von Arbeitsplätzen
  Irland, Spanien und Portugal haben ihre Hilfsprogramme              in der gesamten EU‑Wirtschaft. Es geht um eine
  erfolgreich abgeschlossen und im Dezember 2013,                     wesentliche Stärkung der wirtschaftlichen und politi-
  Januar 2014 bzw. Juni 2014 verlassen – ein Indiz für ein
                                                                      schen Zusammenarbeit, insbesondere zwischen den
  erstarktes Vertrauen der Märkte, verbesserte Konjunktur-
                                                                      Mitgliedstaaten des Euroraums – jetzt und in Zukunft.
  aussichten und eine sinkende Arbeitslosigkeit.

     In einem Video der Kommission wird die Wirtschafts- und
Finanzkrise erklärt – wie die EU Lösungen zur Bewältigung der
       Finanzkrise erarbeitet hat, wie sie ihre Wirtschafts- und
               Währungsunion festigt und wie sie den Weg für
                                  eine politische Union bereitet.

                                     Das Video finden Sie hier:
               https://www.youtube.com/watch?v=0B3zNcFYqj0
12                                                                         D I E      E U R O P Ä I S C H E      U N I O N        E R K L Ä R T

Finanzielle Unterstützung für                              Aus der Krise zurück zum Wachstum
Griechenland
                                                           Die EU hat entschlossen gehandelt, um durch eine
Ende 2009 gestand die griechische Regierung ein, dass      bessere wirtschaftspolitische Abstimmung zukünftige
ihr öffentliches Defizit sehr viel höher lag als zuvor     Krisen zu verhindern und zum Wachstum zurückzukehren.
angegeben. Ausschlaggebende Faktoren hierfür waren
unangemessen hohe öffentliche Ausgaben (zum Beispiel
                                                           1. DAS „EUROPÄISCHE SEMESTER“ – EIN NEUER
im überdimensionierten und ineffizienten öffentlichen
Sektor), Steuerhinterziehung und eine unzulängliche        ANSATZ DER WIRTSCHAFTSPOLITISCHEN
nationale Wirtschaftspolitik, die zu starren, häufig von   ZUSAMMENARBEIT
mächtigen Interessengruppen dominierten Markt­
strukturen führte.                                         Europa 2020 (*) ist die Strategie der EU für Wirtschafts-
                                                           wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen bis
Um Griechenland vor dem Staatsbankrott zu retten und
                                                           2020. Ein Eckpfeiler der Strategie Europa 2020 ist das
dem Land die Möglichkeit zu geben, seinen Pflichten im
                                                           Europäische Semester, das 2010 als zyklisches wirt-
Bereich der Sozialleistungen gegenüber der griechischen
Bevölkerung und der Gehaltszahlungen im öffentlichen       schaftspolitisches Instrument für Koordinierung und
Dienst nachzukommen, haben die Länder des Euroraums        Dialog eingerichtet wurde und die europäischen Institu­
und der Internationale Währungsfonds (IWF) Griechen-       tionen, die Regierungen der Mitgliedstaaten und die
land seit 2010 Darlehen in Höhe von 240 Milliarden €       nationalen Parlamente einbindet. Im Rahmen dieses Zyk-
gewährt, die über einen langen Zeitraum zurückzuzahlen     lus führt die Kommission eine jährliche „Gesundheitsprü-
sind.                                                      fung“ („Jahreswachstumsbericht“) der Volkswirtschaften
                                                           und Finanzen der EU‑Länder durch und veröffentlicht
Im Gegenzug für diese Unterstützung arbeiten die
griechischen Behörden mit einer ganzen Bandbreite von      den Bericht jedes Jahr im November. Er wird anschlie-
Maßnahmen an der Beseitigung der Schwächen des             ßend eingehend von nationalen und EU‑Behörden
Landes. Die öffentlichen Finanzen des Landes sollen        erörtert. Im Mai/Juni des Folgejahres spricht die Kom-
nachhaltig saniert werden, wobei die Schwächsten zu        mission auf die jeweiligen Länder abgestimmte ökono-
schützen sind, das Steuersystem muss gerechter und         mische und haushaltspolitische Empfehlungen
effizienter gestaltet und die öffentliche Verwaltung       („länderspezifische Empfehlungen“) aus, die anschlie-
modernisiert werden, um den Bedürfnissen der griechi-      ßend von allen EU‑Verantwortlichen und Finanzministern
schen Bevölkerung besser gerecht zu werden. Die Banken     erörtert und angenommen werden. Sie sollen dazu
sind zu sanieren, damit sie wieder Kredite an Haushalte
                                                           beitragen, der Wirtschaft neuen Auftrieb zu geben, die
und Unternehmen vergeben können, und die Gesetze des
                                                           Schaffung von Arbeitsplätzen zu fördern, allgemeine und
Landes sind so zu ändern, dass die Unternehmen nicht
mehr an Wettbewerb, Investitionen und der Schaffung        berufliche Bildungschancen zu verbessern, kleinen und
von Arbeitsplätzen gehindert werden.                       mittleren Unternehmen (KMU) den Zugang zu Finanz­
                                                           mitteln zu ermöglichen, Wachstum durch Forschung und
Die Umsetzung dieser Maßnahmen wird durch die              Innovation zu begünstigen und vieles mehr.
Kommission, die Europäische Zentralbank und den IWF
überwacht, die den jeweiligen Mitgliedern regelmäßig
                                                           Das Europäische Semester stärkt die Wirtschafts- und
Bericht erstatten (die Kommission informiert die Länder
                                                           Währungsunion als Ganzes. In enger Zusammenarbeit
des Euroraums). Die Darlehensgeber zahlen die Darle­hen
in regelmäßigen Raten, falls Griechenland versichert,      werden anstelle von Sofortlösungen, die lediglich
dass es seinen Reformverpflichtungen nachkommt.            kurzfristige Ziele bedienen, langfristige Strategien für

Die Eigenverantwortung Griechenlands in Bezug auf
diese Maßnahmen und der Aspekt der sozialen Gerech-         DIE MITTELBESCHAFFUNGSKOSTEN FÜR DIE REGIERUNGEN
tigkeit haben dabei absolute Priorität, damit das           VON SECHS EU-LÄNDERN
Reformprogramm in einen erfolgreichen wirtschaftlichen      %
                                                            20
Aufschwung mündet.
                                                            16
Mit Unterstützung der EU‑Länder und der speziellen
„Taskforce“, die gezielte technische Unterstützung an       12

Griechenland leistet, wird eine Vielzahl von Reformen
                                                             8
umgesetzt. Dazu gehören die Modernisierung der
Sozialversicherungskassen, die Unterstützung einer           4

nationalen Korruptionsbekämpfungsstrategie, eine             0
effizientere Steuererhebung und der Aufbau einer                 ’09            ’10          ’11        ’12       ’13        ’14           ’15
schlankeren und leistungsfähigeren öffentlichen
                                                                       Deutschland     Frankreich    Spanien   Irland   Italien       Portugal
Verwaltung.
                                                                                                    Renditen 10-jähriger Staatsanleihen
                                                           Quelle: Europäische Kommission.
W I R T S C H A F T S -                                         U N D       W Ä H R U N G S U N I O N                   U N D           D E R           E U R O
                                                                                                                                                                                                                                         13

                                                                                                                                                                                                                  SEPTEMBER
                                     NOVEMBER

                                                     DEZEMBER

                                                                                                                                                                                                                                     OKTOBER
                                                                                          FEBRUAR

                                                                                                                                                                                                    AUGUST
                                                                        JANUAR

                                                                                                                            APRIL
                                                                                                           MÄRZ

                                                                                                                                                                   JUNI

                                                                                                                                                                                   JULI
                                                                                                                                                 MAI
                                                                                       Wirtschaftsprognose                                                                                                                    Eurostat:
                                     Wirtschaftsprognose für den Herbst                                              Eurostat: erste            Wirtschaftsprognose für das Frühjahr
                                                                                       für den Winter                                                                                                                         endgültige
                                                                                                                     Verschuldungs-
                                                                                                                                                                                                                              Verschuldungs-
                                                                                                                     u. Defizitdaten
                                                                                                                                                                                                                              u. Defizitdaten
     EUROPÄISCHE KOMMISSION

                                                                WMB
                                 ALLGEMEINE
                                 PRIORITÄTEN
                                 Kommission
                                 veröffentlicht
                                                                JWB

                                 Jahreswachstumsbericht
                                 und Warnmechanismus-                                                   DETAILLIERTE                             BERATUNG

                                                                                                                                IDR
                                 Bericht                                                                ANALYSE                                  NACH MASS
                                                                                                        Kommission                               Kommission
                                €
                              ZONE
                                    HAUSHALT                                                            veröffentlicht                           schlägt
                                    Kommission                                                          vertiefte Prüfungen                      länderspezifische
                                    veröffentlicht                                                      (IDR) von Ländern                        Empfehlungen
                                 Stellungnahmen zu den                                                  mit potenziellen                         zur Haushalts-,
                                 Haushaltsübersichten                                                   makroökonomischen                        Wirtschafts- und

                                                                                                                                                                       LE
                                 der Mitgliedstaaten                                                    Ungleichgewichten                        Sozialpolitik vor
 EUROPÄISCHER RAT /

                                                                                 WMB

                                                                                                    EUROPÄISCHER RAT                                   RAT                  EUROPÄISCHER

                                                                                                                         JWB
                                €   EUROGRUPPE         RAT

                                                                                                                                                                                               LE
                              ZONE
                                    Finanzminister     Nationale Minister                           EU-Staats- und                                     Nationale            RAT
                                    erörtern die       verabschieden                                Regierungs-                                        Minister erörtern    EU-Staats- und
        RAT

                                 Stellungnahmen        Schlussfolgerungen                           chefs legen                                        die LE               Regierungschefs
                                                                                 JWB

                                 der Kommission        über den JWB und                             ausgehend vom                                                           billigen die LE
                                 zu den Haushalts-     den WMB                                      JWB Wirtschafts-
                                 übersichten                                                        prioritäten fest
     MITGLIEDSTAATEN

                                                  €    IMPLEMENTIERUNG                              IMPLEMENTIERUNG                                                                                             €
                                                                                                                                                                                                              ZONE
                                                                                                                                                                                                                    IMPLEMENTIERUNG
                                                ZONE                                                Mitgliedstaaten legen ihre                                                                                      Mitgliedstaaten
                                                       Mitgliedstaaten
                                                       nehmen endgültige                            Stabilitäts-/Konvergenzprogramme                                                                                legen Haushalts-
                                                     Haushaltspläne an                              (mittelfristige Haushaltspläne)                                                                               übersichten und
                                                                                                    sowie ihre nationalen                                                                                         Wirtschaftspartner-
                                                                                                    Reformprogramme                                                                                               schaftsprogramme (für
                                                                                                    (wirtschaftspolitische Pläne) vor                                                                             EDP-Länder) vor
 EUROPÄISCHES

                                                                                             WMB
  PARLAMENT

                                                                        Wirtschafts-                      Wirtschafts-                                                             Wirtschafts-
                                                                                                                              JWB

                                                                                                                                                                                                       LE
                                                                        dialog über JWB                   dialog über den                                                          dialog über
                                                                        und WMB                           Europäischen                                                             die LE
                                                                                                          Rat /JWB
                                                                                             JWB

JWB: Jahreswachstumsbericht (allgemeine Wirtschaftsprioritäten für die EU).                                                                                Das Europäische Semester stärkt die Lenkung der
WMB: Warnmechanismus-Bericht (Früherkennungsverfahren für Wirtschaftsrisiken).
LE: Länderspezifische Empfehlungen.                                                                                                                    europäischen Wirtschaft durch enge Koordinierung der
EDP: Excessive Deficit Procedure (Verfahren bei einem übermäßigen Defizit).                                                                                        nationalen Wirtschaftspolitiken in der EU.
IDR: In-Depth Reviews (vertiefte Prüfungen).
Wirtschaftspartnerschaftsprogramme: Übersicht der geplanten haushaltspolitischen
Strukturreformen zur langfristigen Defizitsenkung.

mehr Stabilität und Wachstum erarbeitet. Es stellt einen                                                                                JÄHRLICHES BIP‑WACHSTUM IN DEN 28 EU‑LÄNDERN

Rahmen und einen verbindlichen Zeitplan zur Verwal-                                                                                                                          Reales BIP-Wachstum, EU-28
                                                                                                                                            %
tung der neuen Maßnahmen gegen die Krise und für das                                                                                   5
Wachstum zur Verfügung (siehe die nachfolgenden                                                                                        4
                                                                                                                                                                                                                                    Planung
Punkte 2 bis 4).                                                                                                                       3

                                                                                                                                       2
2. EINE UMFASSENDE STRATEGIE FÜR FINANZIELLE                                                                                           1
STABILITÄT                                                                                                                             0

                                                                                                                                       -1
Verstärkte Vorbeugung übermäßiger Haushalts­                                                                                           -2
defizite und Verschuldung ...                                                                                                          -3

                                                                                                                                       -4
Um den Aufbau übermäßiger Defizite und Schulden zu                                                                                     -5
                                                                                                                                                96       98       00        02     04         06      08     10         12     14              16
verhindern, wurde der Stabilitäts- und Wachstumspakt
(siehe Abschnitt 2) im Dezember 2011 durch ein neues                                                                                     Das stabile Wirtschaftswachstum brach in der Krise ein, und
EU‑Gesetzespaket verstärkt. Das Paket wird auch                                                                                              viele der Millionen Arbeitsplätze, die in der EU bis 2008
                                                                                                                                             geschaffen worden waren, fielen weg. Zweck des neuen
„Sixpack“ genannt, da es sich um sechs Rechtsakte mit
                                                                                                                                           Rahmens zur Lenkung der Wirtschaft mit der Bezeichnung
dem Zweck handelt, die wirtschaftspolitische Steuerung                                                                                 „Europäisches Semester“ ist die Förderung von Wachstum, die
in der EU zu stärken.                                                                                                                            Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verhinderung
                                                                                                                                                                                    zukünftiger Krisen.
14                                                                 D I E   E U R O P Ä I S C H E   U N I O N   E R K L Ä R T

© iStockphoto/Leontura
                                 Der Europäische              nationalen Parlamenten verabschiedet werden. Die
                                 Stabilitätsmechanismus       Kommission prüft die Haushaltsentwürfe und die Aussich-
                                 (ESM) hat eine Gesamt-
                                                              ten für den Euroraum insgesamt und gewährleistet so
                                 Darlehenskapazität von
                                                              eine bessere Geamtkoordinierung der nationalen Haus-
                                 500 Milliarden €
                                 zugunsten von Euro­          haltspolitiken. Sie stützt sich bei ihrer Bewertung auf die
                                 ländern, die vorübergehend   Anforderungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts
                                 Schwierigkeiten haben,       (SWP) und beobachtet sorgfältig, in welchem Umfang die
                                 Geld an den Finanzmärkten    Länder die „länderspezifischen Empfehlungen“ umgesetzt
                                 aufzunehmen.
                                                              haben. Die Kommission gibt jedes Jahr zum 30. Novem-
                                                              ber ihre Stellungnahme ab. Falls sie schwere Verstöße
                                                              gegen die aus dem Pakt resultierenden Pflichten feststellt,
Durch die Reform erhielt der Stabilitäts- und Wachs-          kann sie innerhalb einer bestimmten Frist eine überarbei-
tumspakt einen transparenteren und verbindlicheren            tete Übersicht über die Haushaltsplanung verlangen.
Charakter, wurde aber auch flexibler. Einerseits wurde
die Durchsetzung der Regeln gestärkt: Verstößt ein            Auch die Überwachung der Länder des Euroraums, die
EU-Land gegen die gemeinsam vereinbarten Defizit-/            sich in schwerwiegenden finanziellen Schwierigkeiten
Verschuldungsgrenzen, muss es nachweisen, dass es             befinden, durch die Kommission erfolgt mit dem Inkraft-
geeignete Maßnahmen ergreift, um die Situation inner-         treten des „Twopack“ engmaschiger. Teile des Fiskalpaktes
halb einer klaren zeitlichen Vorgabe zu korrigieren. Von      sind nun EU-rechtlich verbindlich. Zur Vermeidung
der Kommission ausgesprochene Länderempfehlungen              zukünftiger Krisen soll gewährleistet sein, dass die
werden nun besser durchgesetzt. Finanzielle Sanktionen        nationalen Haushalte ausgeglichen sind und insbesondere
(einschließlich Geldbußen), die den Ländern des Euro­         die Länder des Euroraums keine übermäßigen Defizite
raums auferlegt werden können, wenn sie es dauerhaft          und Schulden anhäufen.
versäumen, ihre Bilanzen auszugleichen, kommen früher
zum Tragen und können schrittweise erhöht werden.             … und finanzielle Unterstützung für die
Andererseits hat die Reform die Flexibilität des SWP          Bedürftigsten
erhöht. Sie hat im Prinzip, anstelle einer rein mechani-
schen Anwendung der Regeln die Möglichkeiten zur              Im Herbst 2012 richteten die Länder des Euroraums
Berücksichtigung der besonderen ökonomischen Umstän-          einen neuen, ständigen Nothilfefonds (eine „Brandschutz­
de der einzelnen Länder in den einzelnen Verfahrens­          mauer“ (*)) ein: den so genannten Europäischen
phasen erweitert.                                             Stabilitätsmechanismus (*) mit einer Gesamt‑Darlehens­­
                                                              kapazität von 500 Milliarden €. Damit ist er einer
2012 verpflichteten sich alle EU-Länder mit Ausnahme          der größten Nothilfefonds der Welt. Über ihn können
des Vereinigten Königreichs und der Tschechischen Repub-      Länder des Euroraums, die aufgrund ihrer Verschuldung
lik in noch höherem Maße zur Einhaltung des SWP. Dazu         vorübergehend Probleme haben, Geld an den Finanz-
unterzeichneten sie ein internationales Abkommen, den         märkten aufzunehmen, Finanzdarlehen erhalten. Die
Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in       Darlehensvergabe erfolgt unter strengen Auflagen; unter
der Wirtschafts- und Währungsunion, auch „europäi-            anderem müssen die öffentlichen Finanzen entsprechend
scher Fiskalpakt“ genannt. Er zeigt die Entschlossenheit      den Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts auf
dieser Länder, den Grundsatz der finanziellen Stabilität in   ein nachhaltiges Maß zurückgeführt und Strukturreformen
ihrer nationalen Gesetzgebung zu verankern und sich           fortgeführt werden. Das stärkt das Vertrauen der Finanz-
damit zu verpflichten, im eigenen Land für einen ausge-       märkte in die Fähigkeit dieser Länder, im Laufe der Zeit
glichenen Haushalt oder einen Haushaltsüberschuss zu          ihre Schulden zurückzuzahlen und ihre Wettbewerbsfähig-
sorgen. Automatischere Abhilfe erfolgt nun durch die          keit wiederherzustellen. Dies trägt dazu bei, die finanzielle
Erweiterung neuer Abstimmungsregeln, und die Länder           Stabilität des Euroraums insgesamt zu sichern.
des Euroraums müssen sich verbindlicher verpflichten.

Im Mai 2013 traten zwei neue Rechtsakte – das
„Twopack“ – in Kraft. Durch diese wird die wirtschafts-         2009 und 2010 wurden zwei zeitlich begrenzte Nothilfe-
und haushaltspolitische Zusammenarbeit (und damit der           fonds (bzw. „Brandschutzmauern“) eingerichtet, um
                                                                besonders hoch verschuldete EU‑Länder zu unterstützen:
SWP) zwischen den Ländern des Euroraums noch weiter
                                                                die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (*) und der
gestärkt. Ein besonderer Schwerpunkt ist die Koordinie-         Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus (*). Ende
rung und Überwachung der jeweiligen nationalen Haus-            2012 wurde ein neuer, ständiger Fonds eingerichtet, der
haltspolitik. Von nun an wird die Kommission als letzte         so genannte Europäische Stabilitätsmechanismus (*), über
jährliche Etappe des Europäischen Semesters die jährli-         den seither Ländern des Euroraums in finanzieller
chen Haushaltsentwürfe der Länder des Euroraums (die            Schieflage erhebliche Darlehen gewährt wurden.
ihr bis zum 15. Oktober zugehen), analysieren und
Empfehlungen dazu abgeben, bevor die Haushalte in den
W I R T S C H A F T S -    U N D             W Ä H R U N G S U N I O N                     U N D       D E R   E U R O
                                                                                                                                                                15

Der Europäische Fonds für die Anpassung an die                                                     Im Bereich der Regionalpolitik schließlich gelangten die
Globalisierung ist ein weiteres Instrument, das zur                                                Mittel für regionale Investitionsprojekte in Reaktion auf
Abschwächung der negativen Auswirkungen der Krise                                                  die Krise schneller in die EU‑Länder, insbesondere in
eingesetzt wurde. Mit diesem Fonds werden Menschen                                                 diejenigen, die Wirtschaftshilfe erhielten. Darüber
unterstützt, die im Zuge der Globalisierung (zum                                                   hinaus wurde, um in Zeiten haushaltspolitischer Eng-
Beispiel durch Verlagerung von Tätigkeiten in Länder                                               pässe den Druck auf die nationalen Haushalte zu
außerhalb der EU) oder auch infolge großer Wirtschafts-                                            verringern, der Beitrag der EU zu Regionalprojekten
und Finanzkrisen ihre Arbeit verloren haben. Im Rahmen                                             erhöht, während weniger nationale Beiträge erwartet
des Fonds erhalten Arbeitnehmer und Selbständige                                                   wurden.
Weiterbildungsmaßnahmen, berufliche Begleitung und
Berufsberatung. Der Fonds ist für den Zeitraum 2014-
2020 mit über 1 Milliarde € ausgestattet.

                                                                            Zweck                                               Betroffene Länder
                                                                                                                Länder des Euroraums           Alle EU‑Länder

                                                                                                               ✔                          ✔
 Europäisches Semester                                               Jährliche Koordinierung der
 (seit 2010)                                                         Wirtschaftspolitik zwischen der
                                   Koordinierung der
                                   Wirtschaftspolitik

                                                                     EU und den nationalen                     Die Kommission kann
                                                                     Regierungen                               gegenüber Ländern des
                                                                                                               Euroraums zusätzliche
                                                                                                               Empfehlungen
                                                                                                               aussprechen.

                                                                                                               ✔                          ✔
 Stabilitäts- und                                                    Wirtschafts-/haushaltspolitische
 Wachstumspakt (verstärkt                                            Koordinierung und
 durch die „Sixpack“-                                                Überwachung zur Vermeidung                                           Europäische Überwachung
 Gesetzgebung im                                                     übermäßiger Defizite und
                                       Defizit-/Schuldenprävention

                                                                                                                                          der nationalen Haushalte
 Jahr 2011 und das                                                   Verschuldung in den                                                  sowie Strafen im Fall
 „Twopack“ im Jahr 2013)                                             EU‑Ländern                                                           eines Verstoßes gegen
                                                                                                                                          den Pakt – nur im
                                                                                                                                          Euroraum

                                                                                                               ✔
 Fiskalpakt (Vertrag über                                            Stärkt den Stabilitäts- und                                          Von allen EU‑Ländern
 Stabilität, Koordinierung und                                       Wachstumspakt weiter: Die                                            außer Kroatien und dem
 Steuerung in der                                                    Länder verpflichten sich zu                                          Vereinigten Königreich
 Wirtschafts- und                                                    ausgeglichenen Haushalten.                                           unterzeichnet. Dänemark
 Währungsunion                                                                                                                            und Rumänien haben sich
 (SKS‑Vertrag), 2012)                                                                                                                     durch alle Artikel des
                                                                                                                                          Vertrages gebunden
                                                                                                                                          erklärt.

                                                                                                               ✔                          ✗
 Europäischer                                                        Europäischer Nothilfefonds mit
 Stabilitätsmechanismus                                              einer Kapazität von
 (2012)                                                              500 Milliarden € zur                      Nur für Länder des
                                       Unterstützungsmechanismen

                                                                     Unterstützung von Ländern, die            Euroraums, die den
                                                                     aufgrund hoher Schulden                   Fiskalpakt unterzeichnet
                                                                     vorübergehend Schwierigkeiten             haben
                                                                     haben, an den Finanzmärkten
                                                                     Geld aufzunehmen

                                                                                                               ✔                          ✔
 Europäischer Fonds für die                                          Fonds mit einem Jahresbudget
 Anpassung an die                                                    von 150 Millionen € zur
 Globalisierung (eingerichtet                                        Unterstützung von
 2006)                                                               Arbeitnehmern, die durch die
                                                                     Globalisierung oder eine große
                                                                     Wirtschafts- und Finanzkrise
                                                                     arbeitslos geworden sind

Übersicht über die von den Institutionen und Ländern der EU seit
2010 getroffenen Maßnahmen zur besseren Koordinierung ihrer
Wirtschaftspolitik, zur Verhinderung von Defizit-/Verschuldungs-
krisen und zur Bereitstellung von Unterstützung für Länder, die in
finanzielle Schwierigkeiten geraten sind
16                                                                                  D I E   E U R O P Ä I S C H E   U N I O N   E R K L Ä R T

3. ERHEBLICHE WIRTSCHAFTLICHE                                               vorlegen. Als letztes Mittel können verschiedene Sanktio-
UNGLEICHGEWICHTE FRÜHZEITIG ERKENNEN UND                                    nen gegen Länder des Euroraums verhängt werden, die
KORRIGIEREN                                                                 Empfehlungen ständig missachten (siehe Verfahren bei
                                                                            einem übermäßigen Ungleichgewicht (*)). Bei den
Die Krise förderte das Ausmaß der wirtschaftlichen                          anderen EU-Ländern kann die Auszahlung von EU-Mitteln
Ungleichgewichte zwischen einigen EU‑Ländern zutage,                        ausgesetzt werden.
zum Beispiel bei Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität.
Ein solches Ungleichgewicht ist immer dann besonders                        4. STRENGERE BANKENAUFSICHT: SCHUTZ DER
problematisch, wenn Länder des Euroraums betroffen                          STEUERZAHLER
sind, denn die Zusammenarbeit in einem gemeinsamen
System bedeutet unter anderem, dass die Länder einen                        Die Staatsschuldenkrise war mit der Finanzkrise eng
Verlust an Wettbewerbsfähigkeit nicht vorübergehend                         verknüpft: Da es auf EU-Ebene kein Instrument zur Aufsicht
durch eine Anpassung der Wechselkurse zur Abwertung                         über das Gebaren der Banken gab, mussten die Mitglied-
ihrer Währung kompensieren können. Einer solchen                            staaten etliche ihrer Banken einzeln und mehr oder weniger
Abwertung folgt allerdings in der Regel eine Inflation auf                  konzeptionslos mithilfe von Steuergeldern retten. Das
dem Fuß, so dass die Wirkung der Geldentwertung aus                         erhöhte in einigen EU-Ländern die Schuldenlast, verlängerte
Wettbewerbsgründen nach einiger Zeit ohnehin verpufft.                      die Rezession und verschärfte letztlich die finanzielle,
Je geringer ausgeprägt das Wirtschaftsgefälle zwischen                      wirtschaftliche und soziale Krise.
den EU‑Ländern, desto stärker ist die EU – und insbeson-
dere der Euroraum – als Wirtschaftsblock.                                   Zum Aufbau eines soliden Rahmens für die Regulierung des
                                                                            Finanzsektors empfahl der Europäische Rat 2009 die
Die EU hat daher die Überwachung der Volkswirtschaften                      Schaffung eines „einheitlichen Regelwerks“ für alle Institu­
ihrer Mitgliedstaaten, insbesondere der Länder des Euro­                    tionen des Bankenwesens im EU-Binnenmarkt. Seit 2010
raums, verstärkt. Mit dem „Sixpack“ von 2011 wurde ein                      hat die Kommission nahezu 30 zusätzliche Maßnahmen
Verfahren bei einem makroökonomischen Ungleichge-                           vorgeschlagen, um zu gewährleisten, dass alle Finanzakteu-
wicht (*) eingeführt – ein Frühwarnsystem, mit dem sich                     re, Finanzprodukte und Finanzmärkte in den EU-Ländern
potenzielle Ungleichgewichte zu einem sehr viel früheren                    ordnungsgemäß überwacht werden. Neue europaweite
Zeitpunkt als bisher erkennen und vermeiden lassen. Die                     Behörden wurden eingerichtet, unter anderem, um die
Kommission überwacht eine Reihe von Wirtschaftsindikato-                    Widerstandsfähigkeit der Banken in der EU gegenüber
ren, die sich ggf. auf die Gesamtwettbewerbsfähigkeit                       potenziellen Finanzschocks zu prüfen. Es soll sichergestellt
auswirken, unter anderem Immobilienpreise, Arbeitskosten                    sein, dass Banken verantwortungsvoll handeln, über eine
und Exporte in Länder außerhalb und innerhalb in der EU.                    ausreichende Darlehenskapazität verfügen und die Bank-
Ungleichgewichte können beispielsweise in Form von                          einlagen der Bürgerinnen und Bürger garantieren können.
Lohnerhöhungen auftreten, die nicht im richtigen Verhältnis
zur Produktivität stehen, oder bei in die Höhe schnellenden                 Die EU-Verantwortlichen haben jedoch erkannt, dass ein
Immobilienpreisen, mit denen die Ausgaben der privaten                      soliderer Finanzsektor allein nicht ausreicht, um den
Haushalte nicht Schritt halten können.                                      Teufelskreis zwischen Banken und Staatsverschuldung
                                                                            aufzubrechen, insbesondere in den Ländern des Euroraums,
Werden solche übermäßigen Ungleichgewichte erkannt,                         in denen ein stärker integrierter Ansatz erforderlich ist. Sie
spricht die Kommission Empfehlungen aus, die Abhilfe                        vereinbarten daher im Juni 2012 den Aufbau einer Banken-
schaffen sollen – und die vom Ministerrat dann an das                       union (*). Gestützt auf Vorschläge der Kommission für
jeweilige Land weitergeleitet werden. Dessen Regierung                      deren schrittweise Einrichtung hat die Europäische Zentral-
muss dann einen Plan zur Verbesserung der Situation                         bank beispielsweise die Funktion der leitenden Aufsichts­
                                                                            behörde für die Banken des Euroraums übernommen.
                                                                            Daneben wurden EU-Instrumente für den Wiederaufbau
                                                           © Reuters/BSIP

                                                                            gescheiterter Banken vorgeschlagen, darunter ein Nothilfe-
                                                                            fonds für die Banken des Euroraums (2), der durch Abgaben
                                                                            des Bankwesens auf nationaler Ebene finanziert wird. Dies
                                                                            soll sicherstellen, dass der Finanzsektor selbst für seine
                                                                            Fehler aufkommt und den europäischen Steuerzahlern
                                                                            keine oder möglichst geringe Kosten entstehen.

                                                                            (Weitere Informationen über die Bankenunion finden Sie in
  Die EU hat Maßnahmen in die Wege geleitet, um ihren Markt                 der Veröffentlichung „Banken und Finanzen“ der Reihe „Die
 für Finanzdienstleistungen zu reformieren und zu stärken. Ein
   besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf der Bankenaufsicht
                                                                            Europäische Union erklärt“.)
                   und der Restrukturierung von Banken, die in              (2) Auch Banken außerhalb des Euro-Währungsgebiets können sich
                 eine Schieflage geraten sind („Bankenunion“).                  beteiligen, wenn sie sich dem System anschließen möchten.
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