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Wissen(schaft) für eine nachhaltige Entwicklung Deutschlands Eine kritische Reflexion der Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 anlässlich der Fortschreibung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie
Inhalt Inhalt Teil I 3 — Umbruch mit Aufbruch begegnen – und Wissenschaft als Motor nutzen Eine Zustandsanalyse durch die Co-Vorsitzenden der Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 Teil II 7 — Zusammenfassung: Die Empfehlungen im Überblick und die Entstehung des Papiers Teil III 12 — Die Empfehlungen und Ergebnisse aus den Arbeitsprozessen im Einzelnen Anhang 36 — Anhang 1: Tabellarischer Überblick zu Vorschlägen für neue oder ergänzende Indikatoren 40 — Anhang 2: Liste der Beitragenden zum Prozess der Erstellung des Reflexionspapiers 44 — Quellen und Verweise Zitation: wpn2030 - Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 (2019). Bitte Wenden! Wissen(schaft) für eine nachhaltige Entwicklung Deutschlands. Eine kritische Reflexion der Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 anlässlich der Fortschreibung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. 2 © Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030
Teil I I Umbruch mit Aufbruch begegnen – und Wissenschaft als Motor nutzen Eine Zustandsanalyse durch die Co-Vorsitzenden der Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 Massive Umbrüche charakterisieren unsere Zeit. anderen lösen. Wenn alles in Bewegung gerät und Umbrüche im Sozialen, in den Innovationssyste- sich Tiefenstrukturen unserer Gesellschaft ver- men, im Wirtschaftlichen, im Ökologischen. Um- schieben, wirken die politischen Erfolgskonzepte brüche, die mit enormen Neuerungen, Chancen von gestern antiquiert oder hilflos: inkrementelle und Risiken einhergehen. In unseren Gesellschaf- Verbesserungen in den vielen gesellschaftlichen ten scheinen Zentrifugalkräfte zu wirken, gesell- Teilbereichen, Kompromisssuche und der kleinste schaftlicher Zusammenhalt wird brüchig, Zu- gemeinsame Nenner, ängstliche und mutlose Lö- kunftsangst nimmt zu. Demokratie schien noch sungsversuche, die ernsthafte Veränderungen vor kurzem in den westlichen Gesellschaften eine eher vermeiden als anstoßen. Selbstverständlichkeit zu sein – doch nun drän- gen Menschenfeindlichkeit, autoritär-nationalisti- Zwischen Aufbruch und Überforderung sches Gedankengut, Demokratiemüdigkeit, sogar der Gesellschaft Demokratiefeindlichkeit an die Oberfläche. Digi- talisierung, künstliche Intelligenz, lernende und Viele Menschen fordert diese Komplexität heraus, zunehmend autonome technische Systeme, virtu- nicht wenige motivieren die skizzierten Trends zu elle Räume, synthetische Biologie stoßen Türen gesellschaftlichem Engagement – Fridays for Fu- zu neuen Entwicklungen menschlicher Zivilisa- ture etwa mobilisiert viele Millionen Menschen tion auf. Gleichzeitig bangen ganze ökonomische rund um den Erdball. Junge Menschen geben den Branchen um ihre Zukunftsfähigkeit. Takt vor, viele andere beteiligen sich. Vorreiter- städte vernetzen sich weltweit und entwickeln Die Grenzen des Planeten werden immer offen- Konzepte für emissionsfreie und lebenswerte sichtlicher. Klimakrise, Artensterben, instabile Städte. Unternehmen entwickeln nachhaltige Ge- Ökosysteme beschäftigen nicht mehr nur Um- schäftsideen. Wissenschaftsnetzwerke (wie der weltbewegungen, sondern viele Menschen. Und Weltklimarat IPCC) versuchen die Veränderungen auch Gerechtigkeitsfragen werden immer dring- unserer Epoche zu entschlüsseln und Lösungs- licher, etwa zwischen Generationen oder Regio- korridore zu öffnen. Viele Umbrüche, Turbulen- nen der Welt. All diese Dynamiken sind miteinan- zen, Krisen ließen sich im Kleinen wie im Großen der vernetzt, lokal, europäisch und global. Keine beschreiben. Was ist nun zu tun? der Problemlagen lässt sich unabhängig von den © Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 3
Teil I Umbruch mit Aufbruch begegnen – und Wissenschaft als Motor nutzen Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie: Ein Erstens unterschätzen noch immer viele Ak- Spiegelbild der Umbrüche – und eines noch teure die Tiefe der Veränderungen und den en- zu zaghaften Aufbruchs zur Nachhaltigkeit gen Zeitkorridor, um Lösungen zu finden und Verwerfungen zu vermeiden – und damit den An diesem Punkt kommt die für 2020 geplante Handlungsdruck. Die Klimakrise, die in Deutsch- Neuauflage der Deutschen Nachhaltigkeitsstrate- land nur von wenigen geleugnet wird, ist ein Bei- gie (DNS) ins Spiel. Mit der DNS-Auflage 2016, spiel hierfür. Gegen Klimaschutz an sich sind nur ausgerichtet an den Nachhaltigkeitszielen der Randgruppen, doch dass die Emissionen von Agenda 2030, hat sich Deutschland vielen zent- jetzt an pro Dekade halbiert werden müssen, um ralen Herausforderungen unserer Zeit gestellt. In spätestens Mitte des Jahrhunderts Richtung ihrer vorliegenden Version drückt sie einen politi- Null-Emissionen zu gehen, ist noch immer unver- schen Quasi-Konsens zu den Herausforderungen standen beziehungsweise verdrängt, ebenso wie nachhaltiger Entwicklung aus, den die meisten das Risiko, dass ab etwa und jenseits einer gesellschaftlichen Akteure wohl in den Kernaus- 2-Grad-Erwärmung in diesem Jahrhundert irre- sagen teilen. Als Kabinettsstrategie ist sie ihrem versible Kipp-Punkte im Erdsystem erreicht wer- Charakter nach zudem maßgebend für die ge- den können. Unterschätzt haben unsere Ent- samte Bundesregierung – und verfolgt damit den scheidungsträger *innen (in Politik, Wirtschaft, auch international geforderten „whole of govern- Gesellschaft, Wissenschaft) mehrheitlich auch ment approach“. Ein solcher Quasi-Konsens ist die Risse in den gesellschaftlichen Grundfesten: viel besser als nichts. Denn die DNS unterschei- Nun ist der Schock über rechtsextremistische det sich deutlich von Konzepten der Vergangen- Bewegungen und Demokratieverdrossenheit heit und stellt klar: Zukünftige Entwicklung muss groß. Dass sich etwas ändern muss, ist Teil unse- die Herausforderungen der Klimakrise und die res Quasi-Konsenses, der sich auch in der DNS physischen Grenzen des Erdsystems ernst neh- ausdrückt. Wie ernst die Lage in zentralen Hand- men. Wachstum ist nur Fortschritt, wenn alle Be- lungsfeldern ist (insbesondere wenn es um Kli- völkerungsgruppen davon profitieren, jetzt und maschutz und soziale Kohäsion geht) und wie auch in der Zukunft. Darüber hinaus muss wenig Zeit für Weichenstellungen zur Vermei- Deutschland auch international zu nachhaltiger dung fundamentaler Krisen bleibt, ist vielen nicht Entwicklung und zu internationalem Interessen- bewusst. ausgleich beitragen. Daher müssen die Agenda 2030 und das in ihr verankerte Pariser Klimaab- Zweitens spielen Machtstrukturen eine wich- kommen umgesetzt werden. tige Rolle. Vergangenheits- und Gegenwartsin- teressen sind besser organisiert als Zukunfts- Wir stecken also mitten drin im Aufbruch zur interessen. Strukturwandel zur Nachhaltigkeit ist Nachhaltigkeit – der allerdings viel zu zaghaft ist daher auch eine Frage von Interessenskonflikten und konsequenter verfolgt werden muss. Denn in ungleichen Machtverhältnissen. Neue, hand- viele Ziele der DNS werden verfehlt, andere sind lungsfähige Akteurskonstellationen, die zukunfts- zu wenig ambitioniert formuliert, wichtige Her- fähige Entwicklung abbilden, müssen entstehen. ausforderungen werden ganz ausgeblendet. Wir stecken mitten in diesem Prozess, wie man in Wenn es nun also um die Neuformulierung der der Energie- oder auch der Automobilwirtschaft DNS und politischer Strategien zu deren Positio- beobachten kann. Nachhaltigkeitsstrategien nierung im Wettstreit der politischen Diskurse kommen in der Regel und mit guten Gründen mit geht, ist es wichtig, die derzeitige Um- und Auf- Bezug auf eine höhere Rationalität, gesamtgesell- bruchsituation zu interpretieren. Warum wird ein schaftlicher Interessen und von Gemeinwohlpers- Quasi-Konsens nicht zu einem wirkungsvollen pektiven daher. Doch Nachhaltigkeitspolitik löst Reformprozess? Und was heißt das für die kom- eben auch Strukturwandel aus, der Gewinner und mende Phase des Wandels? Wir sehen vier zent- Verlierer erzeugen kann, Verteilungsfragen neu rale Mechanismen, die den Transformationspro- stellt und Machtpotenziale neu verteilt. Kein zess zur Nachhaltigkeit derzeit charakterisieren. Wunder also, dass es „Gegenwind“ gibt. 4 © Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030
Umbruch mit Aufbruch begegnen – und Wissenschaft als Motor nutzen Teil I Transformationen zur Nachhaltigkeit sind drit- die Haushaltsaufstellungen oder die Grundlinien tens Prozesse, in denen vielfältige Pfadabhän- der Fiskalpolitik geht, spielt die DNS bislang gigkeiten überwunden werden müssen. Alte keine Rolle. Technologiemuster müssen in Frage gestellt und aufgebrochen werden, vor allem etwa von der Vor diesem Hintergrund zeigt das Reflexions- fossilen zur Null-Emissions-Wirtschaft. Kognitive papier Ansatzpunkte auf, um die nächste Phase Leitbilder und Heuristiken erodieren (Stichwort der DNS zu gestalten. Konkrete Zielvorgaben, Wegwerfgesellschaft) und müssen durch neue, Indikatoren und Maßnahmen der DNS sind in vie- funktionsfähige Konzepte (zirkuläre Ökonomie) len Fällen nicht hinreichend ambitioniert – und ersetzt werden. Antiquierte institutionelle und wo sie es sind, hinken sie in ihrer Umsetzung oft regulatorische Rahmenbedingungen (Subventio- deutlich hinterher. Und zwar oft durch zu wenig nen für Verbrennung fossiler Energieträger) exis- kohärentes und abgestimmtes politisches Han- tieren zunächst weiter und müssen durch neue deln – als Kabinettsstrategie eigentlich das Kern- Anreizstrukturen ersetzt werden (Förderung er- anliegen der DNS. Die Weiterentwicklung der neuerbarer Energien), wobei Verteilungseffekte Ziele, Indikatoren, Maßnahmen ist daher ein Aus- berücksichtigt werden müssen. gangspunkt „evidenz-orientierter Politik“. Dafür gibt das Papier vielfältige Hinweise. Viertens sind vor dem Hintergrund der skizzier- ten Wirkungsmechanismen Transformationen Doch es wird nicht reichen, „nur“ einzelne Ziele, keine linearen Prozesse: Vor- und Rückwärtsbe- Indikatoren und Maßnahmen zu verbessern. Um wegungen sind zu beobachten, nachhaltige Leit- aus einem Quasi-Konsens eine Strategie zu ma- bilder, Anreize, Technologie sowie die Ingredien- chen, die zum Zentrum eines neuen Gesell- zien der Vergangenheit stehen oft unvermittelt schaftsvertrages für Deutschland wird, müssen nebeneinander. Diese Hybridität ist ein Grund mit der neuen DNS drei oft isolierte Diskurs- dafür, dass die einen „Blockade und Stillstand“ stränge zusammengeführt werden, die in ihrem feststellen, die anderen auf die Anzeichen für Zusammenspiel den Ausgangspunkt für die vie- Wandel verweisen. len Ziele, Indikatoren und Maßnahmen bilden. Nächste Schritte Erstens müssen die tiefen Risse in unseren Ge- sellschaften und die existenziellen Erdsystembe- Die Karriere der DNS spiegelt genau diese gesell- drohungen deutlich gemacht werden, die rasches schaftlichen Veränderungsprozesse wider. Die Handeln erfordern (gemeinsames Problemver- Richtung, die die DNS anzeigt, stimmt, die Ge- ständnis; wir müssen uns ehrlich machen); zwei- schwindigkeit und Tiefe der Veränderung ist tens müssen die oft technischen Nachhaltigkeits- noch immer bei weitem nicht angemessen. Für debatten (mit ihren Indikatorensystemen) und die die Erreichung einiger Ziele sind wir zudem noch gerechtfertigten Krisendiagnosen mit Diskursen nicht auf Kurs oder sogar auf rückläufigen Pfa- zu Chancen zukünftiger Lebensqualitätssteige- den. Insbesondere hier gilt: Bitte Wenden – in rungen und „gutem Leben“ verbunden werden, Richtung einer nachhaltigen Entwicklung. Die um Zukunftszuversicht zu schaffen und Motiva- DNS ist ein ressortübergreifendes Instrument, tion für Wandel zu erzeugen; drittens kann deut- das sich an der anspruchsvollen „Agenda 2030 lich gemacht werden, dass jegliche Modernisie- für nachhaltige Entwicklung“ orientiert, doch sie rungsstrategien für Wirtschaft und Infrastruktur steht nicht im Zentrum der Politik oder gesell- nur noch im Kontext der lokalen und globalen schaftlicher Auseinandersetzungen, sondern – physikalischen Grenzen des Erdsystems möglich leider noch immer – eher am Rande. Es hat sich sind. Nachhaltigkeitsreformen, oft missverstan- eine Governance-Struktur um die DNS herum den als Fesseln für Innovation und Unternehmen, herausgebildet, doch diese wirkt noch bei weitem werden zur notwendigen Voraussetzung zu- nicht hinreichend in andere Strukturen und Poli- kunftsfähigen Wirtschaftens. tikprozesse hinein. Wenn es beispielsweise um © Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 5
Teil I Umbruch mit Aufbruch begegnen – und Wissenschaft als Motor nutzen Anspruch der DNS muss es sein, der zentrale Re- Die Wissenschaft kann diese Prozesse durch Wis- ferenzpunkt des politischen Diskurses in Deut- sen für Nachhaltigkeitstransformationen unter- schland zu sein, um nüchterne Krisendiagnose, stützen. Sie ist insofern ein Teil der Lösung, ein Perspektiven der Steigerung der Lebensqualität wichtiger Veränderungsmotor. Doch sie ist auch als Grundlage von Zukunftszuversicht sowie Teil des Problems und muss sich selbst weiter- Nachhaltigkeit als Grundlage zukunftsfesten entwickeln. Denn ähnlich wie die Politik ist auch Wirtschaftens miteinander zu verbinden. Dabei die Wissenschaft stark arbeitsteilig, oft kleinteilig müssen Zielkonflikte ebenso thematisiert werden und nicht selten fragmentiert organisiert, wäh- wie vielfältige Synergiepotenziale, die gehoben rend Nachhaltigkeitslösungen systemübergrei- werden können, wenn Lösungsansätze miteinan- fend gefunden werden müssen: Energie-, Mobili- der verzahnt werden (Mobilität, Stadtgestaltung, täts- und Städtewenden müssen eng miteinander Gesundheitspolitik). verzahnt werden; technische, institutionelle, so- ziale und kulturelle Innovationen müssen zusam- Die Gestaltung der DNS muss noch stärker als menwirken; Zusammenhänge zwischen techni- bisher damit verbunden werden, Akteurskoalitio- schen Systemen, Ökosystemen und gesell- nen der Zukunft sichtbar zu machen, zu unter- schaftlichen Veränderungen prägen alle zentra- stützen und zu fördern, da nur so gut organisierte len Umbrüche unserer Zeit. Im Wissenschaftssys- Vergangenheitsinteressen überwunden werden tem müssen die Anstrengungen erhöht werden, können. Nachhaltigkeitstransformationen sind die Vernetzung des Wissens zwischen Disziplinen eminent politische Prozesse, die begünstigt wer- und zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu den können, wenn Machtzentren des Wandels zur verbessern. Die Wissenschaftsplattform Nachhal- Nachhaltigkeit gestärkt werden: durch Anreize, tigkeit 2030 ist dafür ein guter Ansatzpunkt, um Dialog- und Lernplattformen, Innovationsfonds, das mit Bezug auf Nachhaltigkeit weiterzudenken Ordnungspolitik und Politiken, die generell auf und weiterzubringen. faire Lastenteilung ausgerichtet sind. 6 © Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030
Teil II II Zusammenfassung: Die Empfehlungen im Überblick und die Entstehung des Papiers Entstehung, Zielsetzung und Rahmen des Papiers Die Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit gruppen der wpn-2030 zu den Themen „Nachhal- 2030 (wpn2030) stellt mit diesem Papier in sechs tiger Konsum“, „Mobilität“, „Zukunft der Arbeit“ Kernbereichen Handlungsempfehlungen für die und „Global Commons“, der Dialog wissen- Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltig- schaftlicher Beiräte der Bundesregierung und keitsstrategie vor. Unterlegt sind die Empfehlun- eine dreimonatige Online-Konsultation mit der gen mit Ergebnissen aus den aktuellen Arbeits- Wissenschaft in Deutschland sowie Einzelbei- prozessen der wpn2030 (siehe Grafik). Zu den träge der Mitglieder des Lenkungskreises. Um- Arbeitsprozessen gehören vor allem vier Arbeits- fangreichere Informationen dazu enthalten Prozess-Übersicht: Erstellung des Reflexionspapiers zur Weiterentwicklung der Deutschen Nachhhaltigkeitsstrategie (DNS) Wissenschaftliche Leitfragen vom Lenkungskreis der wpn2030 für die Weiterentwicklung der DNS Arbeitsgruppen der wpn2030: Wissenschaftliche Online-Konsultation Dialog mit wissenschaftlichen Beiräten „Mobiliät“, „Zukunft der Arbeit“, zur DNS-Weiterentwicklung, mit der Bundesregierung zur „Nachhaltiger Konsum“, „Global Commons“ zusammenfassendem Synthesebericht Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie Bündelung der Ergebnisse aus den verschiedenen Prozessen Reflexionspapier der wpn2030 Nachhaltigkeitsbezogene Impulse Abschlussberichte der Arbeitsgruppen mit Empfehlungen zur in die Politkfelder der mit themenspezifischen Empfehlungen Weiterentwicklung der DNS wissenschaftlichen Beiräte ©Prozess-Übersicht: 2019 Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit Erstellung 2030 des Reflexionspapiers zur Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie © Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 7
Teil II Die Entstehung des Papiers die sechs Referenzdokumente, die die Ergebnisse Kernbereiche der Weiterentwicklung dieser Arbeitsstränge dokumentieren. und Empfehlungen im Überblick Ganz im Sinne des wpn2030-Mandats als „Platt- Die sechs identifizierten Kernbereiche einer not- form“ sind die Prozesse teilweise eigenständig, wendigen Weiterentwicklung der DNS, die mit insofern haben nicht alle im Folgenden aufge- konkreteren Handlungsempfehlungen unterfüt- führten Ergebnisse einen Abstimmungsprozess tert werden, lauten: in der wpn2030 durchlaufen. Dies ist im Text ent- sprechend signalisiert durch Nennung der Quelle beziehungsweise Verwendung indirekter Rede. Insgesamt referiert dieses Papier jene im Rahmen der wpn2030 diskutierten Befunde und Empfeh- 1. Politische und gesellschaftliche lungen, die Relevanz der DNS stärken! — sich explizit auf die Ausrichtung, Ziele und 2. Verständnis von Wechselwirkungen Indikatoren, Umsetzung und Maßnahmen der stärken und die übergreifende Ausein- DNS beziehen; andersetzung mit Zielkonflikten und — ihrem Anspruch nach möglichst transforma- Synergiepotenzialen einfordern! tiv, integriert und katalytisch sowie neu oder 3. Ursachen der Zielverfehlung analysieren bekannt-aber-trotzdem-wichtig sind; und Maßnahmen anpassen! — und deshalb teils über die DNS hinausweisen und auch andere Strategien und Handlungs- 4. Ziele und Indikatoren überarbeiten und felder adressieren. ergänzen! 5. Nachhaltigkeits-Governance Dabei überwiegen systemische Überlegungen, verbessern! die die DNS auf ihrem Weg des ganzheitlichen 6. Science-Policy-Interface auf beiden Ansatzes und des übergeordneten Anspruchs Seiten konsolidieren! voranbringen können. Kritische Anmerkungen zu Zielverfehlungen und gewählten Indikatoren ar- beiten insbesondere Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Zielsetzungen und Maßnahmen heraus. Die Überlegungen und Anregungen zum Beitrag, den Wissenschaftler*innen leisten und leisten könnten und den daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen, stammen aus dem Len- kungskreis der WPN 2030. Die Überlegungen und Anregungen zum Beitrag, den Wissenschaft- ler*innen leisten und leisten könnten und den daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen, stammen aus dem Lenkungskreis der wpn2030. 8 © Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030
Kernbereiche der Weiterentwicklung und Empfehlungen im Überblick Teil II Politische und gesellschaftliche Relevanz der DNS stärken! 1. Warum erleben wir große gesellschaftliche Debatten wie die um gesunde Ernährung, die Zukunft der Arbeit, die Mietpreisentwick- lung, die Digitalisierung, die Klimadebatte, deren Grundfragen alle mit Nachhaltigkeits- themen zu tun haben, als losgelöst von Fragen der deutschen Nachhaltigkeitspolitik? Die deutsche Verständnis von Wechsel- Nachhaltigkeitsstrategie wird selten als Orientie- wirkungen stärken und die rungsrahmen in gesellschaftlich diskutierten Zu- kunftsfragen bemüht. Sie bleibt bisher zwar ein übergreifende Auseinander- Referenzrahmen, der von der politischen, wirt- schaftlichen, gesellschaftlichen Nachhaltigkeits- setzung mit Zielkonflikten Community genutzt und unterstützt wird, aber und Synergien einfordern! 2. noch nicht in das Zentrum von Entscheidungspro- zessen gerückt ist. Oft wird sie als ein besonderes Unterstrichen sei nochmals: Die DNS wird Anliegen der Umwelt- und Entwicklungspolitik ge- dann relevant, wenn sie als Orientierungs- sehen, mit dem sich nolens volens auch die ande- rahmen für gesellschaftliche Herausforde- ren Ressorts beschäftigen müssen. Der Ausbruch rungen wahrgenommen wird. Sie muss zum der DNS aus einer Nische ins Zentrum der gesell- Kompass werden, an dem sich Handelnde schaftlichen Zukunftsdebatten und übergreifenden zur Bewältigung von Transformationsfeldern ori- politischen Entscheidungen ist noch lange nicht entieren können. Als Strategie gibt die DNS ihnen gelungen. Die DNS mit ihrem ausgefeilten Instru- bislang nicht genug Anleitung an die Hand, um mentarium an statistisch handhabbaren Indikato- sich wirkungsvoll mit transformationsimmanenten ren erscheint vielen bürokratisch und sperrig, je- Zielkonflikten und transformationsbefördernden denfalls nicht wirkmächtig. Synergien auseinanderzusetzen. Dafür werden folgende Empfehlungen vorgeschlagen. Die Nachhaltigkeitsstrategie wirkt neben der „wirk- lichen“ Politik wie ein Paralleluniversum, deren Ak- teure sich vor allem auf sich selbst und ihre euro- päischen und internationalen „peers“ beziehen. Um Handlungsempfehlungen: die politische Relevanz der DNS zu stärken, entwi- ckeln die verschiedenen Beiträge der Wissen- — eine systemische Analyse von Zielkon- schaftsplattform drei Handlungsempfehlungen. flikten und Synergiepotenzialen bei der Entwicklung von Handlungsoptionen; — eine stärkere politische Priorisierung Handlungsempfehlungen: und Bündelung, die beispielsweise Indi- katoren nicht unverbunden nebenein- — Die DNS sollte an die großen gesell- anderstehen lässt, sondern Leitindika- schaftlichen Debatten anschließen und toren, die echte Transformation diese mitgestalten. abbilden können, besonders hervor- — Der Handlungsdruck, der in der gesell- hebt; schaftlichen Debatte, beispielsweise bei — transparente Verfahren zum Austragen Klima, Artensterben oder Wohnen und von Zielkonflikten und zur Entwicklung Stadt-Land-Gefälle, durchaus gesehen von Synergien mit verbundenen Trans- wird, sollte sich in der Formulierung der formationsbereichen. Ziele und Indikatoren der DNS wider- spiegeln. — Die Governance-Mechanismen der DNS sollten so weiterentwickelt werden, dass die DNS in den einzelnen Ressorts hand- lungsrelevant wird, beispielsweise über eine klare Verantwortungszuordnung für einzelne Transformationen („Wenden“) und entsprechende Indikatoren. WPN2030 zu DNS 2020 9
Teil II Kernbereiche der Weiterentwicklung und Empfehlungen im Überblick Ursachen der Zielverfehlung analysieren und Maßnahmen anpassen! 3. Ziele und Indikatoren Die Beiträge, die bei der Wissenschafts- plattform Nachhaltigkeit 2030 im Rahmen ihrer Online-Konsultation eingegangen überarbeiten und ergänzen! 4. sind, setzen sich intensiv mit der Frage auseinander, warum etwa die Hälfte der Die oben dargelegten kritischen Betrach- Indikatoren der DNS gegenwärtig off track sind tungen zu häufigen und deutlichen Ziel- und entwickeln Vorschläge, wie mit diesem Defizit verfehlungen der DNS aufgrund mangeln- umzugehen ist. Die Defizitanalyse kommt darüber der Relevanz, ungeklärter Zielkonflikte hinaus zu folgenden Handlungsempfehlungen. und Wechselwirkungen sowie ungenügen- der Nachjustierung münden in folgende Empfeh- lungen zur Überarbeitung und Ergänzung von Zielen und Indikatoren der DNS. Handlungsempfehlungen: — Das Ambitionsniveau der Ziele und Maßnahmen sollte anhand der SDGs Handlungsempfehlungen: und weitergehender Notwendigkeiten überprüft und ggf. gesteigert werden. — Zielbereiche und Indikatoren, die be- — Maßnahmen sollten wissenschaftlich sonders defizitär sind, müssen priori- evaluiert werden und ggf. politisch kor- siert werden, ebenso Leitindikatoren rigiert werden. Für alle Off-track-Berei- mit systemischer Relevanz. che müssen überzeugende Maßnah- — Kehrtwende-Indikatoren, bei deren Er- men entwickelt werden. reichen ein Nachjustieren zwingend er- — Die DNS sollte mehr absolute Ziele set- forderlich ist, sollten vereinbart werden. zen, von der Emissions- und Ressour- — Zielbereiche und Indikatoren sollten re- cen-Reduktion bis zum Abbau von Ar- gelmäßig mit anderen (progressiveren) mut in Deutschland. Referenzrahmen abgeglichen und ge- — Sie muss in sich integrierter sein und gebenenfalls nachgeschärft werden. besser mit weiteren nachhaltigkeitsbe- — Die Beziehung und Wechselwirkungen zogenen und klimapolitischen Strate- zwischen Maßnahmenindikatoren und gien und Programmen verzahnt wer- Zielbereichen sollten in der DNS deutli- den. cher herausgearbeitet werden. — Die DNS sollte in ihren Zielen und in ih- rer Umsetzung den Paradigmenwech- sel zum Primat der nachhaltigen Ent- wicklung vollziehen. 10 © Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030
Kernbereiche der Weiterentwicklung und Empfehlungen im Überblick Teil II Nachhaltigkeits-Governance verbessern! 5. Die aktuelle Nachhaltigkeits-Governance hat es bislang nicht vermocht, der DNS im politischen System hinreichend Relevanz zu verleihen. Vielmehr ist sie Ausdruck der eingangs diagnostizierten Umbruchsitua- tion, in der alte und neue Paradigmen nebeneinan- Science-Policy-Interface auf beiden Seiten konsolidieren! 6. der fortbestehen. Zwar wurden Elemente geschaf- fen, die Silos und Parallelstrukturen auflösen Die wpn2030 hat die Rolle von Wissen- sollen, aber das erfolgreiche Mainstreaming und schaft und wissenschaftlicher Politikbera- die Systemintegration stehen noch aus. Daher tung für nachhaltige Entwicklung diskutiert sollte die Nachhaltigkeits-Governance im Sinne und folgende Empfehlungen herausgestellt. eines lernenden Systems stetig fortentwickelt wer- den. Auf Basis der Analyse ihrer Defizite wird Fol- gendes vorgeschlagen. Handlungsempfehlungen: — Wissensökonomie verstehen und für Handlungsempfehlungen: nachhaltige Entwicklung besser nutzen. — Bedarf und Förderung eines integrati- — Die Verantwortung der einzelnen Res- ven Ansatzes für Nachhaltigkeit auf sorts für die wirksame Umsetzung der eine neue Ebene heben. DNS durch entsprechende „Wenden“ sollte gestärkt und gebündelte Wen- — Transformative Wissenschaft stärken de-Prozesse angeschoben werden. und die DNS als Anwendungsfeld neuer Austausch- und Bearbeitungsformate — Gesetzesvorhaben und weitere Maß- (Labs) nutzen. nahmen zur Umsetzung der DNS soll- ten verstärkt parlamentarisch kontrol- — Anreize für wissenschaftliche Politikbe- liert und wissenschaftlich begleitet ratung weiter stärken und gesellschaft- werden. liche Relevanz von Forschung mitbe- rücksichtigen. — Die DNS 2020 sollte Formate und Inst- rumente anbieten, über die auch politi- — Wissenschaftliche Beiräte zur Berück- sche Parteien und Stiftungen in das Ge- sichtigung der DNS ermuntern und gre- meinschaftswerk Nachhaltige mienübergreifende Kooperation für not- Entwicklung eingebunden werden kön- wendige Wendeprozesse unterstützen. nen. — Langfristig angelegte Politikberatung — Um die Wirksamkeit der DNS zu ver- stärken. bessern, sollte die europäische und in- ternationale Zusammenarbeit verstärkt werden, unter anderem im Hinblick auf die Governance globaler natürlicher Ressourcen und die Unterstützung der Nachhaltigkeitstransformationen durch Maßnahmen der EU. — Der freiwillige Bericht der Bundesregie- rung beim High Level Political Forum (HLPF) 2021 über die Umsetzung der Agenda 2030 in, mit und durch Deutschland sollte erfolgreiche Politik- ansätze für transformative Wenden auf- zeigen und Defizite diskutieren. 11
III Die Empfehlungen und Ergebnisse aus den Arbeits- prozessen im Einzelnen 12 © Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030
Teil III Politische und gesellschaftliche Relevanz der Deutschen Nachhaltigkeits- strategie stärken! 1. Warum erleben wir große gesell- schaftliche Debatten wie die um ge- sunde Ernährung, die Zukunft der Arbeit, die Mietpreisentwicklung, die Digitalisierung, die Klimadebatte, de- ren Grundfragen alle mit Nachhaltig- keitsthemen zu tun haben, als losge- löst von Fragen der deutschen Nachhaltigkeitspolitik? Die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie wird selten als Orientie- rungsrahmen in gesellschaftlich diskutierten Zu- kunftsfragen bemüht. Sie bleibt bisher zwar ein Referenzrahmen, der von der politischen, wirt- schaftlichen, gesellschaftlichen Nachhaltigkeits- Community genutzt und unterstützt wird, aber — Die DNS sollte an die großen gesellschaft- lichen Debatten anschließen und diese mitgestalten. — Der Handlungsdruck, der in der gesellschaft- lichen Debatte, beispielsweise bei Klima und Artenschutz oder Wohnen und Stadt-Land- Gefälle, durchaus gesehen wird, sollte sich in der Formulierung der Ziele und Indikatoren der DNS widerspiegeln. — Die Governance-Mechanismen der DNS sollten so weiterentwickelt werden, dass die DNS in den einzelnen Ressorts handlungsre- levant wird, beispielsweise über eine klare Verantwortungszuordnung für einzelne Transformationen („Wenden“) und entspre- noch nicht in das Zentrum von Entscheidungs- chende Indikatoren1. prozessen gerückt ist. Oft wird sie als ein beson- deres Anliegen der Umwelt- und der Entwick- Anschluss der DNS an gesellschaftliche lungspolitik gesehen, mit dem sich nolens volens Debatten auch die anderen Ressorts beschäftigen müssen. Der Ausbruch der DNS aus einer Nische ins Zent- Wie der Anschluss an gesellschaftliche Debatten rum der gesellschaftlichen Zukunftsdebatten und hergestellt werden kann, hat unter anderem die übergreifenden politischen Entscheidungen ist wpn2030-Arbeitsgruppe „Mobilität“ beispielhaft noch lange nicht gelungen. Die DNS mit ihrem aufgezeigt.2 Erstens würde die politische Ver- ausgefeilten Instrumentarium an statistisch kehrs- und Mobilitätsdiskussion auf neue An- handhabbaren Indikatoren erscheint vielen büro- triebstechniken (zum Zweck der Dekarbonisie- kratisch und sperrig, jedenfalls nicht wirkmächtig. rung) und Infrastrukturen (zum Beispiel für die Die Nachhaltigkeitsstrategie wirkt neben der Elektrifizierung des Verkehrs) verkürzt und in der „wirklichen“ Politik wie ein Paralleluniversum, Öffentlichkeit als Verzichtsthema wahrgenom- dessen Akteure sich vor allem auf sich selbst und men. Zwar könne radikale Dekarbonisierung bis ihre europäischen und internationalen „peers“ Mitte des Jahrhunderts nur gelingen, wenn drin- beziehen. gend notwendige, technische Änderungen schnell vorankommen und neue Infrastrukturen Um die politische Relevanz der DNS zu stärken, entstehen. entwickeln die verschiedenen Beiträge der Wis- senschaftsplattform folgende Handlungsempfeh- Doch gerade das Mobilitätsthema biete zweitens lungen: enorme Möglichkeiten, Klimaschutz mit © Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 13
Teil III Politische und gesellschaftliche Relevanz der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie stärken Lebensqualitätssteigerungen zu verbinden. Über- um 80 Prozent bis 2040) sowie überprüfbare De- gänge vom Konzept der Auto-gerechten zur Bür- kaden-Fahrpläne zu deren Umsetzung beinhal- ger*innen-orientierten Stadt erlaubten es, emis- ten. Daran mangele es in der derzeitigen DNS. Ein sionsfreie Mobilität direkt mit Lebensqualitäts- durch die Bundesregierung initiierter und finan- steigerungen zu verbinden: bessere Luftqualität ziell unterstützter Wettbewerb zur Förderung der und Gesundheitsschutz durch weniger Emissio- 30 ambitioniertesten Mobilitäts- und Lebensqua- nen; weniger Flächenverbrauch durch Autos so- litätswenden in Städten bis 2030 könnte einen wie Parkflächen und Rückgewinnung öffentlicher, solchen Prozess zusätzlich unterstützen. grüner Flächen und Räume für die Bürgergesell- schaft; Lärmreduzierung; leistungsfähige öffentli- Die AG „Mobilität“ stellt weiterhin fest, dass Mo- che Verkehrssysteme und sichere Systeme auto- bilität häufiger Voraussetzung für Entwicklungs- nomen Fahrens, die Stau- in Lebenszeit ver- und Gleichheitschancen von Menschen – somit wandeln helfen. Eine steigende Zahl von Pionier- auch Faktor für gesellschaftlichen Zusammenhalt städten (Utrecht, Kopenhagen, Stockholm, Oslo) – und in Deutschland auch ein Motor für Wohl- zeige, wie aus verengten Debatten um Emissions- stand und wirtschaftliche Entwicklung sei. Die minderung und „Verzichtsdiskussionen” („mein Art, wie Mobilität organisiert werde, habe Auswir- Auto gehört mir“) die Bürger*innen mobilisie- kungen auf Gesundheit und könne Städte lebens- rende Zukunftsdiskurse über menschenzentrierte wert oder unattraktiv machen. Gleichzeitig wird Städte und Mobilität würden, die die Vernetzun- ausdrücklich dafür geworben, bei der Ausgestal- gen zwischen urbanen Zentren und ländlichen tung der künftigen Mobilitätsstrategie stärker auf Räumen mit einbezögen.3 die DNS zu rekurrieren. Gelingen könnten solche Diskursverschiebungen Genauso weist der Wissenschaftliche Beirat beim und systemische Innovationen drittens nur, wenn Bundesminister für Verkehr und digitale Infra- wirkmächtige Akteure (Automobilwirtschaft, pri- struktur darauf hin, dass die Transformation des vate und öffentliche Mobilitätsanbieter, Städte, Verkehrssektors über eine reine Dekarbonisie- Bürger*innen, die Bundesressorts, Wissenschaft) rung hinaus, vor allem auch mit Bezug auf die begönnen, ihre jeweiligen Silos zu verlassen und sozio-ökonomische Dimension, stärker an die individuelle Verhaltenskalküle zu überdenken, um DNS angebunden werden sollte.4 gemeinsame Handlungskorridore für lebens- werte, emissionsfreie und nachhaltige Mobilitäts- Die Verknüpfung der DNS mit gesellschaftlich systeme zu erarbeiten. Inkrementelle Innovatio- diskutierten Themen sollte also dadurch erfolgen, nen in den jeweiligen Teilbereichen (zum Beispiel dass a) der Fokus der in der DNS betrachteten ressourceneffizientere Antriebsmotoren, Ausbau Themen stärker die gesellschaftlich relevanten von Busspuren, inkrementeller Ausbau der E-Mo- Dimensionen einbezieht und b) die jeweils entwi- bilität) reichten nicht mehr aus, um umfassende ckelten Transformationsstrategien eindeutig Be- Mobilitätswenden in der kommenden Dekade ein- zug nehmen auf den übergreifenden Rahmen der zuleiten. Die Nationale Plattform Zukunft der Mo- DNS. bilität der Bundesregierung sei bislang im Ge- flecht der Einzelinteressen der beteiligten Die wpn2030-Arbeitsgruppe „Zukunft der Arbeit“ Akteure steckengeblieben. hat sich in ihren Debatten insbesondere mit dem ersten dieser Aspekte befasst. Zentrale Diskus- Umfassende Mobilitätstransformationen müssten sionsfelder sind rasante Digitalisierungsprozesse viertens auf langfristigen und ambitionierten Ziel- oder die weiter voranschreitende Flexibilisierung vorstellungen aufbauen (zum Beispiel emissions- und globale Vernetzung der Arbeitswelt, mit freie Mobilität bis 50, inklusive Verkehrskonzepte neuen und teilweise prekären Arbeitsbedingun- für alle Bürger*innen, Verdreifachung der öffentli- gen sowie weitgehend unklaren ökologischen chen und begrünten Flächen in Städten, deut- Folgen. Der schnelle Wandel betreffe nicht nur liche Reduzierung der Fahrzeuge in Städten, er- die Industrie, sondern auch den Dienstleistungs- möglicht durch Ausbau des öffentlichen Ver- sektor. Darüber hinaus seien neben der klassi- kehrs, Ausbau europaweiter Schnellbahnsysteme schen Erwerbsarbeit auch Bereiche der alltäg- zur Reduzierung innereuropäischen Flugverkehrs lichen Lebensführung – die wenig beachtete 14 © Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030
Politische und gesellschaftliche Relevanz der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie stärken Teil III „Arbeit des Alltags“ mit ihren reproduktiven Tä- haltige Entwicklung voranzutreiben.9 Die Digitali- tigkeiten – von diesen Prozessen betroffen. sierung der letzten Jahrzehnte sei ein histori- scher Treiber – direkt und indirekt – für das Da beispielsweise die weitergehende Entgren- rasante Wachstum in der Weltwirtschaft und die zung von Erwerbsarbeit und deren Folgewirkun- Beschleunigung und Vervielfältigung des alles gen weit in die Sphäre jenseits der Erwerbsarbeit andere als nachhaltigen Rohstoff-, Material- und hineinreichten, sei anders als in der aktuellen Energie-Einsatzes, des Managements komplexer Fassung der DNS ein umfassenderes Verständnis wirtschaftlicher und finanzmarktgetriebener Sys- von „Arbeit“ notwendig, damit sie als Orientie- teme, aber auch gesellschaftlicher und politischer rungsrahmen für die Debatten um die Zukunft Steuerungsmittel. der Arbeit wirken könne.5 Beiträge aus der On- line-Konsultation legen zudem dar, wie eine stär- Digitalisierung und virtuelle Räume können zu- kere Verknüpfung der Themen Arbeit, Ge- dem transnationale Vernetzungen zwischen Ge- schlechtergerechtigkeit und Innovation innerhalb sellschaften vervielfachen, und das Verständnis der DNS dazu beitragen könne, laufende Zu- der Menschen über das Erdsystem vertiefen und kunftsdebatten im Sinne der Nachhaltigkeit zu so kulturelle und gesellschaftliche Innovationen befruchten.6 anstoßen. Der WBGU spricht von Chancen für einen "erneuerten Humanismus”. Es gelte, einen Konkrete Handlungsempfehlungen zum zweiten neuen wirtschaftlichen und digitalen Pioniergeist Aspekt, nämlich zur stärkeren Verknüpfung von für nachhaltige Produkte sowie Prozesse zu we- Transformationsstrategien mit dem übergreifen- cken und diesen zugleich mit einer gemeinwohl- den Rahmen der DNS, entwickelt die wpn2030- orientierten Daseinsvorsorge zu verknüpfen. Ein Arbeitsgruppe „Nachhaltiger Konsum“. Ein tief- auf digitalen Anwendungen basierendes und die greifender Wandel von Produktions- und Innovationspotentiale der Wirtschaft mobilisie- Konsummustern sei dringlich und unerlässlich, rendes Kreislaufwirtschaftsdesign wäre z. B. eine um Fortschritte in der Nachhaltigkeitspolitik er- Antwort auf die im Wesentlichen marktgetriebe- reichen zu können. Nachhaltiger Konsum sei je- nen digitalen Umwälzungen des Silicon Valley doch bisher ein vernachlässigtes Politikfeld, mög- und den Datenobrigkeitsstaat China. „Digital Sus- licherweise wegen seiner Vielschichtigkeit und tainability made in Germany“ könnte ein neuer seines Querschnittscharakters. Bereits angelegte Slogan werden, der im ohnehin unausweichlichen Verbindungen zu einem stark korrelierenden Megatrend einer Nachhaltigkeitswende aller Le- Handlungsfeld wie der Klimapolitik sollten daher bens-, Arbeits-, oder Mobilitätsbereiche gänzlich stärker genutzt werden, etwa über den Indikator neue Geschäftsfelder eröffnet. der kontinuierlichen Abnahme von Energiever- brauch und CO2-Emissionen beim Konsum. Kon- Aus dem Beirätedialog (siehe Textbox 1) lässt kret wird unter anderem vorgeschlagen, den sich ergänzen: „Um die Möglichkeiten und Anfor- Masterplan-Kommunen/Nationale Klimaschutz- derungen einer politisch getriebenen Nachhaltig- initiative (NKI) mit dem Nationalen Programm für keit, einer ressourcenschonenden Digitalisierung nachhaltigen Konsum deutlich stärker zu ver- sowie die Einbindung gesellschaftlicher Innova- knüpfen, um die beiden Themen Klima (THG- tion in die Entwicklung nachhaltiger Lösungen zu Emissionen) und Konsum in bestehenden Struk- ermöglichen, bietet die Schaffung von Innova- turen und Ressourcen stärker zu verbinden und tionsräumen ein bisher nur ansatzweise genutz- damit deren Umsetzung besser zu konzertieren.7 tes Potenzial. Die Unsicherheit künftiger Entwick- lungen in Umwelt und Technologie erfordert In der AG „Nachhaltiger Konsum“ wurde zusätz- keine allgemeingültige Einzellösung, sondern eine lich dafür geworben, die beiden Transformations- Vielzahl kleiner Innovationen, welche in allen Do- themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung stär- mänen gefördert werden sollten. Das Ausmaß der ker zusammenzudenken.8 Auch der Wissen- digitalen Durchdringung in Wirtschaft und Ge- schaftliche Beirat der Bundesregierung Globale sellschaft erlaubt, Technologien, die in Reallabo- Umweltveränderungen (WBGU) plädiert in sei- ren und Innovationsräumen unter Beteiligung al- nem Gutachten „Unsere digitale Zukunft“ für eine ler Akteure erprobt wurden, gesamtgesellschaft- aktive Gestaltung der Digitalisierung, um nach- lich zu implementieren. © Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 15
Teil III Politische und gesellschaftliche Relevanz der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie stärken Somit kann (…) den Herausforderungen der der zeitlichen Dimension ab. So schlägt die Nachhaltigkeit und der Digitalisierung aktiv und wpn2030-Arbeitsgruppe „Global Commons“ vor, produktiv begegnet werden.“10 Darüber hinaus die „planetaren Grenzen“, auf die sich die DNS wird dafür geworben, die Ergebnisse der breiten bezieht, stärker als bisher aufzugreifen. Neue gesellschaftlichen Debatte und wissenschaftli- Wege der Wissenschaftskommunikation sollten chen Arbeit zu einer gesellschaftlichen Wohl- besser genutzt werden, um die Problemlagen von fahrtsberichterstattung und zur „Gut leben“-Stra- Naturgütern mit wichtiger Funktion für eine glo- tegie mit der Nachhaltigkeitsstrategie zu bale Nachhaltigkeit stärker als bislang ins gesell- verknüpfen.11 In Bezug auf die Kommunikation schaftliche Bewusstsein zu rücken. Dafür müss- wird darauf hingewiesen, dass ein gut zugäng- ten politische Möglichkeitsfenster erkannt wer- licher und transparenter Überblick über Umset- den. In der AG behandelte Themen wie Waldster- zungsmaßnahmen quer über alle Ressorts und ben, Hitze- und Dürreperioden oder die Vermül- Handlungsebenen hinweg den gesellschaftlichen lung der Meere haben in jüngster Vergangenheit Diskurs über die DNS und ihre Umsetzung beför- mehr Sichtbarkeit erlangt. Dies sollte genutzt dern würde.12 werden, um die Dringlichkeit politischen Han- delns zu verdeutlichen.13 Die Dringlichkeit des Handlungsdrucks Ganz allgemein liegt einem politischen Dokument Eine zweite Empfehlung, die DNS gesellschaftlich wie der DNS die Herausforderung zu Grunde, relevanter zu machen, leitet sich aus der Analyse dass jeweils nur der zur Verabschiedung gültige Konsens abgebildet werden kann, dieser also re- gelmäßig retardierend gegenüber späteren Dyna- miken wirkt. In der Online-Konsultation wird dar- Textbox 1 auf hingewiesen, dass die klimapolitischen Ziel- setzungen der DNS aktuelle Zielsetzungen nicht Dialog der wissenschaftlichen abbildeten und beide nicht der Dringlichkeit des gebotenen Handelns entsprechen würden. So Beiräte der Bundesregierung müsste die Bundesrepublik bereits in 2040 weit- gehend CO2-neutral sein, um den Zielen der Pari- Zusammen mit SDSN Germany hat die Wissen- ser Klimakonferenz zu entsprechen, die DNS schaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 den Beiräte- würde aber noch auf eine CO2-Reduktion von 80- dialog initiiert, der als jährliches Dialogformat im 95 Prozent in 2050 abzielen. „Hinzu kommt, dass Mai 2020 zum dritten Mal stattfinden wird. Fünf- die Reaktion auf den IPCC SR 15 Bericht eher ver- zehn der wissenschaftlichen Beiräte der Bundesre- halten war; eine deutliche Verschärfung von Zie- gierung haben am Beirätedialog 2019 teilgenom- len und Maßnahmen ist ausgeblieben.“14 Die men.22 Dringlichkeit des geforderten Handelns werde noch deutlicher, wenn in Frage stehe, ob die ge- Die wissenschaftlichen Beiräte der Bundesregie- troffenen Pfadentscheidungen überhaupt in der rung haben in der Politikberatung eine gute Aus- gebotenen Zeit zum Ziel führen könnten, wie bei- gangsposition, da sie Ministerien und Agenturen spielsweise im Mobilitätssektor der gewählte Fo- direkt beraten. Zu ihren Schlüsselfunktionen sollte kus auf den Endenergieverbrauch, der letztlich gehören, die DNS und SDGs in ihre Politikberatung den CO2-Verbrauch insgesamt außer Acht ließe.15 einzubeziehen sowie Impulse und Anregungen aus Wenn also die gesellschaftliche Debatte, wie der- ihren Politikfeldern in die Weiterentwicklung und zeit die Klimadebatte, die Dringlichkeit des Han- Umsetzung der DNS einzubringen. Sie können da- delns unterstreicht, das politische Handeln aber mit einen unschätzbaren Beitrag leisten, die Wirk- mit Blick auf potentielle gesellschaftliche Verwer- samkeit deutscher Nachhaltigkeitspolitik zu ver- fungen ambitionierte Lösungen vermeidet und bessern. Im Anschluss an den Beirätedialog 2019 konkrete Entscheidungen vertagt, werden die in haben dreizehn teilnehmende Beiratsvertreter*in- der DNS angelegten Ziele – obwohl vielleicht nen Empfehlungen für die Weiterentwicklung der sachlich anerkannt – als nicht handlungsrelevant DNS formuliert und über die wpn2030 in den Pro- gesehen und die DNS verliert an Glaubwürdig- zess eingebracht.23 keit. 16 © Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030
Politische und gesellschaftliche Relevanz der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie stärken Teil III Eine Frage der Governance: Handlungs- Die AG „Global Commons“ empfiehlt entspre- relevanz für die Ressorts steigern chend, den ressort- und sektorübergreifenden Austausch zu stärken, weil Erfahrungen sowie Diese Brüche zwischen prinzipiell gesetzten Zie- Risiken, Erfolge und Misserfolge in einem Bereich len in der DNS und konkreten politischen Maß- wichtige Impulse für weitere erbringen könnten. nahmen lassen sich auch durch die derzeitige Beispielhaft lägen für Wälder und insbesondere Nachhaltigkeits-Governance erklären, die einer- die Meere aber auch Biodiversität teilweise recht seits eine zentrale Zielformulierung, andererseits ausgearbeitete internationale zwischenstaatliche aber dezentrale Umsetzung vorsieht. Institutionen vor, die für die Entwicklung von Go- vernance-Instrumenten für eine effektivere politi- Über die in Kapitel 5 behandelten Governan- sche Adressierung grenzüberschreitender Funk- ce-Fragen hinaus wird in der Online-Konsultation tionszusammenhänge19 in den Bereichen Wasser als zentrale Ursache für die fehlende politische und Böden genutzt werden könnten. Das schließt Relevanz der DNS der mangelnde Durchgriff auf die gemeinsame Arbeit an einem wissenschafts- die Ressortpolitiken diagnostiziert: „Die DNS (...) basierten, politikrelevanten Commons-Verständ- hat keine Durchgriffswirkung auf die Fachpoliti- nis ein, um darauf aufbauend die aktuell nur im- ken und wird von den Ministerien nicht als Richt- plizit und lückenhaft in der DNS enthaltenen schnur oder Rahmenbedingung ihrer Politikent- Commons-Dimensionen stärker einzubringen und wicklung verstanden.“16 Ein anderer Beitrag mit Hilfe der DNS Commons-Politiken zu formu- konstatiert: „In der DNS werden Verweise auf lieren. Weitere konkrete Vorschläge zur Stärkung zahlreiche weitere (Strategie-) Papiere gesetzt, der DNS als systematisierende Strategie finden zu deren Terminierungen jedoch keine korrelie- sich in Kapitel 3 und 5. renden Ergebnisse gefunden werden. (...) die zahlreichen Akteure und deren gesonderte Ver- Die Fiskalpolitik sei hier als ein spezifisches, weil öffentlichungen [wirken] nicht kohärent und in- quer liegendes Ressortthema, gesondert heraus- einander verzahnt.“17 Die DNS erscheint als ein gegriffen. Wenn die DNS als übergeordnete Stra- weiteres Strategiepapier der Bundesregierung, tegie verstanden wird, dann müssen sich auch die aber eben als eines neben vielen anderen. fiskalpolitischen Entscheidungen danach ausrich- ten. Steuern und Subventionen, generell Haus- Gleichzeitig hat die Arbeitsgruppe „Global Com- haltsausgaben und Investitionen sowie fiskalpoli- mons“ herausgearbeitet, dass die Systematik der tische Grundsätze sollten zur Umsetzung der DNS grundsätzlich ein geeigneter Ansatz sei, um DNS beitragen. Tun sie dies nicht und werden die vielfältigen, teils widerstreitenden Fachpoliti- dennoch nicht dementsprechend geändert, stellt ken stärker zu koordinieren. Das heißt, dass die sich die Frage, inwieweit die DNS politisch hinrei- DNS als Governance-Instrument weiterzuentwi- chend relevant ist. ckeln sei. Dieser Befund unterstreicht auch der beim SDG-Gipfel im September 2019 vorgestellte Weitere grundsätzliche Fragen werden in der On- Global Sustainable Development Report (GSDR). line-Konsultation aufgeworfen. So vernachlässige Er fordert eine polyzentrische Governance für die DNS neuere wirtschaftspolitische Ansätze wie den Schutz und die nachhaltige Nutzung globaler etwa die Postwachstumsökonomik.20 Außerdem Gemeingüter, die allerdings einen gemeinsamen sei die zuvor vorhandene klare Priorisierung der politisch verbindlichen Bezugsrahmen wie die Zukunfts- und Generationengerechtigkeit bei der Agenda 2030 bzw. auf nationaler Ebene die DNS Überarbeitung Ende 2016 verloren gegangen.21 brauche.18 Wissenschaft und Forschung analysieren diese Defizite der DNS. Zukünftig sollten sie verstärkt Es gilt diese im Grundsatz angelegte Stärke der alternative Entwicklungspfade erarbeiten, etwa in DNS als übergeordneter Bezugsrahmen, der ei- transdisziplinären Dialogen mit den relevanten nen whole of government-Ansatz ermöglicht, Akteuren. ohne zentralistisch zu wirken, durch stärkere sek- torale Verantwortungsübernahme weiter auszu- bauen, d.h. die DNS im Ressortalltag relevanter zu machen. © Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 17
Teil III Verständnis von Wechselwirk- ungen stärken und die über- greifende Auseinandersetzung mit Zielkonflikten und Synergien einfordern! 2. Unterstrichen sei nochmals: Die DNS wird dann relevant, wenn sie als Orientierungsrahmen für gesell- schaftliche Herausforderungen wahrgenommen wird. Sie muss zum Kompass werden, an dem sich Han- delnde zur Bewältigung von Trans- formationsfeldern orientieren können. Als Strate- gie gibt die DNS Akteuren bislang nicht genug Anleitung an die Hand, um sich mit transforma- tionsimmanenten Zielkonflikten und transforma- tionsbefördernden Synergien auseinanderzuset- zen. Erforderlich hierfür sind: Systemische Analyse von Wechselwirkungen Wissenschaftliche Untersuchungen vertiefen zu- nehmend das Verständnis für (intendierte und nicht intendierte) Wechselwirkungen zwischen Handlungsbereichen und bieten damit eine zu- nehmend größer werdende Wissensbasis zur Austragung von Zielkonflikten und zur Suche nach neuen Lösungsstrategien. Ein Beispiel ist die Betrachtung der sozioökonomischen Dimen- sion nachhaltigen Konsums. Die Kopplung von Sozial- und Umweltberichterstattung (beispiels- weise über das vom Wuppertal-Institut entwi- — eine systemische Analyse von Zielkonflikten ckelte Online-Tool zur Ermittlung des eigenen und Synergiepotenzialen bei der Entwicklung ökologischen Rucksackes24) ermöglicht wichtige von Handlungsoptionen; Einblicke in die Zusammenhänge zwischen sozio- — eine stärkere politische Priorisierung und ökonomischer Situation und Konsumentschei- Bündelung, die beispielsweise Indikatoren dungen. nicht unverbunden nebeneinander stehen lässt, sondern Leitindikatoren, die echte Ein weiteres Beispiel, wie die systemische Be- Transformation abbilden können, besonders trachtung operationalisiert werden kann, insbe- hervorhebt; sondere unter Betrachtung von Fairness bezie- — transparente Verfahren zum Austragen von hungsweise gesellschaftlichem Gerechtigkeit- Zielkonflikten und zur Entwicklung von sempfinden, ist der soziale Nachhaltigkeitsbaro- Synergien mit verbundenen Transformations- meter, den das IASS im Zusammenhang mit der bereichen. Energiewende entwickelt hat. Dort heißt es: „Ent- 18 © Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030
Verständnis von Wechselwirkungen stärken und die übergreifende Auseinandersetzung mit Zielkonflikten und Synergien einfordern Teil III sprechende Erhebungen könnten auch in ande- auch ermöglicht und, wo geboten, rechtlich die ren Transformationsfeldern einen wichtigen Bei- Grundlagen dafür gewährleistet. Zudem könnten trag zur systematischen Aufarbeitung der Anreize dadurch weiter gebündelt und Zielkon- sozialen Nachhaltigkeit von Transformationspro- flikte mit Hilfe eines „nachhaltigen Verbraucher- zessen leisten und sollten in Prozesse zur Be- rechts“ systematisch aufgelöst werden.28 Zur me- arbeitung von Zielkonflikten einfließen.“25 thodischen Umsetzung von politischer Priorisierung wird die Entwicklung von Leitindi- Diese stärker systemische Analyse ermöglicht katoren vorgeschlagen, die unterschiedliche Di- eine bessere Kenntnis komplexer Wirkzusam- mensionen unter einem komplexen Indikator bün- menhänge und kann die Grundlage dafür liefern, deln und tatsächliche Transformation abbilden. nicht intendierte negative Wirkungen vermeint- lich positiver Entscheidungen rechtzeitig zu er- Um beim Konsumbeispiel zu bleiben, sei hier bei- kennen und die Suche nach nachhaltigeren Alter- spielhaft auf die Arbeiten der AG „Nachhaltiger nativen zu befördern. Beispielhaft für diese Konsum“ zu einem Konsumindikator verwiesen. komplexen Erkenntniszusammenhänge ist hier Kapitel 4 enthält dazu verschiedene Vorschläge. das Konzept von virtuellem Wasser und Wasser- Eine evidenzbasierte politische Priorisierung und fußabdruck dargelegt (siehe Textbox 2). Entscheidungsfindung erfordert aus Sicht der wpn2030, dass Zielkonflikte bereits in der Vorbe- Politische Priorisierung reitung von Rechtsetzungsvorhaben bearbeitet werden. Empfohlen wird, die Zielkonflikte auch Diese systemische Analyse von Wechselwirkun- beim Monitoring stärker zu beachten. Beim „Mo- gen und die DNS mit ihrem ganzheitlichen Poli- nitoring (...) ausgewählter Transformationspro- tikansatz haben zu einem verstärkten Bewusst- zesse – in Bereichen wie Landwirtschaft, Verkehr, sein für Zielkonflikte zwischen Ressortpolitiken etc. – (...) sollte nicht nur indikatorenbasiert zu geführt. Diese werden auch in den Ressortberich- den Entwicklungen unterschiedlicher Teilberei- ten in Ansätzen deutlich. Ein erforderliches Mittel che berichtet werden. Es sollten vielmehr auch mit Zielkonflikten umzugehen, ist eine gesell- die Wechselwirkungen zwischen unterschiedli- schaftlich diskutierte und politisch gesetzte Prio- chen Zieldimensionen analysiert und beobachtet risierung, die mit Blick auf die Ziele nachhaltiger werden. Dies könnte dann die Grundlage für eine Entwicklung herkömmliche Zielkonflikte bearbei- systematische Bewertung und gesellschaftliche tet und löst. Hier wird mehr Mut von der Politik Diskussion von Handlungsoptionen in dem jewei- erwartet.26 Als relevantes Beispiel sei hier verwie- ligen Transformationsfeld bilden.“29 Hilfreich sind sen auf den Diskussions- und Entscheidungsbe- hier wissenschaftliche Beiträge zur systemati- darf, der sich in allen Ressortpolitiken aus dem schen Identifizierung von Zielkonflikten und Syn- Bekenntnis zu den planetaren Belastungsgrenzen ergien.30 ergibt, die bislang jedoch noch nicht operationali- siert worden sind.27 Entwicklung von Synergien Die Arbeitsgruppe „Nachhaltiger Konsum“ plä- Die DNS bietet durch ihren Fokus auf Interdepen- diert in Anbetracht der herausragenden Bedeu- denzen gute Ansatzpunkte, um Synergien mit/ tung nachhaltiger Produktions- und Konsummus- zwischen wesentlichen Transformationsberei- ter für eine nachhaltige Entwicklung Deutsch- chen zu nutzen. Hier liegen für einige Produkte lands, für die politische Priorisierung in diesem und Wertschöpfungsketten Arbeiten aus der For- Bereich und schlägt vor, die gegenwärtige Ver- schung zu „Fußabdrücken“ (wie auch „Handab- braucherschutzpolitik konzeptionell neu zu fas- drücken“) vor, die aufgenommen werden sollten. sen. Hierfür würde eine über den „Schutz“ von Weiterhin könnte auch das vom Deutschen Insti- Verbraucher*innen hinausgehende Verbraucher- tut für Entwicklungspolitik (DIE) und vom Stock- politik die Konsument*innen in ihrer Autonomie holm Environment Institute (SEI) entwickelte ernstnehmen, eingebettet in einen rechtlichen „NDC-SDG Connections tool“31 genutzt werden, Rahmen, der ihnen nachhaltiges Konsumieren um Synergien zwischen Klimaaktionsplan © Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 19
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